Prof. Dr. D. Schiek 1 Arbeitnehmerüberlassung – rechtlicher Rahmen in Deutschland und der EU...

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Prof. Dr. D. Schiek 1

Arbeitnehmerüberlassung – rechtlicher Rahmen in

Deutschland und der EUHandlungsmöglichkeiten für

betriebliche Interessenvertretung

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Überblick

• Definition der ArbNüberlassung, Interessenlagen

• Regelungsstrategien in Europa

• Regelungspläne der EU

• Änderungen in D 2004

• Konsequenzen für InteressenV

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Arbeitnehmerüberlassung

(Arbeits-)vertrag, Entgeltzahlung,Training, Auswahl

Arbeitnehmerüber-lassungsvertrag (gewerblich)

Direk

tion

sre

cht

Ver-leiher

Ent-leiher

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Risiken Arbeitnehmerüberlassung

• Gespaltene Arbeitgeberstellung– Entgeltsicherung– Verwirklichung Arbeitnehmerschutz und

Arbeitnehmerbeteiligung

• Prekarietät der Beschäftigung?– Mängel der „Eingliederung“ ArbN bei beiden

Arbeitgebern– Bildung eines zweiten Arbeitsmarktes– Skandinavien: „Temping“ als Hochlohnsektor

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Praxis ohne Regulierung (60er Jahre, UK)

Bezahlung nur für tatsächliche Einsätze (freie MA, Rahmenvertrag)

Verleiher Entleiher

Direk

tion

sr

echt

Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, gewerblich

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Regelungsstrategien in MS der EU• Keine oder geringe gesetzl. Regulierung:

– VK; Irland, DK, FI, Niederlande (seit 1998)

• Verbot gewerbl. ArbNÜ• Italien, Spanien (bis 1997/1994)

• Sachl. und/oder zeitl. Beschränkung des Einsatzes von ArbNÜ

• Frankreich, Belgien, LUX, D (bis 2003), Spanien, Italien

• Gleichbehandlung von ArbN mit regulären ArbN des Entleihers

• Überwiegend, wenn auch mit zahlreichen Ausnahmen

• Gesetzl. Ideal: DauerArbV beim Verleiher • D (bis 2003), Schweden

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Gründe für EU-Regulierung

• Unterschiede als Binnenmarktproblem• Arbeitnehmerüberlassung soll vom

Prekarietätsstigma befreit werden, weil es für sie gute wirtschaftliche Gründe gibt und das Prekarietätsstigma Diskriminierungspotentiale schafft

• Soziale Ausgewogenheit soll anders als durch Repression erreicht werden

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Vorgeschlagene EU – Richtlinien• MS sollen Restriktionen d. Leiharbeit überprüfen• Gleichbehandlg LeiharbN mit den ArbN des Ent-leihers

bez. wesentl. Arbeitsbedingungen, außer– Wenn Verleiher unbefristet einstellt und zwischen Einsätzen

bezahlt– Wenn ein Tarifvertrag anderes vorsieht– Während eines Einsatzes von bis zu sechs Wochen

• Weitere Rechte LeiharbN– Information über Stellenangebote– Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten– InteressenV bei Ent- und Verleiher

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Dienstleistungsrichtlinie

• KOM (2004) 2 (http://europa.eu.int/eurlex)• Erleichterungen für Niederlassungen für

„Dienstleister“ und grenzüberschreitender Dienstleistungen

• Art. 3: Spezielle Regelungen haben Vorrang• Art. 9: Genehmigungsvorbehalte nur aus

spez. Gründen des öffentl. Interesses• Art. 14: Verbotene Anforderungen

– Mindestkapitalausstattung bei inländ. Bank (It, Sp)– Mindestanzahl von Beschäftigten (Sp)

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Deutschland

• Perspektivenwechsel von unerwünsch-ter zu akzeptierter Beschäftigungsform

• Durchaus im Einklang mit noch nicht verabschiedeter EU RL

• Neue Anforderungen an Interessenvertretung

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Regulierungsmodell AüG 1972

• Strenge Kontrolle gewerblicher Arbeit-nehmerüberlassung (Erlaubnispflicht)

• Abschreckung– sich eines anderen als des gesetzlich festge-

schriebenen Modells der Leiharbeit zu bedienen

• Schutz der ArbN– Gesetzlich begründeter Arbeitsvertrag statt

Überlassung– Nur in begrenztem Umfang individuell

durchsetzbare Rechte

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Gesetzliches Leitbild des AÜG : 1972

Verleiher

Entleiher

Arbeitsvertrag, unbefristet

Arbeitnehmerüberlassungs-vertrag, maximale Dauer

Direk

tion

srec

ht

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Risikoverteilung AüG 1972

Verleiher

Zahlt Entgelt und Sozial-versicherungsbeiträge, trägt das Risiko der Einsetzbarkeit des ArbN und all die Risiken die der Entleiher vermeidetGenießt

