50 Jahre Cholerabacillus

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1376 KLINISCHE WOCI-IENSCHRIFT. 12. JAHRGANG. Nr. 35 2. SEPTEMBER x933 ,,Doppelnelson" und den Widerdruck erzeugt war, nicht stand- hielten. JOEL erwXhnt dazu kurz, dab bei pl6tzliehen TodesfMlen im Ringkampf mit groBer Wahrseheinlichkeit Gehirnblutungen ursiichlich in Frage kommen. Im AnsehluB an diese zusammenfassenden Ausffihrungen be- richte ich fiber einen neuen und bisher anseheinend noch nicht be- obachteter~ Modus yon Hautblutungen in die Augenlider infolge ungeheuer he/tigen Pressens bet einer alten Harnr6hrenverengerung. Ein 3oji~hr. Mann wird eingetiefert wegen St6rungen der Harn- entleerung; angeblich hat el beim Reiten vor etwa 12 Jahren infolge Bockens des Pferdes eine Verletzung am Damm erlitten, die abet nicht sofort wesentliche Folgen zeigte. Allmlihlich sollen sich dane abet steigende Beschwerden beim Wasserlassen ent- wickelt haben, die jedoch bis in die letzte Zeit yon sehr wechselndem Charakter gewesen seien, d. h. es gab Tage, wo so gut wie keine t~e- schwerden da waren and gleich darauf setzten, wie in diesen Tagen, kaum ertr~gliche Schmerzen ein und jede M6glichkeit, zu urinieren, schwand. Daher kam der Mann auch endlich ins Krankenhaus. Bet dem hageren, abet sonst organgesunden Mann land sich eine Blase, die so wenig geffillt war, dab man sie nicht sicher fiihlen konnte; Prostata ohne Ver~nderungen. Man finder beim Ein- ffihren der verschiedenst'en Instrumente an der fiir IReitsitzverlet- zungen typischen Stelle eine auch ffi/ feinste Bougies undurch- l~ssige I-Iarnr6hre, deren derbe Wandver~nderung auch yon aul3en deutlich ffihlbar ist in etwa 2--21/2 cm Li~nge. Da die Blase leer ist und zur Zeit kein Drang besteht, wird der Kranke am Ein- lieferungsabend nicht mehr operiert; die Angelegenheit erschien durchaus nicht dringlich und man hatte den Eindruck, ats ob es sich um eine Art YentilverschluB handeln k6nne. Ohne diese An- nahme w~re der geschilderte Wechsel zwischen guten nnd schlech- ten Tagen der UrinentIeerung unerkl~rlieh gewesen. Am n~ichsten Morgen hot der Kranke ein ungew6hnliches Bild : ]3eide Oberlider waren, so stark 6demat6s, dab Pat. kaum sehen konnte; im Bereiche der 0deme war mit Sicherheit Blutungsfarbe zu sehen. AuI Befragen gab dann der Kranke an, dab er nachts gewaltig babe pressen mfissen, um einige Tropfen Urin zu lassen. Frfiher habe er so etwas noeh nicht erlebt. Bach einigen Stunden trat dane eine deutliche F~rbung beider Oberlider durch einen aus- gedehnten BluterguB zutage. Yermehrung innerhalb der n~iehsten Tage, 13bergang aueh auf die Unterlider und bet allmlihlichem Matterwerden Senknng nach den Wangen zu. Verschwinden nach etwa 12 Tagen. Operation der Stenose durch Resektion, I-Ieilung nach Bougierung bis Mr. 28. Keine Bluterkrankung, keine Poly- globulie. Pathologlsch-anatomisches Untersuchungsergebnis der resezierten Harnr6hrenstenose: Entzfindliches unspezifisches Nax- bengewebe (Prof. GRUBER, G6ttingen). Bet dem Manne kann es sich nur urn Blutungen in die Augen- lider, keine Beteiligung der Subc0n junctiven, infolge eines ungew6hn- lieh heftigen uud dauernd wiederholten Pressens gehandelt haben; ein Vorgang, bet dem nur das ungew6hnlich und unerkl~rlich er- scheint, dab sich die Blutung nicht schon l~ngst einmal bet ihm gezeigt, da seit langen Jahren Pressungen ~hnlieher Art vor- gekommen waren. Die ErklXrung ffir das Zustandekommen dfirfte folgende sein: Infolge gewaltigen Druckanstieges nimmt die Blutffillung in der A. carotis interna derart und auf lXngere Dauer so erheblieh zu, dab im Canalis caroticus das aufs ~ul3erste gespannte Rohr der Carofis den Plexus venosus carot, int. vollkommen zusammendrtickt. Damit ist ein AbfluBhindernis ffir die V. ophthalmica geschaffen, die auBerdem bereits unter erhShtem Druck steht. Beides scheint dane auszureichen, um gelegentlich und, wie es scheint, in dieser Form sehr selten, Gef~/3e im Capillar- und ibm benachbarten Gebiet zum 1Reil3enzu bringen; deren Endergebnis die sichtbaren Senkungs- blutungen sind. Bet unserer Beobaehtung hat es wunderbarer- weise keine subconjunctivalen Blutungen, das sonst h~iufigere Ereignis, gegeben. Das lie[} uns die Mitteilung yon V6LCXER fiber das Auftreten yon Quinckeschem 0dem bet Abflul3verhinderung des Urins und sein Verschwinden each operativer ]3eseitigung des Hindernisses in den Kreis der l)berlegung ziehen. Ob ffir unseren Fall eine Gefiil3wandsch~idigung irgendeiner Art in Frage kommt, ist nicht zu entscheiden; jedenfalls ist der Hinweis, den V6LCIr gibt, sehr wertvotI and man sollte seine Erfahrungen netzen, wenn man der Ursache und Beseitigung des Quinckesehen 0dems nachgeht. Das andere Moment, das fremdartig berfihrt, ist das an- scheinend so auBergew6hnlich seltene Vorkommen yon Prei3blutun- gee, wie sie bet unserem Patienten beschrieben wurden; denn st~irkstes Pressen ist doch eine recht h~tufige physiologische An- gelegenheit, auBerdem sind krankhafte ZustAnde als Vorbedingung zum Pressen ebenfalls durchaus nicht selten. Man muB daher vielleicht annehmen, dab doch noch eine besondere Disposition, vielleicht im Sinne der V61ckerschen ttinweise, fiber die wit abet noch nichts Sicheres anzugeben wissen, notwendig ist zum Zustandekommen des geschilderten Bildes der Pregblutungen in die Augenlider. L i t e r a t u r : JOKL, Klin.Wschr. 1933, Nr23. -- VOLCKER, Dtsch. Z. Chir. 234 OFFENTLICHES GESUNDHEITSWESEN. 50 JAHRE CHOLERABACILLUS. Von Ministerialdirektor Dr. FREY im Preul3ischenMinisteriumdes Innern. Dankerfiillt feiert unser Volk in diesem Monat das 5oj~h- rige Jubil~um eines Triumphs deutschen Genies und deutscher Forscherarbeit auf dem Gebiet der medizinischen Wissen- schaft, der sich an dell Namen ROBERT I~OCH knfipft. ]3ekanntlich rafft die Cholera in Illdien allj~hrlich viele Einwohner dahin. Im vergangenen Jahre z. ]3. ereigneten sich rund 44 ooo Erkrankungen mit etwa 22 ooo Sterbef~llen, davon in I~alkutta allein etwa 25oo mit fast 12oo Sterbe- f~llen (= 50% Letaliti~t). lV~an k6nnte meinen, dab die Seuche sich jetzt auf ihre alte endemische BrutstS, tte be- schr~nken will, da seit 1926 Europa yon ihr frei blieb. Das war aber nicht immer so. Zu den verschiedensten Zeiten verlieB sie seit 1817 die tieimat, um verheerend fiber alle Erdteile sich auszubreiten. AVGVST HIRSC~I beschrieb in seinem 1881 erschienen Werke fiber die allgemeinen akuten Infektionskrankheiten vom historisch-geographischen Stand- punkte aus 4 Pandemien, die sich in den Jahren 1817--1823, 1826_1837 , 1846_1862 , 1863--1875 mit geringerer oder gr6gerer Schnelligkeit fiber die ganze Welt ausdehnten. So forderte sie auch im Abendlande furchtbare Opfer. l~uBland beispielsweise war in den 81 Jahren yon 1831--1912 nur 46 Jahre yon Cholera frei. 1831 aber, 1848, 1853--1861, 1866, f87I und sp~tter gab es dort grol3e Seuchenztige, deren Fluten sehr h~ufig auch Deutschland fiberschwemmten. Die Cholera fuhr schon in den Jahren 1871--1873 auf K~hnen und F16Ben die Weichsel nach Preu13en zu Tal, sie kam auf Schiffen fiber die Ostsee, sie verbreitete sich durch den menschlichen Verkehr fiber die Landgrenze und wfitete in St~dten und D6rfern yon Haus zu Haus, yon GehSft zu Geh6ft, Einmal eingeschleppt, fiberwinterte sie oft. So blieb sie yon 1831--1837 in Deutschland, 1832--1836 in Paris und England, 1833--1837 in Sfidfrankreich, Italien und Spanien, 1847--1861 in ganz Europa. Im allgemeinen zun~chst eine GeiBel der ~rmeren Volksschichten, machte sie doch vor keinem Stande oder Berufe halt. Im Jahre 1831 entv61kerte sie in Wien zuerst die H~user der Wohlhabenden; in diesem Jahre starb Generalfeldmarscha11 v. Gneisenau an ihr in Posen und der aus Schlesien stammende russische Generalfeldmarschall Diebitsch-Sabalkansky (bekannt durch die mit Yorck 1813 abgeschlossene Iionvention yon Tauroggen) w~ihrend des polnischen Aufstandes bet Pultusk. Die Epi- demie in ]3erlin im Jahre 1866, die rund 6ooo Personen dahin- raffte, befiel wieder haupts~ichlich die Insassen yon Keller- wohnungen. 1873 starb Dr. OBER~IEI~R, der Entdecker des Rfiekfallfiebererregers, in ]3erlin an Cholera. Die Seuche st6rte durch die ihr entgegengestellten Quarant~inemaB- nahmen aufs /irgste Handel nnd Verkehr, ja sie grill sogar in die hohe Politik ein. Ein wichtiger Grund ffir ]3ismarcks Rat an K6nig Wilhelm I., im Kriege gegen 0sterreich 1866 den Nikolsburger Frieden zu schlieBen, war das heftige Auftreten der Cholera in den preuBischen Armeen in B6hmen.

