Post on 24-Sep-2020
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Nationales Forschungsprogramm NFP61 «Nachhaltige Wasssernutzung»
Projekt « Water channels – a model for sustainable water use »
GESAMTSYNTHESE
WASSERKANÄLE -‐ THESEN FÜR EINE ZUKÜNFTIGE NACHHALTIGE ENTWICKLUNG
RAIMUND RODEWALD, KARINA LIECHTI
adaptierte Version nach: Schweizer Rémi, Rodewald Raimund, Liechti Karina, Knoepfel Peter. 2014 (in Vorbereitung). Des systèmes d'irrigation alpins entre gouvernance communautaire et étatique -‐ Alpine Bewässerungssysteme zwi-‐schen Genossenschaft und Staat. Zürich/Chur: Rüegger. (Kapitel 5)
unter Einbezug der Forschungsresultate von: Rémi Schweizer und Peter Knoepfel (Institut de hautes études en adminst-‐ration publique IDHEAP, Universität Lausanne), Eliane Riedener, Ramona Melliger, Hans-‐Peter Rusterholz und Bruno Baur (Institut für Natur-‐, Landschafts-‐ und Umweltschutz, Universität Basel), Linda Feichtiger und Andreas Rigling (Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL), Simon Birrer (Schweizerische Vogelwarte Sempach), Karina Liechti und Raimund Rodewald (Stiftung Landschaftsschutz Schweiz)
1 EINLEITUNG
Die vorliegende Gesamtsynthese basiert auf den Resultaten des Forschungsprojektes «Wasserkanä-‐le – ein Modell für nachhaltige Wassernutzung» (Projekt Water channels – a model for sustainable water use). Das Projekt ist in zwei Teil gegliedert: Im ersten Teil (Unterprojekt „Biodiversität“) wer-‐den die Umweltauswirkungen der Modernisierung der Infrastrukturen und der Entwicklung der Bewässerungstechniken untersucht. Dies erfolgt zum einen mittels einer Untersuchung der ökologi-‐schen Auswirkungen der Versickerung von Suonenwasser (passive Bewässerung) auf die Wälder, zum andern mittels eines Vergleichs der ökologischen Auswirkungen der verschiedenen Bewässe-‐rungstechniken (traditionelle gravitative Hangberieselung oder Sprinklerbewässerung) auf die Ar-‐tenvielfalt der Wiesenvegetation und der Wiesenbrüter. Im zweiten Teil (Unterprojekt „Gouver-‐nanz“) untersucht das Projekt die Funktionsweise und die Entwicklung der traditionellen genossen-‐schaftlichen Steuerungsmodelle vor dem Hintergrund sich wandelnder institutioneller, ressourcen-‐spezifischer und sozioökonomischer Entwicklungen. Das Vorhaben zeichnet Veränderungen der Steuerungsmodelle nach, versucht diese anhand von in der Literatur vorgetragenen und im Verlau-‐fe der Untersuchung ergänzten und modifizierten Faktoren zu erklären und unternimmt darüber hinaus den Versuch, die Regelwerke für die beiden im letzten Jahrhundert feststellbaren Entwick-‐lungsperioden (t-‐1) und (t0) bezüglich ihrer Nachhaltigkeit zu bewerten. Die vorliegende Gesamtsyn-‐these geht von den Resultate des Unterprojektes „Gouvernanz“ aus und ergänzt sie mit den Er-‐kenntnissen aus dem Bereich Biodiversität (für einen vertieften Einblick in die Resultate der Unter-‐projekte, siehe NFRP61 – Final report).
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Im Folgenden werden die Ergebnisse der vergleichenden Betrachtung von fünf Fallstudien (Bisse Vieux, Bisse Tsa Crêta, Torrent Neuf, Grossa und Niwärch) unter Beizug weiterer Fallbeispiele disku-‐tiert. Es stellt sich die zentrale Frage, welche Faktoren für ein zukunftsfähiges Steuerungsmodell für das Ressourcensystem Suone am besten zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit gegeben sein müss-‐ten. Ein aus unserer Sicht zukunftsfähiges Steuerungsmodell setzt das Vorhandensein einerseits der nötigen Handlungsressourcen der beteiligten Akteure, andererseits der Anpassungsfähigkeit und Resilienz (de Callejo & Cossio 2009) des Gesamtsystems voraus. Beide ergeben sich sowohl aus den inneren, endogenen Regulierungsarrangements (das heisst dem ausgehandelten Regelwerk zwi-‐schen den Nutzungsakteuren) und den äusseren politisch-‐rechtlichen Einflüssen als auch aus den sozio-‐ökonomischen Antriebskräften (Driving forces), welche den individuellen Nutzen und die Mo-‐tivation der Akteure an der Weiterführung der Bewässerung mittels Suonensystem bestimmen. Das Suonen-‐Wasser-‐Boden-‐Managementsystem ist nicht wie ein öffentliches Gut zu behandeln, da un-‐ter den Nutzungsakteuren (homogene und heterogene) Rivalität besteht. Deshalb muss es die Prob-‐lematik der "Tragedy of the Commons" (Hardin 1968), resp. des „Drama of the Commons“ (Ostrom et al. 2002) mit der entsprechenden "Freerider"-‐ und (nicht nachhaltigen) Übernutzungs-‐Gefahr stets im Auge behalten. Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es daher, die institutionellen Be-‐dingungen eines nachhaltigen Bewässerungssystems aufgrund unserer empirischen Analyse und der komparativen Bewertung zu identifizieren.
Dabei ist vorauszuschicken, dass wir auf die Präsentation eines "idealen Steuerungsmodells" schon deshalb verzichten, weil die untersuchten Fallstudien ausgeprägte Fallspezifitäten aufweisen. Mol-‐linga et al. (2007) betonen daher vielmehr die Wichtigkeit der Identifikation der massgebenden Rahmenbedingungen für die Stärkung der Wirkung des jeweiligen Steuerungsmodells: “The main challenge is not finding a single ‘right’ type of institution or organisation, but identifying the condi-‐tions under which each can play an effective role, what can be done to strengthen them, and de-‐veloping effective co-‐ordination and negotiation mechanisms among the different types of organi-‐sations involved” (S. 207). Die genossenschaftlichen Modelle stellen –wie die Fallbeispiele zeigen– keinen "one best way" dar, der auf alle Suonensysteme und zu jeder Zeit und unter jeder Umwelt-‐ und Gesellschaftssituation übertragen werden könnte (Schweizer 2012: 153). Die Entwicklungsver-‐läufe der Steuerungsmodelle der fünf untersuchten Suonensysteme lassen nämlich keine einheitli-‐chen Regeln erkennen. Dies deckt sich durchaus mit der modernen Auffassung von pluralistischen Managementformen, die sich den spezifischen lokalen sozio-‐ökologischen und -‐ökonomischen Ver-‐hältnissen anzupassen haben1. Es werden daher vielmehr Thesen für die drei Ebenen der Steue-‐rung, der Regulierungsarrangements und der Prozeduren präsentiert, die für die künftige Verfas-‐sung eines nachhaltigen, anpassungsfähigen Steuerungsmodells der Suonen von Bedeutung sein können. Die Thesen sollen insbesondere Antwort geben auf die in dieser Studie identifizierten Schwächen der Suonensysteme sowie die künftigen Herausforderungen des Klimawandels, der Poli-‐tikentwicklungen und des Gesellschaftswandels. Basis für die im Folgenden dargestellten Thesen sind die vergleichenden Schlussfolgerungen aus den fünf Fallstudien, die Analyse weiterer Fallbei-‐spiele sowie Gespräche mit Experten aus dem NFP61-‐Programm und den Fachstellen des Bundes und des Kantons Wallis.
2 DIE DIFFERENZIERTEN STEUERUNGSMODELLE UND IHRE NACHHALTIGKEIT
Die Fallstudien zeigen eine Evolution der Steuerungsmodelle in Richtung einer mehr oder weniger starken Hybridisierung und Ausdifferenzierung. Man kann daher von einem institutionellen Suo-‐
1 “Each institution is a product of its own environment, not a replica of other institutions elsewhere. Its evolution may be influenced, guided or enabled, but not forced. Thus we need approaches that are grounded in the local socio-‐cultural, political and physical environment” (Mollinga et al. 2007: 704)
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nenmodell der ersten und zweiten Generation sprechen, dessen Veränderung sich vor allem in dem sinkenden Einfluss der Bewirtschafter und Wassernutzer auf die Steuerung des Bewässerungssys-‐tems abzeichnet. Die Suonensysteme der ersten Generation waren geprägt vom Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe"; die Bewirtschafter waren Bauherren und Unterhaltsverantwortliche zugleich. Dieses traditionelle genossenschaftliche "Urmodell" kann in Bestätigung der Theorie von Ostrom (1990) daher für eher monofunktionale Systeme als effizient und effektiv und damit als ressourcengerecht angesehen werden. Es kann aber nicht –wie unsere Resultate zeigen– auf die heutigen komplexe-‐ren Suonensysteme übertragen werden.
In den heutigen Suonensystemen der zweiten Generation dominieren zumeist die genossenschaft-‐lich organisierten Wasserrechtsinhaber (Geteilen, consorts) oder andere private oder öffentliche Trägerschaften, während die Bewirtschafter (die Wassernutzenden) aufgrund des zunehmenden Pachtsystems eher in den Hintergrund getreten sind. Die in den Fallstudien nur am Rand untersuch-‐ten öffentlich-‐rechtlichen Genossenschaften (Bodenverbesserungs-‐ oder Meliorationsgenossen-‐schaften) werden als separate Untermodelle aufgeführt, obgleich sie zwar den traditionellen priva-‐ten Genossenschaften ähneln, aber mit Blick auf die zukünftigen Anpassungsprozesse der Suonen-‐systeme Vorteile aufweisen. Die möglichen Steuerungsmodelle können wie folgt charakterisiert werden (Tab. 1):
Tabelle 1 : Mögliche Steuerungsmodelle und dessen Charakteristiken
Steuerungsmodell Charakteristik
Typ 1: Traditionelles genossen-‐schaftliches Modell
(alle Suonen der ersten Generation, Zeitpunkt t-‐1)
Eine Genossenschaft des Privatrechtes (im Sinne von Art. 59 Abs. 3 ZGB) trägt die Hauptverantwortung für die Suonen. Es handelt sich um altrechtliche All-‐mendgenossenschaften, die nach kantonalem Recht geregelt sind.
Die Organisation von Nutzung und Unterhalt basiert auf genossenschaftlichen Regulierungen (Kehr, Gemeinwerk etc.) gemäss entsprechenden Reglementen.
Staatliche Interventionen und der Einbezug anderer Akteure sind nicht ausge-‐schlossen, bleiben aber punktuell.
Typ 2: Leicht differenziertes Mo-‐dell mit genossenschaftlichem
Charakter
(Bsp. Grossa, Bisse Vieux)
Das Modell basiert auf dem traditionellen Genossenschaftsmodell mit entspre-‐chenden Statuten und Reglementen für die Nutzung und die Unterhaltspflich-‐ten. Die Genossenschaften sind auf staatliche Unterstützung angewiesen, um die Wiederinstandsetzung zu finanzieren.
Die Genossenschafter lösen sich vom primären Sektor und damit von der haupt-‐ oder nebenberuflichen Bewirtschaftung und der landwirtschaftlichen Wassernutzung.
Typ 3: Hoch differenziertes Modell
(Bsp. Torrent-‐Neuf, Niwärch)
Eine Vielfalt von beteiligten Akteuren mit unterschiedlicher Herkunft (öffent-‐lich, privat, genossenschaftlich, vereinsmässig) teilt sich die Verantwortung für die Suonen.
Gewisse genossenschaftsähnliche Regulierungen, wie der Kehr oder das Ge-‐meinwerk, haben sich, ohne sich auf eine eigentliche Genossenschaft zu stüt-‐zen, erhalten, resp. auf freiwilliger Basis wieder etabliert. Die Gemeinde nimmt dabei oft eine führende Rolle ein.
