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8.2 Organisationsentwicklung in Stiftungen Der folgende Artikel gibt eine auf die Stiftungsarbeit zuge- schnittene Einführung in die Organisationsentwicklung. Er führt in ein modernes Verständnis von Organisation ein und vermit- telt Zugänge zu ihrer Beschreibung und Analyse. Eine Vor- gehensweise zu Gestaltung von Veränderungsprozessen sowie Maßnahmen zur Stabilisierung und permanenten Nachsteuerung vervollständigen den Zugang. Aufbau und Organisation von Stiftungen 8/2 Birgit Nawrath, Irene ReifenhȨuser Seite 1 StiftungsManager StM 2/19

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8.2 Organisationsentwicklung inStiftungen

Der folgende Artikel gibt eine auf die Stiftungsarbeit zuge-schnittene Einführung in die Organisationsentwicklung. Er führtin ein modernes Verständnis von Organisation ein und vermit-telt Zugänge zu ihrer Beschreibung und Analyse. Eine Vor-gehensweise zu Gestaltung von Veränderungsprozessen sowieMaßnahmen zur Stabilisierung und permanenten Nachsteuerungvervollständigen den Zugang.

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8.2.1 Einleitung – unser Verst�ndnis

Organisationen sind wie Lebewesen, sie verändern sich tagtäg-lich und wenn sie sich nicht mehr verändern, dann sind sie tot.Das gilt auch für Stiftungen, auch wenn sie es sich je nach Auf-bau und Finanzkraft erlauben können, sich langsamer zu bewe-gen als z. B. ein gemeinnütziger Verein, der jedes Jahr aufSpenden angewiesen ist oder ein Wirtschaftsunternehmen, dasdem Markt folgen muss.

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen (z. B. Zinsentwick-lung) sind auch Stiftungen zunehmend gezwungen, sich neuauszurichten und sich somit in erheblicher Weise zu bewegenund zu verändern. Natürlich hat jede Stiftung darüber hinausauch die übliche Bewegungsanforderung aufgrund des Wech-sels von Leitungspersonen in den Aufsichtsgremien und imoperativen Geschäft. Solche Veränderungen sind für eine Stif-tung häufig noch schwerer zu bewältigen als für andere Orga-nisationen, insbesondere wenn es darum geht, die Stifterinoder den Stifter zu ersetzen.

Darüber hinaus gibt es natürlich noch andere Bewegungsanfor-derungen, wie zum Beispiel Wachstum oder auch Schrump-fung, sich verändernde Aufgabenfelder aufgrund gesellschaft-licher Entwicklungen und innovativer Ideen, die nicht in denalten Strukturen umgesetzt werden können. Wenn wir uns mitsolchen Bewegungsanforderungen auseinander setzen, unter-schieden wir drei Organisationsentwicklungsqualitäten:

• Veränderung der internen Organisation

Das geschieht z. B. durch Strukturveränderungen um Wachs-tum zu verarbeiten, Arbeitsablaufverbesserungen, Aufbaueiner internen Kommunikationspyramide, Teamentwicklun-gen, Kulturentwicklungen, Verhaltenstrainings und Seminare.

• Veränderung der nach außen gerichteten Organisationsform

Diese Veränderung zieht meistens auch eine interne Ver-änderung nach sich – was aber nicht in allen Fällen mit-gedacht wird. Hierzu zählt z. B. die Fusion oder sehr enge

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Kooperationen zwischen Organisationen, notwendige Anpas-sungen an äußere Rahmenbedingungen, Kommunikations-konzept in Bezug auf die Öffentlichkeit und die Kunden,Nutzung neuer Förderfelder, usw.

• Langfristige strategische Entwicklungen, die den Kern derOrganisation neu ausrichten.

In solchen Zusammenhängen initiieren aktuell viele Wirt-schaftsunternehmen Purpose-Prozesse. Das sind partizipativeProzesse, in denen möglichst viele Mitglieder einer Organi-sation Antworten auf die Sinnfragen bzgl. des Unternehmenssuchen: Warum gibt es uns? Was können wir? Was brauchtdie Welt? Der Prozess ist so aufgebaut, dass er alle Hierar-chieebenen und alle Funktionen anspricht, aus der Breite derAntworten werden Schritt für Schritt die zentralen Antwortenkondensiert. Ein Purpose-Prozess hat sehr unterschiedlicheEffekte: er weitet den Blick über den Tellerrand der Organi-sation hinaus auf die eigene Bedeutung und Wirkung in derWelt und er fokussiert den Blick auf die zentrale Aufgabeund das zentrale Selbstbild der Organisation.

Ein solcher Prozess bindet die Mitarbeiter an ihre Organisa-tion, er erhöht ihre Identifikation und lässt die individuelleMotivation wachsen. Nicht zuletzt macht es sie aussagefä-hig zum Sinn und zur Aufgabe ihres Unternehmens. In allerRegel können sie stolz und überzeugt von ihrem Arbeit-geber und ihrem persönlichen Beitrag zu seinem Erfolg undseiner Wirkung berichten. Ein Purpose-Prozess hat nichtnur Auswirkungen auf Mitarbeiter und Führungskräfte, son-dern auch auf Familienmitglieder, Freunde und Nachbarnund – nicht zu unterschätzen – mögliche Bewerber.

Stiftungen mögen glauben, dass ihre Sinnfrage durch dieStiftungspräambel abgedeckt und eine vertiefte Auseinan-dersetzung überflüssig sei. Das mag zutreffen, doch esbeantwortet noch lange nicht die Frage, wie der Sinn inner-halb der Mitarbeiterschaft gelebt wird, ob der Zweck fürAußenstehende spürbar wird, ob er Auswirkungen auf dieForm und Qualität der Zusammenarbeit hat.

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Eine solche Form der Selbstvergewisserung ist sicher alle5-7 Jahre sinnvoll, sie belebt den Stiftungsgedanken, hältihn wach und aktuell und macht ihn weithin spürbar underkennbar. Sie verbessert die erlebte Wertschätzung derMitarbeiter, das Bewusstsein über die eigenen Stiftungs-werte und die Motivation (und damit die Arbeitsleistung)der Mitarbeitenden.

Mit dem Blick auf die Gemeinsamkeiten und die Unterschiedewollen wir Ihnen unsere Erfahrungen zur Organisationsent-wicklung in Profit- und Non-Profit-Organisationen zur Ver-fügung stellen. Wir wollen Sie neugierig machen mit verschie-denen Instrumenten (Brillen), die Situation Ihrer Stiftung zuanalysieren um die passende Veränderung anzustoßen.

