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Wenzel Storch

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Wenzel Storch

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© Ventil Verlag KG, Mainz, Mai 2009

Abdruck, auch in Auszügen, nur mit ausdrucklicher Erlaubnis des Verlages. Alle Rechte vorbehalten.

1. Auflage 2009

ISBN 978-3-931555-62-7Lektorat: Ingo Rüdiger Layout und Satz: Oliver Schmitt Druck: Gemi s.r.o., Prag

Ventil Verlag KG Augustinerstraße 18, 55116 Mainz www.ventil-verlag.de

Wenzel Storch

1961 geboren und in Hildesheim aufgewachsen. Mit Der Glanz dieser Tage, Sommer der Liebe und Die Reise ins Glück Regisseur, Produzent und Drehbuchautor der zweifelsfrei ungewöhnlichsten Filme Nachkriegsdeutschlands.

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INHALT

Meine Jahre mit Hans Moser 7Die Dampfwalze Gottes 11Römisch-katholische Bildergeschichten 29Das Maschinengewehr Gottes 34Das kommt mir langsam high 55Christian Andersrum 58Hanns Martin Schleyer 59Laß uns miteinander reden 61Gustchen Möller 84Old Wabbles Golgatha 85Nino de Wurstelo 97Zentaurensex in der Dampfsauna 113Astronautengeflüster 124Die Klapsmühle Ihres Vertrauens 1254 Kalenderblätter 129Rumpelstilz und Drosselbart 133Der Vertreter 163Schulmädchen-Report 8. Teil 164Frauen kommen langsam – aber gewaltig 165Oh Happy Day 169Arnos Bärenhösel 172Kalle Blomquist lebt gefährlich 181Aus der Puderzeit 182Ruckedigu, Ejakulat ist am Schuh 188Unser Fähnleinführer 216Pater S. und seine ausgeflippten Meßdiener 217Es waren einmal zwei Igel 223Topors Tierleben 253Ein Pfeil 265Pissen ist Macht 266Der neue Bischof 267

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Meine Jahre mit Hans Moser

O selige Kinderzeit, als dasHobby noch Steckenpferd,das Fahrrad noch Drahteselund das Auto noch Nuckel-pinne hieß. Und als nebendem Lichtschalter noch dasWeihwasserbecken hing.

Das Motto meines Vaterslautete: Wer sich nicht oft genug bückt, bricht eines Ta-ges entzwei. In dem klei nenReich, das er regierte, wurdenach der Schule flei ßig Rasengemäht, Geschirr abgetrock-net und Straße gefegt. Eswurde viel gebetet – zwischen 1965 und 1975 mögen es 15.000 Vaterunser und Gegrüßet Seist Du Marias gewesen sein – und allgemein tüchtig gefleht. Undzum Lachen ging man in den Keller.

Im Keller aber stand – Gott sei Dank – der Fernsehapparat. Halt, der Fernseherstand in der Stube. Die gute Stube mit dem Musikschrank und den wertvol-

len Ernst-Mosch- und Karl-Heinrich-Waggerl-Platten war montags bis freitags abgeschlos senund wurde am Wochenende feierlich geöffnet,wenn Heinz Schenk Zum blauen Bock lud,wenn der Komödienstadel seine Vorhänge hoboder Wastl Fanderl sein Bayerisches Bilder- undNotenbüchl aufschlug. Oder wenn, meist amSonntagnachmittag, Hans Moser auf der Matt-

scheibe erschien. Den fand mein Vater zum Schießen. Filme mit Hans Moser, dakonnte er sich reinsetzen. Schon »unter Hitler«.

Als das Fahrrad noch Drahtesel hieß ...

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Wann immer es, nach tüchtigem Flehen,erlaubt war, mitzugucken, guckte ich mit.Und so habe ich zwischen meinem 12. und18. Geburtstag wohl Hunderte von BlauenBöcken und Komödienstadeln gesehen undzwischendurch so manchen Hans-Moser-Film. Das behielt man auf dem Schulhofaber besser für sich. Denn Hans-Moser-Fil -me, die waren mit dem Rohrstock insze-niert, durch die wehte ein Hauch von Mot-tenkugeln und in denen wimmelte es vonKnicksen, Dienern und Backpfeifen. Unddoch war Hans Moser neben Beppo Bremund Henry Vahl eine der wenigen Licht -

gestalten in der dunklen Fernsehwelt meiner Eltern, in der so freundliche Herrschaften wieLouis de Funès, Insterburg & Co oder PaulchenPanther sich nicht ungestraft blicken lassendurften.