Typ 4: Öffentliches Modell
Untertyp 4.1: Gemeindemodell Eine oder mehrere Gemeinden tragen die Hauptverantwortung für die Suonen.
Die Organisation von Nutzung und Unterhalt basiert auf entsprechenden öf-‐
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(Bsp. Tsa-‐Crêta)
fentlich-‐rechtlichen Erlassen.
Traditionelle gemeinschaftliche Regulierungen (Gemeinwerk, Kehr [tour]) sind nicht ausgeschlossen, bleiben aber punktuell.
Untertyp 4.2: Bodenverbesse-‐rungsgenossenschaftsmodell
gemäss Art. 703 ZGB, in Verbin-‐dung ggf. mit einer staatlichen (Art. 80 GLER) Unterhaltsgenossenschaft
(Bsp. Teil des Niwärchs)
Die Bodenverbesserungs-‐ oder Meliorationsgenossenschaften sind Zwangsge-‐nossenschaften öffentlich-‐rechtlicher Natur gemäss Art. 703 ZGB und Art. 72 GLER2. Bei solchen Genossenschaften ist derjenige zwangsläufig Mitglied, der Eigentümer einer Fläche innerhalb des von den Eigentümern mit Flächenmehr genehmigten Gebietsperimeters ist.
Art. 703 ZGB regelt die Bildung von Genossenschaften zur Realisierung von Bodenverbesserungsprojekten (aber nicht zur Bewirtschaftung oder zum Un-‐terhalt). Nach Abschluss des Unternehmens muss jeweils der Unterhalt gere-‐gelt werden, wozu Unterhalts-‐ oder Flurgenossenschaften gebildet werden (Art. 80 GLER). Oft übernehmen die Gemeinden das Suonen-‐Eigentum und den Unterhalt.
Die Unterhaltsregelungen umfassen die Instandhaltung des Bewässerungsnet-‐zes mittels Sprinkleranlagen ("réseau d'irrigation"), das heisst des Entsanders und der unterirdischen Leitungsrohre, jedoch nicht zwingend des Hauptwas-‐serkanals (Suone).
Meliorationsgenossenschaftliche Modelle bedürfen daher einer ergänzenden Steuerung für die ganze Suone.
Die Wassernutzung folgt den genossenschaftlichen Regulierungsarrangements und Prozeduren (Wasserstunden, Kehr).
Untertyp 3: Differenziertes Bo-‐denverbesserungsgenossen-‐
schaftsmodell, in Verbindung ggf. mit einer privaten Unterhaltsge-‐nossenschaft gemäss den wirt-‐
schaftsorientierten Genossenschaf-‐ten (Art. 828 OR)
(Bsp. Rohrberg, Lalden)
Private und öffentliche Genossenschaften und Trägerschaften sowie gemein-‐deeigene Verantwortlichkeiten bestehen nebeneinander. Es dominiert aber die Bodenverbesserungsgenossenschaft.
Das Wässerwasserreglement ist Teil der Statuten.
Wesentliche Eigenschaften der traditionellen Genossenschaften (Wasservogt, Kehr, Gemeinwerk) werden übernommen.
Es werden neben der Beregnung auch der Verzicht auf Bewässerung und die traditionelle Bewässerung flächenmässig zugeordnet und verfügt.
Hinsichtlich des Einflusses der heute noch vorhandenen Steuerungsmodelle (Typen 2-‐4; das Refe-‐renzmodell der traditionellen Genossenschaft [Typ 1] wird hier weggelassen, da kaum mehr in Rein-‐form vorhanden) auf die Nachhaltigkeit des Systems können anhand der Fallstudien folgende Aus-‐sagen gemacht werden (Tab. 2).
2 Kantonales Gesetz (VS) über die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums vom 8. Februar 2007 (GLER)
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Tabelle 2: Steuerungsmodell der zweiten Generation und sein Einfluss
auf die Nachhaltigkeit des Systems
Steuerungsmodell der 2. Generation
Fördernde Faktoren bzgl. Nachhaltigkeit
Hindernde Faktoren bzgl. Nachhaltigkeit
Nachhaltig-keitsgrad3
Typ 2: Leicht differenziertes Modell mit genos-senschaftlichem Charakter
Direkter Bezug der Nutzer zur Ressource (Nutzen/Schaden/-Kontrolle) Hohes Verantwortungsgefühl gegenüber der Ressource Fachwissen bleibt erhalten Direkte Mechanismen zur Kon-fliktlösung Wichtige Stellung der Genossen-schaften in der Gemeinde Genossenschaft hat die Kontrolle über die Handlungen der Genos-senschafter (à Einhaltung der Nutzungsregeln, bspw. Kehr) Identifikation mit der Ressource bleibt dank persönlicher Interes-senslage und Observanz erhal-ten, wenn auch in abnehmendem Grad Geringe Last für die Behörden (Arbeit, Finanzen)
Pächter sind teilweise nicht Mit-glieder der Genossenschaft, die Beteiligung am Gemeinwerk ist reduziert und Ämter können kaum mehr besetzt werden Unterhaltsaufwand für die Ge-nossenschafter (zu) arbeitsin-tensiv (oft gleichzeitige Mitglied-schaft bei mehreren Genossen-schaften) Erschwerte Kontrolle der Pächter (z.B. Einhaltung des Kehrs, wilde Zapfstellen) Trägheit des Rotationsprinzips Einbezug von anderen Nutzun-gen (Bsp. Tourismus oder Öko-systemleistungen) erschwert (in Statuten nicht vorgesehen) Beschränkte finanzielle und per-sonelle Handlungsressourcen
Vieux: 3.4 Grossa: 3.0
Typ 3: Hoch diffe-renziertes Modell
Gesamtsicht über die unter-schiedlichen Nutzungen ist meist gegeben Erleichterter Einbezug neuer Nutzungen Kosten für die beteiligten Eigen-tümer/Bewirtschafter verringert Einheitliche Organisation und Entscheidfindung Verbindung Gemeinde – Geld-geber einfacher als bei Genos-senschaften Breitere Abstützung in der Ge-sellschaft und damit hohe kultu-relle Bedeutung der Suonen für unterschiedliche Bevölkerungs-gruppen
Zusätzliches Engagement der Verantwortlichen auf der Ge-meinde-, Kantons- und Bundes-ebene sowie von weiteren Orga-nisationen notwendig Höhere Kosten für die öffentliche Hand Delegation der Verantwortung von Seiten der Nutzer, aber auch geringere Mitbestimmung über das Suonensystem Zunahme von internen und ex-ternen Rivalitäten Risiko der Marginalisierung der Bewirtschafter und Interessens-verlust Hoher Koordinationsaufwand und entsprechend hohes Engage-ment von Seiten der Verantwort-lichen nötig
Torrent-Neuf: 3.7
Niwärch: 3.8
3 Bewertungsskala: 5=hoch; 4=eher hoch; 3=mittel; 2=eher tief; 1=tief
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Typ 4: Öffentliches Modell
Untertyp 1: Gemeindemodell
Klare Verantwortung Schlanke Organisation Kosten für die beteiligten Eigen-tümer/Bewirtschafter verringert Einbezug unterschiedlicher Nut-zungen und Akteure möglich à je nach Ausprägung des Mo-dells treffen auch die für Typ 3 erwähnten Faktoren zu.
Hoher finanzieller und personel-ler Aufwand für die öffentliche Hand Gefahr der Vernachlässigung des Unterhalts aufgrund der feh-lenden Nähe zur Landwirtschaft Geringere Reaktionsfähigkeit und Flexibilität à je nach Ausprägung des Mo-dells treffen auch die für Typ 3 erwähnten Faktoren zu.
Tsa Crêta: 3.2
Untertyp 2: Bodenverbesse-
rungsge-nossenschafts-
modell
Klare Verantwortung Neugründung ermöglicht deutli-che Willensäusserung der Eigen-tümer Klare Regulierungsarrangements und Prozeduren Observanz ist abgelöst durch Regelwerk Wiesenbewässerung folgt den herkömmlichen Wasserstunden Steuerung ist fokussiert auf die aktuellen Nutzerinteressen und die Beurteilung des Bewässe-rungsbedarfes (s. Kap. 3.4.)
Höhere Kosten für Bund/Kanton und damit erhöhter Kostenanteil für die Eigentümer und die Be-wirtschafter Setzt erhöhtes Interesse der Grundeigentümer voraus Betrifft nur das Teilsystem der Beregnung, aber nicht das Suonensystem insgesamt Bewirtschafter nur via Unter-haltsgenossenschaften integriert Die Wiesenbewässerung wird aufgrund des Effizienzgewinns (geringerer Wasserverlust ge-genüber der traditionellen Hang-berieselung) intensiver, dadurch vermuteter Verlust an Ökosys-temleistungen Eine bestimmte landwirtschaftli-che Nutzung (Heuwiesen, Grün-land) wird mit dem Beregnungs-system fixiert, was einen Wandel der Bewirtschaftung (z.B. Acker-bau, nicht bewässerte Trocken-wiesen) im Einzelfall behindern kann
Nicht bewertet
Untertyp 3: Differenziertes
Bodenver-besserungs-genossen-
schaftsmodell
Zusätzlich zum Untertyp 2: Flächenspezifische Differenzie-rung der Bewässerungsart Eigentümer und Bewirtschafter eingebunden Selbstorganisation der Bewirt-schafter für den Unterhalt Erhöhte Sicherung der Ökosys-temleistungen Regulierungsarrangements äh-neln den traditionellen Genos-senschaften Engagement der verschiedenen Nutzer gestärkt
Höhere Kosten für Bund/Kanton und damit erhöhter Kostenanteil für die Eigentümer und die Be-wirtschafter Höhere Komplexität der Verwal-tung Setzt erhöhtes Interesse der Bewirtschafter/Eigentümer vo-raus Festinstallierte Beregnungsanla-gen mit Unterhaltspflicht er-schweren eine spätere Nut-zungsänderung aufgrund der Marktsituation (Anbau von Berg-getreide)
Nicht bewertet
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Die Zusammenstellung zeigt, dass jedes Modell der zweiten Generation in Bezug auf die Nachhal-‐tigkeit fördernde oder hindernde Faktoren aufweisen kann. So zeichnen sich die öffentlichen Ge-‐nossenschaftsmodelle (Typ 4) durch den Vorteil klarer Regulierungsarrangements aus, haben aber den Nachteil hoher Kosten für alle Beteiligten und einer möglicherweise im Einzelfall behindernden Nutzungsverpflichtung. Die hoch differenzierten und auch die öffentlichen Modelle wiederum sind für die Bewirtschafter und Eigentümer aus Kostensicht interessant, jedoch ist ihre Gesamtorganisa-‐tion aufgrund der höheren Zahl der Akteure aufwändiger.
3 DIE ZUNEHMENDE WASSERNUTZUNGSKONKURRENZ – INTERNE UND EXTERNE KONFLIKTSITU-‐ATIONEN IN DER WASSERVERTEILUNG UND -‐NUTZUNG Die Nachhaltigkeit eines Steuerungsmodells hängt im Wesentlichen von dessen Fähigkeit ab, Kon-‐flikte im Zusammenhang mit der zunehmenden Wassernutzungskonkurrenz zu antizipieren und zu bewältigen. Es kann zwischen internen und externen Konfliktsituationen unterschieden werden. Erstere betreffen die Rivalitäten, welche innerhalb der landwirtschaftlichen Wassernutzung im Rahmen der Genossenschaft(en) oder sonstiger Trägerschaften auftreten und einerseits die Bewäs-‐serungsart (Berieselung versus Beregnung) betreffen, andererseits zwischen den einzelnen Suonen-‐systemen bei extrem schwankenden Abflussmengen des Stammgewässers auftreten können. Ex-‐terne Konfliktsituationen ergeben sich aufgrund der stärkeren Rolle externer Akteure, die von dem Suonensystem profitieren wollen oder nachteilig betroffen sein können.
