Post on 22-Mar-2016
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30 Weltwoche Nr. 35.12Bild: ABC TV (EPA, Keystone)
Das politische Sommertheater ist dieses Jahr ausgeblieben. Die Legislaturperiode ist noch jung. Das mediale Aufbäumen wegen eines neuen Skandals kommt aber bestimmt. Skandale und durch sie ausgelöste Empörungswellen sind schon fast zur ganz normalen Begleit erscheinung des politischen Prozesses geworden.
Abzockerwelle vertagt
Spätestens im März 2013, wenn die Minder Initiative zur Abstimmung kommt, die Unternehmen ihre Generalversammlungen ab halten und die SpitzenEntschädigungen publizieren, dürften die Wogen wieder höher gehen. Die an sich brisant hohen Gehälter, Abgangsentschädigungen oder Boni dienen gleichzeitig einer Stellvertreterdebatte für ein breitgefächertes Unbehagen gegenüber den Märkten. Aus Elite, Filz und Misswirt
schaftskritik wurde eine Gerechtigkeitsdiskussion und schliesslich ein FinanzmarktBashing. Löhne sind medientauglich: einfach verständlich, persönlich, emotionalisier und moralisierbar. Boni sind so zum kapitalistischen Grundübel schlechthin avanciert. Die Medien und das sensationshungrige Publikum profitieren davon, ebenso politische Akteure, denen breite Entrüstungskampagnen willkommene Profilierungsmöglichkeiten bieten.
Gute und weniger gute regulatorische Änderungen sind bereits aus diesem Sturm hervorgegangen. Weitere werden folgen, nicht nur, weil sich das Thema wie kaum ein anderes für die mediale und öffentliche Entrüstung eignet, sondern auch, weil die Wirtschaftsvertreter die Debatte falsch eingeschätzt und durch ihr arrogantes und ignorantes Reagieren zusätzlichen Zündstoff geliefert haben.
Die Politisierung der Lohnstruktur hat sich vom unteren Rand (Minimallohn) an den oberen verschoben und so den Boden für ziemlich extremistische Vorstösse vorbereitet.
Medien-Ereignisse wirken
Echte wie auch nur vermeintliche Skandale zeigen häufig Wirkung auf institutioneller Ebene, sei es im Fall der ZweiMilliardenBoni der UBS trotz staatlicher Unterstützung, der Devisengeschäfte des NationalbankPräsidenten, der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Eidgenössischen Steuerverwaltung oder der
Auswahlverfahren von Bundesratskandidaten (Zuppiger, SVP), Staatssekretären (Boutellier) oder Militärs (Nef). Aber auch tragische Umweltkatastrophen wie die von Fukushima oder der Deepwater Horizon werden gezielt skandalisiert und so für die Empörungsbewirtschaftung genutzt. Dramatisch zugespitzte öffentliche Empörungswellen können leicht überschwappen und Resultate bringen, die weit über den Kreis der involvierten Personen, Unternehmungen oder Branchen hinausgehen. Eine unreflektierte, übereilte Energiewende könnte zum Beispiel die gesamte Wirtschaft mit Wachstums und Wohlstandsverlusten eindecken. Analoges gilt für immer kompliziertere Vorschriften zur Corporate Governance und die daraus resultierende Standortverschlechterung .
Skandale sind ein wichtiges Mittel, um Missstände und Fehlverhalten aufzudecken. Sie tragen zur Klärung gesellschaftlicher Standpunkte bei und fordern Verantwortung ein. Unerwünschtes Verhalten wird sanktioniert, bestehende gesellschaftliche Normen werden ausgedeutscht, Spielregeln neu verhandelt. Skandale und die Reaktionen darauf sind, so gesehen, ein produktiver Treiber des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses.