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1376 K L I N I S C H E W O C I - I E N S C H R I F T . 12. J A H R G A N G . N r . 35 2. SEPTEMBER x933

,,Doppelnelson" und den Widerdruck erzeugt war, n icht stand- hielten. JOEL erwXhnt dazu kurz, dab bei pl6tzliehen TodesfMlen im Ringkampf mit groBer Wahrseheinlichkeit Gehirnblutungen ursiichlich in Frage kommen.

Im AnsehluB an diese zusammenfassenden Ausffihrungen be- richte ich fiber einen neuen und bisher anseheinend noch nicht be- obachteter~ Modus yon Hautb lu tungen in die Augenlider infolge ungeheuer he/tigen Pressens bet einer alten Harnr6hrenverengerung.

Ein 3oji~hr. Mann wird eingetiefert wegen St6rungen der Harn- entleerung; angeblich ha t el beim Reiten vor etwa 12 Jahren infolge Bockens des Pferdes eine Verletzung am Damm erlit ten, die abet n icht sofort wesentliche Folgen zeigte. Allmlihlich sollen sich dane abet steigende Beschwerden beim Wasserlassen ent- wickelt haben, die jedoch bis in die letzte Zeit yon sehr wechselndem Charakter gewesen seien, d. h. es gab Tage, wo so gut wie keine t~e- schwerden da waren and gleich darauf setzten, wie in diesen Tagen, kaum ertr~gliche Schmerzen ein und jede M6glichkeit, zu urinieren, schwand. Daher kam der Mann auch endlich ins Krankenhaus. Bet dem hageren, abet sonst organgesunden Mann land sich eine Blase, die so wenig geffillt war, dab man sie nicht sicher fiihlen konnte; Pros ta ta ohne Ver~nderungen. Man finder beim Ein- ffihren der verschiedenst'en Ins t rumente an der fiir IReitsitzverlet- zungen typischen Stelle eine auch ffi/ feinste Bougies undurch- l~ssige I-Iarnr6hre, deren derbe Wandver~nderung auch yon aul3en deutl ich ffihlbar ist in e twa 2--21/2 cm Li~nge. Da die Blase leer ist und zur Zeit kein Drang besteht, wird der Kranke am Ein- lieferungsabend nicht mehr operiert; die Angelegenheit erschien durchaus nicht dringlich und man hat te den Eindruck, ats ob es sich um eine Art YentilverschluB handeln k6nne. Ohne diese An- nahme w~re der geschilderte Wechsel zwischen guten nnd schlech- ten Tagen der UrinentIeerung unerkl~rlieh gewesen.

Am n~ichsten Morgen hot der Kranke ein ungew6hnliches Bild : ]3eide Oberlider waren, so s tark 6demat6s, dab Pat. kaum sehen konnte; im Bereiche der 0deme war mi t Sicherheit Blutungsfarbe zu sehen. AuI Befragen gab dann der Kranke an, dab er nachts gewaltig babe pressen mfissen, um einige Tropfen Urin zu lassen. Frfiher habe er so etwas noeh nicht erlebt. Bach einigen Stunden t r a t dane eine deutliche F~rbung beider Oberlider durch einen aus- gedehnten BluterguB zutage. Yermehrung innerhalb der n~iehsten Tage, 13bergang aueh auf die Unterlider und bet allmlihlichem Matterwerden Senknng nach den Wangen zu. Verschwinden nach etwa 12 Tagen. Operation der Stenose durch Resektion, I-Ieilung nach Bougierung bis Mr. 28. Keine Bluterkrankung, keine Poly- globulie. Pathologlsch-anatomisches Untersuchungsergebnis der

resezierten Harnr6hrenstenose: Entzfindliches unspezifisches Nax- bengewebe (Prof. GRUBER, G6ttingen).

