20 - Häm und Gallenfarbstoffen

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20 20 Häm und Gallenfarbstoffe Petro E. Petrides 20.1 Biosynthese des Häms – 608 20.1.1 Übersicht über die Hämbiosynthese – 608 20.1.2 Einzelschritte der Hämbiosynthese – 608 20.1.3 Regulation der Hämbiosynthese – 611 20.1.4 Ausscheidung von Porphyrinen und Porphyrinvorstufen – 614 20.2 Pathobiochemie: Störungen der Hämbiosynthese – 614 20.2.1 Sideroblastische Anämie – 614 20.2.2 Angeborene Porphyrien – 614 20.2.3 Erworbene Porphyrien – 619 20.3 Abbau des Häms zu Gallenfarbstoffen – 621 20.3.1 Abbau zu Bilirubin – 621 20.3.2 Nachweismethoden für Bilirubin im Blutplasma – 622 20.3.3 Abbau des Bilirubins im Darm – 622 20.3.4 Hämoglobin- und Bilirubinumsatz – 623 20.4 Pathobiochemie: Störungen des Bilirubinstoffwechsels – 624 20.4.1 Erworbene Hyperbilirubinämien – 625 20.4.2 Angeborene Hyperbilirubinämien – 625 Literatur – 626

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20 Häm und Gallenfarbstoffe Petro E. Petrides

20.1 Biosynthese des Häms – 60820.1.1 Übersicht über die Hämbiosynthese – 60820.1.2 Einzelschritte der Hämbiosynthese – 60820.1.3 Regulation der Hämbiosynthese – 61120.1.4 Ausscheidung von Porphyrinen und Porphyrinvorstufen – 614

20.2 Pathobiochemie: Störungen der Hämbiosynthese – 61420.2.1 Sideroblastische Anämie – 61420.2.2 Angeborene Porphyrien – 61420.2.3 Erworbene Porphyrien – 619

20.3 Abbau des Häms zu Gallenfarbstoffen – 62120.3.1 Abbau zu Bilirubin – 62120.3.2 Nachweismethoden für Bilirubin im Blutplasma – 62220.3.3 Abbau des Bilirubins im Darm – 62220.3.4 Hämoglobin- und Bilirubinumsatz – 623

20.4 Pathobiochemie: Störungen des Bilirubinstoffwechsels – 62420.4.1 Erworbene Hyperbilirubinämien – 62520.4.2 Angeborene Hyperbilirubinämien – 625

Literatur – 626

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608 Kapitel 20 · Häm und Gallenfarbstoffe

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>> Einleitung

Porphyrine sind farbige Verbindungen, die ubiquitär im Pflanzen- und Tierreich auftreten. Strukturell bestehen sie aus 4 Pyrrol-ringen, die über Methinbrücken zu einem Tetrapyrrolsystem verbunden sind. Dieses konjugierte Ringsystem mit 11 Doppelbin-dungen bildet leicht Komplexe mit Übergangsmetallen. Erfolgt die Komplexbildung mit Eisenionen, entsteht die Hämgruppe, die im Stoffwechsel nahezu aller Organismen als prosthetische Gruppe von Hämproteinen eine essentielle Bedeutung hat. Der Proteinanteil seinerseits bestimmt, welche Funktionen das Eisenporphyringerüst im Proteinverband übernimmt: so den Transport, die Speicherung oder Aktivierung von Sauerstoff im Hämoglobin, Myoglobin bzw. Cytochrom P450, den Abbau von H2O2 in den Enzymen Katalase und Peroxidase oder den Transport von Elektronen durch die verschiedenen Cytochrome der Atmungskette. Im Pflanzenreich erfolgt eine Komplexbildung mit Magnesium unter Bildung des für die Photosynthese not-wendigen Chlorophyll.

Beim Menschen werden die Porphyrine in praktisch allen Zellen in einer Sequenz von acht enzymatischen Schritten aus Glycin und Succinyl-CoA synthetisiert und kommen dort als Bestandteile der verschiedenen Hämproteine vor. Quantitativ am bedeutendsten ist die Porphyrinsynthese in den Erythroblasten des Knochenmarks, dem Ort der Hämoglobin-Synthese.

Aufgrund der elementaren Funktionen der Porphyrine ist das vollständige Fehlen eines der Enzyme der Porphyrinbiosyn-these mit dem Leben nicht vereinbar. Partielle Defekte einzelner Enzyme der Hämbiosynthese treten jedoch auf und verursa-chen neuroviszerale oder neuropsychiatrische Symptomenkomplexe, die bei Nichterkennung lebensbedrohlichen Charakter annehmen können.

20.1 Biosynthese des Häms

20.1.1 Übersicht über die Hämbiosynthese

Die Hämgruppe ist ein essentieller Bestandteil der so ge-nannten Häm-Proteine. Hierzu gehören u.a.4 die Cytochrome der Atmungskette4 die das Cytochrom P450 enthaltenden Monooxigenasen4 die Fettsäuredesaturasen4 Katalase und Peroxidase sowie4 die Sauerstoff transportierenden Proteine Hämoglobin

und Myoglobin

Hieraus folgt, dass alle Zellen die Fähigkeit zur Biosynthese der Hämgruppe besitzen müssen. Allerdings haben die höchste Kapazität zur Hämbiosynthese die erythroiden Vorläuferzellen der Erythrozyten im Knochenmark (ca. 85% der gesamten Hämbiosynthese), da diese für die Bio-synthese des Hämoglobins verantwortlich sind.

Jeder Schritt der Hämbiosynthese wird durch ein spe-zifisches Enzym katalysiert. Dabei finden sich keinerlei Unterschiede in den Biosynthesewegen von erythroiden Vorläuferzellen des Knochenmarks und denjenigen in an-deren Geweben. Allerdings unterliegt die Hämbiosynthese im Knochenmark einer anderen Regulation als diejenige in den übrigen Geweben. Dies wird durch die organspezi-fische Existenz von Isoenzymen gewährleistet.

Die Biosynthese von Porphyrinen ist ähnlich wie die des Harnstoffs auf die mitochondriale Matrix und das Cytosol verteilt. Intramitochondrial erfolgt aus Succinyl-CoA und Glycin die Synthese von δ-Aminolaevulinat, das in das Cytosol transportiert wird, in dem über verschiedene Zwi-schenstufen das für die Hämgruppe typische Tetrapyrrol-Ringsystem synthetisiert wird. Die Fertigstellung der Häm-gruppe, zu der Decarboxylierungen und Dehydrierungen

sowie der Einbau von Eisen gehören, erfolgt wiederum in-tramitochondrial.

20.1.2 Einzelschritte der Hämbiosynthese

Für die Biosynthese der Hämgruppe sind acht enzyma-tische Schritte notwendig. Ihr Reaktionsmechanismus ist in allen Geweben identisch, jedoch werden die Einzelschritte teilweise durch gewebsspezifisch exprimierte Isoenzyme katalysiert.

! Die Hämgruppe wird aus Glycin und Succinyl-CoA synthetisiert.

Synthese von δ-Aminolävulinat. Ausgehend von Succinyl-CoA und Glycin entsteht in der mitochondrialen Matrix unter Abspaltung von CoA das labile Zwischenprodukt

-Amino- -ketoadipat, das als -Ketosäure spontan zu δ-Aminolävulinat ( -ALA) decarboxyliert. Dieser Schritt wird durch die δ-Aminolävulinatsynthase ( -ALA-Syn-thase) katalysiert (. Abb. 20.1). Da dieses Enzym Pyrid-oxalphosphat-abhängig ist, führt ein Vitamin B6-Mangel (7 Kap. 23.3.5) zu einer Verringerung der Hämbiosynthese. Die -ALA-Synthase-Reaktion ist der geschwindigkeits-bestimmende Schritt der Porphyrinbiosynthese, da das Enzym eine sehr kurze Halbwertszeit von nur 30 Minuten aufweist.

Beim Menschen codieren zwei Gene für zwei -ALA-Synthasen:4 das -ALA-S1-Gen (Chromosom 3p21) trägt die Infor-

mation für ein in allen Geweben vorkommendes Pro-Enzym (house keeping enzyme)

4 das -ALA-S2-Gen (X-Chromosom p11–21) codiert für ein Pro-Enzym, das nur in den Erythroblasten vor-kommt

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20.1 · Biosynthese des Häms20609

Synthese von Porphobilinogen. Nach dem Übertritt ins Cytosol kondensieren zwei Moleküle -Aminolävulinat zu Porphobilinogen (PBG), der Pyrrolvorstufe (der Porphy-rine (. Abb. 20.2). Diese Reaktion wird durch die Porpho-bilinogensynthase ( -Aminolävulinatdehydratase) kataly-siert. Das Enzym kommt in zwei Isoformen vor, von denen die eine in allen Geweben, die andere nur in Erythroblasten nachweisbar ist.