Die Konfliktsituationen lassen sich wie folgt umschreiben:
Kasten 1: Interne Konfliktsituationen
(1) Rivalitäten zwischen den landwirtschaftlichen Wassernutzern in Trockenheitsperioden
Fallbeispiel
Während der Extremtrockenheiten 2003 und 2011 entstanden erhebliche Konflikte zwischen den Bewirt-‐schaftern um das knapper werdende Wässerwasser, was vor allem in Nendaz und Savièse nachgewiesen wurde. In Savièse tauchen diese Rivalitäten praktisch jedes Jahr auf und betreffen die unterschiedlichen Be-‐wässerungsgebiete (Wiesen, Reben und Wohngebiete).
(2) Rivalitäten zwischen aktiven Wassernutzern, welche die traditionelle Berieselung regelmässig, sporadisch oder kaum mehr ausüben und solchen, die ausschliesslich und regelmässig Beregnungsanlagen benutzen und befürworten
Fallbeispiel
Aufgrund verschiedener Faktoren (exponierte Lage, flachgründige Böden, zu geringes Gefälle, natürliche "Hindernisse", fehlende Finanzmittel, Einstellung der Wassernutzer u.a.) werden Sprinklersystem nicht über-‐all eingesetzt. Die überwiegende Mehrheit der Landwirte befürwortet und benutzt heute allerdings solche Beregnungsanlagen. Im Falle der aktuellen Bodenverbesserungsvorhaben im Brich/Lalden und Rohr-‐berg/Eyholz führte die Frage, wer wo und wie Flächen bewässern darf oder soll, zu Konflikten untereinander, aber auch zu solchen mit externen Akteuren.
(2a) Rivalitäten zwischen aktiven Wassernutzern innerhalb eines Beregnungsperimeters im Sinne, dass ein-‐zelne Landwirte ihre bewässerten Wiesen aufgrund der Marktsituation auf eine andere Nutzung (z.B. Berg-‐ackerbau, Naturschutzflächen) umstellen wollen.
Fallbeispiel
In Einzelfällen können festinstallierte und teure Beregnungseinrichtungen eine spätere Nutzungsänderung erschweren, insbesondere wenn auf Wiesen nicht unbedingt bewässerungsbedürftiger Ackerbau betrieben
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würde. Solche Fälle sind in der Val Müstair 2013 aufgetreten, was zur Folge hatte, dass gewisse Sprinklerstö-‐cke ihre dortige Funktion nicht mehr erfüllen und mittels Schläuchen und mobilen Anlagen verlegt werden müssen.
(3) Rivalitäten zwischen den landwirtschaftlichen Wassernutzern zweier oder mehrerer Suonensysteme, die ihr Wässerwasser aus ein und demselben Gewässer beziehen, das aufgrund der zunehmenden Trockener-‐eignisse stark schwankenden Abflussmengen ausgeliefert ist
Fallbeispiel
Im Trockenjahr 2011 führte der Mundbach bis Ende April derart wenig Wasser, dass verschiedene Fassungs-‐stellen im Trockenen lagen. So waren beispielsweise beide Munder Suonen, die nicht im Stollen geführt wurden (Wyssa und Stigwasser) bis in den Sommer hinein praktisch ohne Wasser. Die übrigen Wasserfas-‐sungen waren mit deutlich niedrigeren Wassermengen dotiert. Zudem nahm der Wasserbedarf durch die Trockenheit gegenüber den Normaljahren noch erheblich zu. Es stand ein bislang noch nie vorgekommener Aushandlungsprozess bevor, der zur Abschaltung einzelner Suonen auf Birgischer oder Munder Seite geführt hätte. Die anfangs Mai eintretenden Niederschläge entschärften dann aber die Situation.
(4) Rivalitäten zwischen den landwirtschaftlichen Wassernutzern und den nicht-‐landwirtschaftlichen Was-‐sernutzern, die aber ebenfalls Mitglieder der Genossenschaften sind
Fallbeispiel
Nicht wenige Suonen fliessen durch Dörfer und Chaletzonen. Die dortigen Landbesitzer sind teilweise eben-‐falls noch im Besitz von früheren Wasserrechten. In Nendaz führt die überdimensionierte Bauzone entlang des Bisse Vieux zu einem potenziellen Konflikt mit Chaletbesitzern, die das frühere landwirtschaftliche Wäs-‐serwasser nun zur Bewässerung der privaten Rasenflächen der Chalets nutzen. Die Kontrolle der Einhaltung des Kehrs dürfte dort besonders schwierig sein. Diese Rivalität zeigt sich auch in dem schwindenden Interes-‐se an den Unterhaltsarbeiten. Bei der Grossa wurden die sich in der Chaletzone befindenden früheren Eigen-‐tümer hingegen aus der Genossenschaft entlassen.
Neben diesen internen (endogenen) Konfliktsituationen entstehen auch Rivalitäten zwischen den "Ins" und "Outs", das heisst zwischen landwirtschaftlichen Nutzern und denjenigen Akteuren, die ausserhalb der eigentlichen landwirtschaftlichen Wassernutzung (exogene) Ansprüche an die Nut-‐zung des Suonensystems geltend machen.
Kasten 2: Externe Konfliktsituationen
(1) Rivalitäten zwischen den Nutzungsberechtigen gemäss den privaten verbrieften ehehaften Wassernut-‐zungsrechten der Landwirtschaft und denjenigen gemäss anderer öffentlich-‐rechtlicher Rechte wie die Was-‐sernutzungskonzessionen (Riva 2007:69ff).
Fallbeispiel
Vor dem Hintergrund des regionalen Klimaszenarios A1B für den Alpenraum (veränderte und stärker schwankende Abflusssituation, namentlich bei Gewässern mit nivalem Einzugsgebiet, Meteo Schweiz 2013:24ff) herrscht in Bezug auf diesen Konflikttypus eine unklare Situation. Das prägende Merkmal wohl-‐erworbener Rechte ist die immer wieder betonte Gesetzesbeständigkeit und Gesetzesfestigkeit: Wohler-‐worbene Rechte behaupten sich gemäss ihrem Anspruch gegenüber nachträglichen Veränderungen der Rechtsordnung, die zu ihrer Löschung oder Beschneidung führen könnten (Riva 2007:70). Ehehafte Rechte an einer öffentlichen Sache (hier Wasser) sind historisch begründete private Rechte, die ihren Ursprung in einer nicht mehr bestehenden Rechtsordnung haben und nach neuem Recht als solche nicht mehr geschaf-‐fen werden können, aber weiterbestehen dürfen (Riva 2007:47f). Gemäss Art. 45 WRG4 werden durch eine Konzession die Privatrechte Dritter und die früheren Konzessionen nicht berührt. Es stellt sich aber zuneh-‐
4 Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte vom 22. Dezember 1916
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mend die Frage, inwieweit wohlerworbene und ehehafte Wassernutzungsrechte durch Politikbeschlüsse geändert werden könnten oder müssten.
Die EOS/heute Alpiq musste 1950 für das fünf Jahre zuvor konzessionierte Speicherkraftwerk Cleuson-‐Dixence der Geteilschaft des Bisse Vieux in Nendaz eine Mindestwassermenge an der Suonenfassung der Printze gewährleisten, deren Umfang aber nie gänzlich geklärt wurde. Es bedarf daher einer Klärung, wie sich eine nötige Restwassersanierung nach Art. 80 GschG5 auf diese vom Departement des Inneren seinerzeit gewährte Mindestwassermenge auswirkt (s. unten). Die Restwassersanierung steht grundsätzlich im Konflikt mit dem politischen Ausbauziel der Wasserkraft im Rahmen der Energiestrategie 2050 (BFE 2012).6
(2) Rivalitäten zwischen Akteuren, die ihre Nutzungsbedürfnisse von verschiedenen öffentlichen Politiken ableiten, so des Agrarrechts (beitragsberechtige Wiesenbewässerung gemäss Art. 14 Abs. 1 SVV7) oder des Natur-‐ und Heimatschutzrechts (unerwünschte Bewässerung von Trockenwiesenobjekten gemäss Vollzugs-‐hilfe zur Trockenwiesenverordnung [Dipner et al. 2010: 65])
Fallbeispiel
Die Umsetzung der TwwV8 ist erst im Gange und die Frage, ob Tww-‐Objekte im Einzelfall dennoch beregnet werden dürfen (oder auch berieselt) ist nicht abschliessend geklärt. Tatsache ist jedoch, dass einzelne Inven-‐tarobjekte bisher durchaus beregnet oder auch berieselt wurden. Es ist daher davon auszugehen, dass die bisherige Praxis beibehalten werden dürfte. Ausgeschlossen dürfte aber eine Neuberegnung von Trocken-‐wiesen sein, zumal die Engadiner Biodiversitätserhebungen des hier diskutierten Projektes (Projektteil Wie-‐senbrüter) zeigen, dass es für die Biodiversität entscheidend ist, ob bewässert wird oder nicht. Die Bewässe-‐rung hat insbesondere einen sehr starken Einfluss auf die Intensität der Nutzung und damit auf die Artenviel-‐falt (siehe Exkurs 1). Auch zeigte sich, dass die Umstellung auf Sprinklerbewässerung zu einem höheren An-‐teil an Grasarten führte (Riedener et al., 2013), was sich negativ auf die Bestäuber auswirken kann, und zu einer Zunahme an Generalisten bei den Pflanzen (Riedener et al., in Vorb.). Beides deutet auf ein erhöhtes Nährstoffangebot und somit eine intensivere Nutzung hin, obschon sich gemäss Aussagen der Landwirte die traditionell und mit Sprinklern bewässerten Wiesen nicht bezüglich Nutzungsintensität unterscheiden (siehe Exkurs 2).
(3) Rivalitäten zwischen Akteuren ohne eigentums-‐ oder nutzungsrechtliche Titel, aber mit Aneignungsab-‐sichten (z.B. Tourismus, Zweitwohnungsbesitzende u.a.)
Fallbeispiel
Seit den 1980er Jahren entdeckte die Tourismuswirtschaft die Bedeutung der Suonenwanderungen (Rode-‐wald 2008: 549). Über das Walliser Wanderweggesetz9 konnten fortan homologierte, ausgeschilderte Wan-‐derwege entlang von Suonen unterstützt werden, womit auch die Suonen instandgesetzt werden konnten. Die Ausschilderungen hatten aber zur Folge, dass touristische Nutzungen durchaus die primäre landwirt-‐schaftliche Funktion in den Hintergrund drängen konnten. So ist heute eine Vielzahl von primär touristischen Suonen bekannt. Diese Aneignungen können mitunter zu übertriebenen Inszenierungen führen, wie das Beispiel der Torrent-‐Neuf in Savièse zeigt. Problematisch sind Wiederinstandsetzungen des Bisse du Rô und des Bisse des Sarrasins, die erhebliche Sicherheitseinrichtungen für die Begehbarkeit erfordern, sofern die Wanderwege grundsätzlich für alle geöffnet würden. Auf der anderen Seite präsentiert sich die touristisch genutzte Suone Obersta in Birgisch in einer deutlich besseren Situation in Bezug auf die Ökosystemleistun-‐gen (offene Wasserführung, bauhandwerkliche Qualität) als die nicht touristisch genutzte Grossa. Die offe-‐nen Wasserführungen des Fassungs-‐ und Zuleitungsstückes des Niwärchs, der Wyssa und des Stigwassers sind letztlich nur dank einer touristischen Inwertsetzung aufrechtzuerhalten. Im Falle des Bisse Vieux kam es jedoch gar zu Strafanzeigen im Zusammenhang mit mutwilligem Aufstau der Suone, was Überschwemmun-‐
5 Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991 6 In einem wegweisenden Entscheid betreffend Restwassersanierung der Misoxer Kraftwerke vom 15. November 2012 (BGE 139 II 28) hielt das Bundesgericht folgendes fest: „Sanierungen sind zulässig, soweit hierdurch nicht in die Sub-‐stanz bestehender wohlerworbener Rechte eingegriffen wird. Ob ein staatlicher Eingriff die Substanz respektiert, beur-‐teilt sich nach der verbleibenden oder fehlenden wirtschaftlichen Tragbarkeit des Eingriffs für den Träger des Rechts.“ Das Gericht hält aber auch fest, dass eine Sanierungspflicht gemäss Art. 80 Abs. 1 GSchG bis zur Entschädigungsschwel-‐le bestehe. 7 Verordnung über die Strukturverbesserungen in der Landwirtschaft vom 7. Dezember 1998 8 Verordnung über den Schutz der Trockenwiesen und -‐weiden von nationaler Bedeutung vom 13. Januar 2010 9 heute : Gesetz über die Wege des Freizeitverkehrs vom 14. September 2011
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gen in der Chaletzone zur Folgen hatte. Die Aufrechterhaltung der offenen Wasserführung kann zwar finan-‐ziell von der touristischen Inwertsetzung unterstützt werden, basiert primär jedoch auf den allgemeinen (Unterhaltspflicht gemäss SVV) und für diesen Fall spezifischen Subventionsbedingungen.
