„Kommunikative Aushandlungen religiöser Ordnungen in...
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„Kommunikative Aushandlungen religiöser Ordnungen in
Zentren katholischer Unterweisung (Provincia de Charcas, 17.
und 18. Jahrhundert)“
Einleitung
Das Projekt befasst sich mit Formen und Medien religiöser Kommunikation anhand
zweier Fallbeispiele aus dem ländlichen bzw. städtischen Raum der Provincia de
Charcas1 (Abb.1): dem am Titicacasee gelegenen Ort Carabuco und seiner Kirche, sowie
der Kathedrale von La Plata (heute Sucre), Sitz des Bistums und ab 1602 Erzbistums von
La Plata.
Im Untersuchungszeitraum ist die Zone charakterisiert durch die kulturelle
Kontaktsituation und die Macht‐ und Herrschaftsstrukturen, die infolge der
spanischen Eroberung zwischen Kolonisatoren, Repräsentanten der Welt‐ und
Ordenskirche und indigener Bevölkerung etabliert und, entsprechend der jeweiligen
Handlungsspielräume der beteiligten Akteure, ausgehandelt wurden. Der „Erfolg“
europäischer Herrschaftsausübung sowie der ökonomischen Ausbeutung, Akkulturation
und Christianisierung der indigenen Bevölkerung variierte innerhalb der Region
entsprechend der Möglichkeiten und des Grades europäischer Einflussnahme und den
Reaktionen sowie der Bevölkerungsentwicklung der indigenen ethnischen Gruppen.
Im Hinblick auf den für das Teilprojekt zentralen Themenbereich der Christianisierung
sind für die Region, wie auch für das gesamte Vizekönigreich Peru, bis zur Mitte
des 18. Jahrhunderts zwei Phasen auszumachen. Die erste Phase (1532‐1583) zeichnet
sich durch das Fehlen einer einheitlichen Missionsstrategie aus. Die frühe, eher auf
Akkomodation als Repression abzielende Christianisierung erfolgte zum einen durch die
1 Die Provincia de Charcas umfasste in etwa das heutige Bolivien und die nördlichen Teile Argentiniens und Chiles und war Teil des Vizekönigreichs Peru.
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religiösen Orden, die in ihren Klöstern indigene Kinder zu Katecheten ausbildeten,2 zum
anderen durch Priester, die auf den spanischen encomiendas3 tätig waren.4
Mit den Reformen des Vizekönigs Francisco de Toledo (1569‐1581) änderten sich
diese Strukturen. Toledo siedelte in einem groß angelegten Projekt die auf den
encomiendas lebende indigene andine Bevölkerung in Reduktionen5 um und schuf so
ein Netzwerk dörflicher, um die Kirche und einen zentralen Platz angeordneter
Gemeinden, in denen Missionierung effektiv betrieben werden konnte.6 Der durch
Toledo geschaffene institutionelle und infrastrukturelle Rahmen bildete die Grundlage
für einen äußerst repressiven Umgang mit nicht‐christlichen Formen und
Repräsentationen indigener Religiosität, die nach wie vor große Verbreitung fanden.
Diese neue Ausrichtung der Christianisierungspolitik charakterisiert die zweite Phase der
Christianisierung (1583‐
1649). Sie wurde geprägt durch die Umsetzung der Dekrete des Dritten Konzils von
Lima (1583), das in seiner Orthodoxie von dem gegenreformatorischen Impetus des
Konzils von Trient und dessen Vorgaben beeinflusst war. Die Dekrete von 1583
wurden zum Regelwerk für die Organisation der katholischen Kirche in Lateinamerika
und vereinheitlichten die Prinzipien und Strategien der Evangelisierung.7 Einheitliche
2 Juan Carlos Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad. La incorporación de los indios del Perú al catolicismo, 1532‐1750. Lima 2003, S. 42‐43. 3 Encomiendas sind Besitztitel, die die spanische Krone nach der Conquista an Mitglieder der spanischen Truppen und Verwaltungsbeamte vergab. Sie umfassten Ländereien sowie das Anrecht auf die Arbeitskraft der auf diesen Ländereien ansässigen Bevölkerung. Im Gegenzug hatte der Inhaber der encomienda (encomendero) (zumindest theoretisch) für die körperliche Unversehrtheit seiner encomendados sowie deren christliche Unterweisung zu sorgen. 4 Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad, S. 36ff. 5 Als reducciones werden von den Spaniern geschaffene neue Siedlungseinheiten verstanden, in denen die zuvor verstreut lebende indigene Bevölkerung zur besseren Kontrolle und Ausnutzung der Arbeitskraft umgesiedelt wurde. Zum Teil wurden die Reduktionen auf vorspanischen Ansiedlungen errichtet. 6 Sabine MacCormack: Religion in the Andes. Vision and Imagination in Early Colonial Peru. Princeton 1991, S. 140‐141. 7 Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad, S. 248.
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Katechismen (auch in den indigenen Sprachen Quechua und Aymara),
Predigtsammlungen und Beichtspiegel wurden gedruckt und das kirchliche
Visitationswesen als Kontrollinstanz planmäßig implementiert. In diese Phase
der (wenn auch nur relativen) „Stabilisierung“8 fallen die ab 1610
durchgeführten Kampagnen zur „Ausmerzung des Götzendienstes“ (Extirpación
de Idolatrías). Die im Rahmen von Visitationen stattfindenden Maßnahmen
beinhalteten die Zerstörung unzähliger indigener Götterbilder (huacas9) und sonstiger
visueller und materieller Repräsentationen indigener Religiosität. Die Ausübung
nicht‐christlicher Rituale wurde nun mit noch größerer Gewalt als zuvor unterdrückt
und das indigene religiöse Leben massiv in seiner Existenz bedroht.10
Der christliche Ikonoklasmus führte zu Transformationen in der indigenen Kultpraxis:
die durch die Inkaherrschaft stark verbreitete Verehrung von figürlichen huacas (im
christlichen Sprachgebrauch „Idole“) wurde durch die in der vorinkaischen Religiosität
stark verwurzelte Verehrung von Naturphänomenen wie Quellen, Berggipfel, Höhlen
oder Vulkanen ersetzt. Diese wurden ebenfalls als huacas angesehen, im Gegensatz
zu ersteren fielen sie dem spanischen Ikonoklasmus jedoch meist nicht zum Opfer.
Teilweise wurden diese Orte christianisiert, z.B. durch Anlegen von Kreuzwegen
auf heiligen Bergen oder (wie im Folgenden die Beispiele des vorspanischen Apostels
San Bartolomé/Santo Tomás/Tunupa11 und der Jungfrau von Copacabana zeigen
werden) durch die Verortung lokaler Hagiographien in der sakralisierten andinen
Topographie.
8 Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad, S. 27. 9 Als huacas gelten Repräsentationen von Sakralität in Form von Objekten, z.B. anthropomorphe oder zoomorphe Darstellungen göttlicher Wesen aus Stein oder Holz, aber auch mumifizierte Überreste von Vorfahren und vergöttlichten Herrschern. Heiligkeit manifestierte sich aber auch in architektonischen Strukturen wie Tempelanlagen oder Orten, die mit der andinen Kosmologie oder Ursprungsmythen in Zusammenhang gebracht wurden, weshalb auch diese als huacas verstanden wurden. Auch ungewöhnliche Naturformationen oder ‐phänomene waren huacas, ebenso wie die Berggipfel (apu), die bis heute als Ahnen verehrt werden. 10 MacCormack: Religion in the Andes, S. 410. 11 Der Name variiert in den verschiedenen Überlieferungen der Legende.
