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1 Grundlagen des Werkzeugbaus Allgemeines In der Messe-Nachlese zur 9. Euromold ist zu lesen [1]: „Dem deutschen Werkzeug- und Formenbau geht es gut.“. Die Innovationskraft dieser Branche stehe für diese Aussage. Auch wenn Produkt- und damit ver- bunden auch Know-how-Verlagerungen ins Ausland stattfinden, gilt: „Höher zu bewerten für die Zukunfts- sicherung sind technologische Weiterentwicklungen mit positiven Auswirkungen auf die Herstellkosten und den Nutzwert eines Produkts sowie die kompromiss- lose und weitsichtige Ausbildung eines motivierten Nachwuchses.“ [2] Dem Ziel der Wissensvermittlung in der Art eines Nachschlagewerks und Ideengebers hat sich der „Gastrow“ seit jeher verschrieben. Auch die Neuauflage versteht sich so eher als Beispielsamm- lung für konstruktive Aufgaben. Die unterstützende (aided!) Funktion rechnerischer (CAD-)Methoden für beispielsweise die rheologische, thermische und me- chanische Auslegung von Werkzeugen ergänzt und op- timiert günstigenfalls einen konstruktiven Entwurf, er- setzt ihn aber nach aller Erfahrung nicht. Im übrigen gilt es noch immer, die Ergebnisse des CAD kritisch zu würdigen, was notwendigerweise Sachverstand und Praxiserfahrungen voraussetzt. So ist es für die Her- stellung von Präzisions-Spritzgießformteilen durchaus noch immer üblich, ein Versuchswerkzeug oder zumin- dest eine Versuchskavität zum Zwecke der Optimie- rung z.B. der Maßhaltigkeit zu bauen und (in mehreren Schritten) den Anforderungen anzupassen. Ergebnisse aus Rechnerunterstützung zeigen häufig nur die (gro- be) Richtung, nicht aber ein exaktes Ergebnis an. Die- se Aussage gilt insbesondere für die Vorherbestim- mung der Schwindung (des Verzuges), einem überaus schwierig zu quantifizierendem Verhalten von Form- teilen, vor allem aus teilkristallinen Kunststoffen. Den- noch gilt, daß mit geeigneten Rechenverfahren Ent- wicklungszeit und Kosten eingespart werden können. In Hinblick auf rechnerische Methoden sei auf das ein- schlägige Schrifttum verwiesen. Bei kritischer Betrachtung einer großen Anzahl von Spritzgießwerkzeugen für Teile aus allen Anwen- dungsgebieten ergeben sich bestimmte Klassen und Gruppen, die sich in ihrem Aufbau grundsätzlich von- einander unterscheiden. Eine solche Klassifizierung, wenn sie übersichtlich bleiben soll, kann nicht alle Kombinationsmöglichkeiten enthalten, die zwischen den einzelnen Klassen und Gruppen möglich sind. Es ist denkbar, daß neue Erkenntnisse und Erfahrungen eine Erweiterung und Ergänzung notwendig machen. Eine solche Klassifizierung erfüllt aber dann schon ihren Zweck, wenn sie die bisher gesammelten Erfah- rungen der Werkzeugkonstruktion möglichst über- sichtlich und eingehend vermittelt. Beim Bearbeiten eines neuen Problems kann dann der Werkzeugkon- strukteur ersehen, wie in ähnlichen Fällen ein solches Werkzeug konstruiert wurde, bzw. zu konstruieren ist. Eine grundsätzliche Forderung an jedes Werkzeug, das auf einer automatisch laufenden Spritzgießmaschine verwendet werden soll, ist, daß die gespritzten Form- teile ohne die Notwendigkeit einer Nacharbeit (Ab- trennen von Angüssen, Bearbeiten auf Maßhaltigkeit usw.) selbsttätig entformt werden. Die Klassifizierung von Spritzgießwerkzeugen richtet sich zweckmäßiger- weise nach den Hauptmerkmalen des Aufbaus und der Funktion. Diese sind: die Art des Angusses und seiner Abtrennung, die Art des Auswerfens der gespritzten Teile, das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von äußeren oder inneren Hinterschneidungen am zu spritzenden Teil, die Art des Entformens. Erst wenn die Formteilkonstruktion festliegt und alle Anforderungen, die die Konstruktion eines Werkzeugs beeinflussen, geklärt sind, kann die endgültige Werk- zeugkonstruktion ausgeführt werden. 1.1 Ausführungsarten von Spritz- gießwerkzeugen Die Norm DIN ISO 12165 „Bauteile für Press-, Spritz- gieß- und Druckgießwerkzeuge“ sieht eine Einteilung der Werkzeuge nach folgendem Schema vor: Standardwerkzeuge (2-Plattenwerkzeug), Backenwerkzeug (Schieberwerkzeug), Abstreiferwerkzeug, 3-Plattenwerkzeug, Heißkanalwerkzeug. Generell dienen Spritzgießwerkzeuge dem Verarbei- ten sowohl von Thermoplasten, Duroplasten als auch von Elastomeren. In Analogie zu den Heißkanalwerkzeugen für die Ver- arbeitung thermoplastischer Formmassen gibt es Kalt- kanalwerkzeuge für das angußlose Verarbeiten von duroplastischen Formmassen und Elastomeren. Sind Verteilerkanäle in der Trennebene nicht möglich, bzw. sollen Formteile einer Mehrkavitätenform zentral an- gebunden werden, bedarf es zum Entformen des er- starrten Verteilers einer zweiten Trennebene (3-Plat- tenwerkzeug) oder einer Schmelzezuführung über ein Heißkanalsystem. Bei Etagenwerkzeugen werden praktisch zwei Werkzeuge in Schließrichtung hinter- einander geschaltet, ohne daß es der doppelten Zuhal- tekraft bedarf. Die Voraussetzung für solche Werkzeuge sind hohe Stückzahlen von relativ einfachen wie zum Beispiel flächigen Formteilen. Als besonderer Vorteil gelten niedrige Produktionskosten. Etagenwerkzeuge wer- den heute ausnahmslos mit Heißkanalsystemen aus- gerüstet, an die erhöhte Anforderungen – insbeson- dere an den Wärmehaushalt (thermische Homo- genität) – gestellt werden. Zum Auswerfen der Formteile werden überwiegend Auswerferstifte verwendet. Häufig übernehmen sie als zusätzliche Funktion neben dem Wärmetransport auch die Entlüftung der Kavität. Probleme der Entlüftung 1. Grundlagen des Werkzeugbaus 1

