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QUER DURCH KÖLN QUER DURCH KÖLN * Platzierung im Vergleich aller 86 Kölner Stadtteile „Insel der Glückseligen“ für Bewohner Die Vogelsanger sind den örtlichen Traditionen und ihrem Veedel eng verbunden – Vereine pflegen das Brauchtum VON HANS-WILLI HERMANS Da hatte Anton Bausinger „seine“ Vogel- sanger wohl falsch eingeschätzt. Als der Gründer des Landschafts- und Gewerbe- parks Triotop ganz im Süden des Stadt- teils einen 111 Meter hohen Kletterturm für Freizeitsportler errichten wollte, lie- fen die Bewohner des Veedels Sturm. Wo sollten denn all die Kletterfreunde ihre Wagen abstellen, doch wohl nicht in ihren Wohnstraßen? Dann der Lärm – und man- chemVogelsanger mag auch der Gedanke nicht behagt haben, dass ihn künftig som- mers jemand beim Grillen im heimischen Garten beobachten könnte. So wurde die Politik eingeschaltet, Bau- singer legte Kompromissvorschläge vor, am Ende blies der Bauunternehmer das Projekt resigniert ab. Der Vogelsanger an sich ist eben recht zufrieden damit, auf ei- ner „Insel der Seligen“ zu leben, die kaum je ein Fremder betritt. Zu viele Großver- anstaltungen und Attraktionen, die Besu- cher anlocken könnten – das braucht er nicht zum Glücklichsein. „Wir sind schon so eine Art gallisches Dorf, der Stadtteil ist an drei Seiten von Gleisen umgeben – der HGK-Linie sowie den Bahn-Strecken Köln-Aachen und Köln-Mönchengladbach“, sagt Ulrich Strobl, stellvertretender Vorsitzender der Bürgervereinigung Vogelsang. „Man kann nur über drei Straßen nach Vogel- sang einfahren, und dann gibt’s noch zwei oder drei Radwege.“ Sobald man sich ein- mal an die Geräusche des Bahnverkehrs gewöhnt hat, herrscht hier tatsächlich eine beinahe paradiesische Ruhe. Spätestens seit Mitte der 80er Jahre die Zufahrten von der Militärringstraße zum Goldam- merweg und zur Vogelsanger Straße ge- sperrt wurden. Bürger hatten sich über Staus und Schleichverkehr beschwert. Doch nun droht neues Ungemach, und wieder kommt es „vom Wassermann“, wie die Vogelsanger das Gewerbegebiet im Süden immer noch nach dessen Grün- der nennen: Vom 21. August an möchte ein Veranstalter an der Halle Tor 2 drei Open-Air-Konzerte mit Amy Macdonald, Adel Tawil und Santiano durchführen, 6000 Steh- und Sitzplätze sind vorgese- hen. „Die Bühne ist nur ungefähr 200 Me- ter von der Wohnbebauung weg“, so Klaus Quadflieg, Vorsitzender der Bür- gervereinigung. Immerhin ist das Gewerbegebiet mit seinen Party- und Event-Locations durch einen Grünbereich mit See, den Resten ei- nes Baggersees, von den Wohnstraßen weiter nördlich getrennt. Eine direkte Straßenverbindung existiert nicht, zu Fuß geht’s über einen von dornigem Gestrüpp gesäumten Trampelpfad. „Je mehr Dor- nen, desto besser“, meint Quadflieg, da lasse sich auch der Lärm von „zigtausend Fröschen“ im Wassermannsee leicht er- tragen. So bleiben die großzügig geschnittenen Grundstücke von den Auswüchsen urba- nen Nachtlebens verschont. Die Gärten der Einfamilienhäuser sind so groß, weil sie einst der Selbstversorgung der Bewoh- ner dienten. „Deshalb bleiben auch so vie- le Vogelsanger hier, wenn sie selbst eine Familie gründen“, erzählt Strobl: „Man baut einfach ans Haus der Eltern an oder gleich ein eigenes Haus auf deren Grund- stück.