Synthese von Hydroxymethylbilan. Unter dem kataly-tischen Einfluss der PBG-Desaminase kondensieren suk-zessive vier Porphobilinogenmoleküle unter Abspaltung von vier Molekülen Ammoniak und Bildung von Hydroxy-methylbilan. Seine Pyrrolringe werden mit A, B, C, D be-zeichnet, wobei als Ring A derjenige bezeichnet wird, der über eine CH2OH-Gruppe verfügt (. Abb. 20.3). Beim

. Abb. 20.1. Bildung von δ-Aminolävulinat (δ-ALA) aus Glycin und Succinyl-CoA. Die durch die -Aminolaevulinatsynthase kataly-sierte Reaktion beginnt mit der Bildung einer Schiff´schen Base zwi-schen Pyridoxalphosphat und der Aminosäure Glycin. Dadurch wird die Bildung einer Bindung zwischen dem -C-Atom des Glycins mit

der CO-S-CoA-Gruppe des Succinyl-CoA ermöglicht. Anschließend werden CoA und CO2 abgespalten und das gebildete -Aminolae-vulinat freigesetzt. Die Reihenfolge der zur Hämsynthese benötigten Reak tionen ist in den Abb. 20.1 bis 20.3 durch die Zahlen 1–8 ange-zeigt. Dies ist Reaktion 1

. Abb. 20.2. Bildung des Monopyrrols Porphobilinogen (PBG). Durch Kondensation von zwei Molekülen -Aminolävulinat durch die Porphobilinogen-Synthase (oder -ALA-Dehydratase) wird unter Abspaltung von 2 H2O Porphobilinogen gebildet. Die Reihenfolge der zur Hämsynthese benötigten Reaktionen ist in den Abb. 20.1 bis 20.3 durch die Zahlen 1–8 angezeigt. Dies ist Reaktion 2

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. Abb. 20.3. Biosynthese von Häm aus Porphobilinogen. Durch sukzessive Kondensation von 4 Molekülen PBG (3,4), mehrfache De-carboxylierung der Seitenketten (5,6), Dehydrierung des Ring systems (7) und anschließendem Einbau von zweiwertigem Eisen entsteht

Häm (8). Die Reaktionssequenz ist auf das cytosolische und mito-chondriale Kompartiment verteilt. Die Reihenfolge der zur Hämsyn-these benötigten Reaktionen ist in den Abb. 20.1 bis 20.3 durch die Zahlen 1–8 angezeigt. (Einzelheiten 7 Text)

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20.1 · Biosynthese des Häms20611

Menschen wird die PBG-Desaminase durch ein 10 kb-Gen mit 15 Exons auf Chromosom 11q24 codiert. Die bei der Transkription entstehende prä-mRNA kann unterschied-lich gespleißt werden, sodass aus einem Gen zwei Isoen-zyme entstehen:4 das Erythroblasten-Isoenzym mit einer Molekülmasse

von etwa 42 kDa enthält den 3 -Anteil von Exon 3 sowie die Exons 4 bis 15

4 das »House-Keeping«-Isoenzym mit einer Molekülmas-se von etwa 44 kDa besteht aus Exon 1 sowie den Exons 3 bis 15

Wie sich diese Enzyme funktionell voneinander unter-scheiden, ist noch nicht bekannt. Je nachdem in welchem Genabschnitt eine Mutation auftritt, wird die Bildung eines der beiden Enzyme oder beider Isoformen beein-flusst.

Synthese von Uroporphyrinogen III. Hydroxymethylbilan (Pro-Uroporphyrinogen) wird unter Katalyse der Uropor-phyrinogen III-Synthase zyklisiert. Dabei findet im Ring D ein Austausch der Acetat- und Propionatseitenketten statt, sodass das durch die asymmetrische Reihenfolge sei-ner Substuenten charakterisierte Uroporphyrinogen III entsteht (. Abb. 20.3). Nicht von der Uroporphyrinogen III-Synthase umgesetztes Hydroxymethylbilan zyklisiert spontan zu Uroporphyrinogen I, in dem die Sequenz der Acetat- und Propionatseitenkette derjenigen im Hydroxy-methylbilan entspricht.

Synthese von Koproporphyrinogen III. Die Acetatgruppen aller vier Ringe des Uroporphyrinogen III werden unter Katalyse der im Cytosol lokalisierten Uroporphyrinogen-Decarboxylase zu Methylgruppen decarboxyliert, wobei Koproporphyrinogen III entsteht (. Abb. 20.3).

Synthese von Protoporphyrinogen IX. Durch die mit der mitochondrialen Innenmembran assoziierte Kopropor-phyrinogen-Oxidase (. Abb. 20.3) werden die Propionat-seitenkette der Ringe A und B des Koproporphyrinogen III zu Vinylseitenketten dehydriert und decarboxyliert. Bei dieser Reaktion wirkt molekularer Sauerstoff als Wasser-stoffakzeptor. Im Vergleich zum Uroporphyrinogen III ist das bei dieser Reaktion entstandene Protoporphyrinogen IX wegen der Abspaltung von insgesamt sechs Carboxyl-gruppen wesentlich hydrophober geworden.

Synthese von als Protoporphyrin IX. In dieser durch die Protoporphyrinogen-Oxidase (. Abb. 20.3) katalysierten Reaktion kommt es zur Dehydrierung der die einzelnen Ringe verbindenden Methylengruppen zu Methingruppen. Aus einem nicht konjugierten farblosen System mit acht Doppelbindungen ist damit ein konjugiertes farbiges Tetra-pyrrolsystem mit 11 Doppelbindungen gebildet worden. Es wird als Protoporphyrin IX bezeichnet.

Synthese der Hämgruppe. Durch den Einbau von Eisen in das Protoporphyrin wird die Hämbiosynthese abge-schlossen. Die Reaktion wird durch die Ferrochelatasekatalysiert, die zweiwertiges Eisen benötigt (. Abb. 20.3). Das Enzym ist an die zur mitochondrialen Matrix zei-genden Seite der inneren Mitochondrienmembran ge-bunden.

Von den 8 enzymatischen Schritten der Hämbiosyn-these verbraucht nur der Erste wegen der Spaltung des CoA-Thioesters im Succinyl-CoA Energie. Alle übrigen Schritte verlaufen spontan, sind allerdings z. T. von der Anwesenheit von molekularem Sauerstoff abhängig. In-wieweit die Transportvorgänge zwischen Cytosol und Mitochondrium (und umgekehrt) für die einzelnen Zwi-schenprodukte der Biosynthese Energie erfordern, ist noch unbekannt.

20.1.3 Regulation der Hämbiosynthese

! Die Hämbiosynthese in Leber und Knochenmark wird unterschiedlich reguliert.

Wegen der allgemeinen Bedeutung der Hämgruppe für die korrekte Funktion der lebensnotwendigen Häm-Proteine muss die Hämbiosynthese in den Geweben sehr genau auf die jeweiligen zellulären Bedürfnisse abgestimmt sein. Un-tersuchungen zur Regulation der Hämbiosynthese sind aus experimentellen Gründen bevorzugt an der Leber, daneben auch an zahlreichen Mikroorganismen durchgeführt wor-den. Eine prinzipiell andere Regulation der Hämbiosynthe-se ist in den Erythroblasten notwendig, da hier die für die Hämoglobinbiosynthese notwendigen Hämgruppen be-reitgestellt werden müssen.

Regulation in der Leber. Die Regulation der Häm-Biosyn-these in der Leber (und anderen Geweben) erfolgt über eine Rückkoppelungshemmung des ersten Enzyms, der -Ami-nolävulinat-Synthase ( -ALA-Synthase-1). Häm kann sei-ne Wirkung über drei unterschiedliche Mechanismen ent-falten (. Abb. 20.4a):4 Häm reprimiert die Transkription des -ALA-Syntha-

se-1-Gens. Für Enzyme mit regulatorischer Funktion ist eine hohe Umsatzrate Voraussetzung, wenn die Re-gulation über eine Änderung der Biosynthese- oder Abbaugeschwindigkeit des Enzyms erfolgen soll. So besitzt die -ALA-S1 auch nur eine sehr kurze Halb-wertszeit von 30 Minuten. Bei Hämmangel kann die Enzymkonzentration durch Derepression bis auf das fünfzigfache gesteigert werden.

4 Häm hemmt den Transport des neu synthetisierten Proenzyms in das Mitochondrium. Das δ-ALA-S1-Gen codiert für ein Proenzym (Pro- -ALA-S1), welches in der für den mitochondrialen Import verantwortlichen N-terminalen Sequenz über ein hämregulatorische

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Element mit der Sequenz Cys-Pro-X-Asp-His verfügt. Ist ausreichend Häm im Cytosol vorhanden, bindet es an dieses hämregulatorische Element des Proenzyms und hemmt dessen Import in das Mitochondrium, welches an diesem Enzym verarmt.

4 Häm hemmt die Enzymaktivität über einen allosteri-schen Effekt.

Daneben wird die Enzymaktivität durch Nahrungskarenz (Fasten) erhöht bzw. Glucose reduziert. Dieser Effekt kommt dadurch zustande, dass bei Nahrungskarenz in der Leber PGC-1 (PPR Coactivator 1 ) unter Vermittlung des CREB/cycloAMP-Systems (7 Kap. 16.1.2) vermehrt ex-primiert wird. PGC-1 aktiviert die Traskriptionsfaktoren FOXO1 und NRF1, die ihrerseits die Expression der ALA-Synthase 1 stimulieren. Vermehrte Glucosezufuhr hemmt

. Abb. 20.4. Regulation der Hämbiosynthese. a Hämbiosynthese in Leber und anderen Geweben. b Hämbiosynthese in Erythroblasten.

-ALA = -Aminolaevulinat; Epo = Erythropoietin; EpoR = Erythro-

poietin-Rezeptor; JAK2 = Januskinase 2; Stat = signal tranducer and activator of transcription; IRE = iron responsive element; IRP = iron regulatory protein. (Einzelheiten 7 Text)

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20.1 · Biosynthese des Häms20613

dagegen diese Stoffwechselwege und damit die Expression der ALA-Synthase 1, was therapeutisch ausgenutzt wird (7 Kap. 20.2.2).