Beschäftigungs-sicherheit, obwohl Entleiher ihn nur befristet einstellen würde

Entleiher

Kann Arbeitsplätze vorübergehend be-setzen, vermeidet In-formationskosten bei der Personalauswahl und Risiken des Kün-digungs- und Befristungsrechts

Angemessene Vergütung

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Risikoverteilung (Dereg- Praxis)

Entlastet Entleiher von Formalitäten wie Entgeltzahlung und Steuer- und Beitragsabführung

Trägt das Risiko der Einsetzbarkeit

Kann Arbeitsplätze vorübergehend be-setzen, vermeidet In-formationskosten bei der Personalauswahl und Risiken des Kün-digungs- und Befristungsrechts

Angem. EntgeltVerleiher Entleiher

ArbN

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Ausweichstrategien

Arbeitsvertrag, oft kurz befristet

Dienstvertrag, Werkvertrag

Nut

zt d

ie

Arbe

itsk

raft

Firma 1 Firma 2

ArbN

Keine Erlaubnis, Keine Einhaltung der Schutzbestimmungen

Wenn Direk-tionsrecht: Illegale ArbN Überlassung

Große praktische Probleme Arbeitneh-merüberlassung von anderen Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes zu unterscheiden

z.B. BAG 6. 8. 2003 – 7 AZR 180/03: Nahverkehrsunternehmen aus B schließt einen Vertrag mit der privaten Gesell-schaft BT über den Einsatz von Personal in den Bussen von B und die Einhaltung des Fahrplans: Keine ArbN überlassung

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Folgen illegaler ArbNÜberlassung

Verleiher

Entleiher

ArbN

Arbeitsvertrag

§ 9 (1) AÜG

Unbefristeter Arbeitsvertrag

§ 10 AÜG

Arbeitnehmerüberlassungsvertrag

§ 9 (1) AÜG

Sozialversicherung, Steuerbehörde

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Gründe für einen neuen Ansatz

• arbeitsmarkt-politische Effekte Arbeitnehmerüberlassung

• Negative Effekte der Illegalisierung

• Soziale Ausgewogenheit soll anders als durch Repression erreicht werden

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Negative Effekte der Illegalisierung

• Umgehung durch Werk- und DienstV

• Kosten der Illegalisierung ? – Tragen i.d.R. die Beschäftigten

• Beschäftigte– Wenig kollektive Interessenvertretung– Selten Tarifbindung– Geringer Organisationsgrad

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Reform ArbNÜberlassung 2004 • Mehr Fälle legaler ArbNÜberlassung • Entgeltgleichheitsgebot (mit

Ausnahmen)• (PSA als gemeinnützige Leiharbeit –

kein Thema heute)Verleiher

Entleiher

Arbeitsvertrag

Unbefristeter Arbeitsvertrag

Arbeitnehmerüberlassungsvertrag

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Mehr legale ArbnÜ

• Legal– Unbegrenzte Überlassung– Befristeter ArbV mit Leiharbeitnehmer, auch bei

Synchronisierung ( TzBfG!)

• Illegal– Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis

(Ausnahmen)– Schlechtere wesentl. Bedingungen (Entgelt) ArbN im

Vergleich zu ArbN des Entleihers (Ausnahmen)

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Erlaubnisfreie ArbNüberlassung• Konzernintern, vorrübergehend• Zwischen Mitgliedern in einer Arbeitsge-

meinschaft, für die derselbe Tarifvertrag gilt– Ausnahmen für EU Arbeitgeber

• Zur Vermeidung von Entlassungen bis zu 12 Monate, ArbGeb mit < 50 Beschäftigten

• Im Bauhauptgewerbe, soweit Ent- und Verleiher vom selben allgemeinverbindl. Rahmen- und SozialkassenTV erfasst – Sonderregel für EU Firmen

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Ausnahmen Entgeltgleichheit

• ArbN war bisher arbeitslos und erhält in den ersten sechs Wochen weniger Entgelt als vergleichbare ArbN beim Entleiher, das das Arbeitslosengeld übersteigt

• Tarifvertrag sieht Ausnahmen vor– Tariffähigkeit beider Parteien muss gegeben sein– Str.: Grenzen der Absenkung von Entgelt

(potentiell richtlinienwidrig)

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Neues gesetzliches Leitbild AÜG

Verleiher

Entleiher

ArbeitsV, befri-stet, unbefri-stet, synchron oder asynchron

Arbeitnehmerüberlassungs-vertrag, beliebige Dauer

Direk

tion

srec

ht

Trägt wesentl. Arbeit-geberrisiko – d.h. all die Risiken die der Entleiher vermeidet

Kann dauerhaften oder vorübergehenden Perso-nalbedarf decken („out-sourcing Personalabt.“)

Leiharbeit wird reguläre Beschäftigung, mit längerer Dauer sowie tarifl. Absicherung

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AüG-Reform und InteressenVBetriebsrat beim Verleiher

Betriebsrat beim Entleiher

ArbN

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Betriebsrat beim Verleiher

Aktives und passives Wahlrecht (§ 14 Abs. 1 AüG, §§ 5,7 BetrVG)Alle Vertretungsrechte, z.B.

