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08.01.2007 Das Frontalhirn 1

Das Frontalhirn: Phineas Gage und die Folgen II

Seminar: Klassische Fälle der Neuropsychologie

Dozent: Prof. Mecklinger

Referenten: Michael Hoppstädter & Daniel Straß

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Das Frontalhirn: Phineas Gage und die Folgen II

Teil I:Die funktionelle Architektur des präfrontalen KortexKarnath & Thier (2005) Kap. 43

Teil II:Manifestationen von FrontalhirnschädigungenKarnath & Thier (2005) Kap. 45

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Teil I:Die funktionelle Architektur des präfrontalen Kortex Karnath & Thier (2005) Kap. 43

1. Neuronaler Aufbau des PFC & Speziesunterschiede

2. PFC als Kontrollinstanz Testverfahren bei Frontalhirnschädigungen

3. Bias-Signale: die Theorie von Miller & Cohen am Beispiel des Stroop-Effekts

4. Dopaminerges System und Verhaltensbewertung

5. PFC und Arbeitsgedächtnis

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Neuronaler Aufbau des PFC

Präfrontaler Kortex vorderer Frontallappen

Zytoarchitektonische Abgrenzung:

- hinterer Frontallappen agranulär

klar abgrenzbare Körnerzellschichten fehlen (Schichten II u. IV), Riesenpyramidenzellen im Motorkortex

- PFC granulär

abwechselnde Pyramiden- u. Körnerzellschichten, keine Riesenpyramidenzellen

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Neuronaler Aufbau des PFC

Übergangszonen:1. Makake

Frontales Augenfeld (BA 8 / Sulcus arcuatus)

Sakkaden u. langsame Augenfolgebewegungen

gr. Pyramidenzellen + Körnerzellschicht IV

2. Mensch

Broca-Repräsentation (BA 44 u. 45 / G. frontalis inf.)

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Neuronaler Aufbau des PFC

Neuronale Verbindungen des PFC ( reziprok)– Thalamus: N. dorsomedialis (MD)

• Septale Kerne• Amygdala• Cortex piriformis• Cortex temporalis inferior• Tegmentum

– Thalamus: Pulvinar, N. ventr. ant., Nn. intralam. rostr.– Hippocampus– Gyrus cinguli– Substantia nigra– Neokortex, z.B. parietal, inferotemporal

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Neuronaler Aufbau des PFC

Besonderheiten– Keine reziproke Verbindung zu den Basalganglien (efferent)– Einziger neokortikaler Teil mit Efferenzen zu Hippocampus

und Septum

Afferenzen aus dem Hirnstamm– L. coeruleus (noradrenerg) unselektiv– Raphé-Kerne (serotonerg) sens. Regionen– Tegmentum (dopaminerg) PFC

Theorie Übermittlung dopaminerger Signale führt zu Verhaltenwechsel / adäquatem Verhalten

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Speziesunterschiede

Anteil des PFC am Cortex– Katze 3,5 %

– Makake 11,5 %

– Mensch29,0 %

PFC als menschlichster Teil des Gehirns

mögliche Grundlage für Konzepte / Perspektiven

Bewusstsein / Selbstbewusstsein

soziale Interaktion

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PFC als Kontrollinstanz

Einfache, stereotype Verhaltensweisen laufen automatisiert ab

(schnelle Auslösung,aber schlechte Anpassung)

PFC kontrolliert Verhaltenanpassung aufgrund interner und externer Randbedingungen

Beobachtungen von Patienten mit Frontalhirnschädigungen

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Wisconsin Card Sorting Test (WCST)

Sortierung von Karten nach Form, Farbe, Anzahl periodisch alternierende Sortierungsregel

erfolgreiche Auswahl der richtigen Antwort bedarf Verhaltensanpassung an Sortierungsregel

Menschen und Primatenmit Läsionen im PFChaben Anpassungs-schwierigkeiten!

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Antisakkaden

Antisakkade = schnelle Augenbewegung auf einen nicht markierten Ort gegenüber einem Lichtreiz erfordert Inhibition der Augenbewegung zum Lichtreiz hin (= Prosakkade)

PFC-geschädigte Patienten führen überwiegend instruktions-widrige Prosakkaden aus!