“ Das fördert die Traditionsverbun- denheit: „Für Leute, die schon in der drit- ten Generation hier leben, sind wir immer noch Neu-Vogelsanger“, sagt Strobl schmunzelnd. Wie Quadflieg ist er als Kind in den 60er Jahren mit seinen Eltern hergezogen. Im Kern dörflich wirkt auch das Frei- zeitangebot. Eine Ausnahme bildet seit 2010 der Mailauf der Bürgervereinigung, zu dem bis zu 700 Sportler anreisen. An- sonsten pflegen die Vogelsanger beim Kappesrollen oder Adventssingen, beim Siedlerfest, dem Neujahrsempfang oder der Comedy-Gala vorwiegend ihre gut- nachbarschaftlichen Beziehungen. Gefei- ert wird im Pfarrsaal von St. Konrad oder auf dem Vogelsanger Markt im ältesten Ortsteil. Die Vereine halten das Brauch- tum ebenfalls in Ehren: in der Siedlerge- meinschaft, im Männerchor und im Lum- penclub etwa, und natürlich beim Sport. Eine echte Jugendeinrichtung gibt’s zwar nicht, aber die jungen Vogelsanger sind häufig bei den Pfadfindern oder den Messdienern aktiv. Doch einige Bewohner sind mit diesen Angeboten nicht zu erreichen. Die Men- schen etwa, die zu Beginn des Jahrtau- sends in die neuen Einfamilienhäuser und Wohnungen von „Vogelsang-Nord“ um Silbermöwenweg und Strandläuferweg einzogen. „Die Bürgervereinigung hat ei- ne Zeit lang eigens einen Maimarkt in der Nähe veranstaltet, aber kaum jemand hat sich da sehen lassen“, sagt Strobl. Den fehlenden Kontakt zwischen den Ortsteilen beklagt auch Christa Potschke. Wie Ulrich Strobl lebt sie seit den 60er Jahren in „Neu-Vogelsang“, aber auf der anderen Seite des Goldammerwegs – nicht in den Einfamilienhäusern also, sondern in einem der mehrgeschossigen Mietshäuser.Von dort ist es überraschend weit bisAlt-Vogelsang. „Vor einem Jahr war ich zum ersten Mal im Zwitscher- häuschen“, erzählt die 86-Jährige von ei- nem Besuch in der Traditionsgaststätte am Vogelsanger Markt. „Und die Leute, die dort leben, lassen sich hier nicht bli- cken, es gibt keinen Treffpunkt im Stadt- teil“, sagt Potschke. Sie selbst besucht die Veranstaltungen des Seniorennetzwerks wie den Strickclub, das Selbstbehaup- tungstraining, das Lesecafé und den Floh- markt, die sich meist an die ältere Genera- tion richten. Das Seniorennetzwerk ist im Goldam- merweg 28 untergebracht, wo sich früher einmal dasVogelsanger Einkaufszentrum mit Supermarkt, Metzgerei, Bäckerei, Spielzeuggeschäft, Blumenladen und ei- ner Gaststätte befand. Nur noch traurige Reste sind übrig geblieben, selbst die Händler des Wochenmarkts kommen nicht mehr her – seit an derVenloer Straße die großen Märkte eröffneten, lohnt das Geschäft nicht mehr. Das betrifft auch Alt-Vogelsang, aber dort kann man we- nigstens noch das Nötigste im „Multi- Shop“ einkaufen. Alle Vogelsanger sind unzufrieden mit diesem Zustand – und dann fahren sie doch wieder zur Venloer Straße. „Das große Angebot lockt eben“, meint Petra Gräff. Die Koordinatorin des Senio- rennetzwerks hatte im September 2014 mit viel Unterstützung von allen Seiten einen Genossenschaftsladen am Goldam- merweg eröffnet, in einem Café nebenan fanden Lesungen, Ausstellungen, Film- vorführungen statt. Die Auswahl im La- den war beachtlich und wurde Menschen mit unterschiedlichen finanziellen Mög- lichkeiten gerecht. Doch die Kunden blieben aus – im De- zember 2016 musste die „Goldammer“ Insolvenz anmelden. „Zusammen mit dem Café hätte es ein Ort werden können, an dem sich die verschiedenen Gruppen begegnen“, so Gräff. Das Scheitern hatte auch Auswirkungen auf das Senioren- netzwerk: „Gerade die stark Engagierten waren natürlich enttäuscht und haben sich zurückgezogen.