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„Der Dialekt wird wieder mehr benutzt“ UNSERE NACHBARN Die Mundartgruppe „Mie Meinerküser“ pflegt die niederdeutsche Sprache Von Martina Koelschtzky KORBACH-MEINERINGS- HAUSEN Natürlich wird auch bei der Weihnachtsfeier der Mundartgruppe „Mie Mei- nerküser“ Platt gesprochen: Mit Gedichten und Geschich- ten pflegen die gut 30 Mit- glieder den Dialekt, den sie auch einer Jugendgruppe beigebracht haben. „Ich habe den Eindruck, dass auch in der Öffentlich- keit im Dorf wieder mehr Di- alekt gesprochen wird, nicht nur unter uns“, sagt der zwei- te Vorsitzende Rainer Schä- fer. Seit 2002 besteht die Di- alektgruppe, die offiziell ei- ne Abteilung des Feuerwehr- vereins ist. Da es kein einge- tragener Verein ist, „können wi maken wat wi wullen“. lacht die Vorsitzende Lise- lotte Schmidt. „Wir wollten schon lange eine solche Gruppe grün- den“, berichtet Gerhard Lamm und Rainer Schäfer, der 2001 Vorsitzender des Feuerwehrvereins war und Platt als zweite Sprache ge- lernt hat. „Zuhause habe ich das nicht gelernt, meine Mutter kam aus dem Sude- tenland und sprach ein frän- kisches Platt. Mein Lehr- meister war Wilhelm Köh- ler“, erzählt er. Der habe, als Schäfer 19 war, einfach nur noch Platt mit ihm gespro- chen, damit er es lernt. Köhler lacht und erzählt, dass er auf die Idee mit der Dialektgruppe gekommen ist, als er älter wurde: „Alles ging nicht mehr so gut, Fuß- ballspielen oder Treppen- laufen, aber das Maul, das hat kein Problem. Labern kön- nen wir immer“, scherzt er. Der Dialekt der „Meiner- küser“ klingt völlig anders als der im Hinterland. „Wir ha- ben die Hinterländer ja mal getroffen, aber wenn sie schneller re- den, verste- hen wir nichts mehr“, sagt Lieselotte Schmidt. Südlich von Korbach ver- läuft die Sprachgrenze zwischen fränkischem und sächsi- schem Platt, und so spre- chen die Mei- neringshäuser eine Sprache, die verstehen kann, wer al- tes Englisch oder das friesi- sche Platt kennt. „Mit unserem Dialekt können wir uns bis nach Holland rein problemlos verständigen“, sagt Inka Ka- roschka, die sich mit ihrem Dorfnamen „Mitzen Inge“ vorstellt. Dorfnamen waren eines der Themen für die Dialekt- gruppe in den vergangenen Jahren. Wilhelm Schäfer hat die Haus- und Flurnamen auf Platt in Holzschilder gefräst, die nun überall im Ort hän- gen. Auch eine „Grenzstein- AG“ gibt es in der Gruppe, die sich mit den historischen Grenzsteinen um den Ort befasst hat, sie dokumentiert und beschrieben. Es habe ja fast nichts Schriftliches über den Ort gegeben, der in diesem Jahr seine 775-Jahr-Feier began- gen hat, sagt Wilhelm Schä- fer. Vor allem er selbst hat das geändert. Er hat elf Broschü- ren verfasst und nach dem ersten Versuch mit einer Druckerei dann auch gleich selbst gesetzt, gedruckt und gebunden. „Das wird ja sonst viel zu teuer“, findet der ehe- malige Landwirt, der in den nächsten Tagen seinen 80- Geburtstag feiert. Im Internet kann man die Meinerküser besuchen, aber auch persönlich laden sie die Hinterländer ein Dass er mit den ganzen di- gitalen Bedingungen der Druckprojekte umgehen kann, findet er selbstver- ständlich. Von ihm stammt auch die „Datenbank Meinerküser Platt“, die er mit 5600 Wor- ten und Redewendungen erstmals herausgegeben hat. „Inzwischen sind es 6150“, sagt der Dialektaktivist, der die Datenbank auch im In- ternet vorstellt. Unter www.mundartgruppe.jim- do.com findet man auch „Witze up Platt“ und andere Arbeiten, außerdem natür- lich jeden Menge Informa- tionen über die Gruppe. Allerdings sind nicht alle Aktivitäten der Mundart- gruppe im Netz zu finden. So erfährt man nur im persön- lichen Gespräch, dass die Gruppe über viele Jahre auch eine Jugendgruppe unter- halten hat und 10 bis 15 Ju- gendlichen das Platt beige- bracht hat. „Die jungen Leu- te haben dann auch mit Be- geisterung bei unseren Mundart-Abenden Theater auf Platt gespielt. Da waren fünf- bis sechshundert Leute in der Halle“, erzählt Lise- lotte Schmidt. Leider seien die meisten Jugendlichen nun zum Studieren wegge- zogen und kämen nur noch manchmal zu besonderen Anlässen vorbei. Bei den Mundart-Aben- den hätten auch die Nach- bardörfer mitgemacht und eigene Beträge aufgeführt, erzählt Schmidt. Alle zwei Jahre habe die Gruppe so ei- ne große Veranstaltung ge- macht, aber in diesem Jahr sei natürlich alle Energie in die 775-Jahr-Feier des Ortes ge- flossen. „Ich würde gerne wieder so etwas machen. Vielleicht haben die Hinterländer ja Lust, dabei mitzumachen. Das fände ich schön“, wirbt Schmidt für eine (Sprach)grenzübergreifende Mundart-Veranstaltung. Vielleicht kommt es ja noch einmal zu einer Begegnung mit dem Verein „Dialekt im Hinterland“. Die Einladung der gastfreundlichen „Mei- nerküser“ steht jedenfalls. Wilhelm Schäfer ist für alles Schriftliche und alles Handwerkliche zuständig. Der pensionierte Land- wirt hat elf Bücher veröffentlicht. Zur Weihnachtsfeier von „Mir Meinerküser“ gibt es Geschichten und Lustiges auf Platt. (Fotos: Koelschtzky) Schwätz mol Im Dialekt spreche man gerade heraus, da wisse je- der gleich, wo er dran ist, sagt der Erdhäuser Karl Leinbach. „Auch wenn's mal derb wird. Man kann ja nicht 'Sie Mistkerl' sa- gen“, findet er. Aber ich finde, nicht nur schimpfen geht besser im heimischen Dialekt. Auch Freundliches oder Persön- liches sagt sich oft leichter im Dialekt als im doch immer etwas förmlichen Hochdeutsch. Ich denke da immer an meinen frü- heren Nachbarn, einen verwitweten Schlosser, der ursprünglich aus dem Ruhrgebiet kam. Oft stand er auf meinem Hof und wenn ich fragte, „Na Karl, wie geht's Dir“, dann meinte er manchmal, „ach ich hen heut arm Dier“. Das kann man nicht wört- lich übersetzen, aber es hieß, es ging ihm nicht gut, er fühlte sich alleine, und deshalb kam er herü- ber, um ein bisschen zu plaudern. Ich weiß nicht, ob er ge- sagt hätte, „Ach, ich fühle mich so alleine.“ Wer tut das schon? Auf hoch- deutsch kann man das nicht so gut, da muss man ja die Form wahren. Aber im Platt kann man Per- sönliches sagen. Von Martina Koelschtzky Gemorje Hennerlaand Ausgabe 31 Dezember 2015 Seit 2005 erscheint die Zeitung des Vereins „Dialekt im Hinter land“ als Sonder druck des Hinter- länder Anzeigers in der Zeitungsgruppe Lahn-Dill. Mund-Art „Äich schwäzze platt, weil äich doas voo klee off geleannd hoo. Ös wear schii, wann mein Enkel speerer äach so schwäzze deed.