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Münchner Merkur Nr. 66 | Montag, 19. März 2012 Medizin im Netz: www.merkur-online.de/gesundheit Redaktion Medizin: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 19 Leben will halt niemandem Arbeit schaffen“, sagt sie. Als Rechts- händerin sei sie mit der Lin- ken zudem arg ungeschickt. Doch um den Gewebe- strang zu entfernen war bisher immer eine Operation nötig. „Ich hätte wochenlang nichts mehr arbeiten können“, sagt Hager. Doch in der Münchner Uniklinik erfährt sie von einer neue Methode: Seit knapp ei- nem Jahr ist ein neues Mittel auf dem Markt, das den har- ten Strang auflösen kann – und das ganz ohne Operation. Der Wirkstoff ist ein Enzym, das Kollagen abbauen kann. Geeignet ist er für Patienten, bei denen nur ein Finger be- handelt werden soll. Giunta hat bereits 50 Pa- tienten mit dem neuen Mittel behandelt. Dazu spritzt er das Medikament an verschiede- nen Stellen in den harten Strang, ganz vorsichtig. Denn die sogenannte Kollagenase wirkt auch an den Sehnen. Gelangt das Mittel dorthin, können diese beschädigt wer- den – und reißen. Passiert das, sind aufwändige Operationen nötig. Deswegen sollte den Eingriff nur ein erfahrener Handchirurg vornehmen, auch wenn es sich nur um eine Spritze handelt. „Bei uns ist noch nie eine Sehne beschä- digt worden“, sagt Giunta. Häufig kommt es indes zu blauen Flecken. Auch die Haut kann etwas reißen. Dann nämlich, wenn der Kol- lagenstrang fest mit der Ober- haut verwachsen ist. Reißt der Strang, reißt manchmal auch die Haut. Doch verheilt das in der Regel rasch. Ob das neue Mittel gewirkt hat, zeigt sich einen Tag nach der Spritze. Barbara Hager ist erneut in der Klinik. Heute er- hält sie für ihre Hand eine ört- liche Betäubung. Sie spürt da- her nicht, wie Giunta den Ge- webestrang durchtrennt. Das geschieht durch ein gezieltes Strecken der Hand. Der Chi- rurg drückt den gekrümmten Finger zum Handrücken hin, der aufgeweichte Gewebe- strang gibt nach. Es tut einen Knacks – der Strang ist geris- sen. Barbara Hager hat Glück: Die Haut ist heil geblieben. Sofort kann sie den Finger vollständig ausstrecken. Sie bekommt eine Schiene, die die Finger in der Nacht ge- streckt hält. Barbara Hager kann hof- fen, dass die Krankheit nicht zurückkehrt. „Ich bin wie ein alter Volkswagen“, sagt die Rentnerin und lacht. „Auch wenn es öfter eine Reparatur braucht: Laufen tut er noch.“ ger dann ein dicker Knoten. Der störte sie. Ein Orthopäde riet zu Spritzen. Doch die soll- ten 300 Euro kosten. „Wahr- scheinlich Kortison“, vermu- tet Giunta. Belege, dass das Mittel bei Morbus Dupuytren wirkt, gebe es nicht. „Dann hat mich mein Bauchgefühl ja gut beraten“, sagt Hager. Sie entschied sich gegen die Be- handlung. Doch die Probleme wurden schlimmer. Eines Tages wollte die Rentnerin etwas aus der die Betroffenen zwar meist nicht. Doch sind die betroffe- nen Finger dauerhaft zur Handfläche hin gebeugt. Man spricht auch von der Dupuyt- ren’schen Kontraktur. Die Ursachen sind nicht be- kannt. Fest steht aber, dass oft mehrere Mitglieder einer Fa- milie betroffen sind. Zudem ist die Erkrankung in südli- chen Ländern seltener als in nördlichen. Gefährlich ist das Leiden nicht, doch