Die hier untersuchten Steuerungsmodelle von fünf Suonen (angesichts der rund 200 noch vorkom-‐menden Suonen im Kanton Wallis gewiss eine kleine Zahl) belegen das Vorhandensein hochgradig spezifischer Interaktionen zwischen den Akteuren (von den entscheidbefugten Nutzern, den „Ins“, bis zu den nicht minder einflussreichen externen, z.B. staatlichen Akteuren, den „Outs“). Die sich zunehmend verschärfende Wassernutzungskonkurrenz, aber auch weitere Herausforderungen, die sich aus der gesellschaftlichen Entwicklung ergeben, erfordern in Zukunft verbesserte Anpassungs-‐systeme, welche auftretende soziale Dilemmata zu vermeiden im Stande sind, wie dies schon Ost-‐rom postulierte: „We need to recognize that governance is frequently an adaptive process involving multiple actors at diverse levels. Such systems look terribly messy and hard to understand. (…) we need to develop better theories of complex adaptive systems focused on overcoming social dilem-‐mas, particularly those that have proved themselves able to utilize renewable natural resources sustainably over time” (Ostrom 2005: 286). Die adaptiven Systeme beziehen sich einerseits auf die Konstitution des Steuerungsmodells per se und andererseits auf die Regulierungsarrangements und Prozeduren der wassernutzenden Akteure. Im Folgenden werden in thesenartiger Weise aufgrund unserer empirischen und konzeptionellen Ergebnisse verschiedene Anpassungsmechanismen disku-‐tiert. Diese lassen sich drei Grundtendenzen der Evolution der Steuerungsmodelle zuordnen.
Exkurs 1 (Simon Birrer): Resultate des Unterprojektes „Wiesenbrüter“ (Effects of different irrigation systems on bird biodiversity of hay meadows)
Das Fallbeispiel Malser Haide zeigt, dass selbst in bewässerten Wiesen eine hohe Dichte an Wiesenbrütern (Brutvögel) auftreten können. So erreichte die Feldlerche dort 15,9 Reviere/km², was für ein grossflächiges Grünlandgebiet ein sehr hoher Wert darstellt. Ähnlich grosse Dichten oder noch höhere Dichten werden sonst bei uns nur noch in Ackerbauge-‐bieten erreicht, etwa in der Champagne genevoise (Median von 13,4 R./km²) oder im Klettgau (Plomberg 14,3 R/km², Langfeld 17,9 R./km² und Widen 28,8 R./km²). Mit 5,5 Revieren/km² ist das Braunkehlchen die zweithäufigste Art auf der Malser Haide. In den obersten Bereichen (2,7 km² oberhalb 1450 m ü.M.) erreicht es sogar eine Dichte von 9,0 Revieren/km². Solche Dichten werden auf grossflächigen Untersuchungsflächen nur noch selten erreicht. Sie liegen aber noch deutlich unter 15,1 Revieren/km², die im Engadin im Mittel erreicht werden.
Das Fallbeispiel Malser Haide zeigt auch, dass Art der Bewässerung (Berieselung vs. Beregnung) keinen feststellbaren Einfluss auf die Brutvogeldichte zu haben scheint. Die Dichte der Brutvögel unterscheidet sich nicht zwischen traditio-‐nell berieselten, seit längerem oder seit wenigen Jahren beregneten Teilgebieten (Birrer et al. in Vorb.).
Hingegen ist es für die Biodiversität entscheidend, ob bewässert wird oder nicht. Die Bewässerung hat insbesondere einen sehr starken Einfluss auf die Intensität der Nutzung und damit auf die Artenvielfalt. Wird eine Fläche neu bewäs-‐sert, vergehen etliche Jahre, bevor sich die Vegetationseinheit verändert, wie das Fallbeispiel Engadin zeigt: Bei der Kartierung 1987/88 wiesen Flächen, die seit mehr als 10 Jahren beregnet waren, nur einen geringen Anteil an Exten-‐sivmatten auf. Hingegen bestanden die bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewässerte Flächen zu 30 – 40 % aus Extensivmat-‐ten. Der Anteil an Extensivmatten in jenen Teilflächen, die erst seit kurzem (1 bis 8 Jahre) bewässert wurden, war sogar noch geringfügig höher, ging jedoch bis zur Zweitkartierung 2009/10 auf 13 % zurück. Anlagen, die zwischen den Jahren 2002 und 2007 in Betrieb genommen wurden, hatten hingegen bis 2009/10 noch keinen sichtbaren Effekt auf den An-‐teil der Extensivmatten. Interessant ist die Beobachtung, dass ein Rückgang der Extensivmatten nicht nur im effektiv beregneten Areal nachzuweisen war, sondern auch in deren Umfeld (Graf et al. in Vorb.).
Im gleichen Zeitraum hat sich die Avifauna auf den Untersuchungsflächen stark verändert. Grosse Bestandseinbussen erlitten vor allem die Wiesenbrüter (Feldlerche -‐58%, Baumpieper -‐57%, Braunkehlchen -‐46%). Die Bestände der Wie-‐senbrüter haben allerdings nicht geleichmässig in allen Teilflächen abgenommen, vielmehr gab es solche mit grossen Verlusten und solche mit konstantem oder gar leicht zunehmenden Beständen. Weiterhin hohe Bestände sind dort zu verzeichnen, wo dank den Vernetzungsprojekten zum Teil grossflächig späte Schnittzeitpunkte der Wiesen vereinbart
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werden konnten. Die Bestände der Wiesenbrüter haben hingegen dort am stärksten abgenommen, wo sich auch die Vegetation und Nutzung am stärksten gewandelt haben (Graf & Korner 2011).
Blick in die Zukunft
In den Projekten zu neuen Bewässerungsanlagen wird oft der Standpunkt vertreten, dass diese einzig der Ertragsiche-‐rung in extremen Trockenjahren diene und keine generelle Nutzungsintensivierung angestrebt werde. Die Ergebnisse aus dem Engadin zeigen jedoch, dass diese Aussagen falsch sind und dass die Bewässerungsanlagen zu einer offensicht-‐lich intensiveren Nutzung der Wiesenbestände (frühere Mahd, mehr Schnitte) führen, was wiederum zu einer Verar-‐mung der Vegetation führt. Neue Anlagen werden nicht nur in Fluren erstellt, wo bereits produktive Fettmatten vor-‐handen sind und eine Ertragssicherung für die Landwirte existenzielle Bedeutung haben kann. Selbst im Perimeter der neusten Bewässerungsprojekte waren Extensivmatten die dominierende Vegetation: 2009/10 wurden im Fallbeispiel Sent 40 % Halbtrockenmatten, 6 % extensive Fettmatten und 33 % intensive Fettmatten, zudem 10 % Fettweiden und 5 % Halbtrockenweiden kartiert. Gesamthaft bestand somit die neu beregnete Fläche kurz vor Inbetriebnahme der Anla-‐gen aus rund 56 % extensivem, für die Biodiversität überdurchschnittlich wertvollem Grünland und nur zu 44 % aus intensivem Grünland. Derartige Infrastrukturanlagen werden mit Geldern der Öffentlichkeit unterstützt, obwohl sie den von der Öffentlichkeit erwünschten Schutz der Artenvielfalt zuwiederlaufen. Die häufig vorgebrachten Beteuerungen, dass „moderne“ Meliorationen umweltschonend und biodiversitätsfördernd seien, sind aus dieser Sicht zu bezweifeln. Bei künftigen Projekten sollte deshalb noch stärker darauf gedrängt werden, dass nur bisher intensiv genutzte Flächen bewässert werden und dass genügend grosse Abstände zu artenreichen, extensiv genutzten Lebensräumen eingehalten werden.
Sichtbarer Einfluss der Bewässerung auf die Artenvielfalt im Engadin. Die Fläche entlang der Strasse wird seit längerem bewässert (hoher Grasanteil, zahlreiche Bärenklau und Fries‘ Hahnenfuss), die Flächen rechts und im Bildvordergrund werden nicht bewässert und weisen eine hohe Pflanzenvielfalt mit hohem Blumenangebot auf (mit viel Wiesensalbei, Wiesen-‐ und Skabiosenflockenblume; Sent 2010; Foto: Roman Graf).
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4 TENDENZEN DER KÜNFTIGEN ENTWICKLUNG DER STEUERUNGSMODELLE
Die unterschiedlichen Ausprägungen der Steuerungsmodelle entstanden aus Veränderungen, die sich über mehrere Jahrzehnte, ja sogar über mehr als ein Jahrhundert (Beispiele Torrent-‐Neuf und Niwärch), erstreckten. Zu fragen ist, wie sich diese modifizierten ursprünglichen Genossenschafts-‐modelle angesichts der künftigen Herausforderungen und der Konfliktsituationen weiterentwickeln können, um ihre Anpassungsfähigkeit (Resilienz) zu verbessern. Drei Haupttendenzen, welche die Entwicklungschancen der Steuerungsmodelle in der Vergangenheit beeinflussten, werden in ver-‐mehrter Weise auch für die Zukunft massgebend sein:
o Zunehmende Bedeutung eines integralen Einzugsgebietsmanagements
o Zunehmende Dynamisierung der zuvor geschlossenen landwirtschaftlich geprägten Steue-‐rungsmodelle
o Zunehmende Bedeutung gemischter genossenschaftlich-‐staatlicher Steuerungsarrange-‐ments für die zukünftig multipleren Ressourcennutzungen.
Diese drei Tendenzen werden im Folgenden mit Thesen zu den vermutlichen Auswirkungen auf die Steuerungsmodelle konkretisiert.
4.1 Zunehmende Bedeutung eines integralen Einzugsgebietsmanagements (Tendenz 1)
• These 1: Die Wasserverteilung und damit die Suonensysteme sind im Rahmen eines integra-‐len Einzugsgebietsmanagements zu betrachten. Dieses ermöglicht Wassernutzungsregelun-‐gen und die Festlegung verbindlicher Nutz-‐ und Restwassermengen im gesamten Einzugsge-‐biet (glaziales oder nivales Einzugsgebiet), insbesondere auch mit Blick auf die Klimaszenari-‐en (s. Ergebnisse CCHydro, BAFU 2012a.).
• These 2: Die Gewährleistung der notwendigen Restwassermengen im Stammgewässer er-‐fordert in Trockenperioden einen partizipativen Aushandlungsprozess unter den verschie-‐denen Trägerschaften der vom Stammgewässer abhängigen Wasserentnahmen.
Begründung: Die Extremtrockenverhältnisse im Frühjahr 2011, aber auch die in Zukunft zu erwar-‐tenden Veränderungen der Abflussverhältnisse aus den vergletscherten Einzugsgebieten sowie die tendenziell stärkeren Einflüsse der Niederschläge bedürfen einer über das einzelne Suonensystem hinausgehenden Betrachtung der künftigen zur Verfügung stehenden Wassermengen. Eine solche Gebietsbetrachtung erfordert eine präzise Festlegung der einzelnen Abflussmengen in den Suonen unter Gewährleistung der notwendigen landschaftlichen und ökologischen Restwassermengen im Stammgewässer. Konsensorientierte Aushandlungsprozesse dienen der partizipativen Entscheidfin-‐dung zur Beschränkung der Wassernutzung der einzelnen Suonenträgerschaften, sodass die Min-‐destrestwassermengen in den Stamm-‐ und Fischgewässern gesichert werden können. Solche Not-‐fallkonzepte liegen kaum vor, wie das Beispiel der Gredetschwasserleitungen im Trockenfrühjahr 2011 zeigte.