“ Doch der Wiederaufbau des Netzwerks sei geschafft, so Gräff. Und auf dem alten Kirmesplatz am Aka- zienweg zeigten sich zarte Pflänzchen moderner Urbanität: Dort hat die Ge- meinschaftsgarten-Initiative „Fink“ ihre Pflanzbeete aufgebaut. A m Anfang war der Baggersee: Im Jahre 1926 erwarb der Unterneh- mer Friedrich Wassermann ein 28 Hektar großes Grund- stück im Westen der Stadt und errichtete ein modernes Sand- und Kieswerk. Etwas weiter nördlich star- tete 1932 ein Experiment mit neuem Siedlungstyp: In Stadtrandsiedlun- gen sollten vorwiegend Erwerbslose einziehen und sich auf großen Grundstücken mit Obst- und Gemü- segärten sowie Kleintierzucht selbst versorgen. Vogelsang hieß die neue Siedlung, die engen Straßen Gelb- spötterweg, Kuckucksweg, Dohlen- weg oder Buchfinkenweg. Die Nazis ergänzten Geschosswohnungsbau- ten, 1937 wurden St. Konrad ge- weiht und das Zwitscherhäuschen eröffnet. Die Auskiesungen im Süden endeten Mitte der 70er Jahre. Da war „Neu-Vogelsang“ schon gebaut, ab 2000 kam „Vogel- sang-Nord“ hinzu. Zu dieser Zeit gründete Anton Bau- singer, Urenkel von Friedrich Wasser- mann, den Landschafts- und Gewer- bepark Triotop auf dem Wasser- mann-Gelände. Ganz im Norden Vo- gelsangs, auf der anderen Seite der Venloer Straße, ist es sehr ruhig: Ein Teil des Westfriedhofs gehört eben- falls zum Stadtteil. Sport kann Vogel- sang auch: Mit Dieter Koslar und Marcel Wüst brachte man zwei in- ternational erfolgreiche Radsportler hervor. I m Landschafts- und Gewerbepark wird eigentlich immer gebaut. Der- zeit entsteht dort das „Snake“-Ge- bäude, in das vom Schuljahr 2019/2020 an die ersten und zweiten Jahrgänge der neuen Lindenthaler Gesamtschule einziehen sollen. Es ist aber nur der Interimsstandort für die Schule, die in fünf Jahren einen Neubau in der Nachbarschaft am Wasseramselweg, etwas weiter nörd- lich im Triotop, bezie- hen soll. Dort startet die Gesamt- schule nach den Sommerferien in ei- nem Containerkomplex. Neben der Gesamtschule ist auch die private Aktive Schule Köln (ASK) im Triotop zu Hause. In den Wohngebieten steht ebenfalls eine recht ansehnli- che Zahl von Schulen: zwei Grund- schulen, eine Förderschule, ein Zweig des Ehrenfelder Berufskollegs sowie die Bertha-von-Suttner-Real- schule an der Kolkrabenschule. Die Gebäude der Real- schule waren schon lange marode, sie werden abgebrochen und durch Neubau- ten ersetzt. Der Un- terricht läuft derweil in Container- bauten auf dem Schulgrundstück weiter. Noch in diesem Jahr sollen die Arbeiten beendet werden. Gut ist die Ruhe inVogelsang, es ist wie in einem Dorf, man kennt die meisten Leute, die man auf der Straße trifft. Aber sonst, spätestens ab 22 Uhr, ist hier lei- der tote Hose. Man muss für alles in die Stadt fahren, denn es gibt ja keine Geschäfte mehr. Und für die Ju- gend ist auch nichts da. Sara Butz (67), Rentnerin Es gibt so viele Grünflächen hier, das ist toll. Da kann man seinen Hund ausfüh- ren, und so kommt man ins Gespräch mit anderen Menschen. Aber es herrscht auch viel Einsamkeit, viele Menschen leben alleine in ihren Wohnungen. Es fehlt leider ein Treff- punkt für die Nach- barn. Marlies Winterscheid (64), Rentnerin Man ist schnell in der Natur, gleichzeitig kommt man mit dem Bus sehr schnell nach Ehrenfeld, wenn man etwas unter- nehmen möchte. Und ich bin bei den Pfadfindern aktiv, wir unternehmen viel zusammen. Dann die Häusern mit ihren großen Gärten: Ge- nauso möchte ich le- ben. Jan-Eric Quadflieg (19), IT-Elektroniker Meine Familie und Freunde, fast alle sind in Vereinen