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Gleichzeitig ist zum Ende des 16. und Beginn des 17. Jahrhunderts in der
Untersuchungsregion ein für das Projektthema höchst wichtiges Phänomen zu
beobachten: die Entstehung mehrerer überregional bedeutsamer christlicher
Heiligtümer. 1584 gelangt die von dem Indigenen Francisco Tito Yupanqui geschnitzte
wundertätige Jungfrau von Copacabana an den gleichnamigen, der augustinischen
Mission unterstehenden Ort am Titicacasee, dessen Schutzheilige sie wird.12 1599
approbiert der in La Plata ansässige Bischof Alonso Ramírez de Vergara das
wundertätige Kreuz von Carabuco (Abb. 2), ebenfalls am Titicacasee gelegen, als
Reliquie eines vorspanischen christlichen Apostels, der mit den beiden in
außereuropäischen Regionen (v.a. Indien) missionierenden Heiligen Bartholomäus und
Thomas, aber auch mit dem andinen Gott Tunupa assoziiert wird. Der Apostel war nach
der christlichen Legende bereits vor der spanischen Eroberung an den Titicacasee
gekommen, um die indigene Bevölkerung zum Christentum zu konvertieren, damit
allerdings gescheitert und als Märtyrer gestorben. Er hatte in Carabuco ein Kreuz
installiert, das der Teufel unbedingt zerstören wollte und dafür die lokale Bevölkerung
anstiftete, es zu zerschlagen und zu verbrennen, was jedoch nicht gelang. Der einzige
Weg, sich des christlichen Objekts zu entledigen, bestand darin, es am Ufer des Sees zu
vergraben. Einen Teil dieses Kreuzes, das in spanischer Zeit „wiederentdeckt“ wurde
und Wunder vollbrachte, nimmt Ramírez de Vergara für die Reliquiensammlung der
Kathedrale mit nach La Plata.13 1602 schließlich wird auf Initiative von Ramírez de
Vergara in derselben Kathedrale das von dem Hieronymiten Diego de Ocaña
angefertigte Bildnis der wundertätigen Jungfrau von Guadalupe und ihr Kult etabliert.14
Diese Implementierung von Heiligen‐ und Marienkulten, für die es in der Region
12 Teresa Gisbert, Carlos Mesa: La Virgen María en Bolivia. La dialéctica barroca en la representación de María. In: Memoria del I encuentro internacional de Barroco Andino. La Paz 2003, S.21‐35, hier S. 23. 13 Historia General de la Compañia de Jesús en la Provincia del Peru. Cronica anonima de 1600, Vol. 2, S. 292. 14 Blanca Torres: La Catedral Metropolitana de La Plata (siglos XVI‐XIX). In: Anuario de la Academia Boliviana de Historia Eclesiástica, Vol. 10 (2004), Sucre, S. 81‐90, hier S. 82.
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neben den genannten noch weitere Beispiele gibt,15 erfolgte stets auf mehreren
medialen Ebenen gleichzeitig und umfasste (1.) die Konstruktion lokaler Hagiographien
durch Adaptionen europäischer Heiligen‐ und Wunderlegenden; (2.) das Anfertigen
oder die „Entdeckung“ materieller Repräsentationen der Heiligen bzw. Marien, die
wundertätige Kräfte entfalten; (3.) die Einbettung der Bilder und Legenden in den
lokalen Festtagskalender, der besonders in ländlichen Regionen meist eine
Kombination aus christlichem und indigenem Fest‐ und Ritualkalender war; (4.) die
Etablierung individueller und kollektiver Praktiken des Kultes und der Verehrung; (5.)
die Integration des Kultes in die jeweiligen lokalen Sozial‐ und Herrschaftsstrukturen
sowie die kirchlichen Organisationsstrukturen (z.B. durch Gründung von
Bruderschaften/cofradías). Dies diente dem Zweck, den Kult nachhaltig zu finanzieren
und zu popularisieren und steigerte das Prestige der den Kult verwaltenden
Institution. Gerade dieser letzte Punkt scheint eine entscheidende Rolle für den
anhaltenden „Erfolg“ einiger bzw. Misserfolg anderer Kultbilder gespielt zu haben und
es ist von einer „Konkurrenz“ zwischen unterschiedlichen Kultbildern und Reliquien
auszugehen.16
Die „Konjunktur“ wundertätiger Bilder und Reliquien in diesem Zeitraum steht in
Zusammenhang mit dem Umstand, dass es die christlichen Institutionen und Akteure
mit Hilfe der bis dahin angewendeten Maßnahmen (Überzeugung durch das Wort und
gewalttätige „Ausrottung“ indigener Kultur) nicht vermochten, die Indigenen zu einer
Abkehr von ihren religiösen Praktiken zu bewegen. Im Gegensatz zur offiziellen
Repressionspolitik der Kirche verfolgten einige Vertreter der religiösen Orden nun eine
Strategie, die die „Anschlussfähigkeit“ indigener und christlicher Sakralität betonte.17
15 Gisbert, Mesa: La Virgen María en Bolivia, S. 22. 16 Pablo Luis Quisbert: Servir a Dios o vivir en el siglo: La vivencia de la religiosidad en la Ciudad de La Plata y la Villa Imperial (silgos XVI y XVII). In: Andrés Eichmann, Marcela Inch (Hg.): La construcción de lo urbano en Potosí y La Plata. Siglos XVI y XVII. Sucre 2008, S. 271‐415, hier S. 274. 17 Veronica Salles‐Reese: From Viracocha to the Virgin of Copacabana. The Representation of the Sacred at Lake Titicaca. Austin 1997, S. 137.
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So wurden die Geschichten der Heiligtümer von Copacabana und Carabuco
maßgeblich durch die Narrationen der beiden im südlichen Andenhochland tätigen
Augustiner Alonso Ramos Gavilán (1621) und Antonio de la Calancha (1638)
geprägt.18 Sie adaptierten die Hagiographien der Jungfrau und des Apostels an den
lokalen mythologischen Kontext19 und schrieben dabei die indigene Bevölkerung in die
Universalgeschichte des Christentums ein.
Die Kampagnen zur Bekämpfung der Idolatrie lassen im gesamten Vizekönigreich Peru
ab den 1660er Jahren nach, werden aber in geringerer Intensität noch bis Mitte des 18.
Jahrhunderts fortgeführt.20 Inzwischen hatte sich längst herausgestellt, dass auch diese
Art des Umgangs mit indigener Religiosität nicht zum erwünschten Ergebnis führte. Im
Zuge der bourbonischen Reformen zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es zu einer
Umstrukturierung der kolonialen Verwaltung und einer politischen wie auch
ökonomischen Schwächung der Kirche gegenüber der spanischen Krone,21 die 1767 in
der Ausweisung der Jesuiten unter Karl III ihren Höhepunkt fand.
Ziele, Forschungsfragen, wissenschaftliche Verortung
Vor diesem historischen Hintergrund thematisiert das Projekt die transkulturelle
Kommunikation religiösen Wissens zwischen den beteiligten indigenen und
europäischen Akteuren. Kommunikation wird dabei mit Barbara Stollberg‐Rilinger als
ein wechselseitiges Geschehen der Mitteilung und des Verstehens von Information22
18 Alonso Ramos Gavilán: Histora del Santuario de Nuestra Señora de Copacabana (1589). Lima 1988; Antonio de la Calancha: Corónica Moralizada del Orden des San Agustín en el Perú (1638). Lima 1974. 19 Thérèse Bouysse‐Cassagne: De Empédocles a Tunupa. Evangelización, Hagiografía, y Mitos. In: Dies. (Hg.): Saberes y Memorias en los Andes. In Memoriam Thierry Saignes. Paris, Lima 1997, S. 157‐212, hier S. 158, 175. 20 Kenneth Mills: Idolatry and Its Enemies. Colonial Andean Religion and Extirpation, 1640‐1750. Princeton 1997, S. 11ff. 21 Nicholas A. Robins: Comunidad, clero y conflicto. Las relaciones ente la curia y los indios en el Alto Perú, 1750‐1780. La Paz 2009, S. 174. 22 Dies meint nicht, dass die vorliegende Information „richtig“ verstanden werden muss, sondern dass sie als Mitteilung erkannt wird.