im Alltag durchaus lästig. „Das beginnt Das Leiden ist häufig, doch kaum bekannt. Bei Morbus Dupuytren bilden sich harte Gewe- bestränge in der Handflä- che. In der Folge ver- krümmen sich oft Finger. Ein neues Mittel kann ei- nigen Betroffenen eine Operation ersparen. VON SONJA GIBIS Barbara Hager, 84, schließt die Augen, während Schwes- ter Senada ihre linke Hand drückt. Die Rechte liegt in der von Prof. Riccardo Giunta, Leiter der Handchirurgie, Plastischen und Ästhetischen Chirurgie der Ludwig-Maxi- milians-Universität Mün- chen. Er sticht eine Spritze in die Handfläche der Rentne- rin, wischt ein paar Bluttröpf- chen weg. „War’s schlimm?“, will Schwester Senada wis- sen. „Ach was“, sagt die Rent- nerin. Damals, als ihr Ärzte Spritzen in die schmerzende Schulter setzten – das hätte viel weher getan. „Und das Schlimmste haben sie auch schon hinter sich“, sagt Giun- ta – und legt einen Verband an. Der soll die Hand bis mor- gen schützen. Dann folgt der zweite Teil der Behandlung. In der Spritze steckt ein neues Mittel gegen eine alte Krankheit. Schon die Wikin- ger sollen darüber geklagt ha- ben. „Man spricht auch von der Wikinger-Krankheit“, sagt Giunta. Heute leiden in Deutschland etwa ein bis zwei Millionen Menschen daran. Dennoch haben die meisten noch nie davon gehört. Schuld mag der schwierige Name sein. Denn wie Alzhei- mer und Parkinson trägt die Krankheit den Namen des Arztes, der sie als Erster be- schrieben hat: der Franzose Guillaume Dupuytren. Doch deutsche Zungen tun sich schwer mit „Morbus Dupuyt- ren“. Die Krankheit verläuft stets schleichend. Auch bei Barba- ra Hager ist es fast 20 Jahre her, dass sie in ihrer Handflä- che Knötchen spürte. Unter der Haut bildete sich mit den Jahren ein fester Strang. „Er besteht aus Kollagen“, erklärt Giunta. Das Gewebe zieht oft einen oder mehrere Finger langsam immer stärker zur Handinnenfläche hin. „Viele Patienten denken, es sei eine Sehnenverkürzung“, sagt Gi- unta. Doch die Sehne ist nicht beteiligt. Schmerzen hätten Neue Spritze gegen die Wikinger-Krankheit MEINE SPRECHSTUNDE .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Küchenschublade holen. Da- rin lag auch ein Hobel. Ein Moment – und es war passiert: Hager schnitt sich die Finger- kuppe ab. Da war klar: „Jetzt muss ich was unternehmen.“ Doch hatte die Rentnerin Angst. Auch ihr Mann hatte vor vielen Jahren ähnliche Probleme, ließ sich operieren. „Die haben ihm die ganze Hand aufgeschnitten“, erzählt sie. Doch Barbara Hager lebt heute allein. Eine Hilfe im Haushalt hat sie nicht. „Ich beim Händeschütteln“, sagt Giunta. Auch in die Hosenta- sche kann man mit den ge- krümmten Fingern kaum mehr fassen. Beim Griff in die Handtasche bleiben Finger hängen. Im Winter passen ge- rade mal noch Fäustlinge. Bei Barbara Hager krümm- te sich der Ringfinger immer mehr nach innen. Auch sie hatte Probleme fest zuzugrei- fen. Immer öfter ließ sie etwas fallen. Vor ein paar Jahren bil- dete sich unter ihrem Ringfin- Prof. Riccardo Giunta spritzt Barbara Hager das neue Mittel zur Behandlung von Morbus Dupuytren. FOTOS: KURZENDÖRFER (2)/UNI mal kommt es zu Wundhei- lungsstörungen, die die voll- ständige Abheilung verzö- gern. Zurück bleibt eine zick- zack-förmige