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1 Grundlagen des Werkzeugbaus

Allgemeines

In der Messe-Nachlese zur 9. Euromold ist zu lesen [1]:„Dem deutschen Werkzeug- und Formenbau geht esgut.“. Die Innovationskraft dieser Branche stehe fürdiese Aussage. Auch wenn Produkt- und damit ver-bunden auch Know-how-Verlagerungen ins Auslandstattfinden, gilt: „Höher zu bewerten für die Zukunfts-sicherung sind technologische Weiterentwicklungenmit positiven Auswirkungen auf die Herstellkosten undden Nutzwert eines Produkts sowie die kompromiss-lose und weitsichtige Ausbildung eines motiviertenNachwuchses.“ [2] Dem Ziel der Wissensvermittlungin der Art eines Nachschlagewerks und Ideengebershat sich der „Gastrow“ seit jeher verschrieben. Auchdie Neuauflage versteht sich so eher als Beispielsamm-lung für konstruktive Aufgaben. Die unterstützende(aided!) Funktion rechnerischer (CAD-)Methoden fürbeispielsweise die rheologische, thermische und me-chanische Auslegung von Werkzeugen ergänzt und op-timiert günstigenfalls einen konstruktiven Entwurf, er-setzt ihn aber nach aller Erfahrung nicht. Im übrigengilt es noch immer, die Ergebnisse des CAD kritisch zuwürdigen, was notwendigerweise Sachverstand undPraxiserfahrungen voraussetzt. So ist es für die Her-stellung von Präzisions-Spritzgießformteilen durchausnoch immer üblich, ein Versuchswerkzeug oder zumin-dest eine Versuchskavität zum Zwecke der Optimie-rung z.B. der Maßhaltigkeit zu bauen und (in mehrerenSchritten) den Anforderungen anzupassen. Ergebnisseaus Rechnerunterstützung zeigen häufig nur die (gro-be) Richtung, nicht aber ein exaktes Ergebnis an. Die-se Aussage gilt insbesondere für die Vorherbestim-mung der Schwindung (des Verzuges), einem überausschwierig zu quantifizierendem Verhalten von Form-teilen, vor allem aus teilkristallinen Kunststoffen. Den-noch gilt, daß mit geeigneten Rechenverfahren Ent-wicklungszeit und Kosten eingespart werden können.In Hinblick auf rechnerische Methoden sei auf das ein-schlägige Schrifttum verwiesen.Bei kritischer Betrachtung einer großen Anzahl vonSpritzgießwerkzeugen für Teile aus allen Anwen-dungsgebieten ergeben sich bestimmte Klassen undGruppen, die sich in ihrem Aufbau grundsätzlich von-einander unterscheiden. Eine solche Klassifizierung,wenn sie übersichtlich bleiben soll, kann nicht alleKombinationsmöglichkeiten enthalten, die zwischenden einzelnen Klassen und Gruppen möglich sind. Esist denkbar, daß neue Erkenntnisse und Erfahrungeneine Erweiterung und Ergänzung notwendig machen.Eine solche Klassifizierung erfüllt aber dann schonihren Zweck, wenn sie die bisher gesammelten Erfah-rungen der Werkzeugkonstruktion möglichst über-sichtlich und eingehend vermittelt. Beim Bearbeiteneines neuen Problems kann dann der Werkzeugkon-strukteur ersehen, wie in ähnlichen Fällen ein solchesWerkzeug konstruiert wurde, bzw. zu konstruieren ist.Eine grundsätzliche Forderung an jedes Werkzeug, das