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verstanden, das sowohl Einheit als auch Differenz hervorbringt,23 sowie mit Rudolph
Schlögl, als ein Prozess andauernder Sinnproduktion durch alle an der Kommunikation
Beteiligten.24 Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Kommunikationssystem zwar
mit offenen Strukturen arbeitet, es aber trotzdem „eigene Grenzen entwickeln und sich
daran halten“ kann.25 Unter Berücksichtigung der These, dass Religion ein kulturelles,
gesellschaftlich verortetes Phänomen darstellt,26 wird die religiöse Kommunikation
zwischen Europäern und Indigenen als ein Phänomen transkultureller
Bedeutungsproduktion bzw. transkultureller Aushandlungsprozesse konzeptualisiert.
Die Einbeziehung unterschiedlicher medialer Dimensionen, die neben der Analyse
schriftlicher Quellen auch performative Phänomene sowie materielle (z.B. Bilder,
Objekte), und räumlich‐ topographische Artefakte (z.B. Architekturen und gestalteter
Naturraum) in den Blick nimmt, ermöglicht es, die Komplexität dieser
Kommunikationsvorgänge darzustellen. Auf diese Weise wird ein mehrdimensionales
Modell von Kommunikation entworfen, das es erlaubt, medial vermittelte
Sinnrepräsentationen mit dem Aufbau bzw. der Transformation kultureller
Ordnungsmuster in einer historischen Kontaktzone27 in Beziehung zu setzen.28
23 Barbara Stollberg‐Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe, Thesen, Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489‐52, S. 493. 24 Perspektiven kommunikationsgeschichtlicher Forschung. Ein E‐Mail‐Interview mit Prof. Dr. Rudolf Schlögl, Konstanz. In: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9, URL: http://www.sehepunkte.de/2004/09/forum/neuere‐ publikationen‐zur‐kommunikationsgeschichte‐der‐fruehen‐neuzeit/artikel/perspektiven‐ kommunikationsgeschichtlicher‐forschung‐brein‐e‐mail‐interview‐mit‐prof‐dr‐rudolf‐schloegl‐konstanz‐16/ (zuletzt gesehen 14.01.13) 25 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main 1987, S. 200. 26 Kaspar von Greyerz: Religion und Kultur. Europa 1500‐1800. Göttingen 2000, S. 10‐11. 27 Vgl. hierzu Mary Louise Pratt: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation. London et. al. 1992, S. 7. 28 Somit repräsentiert das Vorhaben eine Weiterentwicklung der Idee eines Kommunikationsmodells, das Symbolfunktionen mit dem Aufbau und der Beschaffenheit sozialer Strukturmuster in Beziehung setzt. Vgl. Rudolf Schlögl: Symbole in der Kommunikation: Zur Einführung. In: Rudolf Schlögl, Bernhard Giesen, Jürgen Osterhammel (Hg.): Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften.
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Ausgehend von diesen Prämissen stellen sich einige für das Projekt zentrale Fragen:
Wie wurden
Vorstellungen und Repräsentationen von Sakralität kommuniziert? War die Vermittlung
spezifischer religiöser Inhalte an spezifische Medien geknüpft? Welche Inhalte wurden
in welchen Kontexten kommuniziert und in welcher Weise wurden Medien
kombiniert, um spezifische Sinnzusammenhänge auf unterschiedlichen
Wahrnehmungs‐ und Argumentationsebenen (z.B. visuell, akustisch, haptisch,
emotional, rational) zu verdeutlichen? Welche Rolle spielte die Einschreibung
europäischer Konzepte in lokale Bedeutungsstrukturen (Lokalisierung) für die
Indigenen wie für die Missionare? Denn erstere „indigenisierten“ christliches Wissen
(z.B. durch das Praktizieren von Ahnenkulten im Rahmen des christlichen Totenkults),
während Letztere indigenes Wissen christianisierten (z.B. durch das Ersetzen indigener
durch christliche Formen von Sakralität) oder der neuweltlichen Situation (z.T. bis ins
19. Jahrhundert) anhand von Rückgriffen auf mittelalterliche oder antike
Darstellungsformen und Inhalte begegneten, was im europäischen Kontext so nicht
mehr üblich war.29 Und wie sind die institutionellen und infrastrukturellen
Rahmenbedingungen sowie die jeweiligen lokalen Machtverteilungen und
Deutungshoheiten für die Repräsentation und Wahrnehmung religiöser Ordnungen zu
bewerten?
Eine für das Projekt auch entscheidende Frage stellt sich hinsichtlich der Rezeption
bzw. Wahrnehmung der Texte, Bilder, Objekte und verräumlichten Ordnungen durch
Konstanz 2004, S. 9‐38, hier S. 15. 29 Vgl. hierzu Sabine MacCormack: On the Wings of Time: Rome, the Incas, Spain, and Peru. Princeton 2007. Die mittelalterlichen Darstellungsformen in den Monumentalbildern von Carabuco sind Gegenstand des von mir und Jens Baumgarten publizierten Aufsatzes „The Invention of a Medieval Present: Visual Stagings in Colonial Bolivia and Brasil“, in: Indiana 30 (2013), S. 51‐76 (URL: http://www.iai.spk‐ berlin.de/fileadmin/dokumentenbibliothek/Indiana/Indiana_30/IND_30_2013_051‐076_Windus‐ Baumgarten.pdf, 4.3.2014)
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die europäischen und/oder indigenen Betrachter. Sie ist deshalb entscheidend, da, wie
Margit Kern es für die visuellen Übersetzungsprozesse in der Christianisierung Mexikos
formuliert, „die kulturelle Verortung der Zeicheninformationen erst in der Rezeption,
im performativen Akt der Sinnstiftung, zu einem Abschluss kommt“.30 Gleichzeitig ist
die Frage nach der Rezeption aber auch nicht zu beantworten, da es hierüber keine
Quellen gibt. Wie ist mit diesem Dilemma umzugehen und wie lassen sich Zugänge zu
möglichen Lesarten erschließen, ohne in ein anachronistisches „Sich‐Hineinversetzen in
die Akteure“ zu verfallen?
Eine Möglichkeit bietet der Ansatz, mögliche Lesarten unterschiedlicher Medien
innerhalb eines gemeinsamen Kommunikationsraums zu erschließen, wobei dies unter
enger Anbindung an die daran beteiligten kulturellen Wissenssysteme, in Form einer
„dichten Beschreibung“, geschehen muss.31 Bedeutungsträger werden dabei
hinsichtlich der ihnen eigenen Repräsentationseigenschaften (d.h. der
Verweissysteme, mittels derer Medien Informationen darstellen), ihrer spezifischen
Materialität (Zusammensetzung, Funktion, Symbolik, Wert, Herkunft usw. des
Herstellungsmaterials) sowie der an den jeweiligen kulturellen Nutzungskontext
gebundenen Möglichkeiten der Wahrnehmung der von ihnen kommunizierten
Informationen durch die Akteure untersucht. Diese Parameter unterscheiden sich z.T.
erheblich von Medium zu Medium und dokumentieren die Vielschichtigkeit,
Multiperspektivität und soziale Gebundenheit kommunikativer Prozesse. Konkret heißt
das, dass es nicht ausreicht, religiöse Bilder, Kirchenfassaden oder die Gestaltung und
sakralräumliche Verortung religiöser Objekte aus der Untersuchungsregion
ausschließlich mittels einer europäischen Ikonologie oder auf Grundlage von
ausschließlich christlichen Systemen räumlicher Ordnung zu analysieren. Vielmehr 30 Margit Kern: Übersetzungsprozesse in der religiösen Kunst der Frühen Neuzeit: Die Mission in Neuspanien. In: Henning P. Jürgens, Thomas Weller (Hg.): Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa. Göttingen 2010, S. 265‐291, hier S. 266. 31 Eine ähnliche Vorgehensweise zur Beschreibung der “Varianz der Lektüren“ (S. 278), allerdings mit ausschließlichem Bezug auf religiöse Bilder, beschreibt Margit Kern in ihrem Aufsatz „Übersetzungsprozesse…“.
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müssen auch nicht‐christliche visuelle und symbolische Bedeutungssysteme (z.B.