Bet dem Manne kann es sich nur urn Blutungen in die Augen- lider, keine Beteiligung der Subc0n junctiven, infolge eines ungew6hn- lieh heftigen uud dauernd wiederholten Pressens gehandelt haben; ein Vorgang, bet dem nur das ungew6hnlich und unerkl~rlich er- scheint, dab sich die Blutung nicht schon l~ngst einmal bet ihm gezeigt, da seit langen Jahren Pressungen ~hnlieher Art vor- gekommen waren.

Die ErklXrung ffir das Zustandekommen dfirfte folgende sein: Infolge gewaltigen Druckanstieges n immt die Blutffillung in der A. carotis in terna derar t und auf lXngere Dauer so erheblieh zu, dab im Canalis caroticus das aufs ~ul3erste gespannte Rohr der Carofis den Plexus venosus carot, int. vollkommen zusammendrtickt. Damit ist ein AbfluBhindernis ffir die V. ophthalmica geschaffen, die auBerdem bereits unter erhShtem Druck steht. Beides scheint dane auszureichen, um gelegentlich und, wie es scheint, in dieser Form sehr selten, Gef~/3e im Capillar- und ibm benachbar ten Gebiet zum 1Reil3en zu bringen; deren Endergebnis die s ichtbaren Senkungs- blutungen sind. Bet unserer Beobaehtung ha t es wunderbarer- weise keine subconjunctivalen Blutungen, das sonst h~iufigere Ereignis, gegeben. Das lie[} uns die Mitteilung yon V6LCXER fiber das Auftreten yon Quinckeschem 0 d e m bet Abflul3verhinderung des Urins und sein Verschwinden each operativer ]3eseitigung des Hindernisses in den Kreis der l)berlegung ziehen. Ob ffir unseren Fall eine Gefiil3wandsch~idigung irgendeiner Art in Frage kommt, ist nicht zu entscheiden; jedenfalls ist der Hinweis, den V6LCIr gibt, sehr wertvotI and man sollte seine Erfahrungen netzen, wenn man der Ursache und Beseitigung des Quinckesehen 0dems nachgeht. Das andere Moment, das fremdartig berfihrt, ist das an- scheinend so auBergew6hnlich seltene Vorkommen yon Prei3blutun- gee, wie sie bet unserem Pat ienten beschrieben wurden; denn st~irkstes Pressen ist doch eine recht h~tufige physiologische An- gelegenheit, auBerdem sind krankhaf te ZustAnde als Vorbedingung zum Pressen ebenfalls durchaus nicht selten. Man muB daher vielleicht annehmen, dab doch noch eine besondere Disposition, vielleicht im Sinne der V61ckerschen ttinweise, fiber die wit abe t noch nichts Sicheres anzugeben wissen, notwendig ist zum Zustandekommen des geschilderten Bildes der Pregblutungen in die Augenlider.

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OFFENTLICHES GESUNDHEITSWESEN. 50 JAHRE CHOLERABACILLUS.

Von

M i n i s t e r i a l d i r e k t o r Dr . FREY im Preul3ischen Ministerium des Innern.

Danker f i i l l t fe ier t u n s e r Volk in d iesem M o n a t das 5o j~h- rige J u b i l ~ u m eines T r i u m p h s d e u t s c h e n Gen ies u n d d e u t s c h e r F o r s c h e r a r b e i t au f d e m G e b i e t de r med iz in i s chen Wissen- schaf t , de r s ich a n dell N a m e n ROBERT I~OCH knfipf t .

]3ekann t l i ch r a f f t die Cholera in I l ld ien a l l j~hr l i ch vie le E i n w o h n e r dah in . I m v e r g a n g e n e n J a h r e z. ]3. e r e igne t en sich r u n d 44 ooo E r k r a n k u n g e n m i t e t w a 22 ooo Sterbef~l len, d a v o n in I ~ a l k u t t a a l le in e t w a 25oo m i t f a s t 12oo S te rbe- f~llen ( = 50% Letali t i~t) . lV~an k 6 n n t e meinen , d a b die Seuche s ich j e t z t au f ihre a l te endemische BrutstS, t t e be- s c h r ~ n k e n will, d a sei t 1926 E u r o p a y o n ih r frei bl ieb.

Das wa r abe r n i c h t i m m e r so. Zu den v e r s c h i e d e n s t e n Ze i t en verlieB sie se i t 1817 die t i e i m a t , u m v e r h e e r e n d f iber alle E rd t e i l e s ich auszubre i t en . AVGVST HIRSC~I besch r i eb in se inem 1881 e r sch ienen W e r k e f iber die a l lgeme inen a k u t e n I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n v o m h i s to r i s ch -geog raph i schen S t a n d - p u n k t e aus 4 P a n d e m i e n , die s ich in den J a h r e n 1817--1823, 1 8 2 6 _ 1 8 3 7 , 1 8 4 6 _ 1 8 6 2 , 1863- -1875 m i t ger ingere r oder g r6gere r Schne l l igke i t f iber die ganze W e l t a u s d e h n t e n .

So fo rde r t e sie a u c h im A b e n d l a n d e f u r c h t b a r e Opfer . l~uBland beispielsweise w a r in den 81 J a h r e n y o n 1831- -1912 n u r 46 J a h r e y o n Cholera frei. 1831 aber , 1848, 1853--1861, 1866, f87I u n d sp~tter gab es d o r t grol3e Seuchenzt ige, de ren