auf einer automatisch laufenden Spritzgießmaschineverwendet werden soll, ist, daß die gespritzten Form-teile ohne die Notwendigkeit einer Nacharbeit (Ab-trennen von Angüssen, Bearbeiten auf Maßhaltigkeitusw.) selbsttätig entformt werden. Die Klassifizierungvon Spritzgießwerkzeugen richtet sich zweckmäßiger-weise nach den Hauptmerkmalen des Aufbaus und derFunktion.Diese sind:• die Art des Angusses und seiner Abtrennung,• die Art des Auswerfens der gespritzten Teile,• das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von

äußeren oder inneren Hinterschneidungen am zuspritzenden Teil,

• die Art des Entformens.Erst wenn die Formteilkonstruktion festliegt und alleAnforderungen, die die Konstruktion eines Werkzeugsbeeinflussen, geklärt sind, kann die endgültige Werk-zeugkonstruktion ausgeführt werden.

1.1 Ausführungsarten von Spritz-gießwerkzeugen

Die Norm DIN ISO 12165 „Bauteile für Press-, Spritz-gieß- und Druckgießwerkzeuge“ sieht eine Einteilungder Werkzeuge nach folgendem Schema vor:• Standardwerkzeuge (2-Plattenwerkzeug),• Backenwerkzeug (Schieberwerkzeug),• Abstreiferwerkzeug,• 3-Plattenwerkzeug,• Heißkanalwerkzeug.Generell dienen Spritzgießwerkzeuge dem Verarbei-ten sowohl von Thermoplasten, Duroplasten als auchvon Elastomeren.In Analogie zu den Heißkanalwerkzeugen für die Ver-arbeitung thermoplastischer Formmassen gibt es Kalt-kanalwerkzeuge für das angußlose Verarbeiten vonduroplastischen Formmassen und Elastomeren. SindVerteilerkanäle in der Trennebene nicht möglich, bzw.sollen Formteile einer Mehrkavitätenform zentral an-gebunden werden, bedarf es zum Entformen des er-starrten Verteilers einer zweiten Trennebene (3-Plat-tenwerkzeug) oder einer Schmelzezuführung über einHeißkanalsystem. Bei Etagenwerkzeugen werdenpraktisch zwei Werkzeuge in Schließrichtung hinter-einander geschaltet, ohne daß es der doppelten Zuhal-tekraft bedarf.Die Voraussetzung für solche Werkzeuge sind hoheStückzahlen von relativ einfachen wie zum Beispielflächigen Formteilen. Als besonderer Vorteil geltenniedrige Produktionskosten. Etagenwerkzeuge wer-den heute ausnahmslos mit Heißkanalsystemen aus-gerüstet, an die erhöhte Anforderungen – insbeson-dere an den Wärmehaushalt (thermische Homo-genität) – gestellt werden.Zum Auswerfen der Formteile werden überwiegendAuswerferstifte verwendet. Häufig übernehmen sie alszusätzliche Funktion neben dem Wärmetransport auchdie Entlüftung der Kavität. Probleme der Entlüftung