Mythologie), Darstellungsformen (z.B. auf vorspanischer Keramik) und Raumordnungen
in die Überlegungen einbezogen werden. Dabei sind nicht nur die Darstellungen selbst
zu berücksichtigen, sondern auch die Materialität der Artefakte und die mit den
Materialien verbundene Symbolkraft (z.B. von Farben/Pigmenten oder Edelmetallen
wie Gold oder Silber), die in europäischen und indigenen Kontexten keineswegs
deckungsgleich sein müssen.32 Die Analyse zeigt, dass jedes einzelne Medium
eine sehr spezifische Aufgabe in dem Interaktions‐ und Kommunikationsraum hatte,
innerhalb dessen die lokale Konfiguration religiöser Ordnungen in ihren zahlreichen
Facetten, Themen und Varianten hervorgebracht wurde.
In Anlehnung an Jens Baumgartens und Kirsten Kramers Modell zum Verhältnis von
Visualisierung und kulturellem Transfer33 wird davon ausgegangen, dass religiöse
Ordnungen sich in Objekten, Bildern, Texten, Handlungen, Musik, Architekturen etc.
repräsentieren. Ihre Konfiguration, d.h. ihre Repräsentation, aber auch ihre
Wahrnehmung durch die an der Kommunikation beteiligten Akteure, findet innerhalb
eines Raumes („Kontaktzone“) statt, der sich im Spannungsfeld sozio‐kultureller
Strukturen und Prozesse (z.B. dem (ethno‐)historischen Kontext), regulativer
Instanzen (z.B. kirchliche Institutionen, tridentinisches und europäisches Normgefüge,
aber auch indigene Normsysteme) und kultureller Praktiken (Praktiken der
Wahrnehmung, des Gebrauchs, der Reproduktion, der Substitution) verortet. Da diese
Konfigurationen sich aus – vereinfacht gesagt – mindestens zwei prinzipiell
unterschiedlichen kulturellen Kontexten speisen (dem „indigenen“ und dem
32 Vgl. hierzu insbesondere Gabriela Siracusano: El poder de los colores. De lo material a lo simbólico en las prácticas culturales andinas. Siglos XVI‐XVIII. Buenos Aires, México D.F. 2005 sowie die Dissertation (und das in dieser Publikation enthaltene Paper) von Andrea Nicklisch „Kulturkontakt am Altar. Silberarbeiten als Medien des Bedeutungstransfers im bolivianischen Altiplano des 17. und 18. Jahrhunderts“. 33 Jens Baumgarten, Kirsten Kramer: Visualisierung und kultureller Transfer. In: Kirsten Kramer, Jens Baumgarten (Hg.): Visualisierung und kultureller Transfer. Würzburg 2009, S. 11‐28.
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„europäischen“34), sind, entsprechend der Macht‐ und Repräsentationsverhältnisse
des jeweiligen Kommunikationsraums, sehr heterogene Konfigurationen religiöser
Ordnung möglich. Dieses Schema ermöglicht es, Transkulturalität und transkulturelle
Kommunikation in ihrer Dynamik und Diversität, aber auch in ihrer jeweiligen
sozio‐kulturellen Gebundenheit greifbar zu machen. Zudem können auf diese Weise
einzelne transkulturelle Phänomene über ihren jeweiligen lokalen Kontext hinaus in
einen größeren Theoriezusammenhang eingebettet und (idealerweise) von
exotisierenden Zuschreibungen befreit werden. Auch berücksichtigt der Ansatz den
Umstand, dass die aus Sicht der aktuellen Forschung als „transkulturell“, „hybrid“ oder
„kulturell durchmischt“ bezeichneten Phänomene seitens der historischen Akteure
nicht notwendigerweise als solche wahrgenommen wurden, sondern nicht weiter
erwähnenswerte Alltagspraktiken waren.35
Mit der Fokussierung auf verschiedene mediale Bedeutungsträger und Systeme der
Repräsentation und Wahrnehmung sowie mit der Loslösung des Begriffs der
„Transkulturalität“ von seiner Fixierung auf die „Sichtbarkeit“36 ethnisch codierter
Zeichen in Texten, Bildern, Artefakten oder performativen Ausdrucksformen, verortet
sich die Arbeit innerhalb eines neueren, aus der Kulturanthropologie,37 den Visual
Studies38 und der Global Art History39 sowie den Geschichtswissenschaften40
34 Angesichts mangelnder sprachlicher Alternativen werden diese Begrifflichkeiten weiterhin verwendet, jedoch mit dem Hinweis auf ihren stark essentialistischen Charakter. 35 Carolyn Dean, Dana Leibsohn: Hybridity and Its Discontents: Considering Visual Culture in Colonial Spanish America. In: Colonial Latin American Review, Vol. 12:1 (2003), S.5‐35, hier S. 11. 36 Zum Problem der “Sichtbarkeit” bzw. „Unsichtbarkeit“ von „Hybridität“ vgl. Dean, Leibsohn: Hybridity and Ist Discontents, S. 9ff. 37 Daniel Miller (Hg.): Materiality. Durham and London 2005; Karl‐Heinz Kohl: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. München 2003; Eric Margolis, Stephen Laurence (Hg): Creations of the Mind. Theories of Artifacts and their Representation. New York 2009. 38 W. J. T. Mitchell: Bildtheorie. Frankfurt am Main 2008; Hans Belting: Bild‐Anthropologie. München 2001; Kramer, Baumgarten: Visualisierung und kultureller Transfer. 39 Gauvin Alexander Bailey: The Andean Hybrid Baroque. Convergent Cultures in the Churches of Colonial Peru. Notre Dame 2010; Serge Gruzinski: The Mestizo Mind. New York 2002; ders. et al: Passeurs, mediadores culturales y agentes de la primera globalización en el mundo ibérico.
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hervorgegangenen Forschungsfeldes, das sich im weiteren Sinne als
Transkulturalitätsforschung bezeichnen lässt.
Vorgehensweise
Die kommunikationshistorische Analyse der beiden mikrohistorischen, aus dem
ländlichen (Carabuco) bzw. dem städtischen Raum (La Plata) gewählten Fallbeispiele
baut einerseits auf einer Synthese der zentralen Elemente, Praktiken und
Repräsentationsformen andiner Religiosität unter Berücksichtigung der lokalen
Mythologie und Topographie auf. Den zweiten Pfeiler stellt das tridentinische
Normsystem für die religiöse Kommunikation innerhalb des Untersuchungsraums dar.
Hierbei geht es vor allem um die Rolle der kirchlichen Visitation als Kontrollinstanz
sowie die dadurch angestrebte Normierung materieller Kultur (v.a. Architektur und
Kirchenausstattung) und religiöser Praxis in den Gemeinden.
Das erste Fallbeispiel, anhand dessen die Konfiguration religiöser
Kommunikationsstrukturen untersucht wird, ist der im Zuge der Reformen Toledos zu
einer Reduktion umgewandelte Ort Carabuco41 mit einer überwiegend indigenen,
allerdings ethnisch/linguistisch gemischten Bevölkerung, die, neben einigen Spaniern,
aus Aymara‐, Quechua‐, Pukina‐ und wenigen Uru‐ Sprechern bestand.42 Der Ort ist
Schauplatz der bereits erwähnten Legende des vorspanischen Apostels San
Lima 2005; Thomas DaCosta Kaufmann: Time and Place. The Geohistory of Art. Aldershot u.a. 2005; ders.: Toward a Geography of Art. Chicago u.a. 2004; Dean, Leibsohn: Hybridity and Its Discontents; Ramón Mujica Pinilla: Ángeles apócrifos en la América virreinal. México et. al. 1996. 40 Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad; Salles‐Reese: From Viracocha to the Virgin of Copacabana; Mills: Idolatry and Its Enemies; ders.: Diego de Ocaña’s Hagiography of New and Renewed Devotion in Colonial Peru. In: Allan Greer, Jodi Bilinkoff (Hg.), Colonial Saints. Discovering the Holy in the Americas, 1500‐1800. New York, London 2003, S. 51‐75, Gabriela Ramos: Death and Conversion in the Andes. Lima and Cuzco 1532‐1670. Notre Dame 2010. 41 Thérèse Bouysse‐Cassagne: La identidad Aymara. Aproximación histórica (Siglo XV, Siglo XVI). La Paz 1987, S. 65, 69. 42 Catherine Julien: Hatunqolla. A View of Inca Rule from the Lake Titicaca Region. Berkeley 1983, S. 45ff.