Durch die Vielfältigkeit der Stifter und auch der Stiftungs-gedanken ist Ihnen sicherlich leicht zugänglich, dass jedeOrganisation anders ist. Wir sprechen von der Organisations-persönlichkeit, um diese spezifische Besonderheit in einemBegriff darzustellen. Die Unterschiede machen sich z. B. amAlter, an der Größe (Umsatz und Mitarbeiterzahl) der Organi-sation fest. Neben diesen quantitativen Unterschieden gibt esauch qualitative Unterschiede, die sich aus dem Innenverhält-nis ergeben (Klarheit des Stiftungsfokus, Verhältnis, Themaund Ausstattung, Rolle und Einfluss des Stifters, Zusammen-setzung der Mitarbeiterschaft) und aus dem Umfeld (ist es eineglobal/regional agierende Stiftung?), steht die Stiftung für einbesonderes Thema oder steht sie in einem größeren Feld mitanderen Fördereinrichtungen, in welchem kulturellen Umfeldbewegt sie sich (Großstadt oder Dorf, zentral oder an derGrenze des Landes gelegen)? Diese qualitativen Aspekte sindhäufig vielfältiger und schwerer in ihrem Einfluss auf die Ent-wicklung festzumachen als die quantitativen.

Gerade hier liegt bei einer Organisationsentwicklung die Not-wendigkeit, jede Stiftung individuell in den Blick zu nehmen.Dies gilt für die Organisation und ebenso für den Stifter / dieStifterin. Es bedeutet, die jeweiligen Halte- und Veränderungs-kräfte wahrzunehmen und zu würdigen und alle darin zu unter-

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stützen, mit Wertschätzung die Position der anderen zu sehenund sie – wenn möglich – als Bereicherung in die eigene Wirk-lichkeit zu integrieren. So können aus sehr unterschiedlichenAnfangssichtweisen neue Lösungsräume entstehen.

Im Folgenden wollen wir Ihnen einige Zugänge und Modellevorstellen, die wir nutzen, um diese wertschätzende Reflexionin jeder Organisation spezifisch und authentisch herzustellen.

Der erste Zugang erfolgt über die Erfassung von Qualitäten,die von jeder Organisation auf ihre eigene Weise und in ihrereigenen Ausprägung gelebt werden. Es ist gut, vor einer Orga-nisationsentwicklung zu untersuchen, wo die Organisationsteht und worauf zu achten ist, damit man nicht aus Versehenwichtige positive Aspekte mit der Veränderung verliert. Neh-men Sie sich die Zeit, mit den Mitarbeitenden, den Spendern,den Aufsichtsgremien usw. diese Qualitäten durchzusprechenund ihre Einschätzungen zu diskutieren. Sie werden sich wun-dern, welche spannenden und durchaus richtungsgebendenSichtweisen Sie gewinnen können.

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8.2.2 Sieben Qualit�ten gesunder Systeme

Wir gehen davon aus, dass jede Organisation Formen des System-betriebs entwickelt, die der Eigenlogik des Systems entsprechen.Ein großer Teil davon unterstützt die Stärken der Organisation.Ein anderer Teil ist gewissermaßen der Preis, den das Kultivierendieser Stärken mit sich bringt. Es gibt also keine „richtigen“ oder„falschen“ Strukturen, Abläufe oder Verhaltensweisen. Statt zubewerten schauen wir darauf, ob ein System – oder besser eineOrganisationspersönlichkeit – in der Lage ist, ihre Stärken weiter-zuentwickeln und auch immer wieder zum Tragen zu bringen.Sind Struktur und Kultur einer Organisation flexibel oder anpas-sungsfähig genug, werden sie proaktiv weiterentwickelt, um dieLeistungsfähigkeit der Organisation zu erhalten?

Die im Folgenden – in ihrer „gesunden“ Ausprägung – beschrie-benen systemischen Qualitäten sind einerseits der systemischenOrganisationsforschung entlehnt, andererseits aus unserer Bera-tungserfahrung gebündelt. Die Reihenfolge ist keine Wertung.

• Selbstbewusstheit:

Der weitaus überwiegende Teil der Organisationsmitgliederist sich der Geschichte, des Auftrags und der Werte derOrganisation sowie ihrer Stärken und Schwächen bewusst.Erfolgsgeschichten sind ebenso bekannt wie Niederlagenund ihre Wirkungen auf Werte und Tabus der Organisation.

Es gibt Stiftungen mit einer mehr als hundertjährigenGeschichte, andere befinden sich gerade erst im Aufbauund wieder andere haben gerade bewährte Routinen für ihreAbläufe entwickelt. Die Systemqualität der Selbstbewusst-heit sieht sicher für alle unterschiedlich aus, doch für allegilt, dass ein bewusster und reflektierter Umgang mit dereigenen Geschichte und der eigenen Identität die Lebendig-keit und die Selbstreflexionskompetenz erhöht. Das istgerade im werteorientierten Stiftungsbereich ein wichtigerBeitrag zur Qualität.

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• Extraversion:

Die Organisation hat und schafft immer wieder neue Kon-taktflächen zu ihrer Umwelt, um im regen Austausch mitihr notwendige Impulse für die eigene Weiterentwicklungaufzunehmen und wichtige Impulse für die Entwicklungdieser Umwelt (anderer Systeme) zu setzen.

Viele Stiftungen sind schon durch ihren Stiftungszweck ver-pflichtet, die Kontaktflächen zur Umwelt bewusst und aktivzu gestalten. Alle Stiftungen, auch die weniger öffentlich-keitsorientierten, sind darauf angewiesen, die Entwicklun-gen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld zuregistrieren und in die eigene Arbeit zu integrieren.

• Zukunftsausrichtung:

Die Organisation entwickelt mittel- und langfristige Vor-stellungen von sich und den Austauschbeziehungen mitihrer Umwelt. Instrumente wie Vision, Mission und Strate-gie werden genutzt. Damit verbunden ist ein angemessenesChancen- und Risikomanagement.

Eine gute Zukunftsausrichtung ist mit einer regelmäßigenSelbstüberprüfung verbunden. Das geschieht im Kontakt mitder Umwelt: politische Entwicklungen und gesellschaftlicheTrends, neue Technologien, Veränderungen im Wertesystem,Krisen und Bedrohungen, veränderte Anforderungen … alleswird beobachtet. Bestenfalls entwickelt die Stiftung einZukunftsszenario, wie sie darauf reagieren will, aller besten-falls sogar noch einen Plan B.

• Entscheidungsqualität:

Entscheidungen werden in angemessener Zeit getroffen.Unterschiedliche Entscheidungsgeschwindigkeiten werdenbewusst praktiziert. Entscheidungen werden transparent undnachvollziehbar kommuniziert. Konflikte werden ausgetra-gen und zur Entscheidung gebracht.