F l u t e n sehr h~uf ig a u c h D e u t s c h l a n d f i b e r s c h w e m m t e n . Die Cho le ra f u h r s c h o n in den J a h r e n 1871- -1873 auf K ~ h n e n u n d F16Ben die Weichse l n a c h Preu13en zu Tal , sie k a m au f Schif fen f iber die Ostsee, sie v e r b r e i t e t e sich d u r c h den m e n s c h l i c h e n V e r k e h r f iber die L a n d g r e n z e u n d wfi te te in S t ~ d t e n u n d D6r f e rn y o n H a u s zu Haus , yon GehSf t zu Geh6f t , E i n m a l e ingeschleppt , f i be rwin te r t e sie oft . So b l ieb sie y o n 1831- -1837 in D e u t s c h l a n d , 1832- -1836 in Pa r i s u n d E n g l a n d , 1833- -1837 in Sf idf rankre ich , I t a l i en u n d Span ien , 1847- -1861 in ganz E u r o p a . I m a l lgemeinen zun~chst eine GeiBel der ~rmeren Volksschichten, machte sie doch vor keinem Stande oder Berufe halt. Im Jahre 1831 entv61kerte sie in Wien zuerst die H~user der Wohlhabenden; in diesem Jahre starb Generalfeldmarscha11 v. Gneisenau an ihr in Posen und der aus Schlesien stammende russische Generalfeldmarschall Diebitsch-Sabalkansky (bekannt durch die mit Yorck 1813 abgeschlossene Iionvention yon Tauroggen) w~ihrend des po ln i s chen A u f s t a n d e s bet Pu l tu sk . Die Ep i - demie in ]3erlin im J a h r e 1866, die r u n d 6ooo P e r s o n e n d a h i n - raff te , befiel wieder haupts~ichl ich die I n s a s s e n y o n Kel ler- w o h n u n g e n . 1873 s t a r b Dr. OBER~IEI~R, de r E n t d e c k e r des Rfiekfal l f iebererregers , in ]3erlin a n Cholera. Die Seuche s t6 r t e d u r c h die ih r en tgegenges t e l l t en Quaran t~ inemaB- n a h m e n aufs / irgste H a n d e l n n d Verkehr , j a sie gr i l l sogar in die h o h e Po l i t i k ein. E i n wich t ige r G r u n d ffir ]3 ismarcks R a t a n K 6 n i g W i l h e l m I., im Kr iege gegen 0 s t e r r e i c h 1866 den N i k o l s b u r g e r F r i e d e n zu schlieBen, w a r das hef t ige A u f t r e t e n der Cholera in den p reuBischen A r m e e n in B 6 h m e n .

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2. SEPTEMBER x933 K L I N I , S C H E W O C H E N S C H

Es war selbstverst~illdlich, dab Vom ersten Eillfall an die preul3ischen Beh6rden mit aller Energie sich mfihten, gesulld- heitspolizeilich derSeucheEinhaIt zu tun. Die iirztlicheWissen- schaft llahm sich der Erforschung des Wesens der Krankheit aufs eifrigste an. Manche Epidemiologell, wie PETTENKOFER, glallbten, dab die Ursache der Seuche in por6sen, dem Grulld- wasser nahen Bodellschichten eine ffir ihre Infektiollstfichtig- keit notwendige Entwicklung durchmache und sich wesent- lich yon da alls bei tiefem Grundwasserstande ausbreite, andere schobei1 das Allschwellen der Erkrankungsziffern mehr auf die Einwirkung des Frfihlillgs- und Sommerregens llnd auf die Belastung des Bodens mit organischen Abfall- stoffen, wieder andere meinten, dab der Krankheitsstoff durch die Luft Iortbewegt werde, nahmen eine individuelle Disposition ~fir die Erkrankung an und hielten einen freilich ullbekallntcn Giftstoff ffir den Krallkheitserreger, dell der Cholerakranke durch Ansteckullg auf alldere Personen fiber- trage. Man war auch vielfach der Meinung, dab zwischen dem GelluB des in das Trinkwasser gelangten Giftes und der Erkrankullg eill Zusammellhang wahrscheinlich sei. Aber alles das waren mehr oder minder Theorien, und auch prak- tisch stand man der Seuche ziemlich machtlos gegellfiber.

So lagen die Dillge, Ms der 39jlihrige Geheime Regierungs- rat Dr. '~RoBERT KOCH im Reichsgesundheitsamt, der im Jahre zuvor schon durch die Elltdeckung des Tuberkelbacillus weit- hin bekannt geworden war, mit den Stabsarzten Dr. GAFFKu und Dr. FISCHER *con der deutsehen Reichsverwaltung im Sommer 1883 nach ~gyptel l gesalldt wurde, um bei eiller dort allsgebrochenen groBell Choleraepidemie das Wesen und die Ents tehung der Krankheit zu ermitteln. Im Sep- tember bereits wurde mit Hilfe seiner zielbewugten lllld zweck- m~iBigen Methodik trotz der herrschellden Iti tze in fleiBigster Arbeit durch Obduktionen, Krallkenuntersuchullgen, Tier- versuche ulld Zfiehtungen der Erreger der Cholera gefunden, isoliert llnd in Reinkulturen gewonnen. Babe l stellte es sich heraus, dab ROBERT KOCH den yon ibm sog. Kommabacillus bereits im Jahre zuvor im Darm von vier, ihm aus Indien nach Berlin gesalldten Choleraleichen gesehen, ihm aber keinen besollderen Weft beigemessen hatte, weil an eine Kompli- kation mit Zersetzungsvorgangen gedacht werden mllgte, die nach dem Tode eingetreten waren. Die klassischell, in- haltsreichen Berichte, die der Ffihrer der Kommission an den damaligen Staatssekretiir des Innern v. BOETTICI~BR sandte, lassell erkennen, dab das aufsehenerregende Ergebnis llicht einem Zufall, sollderll angestrengter, plallmagiger und llm- sichtiger Bemfihung entsprungen war. Mit d e r Labora- toriumst~itigkeit aber verbanden sich Ermit telungen fiber den Verlauf der Epidemie in Damiette, Kairo, Alexandriell, Port Said, Ismailia und Suez und die Prfifullg yon Wasser- versorgungsanlagen, Filterwerken und Latrinen. Mall stu- dierte den epidemiologischen EinfluB des Fallens ulld Steigens des Nils, das Begrabniswesell, die metereologischen Verh~lt- nisse des Lalldes u. dgl. m. Man besichtigte aueh die yon der iigyptischell Regierung eingerichteten Quarant~ine- und sonstigen Saniffitsanstalten, die namelltlich der gesundheit- lichen Oberwachullg der nach und voi1 Mekka gehenden Pilger dientell und trieb sogar historische Studiell fiber die frfiherell Choleraepidemiell _Kgyptells, besonders auch fiber die m6rderische des Jahres I865 mit 56oo Todesflillell. Nun stand fest, dab der Bacillus (genauer das Choleraschr~illbchen [Vibrio]), ein sehr bewegliches und sich schnell vermehrendes LebeweseI1, sich oft in den Darmentleerungell Cholerakranker vorfand, mit den Durchfiillen auf Kleidung ulld Lager der Pat ienten gelangte ulld so vielfach die Wiischerinnen infizierte, bei anderen ansteckenden Krankheitell des Darmes aber llicht nachzuweisen war. Es mag hierbei erw~ihllt werden, dab die yon Frankreich auf Anregullg PASTEURS ausgesandte Ex- pedition, die schon vor der der Deutschell eingetroffen war, bestimmte Resultate nicht zu erreichen vermochte.