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Bartolomé/Santo Tomás, der aufgrund seiner Rolle als „Kulturbringer“ auch mit dem
vorspanischen Gott Tunupa in Verbindung gebracht wurde. Während San Bartolomé
bzw. Santo Tomás das Christentum zu den „Barbaren“ brachten und diese dadurch
versuchte zu kultivieren, gilt Tunupa als eine Erscheinungsform des Schöpfergottes
Viracocha, der mit der Schöpfung und der Ordnung von Zeit und Raum assoziiert
wird.43
Carabucos Kirche beherbergt das wundertätige, von dem Apostel dorthin
gebrachte Kreuz von Carabuco (Abb.2), das als Reliquie die Materialisierung
der Heiligkeit des Apostels (eine „Hierophanie“)44 darstellt und bis heute alljährlich
in der Fiesta de la Cruz verehrt wird. Da es Heiligkeit nicht nur symbolisiert, sondern
sich diese in dem Kreuz manifestiert, handelt es sich nicht nur um ein Objekt mit
Zeichencharakter, sondern um ein Artefakt, dem ein agens zugeschrieben wird. In
seiner Eigenschaft als wundertätige Reliquie korrespondiert es mit dem indigenen
Konzept von Heiligkeit, huaca.
Die visuelle Repräsentation der lokalen Legende von San Bartolomé/Santo
Tomás/Tunupa sowie ihre Verknüpfung mit der doktrinären Praxis, mit
Glaubensinhalten und eschatologischen Motiven, finden sich in den vier monumentalen
Bildern des Malers José López de los Ríos von 1680, die den Kircheninnenraum
schmücken: Himmel, Hölle, Fegefeuer, Jüngstes Gericht (Abb. 3‐6).45 Aber auch über
diese Aufsehen erregenden Bilder hinaus stellt der Kirchenraum einen geeigneten Ort
dar, um im Abgleich mit den in den Kirchenbüchern aus dem 17. Jahrhundert
enthaltenen Daten die materiellen und räumlichen Dimensionen religiöser Ordnung zu 43 Salles‐Reese: From Viracocha to the Virgin of Copacabana, S. 62; Bouysse‐Cassagne: De Empédocles a Tunupa, S. 173. 44 Mircea Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Köln 2008, S. 8ff. 45 Neben der oben (FN 29) bereits zitierten, gemeinsam mit Jens Baumgarten verfassten Publikation „The Invention of a Medieval Present…“ existiert zu diesem Themenbereich eine weitere aus dem Projekt hervorgegangene Publikation: Astrid Windus: The Embodiment of Sin and Virtue. Visual Representations of a Religious Concept in a Colonial Andean Contact Zone. In: Sebastian Jobs, Gesa Mackenthun (Hg.): Embodiments of Cultural Encounters. Münster u.a. 2011, S. 93‐114.
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beschreiben und zu analysieren. Objekte wie liturgische Gefäße, Gewänder und
Kirchenbücher, die Anordnung von Altären, Heiligenbildern und ‐statuen im Raum
oder die Aufbewahrungsorte von Hostien und Reliquien stellten den materiellen
Rahmen46 lokaler christlicher Religiosität dar, der sich streng nach den katholischen
Normen zu richten hatte und mittels Visitationen kontrolliert wurde. Die als Folge des
Dritten Konzils von Lima regelmäßig durchgeführten kirchlichen Visitationen wurden
minutiös dokumentiert und die dabei entstandenen Akten enthalten reichhaltige
Daten zur Raumgestaltung und materiellen Ausstattung der Kirche.47
Neben den narrativen, visuellen und materiellen Repräsentationsformen wird
auch auf die performative Ebene religiöser Bedeutungsproduktion mit Bezug auf
die Liturgie, die Feste (hierzu geben die Quellen leider nur spärliche Informationen)
sowie das mit den bischöflichen Visitationen verbundene Zeremoniell eingegangen.48
Durch dieses wurden zum einen religiöse Inhalte, aber auch die zwischen den Akteuren
und den von ihnen repräsentierten Institutionen (Bischof/visitador, Gemeindepriester,
Kaziken,49 Gemeindemitglieder) herrschenden Machtverhältnisse vor allen
Anwesenden inszeniert.50
Aufgrund der guten und vielfältigen Quellen‐ und Materiallage ermöglicht es das
Fallbeispiel, den sich während des 17. Jahrhunderts in der Gemeinde vollziehenden
Formen religiöser Kommunikation auf den unterschiedlichen Repräsentations‐ und
Wahrnehmungsebenen nachzugehen. Die verschiedenen Quellenarten/Medien
46 Miller: Materiality, S. 5. 47 Vgl. Astrid Windus, Putting Things in Order: Material Culture and Religious Communication in the Bolivian Altiplano (17th Century). In: Astrid Windus, Eberhard Crailsheim (Hg.): Image – Object – Performance. Mediality and Communication in Cultural Contact Zones of Latin America and the Philippines (16th‐19th Centuries). Münster: Waxmann 2013, S. 241‐261. 48 Ebd. 49 Kazike: Indigener Führer. 50 Zur kommunikationshistorischen Dimension kirchlicher Visitationen vgl. Rudolf Schlögl: Bedingungen dörflicher Kommunikation. Gemeindliche Öffentlichkeit und Visitation im 16. Jahrhundert. In: Werner Rösener (Hg.): Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft, S. 241‐261.
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(Narrationen der Heiligenlegende, Chroniken, Visitationsberichte, Kirchenbücher,
Bilder, offizielle katechetische und normative Texte, Objekte, die topographische und
räumliche Vorortung) können in einem Gesamtzusammenhang betrachtet werden, der
nur in seltenen Fällen durch Quellen belegt ist, da entweder Bestände verloren
gegangen oder lokal nicht mehr zuordenbar sind, oder aber die Forscher/innen sich auf
lediglich ein Untersuchungsmedium (meist Texte oder auch Bilder) spezialisieren.
Das zweite Fallbeispiel ist nicht symmetrisch zum ersten angelegt, da sich hier die
Quellen‐ und Materiallage etwas anders darstellt. La Plata war die Hauptstadt der
Provinz von Charcas und Sitz des Bistums bzw. ab 1602 Erzbistums sowie der für diese
Region zuständigen Real Audiencia de Charcas, (regionaler Gerichtshof). Die
Bevölkerung der Stadt bestand zu einem großen Teil aus Spaniern bzw. Kreolen.51
Im Fokus des Fallbeispiels steht die Kathedrale als eine Art urbanes Pendant zur Kirche
von Carabuco. Beide Orte verbindet die Reliquie des Kreuzes von Carabuco, die
Bischof Ramírez de Vergara Ende des 16. Jahrhunderts vom Titicacasee nach La Plata
brachte und in die Reliquiensammlung der Kathedrale aufnahm. Allerdings spielte das
für die religiöse Ordnung in Carabuco so wichtige Objekt in La Plata nur eine
untergeordnete Rolle, insbesondere nachdem dort ab 1602 das wundertätige Bild der
Jungfrau von Guadalupe als wichtigstes Kultbild verehrt wurde.
Zentral (allerdings noch etwas stärker akzentuiert als für das Beispiel von Carabuco) ist
auch hier die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Konstruktion und Inszenierung
sakraler Objekte und Räume und den lokalen sozialhistorischen Prozessen. Deshalb
geht es zunächst darum, die 1552‐1568 erbaute Kathedrale52 als dynamischen
sakralen Raum in den Blick zu nehmen, die im Untersuchungszeitraum aufgrund von 51 Ximena Medinaceli: Potosí y La Plata: La experiencia del la ciudad andina (siglos XVI y XVII). In: Andrés Eichmann, Marcela Inch (Hg.): La construcción de lo urbano en Potosí y La Plata. Siglos XVI y XVII. Sucre 2008, S. 3‐145, hier S. 21. Kreolen: In Amerika geborene Nachfahren europäischer Kolonisten. 52 Torres: La Catedral Metropolitana, S. 81. Allerdings zogen sich die Baumaßnahmen bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts.