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4.2 Zunehmende Dynamisierung der zuvor geschlossenen landwirtschaftlich geprägten Steue-‐rungsmodelle (Tendenz 2)
• These 3: Das Ressourcensystem Suone wird zunehmend multifunktionaler und ist als sozio-‐ökologisches System (SES10) mit hoher Interaktion zwischen direkt und indirekt beteiligten Akteuren und den biophysischen und natürlichen Faktoren aufzufassen.
• These 4: Das komplexere Akteursystem führt zu einer Zunahme der Wasser-‐, Boden-‐ und Suonennutzungskonkurrenz gemäss den oben dargestellten internen oder externen Kon-‐fliktsituationen.
• These 5: Die unklaren Wasserdotierungen in den Suonen tragen im Zusammenhang mit den steigenden Interessen an der Wasserkraftnutzung, der zu erwartenden Schwankungen der Abflussverhältnisse aufgrund der Klimaszenarien und angesichts der eventuell steigenden Bewässerungsbedürftigkeit sowie der Restwassersanierungen zu einer Verschärfung der Konfliktsituationen bei.
• These 6: Die Klärung der ehehaften Wassernutzungsrechte und deren Überführung in öf-‐fentlich-‐rechtliche Beschlüsse führen zu einer Minderung der Konflikte.
• These 7: Die internen und externen Nutzungskonflikte lassen sich auf rein privater und in-‐terner Ebene der Genossenschaften nicht mehr lösen und erfordern eine stärkere Öffnung von diesem Steuerungsmodell.
Begründung: Die ursprünglich für die Suonen der ersten Generation bedeutsame landwirtschaftli-‐che Motivation hat sich zugunsten eines breiteren gesellschaftlichen Auftrags verschoben. Damit hat sich aber auch die Funktionalität der Suone verschoben. Die landwirtschaftliche Bewässerung dürfte jedoch in Zukunft aufgrund der prognostizierten Zunahme der Extremwetterereignisse im Alpenraum eher wieder an Bedeutung gewinnen. Diese Dynamisierungsprozesse stellen an ein künftiges Steuerungsmodell grosse Ansprüche.
Die gesteigerten gesellschaftlichen Ansprüche an das herkömmliche Ressourcensystem Suone seit den 1980er Jahren als auch die ressourcenbedingten Herausforderungen (Klimawandel), die vor allem in den Trockenjahren 2003 und 2011 deutlich wurden, erfordern eine zunehmend flexiblere Austarierung der Nutzungsansprüche einerseits jedes einzelnen Nutzungsakteurs, andererseits aber auch der an einem gemeinsamen Wassereinzugsgebiet hängenden Suonenträgerschaften unterei-‐nander. So trat die interne Wassernutzungskonkurrenz der fünf, bzw. 14 Suonensysteme des stark schwankenden Mundbachs im trockenen Frühjahr 2011 in Birgisch und Mund offen zu Tage, als man kurz vor der gemeinsamen Entscheidung einer Schliessung einzelner Suonen stand. Auch führt das seit den 1980er Jahren zunehmende öffentliche Interesse an Ökosystemleistungen (bspw. Schutz der Bergwälder vor Erosion und der Habitatqualität der Wiesen) sowie den touristischen und sozio-‐kulturellen Suonenleistungen (eine internationale UNESCO-‐Welterbekandidatur ist in Vorbe-‐reitung) zu einem wachsenden Einfluss der auch finanzierungswilligen Gesellschaft auf die Suonen-‐trägerschaften. Diese zunehmenden Interaktionen erfordern eine sich stets neu auszuhandelnde Beziehung zwischen den Ressourcennutzern und der Gesellschaft. In der Vergangenheit war die Aufgabe der traditionellen Hangberieselung und damit des spezifischen Suonenzuleitungs-‐ und -‐verteilungssystems (bestehend aus den Haupt-‐ und Nebenkanälen) oft verbunden mit dem Nie-‐ 10 Social-‐ecological Systems (SES) sind charakterisiert durch Wechselbeziehungen innerhalb sozialer Systeme des Men-‐schen, die von biophysikalischen und nicht-‐menschlichen biologischen Einheiten vermittelt werden (Anderies et al. 2004 : 3)
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dergang der Bedeutung der Ressource für deren (landwirtschaftliche) Nutzer (z.B. Aufgabe der Be-‐wässerung während der Periode t-‐1 der Suone Tsa Crêta) oder mit der Einführung einer technisch einfacheren Lösung (Stollenbauten, Verrohrung). Heute steht man jedoch vor einer Zunahme von komplexen Wassernutzungskonflikten (erhöhte touristische Inwertsetzung, Wasserkraftwerksab-‐sichten, Restwassersanierungen, Biodiversität, Patrimonialisation).
Viele Suonen verschwanden bereits früher aufgrund der Wasserkraftnutzung (Crook 2001). Die har-‐ten Auseinandersetzungen um ein Speicherseeprojekt im Gredetschtal in der langen Periode zwi-‐schen den 1940er und 1990er Jahren sowie die analogen Konflikte im Baltschiedertal (anfangs 1980er Jahre) zeigten, dass die Wasserrechte zwar auf dem Papier gemäss Art. 45 WRG, aber auf-‐grund der nie konkret erfassten Wassermenge nicht wirklich geschützt waren11. Diese Projekte hät-‐ten mit Gewissheit das Ende vieler Wasserkanäle bedeutet, da die zu sichernde Wasserabflussmen-‐ge viel geringer geschätzt wurde, als aufgrund der effektiv vorhandenen Wassertransportkapazitä-‐ten der Suonen möglich gewesen wäre. Es gab aber auch Ausnahmen, wie dies der Grand Bisse de Lens belegt, dessen Abflussmenge (trotz Restwassermenge Null im Hauptbett des Talflusses) über die Wasserkraftkonzession so festgelegt wurde, dass ein effizienter Weiterbetrieb möglich blieb12.
Im Zusammenhang mit den Restwassersanierungen nach Art. 80 GSchG13 könnten künftig vermehrt Rivalitäten auftreten, sofern die Kraftwerke die zwar zugebilligten, aber für die Suonen nicht immer genau bestimmten Abflussmengen an die eigenen Restwassersanierungspflichten anrechnen und damit in Frage stellen würden. Während Restwassersanierungen unterhalb einer festzulegenden Entschädigungsschwelle in der Regel problemlos angeordnet werden können, auch wenn diese ge-‐mäss dem in Fussnote 7 erwähnten Bundesgerichtsentscheid von 2012 wohlerworbene Wassernut-‐zungsrechte (marginal) tangieren, verhält sich die Sachlage bei Eingriffen in ehehafte Rechte an-‐ders. Diese geniessen in der Regel einen uneingeschränkteren Schutz. Die oft sehr ungenaue Festle-‐gung der Wassermengen ist ein typisches Merkmal der Suonen (Bsp. Gredetschwasserleitungen und Bisse Vieux). In den schriftlichen Dokumenten zu den einzelnen Suonen finden sich unter-‐schiedliche Angaben über die zu gewährenden Wassermengen. Im Konfliktfall wird also die Beweis-‐führung, welche exakte Suonenwassermenge tatsächlich unter dem Schutz der ehehaften Rechte fällt, von entscheidender Bedeutung sein. Es sollten daher die Abflussmengen der Suonen unter-‐halb von Kraftwerksfassungen konkret erhoben und festgeschrieben werden, um Klarheiten für künftige Konflikte zu schaffen. Im Fall des Bisse Vieux in Nendaz dürfte die Frage der Restwassersa-‐nierungen zur Konsequenz haben, dass dem Talfluss Printze zukünftig deutlich mehr Restwasser gewährt werden muss. Aufgrund der heute nicht festgelegten Abflussmenge des Bisse Vieux ist zu befürchten, dass diese Sanierung auf Kosten der Suone erfolgen könnte, sofern die Bewässerungs-‐bedürftigkeit der vom Suonenwasser bewässerten Wiesen nicht konkretisiert wird. Die traditionel-‐lerweise auf Wasserstunden und nicht auf Wässermengen basierenden Nutzungssysteme sollten auch mit Blick auf die zunehmenden Wasserkraftabsichten raschmöglichst geklärt und in öffentlich-‐rechtlich verbindliche Konzessionen umgewandelt werden.
11 Eine Ausnahme bildete Savièse, wo ein Kantonsgerichtsurteil von 1962 die präzisen Abflussmengen dreier Suonen der Morge festsetzte. 12 Die hohen Unterhaltskosten und die hohen Wasserverluste im rund 3 km langen Abschnitt der Grand Bisse de Lens um das Felsmassiv des Le Châtelard herum führte 1984 zu einem Stollenbau. Erst 2011 konnte dank der Initiative von Aussen (Stiftung Landschaftsschutz Schweiz) das exponierte Trassee wieder mit einer reduzierten Wassermenge geöff-‐net werden. 13 Die Fristen zur Umsetzung der Sanierungsmassnahmen richten sich nach der Dringlichkeit des Einzelfalls (Art. 81 Abs. 1 GSchG), wobei die Sanierung bis spätestens Ende 2012 hätte abgeschlossen sein müssen (Art. 81 Abs. 2 GSchG). Die ursprüngliche Frist 2007 erstreckte das Parlament im Rahmen des Entlastungsprogramms 2003 um fünf Jahre. Nur 37% aller sanierungspflichtigen Wasserentnahmen wurden allerdings bis Ende 2012 saniert (BAFU 2012b:3). Im Kanton Wal-‐lis wurden bis dato noch keine Sanierungen durchgeführt.
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Die auf dem Emissionsszenario A1B14 beruhenden Klimaentwicklungen für die Alpen führen zu einer veränderten Bewirtschaftung (längere Vegetationsperiode, Erhöhung des potenziellen Produktivi-‐tätsgewinns, erhöhter Wasserbedarf im Frühling) und damit zu einer stärkeren Nachfrage nach effizienten Bewässerungssystemen. Die Bewässerungsbedürftigkeit der Wiesennutzung ergab sich früher aus einem über Jahrhunderte entwickelten Erfahrungswissen zwischen den Produktionsbe-‐dürfnissen der Viehwirtschaft, der transportierten Wassermenge und des Bewässerungsperimeters. Dieses Verhältnis zeigte sich bei der Grossa in exemplarischer Weise, da die ausgebrachte Wasser-‐menge die Wasserfehlmenge der bewässerten Wiesen (Ausgleich der Evapotranspirationrate) auch unter heutigen Verhältnissen aufgrund des geschätzten Verhältnisses von 1/3 Berieselung und 2/3 Beregnung und der entsprechenden Verluste knapp ausgleichen kann. Aufgrund des Fehlens von konkreten Wassermengenangaben und dem Ausweichen auf die Wasserstunden besteht daher eine gefährliche Unklarheit über die Ressourceneigenschaften. Der Nutzungsintensität der Wiesen waren aber klare Grenzen gesetzt, die erst seit den 1930er Jahren durch die installierten Sprinkler-‐systeme und die Abdichtungsmassnahmen (Tunnels, Rohre) überschritten werden konnten. Durch den Klimawandel wurden diese Effizienzgewinne in jüngerer Zeit wieder relativiert. Auf der anderen Seite wuchsen die Defizite durch die zunehmende Austrocknung der Bergwälder in den Zuleitungs-‐stücken wieder an (Brände an dem 1984 verrohrten Grand Bisse de Lens und an der verrohrten Undra in Ausserberg) (siehe dazu auch Exkurs 3).