Die Konzentration an freiem Häm wird außer durch die Biosyntheserate auch durch den Einbau in Hämo-proteine wie Cytochrom P450 und den Abbau durch die Hämoxygena se (7 u.) bestimmt. Deshalb beeinflussen diese Faktoren eben falls die Regulation der Hämbiosyn-these. So stimu lie ren Stoffe, welche die Synthese von Cyto-chrom P450-Proteinen induzieren, über nucleäre Rezep-toren (z. B. den konstitutive Androstanrezeptor CAR sowie den Pregnan-X-Rezeptor PXR, 7 Kap. 33.3.1) die Expres-sion des δ-ALA-S1-Gens.

Regulation in den Erythroblasten des Knochenmarks. Die Erythroblasten des Knochenmarks sind die Hauptpro-duzenten an Häm im Organismus. Während die Häm-synthese in übrigen Geweben auf schnelle Veränderungen des Bedarfs reagiert, ist die Synthese im Knochenmark eher auf die kontinuierliche Produktion sehr großer Mengen für die Produktion von Hämoglobin im Erythro-zyten mit einer Lebensdauer von 120 Tagen angelegt (7 Kap. 29.2.3). Hierbei spielen zwei Faktoren eine beson-dere Rolle:4 Proliferation und Differenzierung der Erythroblas-

ten des Knochenmarks wird durch die Aktivität des Hormons Erythropoietin reguliert, das in der Niere bei Abfall der Sauerstoffspannung freigesetzt wird (7 Kap. 28.1.10)

4 Die Verfügbarkeit von Eisen für die Häm-Biosyn-these

Beide Faktoren beeinflussen auf unterschiedliche Weise die -ALA-Synthase-2 (. Abb. 20.4b):4 Stimulierung der Transkription. Erythropoietin sti-

muliert die Transkription des ALA-Synthase-2-Gens. Nach Bindung an seinen Rezeptor in der Erythro-blastenmembran wird eine JAK2-Kinase aktiviert, was außer der Globinsynthese die Synthese der Enzyme der Hämbildung induziert (. Abb. 22.6). Insbesondere wird – unter Vermittlung des Transkriptionsfaktors GATA 1 – die Transkription des -ALA-Synthase-2-Gens erhöht

4 Stimulierung der Translation. In der mRNA der δ-ALA-Synthase befindet sich ein sog. eisenregulatori-sches Element (IRE, iron responsive element, 7 Kap. 22.2.1). An dieses bindet bei niedrigen zellulären Eisen-konzentrationen ein eisenregulatorisches Protein (IRP, iron regulatory protein) und verhindert damit die Trans-lation der δ-ALA-Synthase-2 mRNA. Gleichzeitig wird die Transferrin-Rezeptor-mRNA vermehrt translatiert, was die Eisenaufnahme in den Erythroblasten fördert. Durch Erhöhung der zellulären Eisenkonzentration kommt es zur Bildung von Eisen-Schwefel-Clustern (7 Kap. 22.2.1), die an das IRP binden, damit seine Struktur ändern. Es ist nicht mehr zur Wechselwirkung mit der δ-ALA-Synthase-2-mRNA imstande, sodass die Translation nun nicht mehr gehemmt ist

. Abb. 20.5. Bildung von Uroporphyrin III (mit Acetatseiten ketten) und Koproporphyrin III (mit Methylseitenketten) aus Uroporphyrino-gen III bzw. Koproporphyrinogen III

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20.1.4 Ausscheidung von Porphyrinen und Porphyrinvorstufen

! Der Ausscheidungsweg wird durch die Wasserlöslich-keit bestimmt.

In geringen Mengen können die Porphyrinvorstufen -Aminolävulinat ( -ALA) und Porphobilinogen (PBG) die Zellen verlassen, in das Blutplasma gelangen und in den Urin ausgeschieden werden. Uroporphyrinogen und Ko-proporphyrinogen sollten als Zwischenprodukte der Häm-biosynthese ebenfalls über die Nieren in den Urin und/oder über die Galle in den Stuhl ausgeschieden werden. Tatsäch-lich sind im Urin jedoch vorzugsweise Uroporphyrin und Koproporphyrin (. Abb. 20.5) nachweisbar, die aus den beiden Zwischenprodukten entweder durch enzymatische

Oxidation im Organismus oder – was wahrscheinlicher ist – spontan nach Exposition an Luftsauerstoff entstehen. Zu diagnostischen Zwecken werden deshalb Urin- und Stuhl-extrakte mit Verbindungen versetzt, die eine vollständige Oxidation der Porphyrinogene zu den entsprechenden Porphyrinen bedingen. Die relative Verteilung eines Por-phyrins zwischen Urin- und Stuhlausscheidung wird durch die Anzahl der Carboxylgruppen und damit die Wasser-löslichkeit der Verbindung bestimmt. Uroporphyrin, das 8 Carboxylgruppen und damit die höchste Wasserlöslich-keit aufweist, wird vorzugsweise in den Urin ausgeschieden. Koproporphyrin besitzt vier Carboxylgruppen und wird sowohl in den Urin als auch in den Stuhl ausgeschieden (griech. kopros, Stuhl). Protoporphyrin, welches mit zwei Carboxylgruppen nur schwach wasserlöslich ist, wird nur mit der Galle ausgeschieden.

In Kürze

4 Häm (Eisenporphyrin) kommt in einer Vielzahl von Proteinen des Organismus vor, in denen es am Sauer-stoff- und Elektronentransport oder am Abbau von Wasserstoffperoxid beteiligt ist

4 In der Zelle wird das Hämgerüst in einer auf das cyto-solische und mitochondriale Kompartiment verteilten Reaktionskette aus Succinyl-CoA und Glycin synthe-tisiert

4 Die Regulation der Hämbiosynthese unterscheidet sich in der Leber (und anderen Geweben) und im Knochenmark, da bei der Hämoglobinbildung in den Erythroblasten eine Koordination mit der Synthese

der - und -Globinketten und dem Eisenstoffwech-sel erforderlich ist

4 Ermöglicht wird dies dadurch, dass das erste Enzym der Hämbiosynthese, die -ALA-Synthase, in zwei Iso-enzymformen (S1 und S2) vorkommt

4 In allen Geweben wird die δ-ALA-Synthase 1 durch Häm gehemmt

4 Im Knochenmark stehen die Synthese von Häm und Glo bin unter dem Einfluss von Erythropoietin. Die mRNA des knochenmarkspezifischen S 2-Iso enzyms verfügt außerdem über eisenempfindliche Elemente, die die Hämsynthese mit dem Eisenstoffwechsel koordinieren

20.2 Pathobiochemie: Störungen der Hämbiosynthese

Störungen des ersten und geschwindigkeitsbestimmenden Schritts der Hämbiosynthese, der -ALA-Synthase-2 im Knochenmark, führen zur sideroblastischen Anämie, wo-hingegen angeborene genetische Veränderungen anderer Enzyme der Hämbiosynthese primäre Porphyrien verur-sachen. Erworbene Porphyrien werden als sekundäre Por-phyrien bezeichnet.

20.2.1 Sideroblastische Anämie

! Eine Störung der -ALA-Synthase-2 im Knochenmark führt zur Akkumulation von Eisen in den Erythro-blasten.

Diese Anämie hat ihren Namen von der Akkumulation von Eisen in den Mitochondrien erhalten, die ringförmig um den Zellkern angeordnet sind (. Abb. 20.6). Der relative Eisenüberschuss kommt durch die verringerte Protopor-

phyrinbiosynthese aufgrund eines Defekts der -ALA-Syn-thase-2 zustande. Bisher sind mehr als 20 unterschiedliche Mutationen des Gens beschrieben worden, die zu der Er-krankung führen. Die genetische Analyse einer betroffenen Familie hat gezeigt, dass hier eine Punktmutation von Threonin zu Serin (Thr388Ser) vorliegt, wodurch die Bin-dung des essentiellen Cofaktors Pyridoxalphosphat an das Enzym reduziert wird. Ein vermehrtes Pyridoxinan-gebot kann bei diesen Patienten zu einer Steigerung der

-ALA-S2-Aktivität führen.

20.2.2 Angeborene Porphyrien

! Die Reduktion der Bildung des Endprodukts Häm führt zu einer Enthemmung der -ALA-Synthase.

Die Porphyrien stellen eine Gruppe genetischer Erkran-kungen dar, die durch spezifische Defekte einzelner Enzy-me der Hämbiosynthese verursacht werden (. Tabelle 20.1). Sie werden entweder autosomal rezessiv oder dominant vererbt. Bei den dominanten Varianten der Erkrankungen

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ist ein Allel durch eine Mutation defekt; durch die Expres-sion des anderen Allels wird die Enzymaktivität zwar auf-rechterhalten, ist aber auf 50% reduziert. Diese Reduktion der Enzymaktivität (z. B. der PBG-Desaminase, . Abb. 20.7) führt über eine Verminderung der Konzentration von Häm, das die -ALA-Synthase hemmt, zu einer Aktivitätssteige-rung dieses Schrittmacherenzyms der Hämbiosynthese. Dadurch wird die Hämbiosynthese unter Normalbedin-gungen aufrechterhalten. Wird sie aber durch einen ver-mehrten Verbrauch (z. B. durch Induktion von Cytochrom P450-Enzymen) deutlich gesteigert, dann können die Por-phyrinvorstufen (δ-ALA und PBG) aufgrund der auf 50%

reduzierten PBG-Desaminase-Aktivität nur noch teilweise verwertet werden. Sie treten deshalb aus den produzie-renden Zellen in den Extrazellulärraum aus und gelangen über diesen in den übrigen Organismus und in den Urin.

! Die Art der akkumulierenden Zwischenprodukte be-stimmt die klinische Symptomatik.