Skandale haben mehrere Gesichter
Skandale haben jedoch nicht nur dieses positive Gesicht. Wenn die existierenden Regeln und Institutionen nicht in der Lage zu sein scheinen, mit dem Skandal umzugehen, so schafft dies Verunsicherung und führt zu einem Vertrauensverlust. Die Emotionalisie
Die Geschäfte mit der EmpörungSkandale sind in der Demokratie ein wichtiges Mittel, um Missstände und Fehlverhalten aufzudecken. Aber wenn im moralischen Aufruhr die Vernunft vergessen geht, können die Folgen gefährlich sein. Zum Beispiel für die Wirtschaft. Von Silvio Borner und Manuela Merki
Übertreibungen und Verzerrungen: Fukushima.
Die Politisierung der Lohnstruktur hat sich vom unteren Rand an den oberen verschoben.
31Weltwoche Nr. 35.12
rung macht die Diskussion anfällig für Übertreibungen und Verzerrungen. Die Psychologie hat seit längerem nachgewiesen, dass Gefühle wie Entrüstung, Wut oder Neid stärker wirken als bewusste Reflexion. Skandale können zudem eine starke Eigendynamik entwickeln und sogenannte Kaskadeneffekte auslösen.
Verärgerung, Misstrauen, falsche Eile und eine lückenhafte Informationsgrundlage sind jedoch schlechte Voraussetzungen für Verbesserungen von Institutionen oder Spielregeln. Empörungswellen sind daher leider nicht nur ein «netter» oder gar unterhaltsamer Korrekturmechanismus. Sie tragen in sich den Keim für Übertreibungen und Fehlreaktionen. Die neuen Regulierungen würden in manchen Fällen zwar tatsächlich frühere Fehlentwicklungen verhindern. Ihre kreativen Umgehungen führen häufig aber zu neuen.
Gefährliche Symbiose mit den Medien
Skandale haben aber noch ein drittes Gesicht, das besonders aus politökonomischer Optik interessant ist. Sie kompromittieren den Status quo und hebeln diesen quasi aus. Nichtstun ist politisch wenig attraktiv, wenn nicht gar tödlich – auch wenn es manchmal genau das Richtige wäre. Nichtstun scheint zu signalisieren, eine Wiederholung des Skandals – sei dies nun eine Kernschmelze oder ein Fehltritt
eines Notenbankers – in Kauf zu nehmen. Die politischen Akteure fühlen sich zum aktiven und häufig radikalen Handeln verpflichtet.
Die Verhandlungspositionen und die Kräfteverhältnisse werden so neu aufgemischt. Kernenergie, unternehmerische Freiheit oder Unabhängigkeit der Notenbank können auf einen Schlag ihre soliden Mehrheiten verlieren. Und wer es schafft, das Skandalthema dominant zu besetzen, kann im betroffenen Politikfeld Richtung und Intensität neuer Regulierungen wesentlich vorprägen. Dabei kann es sich durchaus lohnen, mit extremen Positionen weit über die eigenen Ziele hinauszuschiessen. Man bekommt nicht bloss hohe mediale Präsenz, sondern auch Spielraum für spätere Zugeständnisse, die einem nicht weh tun. So nach dem Motto: «Ihr dürft ja die AKW noch ein ganzes Weilchen weiter betreiben . . .»
Oder man kann die proklamierte absolute Lohnobergrenze gegen eine Relation zwi
schen Höchstund Tiefstlöhnen (etwa 1:12) eintauschen. Skandale schaffen also Gelegenheiten, die im Normalfall unvorstellbar wären. Beinahe wäre der AbzockerInitiative eine neue Steuer (Bonussteuer) als Alternative gegenübergestellt worden.
In einer direkten Demokratie mit vielen Vetospielern kommt dem Status quo ein besonderes Gewicht zu. Er ist besonders stabil, was es unter normalen Umständen schwierig macht, davon loszukommen. Umso beliebter wird deshalb das Reiten von Empörungswellen, die den Status quo überrollen. Kommt hinzu, dass die nötige öffentliche Aufmerksamkeit – für direkt gewählte Politiker ein kost bares Gut – garantiert ist. Im Rahmen unserer Analyse konnten wir zeigen, dass die Häufigkeit von Skandalen nicht nur mit der Qualität der Regulierungen und der Medienfreiheit zusammenhängt, sondern auch mit dem Demokratisierungsgrad.