4.3 Zunehmende Bedeutung gemischter genossenschaftlich-‐staatlicher Steuerungsarrangements für die zukünftig multipleren Ressourcennutzungen (Tendenz 3)
• These 8: Der zunehmende Einfluss der staatlichen Akteure, namentlich aufgrund der verän-‐derten Agrarpolitik, aber auch privater Akteure (beispielsweise des Naturschutzes und des Tourismus) führt zu einer Ausdifferenzierung der Steuerungsmodelle.
• These 9: Die gesellschaftliche Wertschätzung konzentriert sich primär auf den Suonenhaupt-‐kanal im oberen oft landschaftlich spektakulären Zuleitungsabschnitt (Bsp. Niwärch, Tor-‐rent-‐Neuf oder Wyssa), währenddem der eigentliche Bewässerungsabschnitt mit den Ne-‐benkanälen kaum beachtet wird. Diese Diskrepanz zwischen "Bisse d’en haut" und "Bisse d’en bas" (Crettaz 2011) führt zu einer Entfremdung der Akteursgruppen aus der Landwirt-‐schaft und der übrigen Zivilgesellschaft.
• These 10: Die genossenschaftlich-‐staatlich gemischte Steuerung der Bewässerung wird an Einfluss gewinnen, während die Organisation der eigentlichen Wiesenbewässerung ver-‐mehrt in die Obhut der privaten Bewirtschafter gelegt wird, die sich beispielsweise in Be-‐wirtschaftungs-‐ oder Pachtgenossenschaften organisieren könnten. Diese übernehmen die Organisation der gesamten Flächenbewirtschaftung, inkl. der Erbringung der Ökosystemleis-‐tungen (z.B. eingebunden in einem Biodiversitäts-‐ oder Landschaftsqualitätsprojekt) und des Unterhalts der entsprechenden Verteilabschnitte der Suonen.
• These 11: Die Bedeutung der Observanz (genossenschaftliches Gewohnheitsrecht) wird zu-‐gunsten einer klareren Regelung mittels tripartiter Verträge zwischen den individuellen ef-‐fektiven Bewirtschaftern, dem Staat und der Trägerschaft verschoben werden. Vorausset-‐zung hierzu ist eine klare gesetzliche Regelung, welche einheitliche Rahmenbedingungen vorgibt.
14 Zunahme der Treibhausgasemissionen bis 2050, dann leichte Abnahme, Meteo Schweiz 2013
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Begründung: Die Ausdifferenzierung des Steuerungsmodells ist sinnvoll, um namentlich die heute nicht entscheidungsfähigen Bewirtschafter (die mehrheitlich Pächter sind), aber auch Akteure des Tourismussektors und des Natur-‐ und Heimatschutzes stärker einbinden zu können. Diese Einbin-‐dung ist schon deshalb angezeigt, weil sich heute die Tendenz bestätigt, nur den Hauptkanal der Suone als erhaltenswürdig und gar „welterbe-‐fähig“ zu betrachten, während die eigentliche Was-‐serverteilung, die oft wenig effizient erfolgt, vernachlässigt wird. Die Beregnungsanlagen wirken nämlich oft als technische Fremdkörper, sei es in Form der Sprinklerstöcke, der streng rotierenden, weit auswerfenden und exponierten Wasserwerfer, sei es durch die Geräuschwahrnehmung. Auch ist mitunter die Anbindung der eigentlichen Bewässerung an den Wasserkanal mit störenden sicht-‐baren Rohren, Betonschächten und Schläuchen zu beobachten (z.B. bei vielen Rebbewässerungen oder auch entlang der Grossa). Eine integrale Betrachtung und auch technische Optimierung ist daher angezeigt. Die institutionelle Einbettung potenziell konfligierender Akteure in ein und dersel-‐ben Trägerschaft kann wie im Fall Niwärch aufgezeigt, deutliche Nachhaltigkeitsvorteile erbringen. Um der Konfliktsituation der stärkeren Einflussnahme nicht-‐landwirtschaftlicher Akteure (Wasser-‐rechtsinhaber, gesellschaftliche und politische Akteure) und dem damit verbundenen Rückgang des Unterhaltsinteresses und der Motivation des direkten Wassernutzer an der Aufrechterhaltung des Suonensystems vorzubeugen, sollten die Bewirtschafter (die oftmals Pächter und nicht die wasser-‐rechtsinhabenden Eigentümer sind) sich auf ihre Kernaufgabe der Bewässerung konzentrieren kön-‐nen. Eine verbesserte Zusammenarbeit unter den Bewirtschaftern könnte im Rahmen von Bewirt-‐schaftungs-‐ oder Pachtgenossenschaften erfolgen, deren Delegierte wiederum in der Trägerschaft vertreten wären. Im Fallbeispiel Niwärch ist diese faktische Trennung der Organisation der Bewäs-‐serung der Wiesen und des Unterhalts sowie grösserer Wiederinstandsetzungsarbeiten an der Suo-‐nen bereits realisiert.
Das genossenschaftliche Gewohnheitsrecht spielt(e) gerade in Korporationen, deren interne Abläu-‐fe und Akteurverhalten sich oft über längere Zeit festigten und sozial akzeptiert werden, eine gros-‐se Rolle (Arnold 1987: 79). Dieses wird als Observanz bezeichnet, da dessen Verbindlichkeit auf ei-‐ner gegenseitigen Beobachtung und einer moralischen Selbstverständlichkeit beruhen. Diese Tatsa-‐che wird durch die hier untersuchten Fallbeispiele bestätigt, die teilweise auf 100jährigen Statuten beruhen (z.B. Bisse Vieux), die lückenhaft sind und gerade deshalb dem Steuerungsmodell die nöti-‐ge Anpassungsfähigkeit verleihen, um Ressourcenveränderungen, z.B. durch Klimaschwankungen, auffangen zu können. Die multifunktionale Ressource Wasser-‐Suone-‐Boden ist in typischer Weise als ein "socio-‐ecological system" (SES) zu betrachten, das letztlich nicht durch einmal festgelegte und homologierte Statuten und lokalen Regulierungsarrangements in starrer Weise definiert wer-‐den kann. Dies zeigt sich bei der Grossa, deren Statuten von 1970 (ursprünglich nur für das Zulei-‐tungsstück verabschiedet) später nicht nur für die gesamte Grossa, sondern auch gleich für die Suone Understa per Genossenschaftsversammlungsbeschluss übernommen wurden. Zudem erfolgt die Umsetzung gemäss einem Reglement wenig wortgetreu, d.h. ziemlich flexibel. Auch bei der Niwärch basier(t)en viele Regulierungsarrangements auf der Observanz. Die offenen Formulierun-‐gen des kantonalen Ausführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch (Art. 66) lassen der Observanz denn auch den nötigen Spielraum.
Es bestehen nun aber berechtigte Zweifel, ob die starke Bedeutung der Observanz auch in Zukunft eine genügende Garantie für eine schonende Wassernutzung darstellt, zumal die Verantwortung gegenüber der Genossenschaft bei den Wasserrechtsinhabern und nicht bei den Bewirtschaftern liegt (ausser der Genossenschafter ist gleichzeitig Eigentümer und Bewirtschafter). Mit vertragli-‐chen Regelungen liessen sich daher diese Schwächen ausgleichen.
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Exkurs 2 (Eliane Riedener, Hans-‐Peter Rusterholz, Bruno Baur): Resultate des Unterprojektes „Biodiversität der Wie-‐sen“ (Effects of different irrigation systems on the biodiversity of species-‐rich hay meadows)
Generell weisen die bewässerten Heuwiesen des Wallis eine hohe Pflanzenvielfalt auf (Riedener et al., 2013). Im Ge-‐gensatz zu den Erwartungen hat die Umstellung auf Sprinklerbewässerung keinen Einfluss auf die Biodiversität der Heuwiesen (Artenvielfalt und -‐zusammensetzung von Pflanzen und Schnecken) wenn im gleichen Umfang und Rhyth-‐mus bewässert wird (Riedener et al., 2013). Zudem können keine Unterschiede im kleinräumigen Muster der Verteilung der Bodennährstoffen und Pflanzenarten festgestellt werden (Melliger et al., in Vorb.). Die Wasserverteilung durch Sprinkler dürfte heterogener sein als bisher angenommen wurde (Wasserdargebot, Druck, Ablenkung durch den Wind), womit die Wasserverteilung durch Sprinklerbewässerung in den untersuchten Gebieten ebenso heterogen wie bei der traditionellen Bewässerung sein kann (Melliger et al., in Vorb.).
Die Art der Bewässerung ist jedoch entscheidend für andere Parameter der Biodiversität. Die Umstellung auf Sprinkler-‐bewässerung führte zu einem höheren Anteil an Grasarten (Riedener et al., 2013), was sich negativ auf die Bestäuber auswirken kann, und zu einer Zunahme an Generalisten bei den Pflanzen (Riedener et al., in Vorb.). Beides deutet auf ein erhöhtes Nährstoffangebot und somit eine intensivere Nutzung hin. Gemäss Aussagen von Landwirten unterschei-‐den sich traditionell und mit Sprinklern bewässerte Wiesen jedoch nicht bezüglich Nutzungsintensität.
Traditionell und mit Sprinklern bewässerte Wiesen unterscheiden sich in der Habitatsvielfalt in ihrer unmittelbaren Umgebung (Radien von 50 m und 100 m). Traditionell bewässerte Wiesen haben in diesen räumlichen Skalen eine hö-‐here Habitatsvielfalt (Riedener et al., in Vorb.). Eine hohe Habitatsvielfalt in der unmittelbaren Umgebung (Radius von 50 m) wiederum hat zusammen mit einem geringen Anteil an Wald und Siedlungselementen (Strassen, Gebäude) und einer zunehmenden Distanz zu Strassen einen positiven Effekt auf die Pflanzenvielfalt (Riedener et al., in Vorb.).
Das Unterprojekt zeigt auch, dass die Bewässerung per se entscheidend für die Biodiversität der Heuwiesen im Wallis ist. Die Aufgabe der Bewässerung ging im untersuchten Gebiet mit einer generellen Aufgabe der Landnutzung (Mahd, Düngung) einher, was zum Verlust von charakteristischen Wiesenarten bei Pflanzen und Schnecken führte (Riedener et al., 2014a). Zudem hat die Aufgabe der Bewässerung und Bewirtschaftung eine Abnahme der Bodenfeuchte und des Bodenstickstoffs der Wiesen zur Folge (Riedener et al., 2014a).
Blick in die Zukunft
Die Ergebnisse zeigen, dass eine Mischung von traditioneller Bewässerung und Sprinklerbewässerung wie auch eine extensive Landnutzung notwendig sind um die artenreichen Heuwiesen des Wallis zu erhalten. Diese Wiesen haben aufgrund ihrer Pflanzenvielfalt einen hohen ästhetischen Wert und stellen ein wichtiges Matrixelement für die typi-‐schen Steppenrasen des Wallis dar. Des Weiteren sollte die Landschaft in der unmittelbaren Umgebung der Wiesen vielfältig sein, da dies einen positiven Einfluss auf die Diversität der Pflanzen hat und auch andere Organismengruppen davon profitieren können.
In den untersuchten Gemeinden im Wallis unterscheiden sich traditionell und mit Sprinklern bewässerte Wiesen weder in der Häufigkeit der Bewässerung noch in der verabreichten Wassermenge. Die Installation von Sprinklern ging auch nicht mit einer Intensivierung der Landnutzung einher, wie das etwa im Engadin zu beobachten war (Graf et al., in Vorb.). Zudem sind die untersuchten Gebiete durch eine mosaikartige Landschaft geprägt, welche sich aus kleinen Wie-‐sen, Weiden, Brachland, Hecken, wenigen Gebäuden und Strassen und angrenzendem Wald zusammensetzt. Diese Kleinräumigkeit und die extensive Bewirtschaftung und Bewässerung sind die Hauptgründe für die fehlenden Unter-‐schiede in der lokalen Biodiversität zwischen traditioneller und Sprinklerbewässerung. Deshalb ist es wichtig, dass diese Rahmenbedingungen auch in Zukunft gegeben sind. Das heisst, dass weder die Landnutzung noch die Bewässrung in-‐tensiviert wird, da dies negative Folgen für die Biodiversität haben könnte.
