Menschenrechte vor Konzernprivilegien Für ein UN-Abkommen ... · Geflutete Häuser im Sudan...

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Menschenrechte vor Konzernprivilegien –

Für ein UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten

(»Binding Treaty«)

Dr. Thomas Köller (Attac, TTIP-Kampagnengruppe)

Armin Paasch, Referent Wirtschaft und Menschenrechte (Misereor)

Lia Polotzek, Referentin Wirtschaft, Finanzen und Handel (BUND)

Gliederung

1. Neoliberaler Konstitutionalismus

2. Gravierende Menschenrechtsverletzungen in der globalisierten Wirtschaft

3. Kampf um verbindliche Regelungen im Rahmen der UN

4. UN-Treaty: Prozess und Inhalte

5. Fazit: UN-Treaty als Alternative zum neoliberalen Konstitutionalismus

1. Neoliberaler KonstitutionalismusIWF, WTO, TTIP, CETA, ISDS und Co. bilden faktisch

globale Wirtschaftsverfassung (»Freihandelsregime«)

→ garantiert TNCs freien Zugang zu Märkten, Rohstoffen, weitet Eigentumsrechte aus und räumt TNCs internationale Sonderklagerechte ein

→ ohne die TNCs gleichzeitig globalen Regeln zum Schutz von Menschen und Umwelt zu unterwerfen

→ Schränkt zudem staatliche Spielräume u. a. zur menschenrechtlichen Regulierung von TNCs ein

Aktuelle Situation?

Freihandels- und Menschenrechtsregime

• Auch UN-Menschenrechtsregime verbindlich

→ »Sozialpakt« 1966/1976/1993

→ Staaten müssen »respect, protect, fulfil«

• Verschiedene völkerrechtliche Verträge nebeneinander

→ Freihandelsregime außerhalb der UN-Charta

→ Art. 103 UN-Charta »Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang.«

• Trotzdem Durchsetzungsmechanismen des Freihandels-regimes (und neoliberale Hegemonie) stärker

2. Gravierende Menschenrechtsverletzungen im Verantwortungsbereich von TNCs

• Extreme Ausbeutung, moderne Sklaverei, Landraub, Ermordung von GewerkschafterInnen, mangelnder Arbeitsschutz und Umweltzerstörung charakteristisch für globale Wertschöpfungsketten

• Praktisch alle Branchen betroffen

• Verantwortung von TNCs (einschl. deutscher Unternehmen) wegen eigener FDI, Tochtergesellschaften, Lieferbeziehungen, Exporte/Dienstleistungen und Finanzierungen

• Das deutsche Ingenieursunternehmen Lahmeyer hat Bauüberwachung und Kontrolle der Inbetriebnahme des Merowe-Staudamms im Nord-Sudan übernommen.

• Im Rahmen des Baus wurden 40.000 Menschen umgesiedelt

• Rund 4.700 Familien wurden nicht konsultiert und bei der Inbetriebnahme förmlich weggeflutet; Häuser, Ernten und Nutztiere wurden zerstört

Beispiel: Merowe-Staudamm

Geflutete Häuser im Sudan

Quelle: International Rivers

Beispiel: Brand in Textilfabrik

• Am 11. September 2012 starben in der Tetxilfabrik Ali Enterprises in Karachi 260 Menschen, 32 wurden verletzt

• Hauptkunde war nach eigenen Angaben KiK

• Vier pakistanische Betroffene haben im Frühjahr 2015 vor dem Landgericht Dortmund gegen KiK auf Entschädigung geklagt

• Am 30. August 2016 bewilligte das Landgericht Dortmund Prozesskostenhilfe und erließ Beweisanträge

Ausgebrannte Fabrik in Pakistan

Quelle: NYT

Beispiel: Eisenerzmine in Mariana

• Im November 2015 brachen zwei Rückhaltedämme für giftigen Schlamm: Risiko seit 2013 bekannt

• Schlammlawine begrub 19 Menschen und mehrere Dörfer unter sich

• Verseuchte Rio Doce und Lebensgrundlagen von 7.500 Fischern und 300 Bauern

• Mine gehörte Samarco, einem Joint Venture der Bergbaukonzerne Vale und BHP Billiton

• Deutsche Bank finanziert weiterhin beide Konzerne; Deutschland bezieht 56% des Eisenerz aus Brasilien

Schlammlawine in Brasilien

Menschenrechtsverletzungen: Risikobranchen

4%

30%

8%

12%

22%

10%

9%5%

Menschenrechtsvorwürfe nach Sektoren (2005-2014)

