10/2010: Sauregurkenzeit

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SAUREGURKENZEIT SAISON DER KLEINSTEN KARTOFFELN die kritisch-unabhängige Studierenden-Zeitung über.morgen www.uebermorgen.at | Jahr 2, Ausgabe 10 | Fr 27.8.2010 | Kostenlos ÜBER.MORGEN AUF URLAUB S. 4-8 FOTO: AXT TWILIGHT: ALTES FRAUENBILD NEU VERMARKTET S. 13 BLUT UND HODEN S. 12 FOTO: TAYLOR´S WISH GÄHN

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Eine Reise durch Bosnien- Herzegowina, ein Besuch der Hansestadt Hamburg und Urlaub in Altaussee - Impressionen erlebter Ortswechsel sind über.thema in der neuen über.morgen. Was Storch Heinar mit Thor Steinar zu tun hat und wie der "Nürnberger Modeverbrecherprozess" ausging, könnt ihr in der aktuellen Ausgabe nachlesen. Die Potenz der Sprache wird im Politik- und Kommentarteil beleuchtet. Der Graus denkt über "Wiener Blut" nach und was am Fusse des Erzberges geschieht, lest ihr unter über.bildung.

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sauregurkenzeitSaiSon der kleinSten kartoffeln

die kritisch-unabhängige Studierenden-Zeitungüber.morgen

www.uebermorgen.at | Jahr 2, Ausgabe 10 | Fr 27.8.2010 | Kostenlos

über.morgen auf urlaub S. 4-8

Foto: axt

twilight: alteS frauenbildneu vermarktet S. 13

blut und hoden S. 12

Foto: taylor´s Wish

GÄHN

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Was kostet die Welt?

impressum

liebe leserinnen, liebe leser

in Kürze

so nah und doch weit weg. Vor den toren der

EU: Eine reise durch Bosnien

hamburg calling - ein roadtrip

heimaturlaub

storch heinar vs. thor steinar

über.foto

am Fusse des Erzberges. 50 Junge Menschen

sammeln ideen für eine bessere Welt.

EMs - Express-Mediziner-sortierung

Erdöl - suchtler

Vom täuschen und tarnen und der selbstver-

schuldeten Unmündigkeit

Blut und hoden über die Potenz der sprache

Die Gerüchte Küche brodelt: Kürzung der Fa-

milienbeihilfe?

stephenie Meyer. Bis(s) der Feminismus ge-

schlagen ist

if you like dancing – repair your future

Die sendung mit dem Graus. heute: Wiener Blut

Frequenzy. reizüberflutung an der traisen

Unser lieblingsplatz

hund der Woche

Unser Zahlenrätsel

sudereck: sommer

impressumMedieninhaber & herausgeber: Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen. 1170 Wien. taubergasse 35/15. tel.: +43664 558 77 84, homepage: http://www.ueber-morgen.at; redaktion: Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen. 1170 Wien. taubergasse 35/15; redaktionelle leitung: Dario summer, Markus schauta, Matthi-as hütter; herstellerin: Druckerei Fiona, www.fiona.or.at; herstellungs- und Erschei-nungsort: Wien; layout: axt; alle rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach §44 abs. 1 Urheberrechtsgesetz: © Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen.dem ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet.

Was kostet die Welt?Das ist eine Frage, die selbst wir nicht be­antworten können. Aber dafür können wir eine andere beantworten und zwar, wie viel eine Zeitung kostet: Sie kostet Geduld, viele Stunden intensives Diskutieren, Sch­reiben, Flyern, Austeilen. Sie kostet Telefo­nieren, Anheuern, Raum suchen, Laptops ständig ein­ und auspacken und den Kaf­fee mit den Freund_innen absagen.

Und sie kostet Geld, damit sie gedruckt wer­den und auch über.mor gen noch rauskom­men kann: Und zwar in einer Auflage, die garantiert, dass auch ihr eines unserer be­gehrten Exemplare in die Hände bekommt.

Eure Spende sichert nicht nur das regel­mäßige Erscheinen der über.morgen son­dern – wir sind ja nicht so – auch ein paar Tipps, die wir euch nicht vorenthalten wol­len. Einen dieser Tipps, stellen wir euch nun, kostenlos, gra tis aber hoffentlich nicht umsonst vor:

Nachdem ihr die druckfrische über.mor-gen gelesen habt, schwingt euren faulen Arsch aus der Trägheitslage des Hänge-mattenbeutels, nehmt die Beine in die Hand und flüchtet zur nächst gelegenen Minibar. Schnell ein Cocktailglas in die Hände gefasst, Tequila, Orangensaft und Grenadine hineingeschossen, Eiswür-fel dazu, ansetzten und einfach nur ge-nießen. Und die über.morgen - die lasst diesmal einfach ohne schlechtes Gewis-sen in der Sonne schmoren... Oder, wenn ihr leicht hyperaktiv veranlagt sein soll-tet, so bastelt aus der ersten Seite ein nettes Cocktailschirmchen, bringt zwar nichts, schaut aber bobo aus. [red]

über.inhalt

über.ich

über.thema

über.kurioses

über.bildung

über.denken

über.politik

über.kitsch&kultur

über.graus

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[email protected]

Konto: 00074753235 | BLZ: 60000 (PSK) Zweck: über.morgen Alle Einlagen gehen ausschießlich zu­gunsten des Vereins (Druckkosten).

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Ein tiefes Loch der Sinnlosigkeit hat uns alle in seinen Bann gezogen. Schwerelos schwe­ben wir im luftleeren Raum. Prüfungsfrei, zwischen Hängematte am Strand, kaltem Nass, Sommerlektüren, der Lieblingsbar mit ihren prickelnden Erfrischungsgeträn­ken ­ möglichst alkoholhaltig, aber dennoch leicht im Abgang ­ drückend­heißen Gas­senschluchten in der Wiener Altstadt und dem leidigen Sommerjob oder unentgeltli­chen Praktikumsplatz herumdiffundierend, aber ständig die anstehenden Prüfungen im Hinterkopf herumschwirrend und schwanger

von leichten Gewissensbissen, das unwei­gerliche Lernen schon wieder unnötig vor uns her zu schieben, haben wir uns aus der Sommerlethargie erhoben, und präsentieren euch, plötzlichen Schweißausbrüchen und übernächtigen Augenringen zum Trotz, die neue über.morgen. Als Opfer des alljährli­chen Sommerlochs erkoren wir ebenjenes zum über.thema.

Bleibts o’glahnt!

Euer über.ich

Liebe Leserinnen,Liebe Leser

Heldenzitat

ScHlingenSief verStorben PArAGrAf 278B („TErrOriSTiSCHE VErEiNiGUNG“)

über.ich

Wienerblut gegen braune brut

SuSiklub

buS Winken

Die Wir Sind Helden Frontfrau Judith Holo­fernes hat der FAZ veraten, was sie am liebsten zu unfairen Musikjournalisten sa­gen würde: “Und du bist ein blödes, mick­riges Arschloch. Ein trauriger Nichtmusiker. Gründe ‘ne Band und beruhige dich.”

Die Kunstszene verlor einen ihrer ganz gro­ßen Aufreger. Christoph Schlingensief ver­lor seinen Kampf gegen den Krebs. Bis kurz vor seinem Tod war er künstlerisch aktiv und polarisierte mit seinen Aktionen.

Sarah Wassermair lud am 25. August zu der Aktion „Mein Wiener Blut für Fremde ­ mei Wiener Blut is a Melange“. Jeder, egal welcher Herkunft war aufgerufen Blut zu spenden um gegen das umstrittene FP­Wahlplakat zu protestieren.

Die Staatsanwaltschaft Wien überlegt eine Anklage laut Paragraf 278b gegen die vier Studierenden, welche verdächtigt werden einen Müllcontainer im Eingangsbereich des Arbeitsmarktservice in der Redergasse an­gezündet zu haben.

In der Wiener Partyszene sorgt in letzter Zeit der Susiklub für Furore. Wir haben ihn im Werk in der Neulerchenfelderstraße be­sucht und waren begeistert. Der aktuelle Termin ist via facebook in Erfahrung zu brin­gen. Sucht einfach das Profil “Susi Klub”.

Cirka 60 Menschen winken den vorbeifah­renden Bussen (13A und 14A) zu ­ mit dem Ziel die Fahrgäste zum Lachen zu bringen. Die Veranstalter sagen dazu: „Ziel ist die spontane Hebung der Atmosphäre im Öf­fentlichen Raum und ­ Verkehr.“ Das ganze fand am 21. August am Fritz­Grünbaum­Platz statt.

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Foto: schlinGEnsiEF.coM

Foto: Wir sinD hElDEnFoto: sUsiKlUB

Foto: alBErt Mali

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Mit deM euro-LiNer GreNzeN überscHreiteN

90 Kuna kostet das Busticket nach Mostar. Da die freundliche Kroatin hinter dem Schal­ter nur Bargeld annimmt, hebe ich noch ei­nige Kuna ab.

