Market-Engineering

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1 Begriff

Elektronische Markte nehmen bei der Len-kung von Finanz-, Guter- und Dienstleis-tungsstromen eine zunehmend bedeutendeStellung ein, wenngleich die aktuellen Mel-dungen in den Medien diesen Eindruckauch nicht mehr so deutlich vermitteln wiezu Zeiten des Internet-Booms. Ob bei derEinmalallokation von Bandbreiten im Fallder UMTS-Lizenzversteigerung, in derzwischenbetrieblichen Koordination imSupply-Chain-Management, beim Handelvon Wertpapieren oder Emissionszertifika-ten, bei der unternehmensinternen Eigen-kapitalallokation – uberall ist ein verstark-ter Einsatz von auf Informations- undKommunikationstechnologie (IuK) basie-renden Markten zu beobachten.

Wie die genannten Beispiele bedurfen alleelektronischen Markte, also solche, diemindestens einen Teil der marktlichenTransaktion elektronisch unterstutzen[Schm93], einer bewussten Gestaltung. Furden jeweiligen Markt werden die Spiel-regeln, d. h. die Transaktionsmoglichkeitender Marktteilnehmer, definiert und in Soft-ware implementiert.

Market-Engineering widmet sich eben die-ser Gestaltung und der Weiterentwicklungvon elektronischen Markten und beziehtsich insbesondere auf die Art und Weise,wie Angebot und Nachfrage in Transaktio-nen zusammengefuhrt und abgewickeltwerden, sowie auf die Umsetzung in tech-nische Infrastrukturen.

In den meisten Fallen wird diese Gestal-tungs- und Umsetzungsaufgabe zwar vomMarktveranstalter wahrgenommen, dochwird sie regelmaßig von den Anforderun-gen vielfaltiger Anspruchsgruppen beein-flusst. Hierbei sind u. a. die Handelsteil-nehmer als Kunden, die staatlichenRegulatoren, die Lieferanten komplemen-tarer Dienstleistungen, wie z. B. Zahlungoder Transport, zu nennen. Je nach Rolleund Bedeutung fließen die Anforderungendieser Stakeholder an den Markt in dessenGestaltung ein.

Einige Beispiele sollen dies erlautern: Han-delsteilnehmer fordern einen moglichstkostengunstigen Handel, der aber jeweilsunterschiedlichen Handelsgewohnheitenbezuglich gehandelter Produkte, Handels-haufigkeit, Volumina oder Zeitnahe derAbwicklung Rechnung tragen muss. Staat-liche Institutionen setzen Rahmenbedin-gungen, die im Wesentlichen einen fairenHandel gewahrleisten sollen. Lieferantenerganzender Dienstleistungen fordern be-sondere Freiraume und Mitspracherechte,um fur die eigene Leistung entsprechendeEntlohnung zu erhalten. Der Marktver-anstalter selbst ist an seinem eigenen Fort-bestand und somit einem mindestens kos-tendeckenden Betreiben des Marktesinteressiert.

Schon diese Beispiele zeigen, dass es sichum vielfaltige, heterogene Anforderungenhandelt, denen eine Vielzahl an Struktur-parametern als „Stellschrauben“ der Markt-gestaltung gegenubersteht.

Beispiele fur gangige Strukturparametersind:

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Die Autoren

Christof WeinhardtCarsten HoltmannDirk Neumann

Prof. Dr. Christof Weinhardt,Dipl.-Kfm. Carsten Holtmann,Dipl.-Oec. Dirk Neumann,Universitat Karlsruhe (TH),Lehrstuhl fur Informationsbetriebs-wirtschaftslehre,Englerstraße 14,76131 Karlsruhe,Tel. 0721 608-8370,E-Mail: {christof.weinhardt|carsten.holtmann|dirk.neumann}@iw.uni-karlsruhe.de,http://www.iw.uni-karlsruhe.de

Market-Engineering

WI – Schlagwort

& Der Zugang zum Markt, der fur allePersonen offen oder auf ausgewahlte re-duziert sein kann.

& Der Zeitpunkt, an dem Handelsinfor-mationen an die Marktteilnehmer wei-tergeleitet werden. So konnen diese In-formationen sofort, zeitverzogert odernur fur spezielle Teilnehmer in unter-schiedlicher Granularitat bereitgestelltwerden.