Schwerindustrie

Rohstoffe

Nahrung und Getränke

Medikamente und Chemikalien

Einzelhandel und Konsumgüter

Finanzielle Dienstleistungen

Infrastruktur und Energieversorgung

IT, Elektronik und Kommunikation

Quelle: Kamminga, Menno (2014): Company Responses to Human Rights Reports: An Empirical Analysis

Mangelnde Verantwortlichkeit• Schwache staatliche, juristische und

zivilgesellschaftliche Strukturen im globalen Süden

• Probleme transnationaler Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung

• Rechtliche Hindernisse in Deutschland• Keine Sorgfaltspflichten• Trennungsprinzip im Gesellschaftsrecht• Unzureichend geschützte Rechtsgüter• Keine Gruppenklagen• Kein Unternehmensstrafrecht

• Fehlende Politikkohärenz („Staat-Wirtschaft-Nexus“)Quelle: ECCHR/Brot für die Welt/MISEREOR (Hg.): Unternehmen zur Verantwortung ziehen. Erfahrungen aus transnationalen Menschenrechtsklagen, März 2017

3. Der Kampf um Regeln für TNC• ILO-Gründung 1919 (Völkerbund, ab 1946 UN)

• Scheitern der Gründung einer Internationalen Handelsorganisation (ITO) nach Bretton Woods

• UN Commission/Centre on TNCs 1974-1993 (Ziel: Code of Conduct für TNC)

• Scheitern der Integration von Sozialstandards im Rahmen der WTO in den 1990ern

• Scheitern der UN Normen 2004

• Unverbindliche/freiwillige Leitlinien: UN Global Compact, OECD Leitsätze, UN-Leitprinzipien 2011

Überblick: Die UN und Unternehmen

UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (2011)• Einstimmige Verabschiedung von freiwilligen

Leitprinzipien im Menschenrechtsrat• Gegliedert in drei Säulen:

• I. Respect: Staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte• II. Protect: Unternehmensverantwortung zur Achtung der MR

(»Sorgfaltspflichten/Due dilligence«)• III. Remedy: Zugang zu wirksamer Abhilfe

• Aufgrund von Säule I werden mittelbar auch Unternehmen verpflichtet (> CSR)

→ Zur Erfüllung ihrer Schutzpflicht sollen die Staaten Nationale Aktionspläne (NAPs) erstellen→ Bundesregierung hat von 2014-2016 Nationalen Aktionsplan (NAP) zu deren Umsetzung entwickelt

Schwächen UN-Leitprinzipien

• Vage in konkreten Umsetzungsempfehlungen

• Schwache Verbindung menschenrechtlicher Sorgfalt mit staatlicher Schutzpflicht

• Restriktive Interpretation extraterritorialer Staatenpflichten (vgl. Maastricht-Prinzipien)

• Keine Erleichterung des Zugangs zu Gerichten in Heimatstaaten von TNC

• Kein UN-Ausschuss zu Untersuchungen befugt

• Keine Verbindlichkeit und Durchsetzungsmittel im Völkerrecht ↔ Investitionsschutz

Schwächen deutscher Aktionsplan

• 7 Jahre nach Verabschiedung der UN-Leitprinzipien nur 19 NAPs, alle beruhen auf Freiwilligkeit

• Deutscher NAP (Dez. 2016): keine verbindlichen Sorgfaltspflichten, auch nicht …• für Unternehmen im öffentlichen Eigentum• bei der Außenwirtschaftsförderung (Exportbürgschaften,

KfW-Bankengruppe: wiederholt trotz MR-Vergehen) • bei der Subventionsvergabe• bei der Vergabe öffentlicher Aufträge • im CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz zu Berichtspflichten

von Unternehmen→ 2020 Evaluierung – neue NGO-Kampagne

4. Prozess zum UN Treaty

• Menschenrechtsrat setzt 2014 zwischenstaatliche Arbeitsgruppe ein mit dem Mandat:

“to elaborate an international legally bindinginstrument to regulate, in international human rightslaw, the activities of transnational corporations andother business enterprises”

• Wachsende Teilnahme an bisher 3 Sitzungen: 60 (2015) – 80 (2016) - 98 (2017)

• 3. Sitzung: Diskussion von “Draft Elements”

• Ecuador soll 2018 Treaty-Entwurf vorlegen

Inhalte der „Draft Elements“…

• Vorrang Menschenrechtspflichten vor Handels- und Investitionsabkommen

• Verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen „thoughout their operations“ und Haftung für mitverursachte Schäden