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Anlagen der traditionellen Bewässerung (Foto: Eliane Riedener), Sprinklerbewässerung (Foto: Ramona Melliger) und traditionelle Hangberieselung (Foto: Karina Liechti)
5 KONKRETE ANPASSUNGEN DER REGULIERUNGSARRANGEMENTS / PROZEDUREN
Im Folgenden werden Handlungsempfehlungen präsentiert, die sich weniger auf die Beschaffenheit des eigentlichen Steuerungsmodells beziehen, als vielmehr auf deren konkreten Nutzungsregulie-‐rungen. In Abbildung 1 werden die essenziell-‐konstitutiven Elemente eines integralen Suonensys-‐tems dargestellt. Dieses umfasst ein hoch differenziertes Steuerungsmodell mit zentralem instituti-‐onell organisiertem Gemeinwerk und ursprünglich genossenschaftlich-‐intern organisierten Nut-‐zungsregulierungen, die gemäss unserem Vorschlag künftig über Bewirtschaftungsverträge festge-‐legt und subventioniert werden könnten. Ihre genossenschaftlichen Beziehungen sind tripartit zwi-‐schen den drei verschiedenen Ebenen der Trägerschaften (Einzugsgebiet-‐Suonen-‐Bewirtschafter) ausgestaltet.
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Abbildung 1: Struktur und Akteurbeziehungen eines nachhaltigen Suonensystems gestützt auf die Thesen zu anpassungsfähigeren Steuerungsmodellen und Regulierungsarrangements
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Auf der Basis des oben dargestellten integralen Suonensystems (Abb. 1) ergeben sich folgende, als Handlungsempfehlungen formulierte Modalitäten der Steuerung:
• Handlungsempfehlung 1: Der traditionelle Kehr ist mit dem Gebot der Wassernutzungseffi-‐zienz abzustimmen.
Begründung: Der herkömmliche und heute noch weit verbreitete, auf Wasserstunden und dem Rotationsbetrieb basierende Kehr ist relativ starr und regelt die Bewässerung unabhängig von der jeweiligen Klima-‐ und Wettersituation; dafür ist er aber sozial sehr nachhaltig. Auch wenn im vor-‐gegebenen Kehr oftmals am Sonntag und in der Nacht nicht gewässert wurde, so hält sich doch bis heute die Einstellung, möglichst keine Wässerungen auszulassen. So schrieb Gyr 1994 über die Bewässerung im Val d’Anniviers: „Dès que la sécheresse menace les récoltes, c’est le bon sens qui dit au paysan de ne pas laisser perdre une goutte d’eau“ (Gyr 1994: 217). In diesen Phasen, so der Autor, hätte man auch zu Zeiten gewässert, wo dies eigentlich untersagt war. Dies belegt, dass in Extremwettersituationen bereits früher der Kehr als zu streng angesehen wurde. Es wäre daher zu prüfen, wie der Kehr flexibler gehandhabt werden könnte. So liesse sich bei ausreichenden Nieder-‐schlägen auf die Bewässerung verzichten15 oder diese reduzieren, während in Trockenperioden eine zusätzliche Wässerung möglich wäre. Eine strikte Übernahme der herkömmlichen Wasser-‐stunden bei der Installation von Beregnungssystemen ist fraglich, weil die Sprinkleranlagen einen bis zu dreimal geringeren Wasserverlust (aus Sicht Wasserwirtschaft notabene) gegenüber der gra-‐vitätischen Berieselung aufweisen. Mit den Beregnungsanlagen besteht daher die Gefahr, dass übermässig lange gewässert wird. Es sollte daher bei der Installation von Sprinklersystemen von einer Reduktion der Wässerzeiten ausgegangen werden und der Kehr entsprechend neu berechnet werden (in einigen Fällen, wie im Fallbeispiel Niwärch, wurde dies bereits gemacht). Da auf diese Weise Wasserstunden „frei“ werden, kann auch darüber diskutiert werden, wie ein Bewirtschafter in Trockenperioden relativ unbürokratisch um eine Zusatzwassermenge ersuchen könnte (bei-‐spielsweise über ein Anmeldesystem per Internet). Nachteil eines solchen flexiblen Systems wäre allerdings die schwierigere Kontrolle. Auch würden nicht alle Bewirtschafter gleich behandelt.
Die Frage der bedarfsgesteuerten Bewässerung sowie der Kontingentierung ist Gegenstand der derzeitigen Forschung16, die sich allerdings auf das Mittelland bezieht. Darauf aufbauend sind in Zukunft die Übertragungsmöglichkeiten auf die Wiesenbewässerung im Berggebiet zu klären. Dazu fehlen aber derzeit ein Organisationsmodell und die technische Ausrüstung. In einem modernen ortsfesten Beregnungssystem ist eine bedarfsgesteuerte Wasserzuteilung an sich technisch lösbar; die entsprechenden Anlagen und Steuerungselemente sind aus der Trinkwasserversorgung be-‐kannt, sie sind aber teuer und müssen gut unterhalten werden.
• Handlungsempfehlung 2: Die Frage der Bewässerung (Art, Flächenzuteilung, Kehr, Wasser-‐menge) könnte mittels Bewirtschaftungsverträge optimaler geregelt werden.
Begründung: Da in den Bewirtschaftungsbeiträgen zwischen den Bewirtschaftern und den Land-‐wirtschaftsämtern heute viele Details der Nutzung präzisiert werden (z.B. ökologischer Leistungs-‐nachweis ÖLN, Schnitttermin, Pflegeauflagen, Tierhaltung etc.), wäre es naheliegend, dass in diesen Verträgen auch die Bewässerung geregelt würde. Dies ist heute jedoch noch nicht die Regel. In sol-‐chen Verträgen, die zum Erhalt der künftigen Biodiversitäts-‐ und Landschaftsqualitätsbeiträgen nö-‐tig werden, könnte auch der Kehr, die Wasserstunden und die Art (Berieselung/Beregnung) festge-‐
15 Dies machen zwar viele Landwirte heute durchaus bereits aus Eigeninteresse (Vermeidung von Erosion), doch längst nicht immer und im ausreichenden Masse (gemäss Aussagen von Landwirtschaftsbehördenvertreter). 16 AGWAM/NFP 61, Projekt Jürg Fuhrer
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schrieben werden (dies könnte auch mit einem Verweis auf die Statuten gemacht werden). Dies würde die Observanz durch ausdrückliche Regulierungen ablösen und kontrollierbar machen (über die Landwirtschaftsberatungsstellen). Da die üblichen Bewirtschaftungsverträge aber zeitlich befris-‐tet sind (sechs Jahre), sollten diese an einen den ganzen Bewässerungsperimeter umfassenden Rahmenvertrag gebunden sein. Dieser Vertrag könnte vom Kanton vorgegeben und tripartit (Be-‐wirtschafter-‐Suonenträgerschaft-‐Kanton) abgeschlossen werden. Die Organisation unter den Be-‐wirtschaftern, namentlich der Unterhalt der Bewässerungseinrichtungen und die Erfüllung der Landschaftsqualitäts-‐ und Biodiversitätsziele sollten gestützt auf These 9 und 10 in engem vertragli-‐chem Kontakt zu den Suonenträgerschaften geregelt werden.
• Handlungsempfehlung 3: Im Rahmen von Meliorationswerken lassen sich die ökosystema-‐ren und sozio-‐kulturellen Leistungen der Suonen sichern.
Begründung: Im Falle der angelaufenen Meliorationsprojekte im Rohrberg und in Lalden wurde 2012/13 beabsichtigt, die Wasserverteilung, das heisst die zu berieselnden, zu beregnenden und die nicht zu bewässernden Flächen im Meliorationsbeschluss für 20 Jahre planerisch festzulegen. Für die Berieselungsflächen besteht die Auflage der Erhaltung des Hauptkanals (gilt für alle Nutzer) und der Nebenkanäle sowie das Verbot der Errichtung von Sprinkleranlagen. Diese Meliorations-‐werke sind allerdings heute noch nicht in Kraft, da noch Konflikte unter den Akteuren zu klären sind. Das Problem besteht in der dauerhaften Sicherung der Beregnung und der Hangberieselung und in den damit verbundenen ungleichen Voraussetzungen und Pflichten der Eigentümer. Für die-‐sen Zweck sind Bewirtschaftergenossenschaften im Sinne von Art. 703 ZGB oder Art. 828 OR, kom-‐biniert mit individuellen Bewirtschaftungsverträgen, unabdingbar. Der Vorteil der effizienten Be-‐wässerung mittels Sprinkleranlagen („réseau d’irrigation“) im Rahmen von Meliorationswerken be-‐steht aber auch darin, dass die Suone mit weniger Wasser beschickt werden muss, was das Bau-‐werk schont und letztlich eine Verrohrung oder Abdichtung des Kanals verhindert. Der Nachteil liegt aber in einer Fixierung der Bewirtschaftungsstrategie (bewässerte Heuwiesen).
• Handlungsempfehlung 4: Das Gemeinwerk sollte auf weitere beteiligte Akteure (z.B. touris-‐tische) ausgedehnt werden. Dies bedingt jedoch eine vermehrte kosten-‐ und arbeitsmässige Beteiligung der Bewirtschafter und Eigentümer.
Begründung: Die Beteiligung der Wasserrechtsinhaber und der nicht genossenschaftlich eingebun-‐denen Bewirtschafter am Gemeinwerk ist im Rückgang begriffen. In hoch differenzierten Steue-‐rungsmodellen wie beim Niwärch führen die Gemeinde sowie der SAC selbst Gemeinwerkanlässe mit Freiwilligen durch. Dies geht grundsätzlich mit der These 8 einher und ist wünschenswert. Je mehr sich aber Auswärtige am Gemeinwerk beteiligen, desto geringer wird das entsprechende Inte-‐resse der abgabepflichtigen Genossenschafter oder der Bewirtschafter; es muss daher ein ange-‐messener Ausgleich gefunden werden. Die Abgabesätze sind zudem sehr tief; heute beträgt die Abgabe pro Wasserstunde zwischen 10-‐20 CHF. Das Problem der beschränkten finanziellen Mög-‐lichkeiten der Gemeinde bzw. des Kantons (im Rahmen von Projekten der periodischen Wiederin-‐standstellung PWI) könnte mit erhöhten Beiträgen gelöst werden (z.B. 50 CHF pro Stunde). Die Kos-‐tendeckung für Unterhaltsarbeiten droht ansonsten nicht mehr gewährleistet zu sein. Würde der Abgabesatz erheblich erhöht, erhielt die Trägerschaft auch einen finanziellen Spielraum, um Projek-‐te zur Gesamtsanierung und zur PWI zu lancieren und beim Kanton in Auftrag zu geben.
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• Handlungsempfehlung 5: Die Mischung unterschiedlicher Wiesenbewässerungsformen (Sprinkler, Hangberieselung, keine Bewässerung) könnte durch deren Integration in die Bio-‐diversitäts-‐ und Landschaftsqualitätsbeiträge der Agrarpolitik 2014-‐17 gestärkt werden.