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Entscheidungen werden aus einer relativ bekannten unddamit vermeintlich sicheren Gegenwart für eine eher unbe-kannte, unsichere Zukunft getroffen. Mit einer Entscheidungwird noch keine Zukunftssicherheit erreicht, aber es entstehtein Orientierungsrahmen, an dem Verhalten und Handlungender beteiligten Personen leichter ausgerichtet werden können.Eine gute Entscheidungskultur zeichnet sich dadurch aus,dass die Entscheidungsnotwendigkeit klar ist, dass verschie-dene Entscheidungsalternativen durchdacht sind und dass dieunterschiedlichen Grade von Entscheidungsverantwortungund -beteiligung den Mitwirkenden bewusst sind. Nichtzuletzt gehört auch eine angemessene Transparenz in derKommunikation dazu – entweder im Laufe des Entschei-dungsprozesses oder auf jeden Fall danach.

• Realisierungsfähigkeit:

Entscheidungen werden in angemessener Geschwindigkeitund in der zieladäquaten Qualität mit realistischer Ressour-censteuerung umgesetzt.

Die Realisierungsfähigkeit einer Organisation dockt in eini-gen Aspekten unmittelbar an die Entscheidungsqualität an.Wenn die Verfügbarkeit der notwendigen Ressourcen (Zeit,Material, Know-how, Mitarbeiter…) angemessen berück-sichtigt wurde, ist das eine gute Voraussetzung für die Reali-sierung. Mit dieser Qualität ist darüber hinaus noch dieBereitschaft und das Engagement aller gemeint, zur Umset-zung beizutragen. Dazu kann es gehören, mehr Energie zuinvestieren oder evtl. eine Zeitlang mit einem Provisoriumzurecht zu kommen, sei es auf gedanklicher, materieller oderKooperations-Ebene. Auch die Bereitschaft, etwas neu oderanders als bisher zu tun oder zu denken gehört dazu.

Die Realisierungsfähigkeit einer Organisation lässt sichdaran messen, ob es ihr gelingt, die eigenen Verharrungsten-denzen zu überwinden.

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• Klarheit und Wahrheits-Faktor:

Entscheidungen und Handlungen sind erkennbar konsistent.Rollen, Prozesse, Strukturen werden gemäß ihrer Intentiongelebt und weiterentwickelt. Es existieren anerkannte Leit-planken und akzeptierte Spannen der Möglichkeiten, derInterpretation der Rollen, Prozesse und Strukturen.

Diese Systemqualität nimmt die Wahrhaftigkeit von Organi-sationen in den Fokus. Werden Absprachen schön auf Papiergebracht oder werden sie tatsächlich gelebt? Und wenn siegelebt werden, gilt das für den Unterbau gleichermaßen wiefür die Organisationsspitze? Oft werden Absprachen pragma-tisch getroffen, weil sie vermeintlich eine Arbeitserleichte-rung verschaffen oder einen Konflikt klären. Das sind guteGründe – solange sie nicht die Systemqualität der Selbst-bewusstheit angreifen. Ein weiterer Indikator für die Ausprä-gung dieser Qualität ist das allgemeine Bewusstsein über dasMaß an Freiheit und Selbstständigkeit, in dem die Organisa-tionsmitglieder ihren Aufgaben nachgehen.

• Kompetenzentwicklung und organisationales Lernen:

Es wird sowohl individueller Kompetenzaufbau wie auchorganisationales Lernen systematisch gefordert und gefördert.Evaluationsroutinen zu den wesentlichen Prozessen sind ver-ankert, Instrumente der Kontinuierlichen Verbesserungspro-zesse (KVP) und des Qualitätsmanagements etabliert. Diver-sity und Wissensintegration werden genutzt und gefördert.

In dieser Systemqualität werden die Wachstums- und Ent-wicklungspotenziale der Gesamtorganisation mit den Kom-petenzen und Potenzialen der einzelnen Organisationsmit-glieder verknüpft. Es geht gleichermaßen um Themen wieWissensmanagement wie um Fort- und Weiterbildung, umOrganisationsbedarf wie um individuelles Interesse.

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Die Erfassung der Systemqualitäten ist ein „weiches“ Analyse-instrument. Es geht nicht um eine klassische harte Diagnose,sondern um eine gemeinsame Einschätzung und eine Verstän-digung darauf, was wichtig und erhaltenswert ist und wo Ver-änderungsbedarf besteht.

Wenn es dazu kommt, dass Veränderungsmaßnahmen reali-siert werden sollen, so gibt das Phasen-Modell von Kurt Lewinim Laufe des Veränderungsprozesses Orientierung.

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8.2.3 Die drei Phasen im Ver�nderungs-prozess

Wir sprechen von Changemanagement oder in größeren Zusam-menhängen von Organisationsentwicklung, wenn es darum geht,in Organisationen gezielt und bewusst Veränderungen herbei-zuführen. Wie bereits erwähnt kann der Impuls zur Veränderungvon außen oder von innen kommen.

Für die Phasen, die eine Organisation im Rahmen eines Ver-änderungsprozesses durchläuft, hat Kurt Lewin schon 1947 einModell entwickelt, das nach wie vor Grundlage für die Steue-rung von Veränderungen ist. Lewin beschäftigte sich mit demschwierigen Feld der Veränderung von Haltung und Verhalten.Er war aus Deutschland in die USA emigriert und beschäftigtesich mit der Frage, wie die Kultur in Deutschland nach Kriegs-ende in Richtung auf Demokratie verändert und stabilisiertwerden könnte. Er identifizierte drei Veränderungsphasen, diewir adaptiert und für Organisationsprozesse weiterentwickelthaben. So haben wir z. B. noch eine Phase 0 vorangesetzt.

Nach: Kurt Lewin (1947) Frontiers in group dynamics, HumanRelations, 1, 5–41

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Phase 0: Der Bedarf zur Ver�nderung entsteht/wirdwahrgenommen

Dies ist die Phase, in der erkannt wird, dass etwas geschehensoll. Die Organisation (oder Teile der Organisation) wird sichbewusst, dass sie, um weiter auf gute Weise bestehen zu kön-nen, eine Veränderung herbeiführen sollte. Es kann sich sowohlum ein Nachsteuern, Optimieren oder Konkretisieren vonbereits Vorhandenem als auch um eine vollständige Neuent-wicklung handeln. Nach der Identifizierung des Handlungs-bedarfs werden erste Ideen, wie die Veränderung aussehenkönnte, lebendig. Manchmal entsteht so etwas wie eine gemein-same Vision, eine positive Vorstellung vom Zustand der Orga-nisation nach der Veränderung. Manchmal handelt es sich auchlediglich um gute Ideen oder konkrete Überlegungen zu Verbes-serungen.

In einer Stiftung kann sich ein Handlungsbedarf in diesem Sinneauf sehr unterschiedlichen Feldern zeigen. Es kann Veränderun-gen in der Gruppe der Großspender geben, die Formen derÖffentlichkeitsarbeit müssen aktualisiert werden, die Buchhal-tung wird umgestellt oder aber die Kultur der internen Zusam-menarbeit soll verbessert werden.