Narbe. Geheilt sind Patienten aber auch nach der OP nicht. Das feste Gewebe bildet sich nicht selten erneut – und führt bei jedem Fünften wieder zu Be- schwerden. „Morbus Dupuyt- ren ist eine chronische Er- krankung“, sagt Giunta. Eine Alternative ist die Na- delfasziotomie. Mit Nadelsti- chen wird der harte Strang an verschiedenen Stellen durch- stochen und so geschwächt. Die Hand wird gestreckt – der Strang reißt. Das krankhafte Gewebe bleibt zwar in der Handfläche. Doch kann die Krümmung der Finger oft deutlich gemildert werden. Der Vorteil: Wenige Tage nach dem Eingriff kann man die Hand wieder benutzen. Im Vergleich zur Operation kommt es aber in den folgen- den Jahren deutlich öfter er- neut zu Beschwerden. Zur Behandlung von Mor- bus Dupuytren wird auch Be- strahlung eingesetzt. Laut Gi- die Handinnenfläche aufge- schnitten und der Bindege- websstrang vollständig ent- fernt. „Moderne Lupenbrillen machen es möglich, Gefäße und Nerven optimal zu scho- nen“, sagt Prof. Riccardo Gi- unta, Leiter der Handchirur- gie, Plastischen Chirurgie und aus Bindegewebe vernarben – es bildet sich überschüssiges Narbengewebe. Fühlt sich der Patient stark beeinträchtigt, raten Medizi- ner zur Operation. Dies ist in der Regel der Fall, wenn sich Finger weiter als 30 Grad krümmen. Bei der OP wird VON SONJA GIBIS Mit den Fingern können wir feine Bewegungen ausführen. Die Handfläche benützen wir indes vor allem, um fest zuzu- packen. Um beide Aufgaben erfüllen zu können, sitzt in der Handfläche eine Platte aus Bindegewebe, die viel fes- ter ist als an anderen Stellen des Körpers. Die Schicht schützt Gefäße und Nerven. Denn sie sind sehr sensibel und wichtig für Gefühl und Feinmotorik der Finger. Bei Morbus Dupuytren ver- ändert sich diese Bindege- websschicht. In der Handflä- che bildet sich eine Art gutar- tiger Tumor. Der Betroffene bemerkt zuerst tastbare Knöt- chen. Mit der Zeit bildet sich dann oft ein harter Strang. Hartes Bindegewebe kann sich auch an der Fußsohle bil- den. Die Erkrankung heißt Morbus Ledderhose, benannt nach dem deutschen Chirur- gen Georg Ledderhose. Morbus Dupuytren führt nicht selten dazu, dass sich ei- ner oder mehrere Finger im- mer stärker zur Handfläche Operation oder Nadelstiche? Hilfe bei Morbus Dupuytren unta verhindert diese eher ein Fortschreiten der Erkran- kung, als dass die Beugekon- traktur dadurch beseitigt wer- den würde. Anders bei einer weiteren Alternative, die seit Mai ver- gangenen Jahres angewandt werden kann: In den Strang wird ein Enzym, eine soge- nannte Kollagenase gespritzt. Diese zersetzt das Bindege- webe, sodass der Strang in örtlicher Betäubung leicht unterbrochen werden kann. Erste Beobachtungen weisen darauf hin, dass die Ergebnis- se etwa so gut sind wie nach einer OP. Ob dies auch auf lange Sicht zutrifft, ist aller- dings noch unklar. Die Kos- ten für das neue Medikament werden derzeit von allen Kas- sen übernommen. Leider nicht die für die ärztliche Leistung. Bei gesetzlich Ver- sicherten sollte dies vorab ge- klärt werden. Übernimmt die Kasse die Kosten von 200 Eu- ro nicht, muss der Patient die- se selbst tragen. Leserfragen an Prof Giunta: [email protected] Ästhetischen Chirurgie der Ludwig-Maximilians-Univer- sität