Neurologische Symptome und Hauterscheinungen bestim-men die Klinik der Porphyrien. Sind bei den Erkrankungen δ-ALA und PBG erhöht, so treten meist neurologische Symptome auf. Erhöhungen der Uro- und Koproporphyri-ne sind durch Hautläsionen an lichtexponierten Stellen charakterisiert. Zu den neurologischen Dysfunktionen zäh-len neuroviszerale Beschwerden (akutes Abdomen, Obsti-pation, Übelkeit, Erbrechen, Rückenschmerzen) sowie neu-ropsychiatrische Symptome (Krampfanfälle, Koma, Hallu-zinationen, Lähmungen, Areflexien). Obwohl abdominelle Beschwerden im Vordergrund stehen, kann jeder Teil des Nervensystems betroffen sein. Als Ursache der neurolo-gischen Manifestationen kommt ein Überschuss an -Ami-nolävulinat oder Porphobilinogen oder ein Mangel an Häm in Frage. Da -Aminolävulinat strukturell mit -Amino-butyrat verwandt ist und einen partiellen Agonisten der GABA-Wirkung (7 Kap. 32.3.4) darstellt, wird eine Wirkung über eine Bindung an den Rezeptor dieses inhibitorischen Neurotransmitters diskutiert (. Abb. 20.8). Symptome wie Koma oder Krampfanfälle wären damit erklärbar. Auf der anderen Seite könnte ein Mangel an Häm z. B. die Biosyn-these mitochondrialer Cytochrome beeinträchtigen und damit einen ATP-Mangel hervorrufen.

! Erhöhungen der Porphyrinkonzentration verursachen Hautläsionen.

Während die Porphyrinogene ( -Aminolävulinat, Porpho-bilinogen, Uroporphyrinogen I und III, Koproporphyrino-gen I und III und Protoporphyrinogen IX) ungefärbt sind, sind die Porphyrine (Uroporphyrin I und III, Kopropor-phyrin I und III sowie Protoporphyrin IX und Häm) auf-grund der konjugierten Doppelbindungen farbig. Sie zeigen sowohl im sichtbaren (800–380 nm) als auch im ultravio-letten (380–180 nm) Bereich des Spektrums ein spezifisches Absorptionsverhalten. Charakteristisch ist die Absorption bei etwa 400 nm, die nach ihrem Entdecker als Soret- Bande

. Abb. 20.6. Bildung von Ringsideroblasten bei der sideroblas-tischen Anämie (Berliner Blau-Färbung). (Aufnahme von R. Baum-gart, Klinikum Großhadern, München)

. Abb. 20.7. Molekularpathogenese der erhöhten Bildung von Porphyrinvorstufen: ein partieller Enzymdefekt (1), führt zu einem Abfall der Hämkonzentration (2), der eine Stimulierung der -ALA-Synthase (3) bewirkt, wodurch der Defekt kompensiert wird. Wird die

-ALA-Synthase (3) durch erhöhten Hämbedarf aber stark stimuliert, dann werden -ALA (4) und PBG (5) in solch hohen Mengen gebildet, dass sie durch den »Flaschenhals« des Enzymdefekts (1) nicht vollstän-dig weiter verwertet werden können und deshalb die Zelle verlassen müssen (6)

. Abb. 20.8. Strukturelle Ähnlichkeit von δ-ALA und GABA

20.2 · Pathobiochemie: Störungen der Hämbiosynthese

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616 Kapitel 20 · Häm und Gallenfarbstoffe

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bezeichnet wird. Bei Bestrahlung mit UV-Licht zeigen Por-phyrine eine rote Fluoreszenz, die auch als Grundlage für Nachweisreaktionen dienen kann. Kopro- und Uroporphy-rine besitzen andere Absorptionsspektren als Häm, da mit der Komplexbildung mit Metallionen eine Änderung der Absorption im sichtbaren Bereich des Spektrums einher-geht. Diese Eigenschaften der Porphyrine erklären auch, warum ihre Ablagerung in der Haut zu lokalen Schädi-gungen durch Photosensibilisierung führt. Die Porphyrin-induzierte Photosensibilität manifestiert sich normaler-weise auf zwei Wegen:4 einer erhöhten Fragilität der lichtexponierten Haut, ins-

besondere der Regionen, die den Handrücken und die Unterarme bedecken und

4 einer akuten Rötung, Brennen und Jucken der lichtex-ponierten Haut, besonders im Gesicht und den Han-dinnenflächen

Diese unterschiedlichen Manifestationen sind wahrschein-lich darauf zurückzuführen, dass das hydrophobe Proto-porphyrin in anderen subzellulären Strukturen der Zelle akkumuliert als die hydrophilen Uro- und Koproporphyrine. Protoporphyrin häuft sich vorwiegend in Mitochondrien an, in denen es normalerweise unter Aufnahme von Eisen in Häm überführt wird. Aufgrund seiner Hydrophobizität

soll Protoporphyrin in biologischen Membranen interka-lieren. Im Gegensatz dazu akkumulieren Uroporphyrine vorwiegend in Lysosomen. Die photosensibilisierenden Wirkungen der Porphyrine sind auf ihre Eigenschaft, Licht zu absorbieren, zurückzuführen. Am wirksamsten ist die Wellenlänge im UV-A-Bereich um 400 nm, durch die die Elektronen des Porphyrins in einen angeregten Zustand überführt werden, von dem sie auf ihr ursprüngliches Niveau zurückfallen und dabei einen Teil der Energie auf molekularen Sauerstoff übertragen. Aktivierter Sauerstoff kann die Zelle über verschiedene Mechanismen schädigen, wie z. B. die Peroxidation von Membranlipiden, die Vernet-zung von Proteinen oder Schädigung von Nucleinsäuren (7 Kap. 15.3). Die Schädigung von Membranen der Lyso-somen, die Uroporphyrine enthalten, kann zu einer Freiset-zung von Hydrolasen und Proteasen in das Cytosol und damit zu einer Selbstverdauung der Zelle führen. Das Licht mit einer Wellenlänge um 400 nm, welches Porphyrine anregt, durchdringt normales Fensterglas, sodass die Pho-tosensibilisierung durch Fenster von Häusern, Büros und Automobilen erfolgen kann. Die Wellenlänge des UV-B-Bereiches (um 280–315 nm) wird dagegen durch Fenster-glas absorbiert. Damit können sich Patienten mit Por-phyrien vor einer Photosensibilisierung nicht dadurch schützen, dass sie sich vorwiegend in Häusern aufhalten.

. Tabelle 20.1. Angeborene Porphyrien (die Zahlen geben die Enzymschritte in den Abb. 20.2 und 20.3 an)

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20617

! Die Molekularpathologie der Porphyrien wird zuneh-mend besser verstanden.

Genetisch determinierte Defekte aller Enzyme der Häm-biosynthese sind bekannt (. Tabelle 20.1). Seitdem es aller-dings gelungen ist die Gene der beteiligten Enzyme zu klo-nieren, kann auch die Molekularpathologie dieser Erkran-kungen besser analysiert werden. Die bisherigen Analysen zeigen, dass sich – in Einklang mit den klinischen Beobach-tungen – die molekularen Veränderungen von Patient zu Patient erheblich unterscheiden können. Ähnlich wie bei den Thalassämien (7 Kap. 29.2.4) findet sich auf molekula rer Ebene eine extreme Heterogenität: die Mutationsanalyse zeigt eine Fülle verschiedener Mutationen bei Genträgern dieser Erkrankungen. Während früher zwischen erythro-poetischen und hepatischen Porphyrien unterschieden wurde, werden die einzelnen Porphyrien heute nach dem verursachenden Enzymdefekt besprochen. Es handelt sich um Krankheiten, die den gesamten Organismus betreffen. Bei der Mehrzahl der Patienten wird die genetische Dispo-sition zur Porphyrie erst dann klinisch manifest, wenn eine bestimmte Umweltexposition (wie mit Medikamenten) er-folgt (niedrige Penetration). Warum sich zudem die phäno-typische Expression einer genetischen Störung der Häm-biosynthese von Genträger zu Genträger unterscheiden kann, ist noch unbekannt.

! PBG-Synthase-Mangel tritt nur selten auf.

Bei dieser extrem seltenen Porphyrie treten schwere anfalls-artige Beschwerden auf, im Rahmen derer große Mengen an

-Aminolävulinat und Koproporphyrin in den Urin ausge-schieden werden. Die Aktivität der PBG-Synthase ist auf deutlich unter 50% der Norm reduziert, was dafür spricht, dass offenbar nur homozygote Zustände klinisch manifest werden.

! PBG-Desaminase-Mangel verursacht die akut intermit-tierende Porphyrie (AIP).