Beratungs- und Beschwerderecht (§§ 84, 85 BetrVG)T eilnahme an Betriebsversammlung

Sämtl. Allgem. AufgabenMBR, soweit Verleiher ArbG Funktion wahrnimmt: Ein- stellung, Entgelt, Arbeitszeit , Personalplanung, Fort-und Ausbildung (§§ 87, 89, 92, 95 BetrVG) ArbN „zählen“ für Größe BR (§ 9 BetrVG) sowie Freistellg (§ 38)

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Betriebsrat beim Entleiher

LeihArbN

Rechte §§ 84, 85 BetrVG)TN an BV und BeratgAktives Wahlrecht (§ 14 Abs. 2 AüG, § 7 Abs. 2 BetrVG)

ArbN

Allg, Aufgaben (§ 80) und MBR soweit Entleiher ArbG- Funktion wahrnimmt (§§ 87, 92, 95 BetrVG, § 14 Abs. 3 AüG i.V.m. § 99 BetrVG BAG 2003: LeihArbN „zählen“ nicht für Größe BR (§ 9 BetrVG)

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Betriebsrat beim Entleiher§ 99 BetrVG/ §

14 Abs. 3 AüG• Funktion des MBR

– Schutz der Interessen regulärer und Leiharbeitnehmer

• Informationsanspruch vor Einstellung Leiharbeitnehmer– Geplanter Einsatzbereich und -dauer– Ggf. Arbeitnehmerüberlassungsvertrag

(gewerbl.) oder anders bezeichneter Vertrag– Information an Leiharbeitnehmer über

Arbeitsbedingungen

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• § 99 BetrVG/§ 14 Abs. 3 AüG– § 99 Abs. 2 Nr. 4

• Konkurrenz Teilzeitkraft, befristet Beschäftigter des Entleihers/LeiharbN

• Konkurrenz bereits besch. LeihArbN/neuer LeiharbN

• Substituierende Leiharbeit?

– § 99 Abs. 2 Nr. 5• Verzicht auf Ausschreibung

– § 99 Abs. 2 Nr. 2• AuswahlRL

Betriebsrat beim Entleiher

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Insb: Entgeltgleichheit

• § 99 Abs. 2 Nr. 1– VerbotsG § § 9 Nr. 1, 3 I AÜG

• P: Rechtsfolge wäre unbefr. Vertrag mit Entleiher. Will man das vermeiden?

• §§ 95, 92a– Personalplanung, ggf. AuswahlRL mit Festlegung,

dass nur Verleiher beauftragt werden, die für die Einhaltung der Entgeltgleichheit Gewähr bieten

• GrundsatzP: – Sind die DGB Tarifverträge für LeiharbN

angemessen?

Betriebsrat beim Entleiher

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„Wählen ohne zählen“ ?• § 7 Abs. 2 BetrVG

– LeihArbN wählen mit beim Entlei-herBR sofern länger als 3 Monate überlassen

• § 9 BetrVG: – Wahlberechtigte/ beschäftigte ArbN maßgebend

• § 38 BetrVG – Arbeitnehmer maßgebend

• Unklarheit – Macht die Arbeitnehmerüberlassungsgesellschaft

weiter attraktiv...

Betriebsrat beim Entleiher

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BAG BAG 16.3. 2003 7 ABR 53/02

• Funktionale Auslegung des § 9 – Belegschaftsstärke spiegelt

Arbeitsaufwand– Leiharbeitnehmer verursachen weniger

Arbeitsaufwand als fest Beschäftigte

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Kritik

• Generell– Doppelte Betriebszugehörigkeit im betriebsverfR

Sinne wird (immer noch) nicht anerkannt– Hintergrund: Prekärer Charakter der Leiharbeit,

keine Interesseneinheit mit Stammbelegschaft

• Ab 1.1.2004– Neues Leitbild ArbNÜ führt zu neuem Typus

Leiharbeiter, der als „zweite Belegschaft“ voll in den Betrieb integriert ist

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Folgerung

• Funktionale Neubestimmung der Begriffe Betriebszugehörigkeit und Arbeitnehmer (§ 9, § 38 BetrVG)

• Keine Verminderung der Anzahl BR Mitglieder durch Gründung „Arbeit-nehmerüberlassungsgesellschaft“

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Hinweise• KOM (2002) 701 endg

– http://europa.eu.int/comm/employment_social/labour_law/docs/com2002_701_de.pdf

• Storrie: Temporary Agency Work in Europe– http://www.eurofound.eu.int/publications/EF0202.htm

• Grimm/Brock, Gleichbehandlungsgebot nach AüG und MBR des BR im Entleiherbetrieb, DB 2003, 1113

• Melms/Lipinski, Absenkung des Tarifniveaus durch Gründung von AÜG Gesellschaften, BB 2004, 2409

• BAG, 16.4.2003, 7 ABR 53/02 • Brors, Leiharbeiter wählen ohne zu zählen – eine

kurzlebige Entscheidung, NZA 2003, 1380