11-Klinik - swbplus.bsz-bw.deswbplus.bsz-bw.de/bsz261969153kap.pdf · 4 Morbus Bowen:...

11
11 · Klinik 11 213 Wichtig 11.1 Mundhöhle 11.1.1 Fehlbildungen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (. Abb. 11.1a–d) Engl. cheilognathopalatoschisis, cleft palate Definition. Ein- oder beiderseitige Spaltbildung entweder isoliert oder kombiniert im Bereich von Oberlippe, Oberkiefer und Gaumen. Die Lippen- spalte wird im Volksmund als Hasenscharte bezeich- net. Auftreten auch im Rahmen von Syndromen. Ursache 4 Genschäden, unregelmäßig dominanter Erb- gang 4 Intrauterin erworben. Embryopathien (Viruser- krankungen der Mutter, toxische Schäden, Sauer- stoffmangel, Vitaminmangel, Nikotin, ionisie- rende Strahlen) Entstehung. Hemmungsmissbildung. Ungenügende Verwachsung der seitlichen Gaumenfortsätze oder der Gesichtsweichteile Symptome 4 Offenes Näseln (Rhinophonia aperta, 7 Kap. 26.2.1) durch ungenügenden Abschluss des Na- senrachenraumes und der Nase. 4 Bei Säuglingen Schwierigkeiten mit der Ernäh- rung, da das Saugen unmöglich sein kann und die Fütterung mit dem Löffel notwendig wird. Austritt von Nahrung aus der Nase. 4 Häufig entzündliche Mittelohrerkrankungen oder Mittelohrergüsse (Mukotympanum, 7 Kap. 4.2.2) mit bleibender Schallleitungsschwerhörig- keit durch die ungeschützt liegende Tubenöff- nung und die ungenügende Mittelohrbelüſtung (fehlende Kontraktion der Gaumenmuskeln). Unbehandelt entwickelt sich eine Otitis media chro- nica mit Adhäsivprozess, mesotympanalem Trom- melfelldefekt oder Cholesteatom (7 Kap. 4.3.3). Befund. Die Spalte kann verschieden stark ausgebil- det sein: 4 Submuköse Gaumenspalte (Sie lässt sich unter der Schleimhaut des weichen Gaumens fühlen.) 4 Uvula bifida (doppeltes Zäpfchen; . Abb. 11.1a) 4 Spaltbildung unterschiedlicher Ausprägung ein- oder beidseits (. Abb. 11.1b-d) v Therapie 4 Operativer Verschluss der Lippe und des Nasenbo- dens mit 3 Monaten, des weichen Gaumens im ers- ten Lebensjahr und des harten Gaumens mit 18 Monaten, und zwar im Bereich des weichen Gau- mens dreischichtig (Nasenschleimhaut, Muskulatur, Mundschleimhaut), im Bereich des harten Gaumens zweischichtig (Nasenschleimhaut, Mundschleim- haut), ggf. Knochendistraktionsbehandlung. 4 Bei velopharyngealer Insuffizienz Brückenlappen- plastik zwischen Gaumensegel und Rachenhinter- wand. 4 Kieferorthopädische Vor- und Nachbehandlung (evtl. Gaumenplatte). 4 Postoperativ Sprachübungsbehandlung durch Logopäden. 4 Paukendrainage bei Seromukotympanum (7 Kap. 4.2.2), Therapie der chronischen Otitis (7 Kap. 4.3.3). Keine Adenotomie, um die velopharyngeale Insuffizienz nicht zu verstärken (offenes Näseln, Schluckstörungen). Selten Gesichtsspalten: Mediane, schräge und quere Gesichtsspalten, Spalten der Unterlippe, des Unter- kiefers und der Zunge. . Abb. 11.1a–d. Gaumenspalte. a Uvula bifida; b Spalte im wei- chen und hinteren Anteil des har- ten Gaumens; c Lippen-Kiefer- Gaumenspalte; d doppelseitige Spalte a b c d

Transcript of 11-Klinik - swbplus.bsz-bw.deswbplus.bsz-bw.de/bsz261969153kap.pdf · 4 Morbus Bowen:...

11 · Klinik11213

Wichtig

11.1 Mundhöhle

11.1.1 Fehlbildungen

Lippen-Kiefer-Gaumenspalte

(. Abb. 11.1a–d)

Engl. cheilognathopalatoschisis, cleft palate

Definition. Ein- oder beiderseitige Spaltbildung entweder isoliert oder kombiniert im Bereich von Oberlippe, Oberkiefer und Gaumen. Die Lippen-spalte wird im Volksmund als Hasenscharte bezeich-net. Auftreten auch im Rahmen von Syndromen.

Ursache

4 Genschäden, unregelmäßig dominanter Erb-gang

4 Intrauterin erworben. Embryopathien (Viruser-krankungen der Mutter, toxische Schäden, Sauer-stoff mangel, Vitaminmangel, Nikotin, ionisie-rende Strahlen)

Entstehung. Hemmungsmissbildung. Ungenügende Verwachsung der seitlichen Gaumenfortsätze oder der Gesichtsweichteile

Symptome

4 Off enes Näseln (Rhinophonia aperta, 7 Kap. 26.2.1) durch ungenügenden Abschluss des Na-senrachenraumes und der Nase.

4 Bei Säuglingen Schwierigkeiten mit der Ernäh-rung, da das Saugen unmöglich sein kann und die Fütterung mit dem Löff el notwendig wird. Austritt von Nahrung aus der Nase.

4 Häufi g entzündliche Mittelohrerkrankungen oder Mittelohrergüsse (Mukotympanum, 7 Kap. 4.2.2) mit bleibender Schallleitungsschwerhörig-keit durch die ungeschützt liegende Tubenöff -nung und die ungenügende Mittelohrbelüft ung (fehlende Kontraktion der Gaumenmuskeln).