Dieser Erkrankung liegt ein partieller Defekt der PBG-Des-aminase zugrunde. Bei betroffenen Individuen beträgt die Aktivität des Enzyms etwa 50%, was den autosomal domi-nanten Charakter der Erkrankung anzeigt. Die meisten Menschen mit dieser genetischen Enzymkonstellation blei-ben jedoch asymptomatisch (geringe Penetranz). Klinische Manifestationen in Form akuter Anfälle werden auf aus-lösende Faktoren wie Medikamente, Alkohol oder Stress zurückgeführt. Auf der anderen Seite können die Attacken durch Gabe von Glucose behandelt werden, da diese die δ-ALA-Synthase hemmt (7 Kap. 20.1.3). Bisher sind über 230 Mutationen in den 15 Exons und 14 Introns des PBG-Desaminase-Gens nachgewiesen worden. Die Position der Mutation bestimmt, ob die klassische AIP vorliegt, bei der house keeping und Erythroblastenenzym betroffen sind, oder die variante Form, bei der nur das house keeping-enzyme mutiert ist, sodass die Bestimmung der PBG-Des-

aminase im Erythrozyten einen Normalwert ergibt. Leit-symptome der akuten intermittierenden Porphyrie sind neurologische und psychiatrische Veränderungen: am häu-figsten sind eine autonome Neuropathie, die abdominelle Koliken (akutes Abdomen), Erbrechen und Obstipation verursacht, eine Tachykardie und ein labiler Hochdruck. Motorische Lähmungen können auftreten, die die Bulbär- und Atem-Muskulatur betreffen und damit lebensbedroh-lich werden. In selten Fällen treten epileptische Anfälle auf, die entweder auf δ-ALA oder eine Hyponatriämie [bedingt durch eine inadäquate ADH-Sekretion (7 Kap. 28.3.2)] zu-rückzuführen sind. Im akuten Anfall führt die deutlich er-höhte Synthese von -Aminolävulinat und Porphobilinogen wegen der langsamen Überführung in Uroporphyrinogen III zu einer Akkumulation im Cytosol der Zelle, sodass die beiden Zwischenprodukte ins Blut übertreten und in den Urin ausgeschieden werden. Behandelt werden akute At-tacken durch das Weglassen der auslösenden Medikamente sowie die intravenöse Gabe von Glucose und/oder Häm (das als Medikament Hämarginat verfügbar ist), die beide die δ-ALA-Synthase hemmen.

! Uroporphyrinogen III-Synthase-Mangel führt bei Klein-kindern zur Rotverfärbung der Windeln.

Diese Porphyrie wurde als Erste 1874 von Schultz in Greifs-wald beschrieben. Bei Kleinkindern ist die Rotfärbung der Windeln (hauptsächlich durch Uroporphyrin I bedingt) der erste Hinweis auf das Vorliegen dieser Erkrankung. Die klinischen Manifestationen sind sehr unterschiedlich und reichen von milden Hautreaktionen über Rotverfärbung der Zähne (Ablagerung von Porphyrinen im Dentin) bis hin zur schweren hämolytischen Anämie (aufgrund hoher intraerythrozytärer Porphyrinspiegel, die die Erythrozyten-membran schädigen). Bisher sind 35 verschiedene Muta-tionen sind im defekten Gen beschrieben worden.

InfoboxPorphyrieEs ist bis heute ungeklärt, ob der mythischen Vorstel-lung eines Blut saugenden Vampirs, etwa in der Ge stalt von »Dracula«, vielleicht bestimmte Krankheitssymp-tome zugrunde liegen. Eine originelle Hypothese geht davon aus, es könnte sich um Manifestationen einer kutanen Porphyrie gehandelt haben:4 Lichtempfindlichkeit der Haut, daher erwacht der

Vampir erst in der Nacht4 Verstümmelungen an Gesicht und Händen4 Weißfärbung der Haut infolge Anämie, deshalb

auch Bluthunger4 Rotfärbung der Zähne

Die Wurzel des Vampirglaubens liegt in der Vorstellung vom fortlebenden Toten und seiner Gier nach Leben, welches er durch Blutsaugen zurück zu gewinnen sucht

20.2 · Pathobiochemie: Störungen der Hämbiosynthese

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618 Kapitel 20 · Häm und Gallenfarbstoffe

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! Uroporphyrinogendecarboxylase-Mangel verursacht Blasen an Hand- und Fingerrücken.

Die durch einen Defekt der Uroporphyrinogendecarboxy-lase verursachte autosomal dominante Porphyria cutanea tarda (PCT) ist die häufigste Porphyrie. Sie ist durch die Ablagerung von Porphyrinen in der Haut gekennzeichnet. Durch den Einfluss der Sonnenstrahlung (etwa 400 nm) treten Hautsymptome einige Tage nach Sonnenexposition auf: charakteristisch sind Blasen an Hand- und Finger-rücken (. Abb. 20.9) sowie leichte Verletzbarkeit der Haut und Hypertrichosis (»Affenmensch«).! Koproporphyrinogen III- und Protoporphyrin-oxidase-

mangel bedingen neurologische und kutane Symptome.

Durch einen hetero- oder homozygoten (Manifestation be-reits in der Kindheit) Defekt der Koproporphyrinogenoxi-dase kommt es zu einem mäßig bis deutlichen Anstieg der Koproporphyrin III-Ausscheidung in den Stuhl und zu einem geringeren Ausmaß in den Urin. Gleichzeitig ist bei akuten Anfällen auch die Urinausscheidung von -ALA und PBG erhöht. Aufgrund dieses Ausscheidungsmusters treten bei dieser hereditären Koproporphyrie sowohl neu-rologische (wie bei der akut intermittierenden Porphyrie) als auch kutane Manifestationen (ähnlich wie bei der Por-phyria cutanea tarda) auf.

Der Porphyria variegata liegt ein partieller Defekt der Protoporphyrinogenoxidase zugrunde. Asymptomatische Träger der Erkrankung weisen eine normale Urinaus-scheidung von Porphyrinen und Porphyrinvorstufen auf, während akuter Anfälle kommt es zu einer deutlichen Zunahme der Stuhlausscheidung von Koproporphyrinen und Protoporphyrin und der Urinausscheidung von -ALA und PBG. Daraus lassen sich die klinischen Manifesta-tionen (neurologische Dysfunktion, Photodermatitis) ab-leiten.

! Ferrochelatase-Mangel bedingt eine Akkumulation von Protoporphyrin IX in den Erythrozyten.

Ursache der erythropoetischen Protoporphyrie ist ein he-terozygoter Ferrochelatase-Mangel. Die Diagnose wird durch den Nachweis eines erhöhten Spiegels von Protopor-phyrin IX in Erythrozyten, Plasma und Stuhl gestellt, in den es bevorzugt wegen seiner schlechten Wasserlöslichkeit (Verlust von 6 Carboxylgruppen, . Abb. 20.3) ausgeschie-den wird. Die hauptsächliche klinische Manifestation der Protoporphyrie stellt die Photosensibilität dar. Die Pa-tienten klagen über Brennen, Jucken oder Schmerz in der Haut nach Sonnenexposition, manchmal innerhalb einiger Minuten. Dies wird von einem Erythem und Ödem im Be-reich der sonnenexponierten Haut gefolgt. Blasen treten nur dann auf, wenn die Sonnenexposition länger anhält, sodass die Hautläsionen von denen bei der Porphyria cuta-nea tarda unterschieden werden können. Die unterschied-lichen Hautmanifestationen sind durch die Hydrophobi-

zität des Protoporphyrins bedingt, das sich vorzugsweise in Mitochondrien anhäuft (7 Kap. 20.1.2). Da die Protopor-phyrine auch im Hepatozyten abgelagert werden können, treten bei einzelnen Betroffenen auch Störungen der Leber-funktion auf. Die molekularpathologische Analyse der Protoporphyrie zeigt über 70 verschiedene Mutationen als Ursache des Enzymdefekts.

! Die biochemische Diagnose der Porphyrien erfolgt über die Analyse von Porphyrin(vorstuf )en im Urin und Stuhl.

Bei klinischem Verdacht auf eine Porphyrie (akute Atta-cken, Rotverfärbung des Urins, Hautveränderungen) wird zunächst der Schnelltest nach Samuel Schwartz und Cecil Watson durchgeführt, der auf der Zugabe eines Aldehydre-agens zu Patientenurin beruht. Enthält der Urin im akuten Anfall die Porphyrinvorstufe Porphobilinogen, so führt die Zugabe des Reagens zu einer intensiven Rotfärbung. PBG und -ALA können im Urin auch nicht-enzymatisch zu Uroporphyrinogen kondensieren, das dann zu Uropor-phyrin oxidiert und den Urin bei längerem Stehen unter Lichteinfluss rot werden lässt. Eine weitere Differenzierung ist durch Analyse der einzelnen Porphyrine im Stuhl (Koproporphyrine) und Urin (Uroporphyrine) möglich (. Abb. 20.10). Die Bestätigung der Verdachtsdiagnose er-folgt durch die Enzymbestimmung. Nach Diagnose einer Porphyrie können heute zudem mögliche Genträger in der Familie des Patienten durch molekularbiologische Metho-den ermittelt werden.

. Abb. 20.9. Hautveränderungen bei Porphyria cutanea tarda (Aufnahme von I. Frank, Maastricht)

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20.2.3 Erworbene Porphyrien

! Erworbene Porphyrien sind nicht durch einen An-stieg der -ALA- und PBG-Urinausscheidung gekenn-zeichnet.

Bei verschiedenen Erkrankungen lässt sich eine mittelgra-dige Erhöhung der Urin-Porphyrinausscheidung (weniger als drei- bis vierfache Erhöhung gegenüber dem Norm-wert), insbesondere von Koproporphyrinen nachweisen. Patien ten mit erhöhter Porphyrinausscheidung können sowohl abdominelle Beschwerden, Übelkeit, Erbrechen als auch andere Symptome entwickeln, die auf eine akute Por-phyrie hinweisen. Aufgrund der erhöhten Porphyrinaus-scheidung in den Urin wird häufig fälschlicherweise eine primäre Porphyrie diagnostiziert. Die primären akuten Por-phyrien sind jedoch immer mit einer Erhöhung der Urin-ausscheidung von -ALA und/oder PBG vergesellschaftet. Mit Ausnahme einer Bleivergiftung, bei der Blei andere Metalle von aktiven Zentren von Enzymen verdrängt oder mit SH-Gruppen reagiert, sind sekundäre Porphyrien da-

gegen nicht mit einem Anstieg der Urinausscheidung von -ALA und PBG vergesellschaftet. Blei hemmt die Enzyme

Porphobilinogen-Synthase und Ferrochelatase, sodass im Urin eine Erhöhung der -Aminolävulinat-Konzentration auftritt (7 Kap. 22.2.12). Da die Galle einen wesentlichen Ausscheidungsweg für die Porphyrine darstellt, steigen die Urin-Porphyrinspiegel bei verschiedenen hepatobiliären Erkrankungen an, wenn die Gallebildung gestört ist. Bei einer extrahepatischen Galle-Obstruktion (7 Kap. 20.3.1) wird der Anstieg der Urin-Koproporphyrinausscheidung von einem höheren Anteil des Typ-I-Isomers begleitet. Dies spiegelt die Tatsache wider, dass das Typ-I-Isomer, welches normalerweise vorzugsweise in die Galle ausgeschieden wird, den Organismus dann über die Niere verlässt. Die sekundären Porphyrien können von den asymptomatischen Formen der hereditären Koproporphyrie und der Porphyria variegata durch die quantitative Bestimmung der Stuhl-porphyrine unterschieden werden: während bei den se-kundären Porphyrien die Stuhlporphyrine normal oder nur geringgradig erhöht sind, sind sie bei den primären Porphyrien deutlich erhöht.

