„Kommunikative Aushandlungen religiöser Ordnungen in...

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1 „Kommunikative Aushandlungen religiöser Ordnungen in Zentren katholischer Unterweisung (Provincia de Charcas, 17. und 18. Jahrhundert)“ Einleitung Das Projekt befasst sich mit Formen und Medien religiöser Kommunikation anhand zweier Fallbeispiele aus dem ländlichen bzw. städtischen Raum der Provincia de Charcas 1 (Abb.1): dem am Titicacasee gelegenen Ort Carabuco und seiner Kirche, sowie der Kathedrale von La Plata (heute Sucre), Sitz des Bistums und ab 1602 Erzbistums von La Plata. Im Untersuchungszeitraum ist die Zone charakterisiert durch die kulturelle Kontaktsituation und die Macht‐ und Herrschaftsstrukturen, die infolge der spanischen Eroberung zwischen Kolonisatoren, Repräsentanten der Welt‐ und Ordenskirche und indigener Bevölkerung etabliert und, entsprechend der jeweiligen Handlungsspielräume der beteiligten Akteure, ausgehandelt wurden. Der „Erfolg“ europäischer Herrschaftsausübung sowie der ökonomischen Ausbeutung, Akkulturation und Christianisierung der indigenen Bevölkerung variierte innerhalb der Region entsprechend der Möglichkeiten und des Grades europäischer Einflussnahme und den Reaktionen sowie der Bevölkerungsentwicklung der indigenen ethnischen Gruppen. Im Hinblick auf den für das Teilprojekt zentralen Themenbereich der Christianisierung sind für die Region, wie auch für das gesamte Vizekönigreich Peru, bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zwei Phasen auszumachen. Die erste Phase (1532‐1583) zeichnet sich durch das Fehlen einer einheitlichen Missionsstrategie aus. Die frühe, eher auf Akkomodation als Repression abzielende Christianisierung erfolgte zum einen durch die 1 Die Provincia de Charcas umfasste in etwa das heutige Bolivien und die nördlichen Teile Argentiniens und Chiles und war Teil des Vizekönigreichs Peru.

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„Kommunikative Aushandlungen religiöser Ordnungen in

Zentren katholischer Unterweisung (Provincia de Charcas, 17.

und 18. Jahrhundert)“

Einleitung

Das Projekt befasst sich mit Formen und Medien religiöser Kommunikation anhand

zweier Fallbeispiele aus dem ländlichen bzw. städtischen Raum der Provincia de

Charcas1 (Abb.1): dem am Titicacasee gelegenen Ort Carabuco und seiner Kirche, sowie

der Kathedrale von La Plata (heute Sucre), Sitz des Bistums und ab 1602 Erzbistums von

La Plata.

Im Untersuchungszeitraum ist die Zone charakterisiert durch die kulturelle

Kontaktsituation und die Macht‐ und Herrschaftsstrukturen, die infolge der

spanischen Eroberung zwischen Kolonisatoren, Repräsentanten der Welt‐ und

Ordenskirche und indigener Bevölkerung etabliert und, entsprechend der jeweiligen

Handlungsspielräume der beteiligten Akteure, ausgehandelt wurden. Der „Erfolg“

europäischer Herrschaftsausübung sowie der ökonomischen Ausbeutung, Akkulturation

und Christianisierung der indigenen Bevölkerung variierte innerhalb der Region

entsprechend der Möglichkeiten und des Grades europäischer Einflussnahme und den

Reaktionen sowie der Bevölkerungsentwicklung der indigenen ethnischen Gruppen.

Im Hinblick auf den für das Teilprojekt zentralen Themenbereich der Christianisierung

sind für die Region, wie auch für das gesamte Vizekönigreich Peru, bis zur Mitte

des 18. Jahrhunderts zwei Phasen auszumachen. Die erste Phase (1532‐1583) zeichnet

sich durch das Fehlen einer einheitlichen Missionsstrategie aus. Die frühe, eher auf

Akkomodation als Repression abzielende Christianisierung erfolgte zum einen durch die

1 Die Provincia de Charcas umfasste in etwa das heutige Bolivien und die nördlichen Teile Argentiniens und Chiles und war Teil des Vizekönigreichs Peru.