aktiv, man kennt sich eben. Wir brauchen kein Facebook, wir treffen uns und haben Spaß, jetzt zum Beispiel beim Grillen. Kulturelle Viel- falt vermisse ich nicht, das haben wir in Ehrenfeld direkt vor derTür. Schwierig ist es wohl für Menschen, die herziehen: Wir sind schon eine eingeschworene Gemeinschaft. Claus Meyer (35), Koch Sicherheit 2,4 (X*) Einwohner: 8145 Durchschnittsalter: 44,4 Bäckereien: 3 Kneipen: 2 Kirchen: 3 Anteil Erholungsflächen: 33,3 % Geburten in 2017: 64 Pfadfinder: 130 Größe: 3,66 Quadratkilometer Veedels- Veedels- Zeugnis Zeugnis Veedels- Veedels- Zahlen Zahlen www.ksta.de/ veedelscheck ALTSTADT-NORD • ALTSTADT-SÜD • BAYENTHAL • BICKENDORF • BILDERSTÖCKCHEN • BLUMENBERG • BOCKLEMÜND/MENGENICH • BRAUNSFELD • BRÜCK • BUCHFORST • BUCHHEIM • CHORWEILER • DELLBRÜCK • DEUTZ • DÜNNWALD • EHRENFELD • EIL • ELSDORF • ENSEN • ESCH/AUWEILER • FINKENBERG • FLITTARD • FÜHLINGEN • GODORF • GREMBERGHOVEN • GRENGEL • HAHNWALD • HEIMERSDORF • HÖHENBERG • HÖHENHAUS • HOLWEIDE • HUMBOLDT/GREMBERG • IMMENDORF • JUNKERSDORF • KALK • KLETTENBERG • LANGEL • LIBUR • LIND • LINDENTHAL • LINDWEILER • LONGERICH • LÖVENICH • MARIENBURG • MAUENHEIM • MERHEIM • MERKENICH • MESCHENICH • MÜLHEIM • MÜNGERSDORF • NEUBRÜCK • NEUEHRENFELD • NEUSTADT-NORD • NEUSTADT-SÜD • NIEHL • NIPPES • OSSENDORF • OSTHEIM • PESCH • POLL • PORZ • RADERBERG • RADERTHAL • RATH/HEUMAR • RIEHL • RODENKIRCHEN • ROGGENDORF/THENHOVEN • RONDORF • SEEBERG • STAMMHEIM • SÜLZ • SÜRTH • URBACH • VINGST • VOGELSANG • VOLKHOVEN/WEILER • WAHN • WAHNHEIDE • WEIDEN • WEIDENPESCH • WEIß • WESTHOVEN • WIDDERSDORF • WORRINGEN • ZOLLSTOCK • ZÜNDORF Gebaut wird immer „amWassermann“, St. Konrad ist das Zentrum des Stadtteils, derWestfriedhof sein ruhigster Ortsteil. Über die Belvedere-Brücke kommt man nach Müngersdorf, und beim Mailauf hätte man sich ein paar Grad von der aktuellen Hitze gewünscht. Fotos: Hans-Willi Hermans Veedels- Veedels- Geschichte Geschichte Veedels- Veedels- Baustellen Baustellen Veedels- Veedels- Check Check Veedels- Veedels- Menschen Menschen Nahverkehr 3,1 Gemeinschaftsgefühl 2,6 Einkaufsmöglichkeiten 4,5 (X) Sauberkeit 2,6 Parkmöglichkeiten 2,3 Kinderfreundlichkeit 2,1 Gastronomie 4,1 In ist, wer drin ist: Für 78 % der Vogelsanger kommt ein Umzug in ein anderes Veedel nicht in Frage. Mit der Gesamtnote 2,5 lan- det das Veedel im Kölner Westen im Gesamt-Ranking auf dem 34. Platz. Besonders punkten kann Vogelsang bei der Kinderfreund- lichkeit mit einer sehr guten 2,1. Das liegt sicher an der Struktur des Veedels mit vielen Sträßchen mit Häusern, die ihre eigenen Gärten haben. Auch die Parkmöglichkeiten sind für Köln mit ei- ner 2,3 überdurchschnittlich gut. Allein zum Einkaufen müssen sich die Vogelsanger wohl aus ihrer Idylle begeben. Mit 4,5 ist diese Kategorie relativ schlecht bewertet. VOGELSANG DerVeedels-Check In der Serie „Veedel-Check“ stellen „Köl- ner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnische Rundschau“ alle 86 Kölner Stadtteile in Porträts vor. Diesen Porträts ging eine große, nicht-repräsentative Online-Um- frage vom 6. März bis 6. April voraus, in der wir Kölner gebeten haben, ihren Stadtteil in verschiedenen Kategorien zu bewerten. Die Ergebnisse für das jeweili- ge Viertel finden Sie in der Rubrik „Vee- dels-Zeugnis“ links. Alle Porträts von Köl- ner Stadtteilen, die nicht in Ihrem Zu- stellgebiet liegen, können Sie auf unserer Internetseite herunterladen. (sbs) www.ksta.de/veedelscheck