ROBERT KOCH wollte sich abet mit dem Nachweis nnd der Zfichtullg des Kommabacillus in Ngypten, wo die Sellche ohnehin im Erl6schen war, nicht begnfigen, sondern seine Entdeckullg auch in der eigentlichen t te imat der Cholera nachprfifen. Seinem Antrage, die Expedition nach Indiell

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zu entsenden, elltsprach die Reichsregierung bereitwilligst. Im Dezember des Jahres 1883 war in Kalkutta, yon der englischell Landesregierung eillsichtsvoll und tatkr/tftig ullter- stfitzt, die lleue Werkst~tte eillgerichtet, in der die bisherigell Forschungsergebllisse best~tigt wurdell und wichtige andere noch hinzukamen. Illsbesondere wurde der Nachweis er- bracht, dab die Bacillell charakteristische Eigenschaften be- sitzen, die sie yon allderen Bakterien deutlich unterscheiden. Sie werden im normal Iunktionierenden Magen durch die dort abgesollderte Salzsiiure abgetStet und haftell deshalb auch llicht bei Tieren. Sie sind in Flfissigkeiten mollatelang entwicklullgsffihig, sterbell beim Eilltrockllell rasch ulld bilden keille Dauerformen (Sporen). Bei den zahlreichell Besich- t igungen yon Choleraorten konllte auBerdem ill Teichen, dell sog. , ,Tanks", die voll den Allwohnern zum Baden, Waschen und Trinken benutzt wurden, ill die aber auch die am Ufer liegenden primitiven Abortanlagen oft genug fiber- flossen, die Anwesenheit yon Choleravibrionen festgestellt werden, die sozusagen im Menschellexperiment die Richtig- keit der Annahme bewiesen, dab die Cholerabacillell ill der Tat die spezifische Krankheitsursache sind. Es wurden elld- lich zahlreiche Versuche darfiber unternommen, mit welchen Desinfektionsmitteln mall die Sch~idlinge am besten ver- nichten k6nnte. Grfilldliche Studien fiber den Einflug der Wasserversorgung, des Schiffsverkehrs ulld des Pilger- wesens auf die Verbreitung der Seuche gingen mit der Er- forschullg der Lebellsgewohnheitell und Gebr~uche der Ein- geborenen Hand in Hand. Die unertr~iglich werdende heiBe Wit terung beelldete die Arbeiten der Kommission, die nach einem Erholungsaufenthalt ill Darjeeling fiber Bombay, Suez, Brindisi nach 8 monatiger Abwesenheit am 2. Mai 1884 wieder in Berlin eintraf. Volk und Herrscher zeichlleten dell Ffihrer ulld seine Mitarbeiter durch Dotatiollen und andere Ehrungen aus. Die in Ngyptei1 llnd Illdiell gesammelten wissenschaft- lichen ErfahrungeI1 wurdell i n wfirdiger Ausstattung, mi t Kartell und statistischen Tabellen reich versehen, im 3. Bande der Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt im Jahre t887 lliedergelegt.

Im Juni 1884 konnte ROBERT KOCH bei einer Epidemie, die in Toulon ausgebrochen war, und GAFFKY im Herbs t 1886 bei gehituften Erkrankungell in Gonsellheim ulld F in then bei Maillz den CholerabacilIus llachweisen, den auch gesunde Personen absondern k6nnell, ohne selbst erkrankt zu sein. Im Kaiserlichen Gesundheitsamt zu Berlin falld danll unter Teilnahme hervorragender Vertreter der medizinischen Fakul- t~t die Erste KonJerenz zur Eri~rterung der Cholera/rags Ende Juli 1884 start, fiber die die Berliner Klillische Wochenschrift in ihrell Nummern 31, 32 und 32a berichtete. ROBERT KOCH trug eille Reihe grundlegellder, begrfindeter LeitsS.tze vor nnd stellte sie zur Diskussion. Sie traten ill ihrer wissenschaft- lichen lllld praktischen Bedeutung dem berfihmten Koch- schen Tuberkulosevortrag gleichwertig an die Seite. Weitere Aufschlfisse gab die Zweite KonJerenz vom 4.--8. Mai 1885 (Dtsch. reed. Wschr. Nr 37a). Sie ist besonders auch durch die Auseinandersetzung Kooks mit PETTENKOFER bemerkens- wert.

Die Ergebnisse dieser Verhandlullgen verschmolzen sich allm~hlich mit den z. B. im Preuflisehen 2~egulativ ~tber die Beki~mpJung ansteckender Krankheiten yon 1835 bereits geltellden Bestimmungen fiber Anzeigepflicht, Kranken- absonderung usw. zu einem festumrissenen Bek~mpfungsplan, der die deutsche 6ffentliche Gesundheitspflege bereicherte, aber auch dell internatiollalen Verkehr von llnertr~glichen Fesselll befreite. Um die Kenntnisse der ~rzte zu erweitern, schulte mall sie in besonderen Cholerakursen. Man schuf an den gef~hrdetell Flfissen ~rztlic h geleitete Kontrollstationen, die zur l)berwaehullg der F16Berei und Schiffahrt mit Ab- sonderungsrXumen, Trinkwasserabgabeeillrichtungen und Des- infektionsmitteln ausgestattet wurden. Um eille straffe Hand- habung der Richtlinien zu gew~hrleistell, wurden im Bedarfs- falle ffir bestimmte Bezirke besondere Cholerakommissare erllallnt. Ferner entstallden llach Ausarbe i tung yon Des- illfektionsverfahren bakteriologische Ulltersuchungsstellen, man walldte seill Augenmerk auf die Wasserversorgung und

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1378 t , I L I N I S C H E W O C H ] E N ~ S C H R I F T . 12. J A H R G A N G . Nr. 35 2. S E P T 1 ~ M B E R 1933

Abw~sserbeseitigung in den Ortschaften, kurz man rfistete sich, alle Waffen bereit zu haben, wenn die Seuche aus dem Osten wieder erscheinen smite. Diese 2r die auf Beratungen der Reiehscholerakommission, insbesondere auf Gut- achten ROBERT KOCH S beruhten, wurden dutch RundschrMben .des Reichskanzlers mit den Bundesstaaten vereinbart.

Darfiber hinaus gab die Entdeckung des Cholerabacillus der Immunitditsfrage einen wichtigen AnstoB und wurde der Ausgangspunkt der Serologie. In Indien n~mlich hat te KOCH feststellen k6nnen, dab Gegenden, die yon der ChoIera befallen gewesen waren, sparer im allgemeinen yon ihr verschont blieben. Er schloB daraus auf eine erworbene Immuni t~t der Bewohner. Andererseits gelang es R. PFEIFFER im Jahre 1893, Meerschweinchen durch eine Einspritzung yon ab- get6teten Cholerabacillen derart zu immunisieren, dab in die Bauchh6hle eingeffihrte lebende Vibrionen yon dem ser6sen Safte zerst6rt werden. Dieser Versuch ebnete der Choleraschutzimpfung des Menschen die Wege.

his in Hamburg im Jahre 1892 die den ~lteren Lesern noch genfigend in Erinnerung stehende Choleraepidemie ausbrach, bei der infolge yon Verseuchung der zentralen Wasserversorgungsanlage, die ihr Wasser aus der mit Cholera- keimen infizierten Elbe bezog, nach kurzer Zeit die t~glichen Erkrankungen in explosionsartigem Ausbruch die Zahl yon iooo fiberschritten, bestanden die auch bier wesentlich yon ROBERT KOCH eingeleiteten und fiberwachten Einrich- tungen ihre Feuerprobe. Ob die Seuche aus Frankreich oder Rul31and eingeschleppt war, konnte nieht zuverl~ssig er- mi t te l t werden. Sie hat te bis Ende November fund 18 ooo Er- krankungen zur Folge, yon denen rund 76oo t6dlich ver- liefen.