München. Die Patienten müssen ein bis zwei Tage im Krankenhaus bleiben. Außer- dem dauert es manchmal eini- ge Wochen, bis der Patient mit seiner Hand wieder nor- mal zupacken kann. Manch- hin krümmen. Der Strang zieht sie quasi nach innen. Oft betrifft diese Beugung das unterste Gelenk des Fingers, das Grundgelenk, manchmal aber auch das Mittelgelenk. Bei fast Zweidrittel der Pa- tienten krümmt sich der Ring- finger, bei etwa jedem zwei- ten der kleine Finger. Auch Daumen, Mittel- oder Zeige- finger sind betroffen, doch viel seltener. Bei etwa 45 Pro- zent der Patienten sind beide Hände betroffen. Etwa 85 Prozent sind Männer. Bei ih- nen tritt die Krankheit zudem oft früher auf als bei Frauen, beginnt meist zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr. Die Ursache von Morbus Dupuytren ist unbekannt. Ei- ne Rolle spielt offenbar eine Veranlagung. Auch wer raucht, zuckerkrank ist oder schwer körperlich arbeitet, hat ein höheres Risiko zu er- kranken. Oft betroffen sind etwa Kletterer, deren Hände große Belastungen aushalten müssen. Vermutet wird, dass kleine Verletzungen die Krankheit begünstigen. Diese lassen in der Hand die Platte Nachher: Einen Tag nach dem Einspritzen des Enzyms wird die Hand gestreckt. Der Finger ist sofort gerade. Vorher: Ein Strang aus festem Bindegewebe führt dazu, dass der Ringfinger zur Handfläche hin gebeugt ist. Bei Morbus Dupuytren bilden sich in der Handfläche feste Stränge aus Bindegewebe. Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig medi- zinische Aufklärung ist. Mei- ne Kollegen und ich(www.fa- cebook.de/UrologieLMU) möchten den Merkur-Lesern daher jeden Montag ein The- ma vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite steht Morbus Dupuyt- ren. Der Experte des Beitrags ist Prof. Dr. Riccardo Giun- ta. Er ist Chefarzt für Hand- chirurgie, Plastische und Äs- thetische Chirurgie am Klini- kum der Ludwig-Maximili- ans-Universität München, Campus Innenstadt und Großhadern. Er stellt eine neue Methode zur Behand- lung der Handkrankheit vor. Internet: www.handchirur- gie-münchen.com Prof. Dr. Christian Stief Der Name Kollagen kommt aus dem Griechischen. Übersetzt be- deutet er so viel wie „Leim er- zeugend“. Denn früher kochte man das Eiweiß aus Knochen aus und nütze es zum Kleben vor al- lem von Holz. Kollagen wird zu- dem benützt, um daraus Gelati- ne herzustellen. In der Pharma- industrie wird es zum Beispiel verwendet, um Kapseln zu pro- duzieren, welche das eigentliche Medikament enthalten. Doch wird Kollagen auch schon lange in der Kosmetik verwendet, et- wa im Anti-Aging-Bereich. Ent- halten ist es vor allem in Cremes, die die Hautalterung bremsen sollen. Das Kollagen wird dazu meist aus Schweinehaut ge- wonnen. In unserem Körper sorgt Kollagen für die Festigkeit zahlreicher Gewebe. Enthalten ist das sogenannte Strukturpro- tein zum Beispiel in der Haut, aber auch im Knorpelgewebe, in den Sehnen, Bändern und sogar in den Zähnen und den Kno- chen. Fasern aus Kollagen halten enorme Zugkräfte aus, da sie extrem dicht gewickelt sind. Al- lerdings sind sie kaum dehnbar. Doch gibt es auch Enzyme, die fähig sind, Kollagen-Proteine zu spalten. Man nennt diese auch Kollagenasen. sog Stichwort: Kollagen