Phase 1: Auftauen / Auflockern, original: Unfreezing

Diese erste Phase bereitet die Veränderung vor. Es geht darum,eine Diagnose des Ist-Zustandes zu machen und den Soll-Zu-stand zu definieren. Die Festlegung des Soll-Zustandes ist einezentrale Aufgabe, denn wenn es kein gemeinsames Bild davongibt, was mit diesem Prozess erreicht werden soll, könnenAbsprachen und Verständigungen zu Stolperfallen oder kräfte-und nervenzehrenden Disputen werden. Wir sprechen in die-sem Zusammenhang von einem Zielbild oder Zielfoto, dasfesthält, wie der angestrebte Zustand aussehen soll. (Siehehierzu auch die Ausführungen zu einem Lösungsraum, der dieHalte- und Veränderungskräfte integriert, in 8.2.1)

In der Phase 1 wird außerdem die Struktur für das Changepro-jekt gebaut. Die Verantwortlichkeiten (Lenkungsgruppe, Pro-

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jektleitung, Projektteam, usw.) werden ebenso definiert wieein Zeitplan. Nach der Festlegung des Zieles werden Konzepteund Maßnahmen für den Weg zum Ziel entwickelt, das Projektwird in mehrere Teilprojekte untergliedert und auch dafür wer-den Verantwortlichkeiten festgelegt. Außerdem werden dieMeilensteine auf diesem Weg bzgl. Inhalt und Termin defi-niert. Das alles dient der Orientierung für eine mögliche Phaseder Unsicherheit.

Ein Bereich in Veränderungsprojekten wird häufig unter-schätzt: Der Entwurf eines Kommunikationskonzepts nachinnen und nach außen. Die organisations- und projektadäqua-ten Antworten auf Fragen nach der Informations- und Kom-munikationskaskade, nach der Beteiligung der Betroffenen,nach der Granularität der Informationseinheiten und nacheinem guten Timing können für ein Changeprojekt erfolgsent-scheidend sein. Anhand der Optionen, die das Kommunikati-onskonzept zur Verfügung stellt, wird deutlich wie viel Wert-schätzung den unterschiedlichen Personengruppen geben wirdund wie stark man daran interessiert ist, ihre Einschätzungenzu hören und in die Veränderung zu integrieren. Hierbei ist eswichtig zu unterschieden zwischen hören und bedenken undmitbestimmen und entscheiden.

Phase 2: Ver�ndern / Umsetzung neuer Strukturen, origi-nal: Moving

Dies ist die Phase des Hinübergleitens in den neuen Zustand.Hier geschieht die operative Veränderungsarbeit. Für unbe-darfte Beobachter fängt jetzt erst die Arbeit an. Das ist abereben nicht wahr, sondern die ersten beiden Phasen legen dasFundament für die reibungslose Abwicklung der zweiten unddritten Phase. Bis hierhin ist also mehr als die Hälfte derArbeit getan.

Der Umbau findet oft an verschiedenen Baustellen parallelstatt. Anspruchsvoll sind die Schnittstellen zwischen verschie-denen Teilprojekten, wenn es um Abstimmungen bzgl. Inhalt,Terminierung und Zuständigkeiten geht. Hierfür sind in der

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Phase 1 die Meilensteine festgelegt worden, die einerseits dieRegeln kontrollieren und andererseits zur Vergewisserung bei-tragen, ob sich die Situation verändert hat und man gemeinsamneue Vereinbarungen treffen sollte.

In dieser Phase werden neue Rollen, die sich aus der Planungergeben haben, mit Leben gefüllt, andere Rollen werden erwei-tert und eingeschränkt. Es zeigt sich, ob es gelingt, die betroffe-nen Menschen in die Veränderung einzubeziehen. Meistensgeht das nicht von selbst. Die Verhaltensänderung braucht eineUnterstützung, seien es vermehrte Mitarbeitergespräche, kolle-giale Unterstützung, Trainings zum Erwerb neuer Kenntnisseoder auch eine professionell begleitete Teamentwicklung. AlsKatalysatoren in größeren Organisationsentwicklungsmaßnah-men haben sich Schulungen oder Workshops für Führungskräftebewährt, die dafür sorgen, dass die Veränderung von den Ver-antwortlichen mit einer gemeinsamen Ausrichtung und einergemeinsamen Haltung gestaltet wird. Das System kann sich nurändern, wenn sich die Menschen ändern und die Veränderungim Verhalten miteinander braucht eine Widerspiegelung imSystem sonst werden die Menschen schnell wieder im altenFahrwasser schwimmen.

Diese Phase verläuft selten störungsfrei. Auch wenn die Pla-nung glatt und solide erscheint, tauchen bei der UmsetzungSchwierigkeiten auf, die im Vorfeld nicht berücksichtigt wor-den sind, ob nun Termine nicht eingehalten werden könnenoder die neue Software nicht funktioniert. In aller Regel ent-wickelt sich auch das Ausmaß der Zustimmung und Identifi-zierung der Systemmitglieder mit dem Prozess nicht im glei-chen Tempo wie der strukturelle Umbau. Ein erfolgreichesProjektteam ist darauf vorbereitet und hat die Zeit eingeplantauch das Unerwartete zu integrieren.

Phase 3: Konsolidierung, original: Freezing

Die dritte und letzte Phase schließt sich oft kaum merklich andie zweite an. Die Veränderung „verfestigt sich“, die neuenStrukturen, Abläufe, Haltungen werden in der Organisation

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etabliert und gelebt. Hier ist die Notwendigkeit, die einzelnenMaßnahmen des Projektes zu erproben und damit erstmal „ein-zufrieren“. Wenn diese Phase nicht stabil gehalten wird, habendie Mitarbeitenden das Gefühl der dauernden Veränderungund sie kommen nicht mehr zur Ruhe oder nehmen die Ent-wicklungsnotwendigkeiten nicht mehr ernst (Man hört dannden Spruch: „Jetzt wird die nächste Sau durchs Dort getrie-ben.“). Veränderungen können dann nicht angemessen in denAlltag integriert werden und nicht selten bleibt dann auch dererwartete Erfolg auf der Strecke. Gleichzeitig ist es wichtig,den Zeitpunkt für die Evaluation fest zu legen. Das ist das Sig-nal, dass die auftretenden Probleme ernst genommen werdenund eine überlegte und aufeinander bezogene Lösung dannerarbeitet wird. Hierbei kann sowohl nachgesteuert als auchkräftig korrigiert werden.