In der Winterepidemie I892/93 kamen noch 64 FMle hinzu. Es zeigte sich dabei, dab die Cholera an der politischen Grenze yon Altona, das eine eigene zuverl~ssige Wasser- versorgung besal3, haltmachte. N i t groBer Tatkraf t ver- folgte die Reichsregierung im Verein mit der preuBischen Landesregierung auch die Spritzer, die yon dieser Seuchen- welle auf das Stromgebiet der Elbe oder Oder und in benach- barte Provinzen fielen, nnd nahm auch das Weichselgebiet, wohin mit dem Flol3verkehr aus RuBland die Cholera ein- geschleppt war, und die Provinzen Posen und Schlesien in sorgf~ltige Obhut. Die frfiheren Mal3nahmen wurden noch durch ein im Kaiserlichen Gesundheitsamt ausgearbeitetes Merkblatt, wie sich der Schi//er vor Cholera zu sehi~tzen habe, das in russischer und deutscher Sprache vertefl t wurde, und durch ein .Flugblatt ,,Sehutzmafiregeln gegen Cholera" erg~nzt, das man der fibrigen Bev61kerung aushXndigte. Ferner traf man Bestimmungen fiber die Verschleppung der Cholera durch Waren.

In PreuBen kam es im Jahre 1892 zu 1677 Erkrankungen mi t 962 Todesf~llen.

Auch 1893 waren in den erw~hnten preul3ischen Gebieten noch Choleraf~lle zu verzeichnen. Im foigenden Jahre er- eigneten sich neue Einschleppungen aus Rul31and, z. B. nach Oberschlesien, West- und OstpreuBen. Es erschien daher g eboten, dab die wichtigsten europ~ischen Staaten gemeinsame MaBregein in Zeiten des epidemischen Auftretens der Cholera beschlossen, ohne irides den Handels- und Reiseverkehr un- n6tigen Sch~den auszusetzen. Die zu diesem Zwecke zwischen Deutschland, ()sterreich-Ungarn, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Holland, RuBland und der Schweiz in Dresden abgeschlossene Sanitditsi'ebereinkunJt yon 1893 regelte die Beaufsichtigung des Grenzverkehrs und setzte eine Xrztliche, nicht bel~stigende Kontrolle der Reisenden auf der Eisen- bahn und eine Untersuchung der aus verseuchten L~ndern einlaufenden Seeschiffe fest, Bestimmungen, die sich bereits im Jahre darauf bei erneuten Choleraf~llen im Osten PreuBens und im Rheinstromgebiet bewahrten. Wie grfindlich die Gesamtheit der neuen Vorschriften im Vergleich zu den im Jahre I873 m6glichen wirkten, zeigt eine im Kaiserlichen Gesundheitsamt im Jahre I894 gezeichnete Karte, auf der die Zahl der Choleratodesf~lle anf lOO ooo Einwohner im 6stlichen PreuBen und in den westlichen russischen und 6sterreichischen Provinzen eingetragen ist. Wi~hrend 1873

die Regierungsbezirke Bromberg, Marienwerder, Danzig und K6nigsberg dieselbe Sghw~rzung aufweisen wie die russischen Gouvernements, grenzen sieh im Jahre 1894 jene Bezirke und Oberschlesien, in denen sich 3, 4 bis 12 Todes- f~Llle auf ioo ooo Einwohner ereigneten, wie ein lichtes Gefilde yon den ausl~ndischen Nachbargebieten ab, wo in Galizien iloch 126, in Rul31and aber his 47 ~ Personen auf IOO ooo Ein- wohner de ; Seuche erlagen. Das gegen die Eigenart der Seuche geriehtete planm~Bige Zugreifen konnte in Deutsch- land die Zahl der Erkrankungen und damit aueh der Todes- f~Ile nunmehr ~uBerst kurz halten.

Mit diesem Werdegang ihrer Bek~mpfung hat te die indische Cholera f fir nns ihre Schrecken verloren.

Die im Herbst 19o 5 auf den 6stlichen Binnenwasserstral3en PreuBens yon RuBland her eingedrungene Seuche verursachte nur noch 3o4 Erkrankungen mit 79 Todesf~llen ,im Strom- gebiet der Weichsel, Memel, Oder und Elbe. Haupts~chlich wurden auch diesmal wieder Personen befallen, die in der Binnenschiffahrt und F1613erei besch~ftigt waren oder zu Angeh6rigen dieser Berufe in engen pers6nlichen Beziehungen standen. Kleine Choleraausbrfiehe, die aus Rugland stamm- ten, beliefen sich in den Jahren 19o9 und 19Io auf 39 bzw. 21 Erkrankungen und 9 bzw. I I Todesf~lle.

W~hrend des Krieges ha t das deutsche Volk trotz der erheblichen Einschleppungsgefahr nut wenig unter der Cholera zu leiden gehabt. Es starben daran in den Jahren 1914--1919 nur 179 Zivil- und 1838 Milit~rpersonen. Die in Oberschlesien im November 1914 durch 6sterreichische Trol3kolonnen ein- geschleppte Cholera konnte auf 41 F~lle in der Zivilbev61- kerung beschr~nkt werden. Jedesmal wurden ferner auf den 6stlichen und sfidlichen Kriegsschaupl~tzen die bewXhrten Bek~mpfungsmethoden sofort mi t aller Strenge eingesetzt, und die vorbeugende Choleraschutzimpfung der Truppen und Verwaltungsangeh6rigen ta t das fibrige. Insbesondere richtete die deutsche Zivilverwaltung in dem mehrfach ver- seuchten Polen 12 l~berwachungsstellen mit Schutzimpfung der Fl6Ber usw. am Narew, Bug und der Weichsel vom Kreise Garwolin bis zur deutschen Grenze bei Thorn ein, denen es im Zusammenhang mit der deutschen Kontrollstelle in Schillno gelang, mehrere ChoIerakranke zu ermitteln und unsch~tdlich zu machen. Ein Choleraausbruch in Berlin und im Regierungsbezirk Potsdam im Jahre 1918, der vermutl ich auf einen BacillentrXger aus dem Ostkampfgebiet zurfick- zuffihren war, konnte schnell unterdrfickt werden. Auch sparer, als aufgel6ste Heeresmassen aus dem Osten in die Heimat zurfickfluteten, drohte dieser eine Cholerainvasion. Die MaBnahmen aber, die auf Gkund der vom V61kerbunde im Jahre 1922 nach Warschau einberufenen Europi~ischen Saniti~tstcon]erenz l~ngs der russischen West- und Sfidgrenze und in den Au•angelagern im Inneren der einzelnen Staaten nach den Regeln ROBI~RT KOCH S durch zwischenstaatliche Sonderabkommen getroffen wurden, verhfiteten, dab nach dem groBen Kriege Epidemien dieser Seuche entstanden, wie sie bei den meisten frfiheren Feldzfigen im Osten zu beobachten gewesen waren. Das Deutsche Reich jedenfalls konnte vor Cholera v611ig bewahrt werden.