Kognitive Kontrolle der Sensomotorik gestört

Aber: Tierbefunde deuten darauf hin, dass Augenbewegungen wie Antisakkaden vom anderen Arealen gesteuert werden(front. Augenfeld, suppl. Augenfeld, dorso.-lat. PFC)

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Bias-Signale: die integrative Theorie des präfrontalen Kortex (Miller & Cohen, 2001)

Aufgabe des PFC ist Generierung von Bias-Signalen– neuronales Muster, das die Verarbeitung in anderen

Strukturen modifiziert– Förderung des mappings: Umsetzung von neuronalen

Eingangsgrößen in sichtbares Verhalten– Auswahl des jeweiligen Verhaltens aufgrund des inneren

und äußeren Kontextes

Bias

gewünschtes Verhalten unerwünschtes Verhalten

verstärkt hemmt

Verhalten wird ausgeführt

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Bias-Signale am Beispiel des Stroop-Effekts

Benennung des Wortes

Benennung der Farbe

besondere Forderung der Aufmerksamkeit bei Inkongruenz zw. beiden Merkmalen

ohne spez. Instruktion wird der Wortinhalt bevorzugt

Inhalt dominierend verbale Antwort: z.B. grün

Selektive Zuwendung zu einem der Merkmale

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Bias-Signale am Beispiel des Stroop-Effekts

stärkere Verbindung zw. Repräsentationen von Wortinhalt und verbaler Antwort

schwächere Verbindung zw. Repräsentationen von Wortfarbe und verbaler Antwort

präfrontales Bias

Instruktion: Benenne Wortfarbe!Verstärkung der Bindung zw. Farbe und Antwort

Farbe nun dominierend verbale Antwort: z.B. ROT(Modell von Cohen et al., 1990)

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Bias-Signale am Beispiel des Stroop-Effekts

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Bias-Signale: die integrative Theorie des präfrontalen Kortex (Miller & Cohen, 2001)

Schlussfolgerung

Der präfrontale Kortex ist nicht Teil der Reiz-Reaktions-Sequenz, sondern eine übergeordnete Kontrollinstanz, die mittels neuronaler Bias-Signale Verhalten moduliert, indem für den inneren und äußeren Kontext wünschenswerte Verhaltenweisen in ihrer Auswahl verstärkt und damit ihre Ausführung begünstigt wird.

Kontextabhängige Weichenstellung

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Anatomische Implikationen

PFC muss über inneren und äußeren Kontext informiert sein PFC muss Möglichkeit zur sensomotorischen Kontrolle haben

externer Kontext interner Kontext

Eingänge aus sens. Eingänge aus limbischem

Assoziationskortex System, Hippocampus, Laterale + dorsale ventralem Tegmentum

Anteile des PFC (Erinnerungen/Erfahrungen/

Bedürfnisse/Wünsche)

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Dopaminerges System und Verhaltensbewertung

dopaminerger Eingang als entscheidende Einflussgröße für Auswahl adäquater Bias-Signale

kein stetiger Dopaminausstoß, sondern phasische Komponente

Entladung bei unerwarteter Belohnung Inhibition bei Ausbleiben der Belohnung nach

Konditionierung auf neutralen Stimulus

Dopaminsignal unterstützt in PFC die Bildung neuer Zielrepräsentationen und entsprechenden Verhaltens

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Dopaminerges System und Verhaltensbewertung

Aktivität: Gehen

…eine unerwartete Möglichkeit

Aussenden eines Dopaminsignals an den PFC

Aktivierung eines Bias

Alternativ-verhalten wird begünstigt

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Dopaminerges System und Verhaltensbewertung

durch das Bias wird ein alternatives Verhalten begünstigt

ist die mögliche Belohnung durch das Alternativ-verhalten zu erreichen, so wird die Wahrschein-lichkeit der Auslösung des Verhaltens erhöht

Fehlleitungen im Dopaminsystem:– Belohnungssignale können inadäquaten Einfluss auf den

PFC nehmen, Folge davon sind Verhaltenanomalien wie sie nach Frontalhirnschädigungen zu beobachten sindz.B.: Perseverationen