. Abb. 20.10. Urinausscheidungsmuster bei den einzelnen Porphyrien. Der Nachweis von PBG erfolgt im akuten Anfall mit dem Schwartz-Watson-Schnelltest, ansonsten im 24-Stunden-Urin. Die

Zahlen geben den Enzymdefekt an -ALA = -Aminolävulinat; PBG = Porphobilinogen; URO = Uroporphyrin; KOPRO = Koproporphyrin; PROTO = Protoporphyrin

20.2 · Pathobiochemie: Störungen der Hämbiosynthese

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620 Kapitel 20 · Häm und Gallenfarbstoffe

20

In Kürze

4 Partielle Defekte einzelner Enzyme der Hämbiosyn-these verursachen die Porphyrien: je nach Enzym-defekt wird zwischen akuten und chronischen Por-phyrien unterschieden

4 Bei den akuten Porphyrien sind die Porphyrinvor stu-fen -Aminolävulinat ( -ALA) und Porphobilinogen (PBG) erhöht, die aufgrund der Ähnlichkeit von -ALA mit -Aminobutyrat zu neuroviszeralen und -psychiat-rischen Symptomen führen. Zudem sind sie durch intermittierende Attacken gekennzeichnet, die durch bestimmte Medikamente oder Stress ausgelöst wer-den können

4 Bei den chronischen Porphyrien hingegen akku mulie-ren Porphyrine, die aufgrund ihrer konjugierten Dop-pelbindungen photosensibilisierend sind, in der Haut und verursachen Hautreaktionen

4 Durch die Klonierung der Gene aller Enzyme der Häm-biosynthese ist die genetische Analyse von Patienten mit diesen Erkrankungen möglich geworden: bei der akut intermittierenden Porphyrie sind inzwischen über 230 verschiedene Mutationen identifiziert wor-den, die auch die schnelle Erkennung von asympto-matischen Genträgern erlauben

. Abb. 20.11. Abbau von Häm zu Bilirubin. (Einzelheiten 7 Text)

Page 15: 20 - Häm und Gallenfarbstoffen

20621

20.3 Abbau des Häms zu Gallen-farbstoffen

20.3.1 Abbau zu Bilirubin

! Häm wird über Biliverdin zu Bilirubin abgebaut und anschließend mit Glucuronat verestert.

Die beim Abbau von Hämoglobin und anderen Hämpro-teinen freiwerdenden Aminosäuren sowie das Eisen wer-den wiederverwertet, nicht jedoch das Porphyringerüst. Stattdessen wird es im Monozyten-Makrophagen-System von Leber, Milz und Knochenmark in zwei Reaktionen zu-nächst oxidativ zu Biliverdin gespalten und anschließend zu Bilirubin reduziert (prähepatische Phase des Hämabbaus, . Abb. 20.11). Dieses wird über die Galle (sein Name leitet sich vom lat. Bilis, Galle ab) ausgeschieden. Die einzelnen Reaktionen sind:4 Bildung von Biliverdin. Unter Katalyse der Häm-Oxy-

genase wird der Eisenporphyrinring des Häms selektiv an der Methinbrücke zwischen den Pyrrolringen A und B gespalten. Der Reaktionsmechanismus der Häm-Oxygenase entspricht dem einer mischfunktionellen Oxygenase. Die Ringspaltung erfolgt also oxidativ, die Methingruppe wird als CO freigesetzt und das Reduk-tionsmittel für die Wasserbildung ist NADPH/H+. Bei der Ringspaltung können theoretisch eine Reihe iso-merer Formen entstehen. Die bei Säugern und damit auch beim Menschen vorkommende Häm-Oxigenase bildet als Produkt das Biliverdin IXa. Es zeichnet sich durch eine grüne Farbe aus (lat. viridis, grün)

4 Bildung von Bilirubin. Biliverdin IXa wird unter Kata-lyse einer cytosolischen Biliverdin-Reduktase zu dem aufgrund seiner rot-orangen Farbe als Bilirubin IXa (lat. ruber, rot) bezeichneten Molekül reduziert. Dabei wird die Methingruppe zwischen den Ringen C und D in eine Methylengruppe umgewandelt. Von den mög-lichen isomeren Formen überwiegt dabei die in . Abb. 20.12 dargestellte Z,Z-Form

Bilirubin ist trotz der Existenz der zwei polaren Carboxyl-gruppen in den Propionat-Seitenketten schlecht wasser-löslich. Dies ist darauf zurückzuführen, dass diese mit den NH-Gruppen und dem in Lactamkonfiguration vor-liegenden Sauerstoff (–NH–C=O) der Pyrrolringe intra-molekulare Wasserstoffbrückenbindungen bilden (. Abb. 20.12).

Warum Biliverdin in das schlechter lösliche Bilirubin umgewandelt wird, ist zunächst unverständlich. Die hydro-phoben Eigenschaften des Bilirubins bergen nämlich eine Reihe von Nachteilen, z. B. seine Neurotoxizität, Neigung zur Bildung von Gallensteinen und vor allen Dingen die Notwendigkeit einer weiteren Metabolisierung. Sie werden aber offensichtlich dadurch wettgemacht, dass Bilirubin ein wichtiges lipophiles Antioxidans (7 Kap. 15.3) ist.

Da der weitere Stoffwechsel von Bilirubin in der Leber stattfindet (intrahepatische Phase), muss in Knochenmark und Milz gebildetes Bilirubin über das Blut dorthin trans-portiert werden. Aufgrund seiner schlechten Löslichkeit im Plasma erfolgt dieser Transport in Bindung an Albumin. Der normale Plasmaspiegel an Albumin gebundenen Bili-rubins liegt zwischen 1,7 und 20,5 μmol/l (0,1–1,2 mg/100 ml). Im Dissé-Raum der Leber oder an der sinusoida-len Oberfläche der Hepatozyten dissoziiert das Bilirubin von seinem Trägerprotein, welches nicht in die Leberzelle eintritt (. Abb. 20.13).

. Abb. 20.12. Bildung von Wasserstoffbrücken im Bilirubin. Die übliche Darstellung des Z,Z-Bilirubin IXa (oben) gibt keine Erklärung für die Unlöslichkeit des Moleküls in Wasser. Das Raummodell dage-gen (Mitte) zeigt, dass die Propionsäureseitenketten der Pyrrolringe D und C über Wasserstoffbrückenbindungen (blau gestrichelte Linien) mit Sauerstoff- und Stickstoffatomen der Ringe B und A (B zu D; A zu C) in Verbindung treten. Dadurch ist das Molekül unpolar und un-löslich. Die covalente Bindung von Glucuronidgruppen zur Bildung des Bilirubindiglucuronids (unten) verhindert diese intramolekulare Wasserstoffbrückenbindungen und erhöht damit stark die Löslichkeit des Moleküls in Wasser

20.3 · Abbau des Häms zu Gallenfarbstoffen

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622 Kapitel 20 · Häm und Gallenfarbstoffe

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Nach Abkoppelung von Albumin wird Bilirubin über Membrantransporter der OATP-Familie (organic anion transport protein), möglicherweise auch durch einfache Diffusion, in die Leberzelle aufgenommen und dort an intrazelluläre Trägerproteine (z. B. Ligandin) gebunden (. Abb. 20.13). Dieses transportiert Bilirubin in das endo-plasmatische Retikulum. Dort erfolgt die Veresterung der Propionatreste von Bilirubin mit Glucuronat durch eine UDP-Glucuronat-Transferase (7 Kap. 17.1.2), die zur Phase 2 des Biotransformationssystems, (7 Kap. 33.3.1) gehört. Hier-durch werden die intramolekularen Wasserstoffbrücken gelöst und das Molekül wird wasserlöslicher (. Abb. 20.12). Das Gen für die Bilirubin-UDP-Glucuronyltransferase trägt die Information für drei mRNAs, die durch alternie-rendes Spleißen entstehen: sie unterscheiden sich in der 5 -Region, sind in der 3 -Region identisch und codieren für zwei Bilirubin-konjugierende Isoenzyme und ein Phenol-konjugierendes Enzym. Einzelne Enzyme werden auch in extrahepatischen Geweben gebildet, wo das Ausmaß der Glucuroniderung erheblich sein kann.

Als Mono- und Diglucuronid wird Bilirubin-Glu-curonid ATP-abhängig durch das MRP2 (multidrug resis-tance related protein 2)-System (7 Kap. 33.4.1) aus der Leber-zelle in die Galle ausgeschieden (Beginn der posthepati-schen Phase). Bei Verlegung der Gallenwege wird es aktiv

durch das MRP3-System der lateralen Membran in das Blut abgegeben und über die Nieren eliminiert.