Und so kam es, daß ich mich Jahre späternoch einmal vor Hans Moser verneigen sollte.Die Verbeugung fand in Gestalt eines Comicsstatt, der – an langen Winterabenden zusam-mengekritzelt – als Hans Moser Sonderheft in denFachhandel kommen sollte,* um dem Publikumeinen anderen Hans Moser zu präsentierten.

Der andere Hans Moser ist in der Wiener Auto stop-Szene bekannt wie ein bunter Hund ...

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Im Reich der kurzen Lederhose: Der Autor in der guten Stube

Louis de Funès lädt zu einem LSD-Trip ein.

* Das Hans Moser Sonderheft wurde 1985 im Herbst-/Winterkatalog der Firma Pissende Kuh Kassetten, die außer bespielten Musik kassettenauch Zeitschriften wie Tam Tam oder Der Knilch im Angebot hatte, angekündigt, ist aber nie erschienen.

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… und nimmt auf seinem Feuerstuhl am liebstenAnhalterinnen mit.

Mit den Tramperinnenfährt er dann zumSchlachter und bestelltBockwürste für sich unddie Girls.

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Dann nimmt er die Puppen mit auf sein Zimmer, wo er ihnen das Lied von der »Reblaus« vorsingt.

Das Publikum lauscht andächtig ...

... und zu vorgerückter Stunde ...

... wollen dann alle ein Kind von dem »Dienstmann«.

Denn Hans Moser ist vor allem ein begnadeter Sänger, und nicht nur im Lied vonder Reblaus offenbart er ein inniges Verhältnis zum Rausch. Sein Wenn der Herrgottnet will hat mich 1986 sehr angenehm auf einem LSD-Trip begleitet, und Einmal inda Wochen fall i um ist mir bis heute ein gern befolgter Leitsatz. Und mal ehrlich:Kann man es schöner sagen als in Kleines Schwipserl?

Kleines SchwipserlBleib recht lang noch bei mir

Kleines SchwipserlDas wär wirklich lieb von Dir

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Die Dampfwalze GottesAbschied vom Speckpater

Es ist schwierig, richtig auf die Kanzel zu hauen.Oma Walton in John-Boys Sonntagspredigt

»Als Leser, dem die FAZ und die Bildzeitung genug sind und bei Gott mehr als das,glaubt man nicht, was es darüber hinaus noch gibt. Bis ein besorgter Mitmensch einem Mitteilung macht von den Veröffentlichungen eines Vereins, der sich Kirchein Not/Ostpriesterhilfe Deutschland e.V. nennt ...« So stand’s in Gremlizas Expreß(Konkret 1/2007).

Die Verblüffung war ganz meinerseits: Ostpriesterhilfe! Die Dampfwalze Got-tes! Der Speckpater! Mit einem Mal war alles wieder da. Auch die kleine Liste fielmir wieder ein, die ich vor Jahren mal – nur so, aus Scheiß – aus der Erinnerung zusammengekritzelt hatte. Die kleine Liste mit all den Wochen-, Monats- und Zwei-monatszeitschriften, die in den siebzigerJahren bei uns zu Hause gelesen wurden.Und die alle, wie ich erfreut feststellenkonnte, als ich die Liste wieder hervor-kramte und mir aus nostalgischen Grün-den ein paar Probehefte bestellen wollte,heute noch erscheinen.

Neben dem Echo der Liebe, dem Zen-tralorgan der Ostpriesterhilfe, waren das:Stadt Gottes (die Zeitschrift der SteylerMission), Der Weinberg (die Monatszeit-schrift der Hünfelder Oblaten), Missio Aktuell, das Bonifatiusblatt und natürlichdas Liboriusblatt, »die große Wochenzei-tung für die katholische Familie«. Nichtzu vergessen die knallbunten Pallottiner-Periodika Pallottis Werk und Das Zeichen.Wobei ich Das Zeichen, eine sakral-psyche-delische Zeitschrift, deren Chefredakteur Stadt Gottes, November 1933

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der als »Gitarrist Gottes« bekannte Pater Perne war, selbst jahrelang auf Befehl meiner Eltern in der Nachbarschaft austragen durfte. Hinzu kamen noch Weltbildund die Kiz, die »Kirchenzeitung für das Bistum Hildesheim«, sowie das Umsonst -magazin Die Sternsinger.