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Münchner Merkur Nr. 66 | Montag, 19. März 2012 Medizin im Netz: www.merkur-online.de/gesundheit

Redaktion Medizin: (089) 53 [email protected]

Telefax: (089) 53 06-86 61 19Leben

will halt niemandem Arbeitschaffen“, sagt sie. Als Rechts-händerin sei sie mit der Lin-ken zudem arg ungeschickt.

Doch um den Gewebe-strang zu entfernen war bisherimmer eine Operation nötig.„Ich hätte wochenlang nichtsmehr arbeiten können“, sagtHager. Doch in der MünchnerUniklinik erfährt sie von einerneue Methode: Seit knapp ei-nem Jahr ist ein neues Mittelauf dem Markt, das den har-ten Strang auflösen kann –und das ganz ohne Operation.Der Wirkstoff ist ein Enzym,das Kollagen abbauen kann.Geeignet ist er für Patienten,bei denen nur ein Finger be-handelt werden soll.

Giunta hat bereits 50 Pa-tienten mit dem neuen Mittelbehandelt. Dazu spritzt er dasMedikament an verschiede-nen Stellen in den hartenStrang, ganz vorsichtig. Denndie sogenannte Kollagenasewirkt auch an den Sehnen.Gelangt das Mittel dorthin,können diese beschädigt wer-den – und reißen. Passiert das,sind aufwändige Operationennötig. Deswegen sollte denEingriff nur ein erfahrenerHandchirurg vornehmen,auch wenn es sich nur um eineSpritze handelt. „Bei uns istnoch nie eine Sehne beschä-digt worden“, sagt Giunta.

Häufig kommt es indes zublauen Flecken. Auch dieHaut kann etwas reißen.Dann nämlich, wenn der Kol-lagenstrang fest mit der Ober-haut verwachsen ist. Reißt derStrang, reißt manchmal auchdie Haut. Doch verheilt das inder Regel rasch.

Ob das neue Mittel gewirkthat, zeigt sich einen Tag nachder Spritze. Barbara Hager isterneut in der Klinik. Heute er-hält sie für ihre Hand eine ört-liche Betäubung. Sie spürt da-her nicht, wie Giunta den Ge-webestrang durchtrennt. Dasgeschieht durch ein gezieltesStrecken der Hand. Der Chi-rurg drückt den gekrümmtenFinger zum Handrücken hin,der aufgeweichte Gewebe-strang gibt nach. Es tut einenKnacks – der Strang ist geris-sen. Barbara Hager hat Glück:Die Haut ist heil geblieben.Sofort kann sie den Fingervollständig ausstrecken. Siebekommt eine Schiene, diedie Finger in der Nacht ge-streckt hält.

Barbara Hager kann hof-fen, dass die Krankheit nichtzurückkehrt. „Ich bin wie einalter Volkswagen“, sagt dieRentnerin und lacht. „Auchwenn es öfter eine Reparaturbraucht: Laufen tut er noch.“

ger dann ein dicker Knoten.Der störte sie. Ein Orthopäderiet zu Spritzen. Doch die soll-ten 300 Euro kosten. „Wahr-scheinlich Kortison“, vermu-tet Giunta. Belege, dass dasMittel bei Morbus Dupuytrenwirkt, gebe es nicht. „Dannhat mich mein Bauchgefühl jagut beraten“, sagt Hager. Sieentschied sich gegen die Be-handlung.

Doch die Probleme wurdenschlimmer. Eines Tages wolltedie Rentnerin etwas aus der

die Betroffenen zwar meistnicht. Doch sind die betroffe-nen Finger dauerhaft zurHandfläche hin gebeugt. Manspricht auch von der Dupuyt-ren’schen Kontraktur.

Die Ursachen sind nicht be-kannt. Fest steht aber, dass oftmehrere Mitglieder einer Fa-milie betroffen sind. Zudemist die Erkrankung in südli-chen Ländern seltener als innördlichen. Gefährlich ist dasLeiden nicht, doch im Alltagdurchaus lästig. „Das beginnt

Das Leiden ist häufig,doch kaum bekannt.Bei Morbus Dupuytrenbilden sich harte Gewe-bestränge in der Handflä-che. In der Folge ver-krümmen sich oft Finger.Ein neues Mittel kann ei-nigen Betroffenen eineOperation ersparen.