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religiösen Orden, die in ihren Klöstern indigene Kinder zu Katecheten ausbildeten,2 zum

anderen durch Priester, die auf den spanischen encomiendas3 tätig waren.4

Mit den Reformen des Vizekönigs Francisco de Toledo (1569‐1581) änderten sich

diese Strukturen. Toledo siedelte in einem groß angelegten Projekt die auf den

encomiendas lebende indigene andine Bevölkerung in Reduktionen5 um und schuf so

ein Netzwerk dörflicher, um die Kirche und einen zentralen Platz angeordneter

Gemeinden, in denen Missionierung effektiv betrieben werden konnte.6 Der durch

Toledo geschaffene institutionelle und infrastrukturelle Rahmen bildete die Grundlage

für einen äußerst repressiven Umgang mit nicht‐christlichen Formen und

Repräsentationen indigener Religiosität, die nach wie vor große Verbreitung fanden.

Diese neue Ausrichtung der Christianisierungspolitik charakterisiert die zweite Phase der

Christianisierung (1583‐

1649). Sie wurde geprägt durch die Umsetzung der Dekrete des Dritten Konzils von

Lima (1583), das in seiner Orthodoxie von dem gegenreformatorischen Impetus des

Konzils von Trient und dessen Vorgaben beeinflusst war. Die Dekrete von 1583

wurden zum Regelwerk für die Organisation der katholischen Kirche in Lateinamerika

und vereinheitlichten die Prinzipien und Strategien der Evangelisierung.7 Einheitliche

2 Juan Carlos Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad. La incorporación de los indios del Perú al catolicismo, 1532‐1750. Lima 2003, S. 42‐43. 3 Encomiendas sind Besitztitel, die die spanische Krone nach der Conquista an Mitglieder der spanischen Truppen und Verwaltungsbeamte vergab. Sie umfassten Ländereien sowie das Anrecht auf die Arbeitskraft der auf diesen Ländereien ansässigen Bevölkerung. Im Gegenzug hatte der Inhaber der encomienda (encomendero) (zumindest theoretisch) für die körperliche Unversehrtheit seiner encomendados sowie deren christliche Unterweisung zu sorgen. 4 Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad, S. 36ff. 5 Als reducciones werden von den Spaniern geschaffene neue Siedlungseinheiten verstanden, in denen die zuvor verstreut lebende indigene Bevölkerung zur besseren Kontrolle und Ausnutzung der Arbeitskraft umgesiedelt wurde. Zum Teil wurden die Reduktionen auf vorspanischen Ansiedlungen errichtet. 6 Sabine MacCormack: Religion in the Andes. Vision and Imagination in Early Colonial Peru. Princeton 1991, S. 140‐141. 7 Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad, S. 248.

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Katechismen (auch in den indigenen Sprachen Quechua und Aymara),

Predigtsammlungen und Beichtspiegel wurden gedruckt und das kirchliche

Visitationswesen als Kontrollinstanz planmäßig implementiert. In diese Phase

der (wenn auch nur relativen) „Stabilisierung“8 fallen die ab 1610

durchgeführten Kampagnen zur „Ausmerzung des Götzendienstes“ (Extirpación

de Idolatrías). Die im Rahmen von Visitationen stattfindenden Maßnahmen

beinhalteten die Zerstörung unzähliger indigener Götterbilder (huacas9) und sonstiger

visueller und materieller Repräsentationen indigener Religiosität. Die Ausübung

nicht‐christlicher Rituale wurde nun mit noch größerer Gewalt als zuvor unterdrückt

und das indigene religiöse Leben massiv in seiner Existenz bedroht.10

Der christliche Ikonoklasmus führte zu Transformationen in der indigenen Kultpraxis:

die durch die Inkaherrschaft stark verbreitete Verehrung von figürlichen huacas (im

christlichen Sprachgebrauch „Idole“) wurde durch die in der vorinkaischen Religiosität

stark verwurzelte Verehrung von Naturphänomenen wie Quellen, Berggipfel, Höhlen

oder Vulkanen ersetzt. Diese wurden ebenfalls als huacas angesehen, im Gegensatz

zu ersteren fielen sie dem spanischen Ikonoklasmus jedoch meist nicht zum Opfer.

Teilweise wurden diese Orte christianisiert, z.B. durch Anlegen von Kreuzwegen

auf heiligen Bergen oder (wie im Folgenden die Beispiele des vorspanischen Apostels

San Bartolomé/Santo Tomás/Tunupa11 und der Jungfrau von Copacabana zeigen

werden) durch die Verortung lokaler Hagiographien in der sakralisierten andinen

Topographie.