Was übrig bleibt tauschen wir im Proviant­laden gegen Bierdosen ein, was sich bald als Fehler erweist. Denn der Busfahrer ver­langt einen Aufpreis von 10 Kuna für jedes Gepäckstück, das er in den Bauch des Bus­ses schiebt.

Wir zeigen unsere leeren Geldtaschen vor, deuten auf die Bierdosen, reden von Hit­ze, Durst und der langen Fahrt – er zeigt Verständnis, das Gepäck wird eingeladen.

Neum ist die einzige Hafenstadt Bosnien­Herzegowinas. Sie liegt an einem 25 Kilo­meter langen Küstenstreifen, der über einen schmalen Korridor mit dem Kernland Bos­nien­Herzegowinas verbunden ist und sich mitten durch das kroatisches Staatsgebiet zieht. So kommt es, dass wir am Weg nach Mostar drei Grenzen überqueren. Die Dau­er der Passkontrollen lesen wir an den ge­rauchten Zigaretten des Busfahrers ab.

Hinter Neum öffnet sich die Küste zu ei­nem breiten Delta, durchzogen von den Ar­men des Neretva­Flusses. Der Bus biegt nach Norden ab. „Welcome to Bosnia and Herzegowina“ lesen wir nach der dritten Grenzkontrolle, sehen ein Minarett, das aus einer Ansammlung zusammengekau­erter Häuser hervorragt und Ortstafeln, auf denen die kyrillischen Ortsnamen mit Spraydosen unkenntlich gemacht wurden.

Mostar

Nach drei klimatisierten Stunden steigen wir in Mostar aus dem Euro­Liner. Bis vor kurzem gab es hier zwei Busbahnhöfe, ei­nen für die Kroaten und einen für die Bos­niaken. Auch hat jede Bevölkerungsgruppe ihre eigene Feuerwehr und Müllabfuhr. Im­merhin konnte sich die Stadtverwaltung zu einer gemeinsamen Polizei durchringen.

Das Motel unserer Wahl heißt Kriva Ćuprija. Das steinerne Gebäude mit seinem Holzbal­kon hängt wie ein Schwalbennest über der Radobolja. Vom gemauerten Flussbett steigt kühle Feuchtigkeit auf – ein guter Platz um

Die Hitze und das monotone Stampfen der Fähre machen mich träge. Um 06:30 Split, zwei Stunden später Stari Grad, um Mittag Korčula – überall strömen Touristen aus dem Bauch der Fähre und ergießen sich über die Anlegedecks, um kurze Zeit später in den Straßen und Gassen der kroatischen Ha­fenstädte zu versickern.

Das erste Bier reißt mich aus meiner Träg­heit; das zweite macht mich müde; nach dem dritten schlafe ich ein. Als das tiefe Signalhorn des Fährschiffs ertönt, fahren wir bereits an der Schrägseilbrücke vor­bei, die sich nord­westlich von Dubrovnik über einen Meeresarm spannt. Weil sich die Politiker nicht einigen konnten, erhielt das Stahlkind zwei Namen: Tudjman­Brü­cke und Dubrovnik­Brücke.

Der Hafen Gruž liegt drei Kilometer außerhalb der Altstadt Dubrovniks. Wir warten auf den Bus, haben kein Ticket als er endlich kommt und gehen zu Fuß los. Nach 20 Minuten ste­hen wir vor den alten Festungsmauern: Dub­rovnik, reich geworden durch den Seehandel, zerschossen von serbischen und monteneg­rinischen Granaten, nach dem Krieg wieder aufgebaut, ist heute eine der begehrtesten Europa­Destinationen für US­Touristen.

taG uNd NacHt iN dubrovNik

In Dubrovnik gibt es Touristen – und es gibt viele davon. Sie zwängen sich durch die schmalen Stadttore und Gassen, krabbeln auf der Stadtmauer umher und schieben sich in kleinen Kolonnen über die glatten Steinplatten des Stradun. Am einen Ende dieses lang gezogenen Platzes fotografie­ren sie den von Schwalben bewohnte Uhr­turm, am anderen Ende erfrischen sie ihre verschwitzten Touristenleiber mit dem küh­len Wasser des Onofrio­ Brunnens.

Wenn der Tag geht, wird die Musik in den Bars lauter gedreht. US­Amerikaner und Briten ziehen durch die Straßen, auf der Suche nach Alkohol und Partys. Junge Leu­te bevölkern die neu eröffneten Pubs und Clubs in der Altstadt. Steigt man zu den höher gelegenen Stadtteilen empor wird es rasch ruhiger. Hier wohnen die Dubrov­niker. Fenster und Türen der kleinen Häu­ser stehen offen. Warmes Licht fällt auf die steingepflasterten Gassen, ein Biertrinker rülpst uns aus seinem Fernsehsessel ent­gegen, Geschirr klappert.

so nah und doch weit wegVor DEn torEn DEr EU: EinE rEisE DUrch BosniEnEine sommerliche reise in eine region, wo vor mehr als zehn Jahren der letzte schwere Konflikt Europas ausgetragen wur-de, eröffnet Einblick in eine Welt, welche den meisten Europäern noch unbekannt ist.

über.thema

straNdHitze

Am Strand von Dubrovnik stehen gepolsterte Liegen auf Stelzen. Mit Tüchern überspannt und weißen Vorhängen an den Seiten, die vor Sonne und neugierigen Blicken schüt­zen. Dorthin trägt der braungebrannte Kellner Sektkübel voll Eis in denen Spumante­Fla­schen stecken.

Jenseits der gepolsterten Liegen, dort wo man keinen Eintritt bezahlt, liegt es sich

hart. Am steinigen Sandstrand breiten Kro­aten und Touristen ihre Badetücher aus. Der Strand ist voll von Menschen. Er erinnert an Bibione, oder Rimini, oder das städtische Freibad im Hochsommer – egal, Hauptsa­che Meer und Abkühlung.

Ich reiß mir ein Bier auf und zünde eine Mo­ratti an und das Meer rauscht und die Son­ne knallt mir ins Gesicht, am Strand von Dubrovnik.

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va­ Straße blüht der Straßenstrich und über dem Westteil der Stadt, dort wo die Kroa­ten wohnen, schwebt ein leuchtendes wei­ßes Kreuz am Nachthimmel.

Wir sind noch einige Tage in Bosnien, kom­men auch nach Sarajewo. Überall sehen wir wieder aufgebaute Moscheen und Kirchen. Und eine Vielzahl neu errichteter Gotteshäu­ser, die sich in der Höhe ihrer Kirchtürme und Minarette gegenseitig zu übertrump­fen versuchen.

Und ich habe den Eindruck, dass hier drei Religionsgemeinschaften ihre Claims ab­stecken. Was Hand in Hand geht mit dem Anspruch, wer wo leben darf. Denn wo Mi­narette aufragen, leben Bosniaken, wo ka­tholische Kirchen stehen die Kroaten und wo man das orthodoxe Kreuz sieht, dort woh­nen Serben – so einfach ist das scheinbar.

In unserem bosnischen Reisebus warten wir eine Stunde an der slowenischen Gren­ze, bevor sich uns die Tore der Festung EU öffnen. Eine weitere Stunde dauert es, bis der österreichische Zoll alle Gepäckstücke mit einer mobilen Röntgenstation durch­leuchtet hat.

Während wir rauchend den österreichi­schen Beamten bei ihrer Arbeit zusehen, erklärt mir eine Kroatin, dass sie zuversicht­lich sei. Zuversichtlich dass in Bosnien bald alles besser werden wird: „Nach dem Tod der Kriegstreiber Izetbegović, Tudjman und Milošević können die Menschen jetzt wie­der in Frieden leben.“

Ich nicke und zünde mir meine letzte Mo­ratti an.

über.thema

im Schatten der Markise ein Bier zu trinken.

Adi weiß Bescheid. Wenn wir was brauchen, sollen wir zu ihm kommen. Er kann Ausflü­ge organisieren, er kennt die Stadt und er ist der Oberkellner des Motels Kriva Ćuprija. Adi kümmert sich auch um die Parkplätze. Gleich oben an der Straße, dort soll unser Kollege aus Graz, mit dem wir uns hier ver­abredet haben, sein Auto hinstellen: „Das Haus dort gehört einem wichtigen Mann aus Mostar. Das Auto ist dort sicher.“

Vor 15 Jahren endete der Krieg im ehemaligen Jugoslawien mit dem Dayton­Abkommen.

Gekämpft wurde auch in Mostar: Zunächst Kroaten und Bosniaken gegen Serben. Dann Kroaten gegen Bosniaken. Entlang des Bulevar Dr. Ante Starčevića verlief die Frontlinie. Eine Linie, die die Stadt teilte und die vorgab, in welche Richtung die Grana­ten geschossen wurden, je nachdem, auf welcher Seite der Linie man sich befand. Immer noch stehen hier ausgebrannte Be­ton­Gerippe, ruinierte Häuser aus denen die Fensterstöcke herausgerissen wurden, Hauswände von Granatsplittern zersiebt. Die Einschusslöcher von Gewehrsalven an den Straßenfronten der Wohnhäuser sehen aus wie zufällig hingeworfen.