20.3.2 Nachweismethoden für Bilirubin im Blutplasma

! Die beiden Bilirubinspecies im Plasma reagieren unter-schiedlich schnell mit dem Diazoreagens.

Da Bilirubinkonjugate aufgrund ihrer leichten Oxidierbar-keit relativ instabil sind, erfolgt ihre quantitative Bestim-mung vorwiegend über die stabilen Dipyrrolderivate, die in der sog. Diazoreaktion gebildet werden. In dieser Reaktion wird die Methylengruppe zwischen den Ringen C und D unter Freisetzung zweier diazotierter Dipyrrole gespalten und als Formaldehyd freigesetzt. Plasma enthält zwei Bili-rubinspecies: Die eine reagiert mit dem Diazoreagens in-nerhalb von Minuten, die andere mit der gleichen Ge-schwindigkeit nur in Gegenwart von »Beschleunigern« wie z. B. Methanol. Diese Stoffe wirken dabei wahrscheinlich über eine Lösung der intramolekularen Wasserstoffbrücken-bindungen im Bilirubinmolekül (. Abb. 20.14). Das schnell reagierende Bilirubin, das auch als direkt reagierendes oder konjugiertes bezeichnet wird, stellt glucuronidiertes Bilirubin dar, das langsam reagierende – auch als indirekt reagierendes bezeichnet – das Albumin gebundene oder unkonjugierte Bilirubin im Plasma. Normalerweise macht das glucuronidierte Bilirubin etwa 10–20% des Gesamt-bilirubins im Plasma aus, d. h. 80–90% des Bilirubins sind an Albumin gebunden.

20.3.3 Abbau des Bilirubins im Darm

! Durch Bakterien wird Bilirubin im Darm in Stercobilin überführt.

Nach Passage des Dünndarms wird Bilirubin im Dickdarm durch anaerobe Bakterien weiter abgebaut (. Abb. 20.15). Nach Abspaltung der Glucuronatreste durch eine -Glucu-ronidase erfolgt die schrittweise Reduktion zum Stercobi-linogen (lat. stercus, Stuhl). Zuerst entstehen durch Hydrie-rung der Vinylgruppen zu Ethylgruppen das Zwischenpro-dukt Mesobilirubin (griech. mesos, zwischen) und durch Hydrierung der Methingruppen (– CH =) zwischen den Ringen A und D sowie B und C zu Methylengruppen das Zwischenprodukt Mesobilirubinogen. Diese Überführung von Doppel- in Einfachbindungen ist mit einem Verlust der Farbe verbunden. Durch einen weiteren Hydrierungsschritt (an den Pyrrolringen A und B) entsteht Stercobilinogen, das durch Dehydrierung der Methylengruppe am Ring D zu einer Methingruppe in Stercobilin überführt wird (Aus-scheidung etwa 40–280 mg/Tag). Bei Sterilisierung des Darms unter hochdosierter oraler Antibiotikatherapie kann die Vernichtung der Anaerobier die Ausscheidung von

. Abb. 20.13. Der Transport von Bilirubin aus dem Plasma in das Gallengangsystem. A = Albumin; OATP = organic anion transport protein; B = Bilirubin; L = Ligandin oder anderer Carrier; BdG = Biliru-bin-Diglucuronid; MRP = multidrug resistance related protein. (Einzel-heiten 7 Text)

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chemisch unverändertem Bilirubin verursachen, das durch Oxidation bei Zutritt von Luftsauerstoff in Biliverdin um-gewandelt wird (grünliche Verfärbung des Stuhls). Ein Teil des Stercobilinogens wird durch bakterielle Enzyme weiter in Dipyrrole zerlegt (Mesobilifuchsin, Bilifuchsin). Sterco-bilin und diese Dipyrrole tragen zur normalen Stuhlfarbe bei. Bis zu 20% der im Darm aus Bilirubin entstehenden Produkte werden reabsorbiert und über die Pfortader der Leber zugeführt, wo sie erneut ausgeschieden werden (en-terohepatischer Kreislauf). Ein geringer Teil gelangt über das Blut zu den Nieren, wo es als Urobilin oder Urobilino-gen im Harn nachgewiesen werden kann den (im Mittel etwa 0,64 mg, maximal 4 mg/24-h-Urin). Bei Leberfunk-tionsstörungen werden diese Produkte vermehrt in den Urin ausgeschieden.

20.3.4 Hämoglobin- und Bilirubinumsatz

! Täglich werden etwa 250 mg Gallenfarbstoffe produ-ziert.

Geringe Mengen von Hämoglobin werden ständig aus gealterten, im Blut zirkulierenden Erythrozyten in das Plasma freigesetzt und dort an 2-Haptoglobin gebunden. Dieses Protein besteht aus 2 - (83 Aminosäuren) und - (245 Aminosäuren) Untereinheiten, von denen die -Un-tereinheit eine Homologie mit Serinproteasen aufweist. Der Hämoglobin-Haptoglobin-Komplex wird schnell durch Aufnahme in das retikuloendotheliale System aus dem Blut entfernt (Halbwertszeit 10–30 min), wohingegen die Halb-wertszeit freien Haptoglobins etwa 5 h beträgt. Aus Hä-moglobin freigesetztes Häm wird im Blut an das Protein Hämopexin gebunden und langsam eliminiert (Halbwerts-zeit 7–8 h).

Da Hämoglobin den bei weitem größten Teil des Häms im Organismus enthält, entspricht die tägliche Ausschei-dung an Gallenfarbstoffen ungefähr der Menge an Hämo-globin, das täglich gebildet und abgebaut wird. Im Hämo-globin entspricht der Porphyrinanteil (nach Abzug des Eisens) 3,5% des Hämoglobingewichts, d. h. beim Abbau von 1 g Hämoglobin entstehen 35 mg Bilirubin. Bei einem Erwachsenen mit 70 kg Körpergewicht beträgt der tägliche Hämoglobinumsatz etwa 90 μmol (6,25 g) oder 1,3 mmol/kg Körpergewicht. Das bedeutet, dass täglich etwa 220 mg oder 380 mmol Bilirubin beim Abbau von Hämoglobin entstehen. Dazu kommen das beim Abbau von anderen Hämoproteinen (Myoglobin, Cytochrome) freigesetzte Bilirubin sowie die Nebenprodukte der Hämbiosynthese, womit sich die Gesamtproduktion von Gallenfarbstoffen beim Menschen auf etwa 250 mg erhöht.

. Abb. 20.14. Abbau von Bilirubin zu Stercobilin. (Einzelheiten 7 Text)

20.3 · Abbau des Häms zu Gallenfarbstoffen

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624 Kapitel 20 · Häm und Gallenfarbstoffe

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20.4 Pathobiochemie: Störungen des Bilirubinstoffwechsels

! Ein Ikterus tritt als Folge einer Hyperbilirubinämie auf.

Steigt der Gehalt an Gesamtbilirubin über eine Konzentra-tion von 2–3 mg/100 ml (34–51 μmol/l) Plasma an, so liegt eine Hyperbilirubinämie vor und das Bilirubin tritt in die Gewebe über. Die damit verbundene Gelbverfärbung der Haut und Skleren bezeichnet man als Gelbsucht oder Ikterus. Eine Gelbsucht kann die Folge

4 einer gesteigerten Bildung von Bilirubin sein, die die Ausscheidungskapazität der gesunden Leber übersteigt, oder

4 einer Störung der Bilirubinkonjugation bzw. Ausschei-dung in der Leber sein oder

4 auf einem Verschluss der ableitenden Gallenwege be-ruhen, der zu einer Unterbrechung des Gallenflusses und damit der Bilirubinausscheidung führt

Je nachdem, welcher Mechanismus der Bilirubinerhöhung zugrunde liegt, wird zwischen prä-, intra- und posthepa-tischem Ikterus unterschieden. Oft gibt es auch Misch-

. Abb. 20.15. Photoinduzierte Änderung der Konformation des unkonjugierten Bilirubins. Die Ausscheidung unkonjugierten Bili-rubins IXa in die Galle wird durch die Bestrahlung mit blauem Licht im Wellenbereich von 400 bis 500 nm erleichtert. Das natürlich vor-kommende Z,Z-Isomer ist schwer löslich. Photoisomere dagegen, die durch eine Umstellung von Ring A (zur Bildung des E,Z-Isomers),

Ring B (zur Bildung des Z,E-Isomers) oder der Ringe A und B (um das E,E-Isomer zu bilden) entstehen, sind polarer. Deshalb können sie ohne vorherige Konjugation durch den Hepatozyten transportiert und in die Galle ausgeschieden werden. In der Galle bilden sich diese Photoisomere leicht zur Z,Z-Form zurück

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formen dieser Gelbsuchtarten. Beim Vorliegen eines Ikte-rus wird als Erstes untersucht, ob die Bilirubinämie direkter oder indirekter Natur ist. Dadurch können Hämolysen oder gestörte hepatische Konjugationen von hepatobiliären Er-krankungen unterschieden werden.

20.4.1 Erworbene Hyperbilirubinämien

! Der erhöhte Abbau von Erythrozyten kann zum Ikterus führen.

Alle Zustände, die mit einem erhöhten Abbau von Erythro-zyten (hämolytische Krisen) einhergehen, führen zu einer gesteigerten Bildung der Abbauprodukte des Häms, d. h. der Gallenfarbstoffe. Übersteigt die Bilirubinbildung die Glucuronidierung und anschließende Ausscheidung in die Galle, so kommt es zur Hyperbilirubinämie und damit zum hämolytisch bedingten Ikterus, bei dem das nichtkonju-gierte (d. h. an Albumin gebundene) Bilirubin im Plasma erhöht ist (prähepatischer Ikterus).

