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ZWISCHEN EINE STUNDE SCHÖNHEIT ZEILEN Literatur von Menschen aus Kriegs- und in Krisengebieten Lesungen mit Friedrich Ani, Nora Bossong, Jennifer Clement, Stephan Füssel, Katharina Hacker, Olaf Lewerenz, Jagoda Marinić, Terézia Mora, Martin Schult, Janne Teller, Terry Vosbein, David Wagner, Frank Witzel und Deniz Yücel. Mittwoch, 16. Oktober bis Freitag, 18. Oktober 2019, in der St. Katharinenkirche an der Hauptwache in Frankfurt am Main Eintritt frei

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ZWISCHENEINE STUNDE SCHÖNHEIT

ZEILENLiteratur von Menschen

aus Kriegs- und in Krisengebieten

Lesungen mit Friedrich Ani, Nora Bossong, Jennifer Clement,

Stephan Füssel, Katharina Hacker, Olaf Lewerenz, Jagoda Marinić, Terézia Mora, Martin Schult, Janne Teller,

Terry Vosbein, David Wagner, Frank Witzel und Deniz Yücel.

Mittwoch, 16. Oktober bis Freitag, 18. Oktober 2019,

in der St. Katharinenkirche an der Hauptwache in Frankfurt am Main

Eintritt frei

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Zwischen den Zeilenvon Janne Teller

Es gab ein Jahr in meinem Leben, da habe ich Gedichte auswendig gelernt. Das

war 1993/94, als ich für die Friedensmission der Vereinten Nationen in Mosam-bik arbeitete, und ich dabei – nach monate langen Verhand lungen mit Generä-len, die für die furchtbarsten Massaker und Massen tötungen verantwortlich

waren, die man sich vorstellen kann, täglich umgeben von Gewalt, Folter,

Anschlägen, Geiselnahmen und Explosionen von Landminen, Verstößen

gegen den Waffenstillstand ausgesetzt sowie der ständigen Bedrohung durch

einen Militärputsch, in einem Land, das zu dieser Zeit, nach 15 Jahren eines

unbeschreiblich grausamen Bürgerkriegs, das Ärmste der Welt war – meine

Hoffnung verlor. Ich hatte meinen Glauben an die Menschlichkeit verloren.

An einem warmen Abend in der Bar des Hotels Polana, dem ein zigen Ort

des Luxus in der Stadt, schenkte mir ein Freund die Norton Anthology of Eng-lish Literature. Mehr aus Höflichkeit schlug ich sie auf, las ein wenig und ent-deckte, dass ich durch die kürzesten Ge dichte gerade so durchkam. Damit

ging es für mich los.

Eines der ersten Gedichte, die ich auswendig lernte, war Thomas Hardys

The Walk von 1914. Dieses Gedicht, das er im Kummer über den Tod seiner Frau

nach vielen Jahren der Ehe schrieb, hatte nichts mit der Situation in Mosambik

zu tun. Doch nachdem ich es viele Abende hintereinander für mich wiederholt

hatte, sorgfältig Zeile für Zeile bis ich es ohne einen Blick auf die bedruckte

Seite laut aufsagen konnte, entdeckte ich, dass sich etwas verändert hatte: Das

Gedicht nahm neue Proportionen an, der Rhythmus der Worte wurde zu

einem Lied vieler Stimmen, einer Empfindung, einem Wissen von etwas ande-rem und Weitergehendem – das mich erstaunlicherweise durch die Brutalität

eines weiteren Tages zu tragen schien.

Ohne übertreiben zu wollen, war es, sehr konkret gesagt, so, als hätte

Hardy mir ein kleines Stück seiner Seele gegeben, um meine eigenen erschöpf-ten Lebensgeister damit zu nähren.

(aus: LETTRE Nr. 97, Sommer 2012)

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Ein Plädoyervon Janne Teller, Felicitas von Lovenberg,

Stephan Detjen und Martin Schult

Dies ist ein Plädoyer für die Schönheit von Literatur – für ihren Reichtum,

ihre Ästhetik und ihre Einsichten. Und es ist ein Plädoyer für die Literatur als

geistige Nahrung, die wir für unsere Menschlichkeit benötigen. Auf der

Frankfurter Buchmesse zeigen uns die Verlage mit ihren Büchern jedes Jahr

die Bedeutung und Vielfalt der Literatur auf. Uns wird dabei deutlich, welch

hohes Privileg wir besitzen, all diese Bücher in Frieden und Freiheit lesen zu

können. In vielen anderen Regionen ist das nicht der Fall. Diktaturen, Kriege,

Besatzungen, Wirtschaftskrisen und Naturkatastrophen beeinträchtigen das

Recht auf freie Meinungsäußerung und behindern den Zugang zu einer freien

und unabhängigen Literatur. Ihr droht, inmitten von Gewalt und Leid, nicht

mehr wahrgenommen zu werden. In Zeiten der größten Fluchtbewegungen,

die die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt, wird Literatur zum Luxus. Und

das sollte sie nicht sein.