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sind, seitdem das Senkerodieren zum Stand der Tech-nik gehört, deutlich in den Vordergrund getreten. Wur-den früher Kavitäten aus mehreren Einzelteilen mitder Möglichkeit einer wirksamen Entlüftung an denjeweiligen Trennflächen „gebaut“, so ist durch dasSenkerodieren das Herstellen von Kavitäten aus einemmassiven Block in vielen Fällen heute möglich. Es mußdaher in besonderem Maße dafür Sorge getragen wer-den, daß die Schmelze die Luft vollkommen verdrän-gen kann. Auch sollten – besonders kritisch zu bewer-tende – Lufteinschlüsse sicher vermieden werden. Eineschlecht entlüftete Kavität kann zur Formbelagsbil-dung, zur Bildung von Brennern (so genannter „Diesel-Effekt“) und sogar zu Korrosionsproblemen führen.Die Größe eines Entlüftungsspalts ist im Wesentlichenvon der Schmelzeviskosität abhängig. Die Spaltweitenliegen im Allgemeinen zwischen 1/100 mm und etwa2/100 mm. Bei extrem leichtfließenden Formmassenmüssen Spalte im Tausendstelbereich gewählt werden,um Gratbildung sicher vermeiden zu können. Zubeachten ist, daß dort, wo ein Entlüftungselementvorgesehen ist, im Allgemeinen eine wirksame Tempe-rierung nicht möglich ist. Lüftungselemente – wie z.B.Entlüftungseinsätze aus Sintermetall – bedürfen wegenzeit- und materialabhängigen Zusetzens der Poreneiner regelmäßigen Wartung. Die Positionierung derLüftungselemente in der Kavität ist mit großer Sorgfaltvorzunehmen.Bewegte Werkzeugteile müssen geführt und zentriertwerden. Die Holmführung einer bewegten Maschinen-platte einer Spritzgießmaschine ist allenfalls als Grob-zentrierung anzusehen. In jedem Fall ist eine „innereZentrierung“ des Spritzgießwerkzeugs notwendig.Spritzgießwerkzeuge werden überwiegend aus Werk-zeugstählen gefertigt. Entsprechend den zu verarbei-tenden Formmassen sollte die Werkstoffauswahl sehrsorgfältig vorgenommen werden. Anforderungen andie Werkzeugstähle sind unter anderem:• hoher Widerstand gegen Verschleiß,• hoher Widerstand gegen Korrosion,• hohe Maßbeständigkeit usw. (siehe auch Abschnitt

1.9)Zunehmendes Interesse finden darüber hinaus auchWerkzeuge aus Aluminium-Legierungen, siehe auchAbschnitt 1.10.3.1.

1.2 Ausführungsarten von Angüssenund Anschnitten

1.2.1 Erstarrende Systeme

Nach DIN 24450 wird unterschieden in:• Anguß, als Teil des Spritzlings, der nicht zum Form-

teil gehört,• Angießkanal, betrachtet von der Eintrittsstelle der

plastifizierten Formmassen in das Spritzgießwerk-zeug bis zum Anschnitt,

• Anschnitt, als Querschnitt des Angießkanals an derStelle, wo er in das Formnest (Kavität) mündet.