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QUER DURCH KÖLN QUER DURCH KÖLN

* Platzierung im Vergleich aller 86 Kölner Stadtteile „Insel der Glückseligen“ für BewohnerDie Vogelsanger sind den örtlichen Traditionen und ihrem Veedel eng verbunden – Vereine pflegen das Brauchtum

VON HANS-WILLI HERMANS

Da hatte Anton Bausinger „seine“ Vogel-sanger wohl falsch eingeschätzt. Als derGründer des Landschafts- und Gewerbe-parks Triotop ganz im Süden des Stadt-teils einen 111 Meter hohen Kletterturmfür Freizeitsportler errichten wollte, lie-fen die Bewohner des Veedels Sturm. Wosollten denn all die Kletterfreunde ihreWagen abstellen, doch wohl nicht in ihrenWohnstraßen? Dann der Lärm – und man-chem Vogelsanger mag auch der Gedankenicht behagt haben, dass ihn künftig som-mers jemand beim Grillen im heimischenGarten beobachten könnte.

So wurde die Politik eingeschaltet, Bau-singer legte Kompromissvorschläge vor,am Ende blies der Bauunternehmer dasProjekt resigniert ab. Der Vogelsanger ansich ist eben recht zufrieden damit, auf ei-ner „Insel der Seligen“ zu leben, die kaumje ein Fremder betritt. Zu viele Großver-anstaltungen und Attraktionen, die Besu-cher anlocken könnten – das braucht ernicht zum Glücklichsein.

„Wir sind schon so eine Art gallischesDorf, der Stadtteil ist an drei Seiten vonGleisen umgeben – der HGK-Linie sowieden Bahn-Strecken Köln-Aachen undKöln-Mönchengladbach“, sagt UlrichStrobl, stellvertretender Vorsitzender derBürgervereinigung Vogelsang. „Mankann nur über drei Straßen nach Vogel-sang einfahren, und dann gibt’s noch zweioder drei Radwege.“ Sobald man sich ein-

mal an die Geräusche des Bahnverkehrsgewöhnt hat, herrscht hier tatsächlich einebeinahe paradiesische Ruhe. Spätestensseit Mitte der 80er Jahre die Zufahrtenvon der Militärringstraße zum Goldam-merweg und zur Vogelsanger Straße ge-sperrt wurden. Bürger hatten sich überStaus und Schleichverkehr beschwert.

Doch nun droht neues Ungemach, undwieder kommt es „vom Wassermann“,wie die Vogelsanger das Gewerbegebietim Süden immer noch nach dessen Grün-der nennen: Vom 21. August an möchteein Veranstalter an der Halle Tor 2 dreiOpen-Air-Konzerte mit Amy Macdonald,Adel Tawil und Santiano durchführen,6000 Steh- und Sitzplätze sind vorgese-hen. „Die Bühne ist nur ungefähr 200 Me-ter von der Wohnbebauung weg“, soKlaus Quadflieg, Vorsitzender der Bür-gervereinigung.

Immerhin ist das Gewerbegebiet mitseinen Party- und Event-Locations durcheinen Grünbereich mit See, den Resten ei-nes Baggersees, von den Wohnstraßenweiter nördlich getrennt. Eine direkteStraßenverbindung existiert nicht, zu Fußgeht’s über einen von dornigem Gestrüppgesäumten Trampelpfad. „Je mehr Dor-nen, desto besser“, meint Quadflieg, dalasse sich auch der Lärm von „zigtausendFröschen“ im Wassermannsee leicht er-tragen.

So bleiben die großzügig geschnittenenGrundstücke von den Auswüchsen urba-nen Nachtlebens verschont. Die Gärten

der Einfamilienhäuser sind so groß, weilsie einst der Selbstversorgung der Bewoh-ner dienten. „Deshalb bleiben auch so vie-le Vogelsanger hier, wenn sie selbst eineFamilie gründen“, erzählt Strobl: „Manbaut einfach ans Haus der Eltern an odergleich ein eigenes Haus auf deren Grund-stück.“ Das fördert die Traditionsverbun-denheit: „Für Leute, die schon in der drit-ten Generation hier leben, sind wir immernoch Neu-Vogelsanger“, sagt Stroblschmunzelnd. Wie Quadflieg ist er alsKind in den 60er Jahren mit seinen Elternhergezogen.