Das Stadtbild um die Stari Most (Alte Brü­cke) ist ein anderes: Als wir in das mittel­alterliche Stadtviertel eintauchen, haben die Touristen ihre Appartements verlassen und treiben durch die Gassen, angelockt von bunten Souvenirs, Touristen­Menüs, kühlem Bier oder eisgekühlter Zitronenli­monade. Hier in der Altstadt wurden die meisten der im Krieg zerstörten Gebäu­de mit Hilfe der UNESCO wiederaufge­baut. Einige der Häuser sind noch mit den alten Steinplatten gedeckt, auf anderen leuchten orange Tonziegel in der Sonne.

aLLaH ist Gross

Eine Handvoll Gläubige knien in zwei Rei­hen, den Blick Richtung Mekka gewandt. Zwischen ihnen und der Gebetsnische der Imam, das Gebet singend: eine ernste fei­

erliche Melodie. Zeitgleich folgen sie den Bewegungen des Vorbeters. Erheben sich, wenden die Köpfe nach links und rechts, kni­en sich hin, werfen sich zu Boden.

Hinter den Reihen der Männer nimmt eine verschleierte Frau am Gebet teil. Neben ihr sitzt unruhig ihre kleine Tochter.

Nach 15 Minuten ist das Gebet in der Ka­radjoz­Beg Moschee vorbei. Die Gläu­bigen, zum großen Teil Jugendliche in T­Shirts, manche von ihnen mit langen Bärten, erheben sich, grüßen einander mit „Salam“ und verlassen die Moschee.

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Der Imam stellt sich als Izudin Mezit vor, 26 Jahre alt. Während des Krieges lebte er in Deutschland. Zuerst gibt er sich wortkarg, er hätte nicht viel Zeit. Doch dann erzählt er vom sozialistischen Jugoslawien, dem bosnischen Islam und vom Boxer Sturm. Felix Sturm, alias Adnan Catic, dessen El­tern aus Mostar stammen, kämpft im Ring für Deutschland.

Den Kampf in der Ring­Arena am Nürburg­ring wollte er sich live ansehen. Doch als Bosnier ein Visum für den Schengenraum zu erhalten sei eine „unglaublich kompli­zierte Prozedur“.

„Ab fünf Uhr in der Früh stellen sich die Menschen vor der Deutschen Botschaft in Sarajewo an“, klagt Izudin Mezit.

Anders als bei Makedoniern, Montene­grinern und Serben, für die die Visum­Pflicht aufgehoben wurde und die seitdem gerne ihre Urlaube in Griechenland ver­bringen, besteht für Bosnier, die in die EU wollen, immer noch Visum­Pflicht.

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Aus der dunklen Abyss eines namenlosen Keller­Clubs dröhnen dumpfe Techno­Klän­ge, von der Marshall­Bar hallt der Gesang einer Zwei­Mann­Band herüber, in der Tito­

Foto: Gari.BalDi

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36 Stunden später stehen wir in Wien Hüttel­dorf. Es war kaum Zeit um etwas zu planen. Konkret haben wir keinen Schlafplatz und ich kaum Ahnung von der Route. Doch der Daumen ist draußen. Es ist 10 Uhr. Schnell sind wir raus aus Wien, stranden aber schon bald an der Raststätte Ansfelden bei Linz.

Mehr als zwei Stunden quatschen wir dort Leute an, in der Hoffnung auf eine Mitfahr­gelegenheit. Kurz vor der Resignation rei­ßen wir doch noch wen auf. Klemens, ein Businessman aus Hannover. Er fährt durch­schnittlich 200km/h und kann dabei noch Zigaretten drehen. Nach einem kurzen Zwischenstopp auf halbem Weg, wo Kle­mens seinen Geschäf­ten nachgeht, kommen wir nach Hannover. Die letzten 130 Kilometer nehmen uns zwei junge Physiotherapeutinnen in ihrem gelben Kleinstwagen mit. Um 23:30 Uhr haben wir es geschafft. Wir sind in Hamburg. 1100 Kilometer in 13 ½ Stunden. Ein Wunder.

Gelandet sind wir in der Gegend des Haupt­bahnhofes. Die „Sehenswürdigkeiten“ sind hier Sexshops, Stundenhotels und der Kin­derstrich. Ein interessanter erste Eindruck. Doch schon nach einer halben Stunde quar­tieren wir uns im A&O­Hostel am Haupt­bahnhof ein, für 12 Euro die Nacht.

Der Road­Trip hat ein Ende. Der Touri­Trip kann beginnen. Sightseeingmäßig gibt Ham­burg viel her. Pflicht sind die historische Speicherstadt, die neue HafenCity mit fast fertiger Elbphilharmonie, die alte Innenstadt mit dem Michl, also der Hauptkirche Sankt Michaelis und natürlich der Hafen. Näch­tens ist natürlich die Reeperbahn mit allem drum und dran ein Muss. Abseits der Glit­zer­und­Glammer­Straße gibt’s auch noch wirklich Gemütliches am Kiez. Der Ham­burger Berg bietet genug Lokale, welche eher von Studierenden besucht werden. Für Freunde des Nachtsportes gibt es auch die 3­Zimmer­Wohnung am Gatzenberg, nahe der Reeperbahn. Diese beheimatet im Kel­ler einen Kicker­(Tischfußball)­Klub, wo sich Spieler_innen aller Niveaustufen messen.

Einen ganzen Tag widmen wir dem Schan­zenviertel. Dieses ist der alterativste Teil von St. Pauli. Viele kleine Designershops reihen sich an gemütliche Restaurants und Bars. Will man billig und gut essen, ist man hier richtig. Ein weiterer Höhepunkt ist hier die rote Flora, ein seit Jahren besetztes Thea­ter. Es bietet alternatives Kulturprogramm und fungiert als szeneübergreifender Treff­punkt. Skater, Sprayer, Punks und ande­

Es ist Dienstag. Ein lauer Sommerabend. Ich sitze im Garten und mich packt das Reise­fieber! Auf facebook texte ich das allent­scheidende Posting: „wem ist langweilig? wer hat zeit und ein auto? und wer will nach hamburg oder ams­terdam?“ Alex hat kein Auto, der Rest passt und er will nach Hamburg. Wir entschließen uns zu trampen.

re leben hier ein erfrischendes Szenemix.

Auch am Abend ist das Schanzenviertel ei­ne Garantie, was Livestyle betrifft. Im Grü­nen Jäger steigen die besten Indie Partys der Stadt, und im Übel & Gefährlich tanzt man sich zu Elektrobeats die Füße wund. Aber auch die etlichen Lokale entlang dem Schulterblatt, der belebtesten Straße im Schanzenviertel, brauchen sich in punkto Gemütlichkeit und Angesagtheit nicht zu verstecken.

Das optimale Katergegenmittel ist der Fisch­markt. Ein zünftiges Fischbrötchen repariert alles. Zum Relaxen am Nachmittag emp­fiehlt sich einer der zahlreichen Beachclubs an der Elbe. Der StrandPauli ist dabei wohl der kultigste.

Die letzten beiden Nächte machen wir Couchsurfing. Die kostengünstigste aller Übernachtungsmöglichkeiten inkludiert meist auch eine_n Hamburgreiseführer_in. Kathi stellt uns nicht nur ihren Wohnzimmerboden zur Verfügung, sondern auch ihre Hamburg­kenntnisse. Hier gehört auch eingeschoben, dass Hamburger_innen generell die freund­lichsten Menschen der Welt sind. Bereitwil­lig geben sie Wegauskünfte, würzen diese gleich mit Sightseeingtipps und spendieren auch mal ein Bier. Außerdem haben sie ein Faible für Sisi und österreichische Dialekte.

Heim geht es dann mit der ÖBB­Sparshiene per

ICE. Kostet 59 Euro und dauert neunein­halb Stunden. Mit einer Kiste Astra, Haus­bier Hamburgs und treuer Reisebegleiter im Gepäck, heißt es nun auf Wiedersehen und bis bald.

hamburg caLLing - ein roadtripWas passiert, wenn unsere redakteure das reisefieber packt. Sie zeigen wie man auch mit knappem Budget und ohne gro-ße Planung die Hansestadt Hamburg erleben kann.

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DiE WiEN-HAMBUrG-CONNECTiON

Nach ein paar Fläschchen Astra erzählt so mancher alt eingeses­sene Hamburger gerne die Geschichte des Hamburger­Nahver­hältnisses zu Wien. Vor allem deswegen, weil es mit Sex, Gewalt und der Reeperbahn zu tun hat. Denn 1965, so munkelt man, wollten die Wiener Strizzis den Kiez über­nehmen, da in ihrer Hei­ mat aggressiver gegen sie vorgegangen wurde. Eine Welle der Gewalt ging mit den Revierkämpfen einher. Morde, Bombenanschläge und wilde Schlägereien standen an der Tagesordnung. Die Folgen sind bist heute wahrnehmbar. Der Babystrich wurde quasi durch die Wiener eingeführt und die Wachmacherdroge Preludin wurde durch sie etabliert.