Außerdem ist es wichtig einen „endgültigen“ Abschluss-Terminzu setzen, der das Ende dieses Projektes und damit der Verände-rung markiert. Das kann eine Sitzung sein, eine Konferenz, eineVeröffentlichung – wir empfehlen, den Abschluss außerdem miteinem Fest zu begehen als Dank für die Mühen und als Aus-druck der Freude über den erreichten Erfolg. Insbesonderewenn unterschiedliche Veränderungsprozesse zeitgleich in einerOrganisation vorangetrieben werden, ist dieser Abschluss jedeseinzelnen Projektes wichtig. Je mehr Bewegungen gleichzeitigpassieren, umso wichtiger ist ein deutlicher Abschlusspunkt,damit nicht zu viele „lose Fäden“ hängen bleiben.

Diese letzte Projektphase wird in dem Wissen gestaltet, dassdies keinesfalls das letzte Veränderungsprojekt der Organisa-tion war und dass vermutlich auch dieses Projekt noch weitererKorrekturen oder Ergänzungen bedarf: „nach dem Change istvor dem Change“ (s. hierzu auch die Aussage am Anfang:„Veränderungen gehören zur Lebendigkeit eines Systems“).

Wenn es nun darum geht, eine Organisation in eine Verände-rung zu führen, ist es sicherlich gut und wichtig, einen Projekt-plan aufzustellen und ihn Schritt für Schritt abzuarbeiten. Wersich jedoch einzig darauf konzentriert, wird die Menschen, die

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die Veränderung umsetzen und leben sollen, nicht mitnehmenkönnen. In der Begleitung von Veränderungen in einer Organi-sation orientieren wir uns an den drei Workstreams: connect –drive – enable, die die Handlungsstränge eines Prozessesstrukturieren.

Drive steht hier für den Projektplan und dafür, dass ein Prozessvorwärts getrieben werde muss. Dieser Workstream erfasst daskonkrete Management des Prozesses: Hier werden Start undImplementierung der Veränderung konzipiert, es geht darum,Tempo aufzunehmen und es im Laufe des Prozesses angemes-sen zu regulieren. Kurz: beim Drive geht es darum, alle organi-satorischen und strukturellen Themen zu gestalten und zu steu-ern, die dazu beitragen, die gewünschten Ergebnisse zu erzielen.

In den Workstream Connect fallen Handlungen und Maßnah-men, die dazu beitragen, die am Veränderungsprozess beteilig-ten Personen miteinander und mit dem Projekt in Verbindungzu bringen. Hierzu gehört, die Visionen und Strategien zu ver-mitteln, Kommunikation herzustellen, auch neue Formen derKommunikation und Information auszuprobieren. Es werdenMenschen eingebunden und Wege der Partizipation und Teil-habe entwickelt.

Der Workstream Enable beschreibt die Maßnahmen, die dieVerantwortlichen und die Mitarbeitenden in die Lage verset-zen, ihre individuelle Performance auch unter Veränderungs-bedingungen zu erhalten bzw. möglichst zu erhöhen. Nebender Vermittlung bestimmter Fertigkeiten gehört dazu die Ent-wicklung einer Kultur, die Veränderungen und Wachstum auf-nimmt und trägt.

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8.2.4 Aufbau einer lernenden Organisa-tion / einer Lernkultur

Eine Organisation, ein System, das lernen kann – wer würdesich das nicht wünschen? Tatsächlich gibt es Maßnahmen undRahmenbedingungen, die dazu beitragen, dass eine Organisa-tion einen Modus entwickelt, in dem sie die Strukturen undVerhaltensweisen, die sie stärken, wachsen lässt und die Struk-turen, die sie einschränken, reduziert.

Das Kunstwort VUCA beschreibt auf anschauliche Weise, wiedie Welt sich verändert hat und wie Organisationen sie erleben.

V steht für Volatility/ Volatilität

U steht für Uncertainty/ Unsicherheit

C steht für Complexity/ Komplexität

A steht für Ambiguity/ Ambiguität/ Mehrdeutigkeit.

Auslöser sind Druck durch Beschleunigung und eine erhöhteVeränderungsfrequenz, die Widersprüchlichkeit von Experten-wissen, mehrschichtige Strukturen und Prozesse, sich wider-sprechende Werte sowie die Untrennbarkeit von Sachwissenund Werteorientierung. Die individuellen Reaktionen daraufsind unterschiedlich: vom Gefühl des Kontrollverlusts und derÜberforderung über zunehmende Instabilität in Entscheidun-gen bis zu Versuchen, mit Analysemethoden und Datenerfas-sung Kontrolle zurückzugewinnen,

Am Ende liegen die Lösungen ganz woanders. Wenn im Klei-nen nicht mehr gesteuert werden kann, muss man den Blickfür das Größere weiten: man braucht eine Vision und ein Ziel,genug Abstand, um in der Komplexität (Verhaltens- oderSteuerungs-)Muster zu erkennen und den Mut, sich auf diesezu beziehen. Wer Interdependenzen schätzen und Transparenzzulassen kann, kann einen Schritt in Richtung Partizipationund geteilter Verantwortung gehen. – Lauter Möglichkeitendes Umgangs mit der VUCA-Welt, die auf die Chancen hin-weisen, die eine lernende Organisation bietet.

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Auf Organisationen bezogen verstehen wir unter Lernen dieFähigkeit, auf innere und äußere Reize angemessen und kons-truktiv zu reagieren. Konstruktiv meint hier den besten Fall,nämlich lernen auf eine Weise, die die Stärken der Organisa-tion zum Tragen kommen lässt (s. Systemqualitäten). Und dawir „Organisation“ nicht ohne die Menschen innerhalb derOrganisation denken können, sind es natürlich sie, die das Ler-nen vorantreiben. Es geht darum, Informationen aufzunehmen,sie zu interpretieren und Konsequenzen daraus abzuleiten.

Fakt ist, dass nur ein System, das lernen kann und esregelmäßig – auch ohne größere Krisen oder problemhafteAnstöße – tut, zukunftsfähig ist. Im Folgenden stellen wir einigeRahmenbedingungen vor, die es einer Organisation erleichtern,ihr permanentes Lernen weiterzuentwickeln und abzusichern.

Diversity ermçglichen und leben

Die Fähigkeit, Unterschiedlichkeit nebeneinander bestehen zulassen und aus den entstehenden Spannungsfeldern Nutzen zuziehen, scheint ein entscheidendes Kriterium für lernendeOrganisationen zu sein. Die Unterschiedlichkeit bezieht sichauf nahezu alle denkbaren Felder, in denen sich die Organisati-onsmitglieder unterscheiden: Alter, Geschlecht, Ausbildung,Herkunft, Familienstand etc. Verschiedene Personen bringenverschiedene Zugänge zu den zentralen Themen einer Stiftungmit, die eine geht eher kognitiv an Themen heran, der andereeher intuitiv, ein dritter benutzt einen analytischen Zugang, dievierte arbeitet mit einem konkreten Zukunftsbild. Wenn sichverschiedene Zugänge und Denkweisen verbinden lassen,kann etwas gutes Neues entstehen.