VON SONJA GIBIS

Barbara Hager, 84, schließtdie Augen, während Schwes-ter Senada ihre linke Handdrückt. Die Rechte liegt in dervon Prof. Riccardo Giunta,Leiter der Handchirurgie,Plastischen und ÄsthetischenChirurgie der Ludwig-Maxi-milians-Universität Mün-chen. Er sticht eine Spritze indie Handfläche der Rentne-rin, wischt ein paar Bluttröpf-chen weg. „War’s schlimm?“,will Schwester Senada wis-sen. „Ach was“, sagt die Rent-nerin. Damals, als ihr ÄrzteSpritzen in die schmerzendeSchulter setzten – das hätteviel weher getan. „Und dasSchlimmste haben sie auchschon hinter sich“, sagt Giun-ta – und legt einen Verbandan. Der soll die Hand bis mor-gen schützen. Dann folgt derzweite Teil der Behandlung.

In der Spritze steckt einneues Mittel gegen eine alteKrankheit. Schon die Wikin-ger sollen darüber geklagt ha-ben. „Man spricht auch vonder Wikinger-Krankheit“, sagtGiunta. Heute leiden inDeutschland etwa ein bis zweiMillionen Menschen daran.Dennoch haben die meistennoch nie davon gehört.Schuld mag der schwierigeName sein. Denn wie Alzhei-mer und Parkinson trägt dieKrankheit den Namen desArztes, der sie als Erster be-schrieben hat: der FranzoseGuillaume Dupuytren. Dochdeutsche Zungen tun sichschwer mit „Morbus Dupuyt-ren“.

Die Krankheit verläuft stetsschleichend. Auch bei Barba-ra Hager ist es fast 20 Jahreher, dass sie in ihrer Handflä-che Knötchen spürte. Unterder Haut bildete sich mit denJahren ein fester Strang. „Erbesteht aus Kollagen“, erklärtGiunta. Das Gewebe zieht ofteinen oder mehrere Fingerlangsam immer stärker zurHandinnenfläche hin. „VielePatienten denken, es sei eineSehnenverkürzung“, sagt Gi-unta. Doch die Sehne ist nichtbeteiligt. Schmerzen hätten

Neue Spritze gegen die Wikinger-KrankheitMEINE SPRECHSTUNDE ..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

Küchenschublade holen. Da-rin lag auch ein Hobel. EinMoment – und es war passiert:Hager schnitt sich die Finger-kuppe ab. Da war klar: „Jetztmuss ich was unternehmen.“

Doch hatte die RentnerinAngst. Auch ihr Mann hattevor vielen Jahren ähnlicheProbleme, ließ sich operieren.„Die haben ihm die ganzeHand aufgeschnitten“, erzähltsie. Doch Barbara Hager lebtheute allein. Eine Hilfe imHaushalt hat sie nicht. „Ich

beim Händeschütteln“, sagtGiunta. Auch in die Hosenta-sche kann man mit den ge-krümmten Fingern kaummehr fassen. Beim Griff in dieHandtasche bleiben Fingerhängen. Im Winter passen ge-rade mal noch Fäustlinge.

Bei Barbara Hager krümm-te sich der Ringfinger immermehr nach innen. Auch siehatte Probleme fest zuzugrei-fen. Immer öfter ließ sie etwasfallen. Vor ein paar Jahren bil-dete sich unter ihrem Ringfin-

Prof. Riccardo Giunta spritzt Barbara Hager das neue Mittel zur Behandlung von Morbus Dupuytren. FOTOS: KURZENDÖRFER (2)/UNI

mal kommt es zu Wundhei-lungsstörungen, die die voll-ständige Abheilung verzö-gern. Zurück bleibt eine zick-zack-förmige Narbe.