16
Baumängeln und Erdbeben zahlreichen Konstruktions‐ und
Rekonstruktionsmaßnahmen unterzogen wurde. Sicherlich war Ramírez de Vergara zu
diesem Zeitpunkt über den bevorstehenden Aufstieg La Platas zum Erzbistum informiert
und witterte eigene Aufstiegsmöglichkeiten. Dem entsprechend arbeitete er darauf
hin, die Kathedrale um die Wende zum 17. Jahrhundert mit einer ihrem Status und
den tridentinischen Normvorgaben entsprechenden Architektur und Ausstattung zu
versehen,53 unter anderem mit einer umfangreichen Reliquiensammlung und
einer machtvollen Schutzpatronin. Aus diesem Grund gilt es anhand der
Kirchenbücher diese Entwicklungen nachzuzeichnen und den materiellen Rahmen zu
beschreiben, in dem sich die stark urbane und vom Einfluss institutioneller Macht
geprägte Repräsentation religiöser Ordnung in La Plata repräsentierte.
Den zentralen Untersuchungsgegenstand dieses Teils stellt jedoch, als Vergleich mit
der Apostellegende von Carabuco, die Konstruktion von Sakralität in diesem
Kommunikationsraum dar, wie sie sich in der Geschichte des Bildnisses der Jungfrau
von Guadalupe (Abb. 7) repräsentiert. Dieses kann über den Bericht des Malers und
Hieronymitaners Diego de Ocaña54 nachvollzogen werden, der von seinem Orden nach
Südamerika geschickt wurde, um dort den Kult der Jungfrau von Guadalupe zu stärken.
Die Hieronymiten verwalteten das „originale“ Kultbild der Jungfrau im Kloster von
Guadalupe in der spanischen Region Extremadura, in dem auch Ocaña lebte. Von hier
aus brach er auf, um für sein Stammhaus und die Virgen Spenden und Kollekten von
den amerikanischen Guadalupe‐Anhängern einzuwerben.
Im Auftrag von Ramírez de Vergara implementierte Ocaña in generalstabsmäßiger
Weise und mit großem Erfolg den Kult der Jungfrau in La Plata. Zunächst versicherte
er sich der finanziellen und religiösen Unterstützung der einheimischen Eliten und
53 Julio García Quintanilla: Historia de la Iglesia en La Plata, Vol. 1: La Iglesia durante la Colonia (1553‐1700). Sucre 1964, pp. 109‐110. 54 Fray Diego de Ocaña: Viaje por el Nuevo Mundo: De Guadalupe a Potosí, 1599‐1605. Ed. crítica, introducción y notas de Blanca López de Mariscal y Abraham Madroñal. Madrid, Frankfurt am Main 2010.
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sorgte dafür, dass eine Bruderschaft der Jungfrau gegründet wurde, die sich auch
später noch um die Belange des Bildes und das Sammeln von Almosen für das
spanische Mutterhaus kümmern würde. Danach malte Ocaña das Bild, das reichhaltig
mit gespendeten Goldobjekten und Edelsteinen geschmückt wurde. Er war maßgeblich
an den Planungen für die mehrtägigen und überaus prachtvollen
Inthronisationsfeierlichkeiten beteiligt und schrieb dafür eigens ein Theaterstück, das
die Wunder der Jungfrau an den lokalen Kontext adaptierte. Anhand der Inventarlisten
der Kathedrale kann der weitere Umgang mit dem Kultbild nachverfolgt werden, das
bis Mitte des 18. Jahrhunderts mehreren Umgestaltungen unterlag und gerade auch
deshalb ein überaus interessantes Untersuchungsobjekt darstellt.
Auch an diesem Beispiel aus La Plata ist es also möglich, sprachliche (Ocañas
Bericht und Theaterstück), materielle (Bildnis der Jungfrau) und performative
(Inthronisations‐ und Patronatsfeiern, Liturgie, Theater) Ebenen religiöser
Kommunikation eng verzahnt darzustellen und religiöse Kommunikation in einem
zweiten, vom ersten unterschiedlichen Kontext in ihrer Komplexität zu erfassen.
Auf Grundlage der beiden Fallbeispiele wird in einem abschließenden Arbeitsschritt ein
kommunikationshistorisches Analysemodell entworfen. Dieses soll über den
spezifischen Untersuchungszusammenhang hinaus geeignet sein, Mechanismen der
Konfiguration kultureller Ordnungen und ihre Einbettung in mediale Systeme der
Repräsentation und Wahrnehmung nachvollziehen und beschreiben zu können. Es
handelt sich hierbei um ein praxisorientiertes Schema, das, ähnlich einem „Leitfaden“
(z.B. zur Text‐ oder Bildanalyse), sprachliche, materielle und performative Dimensionen
transkultureller Kommunikation anhand einer strukturierten Darstellungsweise aufzeigt
und es Forscherinnen und Forschern ermöglicht, diese in ihren Untersuchungen
systemisch aufzuarbeiten.
Zwischenergebnisse (Stand August 2014)
18
Carabuco
Die bisher erzielten und teilweise publizierten Ergebnisse hinsichtlich der intermedialen
Dynamiken religiöser Kommunikation und Bedeutungsproduktion in Carabuco
beziehen sich auf verschiedene Aspekte der Konfiguration religiöser und kultureller
Ordnungen in der Kontaktzone.
Der erste Aspekt umfasst Verräumlichungen von Sakralität in der Topographie und
lokalen Kirchenarchitektur.55 Die Bedeutung (natur‐) räumlicher Dimensionen für die
religiöse Kommunikation in einer kolonialen Kontaktzone kann am Beispiel Carabucos
und der Tunupa‐Legende gut nachvollzogen werden und repräsentiert sich in ganz
unterschiedlichen Medien. So kann die Apostellegende als topographischer Text gelesen
werden, der die christliche Hagiographie innerhalb desselben Raums verortet, in dem
lokale Narrationen des Tunupa‐Mythos angesiedelt sind und der sich somit den vormals
indigenen Sakralraum narrativ aneignet und christlich umdeutet. Auf der materiellen
Ebene erfolgt die Aneignung durch das Errichten einer christlichen Architektur auf
einem vormals indigenen Kultplatz. Wie die meisten der ländlichen Kirchen, die im
andinen Hochland zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert gebaut wurden, folgt die
Struktur der Kirche von Carabuco einem Modell, das sich an der frühchristlichen
Kirchenarchitektur orientierte. Diese vom franziskanischen Millenarismus geprägte
„Missionsarchitektur“ verwies auf die von verschiedenen religiösen Orden (auch den
Augustinern) betriebene Analogiebildung zwischen der Christianisierung Europas und
derjenigen Amerikas sowie auf die Assoziation der Indigenen mit den Israeliten bzw.
einem der verlorenen Stämme Israels. Charakteristisch war die Ausdehnung des
Sakralraums über den Innenraum der Kirchen hinaus in die capillas abiertas und atrios.
Der Kult unter freiem Himmel ermöglichte die gleichzeitige Bezugnahme auf die den
christlichen Sakralraum umgebende andine Sakraltopographie.
55 Astrid Windus: Architektur und religiöse Bedeutungsproduktion in transkulturellen Kontexten: Verflechtungsgeschichtliche Perspektiven (Bolivien, Philippinen, 17.‐18. Jh.), in: Michael Mann, Jürgen Nagel (Hg.): Jenseits der Grenzen. Europa in den Zeiten der Globalisierung. Heidelberg: Draupadi Verlag 2015, S. S. 107‐140.