Schaut vor dem ersten Mal ins Internet, das stehen viele nützliche Tipps.

Zum Beispiel hier:

http://de.wikibooks.org/wiki/Trampen_-_

Reisen_per_Anhalter

www.anhalterfreunde.de

www.abgefahren-ev.de

www.hitchwiki.org

www.tramprennen.org

www.race.abgefahren-ev.de

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DEr HAMBUrGEr UNi-ZWiST

In Hamburg wird ein Umzug der Universität in die neu errichtete HafenCity überlegt. Die Studierenden und das universitäre Um­feld gehen auf die Barrikaden. Die Gründe für den geplanten Um­zug sind laut offiziellen Stellen die marode Bausubstanz der alten Gebäude und die Aufwertung des neuen Stadtteiles HafenCity. Gegner befürchten jedoch durch den Neubau eine Kostenexplosion und starke Einschnit­ te im univer­sitären Alltag. Der Grund dafür wäre, dass sämt­liches universitäres Leben, von den Wohnplätzen der Studierenden, über die peripheren Universitäts­gebäude, bis hin zum kulturellen Angebot, welches sich im Umfeld des jetzigen Unistandortes abspielt, verlagern würde. Eine Verle­gung würde, laut Umzugsgegnern, zu einem sozialen Vakuum in diesem Stadtteil führen, dessen Folgen nicht abschätzbar wären. Jedoch ist die endgültige Entscheidung für oder gegen den Neu­bau noch nicht gefallen.

Informiert euch im Vorhinein über die Route und nehmt euch eine Straßenkarte mit. Plant unter Umständen auch Zwischenstopps ein.

Schaut, dass ihr von Raststätte zu Raststät­te trampt, da kommt man leichter vorwärts und kann die potenziellen Mitfahrgelegen­heiten persönlich anquatschen.

Fragt auch Leute, die nicht so aussehen, als würden sie Tramper mitnehmen. Denn auch ein Geschäftsmann mit Anzug und Krawatte war mal jung und wählte früher diese Reisemethode.

Nehmt euch einen Schlafsack mit, es kann passieren, dass ihr irgendwo hängen bleibt und übernachten müsst.

Habt immer so viel Geld dabei, dass ihr im Notfall in die nächste größere Stadt oder gar bis nach Hause kommt.

Sonnencreme und Regenschutz sind manch­mal ganz praktisch und man merkt erst zu spät, dass man sie vergessen hat.

Alleine kommt ihr schneller vorwärts, in Be­gleitung ist es aber sicherer.

Wasser, Jause und festes Schuhwerk sind auch ganz nette Begleiter.

Couchsurfen, also bei fremden Menschen übernachten, ist super, muss aber früh ge­nug geplant werden. Zwei bis drei Tage davor ist schon sehr knapp. Hier ist die dazupas­sende Plattform: www.couchsurfing.org

Wollt ihr in einem Hostel übernachten? Dann empfiehlt sich ein Vorhängeschloss für eventuelle Kästchen und Badeschlapfen für eventuell nicht ganz saubere Duschen.

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8 über.thema

Publikums: Eine schwer verdauliche Melan­ge aus den beschriebenen, kostümierten Wiener Touristen einerseits, und auf diesel­be Art und Weise gekleideten Angehörigen der einheimischen „Dorfelite“ (Bürgermeis­ter, Pfarrer, Lehrer) andererseits.

Abgesehen vom Gedanken wie lächerlich es ist, eine literarische Lesung in einem derart herausgeputzten Outfit zu besuchen, be­schlich mich die Erkenntnis, dass die arme Frau Frischmuth zu einem Publikum liest, welches wahrscheinlich zu 80% noch nie­mals selber ein Buch gelesen hat und dessen einziger Daseinszweck bei dieser Veran­staltung das Gesehenwerden durch andere Menschen ist. Die phasenweise durchaus hintergründigen und zweideutigen Tierfa­beln der Autorin führten immer nur dann zu Lachern, wenn irgendwelche schweini­schen Ausdrücke vorkamen, ähnlich dem Verhalten einer pubertierenden Schulklasse.

Die letzte der vorgetragen Tiergeschichten handelte von Schweinen, mit denen nicht nur die vierbeinigen Stallbewohner gemeint waren. Auch Passagen wie „…um Karriere zu machen, genügt es nicht, Schwein zu sein, da muss man auch noch Schwein haben, und zwar vom Feinsten, zart und knackig zugleich, wie das Spanferkel zu Silvester“, regten zu keiner Reaktion, die ein Verste­hen des Gehörten erkennbar gemacht hät­ten. Am Ende verließ die Schweineherde den Veranstaltungssaal und suhlte sich im Schlamm ihrer eigenen Selbstherrlichkeit. Schön, zuhause zu sein!

Es ist ein spezielles Gefühl, aus einem kleinen Ort zu stammen und in diesen Ort in regel­mäßigen Abständen zwecks Familien­ bzw. Freundesbesuch zurückzukehren. Mein im steirischen Salzkammergut gelegener Hei­matort Altaussee stellt in diesem Zusam­menhang einen ganz besonderen Reiz dar.

Vor allem im Sommer erkennt man das Dorf aufgrund der touristischen Überbevölkerung fast nicht wieder, was positive wie auch ne­gative Seiten hat. In erster Hinsicht ist zu erwähnen, dass im Vergleich zu den Mo­naten der Nebensaison einfach ein weitaus vielfältigeres Angebot an Möglichkeiten der Abendgestaltung herrscht. Neben den üb­lichen folkloristischen und in ihrer simplen und anbiedernden Art widerlichen Veranstal­tungen rund um das lokale Brauchtum, gibt es Kulturveranstaltungen, welche, verbun­den mit der landschaftlichen Anschaulich­keit der Region, kurzweilige und anregende Unterhaltung bieten.

Die angesprochenen negativen Seiten stehen im Zusammenhang mit der Zusammenset­zung der hiesigen Schar an Sommergästen. Es handelt sich – Gott sei es gedankt – nicht um jene kamerageile und in ihrem Niveau unterklassige Seitenblickegesellschaft, wie sie sich im Sommer vorzugsweise rund um den Wörthersee und im Winter in Kitzbühl tummelt, im Gegenteil. Mein Dorf genießt den wenig ehrhaften Ruhm, bei jener Gesell­schaftsschicht besonders hoch im Kurs zu stehen, welche aufgrund ihrer zweifelhaften Tätigkeiten seltener in den Klatschspalten der Zeitungen und Magazine zu finden ist.

Ich rede in diesem Zusammenhang von Men­schen wie dem Großindustriellen und ehe­

heimaturLaubWenn sich Großindustrielle ein Dirndl überziehen und über die Landschaftsidylle in Altaussee herfallen, freut man sich ganz besonders, seinem Heimatort einen Besuch abzustatten.

maligen Finanzminister Hannes Androsch, dem Vorsitzenden der Industriellenvereini­gung Veit Sorger, dem ehemaligen Gene­raldirektor der Casinos Austria Leo Wallner und dem deutschen Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt (allesamt mit repräsentativen Zweitwohnsitzen in der Region vertreten). Diesen Personen begegnet man aufgrund ihrer öffentlichkeitsscheuen Lebensweise jedoch eher selten. Um sie herum haben sich allerdings auch Exponenten der zwei­ten und dritten Klasse der österreichischen, genauer gesagt Wiener, „Geldgesellschaft“ angesiedelt (Ärzte, Anwälte, hauptberufli­che Söhne und Töchter), die aufgrund ih­rer weniger herausragenden (finanziellen) Stellung umso mehr darauf bedacht sind, ihre (Un­)Wichtigkeit und ihre (un­)beträcht­lichen materiellen Mittel in der Öffentlich­keit darzustellen.

Vorzugsweise gestaltet sich das derartige, gockelhafte Gehabe durch das Tragen ei­ner regionalen, mit teurem Geld erkauften Tracht (Lederhose oder Dirndl) bei jeder sich ergebenden Gelegenheit (beim Frühstücken im Kaffeehaus, beim Baden am See, beim abendlichen Soupieren in den überteuerten Gaststuben des Ortes). Eine weitere Gele­genheit für ein solches Showtragen sind die bereits erwähnten Kulturveranstaltungen.