Unbehandelt entwickelt sich eine Otitis media chro-

nica mit Adhäsivprozess, mesotympanalem Trom-melfelldefekt oder Cholesteatom (7 Kap. 4.3.3).

Befund. Die Spalte kann verschieden stark ausgebil-det sein:4 Submuköse Gaumenspalte (Sie lässt sich unter

der Schleimhaut des weichen Gaumens fühlen.)4 Uvula bifi da (doppeltes Zäpfchen; . Abb. 11.1a)4 Spaltbildung unterschiedlicher Ausprägung ein-

oder beidseits (. Abb. 11.1b-d)

v Therapie

4 Operativer Verschluss der Lippe und des Nasenbo-dens mit 3 Monaten, des weichen Gaumens im ers-ten Lebensjahr und des harten Gaumens mit 18 Monaten, und zwar im Bereich des weichen Gau-mens dreischichtig (Nasenschleimhaut, Muskulatur, Mundschleimhaut), im Bereich des harten Gaumens zweischichtig (Nasenschleimhaut, Mundschleim-haut), ggf. Knochendistraktionsbehandlung.

4 Bei velopharyngealer Insuffizienz Brückenlappen-plastik zwischen Gaumensegel und Rachenhinter-wand.

4 Kieferorthopädische Vor- und Nachbehandlung (evtl. Gaumenplatte).

4 Postoperativ Sprachübungsbehandlung durch Logopäden.

4 Paukendrainage bei Seromukotympanum (7 Kap. 4.2.2), Therapie der chronischen Otitis (7 Kap. 4.3.3).

Keine Adenotomie, um die velopharyngeale Insuffizienz nicht zu verstärken (offenes Näseln, Schluckstörungen).

Selten Gesichtsspalten: Mediane, schräge und quere Gesichtsspalten, Spalten der Unterlippe, des Unter-kiefers und der Zunge.

. Abb. 11.1a–d. Gaumenspalte. a Uvula bifida; b Spalte im wei-chen und hinteren Anteil des har-ten Gaumens; c Lippen-Kiefer-Gaumenspalte; d doppelseitige Spalte

a b c d

C · Mundhöhle und Pharynx214

11

Anmerkung: Torus palatinus: Selten vorkom-mender knöcherner Wulst am harten Gaumen im Verlauf der Sutura palatina mediana.

11.1.2 Verletzungen

ä Fallbeispiel

Bei dem Kind kam es unmittelbar nach dem Trinken aus einer Sprudelflasche zu heftigen Schmerzen im Mund- und Pharynxbereich. Später stellte sich ein starker Spei-chelfluss ein. Bei der Inspektion zeigten sich flächi ge Fib rinauflagerungen der Schleimhaut mit gerötetem Randbereich. Da das Kind zunehmend Zeichen eines Kreis laufschocks mit Azidose entwickelte, wurde eine intensivmedizinische Therapie erforderlich mit paren te-raler Ernährung und Korrektur des Säure-Basen-Haus-haltes. Unter der Diagnose einer Säureverätzung wurde zusätzlich eine medikamentöse Therapie mit Antibio tika und Kortison zur Vermeidung narbiger Strikturen im Öso-phagus eingeleitet. Bei einer Kontrollendos kopie nach 14 Tagen zeigten sich normalisierte Schleimhautverhältnis-se. Eine weitergehende Therapie war nicht erforderlich.

Verbrühungen und Verätzungen

Ursachen

4 Kinder trinken unbeobachtet aus der Tülle der Kaff ee- oder Teekanne

4 Verwechslung von Flascheninhalt (in Bier- oder Sprudelfl aschen gefüllte Säuren oder Laugen)

4 Ungeschicktes Pipettieren4 Suizidale Absicht

Symptome. Brennende Schmerzen im Mund, Schluckbeschwerden, Speichelfluss.

Befund. Kurzdauernde Rötung der Schleimhaut, evtl. Blasenbildung. Nach Minuten oder Stunden – je nach Schwere der Verbrühung oder Verätzung – ist die Mundschleimhaut mit weißlichen, festhaf-ten den Fibrinbelägen (Schorfen) bedeckt.

v Therapie

4 Im Vordergrund steht die Behandlung der gleich-zeitigen Ösophagus- und evtl. Kehlkopfverätzung (7 Kap. 17.2).

4 Bei alleiniger Schädigung der Mundschleimhaut: Schmerzlinderung durch Benzocain (Anaesthesin®-

Pastillen) oder Hexamidin (Laryngomedin®-Spray), Mundspülen, Antibiotika, Kortikosteroide.

Pfählungsverletzung des Gaumens

Ursache. Kinder stürzen mit einem Bleistift oder einem Stäbchen im Mund hin und perforieren sich den weichen Gaumen.

Komplikationsmöglichkeit. Verletzung der A. caro-tis communis oder ihrer Äste, die ggf. unterbunden werden müssen. Thrombose des Gefäßes bei Intima-Verletzung.

v Therapie

Bei klaffender Wunde Naht der Gaumenschleimhaut; Heparin-Therapie.

Zungenbiss

Ursache. Meist epileptischer Anfall.

Befund. Wegen der guten Blutversorgung der Zunge stärkere Blutung möglich, aber gute Heilungsten-denz.

v Therapie

Nur bei klaffender Wunde Naht; Tetanusschutz.

11.1.3 Entzündungen

Stomatitis ulcerosa

Ursachen. Zahnschäden; chemische, thermische, bakterielle Einwirkungen.

Symptome. Brennen, Schmerzen, Speichelfluss, Foetor ex ore, schlechter Geschmack, Nahrungsauf-nahme erschwert.