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PFC und Arbeitsgedächtnis

PFC wichtig zur Einschätzung des subjektiven Nutzens eines Verhaltens

Einzelne Neurone repräsentieren bereits erwarteten Nutzen

– Studie mit Einzelableitungen an Affen (Watanabe,1996)• Zielgerichtete Handlung nach Verzögerung

• Reiz wird temporär in definierter Raumposition präsentiert

Position muss in Warteperiode erinnert werden

richtungsspez. Aktivierung von Einzelneuronen im PFC

= Grundlage eines räuml. Arbeitsgedächtnisses

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PFC und Arbeitsgedächtnis

Aber: Aktivierung ist bei versch. Zielobjekten auch abhängig vom subjektiven Nutzen der zielgerichteten Handlung und damit der Belohnung! PFC als Teil des Arbeitsgedächtnisses

unterschiedliche Teile des PFC bedienen verschiedene sensorische und motorische Systeme

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PFC und Arbeitsgedächtnis

raumspezifische Gedächtnisinhalte PFC oberhalb Sulcus principalis Verbindung zur Dorsalbahn

formspezifische GedächtnisinhaltePFC unterhalb Sulcus principalis Verbindung zur Ventralbahn

In Nachbarschaft des S. principalis Neurone, die sowohl Form als auch Position repräsentieren Anzeichen für nötige Integration von Information für eine

ganzheitliche Wahrnehmung

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Gliederung

Überblick über die Wesensänderung nach präfontralen Schädigungen

Störungen der Exekutivfunktionen- Verhalten- Regelverstöße („rule-breaking“)- Antizipation- Arbeitsgedächtnis- „Theory of mind“

Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen- Die Theorie von Shallice und Norman- Grafmans Modell- Die somatische Markerhypothese

Kurzer Exkurs in eine aktuelle Forschung

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Wesensänderung nach präfrontalen Schädigungen

Unterscheidung in 2 Hauptrichtungen

1. Antriebsstörung mit einer allgemeinen Reduktion von Aktivität

2. Enthemmung des Verhaltens

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Antriebsstörung mit einer allgemeinen Reduktion von Aktivität

akinetischer Mutismus als Vollbild der Störung (beidseitige Insulte der A.cerebri anterior) => Patienten zwar wach, zeigen aber keinerlei Reaktion auf Umweltreize (wie erstarrt)

Leichtere Störungsform (meist auch bilaterale präfrontale Läsionen)

=> allgemeine Reduktion von allen spontanen oder reaktiven Handlungen, allgemeine Trägheit, Patienten sind klaglos und tolerant, schwächere Wahrnehmung von Sorge, Angst, Schmerzen,...

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Enthemmung des Verhaltens

Am ehesten hervorgerufen durch orbito-frontale oder ventro-mediale Läsionen

- Patienten äussern sich im Umgang mit anderen häufig frech oder kränkend

- Teilweise „Witzelsucht“

- Labile Stimmung, eher gehoben; kann allerdings auch schnell umschlagen

- Rigidität im Verhalten, was zu Probleme im Alltag führt

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Störungen der Exekutivfunktionen

„Exekutivfunktionen dienen dazu, Handlungen über mehrere Teilschritte hinweg auf ein übergeordnetes Ziel zu planen, Aufmerksamkeit auf hierfür relevante Informationen zu fokussieren und ungeeignete Handlungen zu unterdrücken“

Allgemeine Annahme, dass der präfrontale Kortex an den Exekutivfunktionen wesentlich beteiligt ist

Allerdings auch vermutete Beteiligung anderer kortikaler und subkortikaler Strukturen wie medialer Thalamus, Nucleus caudatus oder Globus pallidus

Umfassende Störung dieser Funktion nennt sich „dysexekutives Syndrom“ (tritt meist nach ausgedehnten, diffusen und bilateralen Läsionen auf)

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Störung im Verhalten

Betroffene wirken interessenlos, gleichgültig und sorglos

Wenden sich seltener neuen Reizen zu Handlungen häufig nicht durch Ziele geordnet und

motiviert Unfähig, Teilschritte, die zur Erfüllung eines Ziels

vonnöten sind, zu erkennen Störung beim Erkennen von Regeln Produktion irrelevanter Planfragmente