So besuchte ich diesen Sommer eine Le­sung der gebürtigen Altausseer Schriftstel­lerin Babara Frischmuth, die sich durch ihr literarisches Schaffen über die Grenzen ihrer Heimat hinaus einen Namen gemacht hat, auf der sie ihr neues Buch „Die Kuh, der Bock, seine Geiß und ihr Liebhaber“ prä­sentierte. Von Beginn an war ich angewidert von der Zusammensetzung des [jei]

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nehmer mit Sitz in Dubai übernommen wurde. Dieses Paradoxon ist auch einigen „Nationalen Sozialisten“ aufgefallen, wie Kommentare auf einschlägigen Inter­netportalen zeigen: „Wir als Nationale Sozialisten lehnen ganz klar die MediaTex GmbH und ihre Marke ‚Thor Steinar‘ ab. Wir sind der Meinung, dass man unsere komplexe Weltanschauung nicht auf ein T­Shirt drucken kann, welches 32.95€ kostet und von einem Araber produziert wird.“Nichtsdestotrotz ist die Marke Thor Stei­nar fest in der neonazistischen Szene ver­ankert, wie „komplex“ deren Weltanschau­ung auch sein mag. Unter anderem sind in Berlin, Dresden, Halle und Nürnberg Thor Steinar Läden zu finden – oft hinter dicken Plexiglasscheiben versteckt, hinein kommt nur, wer klingelt. Der Grund hierfür ist in den zahlreichen Protestaktionen der Städte zu finden: Von riesigen Plakatan­schlägen bis hin zu Mahnwachen vor dem Laden versuchen die Anwohner alles, um die rechte Szene wieder loszuwerden.Die JungsozialistInnen von Mecklenburg Vorpommern haben nun eine etwas ande­re Art des Protestes gestartet, sie haben das Klamottenprojekt Storch Heinar ins Leben gerufen.

Heinar ist ein etwas schwächlicher Storch, in seiner Jugend viel gehänselt, der es nun mit Stahlhelm, Seitenscheitel und Hitlerbärtchen der Welt zeigen will.Zusätzlich zu Heinars Tagebuch, in dem er die Suche nach dem heiligen Ei schil­dert, in Anlehnung an die Frage, ob Hitler tatsächlich nur einen Hoden hatte, gibt es zahlreiche „T­Hemden“ für Männer und Spaghettiträgertops alias „Nudelhemden“ für Frauen im Angebot.Thor Steinar verklagte daraufhin die Jusos aus „markenrechtlichen Gründen“ (in Hei­nars Worten: „Führers Federboa steht in Flammen!“), doch Storch Heinar gewann im „Nürnberger Modeverbrecherprozess“, da keine Verwechslungsgefahr zwischen Storch Heinar und Thor Steinar bestehe, und eine satirische Auseinandersetzung mit dem Thema durch die Meinungs­ und Kunstfreiheit gedeckt sei. Um für die Prozesskosten aufzukommen, ist Heinar allerdings auf Hilfe angewiesen: Wer ein „Retter­Hemd“ erwirbt, unterstützt zum einen das Projekt Heinar, und wird zum anderen zum „Weltkriegsverliererbesieger seit 1945“.Mehr Infos auf: www.storchheinar.de

über.kurioses

Thor Steinar Kleidung ist weithin bekannt als Erkennungszeichen der neonazisti­schen Szene. Die Kleidungsstücke tragen Aufdrucke „völkischer Symbolik“, wie der Brandenburger Verfassungsschutz feststellte, und zeigen eine „glorifizierende Sicht der Wehrmacht“.Herausgebracht wird die Marke von der MediaTex GmbH, die 2002 gegründet, und 2009 von einem arabischen Unter­ [arr]

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Über.fotoSauregurkenzeit ist ein sprichwörtlicher Ausdruck, der seit dem späten 18. Jahrhundert in Gebrauch ist. Der Ausdruck bezeichnete ursprünglich ei­ne Zeit, in der es nur wenige Lebensmittel gab; ähnliche Ausdrücke sind das englische „season of the very smallest potatoes.“

Da sich zu dieser Zeit auch in Politik und Kul­turleben wenig ereignet, wurde der Begriff vom Journalismus übernommen, um die nachrichten­armen Wochen des Sommers zu bezeichnen, in denen die Seiten der Zeitungen häufiger als sonst mit nebensächlichen und kuriosen Meldungen gefüllt werden. (Zitat: Wikipedia)

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Die Teilnehmer_Innen konnten so ihr Wis­sen erweitern, vertiefen und gleichzeitig an ihren Kommunikations­ und Teamarbeits­kompetenzen arbeiten. Neben den Work­shops hatten die Teilnehmer_Innen immer wieder Freiraum, um an ihren Ideen zu fei­len, sich auszutauschen, zu feiern, den Erz­berg zu besichtigen oder dem Koch in der Küche zu helfen. Gekocht wurde vegan, ve­getarisch und biologisch.

Am ersten Tag wurde dem eigenen Zugang nachgespürt und das Thema Nachhaltigkeit in seiner Vielfalt beleuchtet. Die darauf fol­genden Tage standen ganz im Zeichen der Projektentwicklung. In Formaten wie dem Open Space konnten sich alle Personen in­tensiv austauschen und einbringen. Dieser Prozess führte zu einer ständigen Konkre­tisierung. So entstanden in den fünf Tagen nicht nur interessante und spannende Pro­jektideen mit teilweise schon konkreteren Projektplänen, sondern vor allem ein Netz­werk aus motivierten, engagierten, kreati­ven jungen Menschen.

Trotz einigem Chaos, ständigen kleinen Pro­gramm­ und Ablaufänderungen, waren sich alle einig: „Super Team! Super Essen! Su­per Themen! Geniale Sache! Danke!“. Das nächste Jugendforum ist schon in Planung. Mehr Informationen und Updates findet ihr auf der Homepage www.getactive.co.at.

über.bildung

am fusse des erzberges50 JUnGE MEnschEn saMMEln iDEEn FÜr EinE BEssErE WEltEine Horde junger, motivierter Erwachsener stellte das Polytechnikum der Stadt Eisenerz für fünf Tage auf den Kopf. Work-shops statt Unterricht, Lachyoga statt Leibesübungen, gemeinsames Kochen statt Übungsfirma.

Im Rahmen des Get Active­Jugendforums für eine nachhaltige Welt haben sich rund 50 TeilnehmerInnen mit der Thematik Nachhal­tigkeit beschäftigt und selbst erste Schrit­te für eigene Projekte gesetzt. Das Ziel war es, gemeinsam Ideen zu entwickeln, diese zu konkretisieren und sich dafür Hilfe und Unterstützung zu holen. Etliche Coaches und Impulsgeber_Innen standen rund um

die Uhr für Einzel­ und Gruppengesprä­che zur Verfügung. Es wurden zahlreiche Workshops zu verschiedensten Themen angeboten. Von Tiefenökologie über neue Definitionen, von Nachhaltigkeit bis hin zu einer Schreibwerkstatt, in der intensiv an stimmigen und prägnanten Slogans wie „Trennen statt verbinden...bei Müll ist das Ok“ gearbeitet wurde.

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ems - express-mediziner-sortierungWer in Österreich ein Medizinstudium begin­nen will, muss den EMS, den Eignungstest für das Medizinstudium absolvieren. 2010 gab es 10.500 Bewerber_innen, die öster­reichischen Universitäten haben aber nur 1.500 Plätze zur Verfügung. Was bedeutet, dass nicht jede_r der/die den Test besteht auch garantiert einen Platz bekommt. Die österreichische Gesetzeslage erlaubt Studi­enrichtungen, die in Deutschland NC­pflich­tig sind, Auswahlverfahren am Beginn des Studiums einzuführen.

Interessierte müssen sich bereits im Feb­ruar für den EMS anmelden. Der nächste Schritt ist die Bewerbung bei der Wun­schuniversität. Daraufhin wird eine Testinfo ausgehändigt und über die Prüfungsmoda­litäten informiert. Somit ist die Anmeldung für den Test komplett.Am großen Tag wä­

re Testbeginn wäre mit 9 Uhr angesetzt. Doch mehr als die Hälfte der Bewerber_in­nen hat die Eingangskontrollen noch nicht passiert. Mit 30 Minuten Verspätung konn­te der Test beginnen.

Wer zu spät kommt, wird auf den nächs­ten Termin verwiesen. Laut einem Vertre­ter der Med­Uni haben diese Hürden den Sinn nicht ausdauernden Bewerber_innen vorzeitig rauszuekeln. Die ÖH der Meduni Wien begrüßt die Abhaltung von Eignungs­tests für absolut notwendig.“Die Selektion vor dem Studium ist in unseren Augen das probate Mittel, um dem Ansturmauf die Me­dizinischen Universitäten Herr zu werden. Knock­out­Prüfungen in den erstenSemes­tern und verschärfende Studieneingangs­phasen lehnen wir ab. Mit dem derzeitigen System haben Studienwerber, die nicht zum

Medizinstudium zugelassen werden noch ausreichend Zeit, sich nach Alternativen um­zusehen“ schließt der Konrad, Vorsitzender der ÖVP­Nahen ÖMU seine Ausführungen.