“ Helmut Dönges aus Engel- bach mit Enkel Jonas Jakob Wörter, die nicht im Duden stehen WÖRTERBUCH IN FOLGEN Eine Serie von Hansheinrich Roßbach in jeder Dialektzeitung, 31. Folge BAD LAASPHE-FISCHEL- BACH Hansheinrich Roßbach arbeitet seit vielen Jahren an Dialekt-Wörterbüchern, für Wallau hat er schon eines veröffentlicht. In dieser Serie sammelt er Worte, die es nur im Dialekt gibt. wäljern, (mittelhoch- deutsch: wälgern): ausrollen des Teiges mit dem Wäljer- holz: dem Nudelholz. Walle heißt der Ort Wal- lau im Dialekt. Die Herkunft des Ortsnamen ist nicht ge- klärt, die älteste schriftliche Bezeugung von 1289 als Walloha geht seines Erach- tens auf einen Waldnamen zurück (althochdeutsch „loh“: Busch, Wald Holz), vgl. Iserlohn, Hohenlohe. Waalze, w. (mhd. walze) Walze, hat mehrere Bedeu- tungen: 1. Ackerwaalze, womit der eingesäte Acker gewalzt wird, um dem Bo- den die Festigkeit zum Kei- men der Getreidekörner zu geben; 2. Schneewaalze: wal- zenförmig gerollter Papp- schnee 3. Kugel beim Knickor- nerspen (Klickerspiel), mit der geschmässe und ge- knäppelt wurde. Wamst, s. (mhd. wam- bes): Wams, als Teil der Frau- entracht im Hinterland, da- von abgeleitet ist (ver)wamsche: verprü- geln. „Wase“ heißt jede ältere Frau im Dorf waanern (mhd. wan- dern): ruhelos zugange sein, nachts vernehmbar umher- gehen, nicht in der schrift- sprachlichen Bedeutung verwendet. Wann, w. (mhd. wanne): Wanne, Getreideschwinge. Mit dem flachen, länglich runden, nach einer Seite hin offenen Korb wurden einst die gedroschenen Getreide- körner geworft, um sie von der Spreu zu trennen, später übernahm die Windmühle diese Tätigkeit. Warzenkraut: volks- tümlicher Name für das Schöllkraut, dessen gelber Saft zur Behandlung von Warzen hilfreich ist. wäsche (mhd. weschen): waschen, mit altem Umlaut in allen Formen, wie offwä- sche: abwaschen, Wäsch m. Wäsche zum waschen, Off- wäsch: Abwasch, wäißer Wäsch: Weißwäsche, Wäschbrie: Waschbrühe, Waschlauge. Wase, w. (mnd. wase be- deutet: Base): bezeichnet keine Verwandtschaft, son- dern wird für jede ältere Frau im Ort verwendet. Wase wird altersehrend dem Hausnamen angefügt und mit der zweiten Person Mehrzahl verbunden, „ich habe Ouch aber lange nicht gesehen, Bä- ckersch Wase“, das männ- liche Pendant hierzu ist Vet- ter. Wässe m. (mhd. wase): 1. Rasen, so in Flurnamen wie Schinnwässe, laanger Wässe, 2. Vom Boden ge- löstes, mit Gras bewachsenes Erdstück. Wasserbaanke, w.: Wasserbank in der Küche mit Gefäßen für Brunnenwasser. Wasserblättern, Mehr- zahl: Windpocken. Wasserpaff, m.: veraltet für Libelle. Watz, m.: männliches unkastriertes Hausschwein, Eber, davon übertragen „un- gesitteter Mensch“; weller Watz: Keiler, Wildschwein. Watze, Mz. Kriechender Hahnenfuß, fällt als lästiges Unkraut unter die Bezeich- nung Dräck. Wawel, m.: Wagenla- dung, voller Wagen, ist die mundartliche Form aus „Wagen“ und „voll“, vgl. Haffel, w.: Handvoll, Mof- fel, m.: Mundvoll, Arwel, m.: Armvoll. Impressum Gemorje Hennerland erscheint zweimal im Jahr als Sonderdruck der Zeitungsgrup- pe Lahn-Dill im Hinterländer Anzeiger Druck: Wetzlardruck-GmbH Elsa-Branström-Straße 18 35578 Wetzlar Herausgeber: Dialekt im Hinterland e.V., Verein zur Förderung, Pflege, und zum Erhalt der Mundart im Hinterland Redaktion: Martina Koelschtzky Kontakt: Vorsitzender des Vereins „Dialekt im Hinterland“ Reiner Wagner Boxbachstraße 8 35236 Breidenbach-Wiesenbach, (0 64 65) 7 346 E-Mail: reiner.wagner. wiesenbach@ t-online. de Weltweit und bodenständig: Mundart im Netz Im Internet finden Sie den Verein „Dialekt im Hinterland“ unter www.dialektverein.de. Dort finden Sie auch eine online-Ausgabe dieser Zeitung. Da der Dialekt als gesprochene und mündlich überlieferte Sprache keine einheitliche Rechtschreibung kennt, kann die Schreibweise je nach Autor unterschiedlich gewählt sein. Entscheidend für die Schreibweise ist, wie der Autor die Laute seines Dialektes am Besten wiedergegeben sieht.