• Erfasst auch Tochterunternehmen und kontrollierte Unternehmen

• Zugang zu Gerichten auch in Heimatstaaten von TNK, Gruppenklagen, Zugang zu Information, internationale Zusammenarbeit

• Prüfung eines internationalen Gerichtshofs zu TNK und Menschenrechten

… Vorrang vor Handelsrecht

• „Supremacy Clause“: Menschenrechte haben Vorrang vor Handels- und Investitionsrecht

• Verpflichtung zu menschenrechtlichen Folgenabschätzungen vor Verhandlungsbeginn

• Kein Entschädigungsanspruch für TNCs, wenn Staaten von Handelsbestimmungen abweichen

• „Denial of benefits“: Konzerne verlieren Vorteile aus Abkommen bei Menschenrechtsverstößen

UN Treaty und alternative Handelspolitik

• UN Treaty legt globaler Wirtschaftsordnung Menschenrechte verpflichtend zugrunde

• Setzt Unternehmensrechten Pflichten entgegen

• Es bleiben Auslegungsschwierigkeiten: Was ist Konflikt zwischen Handels- und Menschenrecht

• Paradigmenwechsel in der Handelspolitik nötig: weg von Wachstum, Weltmarkt und Wettbewerb

• Schließt Abschaffung der Schiedsgerichte ein

Kritik der EU an UN Treaty• Kritik am Prozess:

• Ablenkung von UN-Leitprinzipien• Resolution auf drei Sitzungen beschränkt: UN-

Hochkommissariat für MR widerspricht• Will „unabhängigen Vorsitz“: Staaten haben in

zwischenstaatlichen AG‘s immer Vorsitz• Mangelnde Einbindung der Wirtschaft: NRO und

Wirtschaftsverbände in Arbeitsgruppe vertreten

• Inhaltliche Kritik:• Beschränkung auf TNC: Elements beziehen alle Unternehmen

ein, legen aber Schwerpunkt auf Aktivitäten mit „transnationalem Charakter“

• Steht Fragen der Unternehmenshaftung kritisch gegenüber

Erwartungen NRO• Konstruktive Teilnahme der EU und BReg statt prozeduraler

Blockaden

• Kommentierung der Draft Elements durch EU und BReg

• Präzisierung der Elements zu Haftung (und Grenzen), zum transnationalen Charakter und Verhältnis zu Investitionsschiedsgerichten

• Explizite Behandlung von Subventionen und Außenwirtschaftsförderung

• Weiterverhandlung zum Internationalen Gerichtshof für TNC und Menschenrechte

• Vorrang Menschenrechte vor Handels- und Investitionsschutzabkommen

• Schaffung eines ExpertInnenausschusses zur Überwachung

5. Fazit: Der UN Treaty als Alternative zum neoliberalen Konstitutionalismus

• Idee einer gerechten globalen Ordnung statt Nationalismus

• Aber globale Ordnung und internationale Zusammenarbeit im Dienst von Frieden, Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit

• War bereits »Geist von Philadelphia«* und zugleich Hauptangriffsziel der neoliberalen Revolution seit den 1970er Jahren

* Alain Supiot, Hamburg 2011

Erkämpft das Menschenrecht!

• UN-Charta als allgemeiner Rechtsrahmen, Beendigung des neoliberalen Konstitutionalismus

• Mangelnde Durchsetzung wegen UN-Prinzip der staatlichen Souveränität und Integrität?

• Zumindest: Anerkennung extraterritorialer Staatenpflichten und weitere UNO-Reformdebatte

• Überwindung der neoliberalen Hegemonie als Voraussetzung und Ergebnis

Die Binding Treaty Kampagne

- Internationale Treaty Alliance

- Global Campaign

- Treaty Alliance Deutschland- Flyer Treaty Alliance

- Positionspapier Treaty Alliance

- Bündniszeitung

In der Diskussion/Planung:

Kampagne für ein deutsches Sorgfaltspflichtgesetz

EBI gegen ISDS/FTAs und pro BT+EU-Sorgfaltspflichtgesetz

Attac-BT-Kampagne

Kontakt

Dr. Thomas Köller: thkoeller@gmx.de

Armin Paasch: armin.paasch@misereor.de

Lia Polotzek: lia.polotzek@bund.net

attac zur UN-Treaty: http://www.attac.de/kampagnen/handelsabkommen/hintergrund/binding-treaty/