Geheilt sind Patienten aberauch nach der OP nicht. Dasfeste Gewebe bildet sich nichtselten erneut – und führt beijedem Fünften wieder zu Be-schwerden. „Morbus Dupuyt-ren ist eine chronische Er-krankung“, sagt Giunta.

Eine Alternative ist die Na-delfasziotomie. Mit Nadelsti-chen wird der harte Strang anverschiedenen Stellen durch-stochen und so geschwächt.Die Hand wird gestreckt – derStrang reißt. Das krankhafteGewebe bleibt zwar in derHandfläche. Doch kann dieKrümmung der Finger oftdeutlich gemildert werden.Der Vorteil: Wenige Tagenach dem Eingriff kann mandie Hand wieder benutzen.Im Vergleich zur Operationkommt es aber in den folgen-den Jahren deutlich öfter er-neut zu Beschwerden.

Zur Behandlung von Mor-bus Dupuytren wird auch Be-strahlung eingesetzt. Laut Gi-

die Handinnenfläche aufge-schnitten und der Bindege-websstrang vollständig ent-fernt. „Moderne Lupenbrillenmachen es möglich, Gefäßeund Nerven optimal zu scho-nen“, sagt Prof. Riccardo Gi-unta, Leiter der Handchirur-gie, Plastischen Chirurgie und

aus Bindegewebe vernarben –es bildet sich überschüssigesNarbengewebe.

Fühlt sich der Patient starkbeeinträchtigt, raten Medizi-ner zur Operation. Dies ist inder Regel der Fall, wenn sichFinger weiter als 30 Gradkrümmen. Bei der OP wird

VON SONJA GIBIS

Mit den Fingern können wirfeine Bewegungen ausführen.Die Handfläche benützen wirindes vor allem, um fest zuzu-packen. Um beide Aufgabenerfüllen zu können, sitzt inder Handfläche eine Platteaus Bindegewebe, die viel fes-ter ist als an anderen Stellendes Körpers. Die Schichtschützt Gefäße und Nerven.Denn sie sind sehr sensibelund wichtig für Gefühl undFeinmotorik der Finger.

Bei Morbus Dupuytren ver-ändert sich diese Bindege-websschicht. In der Handflä-che bildet sich eine Art gutar-tiger Tumor. Der Betroffenebemerkt zuerst tastbare Knöt-chen. Mit der Zeit bildet sichdann oft ein harter Strang.Hartes Bindegewebe kannsich auch an der Fußsohle bil-den. Die Erkrankung heißtMorbus Ledderhose, benanntnach dem deutschen Chirur-gen Georg Ledderhose.

Morbus Dupuytren führtnicht selten dazu, dass sich ei-ner oder mehrere Finger im-mer stärker zur Handfläche

Operation oder Nadelstiche? Hilfe bei Morbus Dupuytrenunta verhindert diese eher einFortschreiten der Erkran-kung, als dass die Beugekon-traktur dadurch beseitigt wer-den würde.

Anders bei einer weiterenAlternative, die seit Mai ver-gangenen Jahres angewandtwerden kann: In den Strangwird ein Enzym, eine soge-nannte Kollagenase gespritzt.Diese zersetzt das Bindege-webe, sodass der Strang inörtlicher Betäubung leichtunterbrochen werden kann.Erste Beobachtungen weisendarauf hin, dass die Ergebnis-se etwa so gut sind wie nacheiner OP. Ob dies auch auflange Sicht zutrifft, ist aller-dings noch unklar. Die Kos-ten für das neue Medikamentwerden derzeit von allen Kas-sen übernommen. Leidernicht die für die ärztlicheLeistung. Bei gesetzlich Ver-sicherten sollte dies vorab ge-klärt werden. Übernimmt dieKasse die Kosten von 200 Eu-ro nicht, muss der Patient die-se selbst tragen.