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„Der Dialekt wird wieder mehr benutzt“UNSERE NACHBARN DieMundartgruppe „MieMeinerküser“ pflegt die niederdeutsche Sprache

Von Martina Koelschtzky

KORBACH-MEINERINGS-HAUSEN Natürlich wird auchbei der Weihnachtsfeier derMundartgruppe „Mie Mei-nerküser“ Platt gesprochen:Mit Gedichten und Geschich-ten pflegen die gut 30 Mit-glieder den Dialekt, den sieauch einer Jugendgruppebeigebracht haben.

„Ich habe den Eindruck,dass auch in der Öffentlich-keit im Dorf wieder mehr Di-alekt gesprochen wird, nichtnur unter uns“, sagt der zwei-te Vorsitzende Rainer Schä-fer. Seit 2002 besteht die Di-alektgruppe, die offiziell ei-ne Abteilung des Feuerwehr-vereins ist. Da es kein einge-tragener Verein ist, „könnenwi maken wat wi wullen“.lacht die Vorsitzende Lise-lotte Schmidt.

„Wir wollten schon langeeine solche Gruppe grün-den“, berichtet GerhardLamm und Rainer Schäfer,der 2001 Vorsitzender desFeuerwehrvereins war undPlatt als zweite Sprache ge-lernt hat. „Zuhause habe ichdas nicht gelernt, meineMutter kam aus dem Sude-tenland und sprach ein frän-kisches Platt. Mein Lehr-meister war Wilhelm Köh-ler“, erzählt er. Der habe, alsSchäfer 19 war, einfach nurnoch Platt mit ihm gespro-chen, damit er es lernt.

Köhler lacht und erzählt,dass er auf die Idee mit derDialektgruppe gekommenist, als er älter wurde: „Allesging nicht mehr so gut, Fuß-ballspielen oder Treppen-laufen, aber das Maul, das hatkein Problem. Labern kön-nen wir immer“, scherzt er.

Der Dialekt der „Meiner-küser“ klingt völlig anders alsder im Hinterland. „Wir ha-ben die Hinterländer ja mal

getroffen, aberwenn sieschneller re-den, verste-hen wir nichtsmehr“, sagtLieselotteSchmidt.

Südlich vonKorbach ver-läuft dieSprachgrenzezwischenfränkischemund sächsi-schem Platt,und so spre-chen die Mei-neringshäusereine Sprache,die verstehenkann, wer al-tes Englischoder das friesi-sche Plattkennt.

„Mit unserem Dialektkönnen wir uns bis nachHolland rein problemlosverständigen“, sagt Inka Ka-roschka, die sich mit ihremDorfnamen „Mitzen Inge“vorstellt.

Dorfnamen waren einesder Themen für die Dialekt-gruppe in den vergangenenJahren. Wilhelm Schäfer hatdie Haus- und Flurnamen aufPlatt in Holzschilder gefräst,die nun überall im Ort hän-gen.

Auch eine „Grenzstein-AG“gibt es inderGruppe,diesich mit den historischenGrenzsteinen um den Ortbefasst hat, sie dokumentiertund beschrieben.

Es habe ja fast nichtsSchriftliches über den Ortgegeben, der in diesem Jahrseine 775-Jahr-Feier began-gen hat, sagt Wilhelm Schä-fer. Vor allem er selbst hat dasgeändert. Er hat elf Broschü-

ren verfasst und nach demersten Versuch mit einerDruckerei dann auch gleichselbst gesetzt, gedruckt undgebunden. „Das wird ja sonstviel zu teuer“, findet der ehe-malige Landwirt, der in dennächsten Tagen seinen 80-Geburtstag feiert.

Im Internet kann mandie Meinerküserbesuchen, aber auchpersönlich laden sie dieHinterländer ein

Dass er mit den ganzen di-gitalen Bedingungen derDruckprojekte umgehenkann, findet er selbstver-ständlich.

Von ihm stammt auch die„Datenbank MeinerküserPlatt“, die er mit 5600 Wor-ten und Redewendungenerstmals herausgegeben hat.„Inzwischen sind es 6150“,

sagt der Dialektaktivist, derdie Datenbank auch im In-ternet vorstellt. Unterwww.mundartgruppe.jim-do.com findet man auch„Witze up Platt“ und andereArbeiten, außerdem natür-lich jeden Menge Informa-tionen über die Gruppe.

Allerdings sind nicht alleAktivitäten der Mundart-gruppe im Netz zu finden. Soerfährt man nur im persön-lichen Gespräch, dass dieGruppe über viele Jahre aucheine Jugendgruppe unter-halten hat und 10 bis 15 Ju-gendlichen das Platt beige-bracht hat. „Die jungen Leu-te haben dann auch mit Be-geisterung bei unserenMundart-Abenden Theaterauf Platt gespielt. Da warenfünf- bis sechshundert Leutein der Halle“, erzählt Lise-lotte Schmidt. Leider seiendie meisten Jugendlichennun zum Studieren wegge-

zogen und kämen nur nochmanchmal zu besonderenAnlässen vorbei.

Bei den Mundart-Aben-den hätten auch die Nach-bardörfer mitgemacht undeigene Beträge aufgeführt,erzählt Schmidt. Alle zweiJahre habe die Gruppe so ei-ne große Veranstaltung ge-macht,aber indiesemJahrseinatürlich alle Energie in die775-Jahr-Feier des Ortes ge-flossen.

„Ich würde gerne wieder soetwas machen. Vielleichthaben die Hinterländer jaLust, dabei mitzumachen.Das fände ich schön“, wirbtSchmidt für eine(Sprach)grenzübergreifendeMundart-Veranstaltung.Vielleicht kommt es ja nocheinmal zu einer Begegnungmit dem Verein „Dialekt imHinterland“. Die Einladungder gastfreundlichen „Mei-nerküser“ steht jedenfalls.

Wilhelm Schäfer ist für alles Schriftliche und allesHandwerkliche zuständig. Der pensionierte Land-wirt hat elf Bücher veröffentlicht.