Während der Internationalen Buchmesse in Frankfurt lesen Schrift stel-

ler*innen in der Veranstaltungsreihe »ZWISCHEN ZEILEN. Eine Stunde

Schönheit« aus den Werken ihrer Kolleg*innen, in deren Heimatländern

Krisen und Konflikte das Entstehen von Literatur erschweren. In einer Zeit,

in der die Medien uns Bilder von Gewalt, Horror und Leid zeigen, wollen die

Lesenden uns damit daran erinnern, wie notwendig die Literatur an diesen

Orten ist: kraft ihrer Schönheit und Menschlichkeit und aufgrund der von ihr

vermittelten Werte. Als Ausdruck des gegenseitigen Verstehens und als ein

Zeichen der Solidarität mit den in Krisenregionen lebenden Menschen wollen

wir mit den Lesungen ihre Literatur ehren.

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PROGRAMM 2019

Mittwoch, 16. Oktober, 18 Uhr Katharinenkirche

Katharina Hacker liest Masande Ntshanga (Südafrika)

Jagoda Marinić liest Juan Pablo Villalobos (Mexiko)

Frank Witzel liest Wsewolod Petrow (Russland)

Moderation: Martin Schult

Donnerstag, 17. Oktober, 18 Uhr Katharinenkirche

Nora Bossong liest Ketty Nivyabandi (Burundi)

David Wagner liest Zang Di (China) und Leung Ping-kwan (Hongkong)

Deniz Yücel liest Selahattin Demirtaş (Türkei)

Moderation: Martin Schult

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PROGRAMM 2019

Freitag, 18. Oktober, 18 Uhr Katharinenkirche

Friedrich Ani liest Yishai Sarid (Israel)

Jennifer Clement liest Behrouz Boochani (Iran)

Terézia Mora liest Rasha Abbas (Syrien)

Janne Teller liest »Imagine Africa 2060«

Moderation: Martin Schult

Freitag, 18. Oktober, 20 Uhr E-Kinos

Vorführung des Dokumentarfilms »Das Salz der Erde« anlässlich der Friedenspreisverleihung an Sebastião Salgado

Mit einem anschließenden Gespräch zwischen Olaf Lewerenz und Stephan Füssel

E-Kinos, Zeil 125, Liebfrauenstraße 3, 60313 Frankfurt am Main

Eintritt: 8,00 €, Kartenvorverkauf ab 1. Oktober 2019

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Völker der Erde,lasset die Worte an ihrer Quelle,denn sie sind es, die die Horizontein die wahren Himmel rücken könnenund mit ihrer abgewandten Seitewie eine Maske dahinter die Nacht gähntdie Sterne gebären helfen –

Nelly Sachs, 1948/1949, aus »Sternverdunkelung«

Alle Veranstaltungen finden statt: Der Film wird gezeigt:

St. Katharinenkirche E-Kinos An der Hauptwache Zeil 125, Liebfrauenstraße 3 60313 Frankfurt am Main 60313 Frankfurt am Main

Kontakt

Martin Schult Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V. Schiffbauerdamm 5, D-10117 Berlin Telefon: +49 30 / 2800 783-44 Fax: +49 30 / 2800 783-50 E-Mail: [email protected]

www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de

Wir danken den Verlagen Berenberg, Drava, Friedenauer Presse, Hanser, Kein & Aber, Mikrotext, Penguin, Peter Hammer und Wunderhorn herzlich für die freundliche Genehmigung der Leserechte.

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GELESENE AUTOR*INNEN 2019

Rasha Abbas (*1984 in Latakia, Syrien), Autorin und Journalistin, schloss sich zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges den Protesten gegen das Assad-Regime an und war bald gezwungen, in den Libanon zu fliehen. Mittlerweile lebt sie in Berlin. Ihr Erzählband Eine Zusammenfassung von allem, was war (© Mikrotext; Ü: Sandra Hetzl) findet eine eindringliche, teils surreale Sprache für die Erfahrungen im Kriegsalltag und auf der Flucht.

Behrouz Boochani (*1983 in Ilam, Iran), Schriftsteller, Filmproduzent und Aktivist, flüchtete 2013 aus dem Iran nach Australien und wird seither von der dortigen Regierung in Einwanderungshaft gehalten. No Friend But the Mountains: Writing from Manus Prison (© Picador; Ü: Omid Tofighian) wurde auf einem Mobiltelefon verfasst und aus dem Gefängnis geschmuggelt. Das Buch schildert den Alltag der Eingesperrten und beschreibt das in Australien angewandte System des Internie-rungslagers.