Man kann I fir die Zukunft zwar nicht ohne weiteres gut- sagen, aber wir sind vorbereitet. Das Reichsseuchengesetz yon 19oo enth~tlt scharfe Vorschriften fiber Cholera und Choleraverdacht, der Gesundheitszustand der auf der Eisen- hahn einzeln einreisenden t?ersonen wird durch das Zug- begleitpersonal sowie durch die PaB- und Zollbeamten unauf- f~llig kontrolliert, verd~chtige I~ranke werden best immten Arzt- und Krankenhausstationen an den Bahnlinien fiber- geben. Die Beobachtung der auslAndischen Saisonarbeiter finder in den Grenzfibertrittsanstalten der deutschen Arbeiter- zentrale start, und die ~rztliche 13berwachung der Leute an der ersten inl~ndischen Arbeitsstelle, die sanit~tre Beauf- sichtigung des fremden Auswandererverkehrs und d e r Per- sonen an den i)bergangsstellen an der Landgrenze gew~hren einen weiteren ausreichenden Schutz gegen eine etwaige Gefahr. Ferner hat die Internationale Sanit~tsfibereinkunft zu Paris vom Jahre 1926, die ihre Vorg~ngerin yon 1912 ab- 16ste, einschl~gige Bestimmungen fiber den zwischenstaat-

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e. SEPTEiVfBER 1933 1 4 L I N I S C H E W O C H E N S C H

l i chen Seeverkehr getroffen, die die obe r s t en Grenzen der A b w e h r m a B n a h m e n gegen b e s t i m m t e Seuchen, d a r u n t e r auch die Cholera, fes tse tzen, innerha lb dieser Grenzen aber j e d e m einzelnen S t aa t e die B e k ~ m p f u n g nach e igenem Er- messen freilassen. Es b e s t e h t n u n m e h r eine gegensei t ige Meldepf l ich t ; Schiffe aus choterabefa l lenen S t a a t e n un te r - ] iegen in den deu t schen H M e n der amts~rz t l i chen U n t e r - suehung, aus verdS~chtigen Gegenden mindes t ens der e rh 6 h t en A ufmerksamke i t . I n t e r n a t i o n a l wird auch anges t reb t , die gesundhe i t l i che B e h a n d l u n g der A u s w a n d e r e r schon vor der Ausre ise aus dem H e i m a t l a n d e vo rzunehmen . Fe rn e r a ch t e t m a n bet uns d a u e r n d auf die R e i n h a l t u n g der Bedfirfnis- a n s t a l t e n in den Zfigen und auf den Bahnh6fen . Die aus ~rfiheren Ze i tea v o r h a n d e n e n S t romf iberwachungss te l len , x b e r auch die zen t ra len Wasse rve r so rgungsan lagen der Of t -

R I F T . 12 J A H R G A N G . N r . 35 1379

schaf t en werden durch die Med iz inMbeamten beaufs ich t ig t , die bak te r io log ischen U n t e r s u c h u n g s a n s t a l t e n s t ehen beref t , auch gesunde Baci l lent r~ger zu en t la rven , Chole ra impfs to t f l~tgt sich in aus re i chendem MaBe schneU hers te l len , Des- in fek to ren s ind vo rhanden , kurz, das gesamte Arsena l k a n n nach MaBgabe der Bundesratsanweisung von~ Jahre 1904, der Vorschriften i~ber die gesundheitliche Behandlung der Seeschi]]e in den deutschen Hd]en, der ,,Grundsdtze ]i~r die gesundheitliche ~Tberwachung des Binnensehi]]ahrts- und Fl6fiereiverlcehrs" und der 19o 7 yore B u n d e s r a t e r lassenen Desin]elctionsanweisung bei d rohende r Choleragefahr v o m Reich und den L ~ n d e r n aus e ingese tz t werden.

Das F u n d a m e n i des gesamten Ausbaues aber is t die der gesamten Menschhe i t zugute k o m m e n d e Grol3tat de r E n t - deckung des CholerabacDlus du rch ROBERT KOCH,

REFERATENTEIL. BUCHBESPRECHUNGEN.

Blut, seine Pathologie und Physiologic. Mit einem Nachtrag: Die Eigenschaften des menschlichen Blutes im allgemeinen: Ffir die Deutsche Ausgabe neu verfal3t. Von L. J. HENDERSON. Dtsch. hrsg. v. M. TENNENBAUM. Mit ether Einfiihrung v. F. KRAUS. ~4 o Textabb. VIII , 287 S. Dresden u. Leipzig: Theodor Steinkopff ~932. Geh. RM. 3o. - , geb. RM. 32.--.