Zur Weihnachtsfeier von „Mir Meinerküser“ gibt es Geschichten und Lustiges auf Platt. (Fotos: Koelschtzky)

Schwätz mol

Im Dialekt spreche mangerade heraus, da wisse je-der gleich, wo er dran ist,sagt der Erdhäuser KarlLeinbach. „Auch wenn'smal derb wird. Man kannja nicht 'Sie Mistkerl' sa-gen“, findet er.

Aber ich finde, nicht nurschimpfen geht besser imheimischen Dialekt. AuchFreundliches oder Persön-liches sagt sich oft leichterim Dialekt als im dochimmer etwas förmlichenHochdeutsch. Ich denkeda immer an meinen frü-heren Nachbarn, einenverwitweten Schlosser, derursprünglich aus demRuhrgebiet kam. Oft stander auf meinem Hof undwenn ich fragte, „Na Karl,wie geht's Dir“, dannmeinte er manchmal, „achich hen heut arm Dier“.Das kann man nicht wört-lich übersetzen, aber eshieß, es ging ihm nichtgut, er fühlte sich alleine,und deshalb kam er herü-ber, um ein bisschen zuplaudern.

Ich weiß nicht, ob er ge-sagt hätte, „Ach, ich fühlemich so alleine.“ Wer tutdas schon? Auf hoch-deutsch kann man dasnicht so gut, da muss manja die Form wahren. Aberim Platt kann man Per-sönliches sagen.

Von Martina Koelschtzky

GemorjeHennerlaand

Ausgabe 31Dezember 2015Seit 2005 erscheint dieZeitung des Vereins„Dialekt im Hinterland“ als Sonderdruck des Hinter-länder Anzeigers inder ZeitungsgruppeLahn-Dill.

Mund-Art

„Äichschwäzze platt,weil äich doas

voo klee off geleannd hoo.Ös wear schii, wann meinEnkel speerer äach soschwäzze deed.“

Helmut Dönges aus Engel-bach mit Enkel Jonas Jakob

Wörter, die nicht im Duden stehenWÖRTERBUCH IN FOLGEN Eine Serie von Hansheinrich Roßbach in jeder Dialektzeitung, 31. Folge

BAD LAASPHE-FISCHEL-BACH Hansheinrich Roßbacharbeitet seit vielen Jahren anDialekt-Wörterbüchern, fürWallau hat er schon einesveröffentlicht. In dieser Seriesammelt er Worte, die es nurim Dialekt gibt.

wäljern, (mittelhoch-deutsch: wälgern): ausrollendes Teiges mit dem Wäljer-holz: dem Nudelholz.

Walle heißt der Ort Wal-lau im Dialekt. Die Herkunftdes Ortsnamen ist nicht ge-klärt, die älteste schriftlicheBezeugung von 1289 alsWalloha geht seines Erach-tens auf einen Waldnamenzurück (althochdeutsch„loh“: Busch, Wald Holz),vgl. Iserlohn, Hohenlohe.

Waalze, w. (mhd. walze)Walze, hat mehrere Bedeu-tungen: 1. Ackerwaalze,womit der eingesäte Ackergewalzt wird, um dem Bo-den die Festigkeit zum Kei-

men der Getreidekörner zugeben;

2. Schneewaalze: wal-zenförmig gerollter Papp-schnee

3. Kugel beim Knickor-nerspen (Klickerspiel), mitder geschmässe und ge-knäppelt wurde.

Wamst, s. (mhd. wam-bes): Wams, als Teil der Frau-entracht im Hinterland, da-von abgeleitet ist(ver)wamsche: verprü-geln.

„Wase“ heißt jedeältere Frau im Dorf

waanern (mhd. wan-dern): ruhelos zugange sein,nachts vernehmbar umher-gehen, nicht in der schrift-sprachlichen Bedeutungverwendet.

Wann, w. (mhd. wanne):Wanne, Getreideschwinge.Mit dem flachen, länglichrunden, nach einer Seite hinoffenen Korb wurden einstdie gedroschenen Getreide-

körner geworft, um sie vonder Spreu zu trennen, späterübernahm die Windmühlediese Tätigkeit.

Warzenkraut: volks-tümlicher Name für dasSchöllkraut, dessen gelberSaft zur Behandlung vonWarzen hilfreich ist.

wäsche (mhd. weschen):waschen, mit altem Umlautin allen Formen, wie offwä-sche:abwaschen,Wäschm.Wäsche zum waschen, Off-wäsch: Abwasch, wäißer

Wäsch: Weißwäsche,Wäschbrie: Waschbrühe,Waschlauge.