Im Kern dörflich wirkt auch das Frei-zeitangebot. Eine Ausnahme bildet seit2010 der Mailauf der Bürgervereinigung,zu dem bis zu 700 Sportler anreisen. An-sonsten pflegen die Vogelsanger beimKappesrollen oder Adventssingen, beimSiedlerfest, dem Neujahrsempfang oderder Comedy-Gala vorwiegend ihre gut-nachbarschaftlichen Beziehungen. Gefei-ert wird im Pfarrsaal von St. Konrad oderauf dem Vogelsanger Markt im ältestenOrtsteil. Die Vereine halten das Brauch-tum ebenfalls in Ehren: in der Siedlerge-meinschaft, im Männerchor und im Lum-penclub etwa, und natürlich beim Sport.Eine echte Jugendeinrichtung gibt’s zwarnicht, aber die jungen Vogelsanger sindhäufig bei den Pfadfindern oder denMessdienern aktiv.

Doch einige Bewohner sind mit diesenAngeboten nicht zu erreichen. Die Men-schen etwa, die zu Beginn des Jahrtau-

sends in die neuen Einfamilienhäuser undWohnungen von „Vogelsang-Nord“ umSilbermöwenweg und Strandläuferwegeinzogen. „Die Bürgervereinigung hat ei-ne Zeit lang eigens einen Maimarkt in derNähe veranstaltet, aber kaum jemand hatsich da sehen lassen“, sagt Strobl.

Den fehlenden Kontakt zwischen denOrtsteilen beklagt auch Christa Potschke.Wie Ulrich Strobl lebt sie seit den 60erJahren in „Neu-Vogelsang“, aber auf deranderen Seite des Goldammerwegs –nicht in den Einfamilienhäusern also,sondern in einem der mehrgeschossigenMietshäuser. Von dort ist es überraschendweit bis Alt-Vogelsang. „Vor einem Jahrwar ich zum ersten Mal im Zwitscher-häuschen“, erzählt die 86-Jährige von ei-nem Besuch in der Traditionsgaststätteam Vogelsanger Markt. „Und die Leute,die dort leben, lassen sich hier nicht bli-cken, es gibt keinen Treffpunkt im Stadt-teil“, sagt Potschke. Sie selbst besucht dieVeranstaltungen des Seniorennetzwerkswie den Strickclub, das Selbstbehaup-tungstraining, das Lesecafé und den Floh-markt, die sich meist an die ältere Genera-tion richten.

Das Seniorennetzwerk ist im Goldam-merweg 28 untergebracht, wo sich frühereinmal das Vogelsanger Einkaufszentrummit Supermarkt, Metzgerei, Bäckerei,Spielzeuggeschäft, Blumenladen und ei-ner Gaststätte befand. Nur noch traurigeReste sind übrig geblieben, selbst dieHändler des Wochenmarkts kommen

nicht mehr her – seit an derVenloer Straßedie großen Märkte eröffneten, lohnt dasGeschäft nicht mehr. Das betrifft auchAlt-Vogelsang, aber dort kann man we-nigstens noch das Nötigste im „Multi-Shop“ einkaufen. Alle Vogelsanger sindunzufrieden mit diesem Zustand – unddann fahren sie doch wieder zur VenloerStraße.

„Das große Angebot lockt eben“, meintPetra Gräff. Die Koordinatorin des Senio-rennetzwerks hatte im September 2014mit viel Unterstützung von allen Seiteneinen Genossenschaftsladen am Goldam-merweg eröffnet, in einem Café nebenanfanden Lesungen, Ausstellungen, Film-vorführungen statt. Die Auswahl im La-den war beachtlich und wurde Menschenmit unterschiedlichen finanziellen Mög-lichkeiten gerecht.

Doch die Kunden blieben aus – im De-zember 2016 musste die „Goldammer“Insolvenz anmelden. „Zusammen mitdem Café hätte es ein Ort werden können,an dem sich die verschiedenen Gruppenbegegnen“, so Gräff. Das Scheitern hatteauch Auswirkungen auf das Senioren-netzwerk: „Gerade die stark Engagiertenwaren natürlich enttäuscht und haben sichzurückgezogen.“ Doch der Wiederaufbaudes Netzwerks sei geschafft, so Gräff.Und auf dem alten Kirmesplatz am Aka-zienweg zeigten sich zarte Pflänzchenmoderner Urbanität: Dort hat die Ge-meinschaftsgarten-Initiative „Fink“ ihrePflanzbeete aufgebaut.