Der Verband Sozialistischer Studierender (VSStÖ) kritisiert in einer Aussendung das­Auswahlverfahren. „Es gibt keine fairen Zu­gangsbeschränkungen.Eignungstests, wie sie in Karls Eliten­Wunschträumen ange­dacht sind, wirken extrem sozialselektiv und hindern Studierende aus sozial schwäche­ren Familien undFrauen am Studieren, wie der EMS­Test jährlich beweist,” untermau­erte die Vorsitzende desVSStÖ Wollner ihre Kritik. “Der VSStÖ wird nicht aufhören, laut­starkgegen Zugangsbeschränkungen aufzu­stehen“, erklärt die Vorsitzende des VSStÖ.

[soli, sud]

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nicht ständig Raub, Mord und Totschlag zu veranstalten, brauchen sie einen Gott, der­sie überwacht und bei Gelegenheit drohend den Zeigerfinger erhebt.

Meinen Glauben an die Befreiung der Men­schen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit­verliere ich endgültig, als ich den verwirrten Kommentar des Weihbischofs Laun auf ka­thpress lese. In Zusammenhang mit den tragischen Ereignissen um die Love­Para­de schwafelt er von einem strafenden Gott, der die vom Weg abgekommenen zu sich gerufenhabe. Im Namen eines geglaubten Gottes verkündet er uns sein homophobes Weltbild. Doch anstatt den von der Vernunft abgekommenen alten Mann wachzurütteln, erntet er vonunzähligen Lesern Lob und Zu­spruch – dem Graus graut es.

Im Übrigen bin ich dafür, dass die Grünen­Chefin Eva Glawischnig zurücktritt.

über.denken

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Vergangenen Dienstag sitze ich in einem Lo­kal im Ersten, rauche Gauloises und asche in eine Schale, die normalerweise mit Erd­nüssen gefüllt ist. Der Kellner hat mir einen Aschenbecher verweigert mit dem Hinweis, dass dies ein Nichtraucher­Lokal sei. Rau­chen wäre aber ok,solange ich an Stelle des Aschenbechers die Erdnussschale benutze.

Täuschen und Tarnen ­ das kenne ich aus der Türkei. Im anatolischen Hochland sind die Wasserlöcher rar, an denen es Bier zu trinken gibt. Fragt der durstige Reisende dennoch nachdem Hopfensaft, geht das dann meistens so vor sich: Der Kellner blickt zunächst erstaunt und erklärt, er habe kein Bier, da es den Muslimen verboten sei Alko­hol zu trinken und selbigen auszuschenken. Leiser sprechend stellt er aber in Aussicht, welches besorgen zu können. Bekundet der erfreute Gast seine Zustimmung, wird dar­

vom täuschen und tarnenUnD DEr sElBstVErschUlDEtEn UnMÜnDiGKEit

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k o m m e n t a r Getrieben von dem Verlangen nach im­mer mehr von dem Rohstoff, stoßen wir bereits in Tiefen vor, die wir uns frü­her nicht einmal vorstellen konnten.

NebeNwirkuNGeN

Doch die Ölförderung in solchen unwirk­lichen Gegenden bringt auch Gefahren mit sich. Erst dieses Jahr konnte die Welt nur zusehen, wie sich nach einem Un­glück auf einer Bohrinsel, tausende Liter Rohöl in den Golf von Mexiko ergossen. Das Ausmaß war zwar von nie gekann­ter Größe, und die Langzeitfolgen müs­sen erst erforscht werden, aber wirklich überraschend kam die Katastrophe nicht. Die Risiken waren bekannt, jeder wuss­te, dass neue Tiefen auch neue Gefahren mit sich bringen, und es war nur eine Fra­ge der Zeit bis etwas passieren würde.

Es stellt sich also die Frage, was die Menschheit dazu treibt, immer größere Risiken einzugehen um an das schwar­ze Gold zu gelangen. Ist es bloße Ab­hängigkeit oder doch nur Profitgier, welche uns die Gesundheit des Plane­ten leichtfertig aufs Spiel setzen lässt?

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Konzerne sind ihren Aktionären verpflich­tet, diese wollen für ihre Investitionen auch Gewinne sehen, dies am besten so schnell wie möglich. Aufgrund der stetig steigen­den Nachfrage nach dem Rohstoff und der

damit verbundenen hohen Gewinnspanne, rentiert sich der Aufwand. Eine reine Kos­ten­Nutzen­Rechnung. Um dem entgegen zu steuern müsste die Nachfrage, also die Abhängigkeit von diesem Brennstoff re­duziert werden. Erst wenn der Absatz zu­rückgeht, wird es sich für Konzerne nicht mehr lohnen solche Risiken einzugehen.

koLLektivscHuLd

Man kann zwar BP die Schuld an der Öl­pest im Golf von Mexiko geben, doch sollte man bedenken was den Konzern dazu getrieben hat, ein solches Risiko einzugehen. Erst wenn die Gesellschaft umdenkt und anfängt auf alternative Ener­giequellen umzusteigen, können wir uns von der Abhängigkeit von dem schwar­zen Stoff befreien. Die Gesamtschuld sollten wir bei uns allen suchen, um zu­künftige Katastrophen zu vermeiden.

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So oder ähnlich würden Außenstehende unsere Gesellschaft nennen, wenn sie unseren Planeten betrachten.

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aufhin ein junger Nachwuchskellner eilig das Lokal verlassen, um kurze Zeit später mitei­ner in Alufolie gewickelten Bierdose zurück­zukehren ­ täuschen und tarnen.

In dem Lokal im Ersten habe ich mich spä­ter noch mit Cameron Diaz unterhalten, oderwar’s Linda Hamilton? Die junge Frau sah jedenfalls einer der beiden Damen ähn­lich. Die hat mir, nachdem sie mich um ei­ne Gauloises angeschnorrt hat, gesagt, sie fände das Rauchverbot gut, denn dadurch rauche sie weniger. Was sie von Kant hält, hab ich sie dann nicht gefragt.

Ein Bekannter aus Wien muslimischen Glau­bens, der übrigens gerne Bier trinkt, hat einmal zu mir gesagt, dass die Menschen ohne den Glauben an Gott oder Allah stän­dig Böses tun würden. Und nun drängt sich mir der Verdacht auf, dass sehr vielen Men­schen Mündigkeit ein Gräuel ist. Damit sie sich nicht zu Tode rauchen, brauchen sie staatlich verordnete Rauchverbote. Und um

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12 über.politik

Die „Soziale Heimatpartei“ Österreichs, ali­as FPÖ, trumpft also mit neuen Plakaten auf: „Mehr MUT für unser ‚Wiener Blut’“, prangt darauf in großen roten Lettern, da­runter in poppigem Stempeldesign, leicht schräg gesetzt: „Zu viel Fremdes tut nie­mandem gut“. Obligat natürlich, dass auch das Gesicht des Parteivorsitzenden neben der schreienden Botschaft posiert und die Passanten mit seinen leuchtenden, photo­shop­blauen Augen fixiert.

Nichts Außergewöhnliches eigentlich, wir sind ja immer noch in Österreich. Also ein­fach weiter gehen und Schwamm drüber? Irgendwie ist das nicht möglich, ein leich­ter Nachgeschmack bleibt doch von dieser Plakatlektüre. Aber was ist es denn, dass hier so schal auf der Zunge kleben bleibt? Die diskriminierende Grundbotschaft kann es nicht sein, ist man schließlich hierzulande schon gewohnt. Die FPÖ lässt ihre Plakate irgendwelche Parolen in die Welt plärren, und schon sind sie da, die Liligumes (Anm.: linkslinke Gutmenschen) und erledigen den Rest: tragen also mit ihrer empörten Be­richterstattung in diversen Medien zur wei­teren Verbreitung des Parteiprogramms bei.

Stichwort: Negativ­Campaigning. Ein wah­rer Teufelskreis: Hat sich die (Medien­)Ge­sellschaft an einen skandalösen Jargon gewöhnt, berichtet sie nicht mehr darüber, ist ja schließlich nichts Neues mehr. Diese Entwicklung geht natürlich nicht unbemerkt an den Propaganda­Strategen der FPÖ vo­rüber. Was also tun? Die vorigen Slogans an Radikalität überbieten, ganz klar. Und nun haben wir das Dilemma in Form die­ser neuen Riesenplakate. Was aber ist da­ran neu? Es ist die verbale Dimension: Mit

diesem Slogan wird ein Begriff in die poli­tischen Sprache eingeführt, dessen Unge­heuerlichkeit im Feld der Politik außer Zweifel steht: der Begriff des Blutes.

Die Reaktionen ließen naturgemäß nicht lange auf sich warten: Der SP­Rathaus­Klubchef Siegi Lindenmayr spricht von „xenophoben, menschenverachtenden und aufhetzerischen Aussagen“, die Wiener ÖVP­Chefin Christine Marek meint, es handle sich nicht mehr nur um eine dumpfe Botschaft und resümiert: „Es fängt an, gefährlich zu werden“, „Nazi­Jargon“ und „miese Ausländerhetze“ attes­tiert schließlich der Grünen­Stadtrat David Ellensohn den Plakaten. Für den FPÖ­Ge­neralsekretär Kickl sind diese Vorwürfe „ab­solut lächerlich“, denn mit Rassismus habe das „überhaupt nichts zu tun, sondern mit Wiener Tradition“, wie er gegenüber der­Standard.at erklärt.