Wase, w. (mnd. wase be-deutet: Base): bezeichnetkeine Verwandtschaft, son-dern wird für jede ältere Frauim Ort verwendet. Wasewird altersehrend demHausnamen angefügt undmit der zweiten PersonMehrzahl verbunden, „ichhabe Ouch aber langenicht gesehen, Bä-ckersch Wase“, das männ-

liche Pendant hierzu ist Vet-ter.

Wässe m. (mhd. wase): 1.Rasen, so in Flurnamen wieSchinnwässe, laangerWässe, 2. Vom Boden ge-löstes, mit Gras bewachsenesErdstück.

Wasserbaanke, w.:Wasserbank in der Küche mitGefäßen für Brunnenwasser.

Wasserblättern, Mehr-zahl: Windpocken.

Wasserpaff, m.: veraltetfür Libelle.

Watz, m.: männlichesunkastriertes Hausschwein,Eber, davon übertragen „un-gesitteter Mensch“; wellerWatz: Keiler, Wildschwein.

Watze, Mz. KriechenderHahnenfuß, fällt als lästigesUnkraut unter die Bezeich-nung Dräck.

Wawel, m.: Wagenla-dung, voller Wagen, ist diemundartliche Form aus„Wagen“ und „voll“, vgl.Haffel, w.: Handvoll, Mof-fel, m.: Mundvoll, Arwel,m.: Armvoll.

ImpressumGemorje Hennerlanderscheint zweimal im Jahrals Sonderdruck der Zeitungsgrup-pe Lahn-Dill imHinterländer Anzeiger

Druck:Wetzlardruck-GmbHElsa-Branström-Straße 1835578 WetzlarHerausgeber:Dialekt im Hinterland e.V.,Verein zur Förderung,Pflege, und zum Erhalt derMundart im HinterlandRedaktion:Martina Koelschtzky

Kontakt:Vorsitzender des Vereins„Dialekt im Hinterland“Reiner WagnerBoxbachstraße 835236 Breidenbach-Wiesenbach,(0 64 65) 7 346E-Mail: reiner.wagner.wiesenbach@ t-online. de

Weltweit und bodenständig:Mundart im NetzIm Internet finden Sie denVerein „Dialekt im Hinterland“unter www.dialektverein.de.Dort finden Sieauch eine online-Ausgabedieser Zeitung.Da der Dialekt als gesprocheneund mündlichüberlieferte Sprache keineeinheitliche Rechtschreibungkennt, kann dieSchreibweise je nach Autorunterschiedlich gewähltsein. Entscheidend für dieSchreibweise ist, wie der Autordie Laute seines Dialektes amBesten wiedergegeben sieht.

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Offgewosse offm DärfSprichwörter hu immer BedeurungVon Margret Pfeifer,Mornshausen/D.

DAUTPHETAL-MORNS-HAUSEN Dass an Sprichwor-ten viel Wahres dran ist, er-kennt man meistens erst mitder notwendigen Lebenser-fahrung. Mit späten Erkennt-nissen befasst sich MargretPfeiffer.

Je äller mer woerd, je miefann em de Sprichwörter en.Saat Menschegedenge hu dejis geprägt. Em tägliche Ei-nerlei fällt mir werre es en:

„Beklage nicht den Mor-gen,derMühundArbeitgibt,es ist so schön zu Sorgen, fürMenschen die man liebt“.

Eigentlich äes doch dometalles gesät. En iser moderneZaat gids Deko ze käfe, dostihd droff:

„Good morning, let thestress begin!“

Woes will mer da dometeigentlich sah? Es gid dochnaud Schieneres off der Welt,wej eh intakte Familie zu hu.

Wann ise Liewe immer engeregelte Bahne liaf, wier al-les goud, nur gid doas nid im-mer su, wej mir doas gern

härre. Alles off schnäell aus-gelierd.

High tech – nur woesbringd is does da all? Immermie Mensche sej, ewer fejnsich elleh. Der Song „keinSchwein ruft mich an…“ ge-winnt do oh Bedeurung.

Etz woern mer en Mün-chen, herrliche Stoad,Menschemänge dej aut er-liewe woullde. Jeder zwiedeen der S-Bahn langd sajSmartphone raus, SMS lärn,vo Leure dej mer kennt, äwereach nid.

Zaat äes ehGeschenk

Wej elleh muss sich dochen Mensch fierkomme, dereinsam äes, weil der nimmedhod. Sich emol Zaat nomme,on med dem ahner eh Käpp-che Kaffee ze drenge, doeskost nid fiel, on mer machtimmed eh gruse Freude do-med!

Zaat äes eh Geschenk.Zaat kann mer sich nom-

me.Ke Zaat hu, äes gemoech-

ter Stress!En dem Sinne, wünsche

aich auch eh schiene „stress-freie“ Adventszeit!