& Die Preisfindung: Verhandlungsprozessekonnen uber verschiedene Produkt-eigenschaften ermoglicht oder auf eineinzelnes Attribut wie den Preis be-schrankt werden.

& Das Gebuhrenmodell: Es kann ein ein-heitliches Gebuhrenmodell fur alle Teil-nehmer existieren, oder durch die Exis-tenz mehrerer Gebuhrenmodelle einePreisdifferenzierung fur die einzelnen(Transaktions-)Dienstleistungen undTeilnehmer realisiert werden.

Aufgrund der heterogenen Anforderungender Anspruchsgruppen an die Marktgestal-tung und der vielfaltigen Strukturparame-ter, mit denen im Wesentlichen die Han-delsregeln justiert werden konnen, ist dieKomplexitat des Gestaltungs- und Weiter-entwicklungsprozesses sehr hoch – Mar-ket-Engineering alles andere als trivial[NHWL02].

Wo etablierte Theorien aufgrund der ho-hen Komplexitat an Grenzen stoßen, kon-

nen ingenieurwissenschaftliche Technikenhelfen, weitere Hinweise und Werkzeugefur die Gestaltung von elektronischenMarkten zu bieten. In der jungeren okono-mischen Literatur wird auf die zunehmen-de Bedeutung von okonomischen Simula-tionen als „Pendant des technischenWindkanals“ [ArLe2; Roth02] verwiesen.Experimente, wie sie in den Naturwissen-schaften dazu dienen, isoliert (z. B. physi-kalische) Phanomene zu analysieren, wer-den auch in der �konomie angewandt, umso in einer kontrollierten Umgebung oko-nomische Zusammenhange zu eruierenund zu evaluieren.

In diesem Sinne bezeichnet Market-Engi-neering das systematische und theoretischfundierte Vorgehen zur Analyse, Gestaltung,Einfuhrung, Qualitatssicherung undWeiter-entwicklung elektronischer Markte sowieihrer rechtlichen Rahmenbedingungen aufBasis einer integrierten Sicht von Mikro-struktur, Infrastruktur, Businessstruktur.

Der diesjahrige �konomie-Nobelpreistra-ger Vernon Smith weist auf diesen Begriffbereits in seinen fruheren Arbeiten hinund steht damit stellvertretend fur eineReihe renommierter Wissenschaftler, dieden Forschungs- und Gestaltungsgegen-stand Markt mit ingenieurwissenschaftli-chen Ansatzen und Verfahren in Verbin-dung bringen [McRS93; Roth02].

2 Herausforderungdes Market-Engineering

Grundlage des Market-Engineering ist dieStrukturierung des Problembereiches. DerMarket-Engineer identifiziert und ana-lysiert die Strukturparameter fur eine ziel-gerichtete Gestaltung und Weiterentwick-lung von elektronischen Markten mit demZiel, eine gewisse Marktqualitat zu erzielen.

Gestaltungsempfehlungen setzen dedizier-tes Wissen uber Mittel-Ziel-Beziehungenvoraus. Fur das Market-Engineering er-fordert dies fundierte Kenntnis uber denZusammenhang zwischen Auspragungender Marktstruktur – verstanden als Sum-me aller Strukturparameter fur die Gestal-tung –, dem jeweiligen Marktergebnis undder daraus resultierenden Marktqualitat.

Anders als im Engineering traditionellerProdukte kann der Market-Engineer dieQualitat des Produktes „Marktplatz“ nichtabschließend definieren. Er kann sie ledig-lich mittelbar beeinflussen, indem er ver-sucht, die Strukturparameter so zu kon-figurieren, dass das individuelle Verhaltender Teilnehmer hinsichtlich der angestreb-ten Marktqualitat zieltragend ist. Diesmacht die Aufgabe des Market-Engineer soschwierig, da zu der oben bereits angespro-chenen Komplexitat noch die Unsicherheitdes Verhaltens der Marktteilnehmer hin-

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Bild 1 Screenshot eBay

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zukommt. Mit anderen Worten definiertder Market-Engineer mit der Marktstruk-tur Art und Umfang seiner Dienstleistungund legt Anreizstrukturen fur die Markt-teilnehmer fest. Fur die resultierende Allo-kation und das daraus entstehende Markt-ergebnis (Preise) bzw. die Marktqualitat istdas Verhalten der Marktteilnehmer, die alsexogene Faktoren in die Dienstleistungs-erstellung einbezogen sind, verantwortlich.