Befund. Ulzerationen an Mundschleimhaut und Gingiva. Die leicht blutenden Geschwüre haben einen nekrotischen, mit Fibrin bedeckten Grund. Im Abstrich fusiforme Bakterien und Spirillen.

v Therapie

4 Auswischen der Ulzera mit 5%iger Chromsäure-lösung, Penicillinlösung oder Farbstoffen (Pyoktan-ninlösung oder Gentianaviolett 1%),

4 Mundspülen,4 Zahnbehandlung (s. Angina Plaut-Vincent).

11 · Klinik11215

Differenzialdiagnose Karzinom: Bei allen Ulzera-tionen der Mundschleimhaut stets an Karzinom denken und durch Probeexzision und histologische Untersuchung Befund abklären.

HIV-Infektion (7 Kap. 20.2.3).

Lues

Primäraffekt. Derbes Infiltrat oder Ulkus mit regio-närer, schmerzloser Lymphknotenvergrößerung. Diagnose durch Spirochätennachweis, später sero-logische Untersuchungen positiv (Luessuchreak -tionen).

Sekundäres Stadium. Nach etwa 8 Wochen Ery-theme und flache Infiltrate, seichte Ulzera oder Papeln (Plaques muqueuses, Plaques opalines). Die Schleimhaut ist oft von einem weißlichen Fibrin-schleier bedeckt (rauchige Trübung). Diagnose durch serologische Untersuchung.

Tertiäres Stadium. Gumma im harten oder weichen Gaumen mit späterer Perforation des Gaumens und erheblichen narbigen Veränderungen.

v Therapie

4 Penicillin i.v., Streptomycin.4 Rekonstruktive chirurgische Maßnahmen bei Gau-

menperforation.

Tuberkulose

Befund. Flache konfluierende Ulzera mit girlanden-förmigen lividen, granulierenden Rändern.

Entstehung. Bronchogen oder hämatogen.

Diagnose. Durch Erregernachweis, Lungenröntgen-untersuchung und Probeexzision.

v Therapie

Tuberkulostatische Therapie.

Blutkrankheiten

Bei Agranulozytose oder akuten Leukosen entste-hen auf der Mundschleimhaut oder den Tonsillen schmutzig belegte, u.U. schwärzlich verfärbte tiefe Ulzera und Nekrosen ohne Lymphknotenbetei-ligung.

Diagnose. Durch Blutbild!

v Therapie

4 Behandlung der Grunderkrankung.4 Lokaltherapie mit Antimykotika, Amphotericin B

(Nystatin) oder Farbstoffen (Gentianaviolett, Pyok-tannin) bei Pilzbefall der Schleimhaut.

Angulus infectiosus (Perlèche)

Ursache. Rhagaden oder Ulzerationen im Mund-winkel bei pyogener Infektion, Soor, Diabetes mel-litus oder Lues (Karzinom ausschließen!).

v Therapie

Ätzen der Rhagaden mit 5%igem Argentum nitri-cum.

Gingivostomatitis herpetica

(Stomatitis aphthosa)

Ursache. Virusinfektion mit Herpes-simplex-Virus.

Symptome. Fieber, starke brennende Schmerzen im Mund, Mundgeruch, Speichelfluss.

Befund. Anfangs Bläschen, bald darauf zahlreiche linsengroße Erosionen mit weißlichem Fibrinbelag, schmerzhafte Halslymphknoten.

v Therapie

4 Betupfen der Aphthen mit 5%iger Chromsäure-lösung,

4 Virustatika (Idoxuridin – Zostrum®, Acic lovir – Zovi-rax®) oder 1%iger Gentianaviolettlösung,

4 Mundspülen,4 reizlose Kost,4 Hexamidin (Laryngomedin®-Spray).

Diff erenzialdiagnose

4 Chronisch rezidivierende – habituelle – Aph-

then: Ursache unbekannt, keine Virusinfektion. Oft bei vegetativ labilen Patienten Auft reten ein-zelner Aphthen in Schüben über Jahre hinweg jeweils für 8–10 Tage, gelegentlich in Abhängig-keit von den Menses. Kein Fieber.

4 Morbus Behçet: Multiple Aphthen, Hypopyon-Iritis, Genitalulzera, progrediente Innenohr-schwerhörigkeit, allgemeine Vaskulitis, Autoim-munkrankheit (?), kann in wenigen Jahren zur

C · Mundhöhle und Pharynx216

11

Er blindung und zum Tode führen. HLA-B27 positiv.

4 Pemphigus vulgaris der Mundschleimhaut: Blasen, die platzen, und mit Fibrin bedeckte Ero-sionen, die später Narben hinterlassen. Autoim-munkrankheit.

v Therapie

Kortikosteroide, u.U. Immunsuppressiva; Verlauf in Schüben.

4 Erythema exsudativum multiforme: Fibrinbe-läge und Blasen auf der Mundschleimhaut und den Lippen. Lymphknotenschwellungen, Fieber, Hautveränderungen.

4 Morbus Bowen: Rötlich-weißliche, etwas er-habene Plaques (Präkanzerose!).

4 Lichen ruber planus: Weißliche Knötchen oder fl ache Plaques (Präkanzerose!).

Soor (Candidiasis)

Ursache. Sprosspilze (Candida albicans), die auch als Saprophyten auf der Schleimhaut vorkommen. Auftreten der Krankheit bei resistenzgeschwächten, kachektischen Patienten, während einer Strahlen- oder Chemotherapie und nach längerer Antibiotika-behandlung.

Symptome. Brennen in Mund und Rachen, Schluck-beschwerden.

Befund. Die düsterrote Mundschleimhaut ist von weißen Fleckchen, die zu Membranen zusammen-fließen können, bedeckt. Die Membranen sitzen mäßig fest und lassen sich ablösen (Blutung). Sie können bis in den Ösophagus reichen.

Diagnose. Durch Abstrichuntersuchungen und Pilznachweis.

v Therapie

Mundspülen und Pinseln der Pilzrasen mit Nystatin (z.B. Moronal®-Suspension) oder Pinseln mit 1%igem Gen tianaviolett. Bei Therapieresistenz Verdacht auf HIV-Infektion (7 Kap. 20.2.3).

