Wiederherstellung naturnaher und halbnatürlicher ... · Wiederherstellung naturnaher und...

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Wiederherstellung naturnaher und halbnatürlicher Ökosysteme - Konzepte und Methoden

Kathrin Kiehl

Vegetationsökologie und Botanik, Fakultät Agrarwissenschaften und LandschaftsarchitekturFakultät Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur

k.kiehl@hs-osnabrueck.de

Naturnahe und halbnatürliche Ökosysteme

Fotos: K. Kiehl. J. Pfadenhauer

Verwendung des Begriffs „Renaturierung“ in Deutschland seit ca. 1980

Aus: www.DNL-online.de

Begriff „Renaturierung“

im engeren Sinne:

• Erreichen eines naturnäheren Zustands (auch passiv durch freie Sukzession)

Im weiteren Sinne: „ecological restoration“

“...the process of assisting the recovery of an ecosystem that has been degraded, damaged,

d d ”or destroyed.”

Society for Ecological Restoration (SER 2004):Society for Ecological Restoration (SER 2004):http://www.ser.org/content/ecological_restoration_primer.asp)

Auswirkungen der Landnutzung im 17. Jahrhundert

Jan van Goyen, 1641

Intensivierung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert –isolierte Kalkmagerrasen im NSG „Garchinger Heide“isolierte Kalkmagerrasen im NSG „Garchinger Heide

Zerstörung von Landschaften durch Abbau von Rohstoffen

Foto: K. Kiehl

“There are some who can live without wild things, and h ”some who cannot.”

Aldo Leopold

19351935

http://www.aldoleopold.org/http://www.loc.gov/pictures/resource/ppmsc.00241/

Arbeiten zur Wiederherstellung eines Prärie-Ökosystems g yfür wissenschaftliche Zwecke

Wi i 1935Wisconsin 1935

Aus: Jordan III, Gilpin & Aber (1987)

Bradshaw & Chadwick (1980)

Zunehmender Bedarf an Renaturierungs-/Rekultivierungs-maßnahmen in England 1964 1974maßnahmen in England 1964-1974

Industriebrachen, Abbaustellen

Industriebrachen, Abbaustellen mit Handlungsbedarf

wiederhergestellt

Bradshaw & Chadwick 1980

Wiederherstellung von Ökosystemstrukturen und -funktionen

Ökosystemfunktionen (Produktivität, Nährstoff-kreisläufe) Rekultivierung) Rekultivierung

Renaturierung

natürliche Sukzession

Ökosystemstrukturen

Nach Bradshaw (2002), verändert

y(Arten und Komplexität)

Ecologists have put their efforts into reconstructing„Ecologists have put their efforts into reconstructingecosystems on paper“

(1987)

Renaturierungsökologie als experimentelle Ökologie auf Landschaftsebene

Fotos: U. Miller, D. Jeschke

Wiederherstellung von Ökosystemstrukturen durch Wiederansiedlung von Arten und BiozönosenWiederansiedlung von Arten und Biozönosen

Anderlik Wesinger (2002) Pfadenhauer & Kiehl (2003)

Röder & Kiehl (2008) Kiehl & Wagner (2006)

Fotos: K. Kiehl, U. Miller, D. Röder

Wiederherstellung von ÖkosystemfunktionenRegulationsfunktion: Biogeochemische Kreisläufe

KlimaW k i l fWasserkreislaufAufrechterhaltung des Lebens in der Biosphäre

Habitatfunktion: Habitate für Pflanzen, Tiere, MikroorganismenSchutz der Biologischen Vielfalt

Produktionsfunktion: Nahrungsmittel und Rohstoffe

Informationsfunktion: Wissenschaft und BildungÄsthetische InformationÄsthetische InformationErholung, Kultur, Kunst

(nach de Groot et al. 2002 und Harris et al. 2006)

Emission klimarelevanter Spurengase in Abhängigkeit von Wasserstand und Nutzung in MoorenWasserstand und Nutzung in Mooren

Drösler et al. (2011)