KONZERT

Schon einmal vormerken:Am Samstag, 9. April

2016, gibt es ein Mundart-konzert der Gruppe „Meel-staa“, die sich als Nachfol-gerin von „Fägmeel“ ver-steht.Näheres hierzu in der

nächsten Ausgabe.

LEBENSWEISHEITEN

Je älter wir werden – des-to besser waren wir früher.

„Im Platt wird graderaus geredet“MENSCHEN IM HINTERLAND Jeder kennt Karl Leinbach, der immer für andere engagiert ist

Von Martina Koelschtzky

GLADENBACH-ERDHAUSEN„Dialekt spricht man spätes-tens dann, wenn es ein biss-chen derb werden muss“,sagt der Erdhäuser Karl Lein-bach. Der bekannte Hinter-länder ist für jeden Spaß aufPlatt zu haben.

„Es gibt kaum jemandenhier herum, der den KarlLeinbach nicht kennt“, sagtder ehemalige Bürgermeisterund jahrzehntelange Orts-vorsteher von Erdhausen.„Das ist nicht immer nur vonVorteil.“

Aber wenn er gefragt wird,steht Karl Leinbach immerzur Verfügung, sei es für Rataus seiner jahrzehntelangenErfahrung mit Politik undamtlichen Angelegenheiten,oder eben für einen Spaß. Sowie kürzlich die gespielte Ge-richtsverhandlung auf Plattbeim Tag der offenen Tür imBiedenkopfer Amtsgericht.

„Wir hatten vor drei Jah-ren schon einmal etwas ähn-liches gemacht, und das hatdem AmtsgerichtsdirektorMirko Schulte so gut gefal-len, dass er auf jeden Fall wie-der so ein kleines Theater-stück haben wollte. Und das,obwohl er als Zugezogenernicht alles versteht, was wiruns da an den Kopf werfen“,

erzählt Karl Leinbach. Erspielte in der Gerichtsver-handlung den Angeklagten„Leinbachs Karlche“, der an-geblich mit roter Farbe eineBeleidigung im Dialekt aufdas Reitpferd der Nachbaringemalt haben soll. „Das hatmir schon großen Spaß ge-macht, und die meisten Zu-schauer haben es auch ver-standen, wenn auch nichtalle“, sagt er. Sie hätten nurden groben Ablauf vorherabgesprochen und viel im-provisiert im Gericht, er-zählt er. Er findet es gut, dassinzwischen in vielen OrtenMundart-Theater gespieltwird. „So bleibt die Sprachevielleicht ein bisschen län-ger erhalten“, hofft er.

Er ist vor allem bei seinenGroßeltern aufgewachsen,und da wurde natürlich Plattgesprochen. „In der Schulemussten wir hochdeutschsprechen, aber das haben wirabgelegt, sobald wir zu Hau-se waren“, erinnert er sich.Diesen Wechsel kennt erauch heute noch. So sprichter mit seiner Frau zu HausePlatt, aber wenn die Kinderkommen, wechseln sie meistzu hochdeutsch. „Die Kin-der sprechen zwar auch so et-was dialektgefärbtes, aberrichtiges Platt ist das nicht“,bedauert er.

Platt spricht er auch imAlltag noch viel. „Vor allem,wenn man mal derb werden

muss, geht das nur auf Platt“,findet er. Der Dialekt sei ein-fach eine viel direktere Spra-che als das Hochdeutsche,findet er. „Da weiß jedergleich, wo er dran ist.“ Undwenn man mal sagen müsse,„Da ist ja des Uars schon wie-der“, dann „ist das eben so.“

Auch auf der Arbeit habeer immer Platt gesprochen,nur damals bei der Bundes-wehr in Koblenz hätte daskeiner verstanden. Da habeer mal eine Zeit lang hoch-deutsch sprechen müssen.

Vor der Gebietsreform, alsder gelernte Kaufmann undPost-Mitarbeiter Bürger-meister in Erdhausen war,hätten auch die Bürgermeis-ter der Region bei der Dienst-versammlung nur Platt ge-sprochen, erinnert er sich.„Das war damals nochselbstverständlich. Schwie-riger war, dass ich schon malohne Schlips und Kragenkam. Das gab dann Kritik“.Das war ihm aber egal, er hat-te Wichtigeres zu tun. ZumBeispiel stand gleich zu sei-nem Dienstantritt als Bür-germeister der Kanalbau aufder Tagesordnung. „Das warnicht einfach“, sagt er.

Aber die Politik liegt ihmsozusagen im Blut: SeinGroßvater war Bürgermeis-ter in Gladenbach, „der hatdamals das Schlossviertel aufden Weg gebracht“, sein Va-ter war Landtagsabgeordne-ter für die Region. Damit eskeine Verwechslungen gibt,hat er seinerzeit seinem Na-men ein „jr.“ angehängt.

Karl Leinbach redetniemandem nachdem Mund: „Dannist das ebenso“, sagt er.