Der Weg der Schmelze bis in die Kavität sollte mög-lichst kurz sein, um unter anderem Druck- und Wärme-verluste zu minimieren. Ausführungsart und Lage desAnschnittes/Angusses sind von Bedeutung für die:• wirtschaftliche Fertigung,• Eigenschaften des Formteils,• Toleranzen,• Bindenähte,• Höhe der Eigenspannungen usw.Im Folgenden wird ein Überblick über die gebräuch-lichsten Ausführungsarten von erstarrenden Angießsy-stemen gegeben. Die jeweils angegebenen Maße sindRichtwerte, vorbehaltlich einer genaueren experimen-tellen bzw. rechnerischen Ermittlung.• Stangenanguß (Bild 1.1)Diese Ausführungsart wird im Allgemeinen bei relativdickwandigen Formteilen oder auch für die thermischschonende Verarbeitung hochviskoser Schmelzen an-gewendet. Die Stange muß nach dem Entformen desFormteils mechanisch abgetrennt werden. Entspre-chende Angießbuchsen werden als Normalien in unter-schiedlicher Ausführung wie z. B. mit Verdrehsiche-rung, mit Temperierung etc. angeboten, s. auch ISO10072. Stangenangüsse weisen auf Grund ihrer großenFließquerschnitte geringe Druckverluste auf. Es ist je-doch unbedingt zu beachten, daß ein – zu großer –Stangenanguß Zykluszeit-bestimmend sein kann. Dermaximale Durchmesser sollte daher nicht mehr als ca.1,5 mm plus Formteilwanddicke betragen. Bei tempe-rierbaren (gekühlten) Angießbuchsen kann dieserWert überschritten werden. Ein Stangenanguß ermög-licht eine optimale Nachdruckzeit beim Spritz-gießprozeß. Um Einfallstellen oder Glanzunterschiedezu vermeiden, sollte gegenüber dem Anschnitt eineausreichende (separate) Temperierung vorgesehenwerden. • Abreiß-Punktanschnitt (Bild 1.2)Im Gegensatz zum Stangenanguß wird der Punktan-schnitt i. Allg. automatisch abgerissen. Sollten auchkleine Anschnittreste stören, kann „d1“ in eine linsen-förmige Vertiefung in die Formteiloberfläche gelegtwerden. Zum automatischen Auswerfen eines Kegel-angusses mit Punktanschnitt dienen auch handelsübli-che so genannte Pneumatikdüsen. Der Abreiß-Punkt-

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Bild 1.1 Stangenangußα = Entformungsschräge, s = Wanddicke, d = Stangenanguß, d ≤ 1,5 + s;d ≥ 0,5

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Hierbei werden vorzugsweise zylindrische Formteilevon innen angebunden ohne störende Bindenähte. Beifaserförmigen Verstärkungsstoffen (wie z. B. bei Glas-fasern) kann der Scheibenanguß die Verzugsneigungbegünstigen. Der Anguß muß nach dem Entformenmechanisch entfernt werden.• Film- oder Bandanguß (Bild 1.4)Um zu verzugs- bzw. spannungsarmen flächigen Form-teilen zu gelangen, empfiehlt sich ein Bandanschnitt,der bei einer Breite gleich der des Formteils zu einerVergleichmäßigung der Fließfront führt. Ein gewissesVoreilen der Schmelze im Bereich des Stangenangus-ses kann man durch Korrektur des Anschnittquer-schnitts kompensieren. Bei Einfachwerkzeugen liegtder Anschnitt jedoch außerhalb der Schwereachse desFormteils, was zu einem einseitigen Auftreiben desWerkzeugs mit Schwimmhautbildung führen kann.Der Bandanschnitt sollte unmittelbar nach dem Ent-formen – also in der „ersten Wärme“ – mechanisch ab-getrennt werden, um einen Verzug des Formteils imAnschnittbereich sicher zu vermeiden (da der An-schnitt eine geringere Wanddicke als das Formteil hat,ergeben sich mehr oder minder große, verzugsfördern-de Schwindungsunterschiede).• Tunnelanschnitt (Bild 1.5)Je nach Anordnung wird der Anschnitt beim Öff-nungsvorgang des Werkzeugs oder im Augenblick desAuswerfens durch eine vorgegebene Schneidkantevom Formteil abgetrennt. Der Tunnelanschnitt eignetsich für seitliches Anbinden von Formteilen. Von mög-lichen Problemen in Folge vorzeitigen Versiegelns ab-gesehen, lassen sich mit Tunnelanschnitten sehr kleineQuerschnitte und damit auch häufig kaum erkennbareMarkierungen am Formteil erzielen. Bei abrasiv, aberauch korrosiv wirkenden Formmassen ist ein mög-licher erhöhter Verschleiß, zumal der Schneidkante, zubeachten. Damit verbunden sind Abreißprobleme. FürThermoplaste mit hohem Elastizitätsmodul (spröd/hartes Verhalten beim Entformen) muß der Winkelder Schneidkante relativ gering sein, z. B. α = 30°. FürThermoplaste mit niedrigerem Elastizitätsmodul(zäh/elastisches Verhalten beim Entformen) haben