Am Anfang war der Baggersee: ImJahre 1926 erwarb der Unterneh-

mer Friedrich Wassermann ein 28Hektar großes Grund-stück im Westen derStadt und errichteteein modernes Sand-und Kieswerk. Etwasweiter nördlich star-tete 1932 ein Experiment mit neuemSiedlungstyp: In Stadtrandsiedlun-gen sollten vorwiegend Erwerbsloseeinziehen und sich auf großenGrundstücken mit Obst- und Gemü-segärten sowie Kleintierzucht selbstversorgen. Vogelsang hieß die neueSiedlung, die engen Straßen Gelb-spötterweg, Kuckucksweg, Dohlen-weg oder Buchfinkenweg. Die Nazisergänzten Geschosswohnungsbau-ten, 1937 wurden St. Konrad ge-

weiht und das Zwitscherhäuscheneröffnet. Die Auskiesungen im Südenendeten Mitte der 70er Jahre. Da war

„Neu-Vogelsang“schon gebaut, ab2000 kam „Vogel-sang-Nord“hinzu. Zu dieser Zeitgründete Anton Bau-

singer, Urenkel von Friedrich Wasser-mann, den Landschafts- und Gewer-bepark Triotop auf dem Wasser-mann-Gelände. Ganz im Norden Vo-gelsangs, auf der anderen Seite derVenloer Straße, ist es sehr ruhig: EinTeil des Westfriedhofs gehört eben-falls zum Stadtteil. Sport kann Vogel-sang auch: Mit Dieter Koslar undMarcel Wüst brachte man zwei in-ternational erfolgreiche Radsportlerhervor.

Im Landschafts- und Gewerbeparkwird eigentlich immer gebaut. Der-zeit entsteht dort das „Snake“-Ge-bäude, in das vom Schuljahr2019/2020 an die ersten und zweitenJahrgänge der neuen LindenthalerGesamtschule einziehen sollen. Es istaber nur der Interimsstandort für dieSchule, die in fünfJahren einen Neubauin der Nachbarschaftam Wasseramselweg,etwas weiter nörd-lich im Triotop, bezie-hen soll. Dort startet die Gesamt-schule nach den Sommerferien in ei-nem Containerkomplex. Neben derGesamtschule ist auch die private

Aktive Schule Köln (ASK) im Triotopzu Hause. In den Wohngebietensteht ebenfalls eine recht ansehnli-che Zahl von Schulen: zwei Grund-schulen, eine Förderschule, einZweig des Ehrenfelder Berufskollegssowie die Bertha-von-Suttner-Real-schule an der Kolkrabenschule. Die

Gebäude der Real-schule waren schonlange marode, siewerden abgebrochenund durch Neubau-ten ersetzt. Der Un-

terricht läuft derweil in Container-bauten auf dem Schulgrundstückweiter. Noch in diesem Jahr sollendie Arbeiten beendet werden.

Gut ist die Ruhe in Vogelsang, es ist wiein einem Dorf, man kennt die meistenLeute, die man auf der Straße trifft.Abersonst, spätestens ab 22 Uhr, ist hier lei-der tote Hose. Man muss für alles in die

Stadt fahren, denn es gibtja keine Geschäftemehr. Und für die Ju-gend ist auch nichtsda.

Sara Butz (67),Rentnerin

Es gibt so viele Grünflächen hier, das isttoll. Da kann man seinen Hund ausfüh-ren, und so kommt man ins Gespräch mitanderen Menschen. Aber es herrschtauch viel Einsamkeit, viele Menschenleben alleine in ihren Wohnungen. Esfehlt leider ein Treff-punkt für die Nach-barn.

MarliesWinterscheid (64),Rentnerin

Man ist schnell in der Natur, gleichzeitigkommt man mit dem Bus sehr schnellnach Ehrenfeld, wenn man etwas unter-nehmen möchte. Und ich bin bei denPfadfindern aktiv, wir unternehmen vielzusammen. Dann die Häusern mit ihren

großen Gärten: Ge-nauso möchte ich le-ben.

Jan-Eric Quadflieg(19),IT-Elektroniker

Meine Familie und Freunde, fast allesind in Vereinen aktiv, man kennt sicheben. Wir brauchen kein Facebook, wirtreffen uns und haben Spaß, jetzt zumBeispiel beim Grillen. Kulturelle Viel-falt vermisse ich nicht, das haben wir inEhrenfeld direkt vor der Tür. Schwierigist es wohl für Menschen, die herziehen:Wir sind schon eineeingeschworeneGemeinschaft.