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Dieses Phänomen der Konstruktion transkultureller Räumlichkeiten als einer Dimension
religiöser Kommunikation kann nicht nur aus der Anordnung der architektonischen und
topographischen Strukturen hergeleitet werden, sondern repräsentiert sich auch in dem
auf den vier Monumentalbildern aus Carabuco dargestellten Zyklus der Apostellegende.
Die Medaillons des Zyklus sind „Ikonotexte“, d.h. sie bestehen aus jeweils einem Bild‐
und einem Textteil, der an die Cronica moralizada von Calancha angelehnt ist. Die Bilder
scheinen zunächst den Text zu illustrieren, bei genauerer Betrachtung wird jedoch
deutlich, dass dies nicht immer der Fall ist und sie auch eigene Bildaussagen jenseits der
Chronik schaffen. Sie verweisen sehr konkret auf die Bedeutung räumlicher und
architektonischer Strukturen für die lokale religiöse Praxis. Die historischen Akteure
werden innerhalb dieser Strukturen visuell verortet und beziehen sich in ihrem
(kultischen bzw. „idolatrischen“) Handeln in einer Weise darauf, die von der
kanonisierten europäisch‐christlichen Kultpraxis deutlich abweicht. Vorspanische
Konzepte sakraler Räumlichkeit werden hier deutlich sichtbar und werden mit
christlichen Konzepten in eine neue Beziehung gesetzt. Obgleich die Bilder sich auf
Calanchas Chronik beziehen, weichen sie vom Text ab und erzählen eine eigene
Geschichte. Betrachtet man diesen Umstand im Hinblick auf mögliche
Rezeptionsformen und berücksichtigt dabei, dass die Textabschnitte von den
zeitgenössischen Akteuren meist nicht gelesen werden konnte, eröffnen sich neue, über
Calanchas Text hinausgehende „Lesarten“ der Chronik auf Basis der Ikonotexte.
Das Beispiel zeigt, dass die spezifische Medialität der Bedeutungsträger die
Konfiguration religiösen Wissens und die religiöse Kommunikation entscheidend
mitbestimmt und dass hierbei Artefakte eine zentrale Rolle spielen. Sie repräsentieren
den materiellen Rahmen, innerhalb dessen und in Bezug auf den sich Kommunikation
vollzieht.
Dies wird in einem weiteren Analyseschritt systematisch ausgeführt, der sich mit dem
Kircheninnenraum und seinen Objekten befasst. Hierbei geht es zunächst um die Rolle
und Verwendung religiöser Objekte (liturgische Objekte, Bilder, Kleidung, Instrumente,
20
Reliquien etc.) in der Kirche von Carabuco.56 Ausgehend von Visitationsakten und den
Darstellungen religiöser Objekte auf den Monumentalbildern konnten zwei
Repräsentationsebenen herausgearbeitet werden, auf denen dieser Gruppe von
Artefakten eine kommunikative Funktion zukommt: die performative und die visuelle
Ebene. Religiöse Objekte waren ein wichtiger Bestandteil der Rituale, die im Rahmen
der Liturgie, während der Ausübung der Sakramente, in der individuellen
Frömmigkeitspraxis oder im Kontext von Visitationen durchgeführt wurden.
Entsprechend des variierenden Grades ihrer Sakralität konnten sie als für die
Durchführung bestimmter Handlungen notwendige Gegenstände fungieren (z.B.
Abendmahlskelchen, Hostientellern, Karaffen für die heiligen Öle, liturgische Gewänder
etc.), als Medien, die die Kommunikation zwischen Menschen und Gott, Maria und den
Heiligen ermöglichen (Kruzifixe, Marien‐ und Heiligendarstellungen, Kultbilder) oder die
die Anwesenheit Gottes oder eines Heiligen repräsentieren (wundertätige Kultbildern
oder Reliquien). Die tridentinische Norm regelte die Positionierung, Aufbewahrung und
Pflege der liturgischen Objekte innerhalb des Kirchenraums, was im Rahmen von
Visitationen überprüft wurde. Diese öffentlich durchgeführte Überprüfung der Objekte
war ein zentraler Bestandteil des Visitationsrituals. Auf diese Weise wurde die
Einhaltung der „katholischen Ordnung der Dinge“ überprüft und die Autorität dieser
Ordnung bestätigt. Die Visitationsakten aus Carabuco verdeutlichen die Vehemenz, mit
der die tridentinischen Vorgaben zur korrekten Verwaltung der religiösen Objekte in
den Kirchengemeinden umgesetzt wurden. Sie geben auch Auskunft über illegale
indigene Aneignungen katholischer Objekte, die von der Kirche vehement bekämpft
wurden. Damit bestätigen sie die herausragende Bedeutung, die dieser Gruppe von
Artefakten für die religiöse Kommunikation in den Gemeinden, aber auch für die
Bestätigung der kolonialen Machtverhältnisse zukam.
Dem gegenüber hatte die Abbildung religiöser Objekte, wie sie z.B, auf den
Monumentalbildern aus Carabuco zu sehen ist, eine andere Funktion. Als visuelle
56 Astrid Windus, Putting Things in Order.
21
Zeichen waren sie Teil katholischer Indoktrination und dienten zur Erklärung
katholischer Lehrinhalte.
Weitere Erkenntnisse über die intermedialen Dimensionen der Christianisierung am
Fallbeispiel Carabuco konnten im Hinblick auf die Visualisierung von Sakralität und
Dogma in den Monumentalbildern (lienzos) von José López de los Ríos (1684) gewonnen
werden. Exemplarisch wurde dies mittels der Analyse eines der vier Monumentalbilder
untersucht, des Infierno, das das Konzept der (christlichen) Sünde zum Thema hat. 57 Das
Bild visualisiert das in den Katechismen enthaltene Wissen über Sünde und die
Konsequenzen für Sünder im Jenseits in Anlehnung an europäische Vorlagen (z.B.
Hieronymus Bosch, Pieter Brueghel), verortet dieses jedoch anhand bestimmter
visueller Marker (z.B. Darstellung andiner Landschaften und lokaler Artefakte wie
Kleidung; parallele Narration der Legende des Heiligen Kreuzes) innerhalb der lokalen
Kontaktzone. Auf diese Weise eröffnet es eine Vielzahl möglicher „Lesarten“, die aus
den unterschiedlichen kulturellen Kontexten der Betrachter hervorgehen. Die
didaktische Funktion des Bildes für die Christianisierung vor Ort erforderte eine Nutzung
und Rezeption der Bildinhalte, die die Grenzen des Visuellen überschreiten und auf
diese sprachlich (z.B. in der Predigt und Katechese) bzw. in Form von Handlungen (z.B. in
der Buß‐ und Beichtpraxis) Bezug nehmen. Die Bildanalyse gibt Hinweise darauf, dass
diese intermedialen Dynamiken unter Verweis auf christliche wie auch auf nicht‐
christliche autochthone Bedeutungssysteme spezifische Konfigurationen religiösen
Wissen hervorbrachten, die in höchstem Maße raum‐ bzw. ortsgebunden waren und die
anhand einer traditionellen Analyse von Schriftquellen nicht erschlossen werden
können. In den Monumentalbildern von Carabuco ist das entscheidende Element der
Integration christlicher Lehrinhalte in einen lokalen und intermedialen religiösen
Kommunikationszusammenhang ihre visuelle Verknüpfung mit der christlichen Legende
des heiligen Kreuzes, der lokalen Architektur, Mythologie und dem durch die
57 Astrid Windus: The Embodiment of Sin and Virtue. Visual Representations of a Religious Concept in a Colonial Andean Contact Zone, in: Sebastian Jobs, Gesa Mackenthun (Hg.): Embodiments of Cultural Encounters. Waxmann, Münster 2011, S. 93‐114.
22
vorspanischen lokalen Kulturen (Inkas, Aymaras, Urus) geprägten indigenen
Sakralraum.58
Die vergleichende Analyse der Monumentalbilder gab zudem Aufschluss über einen
weiteren Aspekt transkulturellen Wandels, der Teil der religiösen Kommunikation der
Kontaktzone ist: der visuellen Konstruktion neuer Zeitkonzepte.59 Während die Bilder
stilistisch und formal mittelalterlichen Darstellungsweisen folgen, die den
zeitgenössischen Entwicklungen in der europäischen visuellen Kultur des 17.