Mit all dem Quatsch bin ich groß gewor-den, auch wenn ich als Kind natürlich lieberPraline, Wochenend, Feigenblatt, Sexy, Schlüssel-loch oder die Sankt Pauli Nachrichten gelesenhätte. Als Zuflucht vor dem spirituellenOverkill blieb immerhin Petzi, die große weite Welt von Petzi, Pelle, Pingo und See-bär. Dort hatte man Ruhe vor den Karme -literinnen und Ursulinen und ihren Proble-men. Dort wurde nicht gefleht und gebetet.Dort wurden Pfannkuchen gegessen und Gulasch gekocht.

Und dort lebte das Bumstier, das heuteleider längst das Klopfschwein ist. (AproposKlopfschwein: Während allenthalben histo-risch-kritische Gesamtausgaben – demnächst

36 Bände Christoph Martin Wieland – wiePilze aus dem Boden schießen, läßt einesorgfältige »Petzi«-Edition noch immer aufsich warten.)

Oje. Fast hätte ich über Petzi Leucht-feuer Ministrant vergessen. Inzwischenwar ich dank einiger Kopfnüsse mei-nes Vaters längst Meßdiener und verbrachte einen Teil meiner kargenFreizeit – man mußte nach den Schul-arbeiten ja auch noch Laub harken,Obst pflücken oder Unkraut zupfen – am »Tisch des Herrn«. Leuchtfeuer Mini strantwar unsere Zeitschrift, ein dünnes vierfarbiges Heftchen, das zum Mitneh-men in der Sakristei auslag – so etwas wie das Happy Weekend der Ministranten -

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Sexy Extra, Sommer 1971

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szene. Hier lernte man Gleichgesinnte kennenund konnte sich zu religiösen Spielen verab -reden.

Hier erfuhren wir »Minis«, wie wir Mini -stranten von der Redaktionsleitung genanntwurden, das Neueste über ungewohnte Prakti-ken des Glaubens, frische Gebete und was sonstso los war im Meßdienermilieu. Dazu Rätselund Witze. In der Mitte gab es sogar ein kleines Po ster. Hier waren nicht etwa Brian Conolly

von Sweet oder Noddy Holdervon Slade zu finden, sondernSchnappschüsse von Usambara-veilchen, Eichkätzchen und Kru-zifixen im Gegenlicht: Motive,

die sich im Kinderzimmer über dem Weihwasserbecken prima machten.Was ist schon Suzi Quatro gegen die Muttergottes, mochten sich die Redakteure

gedacht haben, und so gab es immer wieder üppige Fotostrecken, auf denen die»Mugo«, wie wir die Muttergottes heimlich nannten, zu sehen war. Die Mugo warmeist aus Holz, nicht selten auch mund- und fußgemalt. In puncto Verlockung allerdings kein Ver-gleich zu den Jungfrau-en und Madonnen,die einen aus demQuelle- und Necker-mann-Katalog anlach-ten.

»Mißbrauch aktuell«: Das Meßdiener-Fachblatt

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Daß uns die Pallottiner-Blätter Das Zeichen undPallottis Werk regelmäßig ins Haus flatterten, hatte mit meinem Onkel zu tun. Onkel Josephwar »Glaubensbote im Heidenlande«, Missio-nar bei den Pallottinern in Kamerun. Wenn ervon dem schwarzen Kontinent zu Besuch kam,hatte er einen Sack voll Fachliteratur dabei, vor-nehmlich Räuberpistolen aus der Mission. SeinLieblingsautor war Hermann Skolaster, in des-sen Grundlagenwerk Die Pallottiner in Kamerunich erstmals, auf Seite 248 f., die »Handschrifteines Negerbriefes (2/3 natürl. Größe)« zu Ge-sicht bekam.

Skolasters Kriminal-und Abenteuerromane, imStubenschrank pittoreskneben einem ebenfallsvon Onkel Joseph mitge-brachten Straußenei pla-ziert, habe ich als frischge-backener Oberschüler ver-schlungen: Im deutschenUrwald, Im Banne der Ngil,Der bucklige Detektiv. OderSchwester Beata, der Romanüber eine Kunstrei terin,die der Zirkuswelt den Rücken kehrt und um Auf-nahme ins Kloster bittet.Hier war nicht nur »vomKamerunneger und denFreuden und Leiden sei-ner Bekehrung« zu lesen,hier wurde auch packendeKriminalhandlung gebo-ten. Tolle Schmöker, dieman laut Verlagswerbung»auch der reiferen Jugendgerne in die Hand geben«durfte.