Es kann auch sehr fruchtbar sein, die Impulse von Personen, dienicht unmittelbare Mitarbeiter der Stiftung sind, zu integrierenund in Entwicklungsprozesse aufzunehmen, z.B. Spender, Koope-rationspartner, Zielgruppen. Gerade wer nicht unmittelbar mit derStiftungsarbeit zu tun hat und eine Außenperspektive einbringt,kann mit seinen Informationen und Hinweisen die blinden Fle-cken der Organisationsmitglieder verkleinern.

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Diversity zu leben bedeutet, unterschiedliche Fähigkeiten zurVerfügung zu haben, sie wertzuschätzen und zu nutzen.

Mitdenken aller und Teilen von Wissen

Es ist sicher gut, wenn in einer Organisation kluge Köpfe an derSpitze stehen. Doch es ist zu kurz gegriffen, wenn man meint,dass die anderen Köpfe nicht ebenfalls klug sind und mit ihrenIdeen und Gedanken zur Weiterentwicklung beitragen können.Eine lernende Organisation pflegt eine Kultur, in der alle Mit-arbeiter gehört werden. Sie entwickelt Formen zum regelmäßi-gen Austausch und zum kreativen Denken. Es werden Kreativi-tätsrunden quer zur Hierarchie genutzt, um in einen kons-truktiven Austausch und konkrete Weiterentwicklung zukommen. Sie informiert über Vorhaben und ermuntert zum Mit-und Weiterdenken. Egal, aus welcher Ebene oder aus welcherAbteilung Vorschläge eingebracht werden, wenn sie „passen“,werden sie auch genutzt, nach dem Motto: Einer guten Idee istes egal, wem sie gehört.

Auch gemeinsame Lernrunden, in denen es darum geht, sichInhalte neu zu erschließen oder aber bekannte Inhalte quer-zubürsten und anders verfügbar zu machen, sind bewährte For-men des gemeinsamen Lernens.

Es ist sinnvoll, verschiedene Lernrituale und Lernrhythmenauszuprobieren und Formate zu entwickeln, die zu der Organi-sationspersönlichkeit passen. Ebenso lohnt es sich, gelegent-lich neue Formen zu entwickeln, um durch wechselnde Set-tings immer neue Veränderungsimpulse zu setzen. Der BegriffShare-it-ies bezeichnet dabei genau die Haltung, die zu einemsolchen Austausch gehört: es geht darum, Wissen und Erfah-rungen zu teilen, sich gegenseitig zu unterstützen, voneinanderzu lernen und gemeinsam weiterzudenken um Neues entstehenzu lassen.

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Vorhandenes Wissen nutzen

In fast allen Organisationen gibt es Wissensquellen, die nichtoder nur unzureichend genutzt werden. Angefangen bei

• den Archiven, die immer wieder für neue und unerwarteteErkenntnisse gut sind, über

• individuelle Interessen einzelner Mitarbeiter, ihre Beobach-tungen und Erkenntnisse, die sie einfach aufgrund ihrerZugehörigkeit zur Stiftung generiert haben,

• Erfahrungswissen, wie die „Dinge laufen“,

• Modelle und Vorschläge, die in irgendwelchen Schubladenruhen, oder auch

• individuelle Erklärungsmodelle dafür, dass die Dinge, Pro-zesse oder Abläufe so sind wie sie sind.

Diese verschiedenen Zugänge gilt es abzufragen und einzelnzu bewerten, um sie im Sinne einer lernenden Organisationnutzbar zu machen.

Innehalten

Wir haben weiter oben schon den Begriff VUCA eingeführt,der auf die Schnelllebigkeit und Unberechenbarkeit der heuti-gen (Arbeits-)Welt hinweist. Um sich selbst und die Organisa-tion, für die man verantwortlich ist, in einen Reflexionsmoduszu versetzen, gibt es eigentlich nur ein probates Mittel: Inne-halten. Wer nicht nur getrieben sein will, muss sich – zumin-dest gelegentlich – nach außen ziehen, sich einen Raum außer-halb oder am Rande der Aktivität suchen, um von dort aus sichneu zu orientieren, den Blick zu weiten und die Dinge neu undvielleicht auch anders einzuschätzen.

Bei aller Aktivität und allem Tun darf diese andere Seite nichtvergessen werden. Eine Lernende Organisation setzt sichbewusst Gelegenheiten zum Innehalten und gemeinsamenReflektieren: Ist das, was wir tun und wie wir es tun tatsäch-lich unserem Ziel und unserem Auftrag förderlich? Sollten wir

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uns anderen Themen zuwenden oder unsere Schwerpunkteverändern? Müssen wir evtl. andere unserer Systemqualitätenstärker zum Tragen bringen?

Wenn die Mitglieder einer Organisation eine gemeinsame Vor-stellung von Zielen und Strategien haben, können sie ihre Ent-scheidungen und Handlungen entsprechend ausrichten undbesser zu guten Ergebnissen beitragen.

Diese Lernkultur sollte insbesondere auch auf die nach außengerichteten Aktivitäten der Stiftung angewandt werden umimmer wieder die Wirkungsorientierung sicher zu stellen unddie berüchtigte „Nabelschau“ in Grenzen zu halten, z.B. Suchenach (unüblichen, „verrückten“) Kooperationspartnern, Ent-wicklung neuer Anwendungen der Stiftungsidee, Erprobungneuer Zugänge zu möglichen Spendern und der Öffentlichkeit,Aufbau neuer Formen zur Integration von Stakeholdern auf-bauen.

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8.2.5 Energie und Macht-Balance – Grund-lage f�r den Erfolg

Ein weiterer Zugang/eine weitere Brille um eine Organisationzu entwickeln ist die Verbesserung der Balance in ihren Struk-turen, Arbeitsweisen und Entscheidungsformen.

Hierbei unterscheiden wir drei Machtqualitäten, die in jederOrganisation vertreten sind.

• Die Sinnmacht

Was ist unsere Aufgabe in der Welt? Was sind unsere quali-tativen Ziele? Wofür lohnt es sich morgens am Arbeitsplatzzu erscheinen auch wenn es gerade nicht so interessant ist?Was motiviert uns langfristig?

• Die Gestaltungsmacht

Wie setzen wir das Projekt um? Wie formulieren wir unserequantitativen Ziele? Habe ich einen ausreichend großen undüberschaubaren Freiraum für mein Arbeitsfeld? Kann ichErfolg und Misserfolg auf meine Arbeitsleistung zurückfüh-ren?

• Die Kontrollmacht

Wissen wir, was erfolgreich war und was nicht und warum?Können wir aus unseren Fehlern lernen? Haben wir ein aus-reichend differenziertes und gepflegtes Controlling-Sys-tem?