1.2 Ausführungsarten von Angüssen und Anschnitten 3

anschnitt hat sich insbesondere bei kleinen bzw. dünn-wandigen Formteilen bewährt. Ein fadenfreies Ab-reißen ist jedoch nicht bei allen Kunststoffen gewähr-leistet. Eine Optimierung der Nachdruckzeit kanndurch vorzeitiges Einfrieren des Punktanschnitts zu-mindest erschwert sein.• Schirmanguß (Bild 1.3 a)Für die Herstellung rotationssymmetrischer Formteilewie z. B. Lagerbuchsen mit möglichst hoher Rundlauf-genauigkeit unter zusätzlichem Vermeiden von Bin-denähten bietet sich der Schirmanguß an. Von Nachteilsind die einseitige Lagerung des Kerns und die Not-wendigkeit mechanischer Bearbeitung zum Entfernendes Angusses. Der Schirmanguß, Bild 1.3 a, begünstigteine Freistrahlbildung, die jedoch durch Variation derEinspritzgeschwindigkeit, um so eine Quellströmungzu erzielen, in Grenzen beherrscht werden kann, Binde-nähte können mit dieser Angußart vermieden werden.• Scheibenanguß (Bild 1.3 b)

Bild 1.2 PunktanschnittWerkbild: Ticona

Bild 1.3 Schirmanguß (a) bzw. Scheibenanguß (b)Werkbild: Ticona

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sich gebogene Tunnelanschnitte bewährt, Bild 1.6. Hier-bei wird der Anschnitt etwa wie beim Punktanschnittbeim Entformen definiert abgerissen. Mit dieser An-schnittart kann man bei engem Abstand mehrerer Tun-nelanschnitte zueinander ein nahezu gleiches Füllbilderzielen, wie bei Verwenden eines Film- oder Bandan-gusses, mit dem wesentlichen Vorteil automatischenTrennens des Angusses vom Formteil, Bild 1.6. Einigekonstruktive Besonderheiten müssen beachtet werden.So muß der Anguß über eine verlängerte Führung undggf. auch über eine Sollbiegestelle verfügen, Bild 1.6(rechtes Teilbild), um ein störungsfreies Abreißen undEntformen des Angusses sicherzustellen. Auswechsel-bare Angußeinsätze werden als Normalien angeboten.

Die in ungeteilter Bauweise im MIM-Verfahren z. B.aus dem Werkstoff Catamold (BASF) hergestelltenEinsätze sind mit Anschnittdurchmesser zwischen 0,5und 3 mm standardmäßig in runder und eckiger Aus-führung erhältlich [3]. Eine interessante Weiterent-wicklung stellt der Ringelflow-Einsatz dar, mit dessenHilfe Formteile „um die Ecke“ angespritzt werdenkönnen, Bild 1.8. Es empfiehlt sich, in unmittelbarerNähe der Angußeinsätze eine (separate) Temperie-rung vorzusehen.• Rechteckanschnitt (Bild 1.9)Aus Gründen geringerer Druckverluste und damit ei-ner besseren Druckübertragung kann der Rechteckan-schnitt gelegentlich die günstigere Alternative gegen-

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Bild 1.4 Film- oder BandangußWerkbild: Ticona

Bild 1.5 TunnelanschnittWerkbild: Ticona

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Der Verschlußdeckel mit den Abmessungen 141 mm× 87 mm, 12 mm hoch (Bild 1) hat eine annäherndovale Gestalt. An seiner Oberseite hat er einen nachinnen springenden Rand, der eine umlaufende Hin-terschneidung bildet. Zur Zwangs-Entformung dieserHinterschneidung wird das elastische Dehnvermögenvon Polyethylen ausgenutzt, das ein Entformen vomKern ermöglicht, ohne daß aufwendige Entformungs-mechanismen erforderlich sind.