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Der Stimmbruch nahte, und in meinem Oberstüb-chen gaben sich, anstelle von Petzi, Pelle, Pingo undSeebär, Figuren wie Klekih-petra, Kolma Puschi undSchahko Matto die Klin-ke in die Hand. Parallelzur exzessiven Karl-May-Lektüre stürzte ich michnun kopfüber in die Welt

der katholischen Abenteu-erliteratur: Mord auf demPfarrfest, S-O-S Wir landen

im Kloster – was immer mir in die Finger geriet, wurdevom ersten bis zum letzten Buchstaben verschlungen.

In Büchern wie Als Ministrant zu Wasser und zu Landoder Der fliegende Pater in Afrika erfuhr man Wissens-wertes aus aller Welt, etwa über das Meßdienerwesen

jenseits des Äquators. Pater Gypkens verrät in Fahrt am Äquator, der afrikanischeMeßbub (»Er kann nun einmal R und L nicht unterscheiden«) habe alle Händevoll zu tun, »Spinnen und anderes kriechendes Getier von der Hostie fernzuhal-ten«. Und wie wunderbar leise er imAuftreten sei, »weil die schwarzenSchuhe, die Gott ihm selbst über dieflinken Füße gestülpt hat, genau sitzen. Seine schwarze Haut, wennfrisch gewaschen, steht ihm primazum roten und grünen Röckel.«

Geheimnisvolles Afrika! Aberauch in der Eismission war was los. InDer fliegende Pater bei den Eskimosdrehte sich alles »um ewiges Eis undewige Liebe«. »Der bekannte Obla-tenpater«, las ich in einer Verlagsan-kündigung, »weiß aber auch packendzu erzählen, etwa von dem Teufel imBenzintank, der Hundeschlacht amPolarkreis, der Feuersbrunst im ewi-gen Eis ...«

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Abenteuer über Abenteuer! Was für eineKindheit. Und dann nahte auch schon der Tag,als mir zum ersten Mal der Speckpater überden Weg lief. In Form eines leuchtend rotenBüchleins, das alsbald auf nahezu jedem ka-tholischen Nachtkästlein lag. Das rote Buchaus dem Paulus-Verlag – es war auf einmalüberall.

Auf dem Titelbild posiert ein Ordensmannmit einem Ferkel im Arm. Wem dabei dasSchmähwort »Schweinepriester« einfällt, istschief gewickelt. Der Speckpater ist mehr alsein Seelsorger mit einer absonderlichen Grille.Er ist der Strippenzieher einer Kampforgani-sation, die auf mindestens drei Kontinentendie römisch-katholischen Puppen tanzen läßt.Beziehungsweise tanzen ließ – denn wie es sichheute mit seiner Ostpriesterhilfe verhält, dazuspäter mehr.

Wer wissen will, wie der Pater zu seinem Namen kam, der wird in diesem wun-derbaren Buch fündig. Ein ganzes Kapitel erzählt von »der großen Speckschlachtvon 1948« und von den »vielen tiefgründigen Gesprächen in Kuh- und Schweine-ställen« (»›Ich möchte gern den Speckpater sprechen.‹ – ›Der ist im Schweinestall.‹– ›Aber ich kenne ihn nicht.‹ – ›Er hat ein Birett auf.‹«). Übrigens führt der Speck-pater noch einen anderen Namen oder besserTitel, der fast noch schöner klingt: die »Dampf-walze Gottes«, und die Predigtsammlung WoGott weint – ein Brevier voller Episteln wie Blut-roter Äquator, Heilige Illegalität und Die Schlam-menschen von Bukavu – kennt sogar noch einedritte Titulatur: der »Bulldozer Gottes«. Nichtzu verwechseln mit dem »MaschinengewehrGottes«, dem Kampfnamen des in den Wirt-schaftswunderjahren vor allem in der Hambur-ger Nuttenmission tätigen Pater Leppich, dersich vorzüglich auf der Reeperbahn tummelteund den schönen Wahlspruch »Christsein ist Gnade, Gnade ist Adel, Adel verpflichtet« prägte.