Claus Meyer (35),Koch

Sicherheit 2,4 (X*)

Einwohner: 8145

Durchschnittsalter: 44,4Bäckereien: 3

Kneipen: 2

Kirchen: 3

Anteil Erholungsflächen: 33,3 %

Geburten in 2017: 64

Pfadfinder: 130

Größe: 3,66 Quadratkilometer

Veedels-Veedels-ZeugnisZeugnis

Veedels-Veedels-ZahlenZahlen

www.ksta.de/veedelscheck

ALTSTADT-NORD • ALTSTADT-SÜD • BAYENTHAL • BICKENDORF • BILDERSTÖCKCHEN • BLUMENBERG • BOCKLEMÜND/MENGENICH • BRAUNSFELD • BRÜCK • BUCHFORST • BUCHHEIM • CHORWEILER • DELLBRÜCK • DEUTZ • DÜNNWALD • EHRENFELD • EIL • ELSDORF • ENSEN • ESCH/AUWEILER • FINKENBERG • FLITTARD • FÜHLINGEN • GODORF • GREMBERGHOVEN • GRENGEL • HAHNWALD • HEIMERSDORF • HÖHENBERG • HÖHENHAUS • HOLWEIDE • HUMBOLDT/GREMBERG • IMMENDORF • JUNKERSDORF • KALK • KLETTENBERG • LANGEL • LIBUR • LIND • LINDENTHAL • LINDWEILER • LONGERICH • LÖVENICH • MARIENBURG • MAUENHEIM • MERHEIM • MERKENICH • MESCHENICH • MÜLHEIM • MÜNGERSDORF • NEUBRÜCK •NEUEHRENFELD•NEUSTADT-NORD

•NEUSTADT-SÜD•NIEHL•NIPPES•OSSENDORF•OSTHEIM

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•RADERTHAL•RATH/HEUMAR•RIEHL•RODENKIRCHEN•ROGGENDORF/THENHOVEN

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•SÜLZ•SÜRTH•URBACH

•VINGST•VOGELSANG•VOLKHOVEN/W

EILER•WAHN

•WAHNHEIDE•W

EIDEN•W

EIDENPESCH•W

EIß•WESTHOVEN

•WIDDERSDORF•W

ORRINGEN•ZOLLSTOCK

•ZÜNDORF

Gebaut wird immer „amWassermann“, St. Konrad ist das Zentrum des Stadtteils, derWestfriedhof sein ruhigster Ortsteil. Über die Belvedere-Brücke kommt man nach Müngersdorf, und beim Mailauf hätte man sich ein paar Grad von der aktuellen Hitze gewünscht. Fotos: Hans-Willi Hermans

Veedels-Veedels-GeschichteGeschichte

Veedels-Veedels-BaustellenBaustellen

Veedels-Veedels-CheckCheck

Veedels-Veedels-MenschenMenschen

Nahverkehr 3,1

Gemeinschaftsgefühl 2,6

Einkaufsmöglichkeiten 4,5 (X)

Sauberkeit 2,6

Parkmöglichkeiten 2,3

Kinderfreundlichkeit 2,1

Gastronomie 4,1

In ist, wer drin ist: Für 78 % der Vogelsanger kommt ein Umzugin ein anderes Veedel nicht in Frage. Mit der Gesamtnote 2,5 lan-det das Veedel im Kölner Westen im Gesamt-Ranking auf dem 34.Platz. Besonders punkten kann Vogelsang bei der Kinderfreund-lichkeit mit einer sehr guten 2,1. Das liegt sicher an der Strukturdes Veedels mit vielen Sträßchen mit Häusern, die ihre eigenenGärten haben. Auch die Parkmöglichkeiten sind für Köln mit ei-ner 2,3 überdurchschnittlich gut. Allein zum Einkaufen müssensich die Vogelsanger wohl aus ihrer Idylle begeben. Mit 4,5 istdiese Kategorie relativ schlecht bewertet.

VOGELSANG

DerVeedels-CheckIn der Serie „Veedel-Check“ stellen „Köl-ner Stadt-Anzeiger“ und „KölnischeRundschau“ alle 86 Kölner Stadtteile inPorträts vor. Diesen Porträts ging einegroße, nicht-repräsentative Online-Um-frage vom 6. März bis 6. April voraus, inder wir Kölner gebeten haben, ihrenStadtteil in verschiedenen Kategorien zubewerten. Die Ergebnisse für das jeweili-ge Viertel finden Sie in der Rubrik „Vee-dels-Zeugnis“ links. Alle Porträts von Köl-ner Stadtteilen, die nicht in Ihrem Zu-stellgebiet liegen, können Sie auf unsererInternetseite herunterladen. (sbs)www.ksta.de/veedelscheck