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Störung im Verhalten

Patienten sind in hochstrukturierten Umwelten (z.B. Kliniken) durchaus unauffällig

Sofort auffällig, wenn die jeweilige Situation „die Organisation und das Planen des Verhaltens über einen längeren Zeitraum bei gleichzeitiger Berücksichtigung mehrerer Teilaspekte“ erforderlich macht

Patienten weisen ebenfalls Beeinträchtigungen bei der Kontrolle von Handlungen auf (lernen nicht aus Fehlern, keine Anpassung an veränderte Bedingungen,...)

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Regelverstöße („rule breaking“)

Patienten können Anweisungen verbal wiederholen, zeigen aber dennoch davon abweichendes Verhalten

Scheint eher ein allgemeines Problem darzustellen, wenn die Patienten mit neuen Situationen konfrontiert werden

Tritt nicht nur bei Patienten mit Frontalhirnläsionen auf sondern auch bei Menschen mit geringer Intelligenz

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Antizipation

Handlungsmodelle werden häufig aktiv unter Berücksichtigung des gesamten Situationskontext entworfen

Existieren noch keine überprüften Handlungsmodelle, werden Antizipationsprozesse (das unbewusste Bilden von Erwartungen) aktiviert

Bei Patienten mit Läsionen um frontalen Kortex ist diese Fähigkeit gestört

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Arbeitsgedächtnis

Exekutivfunktionen und das Arbeitsgedächtnis stehen in engem Zusammenhang

Patienten mit Läsionen im Frontalhirn zeigen signifikante Defizite bei Aufgaben, die räumliches und visuelles Arbeitsgedächtnis betreffen

Aber Auch Patienten mit entfernten Temporallappen oder

Amygdala und Hippocampus zeigen diese Defizite=> Das Arbeitsgedächtnis beruht ebenso wie die

Exekutivfunktionen auf einem Zusammenwirken verschiedener kortikaler und subkortikaler Hirnareale

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„Theory of mind“

Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass beim Lösen von „Theory of mind“-Aufgaben vorallem im präfontalen medialen Kortex Aktivität zu verzeichnen ist

Patienten mit Schäden in diesem Bereich schneiden deswegen bei „Theory of mind“-Aufgaben schlechter ab, da sie nicht in der Lage sind, Schlussfolgerungen über das Verhalten anderer Menschen zu ziehen

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Theorie von Shallice und Norman

Unterscheidung von automatischen (unbewussten) und aktiven (Aufmerksamkeit erfordernden) Prozessen der Informationsverarbeitung

Handeln und Kognition basieren auf hoch spezialisierten Programmen (Schemata), die hierarchisch geordnet, zielorientiert und oft wiederholt und können spezifische, überlernte Handlungen und Fertigkeiten kontrollieren

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Schemata können auf verschiedene Art und Weise ausgelöst werden, z.B. durch andere Schemata oder externe Faktoren (Trigger)

Um in Situationen angemessen zu handeln, ist eine Auswahl geeigneter Schemata vonnöten

Hier werden zwei verschiedene Prozesse angenommen: „contention scheduling“ (CS) und „supervisory attentional system“ (SAS)

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

CS steht für die automatische, direkte und durch Trigger aktivierte Selektion von geeigneten Schemata

CS basiert auf fixen Regeln und ist so schnell, aber unflexibel

Bei schwierigen kognitiven Problemen ist dieser Prozess zum Erreichen eines Ziels nicht ausreichend

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

SAS steht für ein generelles, hierarchisch übergeordnetes Planungsprogramm

SAS kann mit Schemata aller Hierarchieebenen und unabhängig von aktivierten Triggern arbeiten

SAS ist sehr flexibel, dafür aber langsam Sobald es für ein Problem kein geeignetes Schema

gibt, wird das SAS aktiv, entwickelt Lösungsstrategien, führt Entscheidungsprozesse herbei und kontrolliert deren Erfolg

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Das SAS wird von Shallice als die zentrale Funktion des Frontalhirns angenommen

Belege für und gegen dieses Modell Reduzierte Leistungsfähigkeit von Personen mit Läsionen

im Frontalhirn bei Problemlöseaufgaben („Tower of London“) (Shallice und McCarthy & Carlin et al.)