Leukoplakien

Definition. Weißliche Veränderungen der Schleim-haut durch Dysplasie. Fakultative Präkanzerose.

Ursachen. Mechanische Reize, Nikotin, Alkohol.

Befund. Weißliche Epithelverdickungen, bei Zi ga-rettenrauchern nicht selten auf der Schleimhaut im Mundwinkel (retroanguläre Leukoplakien; . Abb. 11.2).

v Therapie

Bei verrukösen oder erosiven Leukoplakien Karzinom-verdacht und großzügige Exzision.

11.2 Zunge und MundbodenEngl. tongue and fl oor of mouth

11.2.1 Entzündungen

Glossitis

Symptome. Zungenbrennen und Schmerzen (be-sonders an der Zungenspitze und den Zungenrän-dern), Parästhesien, Schmeckstörungen.

. Abb. 11.2. Retroanguläre Leukoplakien

11 · Klinik11217

Befund. Gerötete Flecke und Streifen auf der Zun-genoberfläche. Die Papillen sind vergrößert und hochrot. Später kommt es zur Atrophie der glatten, glänzenden, roten Schleimhaut.

Ursachen. Scharfe Zahnkanten, Zahnstein, Ver-wendung verschiedener Metall-Legierungen bei der Zahnsanierung, Mundsoor, Vitaminmangel (A, B und C), Anaemia perniciosa (Zungenbrennen als Frühsymptom der Hunter-Glossitis), Eisen-mangelanämie (Zungenbrennen bei Plummer-Vinson-Syndrom), Auftreten in der Menopause, Diabetes mellitus, Zungenbrennen nicht selten psy chogen verstärkt oder Zeichen einer larvierten Depression.

Diagnose. Blutbild, Magensaftuntersuchung, Serum-eisengehalt, Vitaminspiegel, Blutzucker.

v Therapie

4 Grundleiden behandeln.4 Gefäßsanierung.4 Antimykotikum (Ampho-Moronal® Lutschtablet-

ten).4 Vitamin A, B und C, Eisenpräparate.4 Mundspülen mit Kamille.4 Scharfe Speisen und Getränke sowie Nikotin mei-

den.4 Triamcinolonacetonid (Volon A®-Haftsalbe).

Zungenschwellung

ä Fallbeispiel

Bei der weiblichen Patientin war es bereits zu rezidi-vierenden Zungenschwellungen nach Einatmen eines bestimmten Parfüms gekommen. Jetzt wird sie notfall-mäßig in die Klinik mit einer massiven Schwellung der Zunge und der Lippen und einem erheblichen Stridor eingeliefert. Zuvor hatte sie Sellerie gegessen. Unter der Notfalltherapie mit Kortison und Adrenalin kommt es zu einer raschen Rückbildung der Symptome. Der im Intervall durchgeführte orale Provokationstest zeigt eine Sellerieallergie. Bei eingehaltener Diät treten die Symptome nicht mehr auf.

Definition. Ödematöse Schwellung der Zunge un-terschiedlicher Ursache, die meistens akut und rezi-divierend auftritt.

Ursachen

4 Quincke-Ödem: Idiopathische Zungenschwel-lung unklarer Pathogenese, die vor allem im Rahmen von physischen und psychischen Trau-men auft ritt.

v Therapie

Kortikosteroide.

4 Hereditäres angioneurotisches Ödem (Hane): Quantitativer oder funktioneller C1-Esterase-Inhibitormangel. Bei Traumen, Infekten oder Kontakt mit bestimmten Nahrungsmitteln kommt es zum plötzlichen Auft reten ödema-töser Schwellungen der Zunge, aber auch der Lippen (Capillary Leak Syndrome). Akute Er-stickungsgefahr durch Larynxödem (ca. 25% Todesfälle). Akutes Abdomen durch Schwellung der Darmschleimhaut. Spontanremission nach mehreren Stunden.

v Therapie

4 Im akuten Stadium Zufuhr von C1-Inhibitor, Korti-son unwirksam.

4 Niedrig dosierte Testosterontherapie zur Prophy-laxe.

4 Notfallausweis.

4 Allergisch bedingte Zungenschwellung = orales

Allergiesyndrom: Bei direktem Kontakt vor allem mit Lebensmitteln oder auch als Fern-reaktion bei bestehender Kreuzallergie zwischen Lebensmitteln und Pollen. Besonders gefährlich bei bestehender Bienen- und Wespengift allergie. Histamin indiziert. Kann auch bei Th erapie mit ACE-Hemmern auft reten (7 Kap. 20.2.3).

v Therapie

4 Kortikosteroide und Suprarenin (Adrenalin) als Akuttherapie.

4 Antihistaminika zur symptomatischen Therapie und Prophylaxe.

4 Allergenkarenz.4 Spezifische Immuntherapie (s. auch allergische

Rhinitis).4 Allergieausweis.

C · Mundhöhle und Pharynx218

11

Zungen- und Mundbodenabszess

Sie entwickeln sich in der Zunge oder den Logen und Spatien des Mundbodens.