! Schädigung der Hepatozyten beeinträchtigt den Biliru-binexport, Blockade der Gallenwege führt zum Stau.

Medikamente oder Hepatitisviren (7 Kap. 10.3) können zu einer Schädigung der Leberparenchymzelle mit Störungen des Bilirubinexports in die Gallenkapillaren (Erhöhung des konjugierten Bilirubins) führen. Oft verursachen dabei die akut entzündlichen Veränderungen auch eine mechanische Beengung intrahepatischer Gallenkapillaren mit nachfol-gendem intrahepatischem Gallenstau (intrahepatischer Ikterus).

Bei einer Blockade der ableitenden Gallenwege in bzw. nach der Leber kommt es in den Leberzellen zu einem Stau des Bilirubins, das weiterhin von der arteriellen Seite her aufgenommen und glucuronidiert wird. Durch Rückstau tritt das glucuronidierte Bilirubin in die Interzellulärspal-ten, die Lymphgefäße und die ableitenden Lebervenen über (posthepatischer Ikterus).

Bei Neugeborenen können spezielle Ikterusformen auftreten. Verglichen mit dem Erwachsenen hat jedes Neu-geborene eine Hyperbilirubinämie, und etwa 50% aller Neugeborenen sind innerhalb der ersten 5 Lebenstage ik-terisch. Normalerweise steigt bei Neugeborenen der Biliru-binspiegel innerhalb der ersten 3 Tage von 1 bis 2 mg/100 ml (17–34 μmol/l) auf 5–6 mg/100 ml (85–102 μmol/l) (vor-wiegend an Albumin gebunden) an und fällt dann inner-halb von einer Woche auf Normalwerte ab. Dieser physio-logische Ikterus ist das Resultat einer erhöhten Produktion (infolge des Abbaus von HbF-haltigen Erythrozyten), die der Reifung der Ausscheidungsmechanismen in der Leber zeitlich vorangeht. Kommt es während dieser Periode je-doch zu einer stärkeren Hämolyse (z. B. bei einer Rh-Inkom-patibilität, 7 Kap. 29.2.3), so tritt ein pathologischer Neu-gebo re nen ikterus auf, der bei Nichtbehandlung mit Aus-

tauschtransfusionen zur Schädigung bestimmter Hirnkerne (deshalb auch als Kernikterus bezeichnet) führen kann.

! Durch photochemische Behandlung kann Bilirubin in ein polareres Derivat überführt werden.

Die Phototherapie Neugeborener zur Behandlung der unkonjugierten Hyperbilirubinämie hat sich als sicher und wirkungsvoll erwiesen, wenn die Serumbilirubinkonzen-trationen über 5 mg/100 ml liegen. Die Bestrahlung mit blauem Licht einer Wellenlänge von 400 bis 500 nm führt zu einer Photoisomerisierung des Bilirubins und zu einer nachfolgenden Ausscheidung des unkonjugierten Bili-rubins in die Galle. Die Konformation der Methinbrücken eines oder beider äußeren Pyrrolringe des Bilirubins IXa (Z,Z, . Abb. 20.15) – des natürlich auftretenden Isomers – schlägt um, was zur Bildung einer Mischung relativ in-stabiler Isomere führt (Z,E; E,Z; E,E). Diese Photoisomere, die man insgesamt als Photobilirubin bezeichnet, können keine intramolekularen Wasserstoffbindungen bilden, wie sie für das Z,Z-Isomer charakteristisch sind. Demzufolge ist Photobilirubin polarer als Bilirubin und kann deshalb leicht in die Galle ausgeschieden werden, ohne dass es dafür mit Glucuronsäure konjugiert werden müsste. Die photo-chemische Umwandlung des Bilirubins in Photobilirubin durch blaues Licht erfolgt wahrscheinlich direkt in der Haut und in subcutanen Geweben und nicht in der Mikrozir-kulation. Während Photoisomere nach Photoaktivierung aus der Haut in das Blut freigesetzt werden, werden sie gleichzeitig durch Bilirubin IXa (Z,Z-Isomer) aus dem Plas-ma ersetzt, sodass schließlich die Gesamtplasmabilirubin-konzentration abfällt. Der relative Anteil der einzelnen unter der Phototherapie entstehenden Isomere ist zwar nicht be-stimmt worden, aber insgesamt machen sie etwa 15% des Gesamtbilirubingehalts bei ikterischen Neuge borenen aus.

Photobilirubin wird an Albumin im Plasma gebunden, in der Leber aufgenommen und ohne Konjugierung in die Gallenwege sezerniert. In der Galle fallen die instabilen geometrischen Isomere wieder in die stabile Bilirubin X (Z,Z)-Form zurück, die Wasserstoffbrückenbindungen auf-weist, und gelangen dann in den enterohepatischen Kreis-lauf. Da Photobilirubin sogar bei der niedrigen Intensität des normalen Tageslichts gebildet wird, werden geringe Mengen der Photoisomere wahrscheinlich stets gebildet und von ikterischen Kindern und Patienten mit unkonju-gierter Hyperbilirubinämie, wie z. B. bei der Crigler-Er-krankung (7 u.), ausgeschieden.

20.4.2 Angeborene Hyperbilirubinämien

! Ein genetischer Defekt der UDP-Glucuronyltransferase führt zur Hyperbilirubinämie.

Beim Morbus Meulengracht (in Frankreich 1906 von Gilbert beschrieben, deshalb auch als Gilbert-Syndrom be-

20.4 · Pathobiochemie: Störungen des Bilirubinstoffwechsels

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zeichnet) tritt eine vorwiegend unkonjugierte Hyperbili-rubinämie (bis 6 mg/100 ml) auf, wobei das Gesamtbili-rubin oft erst unter Belastung (Nahrungskarenz, Infekte, Medikamente) ansteigt. Ursachen dieser Hyperbilirubin-ämie sind bei Europäern Mutationen im Bereich des Pro-motoranteils des UDP-Glucuronyltransferase I-Gens. Es wird geschätzt, dass der Morbus Meulengracht bei 3–10% der Bevölkerung vorkommt. Möglicherweise haben die Betroffenen eine höhere Empfindlichkeit gegenüber be-stimmten Medikamenten.

Sind die 5 Exonregionen des Gens von Mutationen be-troffen, so liegt das Crigler-Najjar-Syndrom vor, das in zwei Formen (I und II) vorkommt:4 Die extrem seltene autosomal-rezessive Form I mit

residueller Enzymaktivität von <1% und hochgradiger Hyperbilirubinämie (428–769 μmol/l oder 25–40 mg/100 ml), die therapierefraktär ist, sodass die Kinder an Kernikterus sterben, und

4 die autosomal-dominante Form II, die bei einer resi-duellen Enzymaktivität von <10% mit Plasmabilirubin-werten von 103 bis 428 μmol/l (6–25 mg/100 ml) ein-hergeht. Während normalerweise mehr als 90% des konjugierten Bilirubins als Diglucuronid ausgeschieden werden, ist das Monoglucuronid beim Crigler-Najjar-Syndrom II das Hauptausscheidungsprodukt. Eine

Besserung kann bei dieser Variante durch Phenobar-bitalbehandlung erreicht werden, was dafür spricht, dass bei der Form II nur eine partielle Störung des Glu-curonidierungssystems vorliegt

Die Analyse des Gens von Patienten hat auch hier eine molekulare Heterogenität (mehr als 50 verschiedene Mu-tationen) erbracht: so z. B. den Verlust von 13 Basenpaaren (Exon 2), eine Punktmutation, die zum vorzeitigen Ketten-abbruch führt (bei Form I) oder verschiedene Aminosäure-substitutionen bei Form II.

! Genetische Defekte des Bilirubintransportes rufen ebenfalls eine Hyperbilirubinämie hervor.

Beim Dubin-Johnson- und Rotor-Syndrom liegen Muta-tionen im MRP2-Gen (7 Kap. 33.4.1) des Bilirubintrans-ports durch den Hepatozyten vor. Das Dubin-Johnson-Syndrom ist durch eine chronische oder intermittierende Gelbsucht mit einer Erhöhung des konjugierten oder un-konjugierten Bilirubins gekennzeichnet. Charakteristisch sind große Mengen eines gelbbraunen oder schwarzen Pig-ments in den hepatischen Lysosomen, dessen chemische Zusammensetzung noch nicht geklärt ist. Das Rotor-Syn-drom ist durch eine chronische konjugierte Hyperbiliru-binämie charakterisiert.

In Kürze

4 Beim Abbau von Hämproteinen wird Häm freigesetzt und in Makrophagen zu Bilirubin abgebaut

4 Im Blutplasma wird Bilirubin entweder in Bindung an Albumin (unkonjugiertes oder indirektes Bili rubin) transportiert oder in glucuronidierter Form (konju-giertes oder direktes Bilirubin) gelöst

4 Bilirubin wird mit der Galle in den Darm ausgeschie-den, wo es durch ortsständige Bakterien weiter ab-gebaut wird

4 Ein geringer Prozentsatz dieser Produkte kann in einem enterohepatischen Kreislauf reabsorbiert

und wieder über Leber oder Nieren (als Urobilinogen) ausgeschieden werden

4 Erhöhungen des Bilirubinspiegels treten bei übermäßi-gem Abbau von Erythrozyten, Leberfunktionsstörun-gen oder Galleabflussstörungen aus der Leber in den Darm auf

4 Da bei Neugeborenen die Blut-Hirn-Schranke für Bili-rubin noch durchlässig ist, können starke Bilirubiner-höhungen bei ihnen zu Hirnschädigungen führen, wenn die Bilirubinerhöhung nicht durch Photothera-pie beherrscht wird

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