„Dynamisierung der Donauauen zwischen Neuburg und Ingolstadt“: Hochwassermanagement undund Ingolstadt : Hochwassermanagement und

Entwicklung auentypischer Lebensräume

Schwab et al. (2008)http://www.mondau.de

Ökosystemrenaturierungn

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stru

ktu

syst

emÖ

kos

nach Zerbe et al. (2009), verändert

Möglichkeiten der Ökosystemrenaturierung:

Ziel-Ökosystem

Renaturierung bestehender Ökosysteme

Neuanlage / Wiederherstellungzerstörter Ökosystemey y y

NaturnahesÖkosystem(Naturlandschaft)

Prozessschutz (passive Renaturierung): z.B. Nutzungsaufgabe,

Schaffung geeigneter Standortbedingungen (Relief, Hydrologie,(Naturlandschaft) Nutzungsaufgabe,

Wiedervernässung(Relief, Hydrologie, Bodeneigenschaften)

Halbnatürliches Ök t

Rodung/Entbuschung Wi d i füh

Schaffung geeigneter St d tb diÖkosystem

(historischeKulturlandschaft)

Wiedereinführung geeigneter Nutzung o. Pflege, Aushagerung, Wiedervernässung

Standortbedingungen (Relief, Hydrologie, Bodeneigenschaften), Nutzung / ManagementWiedervernässung Nutzung / Management

Neuartiges Ökosystem Nutzung von Pionier-(Standorte irreversibel verändert, z.B. urban-industrielle Landschaft)

_ standorten, weitgehendeErhaltung extremer Standortbedingungen, ggfs.M ß h i bMaßnahmen wie oben

Einbringen von Arten?

Durch Erdfall entstandener Heideweiher im NSG „Heiliges Meer“

Foto: K. Kiehl

Wiedereinführung der Schafbeweidung in verbrachten g gKalkmagerrasen des NSG „Mallertshofer Holz mit Heiden“

Foto: K. Kiehl

Kalkmagerrasen Stromtalwiesen FeuchtwiesenAnlage artenreicher Wiesen und Magerrasen durch Mahdgutübertragung

Hölzel & Otte 2003 Patzelt et al. 2001Pfadenhauer & Kiehl 2003

s. auch Kiehl et al. 2010 Fotos: K. Kiehl, U. Miller, N. Hölzel, J. Pfadenhauer

Möglichkeiten der Ökosystemrenaturierung:

Ziel-Ökosystem

Renaturierung bestehender Ökosysteme

Neuanlage / Wiederherstellungzerstörter Ökosystemey y y

NaturnahesÖkosystem(Naturlandschaft)

Prozessschutz (passive Renaturierung): z.B. Nutzungsaufgabe,

Schaffung geeigneter Standortbedingungen (Relief, Hydrologie,(Naturlandschaft)

Referenzzuständedefinierbar

Nutzungsaufgabe, Wiedervernässung

(Relief, Hydrologie, Bodeneigenschaften)

Halbnatürliches Rodung/Entbuschung Schaffung geeigneterHalbnatürliches Ökosystem (historischeKulturlandschaft)

Rodung/Entbuschung Wiedereinführung geeigneter Nutzung o. Pflege Aushagerung

Schaffung geeigneter Standortbedingungen (Relief, Hydrologie, Bodeneigenschaften)Kulturlandschaft)

Referenzzuständedefinierbar

Pflege, Aushagerung, Wiedervernässung

Bodeneigenschaften), Nutzung / Management

N ti Ök t N t Pi iNeuartiges Ökosystem (Standorte irreversibel verändert, z.B. urban-industrielle Landschaft)

_Nutzung von Pionier-standorten, weitgehendeErhaltung extremer Standortbedingungen ggfsindustrielle Landschaft),

kein Referenzsystem!Standortbedingungen, ggfs.Maßnahmen wie oben

Trockenrasen auf Bauwerksresten im h li Gl i l Mü h N biehemaligen Gleislager München-Neuaubing