Ursachen

4 Verletzungen und Infektion der Zunge durch Einspießen von Fremdkörpern (Gräten, Kno-chensplittern)

4 Vom Zahnsystem (Molaren) oder von der Glan-dula sublingualis bzw. der Glandula submandi-bularis ausgehende Mundbodenabszesse oder -phlegmonen (Angina Ludovici)

4 Zungengrundabszess nach einer Entzündung der Zungentonsillen (Angina lingualis)

Symptome

4 Schwellung der Zunge, starke Schmerzen bei Bewegungen der Zunge, beim Sprechen, Kauen und Schlucken, beim Betasten

4 Bei Übergreifen auf den Mundboden harte Schwellung submental, bei tiefl iegenden Ab-szessen zunächst ohne Rötung der Haut. Starke Druckschmerzhaft igkeit, Kieferklemme, Fie-ber

4 Larynxödem mit Stridor, kloßige Sprache4 Bei phlegmonösen Prozessen Gefahr des Weiter-

schreitens bis in das Mediastinum

v Therapie

4 Punktion und Inzision der Zungenabszesse enoral, der Mundbodenabszesse und phlegmonen sub-mental oder submandibulär.

4 Antibiotika, speziell auch gegen Anaerobier (Metro-nidazol – Clont®; Clindamycin – Sobelin®).

4 Spül-Saug-Drainage bei rascher Entzündungsaus-breitung.

4 Hyperbare Sauerstofftherapie bei Mediastinitis.

Differenzialdiagnose: Aktinomykose. Eintritt der stäbchenförmigen anaeroben Bakterien (vorwie-gend Actinomyces Israeli), die im Gewebe Drusen bilden, über die Gingiva, defekte Zähne, die Spei-cheldrüsen oder über Verletzungen der Haut durch Gräser und Halme.

Befund. Brettharte, wenig schmerzhafte, blauvio-lette Infiltrate im Mundboden, Fistelbildung nach außen oder wiederholte Abszesse.

Diagnose. Abstrich, Probeexzision zum Ausschluss eines Malignoms.

v Therapie

Antibiotika (Ampicillin), Inzisionen.

11.2.2 Veränderungen der Zungenoberfl äche

Lingua plicata. Die Zunge ist von Längs- und Quer-furchen durchzogen; angeboren, erblich. Differen-

zial diagnose: Melkersson-Rosenthal-Syndrom: Zun-gen-, Lippen- und Wangenschwellung, rezidivie-rende Fazialisparese. Tritt bei unterschiedlichen Grunderkrankungen auf.

Lingua geographica. Durch oberflächliche Epithel-abstoßung der Papillae filiformes runde oder gir-landenförmige helle, rosafarbene oder rote Flecke mit grauweißen Säumen, Konstitutionsanomalie. Harmlos!

Glossitis rhombica mediana. In der Mitte des Zun-genrückens geröteter erhabener Bezirk mit Atrophie der Papillen. Wahrscheinlich fissurales Angiom (Persistenz des Tuberculum impar). Harmlos!

Leukoplakie. Umschriebene – nicht abwischbare – Epithelverdickung von weißer Farbe ( Hyper kera-tose). Auf dem Boden einer Leukoplakie kann ein Kar zinom entstehen! Fakultative Präkanzerose. Dif-

ferenzialdiagnose: Plaques muqueuses bei Lues. Weißlich-leistenartige Veränderungen (orale Haar-leu ko plakie) am Zungenrand gelegentlich bei HIV-Infektion, ein prognostisch ungünstiges Zeichen (7 Kap. 20.2.3).

Haarzunge. Schwarze oder braune Fäden auf dem Zungenrücken, die durch eine Hypertrophie und Verhornung der Papillae filiformes entstehen. Keine Beschwerden. Gelegentlich bei Mykosen und nach Antibiotikagaben.

v Therapie

Entfernung der Fäden mit einer harten Zahnbürste oder Aufweichen mit 3%igem Salicylspiritus, ggf. Anti-my kotika.

11 · Klinik11219

Belegte Zunge. Grauweißer Zungenbelag aus ab-geschilferten Zellen, Speiseresten, Bakterien und Pilzen findet sich häufig bei Magen-Darm-Krank-heiten, bei Fieber und bei Parodontitis.

Himbeerzunge. Vorkommen bei Scharlach.

Hunter-Glossitis. Glatte, graurote, trockene Zungen-oberfläche mit Atrophie der Papillen bei perni ziöser Anämie (Vitamin-B12-Mangel).

11.2.3 Veränderungen des Zahnapparates

4 Gelbfärbung bzw. gelbbraune Querstreifung der Zähne bei Kindern gelegentlich nach Tetra-zyklingaben während der Zahnentwicklung. Schwangeren und Kindern bis zum 10. Lebens-jahr sollten keine Tetrazykline gegeben werden.

4 Zahnfl eischpapillenhyperplasie nach längerer Behandlung der Epilepsie mit Hydantoinderi-vaten.

4 Zahnfl eischbluten bei Gerinnungsstörungen, Überdosierung von Antikoagulanzien und Aze-tylsalizylsäure oder Vitamin-C-Mangel.

11.3 Rachen

11.3.1 Entzündungen der RachenschleimhautEngl. infl ammation of the pharynx, pharyngitis

Akute Pharyngitis

Engl. acute pharyngitis

Auft reten im Rahmen eines allgemeinen Virusin-fektes der oberen Luft wege, bei Kindern u.U. hoch-fi eberhaft e Erkrankung. Sekundäre bakterielle Be-siedlung.

Symptome. Kratzen und Brennen im Hals, Schluck-beschwerden, Trockenheitsgefühl.

Befund

4 Schleimhaut an der Rachenhinterwand gerötet.4 Schleimabsonderung.

4 Die lymphatischen Gewebe (einzelne Lymph-follikel und die Seitenstränge) sind verdickt, hochrot und erhaben.

4 Bei Fieber, vorwiegender Beteiligung der Seiten-stränge und Auft reten von Stippchen auf dem lymphatischen Gewebe sowie ausstrahlenden Schmerzen ins Ohr spricht man von einer Sei-

tenstrangangina (gelegentlich bei tonsillekto-mierten Patienten, Streptokokkeninfektion).

v Therapie

4 Warme Halswickel, heiße Milch mit Honig ange-nehm.

4 Milde Öle durch die Nase in den Rachen laufen lassen, z.B. Coldastop® (enthält Vitamin A und E).

4 Linderung schaffen Lutschtabletten mit Dexpan-thenol (z.B. Bepanthen®) oder Cetylpyridinium-chlorid (Dobendan®). Antibiotikahaltige Lutsch-tabletten sollten vermieden werden, da keine Wirkung auf die Virusinfektion besteht und ein Auftreten allergischer Reaktionen oder eine Soor-erkrankung möglich sind.