Die simple Verwendung eines „Nazi­Jar­gons“ kann natürlich nicht im Interesse der FPÖ liegen, denn die 20 % nationalistischer Stammwähler wählen sie ja sowieso, müs­sen also nicht erst rassistisch aufgepeitscht werden. So ist also doch was dran an der Kickl­Aussage: Tradition. Die spricht auch den an nationalistischen und sozialdarwi­nistischen Ideen wenig interessierten Rest an: die Wiener SPÖ­Wählerschaft also. Die FPÖ will die „Mia­san­Mia“­Mentalität der Wiener ansprechen, es geht also doch um Tradition, um Lebensstil und Lebenseinstel­lung – es geht einfach um „´s G´fühl“. Das Resultat ist eine gefährliche Kombination: die Konjunktion der instinktiven Gefühls­welt, der romantisierten Traditionswelt mit dem Terminus des Blutes im Feld der Real­politik. Doch damit nicht genug. Es wird im

selben Augenblick ein biologistisches Wort wird in den politischen Sprachgebrauch ein­geführt, aus dem Atommüllendlager der po­litischen Wortbomben entwendet. Natürlich semantisch durch den Zusatz „Wiener“ noch mehrfach besetzt und in Anführungszeichen gesetzt. Doch wenn man die sich unweiger­lich nach unten drehende Spirale der FPÖ­Parolen weiter denkt, so kommt Besorgnis auf: „Daham statt Islam“ war gestern, nun also etwas Handfesteres: „Wiener Blut“ in Anführungszeichen. Der nächste Schritt ist vorprogrammiert: Das Weglassen der Anfüh­rungszeichen und somit die weitergeführte Integration dieses Wortes in die politische Alltagssprache. Der finale Schritt: Das Weg­lassen des Adjektivs „Wiener“. Der Wahl­spruch der Wienwahl 2015: „Mehr Mut für unser Blut“ – Mahlzeit.

Oberflächlich geht es jetzt, 2010, also tat­sächlich noch um die „Wiener Tradition“, es gilt ja schließlich Wahlen zu schlagen, und man will seitens der FPÖ nicht ideologisch über das Ziel hinausschießen oder gar po­tentielle Wähler erschrecken. Behutsam aber stetig gilt es dennoch den Wählern über die Hintertür der Sprache die wahre Weltan­schauung einzuflößen. „Mehr MUT für un­ser ‚Wiener Blut’“ ist also nur eine untere Stufe auf der Leiter: Das Ziel ist die „Wie­ner LebensART“, mit „Mut zu BLUT“. Denn „Worte können sein wie winzige Arsendo­sen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung da“, schreibt Victor Klemperer in seinem Buch „LTI“ (Lin­gua Tertii Imperii – Sprache des Dirtten Rei­ches). Die Fatalität: Das weiß auch die FPÖ.

bLut und hoden - ÜBEr DiE PotEnZ DEr sPrachE

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DiE gerÜchteKÜchE BroDElt: kÜrzung DEr FaMiliEnbeihiLfe?„Wer schweigt, stimmt zu.“ Dies wuss­ten schon die alten Römer, doch trifft dies auch auf ÖVP und SPÖ im modernen Ös­terreich zu? Seit Wochen ranken sich Ge­rüchte um eine mögliche Kürzung der erst 2008 eingeführten 13. Familienbeihilfe. Im Zuge der Einsparungen des Budgetpos­ten „Familie“ sollen 2011 die Ausgaben um rund 235 Millionen in diesem Bereich ge­schmälert werden. Seitens ÖVP und SPÖ gibt es dazu kein klares Statement, weder ein Dementi noch eine Bestätigung – und die Gerüchteküche brodelt. Nicht nur die offenbar geplante Kürzung sorgt für Aufre­gung, sondern auch Vermutungen um eine verkürzte Auszahlungszeit (bisher bis zum 26. Geburtstag) sorgen für Furore. Von ei­ner Zahlung nur mehr bis zum 23. oder 24., sogar vom 18. Geburtstag, sei die Rede.

Diese Einsparungen wären nicht nur für kin­derreiche Familien, sondern vor allem auch für viele Studierende katastrophal. Die oh­nehin angespannte finanzielle Situation der Student_Innen würde sich dadurch auswei­ten – längere Arbeitszeiten im Job, weniger Zeit für das Studium, und in der Folge län­gere Studiendauer, welche sich wieder auf diverse Stipendien auswirken würden. Vom Einhalten der Regelstudienzeit mal ganz ab­gesehen. Und so wäre das Problem auch ins Ministerium für Wissenschaft und For­schung und zu Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) übergeschwappt. Die ohnehin gebeutelte Bildungspolitik stünde erneut im Kreuzfeuer der Kritik: Kommuni­kation innerhalb der Partei und der einzel­nen Ministerien täte gut – wird aber vielleicht auch überbewertet.

Diese Ausgangssituation würde den ohne­hin „heißen“ Uniherbst weiter anheizen, dem die Politik bereits mit gemischten Gefühlen entgegen sieht. Auf diversen Social­Media­Plattformen im Internet ist bereits eine Dis­kussion entbrannt. Es sei eine Frechheit, wie die Politik mit den Familien im Allge­meinen und den Studierenden im Beson­deren umgehe.

Ob die Debatte um die Kürzung der Famili­enbeihilfe nur das Sommerloch stopfen soll und ob im Herbst die Uni wieder brennt, bleibt abzuwarten.

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Von 2.-11. September findet in Linz zum 31. Mal das ArS ELEC-TrONiCA fESTiVAL statt. Es ist renommierter, größer und leichter zugänglich, als man denkt und jede_r, der/die an die-sem Wochenende in Österreich ist, sollte den Sprung in die Kulturhauptstadt der Welt tun.

„Wer viel sudert, wird nicht gepudert“, heißt es umgangssprach­lich. Das Körnchen Wahrheit, das sich hier verbirgt, ist ein wichtiges in unserer Zeit: Eine mangelhafte Situation zu erkennen und darü­ber zu berichten reicht nicht. Um glücklich sein Leben als Mensch führen zu können, müssen die ungerechten Kanten der Ge­sellschaft ausgebügelt wer­den. „Reparieren“ nennt diesen Vorgang das diesjährige ARS ELECTRONICA Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft.

Seit 1979 findet jeden September in Linz eines der wichtigsten in­ternationalen Medienkunstfestivals statt und leidet dabei an einem ziemlich österreichischen Problem. Die internationale Beachtung ist groß, viele Linzer_innen wissen nur von der Nightline mit gra­tis DJing. Doch die ARS hat so viele Diskussionen, Ausstellungen und Veranstaltungen zu bieten, dass die Homepage extra Hilfe­stellungen zur individuellen Programmauswahl gibt.

Hervorgehoben sei hier das Themensymposium „Open Source Life Repair Society (and yourself)“ mit Überlegungen zur Demokratie­Reparatur, zur Herstellung von Diaspora, zu digitalen Vereinigun­

gen der Machtlosen und overall zu Medienkritik.

Die künstlerischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit kulturellen Phänomenen, die aus dem technologischen Wan­del hervorgehen, finden nicht nur in klassischen Konferenz­ und Ausstellungsräumen statt. LINZ wird in einen friedvollen Ausnah­mezustand versetzt und angesichts der zahllosen Aktionen und Ausstellungen im öffentlichen Raum, sowie des großen internati­onalen Publikums, muss die Sonne an diesem Wochenende im September einfach scheinen.

Dieses Jahr hat das Festival ei­nen neuen Raum gesucht und in der ehemaligen Linzer Tabak­fabrik gefunden. So gibt heuer eines der bedeutendsten Indus­

triedenkmäler Österreichs den wissenschaftlichen und künstleri­schen Beiträgen für eine gerechtere Gesellschaft ebenso Raum wie der berühmten Nightline, die jede Nacht bis 4 Uhr früh Tanz­freudigen einen triftigen Grund zu kommen gibt.

Auf jeden Fall lohnt sich ein Blick auf die Homepage www.aec.at, um dem hoffnungsschwangeren Programm Rechnung zu tragen. Die Ticketpreise erstatten Student_innen gute Rabatte und die Ausstellungen im öffentlichen Raum sind oft gratis.

Das ÖBB­Ferienticket gilt noch. Also: IN LINZ BEGINNEN die neu­en Ideen für eine bessere Welt. Have a look. And have fun.

über.kitsch&kultur

Ich bin verliebt in Robert Pattinson. Da wer­de ich blind und taub und sehe nur sein glit­zerndes Gesicht. Ich vergesse, wer ich bin und was ich vorhatte. Ich möchte vergehen in seinem Anblick.