Das Auktionssystem eBay kann hier zurIllustration dienen.

Der Marktbetreiber hat in diesem Fall ei-ne Veranderung des Strukturparameters„Preisfindungsverfahren“ vorgenommenund damit den Anforderungen speziellerKaufer entsprochen. Dabei ist das neue Re-gelwerk so gestaltet, dass auch die entspre-chenden Verkaufer zu ihrem Recht kom-men (konnen):

Die Einfuhrung einer „Sofort-Kaufen Op-tion“ als Alternative zum Standardauk-tionsverfahren ermoglicht denjenigen Kau-fern, die ein Produkt unmittelbar zu einemdefinierten Preis erwerben wollen, den so-fortigen Kauf und den Verzicht auf einenzeitintensiven Auktionsprozess mit unsiche-rem Ausgang. Dem Verkaufer wird dieMoglichkeit gewahrt, fur den Sofortver-kauf einen hoheren Festpreis als den Aukti-onsmindestpreis zu verlangen. Damit kanner sich fur die entgangene Preissteigerung-schance des kompetitiven Bietprozesseszwischen den Kaufern entschadigen lassen.

Das Verhalten der Verkaufer muss aller-dings teilweise verwundern, weil die Ver-kaufer – wie Bild 1 beispielhaft zeigt –keinesfalls immer hohere Werte fur den So-fort-Kaufen Festpreis als fur das Auktions-mindestgebot festsetzen, wie es rationalware. Eine mogliche Erklarung dafur liegtim mangelnden Verstandnis des Verfahrensauf Seiten der Verkaufer. Das Bietverhal-ten der Verkaufer weicht von dem unter-stellten rationalen Verhalten ab – damitist es unwahrscheinlich, dass sich auf Basisder Annahme rationalen Verhaltens prog-nostizierte Ergebnisse einstellen.

Aus abstrakter Sicht macht folgende Ab-bildung, die sich am Bezugsrahmen vonSmith [Smit02] orientiert, den Zusammen-hang zwischen Marktstruktur, -verhaltenund -ergebnis deutlich: Das regulatorische,sozio-okonomische und technische Um-feld eines Marktes bildet die Basis fur dieGestaltung von Handelsobjekt (Wie wird

ein Produkt handelbar gemacht?) undHandelsdienstleistungen (Welche Funktio-nalitaten wird den Teilnehmern bereit-gestellt?). Die Marktstruktur beeinflusst,wie oben gezeigt, das Verhalten der Teil-nehmer, das dann zu einem konkretenMarktergebnis fuhrt. Der Market-Engi-neer versucht demnach, die Spielregeln desMarktes so festzulegen, dass das von ihmantizipierte Verhalten der Marktteilnehmergewunschte Marktergebnisse hervorbringt.Es besteht also ein nur mittelbarer Zu-sammenhang zwischen Marktstrukturund Marktergebnis, das wiederum durchden Abgleich mit dem Umfeld hinsicht-lich seiner Qualitat zu bewerten ist (sieheBild 2).

Bei den Parametern zur Definition derMarktstruktur handelt es sich im Verstand-nis von Smith vereinfacht gesprochen umeine Menge von Regeln. Diese definieren,„was, wann und mit wem“ ein Marktteil-nehmer kommunizieren kann, um Infor-mationen z. B. in der Form von Gebotenauszutauschen. Der ursprungliche Bezugs-

rahmen von Smith, der auf das traditionelleVerstandnis des Markt-Design-Begriffesund damit die Gestaltung der Elemente derMarkt-Mikrostruktur reduziert ist, wirdim Market-Engineering erweitert. Zusatz-lich zum „wer, was, wann und mit wem“(Mikrostruktur) werden auch Struktur-parameter zur Justierung der Kommunika-tionsmoglichkeiten (Infrastruktur) sowieder Hohe der fur die Zulassung zur oderDurchfuhrung der Kommunikation erho-benen Gebuhren und Entgelte (Business-struktur) erfasst.