4 Systemische Antibiotikatherapie mit Penicillin-G (Megacillin®) bei schwerer Symptomatik.

Chronische Pharyngitis

Engl. chronic pharyngitis

Definition. Länger als 3 Monate andauernde Ent-zündung des Pharynx.

Ursachen

4 Staubeinwirkung4 chemische Reize am Arbeitsplatz4 trockene Luft in Büroräumen4 Nikotin- oder Alkoholabusus4 ständige Mundatmung bei verlegter Nase infolge

Septumdeviation, Muschelschwellung, Neben-höhlenentzündung oder Rachenmandelhyper-plasie

4 nicht selten bei hormoneller Umstellung im Klimakterium oder als Folge einer Strahlenthe-rapie im Kopf-Halsbereich

Symptome. Lästiges Trockenheitsgefühl im Hals, Räusperzwang, Absonderung von zähem Schleim, Globusgefühl (Kloßgefühl), Schluckzwang, Schluck-beschwerden beim Leerschlucken, Durstgefühl, Reizhusten.

C · Mundhöhle und Pharynx220

11

Befund

4 Meist atrophische Form = Pharyngitis sicca: Schleimhaut trocken, blass, atrophisch, fi rnisar-tig glänzend, mit etwas zähem Schleim bedeckt. Oft besteht gleichzeitig eine Rhinitis und Laryn-gitis sicca. Diff erenzialdiagnose: Die trockene atrophische Schleimhaut verbunden mit Zun-genbrennen kann Teilsymptom eines Plummer-Vinson-Syndroms = sideropenische Dysphagie (Eisenmangel bei Frauen, Salzsäuremangel im Magensaft , hypochrome Anämie! In 10% der Fälle entwickeln sich Postkrikoidkarzinome!) oder eines Sjögren-Syndroms (7 Kap. 2.3.1.4) sein.

4 Seltener hyperplastische Form entweder als5 Pharyngitis granulosa (= granularis) mit

Hyperplasie der Lymphfollikel, die über die Rachenhinterwand verstreut sind, oder als

5 Pharyngitis lateralis mit Hyperplasie vor-wiegend des lymphatischen Gewebes im Bereich der Seitenstränge, die bis auf Blei-stift dicke anschwellen können. Verbunden oft mit einer Hyperplasie der Zungentonsillen als Kompensation lymphatischen Gewebes nach Tonsillektomie.

Anmerkung:

Karotidodynie: Druckschmerz entlang der A. caro-tis. Wahrscheinlich entzündliche Veränderungen der Arterienwand oder Spasmus durch Hyperakti-vität des Sympathikus.

v Therapie

4 Rauchen, scharfe Gewürze, konzentrierte Alkoho-lika und berufliche Noxen meiden.

4 Raumfeuchtigkeit erhöhen (Wasserverdunster in zentralgeheizten Räumen!). Aufenthalt an der See günstig, Hochgebirge ungünstig.

4 Inhalieren und Gurgeln mit Emser Salz echt® zur Befeuchtung der Schleimhaut.

4 Lutschen von z.B. Emser Pastillen echt® ohne Men-thol.

4 Öl durch die Nase in den Rachen bringen zur Lin-derung des Trockenheitsgefühls, z.B. Coldastop® Nasenöl (enthält Vitamin A und E; Schutzfilm auf der Schleimhaut), Bromhexin zur Befeuchtung.

4 Bei Bestrahlungsfolgen Einsprayen der Mundhöhle mit synthetischem Speichel (Glandosane®).

4 Bei Pharyngitis lateralis Ätzen der Seitenstränge und evtl. des Zungengrundes mit Argentum nitri-cum® 5%ig, strichförmig mit Trichloressigsäure 20%ig oder Kryo- bzw. Laserchirurgie des hyper-plastischen Gewebes.

Globusgefühl

Bei geringem organischen Befund, aber ausgepräg-tem Globusgefühl (funktionelle Schluckbeschwer-den, psychosomatisches Krankheitsbild, Globus pharyngis, oft verbunden mit einer Karzinophobie) Linderung durch psychische Führung, evtl. unter-stützt durch Tranquilizer (Benzodiazepin). Globus-gefühl verbunden mit Stimmveränderungen tritt gelegentlich auch bei funktioneller Blockade der oberen HWS-Gelenke auf. Eine organische Ursache der Schluckbeschwerden und des Globusgefühls ist erst dann ausgeschlossen, wenn durch Röntgenun-tersuchungen auch keine Osteochondrose der Hals-

wirbelsäule (M. Forrestier) und kein verlängerter Processus styloideus (Stylalgie) nachgewiesen werden können und außerdem durch gründliche Untersuchung ein beginnendes Tumorwachstum im Oro- und Hypopharynx, eine Struma oder ein Zenker-Divertikel (7 Kap. 17.3) ausgeschlossen wur-den. Bei ungeklärter Dysphagie (7 Kap. 11.7) u.U. Röntgenvideographie oder Sonographie (M-Mode).

11.3.2 Hyperplasie des lymphatischenRachenringes

Entstehung. Auf konstitutioneller Grundlage in den ersten Lebensjahren. Rückbildung in der Pubertät. Entzündliche Prozesse verzögern die Involution. Bei Erwachsenen finden sich im Allgemeinen nur noch kleine Gaumenmandeln und keine Rachenmandel mehr.

Ursache. Immunologische Abwehrvorgänge und endokrine Steuerung wahrscheinlich. Kohlen-hydratreiche Kost fördert die Hyperplasie. Geringe entzündliche Reaktionen bei Kindern – auch wenn sie mehrfach im Jahr vorkommen – sprechen für den Aufbau einer Immunabwehr, stärkere fieber-hafte Entzündungen (Anginen) zeigen eher an, dass sie – wenigstens vorübergehend – geschwächt ist.