Leserfragen an Prof Giunta:[email protected]

Ästhetischen Chirurgie derLudwig-Maximilians-Univer-sität München. Die Patientenmüssen ein bis zwei Tage imKrankenhaus bleiben. Außer-dem dauert es manchmal eini-ge Wochen, bis der Patientmit seiner Hand wieder nor-mal zupacken kann. Manch-

hin krümmen. Der Strangzieht sie quasi nach innen.Oft betrifft diese Beugung dasunterste Gelenk des Fingers,das Grundgelenk, manchmalaber auch das Mittelgelenk.

Bei fast Zweidrittel der Pa-tienten krümmt sich der Ring-finger, bei etwa jedem zwei-ten der kleine Finger. AuchDaumen, Mittel- oder Zeige-finger sind betroffen, dochviel seltener. Bei etwa 45 Pro-zent der Patienten sind beideHände betroffen. Etwa 85Prozent sind Männer. Bei ih-nen tritt die Krankheit zudemoft früher auf als bei Frauen,beginnt meist zwischen dem30. und 40. Lebensjahr.

Die Ursache von MorbusDupuytren ist unbekannt. Ei-ne Rolle spielt offenbar eineVeranlagung. Auch werraucht, zuckerkrank ist oderschwer körperlich arbeitet,hat ein höheres Risiko zu er-kranken. Oft betroffen sindetwa Kletterer, deren Händegroße Belastungen aushaltenmüssen. Vermutet wird, dasskleine Verletzungen dieKrankheit begünstigen. Dieselassen in der Hand die Platte

Nachher: Einen Tag nach dem Einspritzen des Enzyms wirddie Hand gestreckt. Der Finger ist sofort gerade.

Vorher: Ein Strang aus festem Bindegewebe führt dazu, dassder Ringfinger zur Handfläche hin gebeugt ist.

Bei Morbus Dupuytren bilden sich in der Handfläche feste Stränge aus Bindegewebe.

Als Chefarzt im MünchnerKlinikumGroßhadernerlebeich täglich, wie wichtig medi-zinische Aufklärung ist. Mei-ne Kollegen und ich(www.fa-cebook.de/UrologieLMU)möchten den Merkur-Leserndaher jeden Montag ein The-ma vorstellen, das für ihreGesundheit von Bedeutungist. Im Zentrum der heutigenSeite steht Morbus Dupuyt-ren. Der Experte des Beitragsist Prof. Dr. Riccardo Giun-ta. Er ist Chefarzt für Hand-chirurgie, Plastische und Äs-thetische Chirurgie am Klini-kum der Ludwig-Maximili-ans-Universität München,Campus Innenstadt undGroßhadern. Er stellt eineneue Methode zur Behand-lung der Handkrankheit vor.Internet: www.handchirur-gie-münchen.com

Prof. Dr. Christian Stief

Der Name Kollagen kommt ausdem Griechischen. Übersetzt be-deutet er so viel wie „Leim er-zeugend“. Denn früher kochtemandasEiweißausKnochenausund nütze es zum Kleben vor al-lem von Holz. Kollagen wird zu-dem benützt, um daraus Gelati-ne herzustellen. In der Pharma-industrie wird es zum Beispielverwendet, um Kapseln zu pro-duzieren,welchedaseigentlicheMedikament enthalten. Dochwird Kollagen auch schon langein der Kosmetik verwendet, et-wa im Anti-Aging-Bereich. Ent-halten ist es vor allem in Cremes,die die Hautalterung bremsensollen. Das Kollagen wird dazumeist aus Schweinehaut ge-wonnen. In unserem Körpersorgt Kollagen für die Festigkeitzahlreicher Gewebe. Enthaltenist das sogenannte Strukturpro-tein zum Beispiel in der Haut,aber auch im Knorpelgewebe, inden Sehnen, Bändern und sogarin den Zähnen und den Kno-chen.FasernausKollagenhaltenenorme Zugkräfte aus, da sieextrem dicht gewickelt sind. Al-lerdings sind sie kaum dehnbar.Doch gibt es auch Enzyme, diefähig sind, Kollagen-Proteine zuspalten. Man nennt diese auchKollagenasen. sog

Stichwort:Kollagen