Diese Klassifikation in Mikro-, Infra- undBusiness-Struktur deckt sich weitgehendmit dem Ursprung der jeweiligen Struktur-parameter in einzelnen Disziplinen, wieder VWL, Informatik oder BWL. In denunterschiedlichen wissenschaftlichen Dis-ziplinen haben sich vielfaltige Aspekte he-rausgebildet, die als das Marktergebnis be-einflussend und gestaltbar angesehenwerden. Sie sind daher als Strukturparame-ter im Sinne des Market-Engineering zu in-terpretieren.

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Bild 2 Bezugsrahmen fur das Market-Engineering

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Da eine vollstandige Enumeration allerStrukturparameter nicht moglich ist undauch nicht sein wird, ermoglicht das Fra-mework des Market-Engineering weiterhin(partialanalytische) Vorgehensweisen in-nerhalb einzelner Theorierichtungen. Esbietet vor allem aber auch die Moglichkeitzur integrierten Betrachtung, die zurSchaffung nachhaltig erfolgreicher Markt-strukturen unerlasslich ist.

3 Stand der Entwicklung

Wie oben erwahnt, widmet sich eine Viel-zahl von Disziplinen der Gestaltung (elekt-ronischer) Markte und liefert damit dieGrundlage und Beitrage zum Market-En-gineering.

Die volkswirtschaftlich gepragte Theoriedes Mechanismus Design stellt ein Instru-mentarium fur die Gestaltung von Regel-werken im Hinblick auf Anreize fur dieMarktteilnehmer zur Verfugung. Dabeiwerden zwei zentrale Forschungslinien un-terschieden: Unter dem Stichwort optimaleMechanismen bzw. Auktionen werden jeneanalysiert, die die erwarteten Erlose derVerkaufer maximieren [Myer81]. EffizienteMechanismen hingegen fokussieren dieWohlfahrtsmaximierung, d. h. die Maxi-mierung der Summe aller individuellenNutzen [Grov73; Vick61]. Letztere sindinsbesondere bei kombinatorischen odermultidimensionalen Problemen haufig sehrrechenintensiv und deshalb haufig Gegen-stand des Operations Research (OR). Dieresultierenden Theorien werden mithilfevon Experimenten und Simulationen aufihre Validitat hin gepruft [Smit82; Roth02].

Die vomOR gepragte Theorie des rechner-gestutzten Mechanismus Design versucht,durch meist iterative Rechenverfahren dieEffizienzeigenschaften von Markten zu-mindest approximativ zu gewahrleisten[Park01]. Dabei kommen haufig numeri-sche Verfahren zur Evaluierung zum Ein-satz. Aktuelle Ansatze versuchen daruberhinaus, mit Hilfe co-evolutionarer, geneti-scher Programmierung, diese Mechanis-men automatisch generieren zu lassen. Andiesem Beispiel wird besonders deutlich,dass sich zum einen Volkswirtschaftslehre,OR und Informatik bereits intensiv demDesign von Markten annehmen und Me-thoden fur die Evaluierung entwickeln,und zum anderen, dass dazu eine integrier-

te Sicht dieser Disziplinen dringend not-wendig ist.

Der Bereich der informationstechnischenBetrachtung von Markten stellt sich sehrheterogen dar. Eine aktuelle Forschungs-richtung bezieht sich auf den technischenEinsatz von verteilten Strukturen, die et-wa auf dem Konzept von P2P-Architek-turen oder Multi-Agenten-Systemen beru-hen. Fragen der Selbstorganisation inNetzen verdienen in diesem Zusammen-hang eine besondere Beachtung. Beson-ders hier spielen grundsatzliche Problemeder Sicherheit, Skalierbarkeit, der Kom-munikationskanale und der Modellierungeine wichtige Rolle. Abstrakt gesehen,geht es bei diesen Aspekten vor allem umdie Erreichbarkeit der Teilnehmer sowiederen Akzeptanz und Vertrauen in die je-weils genutzten Medien und technischenPlattformen. �hnlich wie Forscher ausdem Bereich des OR beschaftigen sich In-formatiker haufig mit Fragen der Bere-chenbarkeit und Komplexitat des Alloka-tionsproblems [CoSa02].

Aus diesen unterschiedlichen Betrach-tungsweisen wird deutlich, dass ein elektro-nischer Markt gleichzeitig Ressourcenallo-kationsmechanismus [Haye45] und ver-netztes Informationssystem [Bako91] ist.Netze und daraus resultierende Netzwerk-effekte bilden die Schnittstelle zwischen In-formatik und Wirtschaftswissenschaftenund finden besondere Betrachtung in derInformationsokonomie. Wahrend die Infor-matik die technische Grundlage einer In-teraktion uber Netze legt, leitet die Infor-mationsokonomie ab, unter welchen Be-dingungen Netzwerke nachhaltig bestehenkonnen [KaSha85].