Selahattin Demirtaş (*1973 in Palu, Türkei) trat bei der Präsidentschaftswahl 2014 als Kandidat für die pro-kurdische HDP gegen Recep Tayyip Erdoğan an. Seit November 2016 sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis Edirne in Untersuchungshaft. Sein Erzählband Morgengrauen (© Penguin; Ü: Gerhard Meier), der dort entstan-den ist, lässt in alltäglichen Situationen größere Konflikte der türkischen Gesell-schaft aufscheinen.

Ketty Nivyabandi (*1978 in Uccle, Belgien), burundische Dichterin, Essayistin und Aktivistin, engagiert sich insbesondere für Frauenrechte. 2015 organisierte sie regierungskritische Proteste, in deren Folge sie aus Burundi nach Kanada fliehen musste. Ihre Gedichte erschienen online und in zahlreichen Anthologien, u. a. in einem Lesebuch anlässlich des 19. Poesiefestivals in Berlin 2018.

Masande Ntshanga (*1986 in East London, Südafrika), gewann 2013 für seinen Roman positiv (© Wunderhorn; Ü: Maria Hummitzsch) den PEN International New Voices Award for African Writing. In dem Buch versucht der junge, HIV-positive Protagonist mittels Drogenkonsums ein persönliches Trauma zu überwinden. Erzählt wird dabei auch von den materiellen Ungleichheiten und gesellschaftlichen Widersprüchen Kapstadts.

Wsewolod Petrow (*1912 in Sankt Petersburg, Russisches Kaiserreich; † 1978 in Leningrad, Sowjetunion), Kunsthistoriker und Schriftsteller, schrieb in der Sowjet-union im Verborgenen literarische Texte, die erst fast 30 Jahre nach seinem Tod

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entdeckt und veröffentlicht wurden. Die in Wunder (© Friedenauer Presse; Ü: Daniel Jurjew) gesammelten, surrealen Erzählungen sind Glanzbeispiele für die inoffizielle Leningrader Kultur der 1930er und 40er Jahre.

Leung Ping-kwan (*1949 in Jiangmen, Republik China; † 2013 in Hongkong) war eine der wichtigsten Stimmen der Hongkonger Literaturszene. Seine Gedichte, von denen der Band Von Jade und Holz (© Drava; Ü: Wolfgang Kubin) eine Aus-wahl gibt, befassen sich insbesondere mit dem Reisen und dem Essen. Zugleich stellen sie die Frage nach der kulturellen Identität Hongkongs.

Yishai Sarid (*1949 in Tel Aviv, Israel) ist Autor und Rechtsanwalt. Sein Roman Monster (© Kein & Aber; Ü: Ruth Achlama) lässt einen Historiker zu Wort kom-men, der sein Geld als Tourguide durch ehemalige Konzentrationslager verdient. Der als Bericht an den Direktor der Gedenkstätte Yad Vashem konzipierte Roman thematisiert den Holocaust und unterzieht die heutige Erinnerungskultur einer differenzierten Kritik.

Juan Pablo Villalobos (*1973 in Guadalajara, Mexiko), Schriftsteller und Unter-nehmer, hat für Ich hatte einen Traum (© Berenberg; Ü: Carsten Regling) minder-jährige Geflüchtete interviewt, die aus Mittelamerika stammen und in den USA in Auffangzentren festgehalten worden sind. Entstanden sind dabei laut Villa-lobos keine literarischen Texte, sondern Tatsachenberichte, die auf narrative Techniken zurückgreifen.

Zang Di (*1964 in Peking, VR China) hat elf Gedichtbände veröffentlicht. Seine Lyrik zitiert gleichermaßen aus östlichen wie westlichen Überlieferungen und folgt der jahrtausendealten chinesischen Tradition, sich durch Gedichte gesell-schaftskritisch zu äußern. Der Band Gesellschaft für Flugversuche (© Hanser; Ü: Lea Schneider, Dong Li) präsentiert eine Auswahl aus seinem Schaffen mit einem Fokus auf den neueren Werken.

In Imagine Africa 2060 (© Peter Hammer, hrsg. v. Christa Morgenrath, Eva Wer-necke, Ü: Jutta Himmelreich u. a.) entwerfen sowohl junge als auch bereits eta-blierte Erzählerinnen und Erzähler literarische Zukunftsvisionen für ein Afrika im Jahre 2060. Die Themen reichen dabei von Migration über Gender-Thema-tiken bis hin zu den Folgen des Klimawandels.

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