11 · Klinik11221

Symptome und Befund

4 Gaumenmandelhyperplasie (. Abb. F.5): Klo-ßige Sprache, bei rezidivierenden entzündlichen Prozessen Schluckbeschwerden und Schwellung der Kiefer winkellymphknoten

4 Kissing Tonsils: Die Tonsillen berühren sich in der Mittellinie, dann auch Atemhindernis mög-lich

4 Selten Tubenbelüft ungsstörung4 Rachenmandelhyperplasie: Sog. adenoide Ve-

getation (Adenoide), im Volksmund als »Poly-

pen« oder »Wucherungen« bezeichnet

Durch Verlegung des Nasenrachenraumes bei Kin-dern kommt es in typischer Weise zu:4 behinderter Nasenatmung mit off enstehendem

Mund (Mundatmung) und dümmlichem Ge-sichtsausdruck, dabei oft hoher spitzer Gaumen

4 Schnarchen, schlechtem Schlaf (und dadurch mäßigen schulischen Leistungen), geringem Ap-petit, Teilnahmslosigkeit, Rhinophonia clausa

4 Tubenbelüftungsstörung mit Trommelfellre-traktionen, Schallleitungsschwerhörigkeit, rezi-divierenden akuten Mittelohrentzündungen, »Leimohr« (Seromukotympanum, 7 Kap. 4.2.2)

4 Schleimabsonderung aus der Nase und in den Rachen, chronischer Rhinitis, Sinusitis und Bronchitis sowie regionären Lymphknoten-schwellungen hinter dem M. sternocleido mas-toideus bei gleichzeitigen entzündlichen Prozes-sen des adenoiden Gewebes (Adeno iditis)

Diagnose der Rachenmandelhyperplasie. Durch Postrhinoskopie (auch Lupenendoskopie oder flexible Endoskopie, 7 Kap. 7.2.2) (. Abb. 11.3) oder Palpation des Nasenrachenraums (falls die Post-rhinoskopie bei Kindern nicht gelingt): Die Rachen-mandel verdeckt als gelapptes, längsgefurchtes, röt-liches – bei Palpationen weiches – Gebilde die oberen Anteile der Choanen und bei starker Hyper-plasie auch die Tubenöffnungen.

v Therapie

Bei hyperplastischen, die Nahrungsaufnahme und die Atmung behindernden und zu rezidivierenden Anginen neigenden Gaumentonsillen ist die Tonsill ektomie, zu-nehmend auch Laser-Tonsillotomie zur Tonsillenver-kleinerung, bei vergrößerter Rachenmandel mit obigen

Symptomen ist die Adenotomie (. Abb. 9.4), evtl. ein-schließlich Parazentese/Paukendrainage (7 Kap. 4.2.2) indiziert.

Differenzialdiagnose. Bei behinderter oder verleg-ter Nasenatmung im Kindesalter: Choanalatresie (7 Kap. 8.1), Nasenrachenfibrom (7 Kap. 11.4.1), ma-lignes Lymphom im Nasopharynx (7 Kap. 11.4.2), Nasenfremdkörper.

. Abb. 11.3a, b. a Adenoide; b Kind mit Facies adenoidea

a

b

C · Mundhöhle und Pharynx222

11

11.3.3 Entzündungen des lymphatischen RachenringesEngl. infl ammation of Waldeyer‘s tonsillar ring

Akute Entzündung der Gaumenmandel

(Angina lacunaris, akute Tonsillitis)

Engl. acute tonsillitis

ä Fallbeispiel

Der Patient litt seit Jahren unter rezidivierenden Hals-schmerzen verbunden mit Fieber und Lymphknoten-schwellungen am Hals. Jetzt ist es im Rahmen der aku-ten Tonsillitis zu massiven Schmerzen auf der rechten Seite, einer Kieferklemme, Schluckbeschwerden und Lymphknotenschwellung am Hals und septischen Tem-peraturen gekommen. Bei der Untersuchung zeigt sich eine massive Vorwölbung des Gaumens auf der rechten Seite. Bei der Punktion findet sich Eiter. Der Abszess wird durch Inzision eröffnet, es entleert sich massiv Pus. Zu-sätzlich entwickelt der Patient zunehmende Schmerzen entlang der Halsgefäßscheide auf der rechten Seite verbunden mit septischen Temperaturen. Bei der Ultra-schalluntersuchung stellt sich eine Thrombose der V. jugularis interna dar. Im CT zeigt sich zusätzlich eine Abszessausbreitung bis ins Mediastinum. Die sofort durchgeführte operative Revision mit Entfernung des Thrombus und tiefer Drainage der Halsweichteile sowie des Mediastinum führt unter intensivmedizinischer Therapie zu einer allmählichen Besserung des Allge-meinzustandes und Ausheilung des Entzündungspro-zesses.

Erreger. Meist β-hämolysierende Streptokokken der Serogruppe A. Seltener Pneumokokken, H. in-fluenzae. Bei Kindern auch Viren.

Vorkommen. Vor allem bei größeren Kindern und jugendlichen Erwachsenen, selten nach der Involu-tion des lymphatischen Gewebes, dann meist als akute Rezidive einer chronischen Tonsillitis.

Symptome. Schluckbeschwerden, Speichelfluss, Kopfschmerzen, Fieber, Abgeschlagenheit, beim Schlucken Stiche im Ohr.

Befund

4 Anfangs nur Rötung und Schwellung der Gau-menmandeln (Angina catarrhalis) oder ihrer Follikel (Angina follicularis), dann

4 Fibrinbeläge als Stippchen und Pfröpfe in den Krypten (Angina lacunaris, . Abb. 11.4) oder

4 konfl uierende und auf die Gaumenbögen über-greifende Beläge bei Pneumokokkenangina,

4 Ödeme der Gaumenbögen und des weichen Gaumens und

4 druckschmerzhaft e Halslymphknoten.