PET und fMRT-Studien haben aber gezeigt, dass bei solchen Aufgaben ein weites Netzwerk kortikaler Strukturen beteiligt ist, was gegen eine Dichotomie von SAS im Frontalhirn und CS in anderen Hirnregionen spricht

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Grafmans Modell Das Wissen über die Abfolge von Ereignissen wird durch

ein neuronales Netz repräsentiert, das aus einzelnen „managerial knowledge units“ (MKU) besteht

Eine MKU ist eine Gedächtniseinheit, die das Wissen über die Ereignisse zu einem gewissen Thema beinhaltet

MKUs enthalten neben dem Thema auch die zeitliche Struktur einer Ereignisfolge und werden sowohl während der aktiven Ausübung als auch bei der verbalen Beschreibung eines Ereignisses ausgeführt

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Nach Grafman existieren drei verschiedene Ebenen der Wissensrepräsentation in MKU:

- die abstrakte Ebene

- die kontextfreie Ebene

- die kontextabhängige Ebene Auf der abstrakten Ebene werden unklare und

mehrdeutige Erfahrungen rationalisiert und verstanden; sie beinhaltet das Wissen über Ereignisse wie Beginn, Ende oder Intention von Vorgängen

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Die kontextfreie Ebene enthält Repräsentationen über Ereignisfolgen, die in verschiedenen Kontexten erlebt bzw. ausgeübt werden können

Auf der kontextabhängigen Ebene ist jenes Wissen repräsentiert, das nur in einem bestimmten Kontext verstanden und umgesetzt werden kann

Zusätzlich unterscheidet Grafman nicht nur verschiedene Ebenen sondern auch die Gestalt von MKU nach linguistischer Form (Listen oder Skripte) und bildhafter Form (visuelle Szenen)

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Die somatische Markerhypothese Damasio et al. Gehen davon aus, dass neben

rationalen kognitiven Prozessen beim Denken und Entscheiden noch eine zweite Instanz involviert ist

Diese Instanz nennen sie die somatischen Marker, die konkret alle viszeralen und nichtviszeralen Prozesse, die im Körper ablaufen, meinen

Zusätzlich postulieren sie ein zerebrales „Surrogat“, welches somatische Zustände und Prozesse simuliert, ohne sie auszulösen

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Bei allen komplexen Entscheidungsvorgängen werden diese somatischen Marker miteinbezogen

Sie sorgen dafür, dass alternative Handlungsmöglichkeiten bewertet werden und eine langfristig erfolgreiche, sozial verträgliche und konstruktive Handlung einer möglichen destruktiven vorgezogen wird

Für die Generierung dieser Marker ist das limbische System zuständig

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Kognitive Modelle menschlicher Frontalhirnfunktionen

Belege für und gegen die Theorie der somatischen Marker

Personen mit Läsionen im Frontalhirn schneiden beim „Iowa Gambling Task“ signifikant schlechter ab, als gesunde Versuchspersonen (Damassio und Damassio; Bechara et al.; Anderson et al.)

Maia u. McClelland fanden jedoch heraus, dass die „Iowa Gambling Task“ nicht isoliert unvernünftige Risikobereitschaft misst sondern vielmehr die Intaktheit zusätzlicher exekutiver Elemente wie Arbeitsgedächtnis und Antizipation erfordert

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Kurzer Exkurs in eine aktuelle Forschung

Passend zu den Befunden, dass Patienten mit Schädigungen im Frontalhirn ein sozial häufig nicht angepasstes Leben führen, sind folgende Ergebnisse:

Hauser und Damassio haben solche Patienten mit verschiedenen Dilemmata konfrontiert

Dabei fällt auf, dass einige Patienten NICHT der allgemein gültigen Moral folgen sondern für sie der Zweck alle Mittel heiligt

Es wird also angenommen, dass eine Art angeborene Moral im Frontalhirn lokalisiert ist