Jahrhunderts keineswegs entsprechen, konstruieren sie mittels inhaltlicher und
thematischer Referenzen eine neue, transkulturelle Zeitlichkeit. So wird im Infierno
durch die in den drei Bildregistern dargestellten Inhalte (obere Ebene: Darstellung der
Sünden im Diesseits; zentrale Ebene: Darstellung der Strafen für die im Diesseits
begangenen Sünden im Jenseits/Hölle; untere Bildebene: Darstellung der
Apostellegende in Ikonotexten) die Gleichzeitigkeit von menschlicher Gegenwart,
eschatologischer Zukunft und „historischer“ Vergangenheit inszeniert. Dieses dem
christlichen Zeitkonzept zugrunde liegende Prinzip wird innerhalb des lokalen Kontextes
verortet – eine Strategie, die sich auch in den übrigen ´Monumentalbildern
wiederfindet.
La Plata
Die bisher erzielten und teilweise publizierten Ergebnisse hinsichtlich der religiösen
Kommunikation in einem katholischen Zentrum der Provincia de Charcas am Beispiel
der Kathedrale von La Plata (Sucre) beziehen sich auf den Entstehungskontext des
Guadalupekultes und des entsprechenden Kultbildes in La Plata. Die sozio‐kulturelle und 58 Astrid Windus: Arquitectura ecclesiástica, topografía y comunicación religiosa en el altiplano boliviano colonial, in: Astrid Windus, Andrés Eichmann‐Oehrli (Hg.): Comunicación religiosa en América Andina colonial – Representaciones, apropiaciones y medios (siglos XVI‐XVIII) (Dossier). Iberoamericana Vol 16 (erscheint im Frühjahr 2016). 59 Astrid Windus, Jens Baumgarten: The Invention of a Medieval Present: Visual Stagings in Colonial Bolivia and Brasil. In: Peter Conrad Kröfges, Astrid Windus (Hg.): Changing Concepts of Time in Colonial Latin American Contact Zones: Interdisciplinary Approaches (Dossier). Indiana 30, Berlin: Ibero‐Amerikanisches Institut 2013.
23
demographische Situation in der Stadt, die von einer breiten spanischstämmigen und
kreolischen Oberschicht dominiert wurde, und die Sitz des Bistums bzw. Erzbistums war,
unterscheidet sich grundlegend von der Situation Carabucos. Daher können hier auch
sehr unterschiedliche Strategien beobachtet werden, bestimmte Formen von Sakralität
zu etablieren. Hervorzuheben ist hierbei vor allem die Implementierung des Kultes der
Jungfrau von Guadalupe durch den Hieronymitaner Diego de Ocaña im Jahr 1601, der
auf Grundlage von Ocañas Bericht, Archivquellen und der Analyse des Kultbildes
untersucht wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass individuelle, gemeinschaftliche und
institutionelle Wirtschaftsinteressen einen Schlüsselfaktor in der Produktion und
Inszenierung sakraler Bildnissen und lokaler Heiligtümer darstellen. Das Bild allein war
nicht ausreichend für die erfolgreiche Implementierung eines Kultes. Wie auch in
Carabuco musste es in lokale Narrative und performative Strukturen eingebettet
werden, die seinen sakralen Charakter und seine wundertätigen Kräfte legitimierten und
kontinuierlich aktualisierten, allerdings in ganz anderer Art und Weise. Ocaña musste
die Menschen von der Wichtigkeit seines Anliegens überzeugen und sein eigenes
Wissen über die Jungfrau von Guadalupe auf eine Weise kommunizieren, auf die ihr
neuer Kontext ansprach. Zusätzlich musste er seinen exklusiven Anspruch auf die
„Echtheit“ des Bildes und „seines“ Kultes der Jungfrau erklären und rechtfertigen, indem
er auf seine eigene persönliche und körperliche Beziehung zu der originalen
Madonnenfigur verwies. Die intermediale Dynamik der Implementierung umfasste die
Produktion eines Schöpfungsmythos‘, neuer Texte, Theaterwerke, Musik und Gesänge
sowie die Etablierung einer Kultordnung mit Zeremonien, Messen, Prozessionen und
öffentlichen Festen, die den Festkalender und das liturgische Jahr modifizierten. Die
jährlichen Feierlichkeiten bedurften eines enormen finanziellen Budgets, schufen aber
eine kollektive Identität in und zwischen verschiedenen sozialen und ethnischen
Gruppen.
Ein weiterer Aspekt, über den die Quellen Aufschluss geben, ist die Konkurrenz
zwischen sakralen Bildern bzw. zwischen den Administratoren, „Managern“ oder
Förderern der entsprechenden Heiligtümer. Die Jagd nach Almosen führte sogar zu
24
Konflikten zwischen Anhängern der verschiedenen Stätten des gleichen Kultes. In
anderen Fällen führten die direkten Konkurrenzen zwischen verschiedenen
Heiligenkulten zur Blüte einiger und zum Misserfolg anderer Kultbilder und heiliger
Orte. So war das in Carabuco ja äußerst „erfolgreiche“ wundertätige Kreuz, das Bischof
Ramírez de Vergara in die Kathedrale mitbrachte, in La Plata dem Kultbild der Jungfrau
von Guadalupe konkurrenzlos unterlegen.
Trotz Ocañas spanischer Herkunft, der starken Orientierung an seiner Heimat und der
von ihm gewählten europäischen Darstellungsweise kann die Jungfrau von Guadalupe
aus La Plata als transkulturelles Artefakt verstanden werden. Ocañas Text zeigt, dass die
spezifische Visualisierung der Jungfrau, ihre Implementierung und Inszenierung als
sakrales und wundertätiges Objekt, eng mit den jeweiligen kulturellen Ordnungen der
lateinamerikanischen Kontaktzonen verbunden ist. Diese unterscheiden sich in
mancherlei Hinsicht von denen der spanischen „Heimat“ des „originalen“ Kultbildes: in
der sozialen und ethnischen Struktur der Bevölkerung, den lokalen Macht‐ und
Herrschaftsstrukturen, dem religiösen Wissens der Akteursgruppen und dem Grad ihrer
Durchdringung mit katholischen Konzepten von Sakralität und Repräsentation.
Die Produktion und Rezeption des Bildes aus Charcas ermöglichte dessen Adaption an
lokale Systeme der Repräsentation, Kommunikation und performativen Praxis. Die von
Ocaña einst geschaffene Madonna wurde in Form und Materialität in einem solchen
Maß modifiziert, dass wir von einer kollektiven, plurikulturellen Autorenschaft sprechen
können, mindestens bezüglich seiner aktuellen Form. Der außergewöhnliche Erfolg des
Bildes bei Menschen unterschiedlichster ethnischer, sozialer oder kultureller Herkunft
zeigt, dass es nicht so sehr eine Frage der kulturellen „Wurzeln“ des Autors oder der
Autorin ist, oder der darin eingeschriebenen Zeichen einer wie auch immer gearteten
Ethnizität, die ausschlaggebend dafür sind, ob ein Bild zum Medium transkultureller
kommunikativer Prozesse wird. Das transkulturelle Potential visueller Repräsentationen
oder auch anderer materieller Artefakte kann an sichtbare Elemente gebunden sein,
muss es aber nicht. Es kann für den Betrachter auch zunächst „unsichtbar“ bleiben und
Abb. 1: Antonio de Herrera Descripción de la Real Audiencia de Charcas( 1601)
Abb. 2: Kreuz von Carabuco
Abb. 4: José López de los Ríos: Infierno (Hölle)
(1684)
Abb. 6: José López de los Ríos: Juicio Final (Jüngstes
Gericht) (1684)
Abb. 3 José López de los Ríos: Gloria (Himmel) (1684)
Abb. 5: José López de los Ríos: Purgatorio
(Fegefeuer) (1684)