Stippchen können sich auch auf dem übrigen lymphatischen Gewebe des Waldeyer-Rachenringes fi nden:4 auf der Rachentonsille: Angina retronasalis mit

Schwellung der Nackenlymphknoten,4 auf den Zungentonsillen: Angina lingualis

(Zungengrundangina) mit Gefahr des Zungen-grundabszesses, des Glottisödems und Epiglot-tisabszesses und

4 auf den Seitensträngen: Seitenstrangangina.

Verlauf. In 3–6 Tagen klingen Fieber und Schluck-beschwerden ab.

v Therapie

4 Bettruhe,4 Penicillin oral oder parenteral (1–2 Millionen täg-

lich, mindestens 4 Tage lang), z.B. Megacillin®, bei Allergie Makrolide, z.B. Roxythromycin (Rulid®).

4 Analgetika,4 u.U. Kreislaufmittel.4 Örtlich: Warme Halswickel, Mundspülen mit Kamil-

lentee.

. Abb. 11.4. Angina lacunaris

11 · Klinik11223

Differenzialdiagnose. (Dazu Tonsillen- bzw. Schleim-hautveränderungen bei Allgemeinerkrankungen):4 Angina Plaut-Vincent (Angina ulceromembran-

acea): Einseitige Schluckbeschwerden, Ulzera-tion einer Tonsille, kraterförmiges Geschwür am oberen Tonsillenpol, Foetor ex ore, schmerzhaft e Lymphknotenschwellung am Kieferwinkel, im Abstrich Borrelia vincentii und Fusobac terium fusiforme. Tonsillenkarzinom u.U. durch Biopsie ausschließen. Allgemeinbefi nden wenig gestört.

v Therapie

Auswischen des Ulkus mit 5%iger Chromsäure, Poli-cresulen (Albothyl®) oder Antibiotikalösung. Antibio-tika per os (Penicillin G – Megacillin®; Erythromycin – Erythrocin®) bei schwerer Symptomatik.

4 Angina agranulocytotica: Schmutzige Nekrosen auf den Tonsillen. Starker Foetor ex ore. Keine Lymphknotenschwellung (Blutbild!)

4 Spezifi sche Angina (Lues II): Etwa 8 Wochen nach Primärinfektion schleierartige weißliche, u.U. papulöse Beläge auf den Tonsillen und der Mundschleimhaut, Plaques muqueuses (Lues-suchreaktionen positiv!)

4 Tuberkulose: Flache Ulzera mit granulierenden Rändern (Lungenaufnahme!)

4 Scharlachangina: Düsterrote Tonsillen und Ra-chenring

4 Diphtherie: Weißliche, fi brinöse – bei Berüh-rung leicht blutende – Membranen über die Tonsillen hinausreichend, süßlich riechend (Ab-strich!), dazu Gaumensegellähmung. Nekrosen bis in die Submukosa, Schwellung der Kiefer-winkellymphknoten. Fieber

v Therapie

Schon bei Verdacht Diphtherieserum und Penicillin G®, bei Allergie Erythromycin®.

4 Herpangina: Coxsackie-A-Virus. Kleine Aph-then-ähnliche Erosionen auf den vorderen Gaumenbögen, hohes Fieber, Lymphknoten-schwellung

4 Pfeiff er-Drüsenfi eber (Lymphoidzellenangina, Monozytenangina, infektiöse Mononukleose): Generalisierte Epstein-Barr-Viruserkrankung des lymphatischen Gewebes. Übertragung durch

Mundkontakt (Speichel, Küssen). Tonsillen ver-dickt, gerötet, Fibrinbeläge, außer Tonsillitis allgemeine Lymphknotenschwellun gen, Milz-schwellung, Leberschwellung, Myo karditis, Fie-ber (Paul-Bunnell-Test, Monos ticon-Schnelltest – Bestimmung heterophiler Antikörper – in der 2.–3. Woche positiv, lymphomonozytäres Blutbild mit Monozyten und atypische Lympho-zyten. Serologischer Nachweis von Epstein-Barr-Virus). Atemnot bei massiver Hyperplasie

v Therapie

4 Konservativ: Bettruhe, Mundpflege, Flüssigkeits zu-fuhr. Antiphlogistikum, Antipyretikum, Antibio tikum bei bakterieller Superinfektion (kein Ampicillin we-gen Exanthem). Mitbehandlung durch Internisten.

4 Operativ: Tonsillektomie bei massiver Tonsillen-hyperplasie mit Atemnot und protrahiertem schweren Krankheitsverlauf.

4 Soor: Weiße Stippchen oder Pilzrasen, darunter fl ache Erosionen der Schleimhaut (mykologische Untersuchung!)

v Therapie

Antimykotika wie Nystatin (z.B. Moronal®) oder Ampho-Moronal®; Pinseln mit Farbstoffen.

4 Tonsillenkarzinom: Ulzeration der Tonsille, auf die Umgebung übergreifend. Probeexzision und histologische Untersuchung!

4 Hyperkeratose der Tonsillen: Umschriebene weißliche, stachelartige Epithelverdickungen, die den Befund einer Angina lacunaris vortäu-schen können; harmlos

4 Glossopharyngeusneuralgie: Stechende Schmerzen im Oropharynx (Ton sil-

le) ohne entzündliche Erscheinungen, aus gelöst durch Kauen, Schlucken oder Sprechen. Verlän-gerten Processus styloideus oder Schä delbasis-prozess ausschließen (Röntgenbild Hals seitlich)

Komplikationen der Angina lacunaris

4 Folgekrankheiten: Endo-, Myo-, Perikarditis, rheumatisches Fieber, Nephritis (daher nach je-der Angina lacunaris Urinkontrolle!). Immun-komplexe und hyperergische Reaktionen

4 Örtliche Komplikationen: Peritonsillarabszess, Retropharyngealabszess