Während der Klappentext den Speckpaterin Kinderbuchmanier zum »Till Eulenspiegelin weißer Kutte« verniedlicht, preist der Erz -

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bischof Josef Kardinal Frings ihn im Geleitwort, gegeben zu Köln »am Fest des hl. Franz von Assisi 1961«, mit klingendem Spiel, mit Pauken und Trompeten: »Ich nannte ihn einmal einen modernen Dschingis-Khan; denn wo er gewirkt habe,sei alles radikal abgeerntet«. Und diese Töne treffen’s wohl eher. Also Vorhang auffür den Speckpater und sein Bataillon der Liebe!

Die Vögel zwitschern und die Schmetter-linge flattern. Herzlich willkommen in Flan-dern, in der Prämonstratenserabtei von Ton-gerlo. Wir schreiben das Jahr 1947. Hier wirdvon morgens bis abends tüchtig gefleht, dennjenseits der Grenze sind »Kinder desselbenhimmlischen Vaters« in Bedrängnis geraten.

Ein paar hundert Kilometer weiter. »Dasverzweifelte Seufzen und Schluchzen der Ent-wurzelten« dringt aus den Hochbunkern.»Überall, wo die Kirchen als Staub hinweg-gefegt waren, hatten diese Monstren stand-

gehalten«, die nun »Hunderttausende jener Millionen, die kraft des Potsdamer Abkommens in die Verbannung gehen mußten«, verschlangen. Die Vertriebenenkamen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesienoder dem Sudetenlande, und »der Gott derVerwüstung« hatte sie »als Teufelsfutter indie Bunkermäuler« geworfen.

Man sieht, der Speckpater liebt blumigeBilder. Hereinspaziert also in die Bunker vonFrankfurt am Main. Und keine Angst, der Pa-ter nimmt uns bei der Hand: »Tritt ein in die-se Mordhöhle, in diese schwarze Bestie mitden weißgekalkten Eingeweiden. Dring vorbis in die tiefsten Bauchhöhlen voll grauerMenschenbrocken. Ein reißendes Tier. VonRaum zu Raum, von Stockwerk zu Stockwerk,aufwärts und hinab, überall sind die giftigenDrüsen des Ungeheuers in Funktion. Überallspürst du den Verdauungsprozeß, überallriechst du Verwesung, überall siehst du dieVerzweiflung der Wehrlosen, die lebendigverschlungen, ausgesogen, leergepreßt wer-den, bis sie aufgelöst sind in einen namen -losen tierischen Menschenbrei.« Hier ist man»einquartiert beim Teufel«. Dem Speckpaterbegegnen bei seiner Besichtigung »ringsum

Frühling in Flandern

Der Speckpater (Bleistift zeichnung vonWenzel Storch, Winter 1985)

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geile Augen, schamlose Gesten, zweideutige Reden, liederliches Lachen«, und unablässig lockt »der Ruf des wilden und gereizten Blutes«.

Also nichts wie heim nach Tongerlo und gefleht. Zunächst gilt es, »den Haß gegen die Deutschen zu überwinden und die Liebe wiederherzustellen«. Flammen-de Artikel für die Abteizeitschrift werden verfaßt: Besonders »unsere Mütter undFrauen, die unaussprechlich schwer unter dem deutschen Unrecht gelitten haben

und täglich mit müdegeweinten Augen die Bilder ihrer teuersten Lieblinge betrachten«, sollen dazubewegt werden, sich »mit mütterlicher Liebe überdas deutsche Leid zu neigen«.

Zwar: »Ein durch jahrelangen Aufenthalt imKonzentrationslager aus dem Gleichgewicht gera -tener Priester macht mir in Brüssel vor aller Öffent-lichkeit die heftigsten Vorwürfe«, wie der Speck -pater später verstimmt vermerkt, aber Meckerergibt’s immer, und auch dieser Miesepeter kann dieLawine nicht aufhalten: »In Vinkt, wo 1940 fünfund-achtzig Männer und Jungen von den einmarschie-renden Deutschen niedergemetzelt worden waren,

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Im Bunker (Filz-stiftzeichnung vonWenzel Storch)

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vergalt man das angetane Böse mit Händen vollGüte. Wogen der Barmherzigkeit und Liebe gin-gen durch das flämische Land und überspültenalsbald auch die Niederlande.« Der Speckpaterist baff, immerhin spielt das Geschilderte »wäh-rend der antideutschen Furie der ersten Nach-kriegsjahre«. Unaufhörlich läutet »die Alarmglo-cke in Tongerlo« und die frisch gegründete Ost-priesterhilfe ertrinkt in Spenden aus Belgien undHolland. Und kann schon bald »mit fliegendenKolonnen voller Trost und Liebe ostwärts zie-hen«. Und dies ist nur der Beginn einer beispiel-losen Erfolgsgeschichte.