Nach der Gebietsreformwar Karl Leinbach jr. von1974 bis 2006 Ortsvorstehervon Erdhausen. In den mehrals 30 Jahren hätten sich dieMenschen daran gewöhnt,ihn wegen allem zu fragen,sagt er. „Ach, mer gehn malbein Karl“, hieße es dann im-mer. Zudem ist er auch seitfast 30 Jahren Ortsgerichts-vorsteher, im kommendenJahr feiert er das Jubiläum.

Beim örtlichen Fußball-verein war er Jugendleiterund Erster Vorsitzender. „Daist meine Frau mit dem Kin-

derwagen mitgekommen,damit wir zusammen seinkonnten“, erzählt der immerAktive. Überhaupt habe sei-ne Frau Erika immer allesmitgetragen, was er angezet-telt hat, freut er sich. „Ohnedass sie mitmachte, wäre esnicht gegangen.“

Für sein vielfältiges Enga-gement hat Karl Leinbach2006 den Bundesverdienst-orden verliehen bekommen.

Anderen nach dem Mundreden ist seine Sache nie ge-wesen. Für seine direktenWorte ist er bekannt und soist es geblieben. „Ich werdeja als Vorsitzender der Jäger-vereinigung Hinterland im-mer zu Staatsjagden einge-laden“, berichtet er. „Aber dagehe ich nicht hin.“ Dortmüsse man nämlich mitbleifreier Munition schie-ßen, und diese töte die Tierenur langsam, sagt er

„Das ist Tierquälerei, dasmache ich nicht mit.“ Dashat er auch den Verantwort-lichen beim Land so ins Ge-sicht gesagt, und seitherbleibt er zu Hause. „Danngibt's eben keine Staatsjagd.Da mache ich keinen Kom-promiss“, sagt er.

„Ohne siewäre es nicht gegangen“: Karl undErika Leinbachmachenmög-lichst alles gemeinsam. (Foto: Koelschtzky)

Bei der Gerichtsverhandlung auf Platt im Biedenkopfer Amtsgericht gab Karl Leinbachmit viel Spaß den den An-geklagten „Leinbachs Karlche“, der ein Pferd angemalt haben soll. (Foto: Valentin)

Schlitz bietet vielDialektverein besucht die BurgenstadtVon Reiner Wagner

HINTERLAND In die roman-tische Burgenstadt Schlitzging es bei der Tagesfahrt desVereins „Dialekt im Hinter-land.“

Beim Aufstieg zum Stadt-zentrum gab es für die über50 mitgereisten Mundart-freunde einen ersten Ein-druck vom mittelalterlichenCharakter der Stadt. Nichtnur beim SchlitzerländerTrachtenfest, das alle zweiJahre Besucher aus der gan-zen Welt anzieht, bietet dieStadt viel für den Betrachter.

Mundart verbindet

Bei der Führung durch dasin der mächtigen Vorder-burg untergebrachte Hei-matmuseum wurden die Be-sucher mit Eindrücken undInformationen gradezuüberhäuft. So galt es an-schließend, auf eigene Faustseinen Wissensstand weiterzu erhöhen.

Einen herrlichen Über-

blick über die Stadt mit denvier Burgen und die umlie-gende Landschaft bietet dermittelalterliche Hinterturm.Mittels Aufzug gelangtenschwindelfreie Hinterländerauf die 36 Meter hohe Brüs-tung. In der Weihnachtszeitverwandeln rote Leinenbah-nen aus Schlitzer Webereienden imposanten Bergfried in

die größte Weihnachtskerzeder Welt. Die vielen Eindrü-cke des Tages galt es beimabendlichen gemütlichenAbschluss in Lauterbach-Maar zu verarbeiten. Einerguten Tradition folgend gabes hier Mundartbeiträge vonGästen aus der Region. Solauschten die Anwesendenaufmerksam den Ausfüh-

rungen von Karl Heinz Theisund Reinhold Horn. Dabeigab es viel zu lachen, aberauch zum Nachdenken an-regende Vorträge. Auchwenn sprachliche Unter-schiede zum HinterländerDialekt deutlich wurden,kam auch hier die verbin-dende Wirkung der Mundarteindrucksvoll zum Tragen.

Mundart als TascheDie Stofftaschen mit dem Motiv des Hinterländer Mund-

artplakates erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Wegender vielen Nachfragen weist der Verein „Dialekt im Hinter-land“ darauf hin, dass diese Taschen nicht käuflich zu er-werben sind. Die „Mundart-Taschen“ sind nur für Mitglie-der des Vereins bestimmt oder werden an Menschen ver-schenkt, die sich um die Mundart besonders verdient ge-macht haben. Mitglieder, die noch keine Tasche haben,wenden sich bitte an den Vorstand. (red)