Jede der drei Machtqualitäten muss eindeutig besetzt sein undsollte weder zu stark noch zu schwach ausgeprägt sein. Dannkann ein kontinuierlicher sich stabilisierender, rundlaufenderProzess entstehen, der Strategiediskussionen, Jahresplanungen,Projektentwicklungen, Projektauswertungen, Problem-Lösungs-Prozesse, Jahresbilanzen (qualitativ und quantitativ), und wie-der Strategiediskussionen miteinander verbindet.

Das ist insbesondere heute, unter den New Work Bedingungenund dem volatilen Wirtschafts- und Umweltumfeld, in denen

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wir uns zurechtfinden müssen, eine Herausforderung. Wir brau-chen einen Sinn für unser Tun, auch wenn das was heute sinn-voll erscheint sich morgen als längst nicht so sinnvoll heraus-stellt. Wir müssen lernen mit sich immer wieder veränderndenGestaltungsräumen umzugehen, egal ob sie durch überängst-liche Vorgesetzte oder sich rabiat verändernde Umweltbedin-gungen ergeben. Ebenso ist es wichtig zu kontrollieren und aus-zuwerten, um zu planen und Strategien zu entwickeln. Undgleichzeitig wissen wir, dass die Welt sich so schnell verändertund Unvorhersehbares passieren kann. Wir können nur „aufSicht fahren“ und jeder Plan ist nur eine Idee wie es werdenkönnte, wenn wir uns „anstrengen“ aber eben auch nicht mehrals eine Momentaufnahme.

Die drei Machtqualit�ten jeder Organisation

Im Folgenden werden wir einige Anregungen zusammentra-gen, wie die Balance und die gegenseitige Stützung dieser ver-schiedenen Machtqualitäten erreicht und gesichert werdenkann, auch gerade in den vorher beschriebenen herausfordern-den Zeiten, weil besonders dann ein bewusster Umgang mitdiesen drei Machtqualitäten gebraucht wird um Hybris, Über-reaktionen und Vereinzelung zu vermeiden.

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Die Sinnmacht sollte klar besetzt sein von einem Gremium,das diese Qualität im Auge hat und nach größer angelegtenDiskussionsprozessen eine klare Entscheidung sicherstellt.Hier sitzt der Gründer, hier sitzt das Stiftungs-Kuratorium.Non-Profit-Organisationen (wir retten die Wale und die Welt)haben es hier leichter als Profit-Organisationen (wir bauen diebesten Autos). Stiftungen haben über die Stiftungsidee hierschon eine Besetzung, allerdings gibt es Stiftungen, die sichauf dieser Grundlage ausruhen, statt diesen Vorteil zu nutzen,um ihn immer weiter zu entwickeln und in Bezug zur gesell-schaftlichen Entwicklung neu auszurichten. Andere haben einregelrechtes Tabu entwickelt, um die Stiftungsidee und dieStifterin zu schützen. An der Schnittstelle zur Gestaltungs-macht ist es wichtig, nicht nur qualitative Ziele, sondern auchquantitative Ziele zu definieren, damit der Rahmen und dieErwartungen auf beiden Ebenen beschrieben sind.

Auch wenn die Sinnmacht von einem überschaubaren Gre-mium vertreten wird, so sollte die Sinndiskussion nicht nurin diesem Kreis geführt werden, sondern breit angelegt alle5-7 Jahre die Mitarbeitenden, die Förderer, die Begleiter usw.integrieren. Solche Diskussionsprozesse können die Qualitätder Ausrichtung und die Motivation aller Beteiligten stärken.So wird verhindert, dass indirekt – oder auch gegeneinander –über die Gestaltungmacht (Projekte, Arbeitszeitverteilungen)die Strategie im Alltag entworfen wird. Diese breit angelegteDiskussion, die gerade in diesen Zeiten auch durch externeExperten bereichert werden sollte gibt den Mitarbeitenden beialler Unsicherheit das Gefühl „wir versuchen gemeinsam sinn-volle Arbeit zu machen und bei allen ? die wir haben sind wirredlich und aufgeschlossen in diesem Bemühen“. Hier geht esexplizit nicht um die Hochglanzbroschüre, die heute sowiesokeiner mehr glaubt, sondern um die offene Diskussion, dassuchende Gespräch und zum Abschluss eine Orientierung, dieaus dem Stiftungsrat/Vorstand/Kuratorium gegeben wird alsgemeinsame Orientierung im Suchprozess und nicht als „Glau-benssatz“ der die Welt erklärt.

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Die Gestaltungsmacht kann bei Stiftungen auch nach außenan Antragsteller (?) weitergegeben werden. Hier ist es wichtig,den Rahmen für Gestaltungsmöglichkeiten klar zu beschreibenund Formen zu entwickeln, wie gemeinsam gelernt werdenkann und nicht Pseudo-Erfolge kreiert werden. Gestaltungs-macht braucht aber auch darüber hinaus jeder Mitarbeiter,indem er einen Entscheidungsraum hat, der seinen Fähigkeitenentspricht. Gerade wenn sich im Umfeld alles schneller ver-ändert und bewegt ist es wichtig den eigenen Mitarbeitern hierden Rahmen nicht zu eng zu setzen, sondern mit einer klarenAusrichtung (siehe oben Sinnmacht) und mit Vertrauen einenSpielraum mit beweglichen Rändern zu geben.

Die Kontrollmacht ist in größeren Organisationen wichtiger, dadas direkte Erleben nicht mehr als Bewertungs- und Kontrollsys-tem ausreicht. Stiftungen sind einer besonderen rechtlichen undökonomischen Kontrolle durch den Staat unterworfen. Sie soll-ten aber nicht den Fehler machen, die eigene Qualitätskontrolledamit zu vernachlässigen. Hier sind Profit-Organisationen –auch aufgrund ihrer quantitativen Ziele – häufig sehr weitvoraus.

Die Balance macht es! Jede Person und jede Organisation hatStärken (Lieblingsthemen, in denen ich mich vergraben kann,damit ich die anderen nicht angehen muss) und Schwächen,die es gilt sich bewusst zu machen. Zur Balance gehört es,immer wieder nachzujustieren und sich nie sicher zu fühlen,dass alles stimmt.

Insofern sind eine regelmäßige Strategieentwicklung, Projektemit einem interessanten Gestaltungsspielraum, jährliche Aus-wertungen der Arbeit und der Finanzen wichtige Teile derOrganisationsentwicklung und die Grundlage für eine gutbalancierte Alltagsarbeit z. B. im Fundraising und den Investi-tionsentscheidungen einer Stiftung.

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8.2.6 F�nf Wege, den Karren an die Wandzu fahren – und wie man ihn wiederins Laufen bringt

Wir haben ihnen jetzt einige Ideen an die Hand gegeben, wieSie sich hoffentlich ein gutes Bild über Ihre Stiftung machenkönnen und Sie werden sich vielleicht auch schon einigesüberlegt haben wie und wo Sie jetzt Hand anlegen wollen.Was immer sie jetzt beginnen wollen wir haben hier ein paarMöglichkeiten zusammen getragen, wie Sie sich sehr bemühenkönnen und es trotzdem optimal falsch machen.