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht spielendie strategische Ausrichtung und organisa-torische Aufstellung in Hinblick auf Cor-porate-Governance und die Gestaltungvon Erlosmodellen der Betreiber elektro-nischer Markte eine zentrale Rolle. Diestrategische Ausrichtung befasst sich mitder Positionierung des Betreibers bzgl.Produktprogramm und Zielkundengrup-pen. Dabei ist die jeweilige organisatori-sche Aufstellung des Betreibers entschei-dend, die sich im Spektrum zwischenVerein und notierter Aktiengesellschaft be-wegt. Diese Aufstellung ist nicht nur furdie exakte Verteilung der Entscheidungs-und Verfugungsrechte (Corporate-Gov-ernance) zwischen den Anspruchsgruppenund damit deren Einfluss auf die Gestal-

tung des konkreten Regelwerks ausschlag-gebend, sondern auch fur die Ausrichtungdes Betreibers zwischen Kostendeckungund Gewinnorientierung. Da z. B. Gebuh-ren und deren Hohe die Anreizschematafur die Kunden grundsatzlich beeinflussen,ist eine integrierte Analyse mit dem Regel-werk der Orderzusammenfuhrung not-wendig. Insbesondere am Beispiel der Pri-vatisierung von Borsen werden Interessen-konflikte zwischen Kundengruppen, dieuber unterschiedliche Einflussmoglichkei-ten verfugen, diskutiert [Dino99].

Die genannten Stellschrauben konnen je-doch nicht vollkommen frei justiert wer-den; die rechtlichen Rahmenbedingungenspielen eine zentrale Rolle. Der Gesetz-geber mit seinen Regulierungsbehorden isthier ein weiterer wichtiger Akteur, der diekonkrete Ausgestaltung von Markten maß-geblich beeinflusst. Mit zunehmender Glo-balisierung ist diese indirekte Form derMarktgestaltung eine Regulierungsaufgabeim internationalen Kontext. Die aktuellepolitische Diskussion insbesondere bezug-lich Finanz-, Telekommunikations- undStrommarkten zeigt dies deutlich.

In diesem interdisziplinaren Umfeld unter-sucht das Market-Engineering die Parame-ter der Marktstruktur und deren Wirkungauf die gewunschten Ziele. Methoden ausden beteiligten Disziplinen werden in ei-nem integrierten Prozess zusammengefuhrtund informationstechnisch unterstutzt.

4 Methodik und Werkzeuge

Der Prozess der Marktgestaltung folgt inTheorie und Praxis meist einfachem Trial-and-Error. Bisher hat sich noch kein ein-heitlich strukturiertes Vorgehen der Markt-gestaltung etabliert. Durch die geringeStandardisierung des Gestaltungsprozessesist die Marktgestaltung außerst wissens-intensiv, fehleranfallig und durch Werkzeu-ge kaum unterstutzt.

Eine klare Prozessdefinition im Market-Engineering verspricht Abhilfe. Sie hat dasZiel, auf Basis fachubergreifenden Wissensund mithilfe geeigneter Methoden undWerkzeuge, eine moglichst nachhaltigeAusgangslosung sicherzustellen und derenkontinuierliche Weiterentwicklung zu un-terstutzen.

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Die Prozessdefinition berucksichtigt obigeThemengebiete, indem die soziookonomi-schen, technischen und rechtlichen Um-feldbedingungen und die Interessen allerAnspruchsgruppen und insbesondere derKunden umfassend evaluiert werden, be-vor eine Definition der Marktstruktur er-folgt. Die Kenntnis der konkreten Anfor-derungen ermoglicht eine angemesseneFestlegung der Regeln, die Transaktions-objekt und -prozess definieren und Fehl-verhalten sanktionieren [StWe03].

Diese Regeln werden dann als eine konkre-te Marktstruktur implementiert, wobei dieEffekte in und zwischen den oben be-schriebenen Strukturbereichen ex anteweitgehend berucksichtigt werden. DieAnreizwirkung des Regelwerkes auf dasspatere Verhalten der Teilnehmer wird ab-geschatzt.