Werkzeug

Die Gesenkhälfte des Einfachwerkzeugs (Bild 2 bis 5)besteht im wesentlichen aus Platten (1,2), der be-heizten Hochleistungsdüse (41) und dem Gesenkein-satz (46).Das Werkzeug ist aus Normalien aufgebaut, abgese-hen vom Kernsockel (47), Kernaufsatz (48), Formring(50) und Abschiebering (49). Die endgültige, genaueZentrierung der beiden Werkzeughälften sichern vierZentriereinheiten (37).

Entformen

Das Werkzeug öffnet bei I, das Formteil wird mit demKern aus dem Gesenk herausgezogen.Wenn die Auswerfstange (14) gedrückt wird, soschiebt sich die Auswerfplatte (7) über die Ausstoß-bolzen (33) die Platte (3) mit dem darin befestigtenAbschiebering (49) vor (Trennung bei II). Gleichzei-tig wird unter der Wirkung der vorgespannten Druck-federn (39) auch die Platte (8) mit dem daran befe-stigten Kern (47,48) vorgeschoben.Die Platte (4) mit dem daran befestigten Formring(50) bleibt dabei stehen, weil sie über die Leisten (6)mit der Aufspannplatte (5) fest verbunden ist (Bild5). Somit sind also Formteil und Kern aus dem Be-reich des Formrings (50) herusgeschoben.Nach einem Weg W stößt die Platte (8) gegen diePlatte (4); der Kern (47,48) bleibt stehen, die Feder(39) wird weiter zusammengedrückt. Der Abschiebe-ring läuft aber weiter und kann nun das Formteil vom Kern abknöpfen. Bei diesem Vorgang wird auchder Rand des Formteils aufgeweitet, an den der Ab-schiebering (49) angreift. Der Abschiebering darfdaher das Formteil nicht zu eng umfassen, um dieseAufweitung nicht zu behindern.

38 3 Beispielsammlung – Beispiel 1

3 Beispielsammlung

Einfach-Spritzgießwerkzeug für Verschlußdeckel aus Polyethylen, Beispiel 1

Bild 1 Verschlußdeckel aus PE

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Beispiel 1: E

infach-Spritzgießwerkzeug für V

erschlußdeckel39

Bilder 2 bis 5 Einfach-Spritzgießwerkzeug für Verschlußdeckel aus PE1: Aufspannplatte, 2, 3, 4: Formplatte, 5: Aufspannplatte, 6: Leisten, 7: Auswerfplatte: 8: Auswerfplatte, 14: Auswerfstange, 33: Ausstoß-bolzen, 37: Zentriereinheit, 39: Druckfeder, 41: beheizte Angießdüse, 46:Gesenkeinsatz, 47: Kernsockel, 48: Kernaufsatz, 49: Abschiebering, 50:FormringWerkbilder: HASCO

Bild 5

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Das Formteil besteht aus Halbschalen, Bild 1, dieaußerhalb des Werkzeugs formschlüssig gefügt undmiteinander stoffschlüssig verschweißt werden. Diedurchschnittliche Wanddicke beträgt ca. 2,5 mm. DieVerarbeitungsschwindung wurde mit 1 % bei dermaßlichen Auslegung der Kavitäten berücksichtigt.Zur Befestigung von Kabelklemmen für die Zugent-lastung sind entsprechend angeformte, umlaufendeNuten vorgesehen. Die Oberflächengüte entsprichtder einer technischen Politur.