Institutionelle Schutzmechanismen
Das Gute ist: Informationsfreiheit und wettbewerb sind zentrale Faktoren, um die Vorteile von Skandalen zu nutzen, jedoch Fehl und Überreaktionen möglichst zu vermeiden. Im schweizerischen politischen System existieren zudem verschiedene Mechanismen, die die Informationsverzerrung und die Gefahren der politischen Instrumentalisierung abschwä
chen: der Vernehmlassungsprozess in beiden Kammern etwa, das fakultative Referendum oder im Fall der Volksinitiative (Ventil für Populismus par excellence) auch die erst nachträgliche Ausformulierung des Gesetzes oder der direkte Gegenvorschlag. Auch die vielbeklagte Langsamkeit der Verfahren kann Empörungswogen glätten.
All dies hilft, In formationsverzerrungen zu korrigieren, konträre Interessen einzubinden, die Emotionen zu beruhigen und die aufgeregte Diskus sion auf eine sachliche Ebene zurückzu bringen. Dies gelingt leider längst nicht immer – und immer weniger. Wenn wichtige Gruppen sich aus der Diskussion heraushalten oder zu wenig Engagement zeigen, überschlägt sich die Woge der Entrüstung. Das Prinzip Hoffnung (häufig unter dem Titel «Vernunft der Stimmbürger») garantiert immer seltener ein ausgewogenes Schlussergebnis.
Die Langsamkeit der politischen Mühlen mag ab und zu ärgerlich sein. Sie ist aber ge rade bei medialen Empörungswellen heilsam. Wäre der GAU in Fukushima nicht vor dem Wahltermin geschehen, hätten sich Bundesrat und Parlament wohl auf den vernünftigen Marschhalt bei den Neubaugesuchen für AKW beschränkt. Die voreilige und opportunistische Verkündung des definitiven Ausstiegs aus der Kernenergie in einer fernen und ungewissen Zukunft zeigt bereits heute, wie gefährlich Schnellschüsse mit grosser Reichweite sein können. Trotz wachsender Skepsis wird es schwierig werden, wieder auf den Boden der Vernunft zurückzukrebsen.
Die Gesetzes vorlage zum Atomausstieg wird im September in Vernehmlassung gehen – angesichts ihrer langfristigen Bedeutung wohl immer noch zu früh. Im Falle der «Abzocker»Initiative werden zwischen dem Einreichen und der Abstimmung fast fünf Jahre verstrichen sein. Vielleicht hat es gerade deshalb so lange gedauert, weil sich die Emotionalität bei diesem Thema nie wirklich gelegt hat. Trotzdem hätte man diese lange Verhandlungsphase besser nutzen und die Initiative so als überflüssige Zwän gerei isolieren können.
Dass in letzter Zeit immer mehr extreme I nitiativen angenommen werden, lässt auf wachsende Funktionsstörungen in unserem politischen System schliessen. Im Direktver
gleich zwischen abzockenden Managern und sich selbst bedienenden Notenbankern kann man offenlassen, was (oder wer) mehr volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet hat. Die volkswirtschaftlichen Kosten der politischen Reaktionen sind im eher vertuschten als aufgebauschten SNBFall aber sicher deutlich geringer als bei einer Annahme der Minder Initiative. Im ungünstigen Fall übertreffen die volkswirtschaftlichen Kosten der politischen Antwort auf Skandale schnell diejenigen des ursprünglichen Problems.
Silvio Borner ist emeritierter Professor für Nationalökonomie und Direktor der «WWZ Summer School» an der Universität Basel sowie Weltwoche-Kolumnist.Manuela Merki hat im Rahmen ihrer Dissertation unter seiner Betreuung die Funktionsweise von Skandalen aus einer politökonomischen Perspektive untersucht: «Skandale – Eine ökonomische Betrachtung». Tectum Verlag, 2010
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