Die dem Buche zugrundeliegenden Arbeiten lagen zum Tell schon in ether Abbandlung des Verf. vor, die in dem Abderhalden- schen Handbuch der bio!ogischen Arbeitsmethoden erschienen war. Der Inhal t dieses Buches geht aber welt fiber den erw~hnten Handbuchbeitrag hinaus. Das Inhaltsverzeichnis lXl3t noch nicht erkennen, welcher Genul3 dem physikalisch-chemisch geschulten Leser bevorsteht. Eine Summe yon Gedanken, immer gut ab- gegrenzt gegen die tats~chlichen ]gelunde, eine Ffille yon Aus- blicken in Arbeitswege und ~qssensm6glichkeiten der Zukunft, machen es zu einer Freude, in dem Buche zu lesen. Dem physika- lisch-chemisch nicht vorgebildeten Arzt werden die experimentellen -Wege des Autors nicht klar sein, auch die ]gerechnungen werden ihm Schwierigkeiten machen. Es sollte aber jeder einigermagen wissenschaftlich interessierte Arzt yon diesem ]guche mindestens die ersten 3 ~ Seiten (Allgemeine Physiologie usw.) und die Zu- sammenfassung (S. 238--253) lesen. HENDERSON hat einen Arbeits- weg beschritten, der in mfihevoller Anwendung der exaktesten Laboratoriumstechnik zu Einzelbefunden fiber das ,,innere Milieu" ffihrt, und der eine M6glichkeit gibt, den wirklichen Vorg~ngen dnrch eine Art Integration nahezukommen. Er ist diesen indirekten Weg mit groBem Erfolg gegangen und konnte so der Biologic ein wesentliches Arbeitsgebiet erschliegen. Ein anderer rationellerW'eg, dem Unbekannten sich zu n~hern, existiert nicht. Die blol3e Konzeption w i r d niemals zu solchen Resultaten fflhren, die die Folge einer logischen, systematischen, unbeirrbaren Arbeitsweise sind. Eine seltene Kombination verschiedener Anlagen eines Forschers wird uns beim Studium dieses Buches vor Augen geffihrt : SorgfXltigste experimentelle Durcharbeitung bis ins kleinste Detail und auBerdem eine groB angelegte synthetische Behandlungs- weise. Wir stogenin dem Buch auf die bedeutendsten Fragestellungen und auI den dankenswerten Versuch, die bisher vor/iegenden Daten zu vorlXufigen ]geantwortungen zu verwenden. Das ]guch behandelt die Bestandteile des ]flutes, ihre Funktionen und ihre gesetzm~13ige Darstellung, das S~urebasengleichgewicht, Dissozia- tionserscheinungen, die Beziehnngen zwischen Zelle und Plasma. Es folgen dann die allgemeingfiltigen ]gehandlungen fiber das Wesen des physiologischen Systems Blut, Dann wird das Verhalten des ]flutes bet AtmungsvorgXngen, bet der Zirkulation, bet Arbeits- leistnngen und bet krankhaften Zustfinden geschildert. Der Be- arbeiter, Herr TENNENBAUM, tat uns schon aus der l~bersetzung des Buches yon FOURNEAU gut bekannt. Er hat auch dieses Mal wieder seine Kunst gezeigt, die etwas eigenwillige Sprache des Autors in ein klares, gut verstXndliches und ansprechendes Deutsch zu fibertragen. ERNST MISLOWlTZ~I~, Berlin.

Die Blutkrankheiten in der Praxis. Von P. MORAWITZ. 2., verb. Aufi. (Klin. Lehrkurse d. Mfinch. reed. Wschr. ]gd. L) 71 S. Mfln- chert: J. F. Lehmann I933. Geh. RM. 2.5 o, geb. RM. 3.50.

Die 2. Auflage dieses in seiner knappen Form vorbildlichen kleinen ]guches berficksichfigt alle wesentlichen Fortschritte, die auf dem Gebiete der Blutkrankheiten gemacht worden sind. Zur Einffihrung ffir den prakfischen Arzt ist das ]guch ganz besonders zu empfehlen. G. ROSENOW, ]gerlin.

Uber die Diagnostik der Bleivergiffung im Lichte moderner For- schung. Won P. SCHMIDT und F. WEYRAUCH. I Tat. VI, 76 S. Jena: Gustav Fischer 1933. RM. 4.-- .

Das Buch legt in klarer Weise die Eingliederung der yon den Verff. lang studierten mikroanalytischen Untersuchungen in die Diagnostik der ]gleivergiitung dar. Es gibt ein Mares ]gild darfiber, was heute durch chemische Blur- und Urinuntersuchungen zur Diagnose der Bleivergiftung beigetragen werden kann. Es mul3 als ganz besonders verdienstvoll anerkannt werden, dab die Yerff. sich yon jedem ~berschwang freihalten, dab sic nicht - - wie es gerade yon theoretischen Forschern gerne geschieht - - nun glauben, dab ihre Untersuchungsmethode die ausschlaggebende set, dab sic vielmehr die notwendige Zusammenarbeit mit dem ~liniker be- tonen und ihre Methode, die uns doch ein sehr erhebliches Stfick weiter bringen kann, nur als ein Mosaiksteinchen in dem Gesamt- bild gewertet wissen woHen. Gerade diese ruhige Objektivit~t wird kfinftig Gutachter nnd t~liniker bestimmen mfissen, sich in schwie- rigen F~llen der Hilfe der Verff. zu bedienen; denn wie diese mit Recht betonen, kommt den mikroanalytischen Untersuchungen nut dann Bedeutung zu, wenn der untersuchende Chemiker fiber , das n6tige Mal3 yon l~bung und Erfabrung gerade in dieser Unter- suchung verffigt. Nur eines vermissen wir in dem so wertvollen Buch: einen Abschnitt fiber die Bedeutung der ]gestimmung des ]gleigehaltes in den Faeces. Ferner w~re es zweckm~Big, wenn die Verfi. sich des versicherungsrechtlich festgelegten Begriffes ,,ge- eigneter Arzt" bedient h~tten, s ta t t des so vagen Begriffes ,,Fabrik- arzt". TELEKY, Dflsseldorf.

Das Quecksilber, seine Gewinnung, technische Verwendung und Giftwirkung mit eingehender Darstellung der gewerblichen Queck- silbervergiftung nebst Therapie und Prophylaxe. Von E. W. BAA- D E R u n d E. HOLSTEIN. (Ver6ff. Med.verw. ]gd. 4 o, H. i.) 2i tells farb. Textabb. 239 S. Berlin: Richard Schoetz I933. Geh. RM. I2.6o, geb. RM. i4.8o.

Die Schrift der Verff. hat ein grol3es Material, zum Tell auch aus eigenen ]geobachtungen, zusammengetragen nnd kann eine gute Orientierung fiber den heutigen Stand des wichtigen Themas ihrer Monographie geben. Besonders wertvoll sind die Abschnitte fiber die Technologic des Quecksilbers, die 1Klinik und die Prophylaxe der chronischen Vergiftung. Bet der Darstel- lung der Nachweismethoden hat Ref. die Erw~hnung der yon ibm mit seinen Schfilern HXSG~N und HENSCHEL ausgearbeiteten und seither vielfach erprobten Veraschungsmethode im geschlos- senen Raum vermiBt, die er nicht aus Eigenliebe, sondern auf Grund yon Erfahrungen im Interesse der Sache ffir wichtig h~lt. Wert- roll ist Ifir gutachtliche Fragen eine Zusammenstellung der gesetz- lichen Bestimmungen, die auf Quecksilber Bezug haben.

W. ttEUBNER, Berlin,

Grundzfige der KurortwissenschMt. Von S. LACHMANN. 2 Textabb. I33 S, Leipzig: Georg Thieme 1933. RM. 1.8o.

A n t grfindlicher Kenntnis des bekannten wissenschaft]ichen Materials fuBend und mit gutem Sinn far das Wesentliche, gibt Verf. in anspruchsloser, leicht lesbarer Darstellung einen knapp gehaltenen, abet durchaus ausreichenden Uberblick fiber die Natur der Heilqnelten and ~limafaktoren und fiber ihre thera- peutische Verwendung. Etwas sehr n[edrig schlitzt er die physi- kalisch-chemischen Vorkenntnisse seiner Leser ein, wenn er z. ]3. ziemlich langatmig den ]gegriff eines Ionen~iquivalents entwickelt.