Foto: K. Kiehl

Halde Porta im NSG „Dammer Bergsee“„ g

Foto: K. Kiehl

Einbringen lebensraumtypischer Arten• Nicht notwendig, wenn Zielarten in der Nähe

vorhanden sind und ihre Ausbreitung gesichert ist ( B i S l h ß W id l d h ft )(z.B. in Salzmarschen, großen Weidelandschaften)

• Notwendig wenn Habitate isoliert sind Zielarten• Notwendig, wenn Habitate isoliert sind, Zielarten fehlen und mangelnde Ausbreitung die Ansiedlung limitiert

• Artentransfer verbessert oftmals abiotische St d tb di ( B E i f ti k itStandortbedingungen (z.B. Erosionsfestigkeit, Schutzstellen für nachfolgende Arten)

• Richtung und Geschwindigkeit der Sukzession wird gelenkt (z.B. Ausbreitung von Neophyten gehemmt)

Kirmer & Tischew (2006), Kiehl et al. (2010)

V fü d Ei b i AVoraussetzungen für das Einbringen von Arten

• Arten kommen / kamen im Naturraum vor (historisch• Arten kommen / kamen im Naturraum vor (historisch belegt)

• Artenauswahl muss an Standortbedingungen angepasst sein (Ökotypen beachten)

• Verwendung gebietseigenen Saat- und Pflanzguts

Kirmer et al. 2012, Kiehl et al. 2010

Heute: Gesetzliche Grundlagen der Renaturierung

; der Schutz umfasst auch die Pflege die Entwicklung und

BNatschG (2009) § 1 Ziele des Naturschutzes

„...; der Schutz umfasst auch die Pflege, die Entwicklung und, soweit erforderlich, die Wiederherstellung von Natur und Landschaft (allgemeiner Grundsatz)“.

„...unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sind insbesondere durch Förderung natürlicher Sukzession, Renaturierung, g , g,naturnahe Gestaltung, Wiedernutzbarmachung oder Rekultivierungauszugleichen oder zu mindern.“

FFH-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992) Artikel 3„die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet [ ist zu] gewährleisten“

Artikel 3

natürlichen Verbreitungsgebiet [ ist zu] gewährleisten .

Erwartungen an die Renaturierungsökologie"Here is the means to end the great extinction spasm. The next century will, I believe, be the era of restoration in ecology“ E. O. Wilson, (1992)

Roberts et al. (2009), SCIENCE http://www.unep.org/pdf/RRAecosystems_screen.pdf

LiteraturAnderlik-Wesinger G. 2002: Spontane und gelenkte Vegetationsentwicklung auf Rainen – Untersuchungen zur Effizienz verschiedener Methoden der

Neuanlage Verlag Agarökologie 43: 1 164Neuanlage. Verlag Agarökologie 43: 1-164,Bradshaw A.D. & Chadwick M. J. 1980: The restoration of land: The ecology and restoration of derelict and degraded. Blackwell, Oxford.Bradshaw A.D. 1987: Restoration – an acid test for ecology. In Jordan III, W.R., Gilpin, M.E. & Aber I.D. (Hrsg.) 1987. Restoration Ecology: A Synthetic

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Cambridge University Press, Cambridge, pp. 3-9.De Groot, R. S., M. Wilson & Boumans R.M. J. 2002: A typology for the classification, description and valuation of ecosystem functions, goods and services.

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Eigenverlag Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein, Irdning, Österreich.Patzelt A., Wild U. & Pfadenhauer J. 2001: Restoration of wet fen meadows by topsoil removal: vegetation development and germination biology of fen

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Tuexenia 28: 21-132.Schwab A., Cyffka B., Stammel B., Haas F. & Kiehl K. 2008: Restoring river/floodplain interconnection to preserve riparian vegetation in the Danube

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Society for Ecological Restoration International Science & Policy Working Group (SER) 2004. The SER International Primer on Ecological Restoration. A i (h // / df/ i 3 df)Tucson, Arizona (http://www.ser.org/pdf/primer3.pdf).

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Mitteleuropa. Spektrum Akademischer Verlag, Berlin.