Begründung: Weil in den Gunstlagen mit geeigneter Exposition und Bodenqualität (gewisse Tief-‐gründigkeit und Wasserspeicherkapazität) eine Beregnung aufgrund des geringeren Verlustes mit weniger Wässerwasser auskommt, steht entsprechend mehr Wasser für die Berieselung und die passive Bewässerung durch Versickerung in die Waldböden zur Verfügung (siehe Exkurs 3). Gleich-‐zeitig ist die Versickerung auch zur Festigung der Tretschborte und der Stabilisierung des Suonen-‐bauwerks insgesamt unabdingbar. Dadurch entschärft sich die Konkurrenz zwischen diesen beiden Bewässerungstechniken. Für eine effiziente Beregnung ist ein Druck von drei Bar nötig, der einen Höhenunterschied von rund 30 m erfordert. Dies bedeutet, dass die gravitätische Berieselung vor allem, aber nicht nur, im obersten Wiesenbereich unterhalb der Suone eine Rolle spielt (es sei denn, man installiert dieselmotorbetriebene Pumpen, wie dies leider da und dort der Fall ist). Da der oberste Streifen auch häufig durchsetzt ist mit Gebüschen und Einzelbäumen, was die Mosa-‐ikstruktur der Landschaft unterstreicht, oder oft wegen der Hangneigung weniger intensiv genutzt werden kann (Beispiel Grossa und Niwärch), wären auch aus Sicht der Erhaltung der landschaftli-‐chen Strukturvielfalt und der Biodiversität diese Hangberieselungslandschaften17 als Teil einer pat-‐rimonialen (Vermächtnis-‐)Landschaft mit hoher Strukturvielfalt zu erhalten und mit landwirtschaft-‐lichen Landschaftsqualitätsbeiträgen zu unterstützen. Dasselbe gilt für alle anderen mittels traditio-‐neller Hangberieselung bewässerten Wiesen. Dies erfordert eine entsprechende Konzeptgrundlage seitens der zuständigen kantonalen Landwirtschaftsämter. Im Sinne der gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft können diese ökosystemaren und sozio-‐kulturellen Leistungen mit den entsprechenden Beiträgen abgegolten werden. Dieser gemeinwirtschaftliche Nutzen der tradi-‐tionellen Hangberieselung muss allerdings in Anbetracht ihres Effizienznachteiles noch deutlicher ausgewiesen werden, ansonsten die Wiesenbewässerung und die Erhaltung von offen geführten Suonen in der Wassernutzungskonkurrenz zur Wasserkraftnutzung schlechte Karten aufweist.
• Handlungsempfehlung 6: Die „Patrimonialisation“ des Suonensystems könnte zu einer ge-‐steigerten Motivation der einzelnen Akteure beitragen.
Begründung: Wie eingangs zu diesem Kapitel erwähnt, waren die hohe Stabilität des genossen-‐schaftlichen Steuerungsmodells und das gewandelte Interesse der Mitglieder der Trägerschaft oft-‐mals entscheidende Faktoren für die Veränderung oder gar Aufgabe des Suonensystems. Hierfür ist weniger die Anpassungsfähigkeit des Steuerungsmodells als vielmehr die Konfiguration der Akteure entscheidend. Es ist daher wichtig, diese Akteure ins Zentrum zu stellen. Die Differenzierung des Steuerungsmodells bis hin zu den konkreten Funktionsabläufen (Prozeduren) stützt sich auf das notwendigerweise vorliegende Interesse aller oder bestimmter Akteurgruppen („all other factors that influence the process do so when they influence the characteristics of the actors involved“, Kuks 2004:23). Die allgemeine Anerkennung der gemeinwirtschaftlichen Ökosystemleistungen der (landwirtschaftlichen) Suonennutzer kann auch die intrinsische Motivation des einzelnen Akteurs fördern, der einen Mehraufwand erbringen soll. Die Patrimonialisation ermöglicht daher eine Ver-‐gesellschaftung und damit Identifizierung und Sinnvermittlung einer bislang primär auf privater Wirtschaftsrationalität begründeten Bewässerungstätigkeit.
17 s. Katalog der charakteristischen Kulturlandschaften der Schweiz, Rodewald et al. 2013
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Exkurs 2 (Linda Feichtinger, Andreas Rigling): Resultate des Unterprojektes „Wald“ (Species-‐specific response of trees to drought: A long-‐term irrigation experiment using historical water channels)
Das Unterprojekt „Wald“ untersuchte den Einfluss der passiven Bewässerung auf das Baumwachstum und die Standort-‐sverhältnisse entlang von alten Wasserleitungen im Wallis und im Vinschgau. Dabei wurden zwei Gruppen von Bäumen miteinander verglichen: einerseits Bäume die direkt neben den Wasserleitungen wuchsen und mit ihren Wurzeln sicht-‐bar im Kontakt zum Wasser waren. Andererseits wurden Bäume untersucht, die ausserhalb des Einflussbereiches der Wasserleitungen wuchsen und welche als Kontrollgruppe dienten.
Die Bewässerung führte auf allen Standorten und bei allen Baumarten im Wallis und Vinschgau zu deutlich erhöhtem Baumwachstum: Jahrringbreite +300%, Trieblänge +100%, Nadellänge +50%, Nadelbreite +13%. Bewässerung führte auch zu einer signifikanten Reduktion der Empfindlichkeit des Baumwachstums gegenüber Frühjahrs-‐ und Sommertro-‐ckenheit. Die Jahrhunderte lange Bewässerung führte zu nachhaltigen Veränderungen der Standortsverhältnisse: die Zeigerwerte zeigten signifikante erhöhte Feuchtigkeits-‐, Humus-‐ und Nährstoffwertegehalte. Die Werte waren auch dreissig Jahre nach Abbruch der Bewässerung in LENS und MALS noch signifikant erhöht.
Der Bewässerungsabbruch führte zu einem Zusammenbruch des radialen Baumwachstums und punktuell sogar zu Baummortalität. Die überlebenden Bäume brauchten rund zehn Jahre um sich von der Trockenlegung zu erholen und ihren Metabolismus an die trockeneren Verhältnisse anzupassen.
Insgesamt zeigten die Resultate, dass die untersuchten Standorte im Wallis stärkerem Trockenstress ausgesetzt sind als diejenigen im Vinschgau. Dementsprechend zeigte auch die Waldföhre im Wallis eine höhere Anfälligkeit gegenüber Trockenheit als die beiden anderen Baumarten des Vinschgau. Die grossen Unterschiede in Bezug auf Wachstum und Vegetationszusammensetzung zwischen den Waldbeständen entlang der Wasserkanäle und den Kontrollbeständen verdeutlicht, dass die passive Bewässerung inmitten der trockenen Talflanken inneralpinen Trockentälern zu einmaligen Waldbiotopen geführt hat.
Blick in die Zukunft
Trockenheit ist heute ein entscheidender Faktor für die Waldökosysteme der inneralpinen Täler, wo seit Jahren tro-‐ckenheitsbedingtes Baumsterben beobachtet wird (Rigling et al. 2013). Klimaprognosen gehen davon aus, dass in Zu-‐kunft die Winter eher feuchter und die Sommer aber umso trockener werden dürften, was den Trockenstress in den heutigen Trockengebieten zusätzlich erhöhen dürfte.
Die Wälder die entlang der traditionellen offenen Wasserkanäle wachsen sind wichtige Landschaftsstrukturelemente und sie erhöhen die Vielfalt der Lebensräume in diesen inneralpinen Trockengebieten.
Ohne offene Bewässerungskanäle und ihrem passiven Verlust an Wasser wären die extremsten Trockenstandorte nicht waldfähig und entsprechend wären diese Sonnhänge dominiert von Trockenwiesen und Gebüschvegetation. Diese bewässerten Waldbestände haben eine wichtige Funktion als Einstand und Lebensraum für Tiere und Pflanzen, als Landschaftselement einer attraktiven Kulturlandschaft und punktuell als Schutzwald gegen Naturgefahren wie Stein-‐schlag und Erosion.
Im Rahmen einer angestrebten Effizienzsteigerung der Wasserleitungssysteme werden nun vermehrt offene Wasserka-‐näle in Rohre gefasst und somit ehemals bewässerte Waldbestände trocken gelegt. Unsere Untersuchungen zeigen, dass dadurch das Baumwachstum massiv beeinträchtigt würde und auf den trockensten Standorten müsste davon ausgegangen werden, dass viele Bäume absterben würden. Sämtliche Ökosystemleistungen wären durch das Ver-‐schwinden dieser Waldbestände tangiert, der Schutz vor Naturgefahren würde verringert, die Standorte würden nach-‐haltig degenerieren und wichtige Lebensräume für seltene Tier-‐ und Pflanzenarten würden verschwinden und das Landschaftsbild würde verarmen. Diese Aspekte sollten in die Planung der zukünftigen Bewässerungskonzepte einflies-‐sen.
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Wasserleitungen als Landschaftselement. Blick vom unteren Pfynwald nach Salgesch mit den beiden horizontal verlaufenden und von Wald gesäumten Wasserleitungen am Hang oberhalb des Dorfes. (Foto: A. Rigling, WSL)
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6 FAZIT
Erfolgreiche institutionelle Steuerungsmodelle für Ressourcen jeglicher Art zeichnen sich durch die Befähigung der Nutzungsakteure aus, an der Festlegung von Regeln für den Zugang, den Unterhalt und über Sanktionen bei regelbrechendem Verhalten mitzuwirken (Ostrom et al. 2002: 458). Wenn das dazu nötige Monitoring schwierig und unzuverlässig ist oder es aufwändige Messtechnologien erfordert, kommt es zu Steuerungsschwierigkeiten. Dies ist insbesondere bei untereinander ver-‐bundenen Ressourcensystemen wie bei den Suonen (Wasser, Suonensystem, Boden) der Fall. Das Ressourcenmanagement erfordert hier eine genügende Zahl von Nutzungsakteuren, die einen Wert im Wohlbefinden der Gruppe erkennen und die bereit sind, dem Wort anderer Mitglieder zu trau-‐en.
Die Hauptherausforderung eines modernen Suonenmanagements besteht daher in der zunehmen-‐den Heterogenität der Ressourcennutzer und ihrer divergierenden Einstellungen, welche zu einer Kooperation auch ohne strenge Sanktionen bereit sind. Wie es sich auch bei den Suonen zeigt, ist eine ökonomische und kulturelle Heterogenität der Nutzungsakteure auf Konflikte anfälliger im Vergleich zu den früheren homogenen Gruppen. Entsprechende Steuerungsmodelle sollen eine bessere Einbettung der Bewässerungssysteme in die soziale Vielfalt der lokalen Gemeinschaft er-‐möglichen. Für den Schutz und die Erhaltung kleiner, wenig komplexer und homogen genutzter Ressourcen sind externe finanzielle Ressourcen grundsätzlich nicht erforderlich (Breton et al. 2009: 90). In den meisten modernen institutionellen Ressourcenregimen gibt es jedoch selten Manage-‐mentsysteme, die ausschliesslich von Nutzern und ohne Regeln öffentlicher Politiken betrieben werden. Die von Breton et al. (2009) analysierten Bewässerungssysteme in Nepal, Burkina Faso und Niger sind allesamt kleine oder mittlere Kanalsysteme, die in der Tat oft von lokalen Landwirten errichtet und auch effizient geführt werden. Wie unsere Resultate zeigen, stellen Suonen heute keine derartig einfachen Systeme mehr dar.
Anhand der Entwicklung der Walliser Steuerungsmodelle zeigt sich, dass selbst die relativ über-‐schaubaren Suonensysteme zu heterogen geworden sind, um ausschliesslich durch die herkömmli-‐chen Genossenschaften betrieben werden zu können. Ohne ihre Kernfunktion der Wiesen-‐ (oder Reb-‐)Bewässerung lässt sich die Erhaltung der Suonen nur museal begründen. Die zunehmend an-‐erkannten und wertgeschätzten Ökosystemleistungen und ihre Dienstleistungen für den Tourismus erlauben es heute, die angestammten landwirtschaftlichen Nutzungen (zu erwähnen ist aber auch die gebräuchliche Gartenbewässerung) mit neuen gesellschaftlichen Nutzungsansprüchen zu ver-‐binden. Dies gelingt im Sinne der Theorie der institutionellen Ressourcenregime (Knoepfel et al. 2001, Gerber et al. 2009) durch eine Stärkung der Kohärenz unter den alten und neuen Akteuren und durch ein erhöhtes Ausmass der Steuerung über eine zunehmende Zahl öffentlicher Politiken. Damit werden die hoch differenzierten Steuerungsmodelle der Suonen in Verbindung mit geeigne-‐ten öffentlichen Politiken und einer effizienten Wassernutzungsstrategie zu einem Modell für eine gesellschaftlich vermittelte ökologisch wertvolle Ressourcennutzungssteuerung trotz zunehmend heterogener Nutzungsansprüche und Akteursgruppen.
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