Wir hoffen Sie können die humorvolle Seite dieser „Ab-schlussfaustregeln“ genießen.

• Der Stiftungsgründer ist hoch engagiert. Er überlegt imDetail mit, wie jede einzelne Kampagne gemacht werdensoll. Er liest kluge Aufsätze über Organisationsentwicklungund macht sich an den Wochenenden Gedanken wie er seineStiftung organisatorisch neu aufstellt. Am Ende seiner inten-siven Überlegungen hat er auf einem 7 Seiten Papier seineIdeen nieder geschrieben, die er dann stolz seiner Geschäfts-führerin vorlegt, damit sie auch ihre Anregungen noch ein-bringen kann. Er ist sehr enttäuscht, dass sie nicht begeistertauf seine Ideen eingeht, sondern nur Bedenken vorbringt.

Denkbare Bewegungsidee: Der Stifter bekommt zufälligKontakt zu einer Beraterin. Sie kann ihm anhand des Drei-Machtqualitäten-Systems erklären, wo sein Platz ist undwie viel leichter er es sich machen könnte, wenn er seinenLeuten mehr Raum lässt. Es findet dann ein Workshop mitallen Leitungspersonen und auch noch zwei, drei Querden-kern zum Thema Weiterentwicklung der Stiftung statt, derals Ergebnis eine inhaltliche und eine prozessbezogene Vor-wärtsstrategie hat.

• Die Stiftung möchte ihre Mitarbeitenden wertschätzenund zahlt ihnen 20 % mehr Gehalt als ortsüblich. Damitbaut sie einen goldenen Käfig für die Mitarbeitenden: Siebleiben, auch wenn sie nicht mehr voll inhaltlich und per-

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sönlich mit dieser Organisation verbunden sind, es gibtkeine Fluktuation und trotzdem wird gejammert undgeschimpft über die Zumutungen des Arbeitgebers.

Denkbare Bewegungsidee: die Personalabteilung bekommtdie Aufgabe das Gehaltssystem leistungsbezogen umzustel-len (in Absprache mit der Mitarbeitenden-Vertretung) undalle drei Jahre mit jedem Mitarbeitenden ein Gespräch überseine Entwicklungschancen in der Stiftung und auch außer-halb zu führen. Es wird bewusst Kontakt zu anderen Organi-sationen gesucht, die für die eignen Mitarbeitenden alsArbeitgeber in Frage kommen.

• Die Stifterin ist ein „Gespenst“ in der Organisation undwird als moralische Instanz angeführt, um bestimmte The-men nicht kritisch besprechen zu müssen. Auf diese Weisehaben sich Tabuzonen entwickelt, die die Neuausrichtungder Stiftung verhindern und dazu führen, dass sie in ihrenAktivitäten immer irrelevanter wird.

Denkbare Bewegungsidee: In einem breit angelegten Pro-zess wird die Geschichte der Stiftung wert geschätzt undinsbesondere auch die herausragenden Leistungen der Stif-terin. Am Ende des Prozesses wird im übertragenen Sinneeine Vitrine eingerichtet mit all den Erfolgen und Pokalender Vergangenheit. Parallel wird ein Arbeitstisch eingerich-tet mit all den Materialien und Instrumenten, die sich ausder Geschichte ableiten lassen und die wir brauchen um dieAufgaben von heute und morgen an zu gehen.

• Eine alte, finanz- und traditionsreiche Stiftung wird alsFels in der Brandung wahrgenommen und nimmt sich auchselbst so wahr. Sie ist gut vernetzt und hat tragfähige Abläufezur Bewältigung der Alltagsarbeit entwickelt. Die Geschäfts-führung wird zum Neujahrsempfang des Bürgermeisters ein-geladen, kurz: sie ist gut etabliert. Doch wer genau hinschaut,erkennt, dass die Arbeit nicht mehr inspiriert ist, die Ideensind fade, man läuft Trends hinterher, steht nicht mehr an derSpitze.

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Denkbare Bewegungsidee: Es liegt schon fast auf derHand – die Mitarbeitenden dieser Stiftung müssen etwasmachen, das sie aus der „Komfortzone“ herausholt und dieLeidenschaft, die eine gute Stiftungsarbeit braucht, neubelebt. Visionsarbeit verknüpft mit überraschenden und inspi-rierenden Erlebnissen kann hier helfen. Das kann ein Ausflug,eine Besichtigung, ein Workshop oder auch ein Besuch imKlettergarten sein – Hauptsache, der Überraschungseffekt istgroß und Köpfe und Herzen beginnen, in einem anderenTempo zu arbeiten. Begeisterung für das eigene Tun und fürdas Team mit dem ich arbeite ist die wichtigste Vorausset-zung dafür, dass die Ergebnisse gut, wirkungsvoll und nach-haltig sind.

• Ein Projekt der Stiftung hat große öffentliche Resonanzerzielt. In der Sprache der Portfolio-Analyse: eine „CashCow“. Um es möglichst vollständig auszukosten und weildie Stiftung auch personell knapp besetzt ist, konzentriertsich die weitere Arbeit nun auf dieses Feld und vernachläs-sigt andere.

Denkbare Bewegungsidee: Auf Impuls der Geschäftsfüh-rung, die diese Fehlentwicklung hoffentlich als erste erkannthat, wird eine Umfeldanalyse mit einer zeitlichen Perspek-tive von mehreren Jahren gemacht. Mit breiter Beteiligungder Stiftungsmitarbeitenden wird ein Bild von der Zukunftentwickelt, das Engagement-Schwerpunkte beschreibt. JederSchwerpunkt wird hinsichtlich seiner Machbarkeit und Wirk-samkeit „abgeklopft“ und eine Prioritätenliste hinsichtlichdes zukünftigen Engagements erstellt und der Geschäftsfüh-rung zur Entscheidung vorgelegt.

Literaturhinweise

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Peter M. Senge, Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der ler-nenden Organisation. Klett-Cotta. 1990

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Robert K. Müller, betriebliche Netzwerke. Kontra Hierarchieund Bürokratie. Haufe. 1996

Andre Lampel, Der handlungstheoretische Ansatz: Die ler-nende Organisation nach Argyris / Schön. GRIN VerlagGmbH, 2010

Edgar Schein, Organizational Culture and Leadership, NewYork: Wiley, 2010

Rolf Balling, Institutionstypologien. Unveröffentlichtes Manu-skript. Weil der Stadt: Professio. 1997

Eckard König, Gerda Volmer, Handbuch Systemische Organi-sationsberatung, Weinheim und Basel, 2008

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