»Die Frontlinie des Gottesreiches läuft querdurch Deutschland. Wenn die Kirche dort über

den Haufen geworfen wird, ist die Springflutder totalen geistlichen Vernichtung nicht mehraufzuhalten.« Die Ostpriesterhilfe ist kaumein Jahr alt, da wird auf der Festung Königsteinim Taunus bereits »ein Bataillon gedrillt«,denn die malerisch gelegene Burg soll »einAusfalltor zum Reich der Finsternis« werden.»In einer alten Kaserne formte Gott da seineHeldenpriester«, heißt es erinnerungsselig ineiner Bildunterschrift, »Theologen in Uni-form«, bereit zum »Apostolat unter den Ver-jagten«.

Eine Armada von sogenannten »Rucksack-priestern« macht sich auf den schweren Wegin die westdeutsche Diaspora, umherstreunen-de Seelsorger mit Meßkelch und Klappaltar,unterwegs zu den übervölkerten Nissen -hütten, »die wie Geschwüre und Pestbeulen

überall aus der geschundenen Haut der Erde herausbrechen« und prallgefüllt sindmit Heimatvertriebenen jeglicher Couleur. Ständig auf Achse, always on the road, am Horizont immer wieder »das graue Skelett toter Städte« und die Furunkelnverwahrloster Nissensiedlungen. Da freut man sich vermutlich, wenn man zur Ab-wechslung an einem katholischen Mädchenpensionat vorbeikommt und ein wenigRast halten darf.

Dann erwarten den Rucksackpriester »strahlende Gesichter und frische Schür-zen, die von Stärke und gutem Willen knistern«. Man tankt auf, und es kann weitergehn.

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Rucksackpriester in seiner Notkapelle

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Anfang der fünfziger Jahredirigiert der Speckpater nichtnur Armeen von Rucksack-priestern, die nicht selten dasAllerheiligste in einer schä -bigen Zigarrenkiste bewahren,er ist auch – der Spendenwutsei Dank – Herr über einenkleinen Fuhrpark, voll mit»fahrenden Kirchen«, wie erseine mit Altären und allem liturgischen Schnickschnackausgestatteten »Opel-Blitz-Ka -pellenwagen« nennt: Wunder-

autos, die fast schon an Bruce Waynes Batmobil erinnern (wie ja überhaupt dieSchnurren des Speckpaters, mich zumindest, an einen anderen Klassiker religiöserBekenntnisliteratur erinnern: an Bommi Baumanns Wie alles anfing).

Die Kapellenautos werden auf wunderliche Namen wie Herr-Jesus-Wagen, Ma-donna-Wagen, Bonifatius-Wagen, Hirten-Wagen oder Veronika-Wagen getauft, undschon kann die »Kolonne Gottes jubelnd zu den Feldern der geist -lichen Eroberung« ausrücken, durchStaub und Schlamm vorstoßen »zurFront der Weltkirche, wohin die Bischöfe vieler Diözesen sie zu Hilfegerufen haben«.

Schon bald donnert sie durchdie westdeutschen Bundesländer,am Steuerknüppel Haudegen wieKanonikus Dubois, einer von überhundert »Soldaten Gottes« mitLKW-Führerschein. Eine »Brigadeder Nächstenliebe« knattert, »vollapostolischen Feuers«, kreuz undquer durchs Land. Doch im Gegen-satz zu Batman kommen »GottesZigeuner« oft zu spät: So haben sie im Jahre 1953 auf ihren Reisen durch die Dias-pora allein »mehr als achttausend Mischehen« vorfinden müssen, konnten aberauch »fast 250 Tonnen Liebesgaben« verteilen (Mischehe bedeutete 1953: katho-lisch-evangelisch überkreuz. Was Liebesgabe bedeutete, ist strittig.)

Ein Geheimgespräch mit einem Sowjetgeneral (»Wir diskutierten stundenlang.Als er sich verabschiedete, sagte er: ›Wir sind die Elite Satans, aber ihr, seid ihr die

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Der Speckpater bei einer Einsatzbesprechung

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