Da konkrete Anreizwirkungen von denantizipierten abweichen konnen, werdensie empirisch anhand von Experimentenund Simulationen uberpruft. Informations-technische Systeme durchlaufen Tests, be-vor der elektronische Markt zum Einsatzkommt. Zudem konnen den Teilnehmern –etwa im Rahmen von Pilotanwendungenoder Planspielen – die Moglichkeiten,Auswirkungen und Grenzen ihrer Hand-lungsmoglichkeiten erlebbar gemacht wer-den.

Die folgende Abbildung illustriert das ty-pische Vorgehensmodell des Market-Engi-neering und zeigt, dass nicht nur zwischenden einzelnen Gestaltungsschritten undAufgabenblocken Sprunge in vor- odernachgelagerte moglich sind; insbesondereauch wahrend des Betriebes ist eine kon-tinuierliche Evaluation vorgesehen und einRe-Design jederzeit moglich.

Durch den Ansatz kontinuierlicher Ver-besserung kann die Evolution, die fur tra-ditionelle Institutionen typisch und inHinblick auf deren Qualitat notwendig ist,auch in technischen Systemen ihre selektie-rende Wirkung erzielen.

Market-Engineering bedient sich analyti-scher, konstruktiver, experimenteller undnumerischer Methoden bei der Markt-gestaltung.

& Analytische MethodenAnalytische Methoden, wie etwa forma-le Modelle, dienen z. B. der Reprasenta-tion des Verhaltens der Marktteilnehmer

mithilfe mathematischer Funktionen.Mithilfe der mathematischen Logik kon-nen Aussagen und Vorhersagen uber dasGesamtsystem getroffen werden.

& Konstruktive MethodenDer Prototypenbau, als konstruktiveMethode, ist im Market-Engineeringvon zentraler Bedeutung. Die am „Reiß-brett entworfene“ Marktstruktur wirdals Software implementiert, um Er-kenntnisse uber die Benutzerakzeptanzund die Wirkung auf das Marktergebnisabzuleiten. Mit Hilfe der Prototypenkonnen Experimente und Simulationendurchgefuhrt werden.

& Experimentelle und numerische Metho-denDurch den Einsatz von Laborexperi-menten und Simulationen lassen sicheinzelne Effekte der Marktstruktur iso-lieren. Mit numerischen Simulationensteht dem Market-Engineer eine ArtWindkanal zur Verfugung, mithilfe des-sen er alle Facetten der Mittel-Ziel-Be-ziehung exakt kontrollieren kann. Ummogliche Verhaltensreaktionen der Teil-nehmer zu analysieren, bieten sich hin-gegen Experimente an. Die Wirkungeinzelner Strukturparameter auf Verhal-ten und Ergebnis wird gemessen undbeurteilt.

5 Bedeutung fur dieWirtschaftsinformatik

Zentrale Aufgabe der Wirtschaftsinforma-tik ist gemaß der Darstellungen von Mer-tens und Heinrich [MeHe02] die „Be-schreibung, Erklarung, Prognose undGestaltung von Informations- und Kom-munikationssystemen“.

Der Begriff des Market-Engineering lehntsich an diese Aufgabe der Wirtschaftsinfor-

matik an und kennzeichnet das systemati-sche und theoretisch fundierte Vorgehenzur Analyse, Gestaltung, Einfuhrung, Qua-litatssicherung und Weiterentwicklungelektronischer Markte sowie deren Rah-menbedingungen. Aufgrund der integrier-ten Sicht auf okonomische, informations-technische und rechtliche Aspekte erfordertes gelebte Interdisziplinaritat. Wie keineandere Disziplin verfugt die Wirtschafts-informatik uber Zugang, Verstandnis undinsbesondere auch uber umfassende Vor-arbeiten, Sprachen und Werkzeuge fur dieModellierung und Umsetzung okono-mischer und technischer Informations-und Kommunikationssysteme, um dieserAufgabe gewachsen zu sein.

Market-Engineering ist das Paradebeispieleines Betatigungsfeldes der WI: Elektro-nische Markte basieren nicht nur auf IuK,sondern sie sind ihrem ganzen Wesen nachokonomische Systeme zur Verarbeitungverteilter Informationen [Haye45].

Literatur

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Bild 3 Vorgehensmodell des Market-Engineering

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