So geht es auch (zumindest) einer Anderen: Bella Swan. Die introvertierte Teenagerin lebt bei ihrem allein­erziehenden Vater, der als Polizist ein starker Mann ist, und hat einen Vampir, also einen noch stärkeren Mann als einen Polizeibeamten, zum Freund. Zwei Männer also der Mittelpunkt ihres Lebens. Für den einen putzt und kocht sie. Dem an­deren ist sie dankbar für jede Rettung vor dem Unheil (, das sie ohne ihn nicht hätte).

Doch bei den meisten Blockbustern be­steht die einzige Aufgabe einer weiblichen Protagonistin im Anhimmeln und Erwarten eines Mannes. Warum schreibt der Inde­pendent gerade in der Rezension der Twi­light­Triologie: “The problem – and there‘s no diplomatic way to say this – is that it‘s shockingly, tackily, sick­makingly sexist.”? Es ist erfrischend in Zeiten des kategori­schen Imperativs “Du sollst Sex haben!”, einen Kino­Welt­Erfolg zu feiern, der das

stephenie meyerBis(s) DEr FEMinisMUs GEschlaGEn ist

Warten erotisch auflädt und Sex als etwas Besonderes, Schönes propagiert.

Wer weiß, dass Stephenie Meyer, Hausfrau, Mutter und Autorin der Twilight­Saga, gläu­big paktizierende Mormonin ist, wird skep­tisch und bemerkt (hoffentlich), was nicht nur der Independet zurecht kritisiert: Bella wird zu einer reaktionären, leidenden, sich für den Mann aufopfernden Frau stilisiert, die trotz Einwände seinem Ansinnen nach­gibt und mit 18 heiratet. Es ist in Ordnung, sich vor der Ehe keusch zu verschließen. Aber vorehelichen Sex als lebensgefähr­lich darzustellen?

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Wenn Stephen King zum Unterschied zwi­schen Harry Potter und der Twilight­Saga anmerkt: “The real difference is that Jo Row­ling is a terrific writer and Stephenie Mey­er can‘t write worth a darn. She’s not very good.”, ist das mit Sicherheit wahr. Doch die Gefahr liegt nicht in der schlechten schrift­stellerischen Leistung einer Amerikanerin, sondern in den reaktionären Werten, die mit dem Welterfolg einer mormonischen Auto­rin zu tun haben. Ein 18­jähriges Mädchen sorgt für ihren Vater. Ihr Freund, dessen groß angepriesene Qualität in jedem Buch sein „perfektes Gesicht“ ist, stalkt sie und trifft alle Entscheidungen für sie – natürlich geht es immer um ihre Sicherheit. Und das Mäd­chen selbst, verzehrt sich in Sehnsucht. Die schwierigen Aufgaben lösen die Männer. Die Frau ist damit ausgefüllt, ihren Mann zu lie­ben und seine Regeln zu befolgen.

Das ZDF­Kulturmagazin hat mit seiner Ein­schätzung recht: Man darf schmachten, wenn man die Botschaft gekonnt ignoriert.

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Der Erfolg der Twilight-Saga geht in die dritte runde. Wer über glitzernde Vampire und Oben-ohne-Werwölfe hinwegsehen möchte, ist herzlich eingeladen der fantasy-Teeny-romanze noch ein paar andere Aspekte abzugewinnen.

if you Like dancing – repair your future

Foto: ars ElEctronica

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„Wir trinken, um den Gestank auszuhalten!“, prangt an einem Pa­villonzelt in der Nähe der Dixiklos am Frequency in St. Pölten. Ge­nau das macht sie aus, die Festivalmentalität.

Tausende fremde Freunde, viel Alkohol, kollektiver Sonnenbrand, die stinkenden Klos und am Abend Live­Musik mit allen Höhen und Tiefen. Quasi ein modernes Campingwochenende für viel Geld.

Das LineUp trifft den Musikgeschmack der einen und entgeistert die anderen. Einiges wirft vom Hocker, anderes entnervt. Doch ist es mittlerweile nicht mehr die Musik, die ein Festival dieser Größenordnung ausmacht, sondern die Atmosphäre. Die in die Zwangsjacke der Gesellschaft gesteckte Jugend erlebt hier ein wenig Individualität und flüchtet in eine vorgefertigte Spaßwelt.

Anprangerbar ist die hemmungslose Ausschlachtung der Besu­cher. Sie werden gemolken. Ein Bier kostet am Gelände 4 Euro, das ist bei einem Eintrittspreis von weit über 100 Euro übertrieben. Doch muss man sagen, die versauten Klos sind in der Unterzahl, die Securities irgendwie nett und das Veranstaltungsgelände ist idyllisch. Die Traisen verbreitet Woodstockflair und bietet Bade­szenen wie damals – nur dass die Menschen jetzt nicht mehr ba­den wie Gott sie schuf, sondern artig bekleidet.

Achja, zu den Bands: Gogol Bordello machten Party, Muse liefer­ten eine Wahnsinns­Show, Wir Sind Helden waren gewohnt sprit­zig und Element Of Crime einfach nur schön.

die sendung mit dem graus

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Die Operette „Wiener Blut“ wurde am 26. Oktober 1899 im Carl­theater in Wien uraufgeführt. Direktor war damals der Herr Jauner. Und der hoffte, mit einem neuen Werk aus der Feder des Walzer­königs Strauss das Theater vor dem drohenden Konkurs und sei­nen Posten als Direktor retten zu können.

Auch die FPÖ setzt im Wien­Wahlkampf nun auf „Wiener Blut“.„Mehr MUT für unser „Wiener Blut““, hat der Herr Kickl dem HC Strache auf seine Wahlplakate geschrieben. Und mit der Anmer­kung versehen: „Zu viel Fremdes tut niemandem gut“.

Zuviel Fremdes wovon? Die Frage muss erlaubt sein. Spielen sie auf den starken Einfluss des Böhmischen auf die Wiener Küche an? Zu viel fremdes Essen also? Oder auf das fremde Getränk aus gerösteten Cafebohnen, das die Türken zurückgelassen haben?

Dem geübten FPÖ­Plakate Leser drängt sich ein anderer Verdacht auf: Ausgehend vom Aufruf im ersten Satz, ließe sich der zweite Satz durch das Wörtchen „Blut“ ergänzen. Zu viel Fremdes Blut also? Das wäre dann zwar rassistisch, aber nicht verwunderlich – pathologische Fremdenangst war schon immer Merkmal von Strache und Co.

Oder wurde der Herr Kickl doch vom Falco­Song „Wiener Blut“ inspiriert?

„Wir hab‘n die Medizin

der Dekadenz hab‘n wir an Preis verlieh‘n

dabei san wir moralisch überblieb‘n

wir steh‘n und fall‘n und lieg‘n.

Wir hab‘n die Medizin“

Mehr MUT zur Dekadenz also? Rassistisch wäre das zwar nicht, durchaus aber verwunderlich.

Ach übrigens, die großen Hoffnungen des Herrn Jauner konnte „Wiener Blut“ nicht erfüllen: Die Uraufführung war ein Fiasko und der Herr Jauner beging Selbstmord – klingt tragisch, ist es auch.

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Achtung Satire!

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Der Schwiegersohn der Nation sucht sein geliebtes Haustier, und wir helfen ihm suchen. KHG sucht seine empfindsame weiße Weste. Nach einiger Recherche vermuten wir, dass sie zur Streunerin geworden ist und sich befleckt hat. Zuletzt wurde sie gesehen, als sie mit dem einen oder anderen Skandälchen gelieb-äugelt hat. Falls Sie die weiße Weste gesehen haben bitte melden sie sich bei Ihrer über.morgen Tierredak-tion, aber erst nachdem Sie sie reingewaschen haben. Danke!

über.reste

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Esso

Im Espresso in der Burggasse scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Ganz im Stil der 50er bietet es eine etwas andere Kaffee­hauskultur. Von der kultigen Einrichtung inspiriert und von dem einen oder anderen Kaltgetränk beflügelt sind hier schon einige Artikel für die über.morgen entstanden. Auch mit musikalischen Schmankerln kann das Espresso immer wieder aufwarten. Zu fin­den ist dieser Lieblingsplatz der Redaktion in der Burggasse 57 in 1070 Wien oder unter www.wirr.at/espresso

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Puzzle 1 (Medium, difficulty rating 0.52)

Generated by http://www.opensky.ca/~jdhildeb/software/sudokugen/ on Sun Aug 22 15:17:13 2010 GMT. Enjoy!

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Die Son-

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die Vögel zwitschern, es

sind Ferien – grad gibt’s wirklich nichts

zu sudern. Die über.morgen wünscht einen

wunderschönen Sommer!

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Foto: Doris BichlWaGnEr, coMicsGEGEnrEchts

die fp-schnecke

Mehr comics gegen rechts auf www.comicsgegenrechts.at