Werkzeugaufbau

Die Ausführung entspricht dem Standard-Werkzeugmit einer Trennebene DIN ISO 12165:2002-06, Bild 2.Mit den Formplatten (2) und (3) aus vorvergütetemStahl sind wechselbare, jeweils zweigeteilte Form-einsätze (4a, b) und (5a, b) aus dem durchhärtendenStahl 1.2767 verschraubt. Die Außenkontur der Halb-schalen wird in den Formeinsätzen (4a, b) der festenSeite, die Innenkontur in denen (5a, b) der beweg-lichen Seite geformt. Die Werkzeugmaße betragen156 mm × 156 mm × 257 mm. Die relativ große Ein-bauhöhe ergibt sich u.a. aus den Abmessungen desZweistufenauswerfers. Die Aufspannplatten (1) und(10) sind aus Gründen der Verbesserung des Wärme-haushalts des Werkzeugs mit Wärmeisolierplatten (6)ausgestattet. Die Auswerferpakete (7a, b) und (8a, b)werden von einem zentral eingebauten, standardisier-ten Zweistufenauswerfer (11) bewegt. Der Auswer-ferbolzen (12) ist über eine automatisch wirkendeAuswerferkupplung mit dem Maschinenauswerfer imEingriff. Die Auswerferpakete sind vierfach säulen-geführt. Für das Auswerferpaket (7a, b) werden Ku-gelführungen verwendet.

Angießen

Die außenbeheizte Angießdüse mit Spitze (14) ist mitaufgeschraubter Vorkammer ausgerüstet, Bild 3. Zuraxialen Fixierung der Angießdüse mit dem Zentrier-flansch (15) dient der Distanzring (16). Über einenkurzen Stangenanguß und Unterverteiler, der auch indie Vorkammer parabelförmig eingearbeitet ist, wer-den die Kavitäten jeweils über Tunnelanschnitte ge-füllt, s. auch Einzelheit BB. Die Angießdüse ist mit ei-

nem Zylinderstift (17) gegen Verdrehen gesichert.Die jeweils drei Bohrungen an den Formteilen wer-den durch Kernstift (18) gebildet. Zur Ausbildungder Zapfen werden konturierte Auswerferhülsen (19)mit Kernstiften (20) verwendet (Einzelheit D). Der inder beweglichen Seite erkennbare Einsatz (21) wirdfür eine weitere Formteilvariante als Kernhalteplattegenutzt.Um einen zu Beginn der Füllphase evtl. existierendenkalten Pfropfen nicht über den Anschnitt in die Ka-vität einzuspritzen, befindet sich eine Fangbohrungim Unterverteiler.

Entformen

Gefederte Auswerferstifte (22), die bei Formschlußmit Rückdruckstiften (23) vorgespannt werden, un-terstützen die Entformung aus der festen Seite(Schnitt BB und Einzelheit E). Wegen des Hinter-schnitts im Auswerfer (24) verbleibt das Angieß-system zunächst auf der beweglichen Seite. Mit derWerkzeugöffnung wird die erstarrte Angußstange ausder Düse gezogen, und der Anschnitt wird abge-schert. Im Rhythmus des Zyklusses erfolgen zwei auf-einanderfolgende Hubbewegungen der Auswerferpa-kete: Hub 1 des Zweistufenauswerfers bewirkt dasEntformen des Angusses, während Hub II das Ent-formen der Formteile ermöglicht.

40 3 Beispielsammlung – Beispiel 2

Zweifach-Spritzgießwerkzeug für Winkeltülle aus Polyamid 66, Beispiel 2

Bild 1 Halbschale einer Winkeltülle Bild 3 Beheizte Angießdüse mit Vorkammer und Spitze

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Beispiel 2: Zweifach-Spritzgießwerkzeug für Winkeltülle 41

Bild 2 Zweifach-Spritzgießwerkzeug für Winkeltülle1: Aufspannplatte FS, 2: Formplatte FS, 3: Formplatte BS, 4a, b: Formeinsätze FS, 5a,b: Formeinsätze BS, 6: Wärmeisolierplatte, 7a, b: vorderesAuswerferpaket, 8a, b: hinteres Auswerferpaket, 9: Leiste, 10: Aufspannplatte BS, 11: Zweistufenauswerfer, 12: Auswerferbolzen, 13:Kugelführung, 14: Angießdüse mit Vorkammer, 15: Zentrierflansch, 16: Distanzring, 17: Zylinderstift, 18: Kernstift (Bohrung), 19: Auswerferhülse,20: Kernstift (Zapfen), 21: Einsatz, 22: gefederter Auswerferstift FS, 23: Rückdruckstift FS, 24: Auswerfer mit Hinterschnitt Werkbild: HASCO, Lüdenscheid; Möller, Bad Ems