8 Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad, S. 27. 9 Als huacas gelten Repräsentationen von Sakralität in Form von Objekten, z.B. anthropomorphe oder zoomorphe Darstellungen göttlicher Wesen aus Stein oder Holz, aber auch mumifizierte Überreste von Vorfahren und vergöttlichten Herrschern. Heiligkeit manifestierte sich aber auch in architektonischen Strukturen wie Tempelanlagen oder Orten, die mit der andinen Kosmologie oder Ursprungsmythen in Zusammenhang gebracht wurden, weshalb auch diese als huacas verstanden wurden. Auch ungewöhnliche Naturformationen oder ‐phänomene waren huacas, ebenso wie die Berggipfel (apu), die bis heute als Ahnen verehrt werden. 10 MacCormack: Religion in the Andes, S. 410. 11 Der Name variiert in den verschiedenen Überlieferungen der Legende.

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Gleichzeitig ist zum Ende des 16. und Beginn des 17. Jahrhunderts in der

Untersuchungsregion ein für das Projektthema höchst wichtiges Phänomen zu

beobachten: die Entstehung mehrerer überregional bedeutsamer christlicher

Heiligtümer. 1584 gelangt die von dem Indigenen Francisco Tito Yupanqui geschnitzte

wundertätige Jungfrau von Copacabana an den gleichnamigen, der augustinischen

Mission unterstehenden Ort am Titicacasee, dessen Schutzheilige sie wird.12 1599

approbiert der in La Plata ansässige Bischof Alonso Ramírez de Vergara das

wundertätige Kreuz von Carabuco (Abb. 2), ebenfalls am Titicacasee gelegen, als

Reliquie eines vorspanischen christlichen Apostels, der mit den beiden in

außereuropäischen Regionen (v.a. Indien) missionierenden Heiligen Bartholomäus und

Thomas, aber auch mit dem andinen Gott Tunupa assoziiert wird. Der Apostel war nach

der christlichen Legende bereits vor der spanischen Eroberung an den Titicacasee

gekommen, um die indigene Bevölkerung zum Christentum zu konvertieren, damit

allerdings gescheitert und als Märtyrer gestorben. Er hatte in Carabuco ein Kreuz

installiert, das der Teufel unbedingt zerstören wollte und dafür die lokale Bevölkerung

anstiftete, es zu zerschlagen und zu verbrennen, was jedoch nicht gelang. Der einzige

Weg, sich des christlichen Objekts zu entledigen, bestand darin, es am Ufer des Sees zu

vergraben. Einen Teil dieses Kreuzes, das in spanischer Zeit „wiederentdeckt“ wurde

und Wunder vollbrachte, nimmt Ramírez de Vergara für die Reliquiensammlung der

Kathedrale mit nach La Plata.13 1602 schließlich wird auf Initiative von Ramírez de

Vergara in derselben Kathedrale das von dem Hieronymiten Diego de Ocaña

angefertigte Bildnis der wundertätigen Jungfrau von Guadalupe und ihr Kult etabliert.14

Diese Implementierung von Heiligen‐ und Marienkulten, für die es in der Region

12 Teresa Gisbert, Carlos Mesa: La Virgen María en Bolivia. La dialéctica barroca en la representación de María. In: Memoria del I encuentro internacional de Barroco Andino. La Paz 2003, S.21‐35, hier S. 23. 13 Historia General de la Compañia de Jesús en la Provincia del Peru. Cronica anonima de 1600, Vol. 2, S. 292. 14 Blanca Torres: La Catedral Metropolitana de La Plata (siglos XVI‐XIX). In: Anuario de la Academia Boliviana de Historia Eclesiástica, Vol. 10 (2004), Sucre, S. 81‐90, hier S. 82.

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neben den genannten noch weitere Beispiele gibt,15 erfolgte stets auf mehreren

medialen Ebenen gleichzeitig und umfasste (1.) die Konstruktion lokaler Hagiographien

durch Adaptionen europäischer Heiligen‐ und Wunderlegenden; (2.) das Anfertigen

oder die „Entdeckung“ materieller Repräsentationen der Heiligen bzw. Marien, die

wundertätige Kräfte entfalten; (3.) die Einbettung der Bilder und Legenden in den

lokalen Festtagskalender, der besonders in ländlichen Regionen meist eine

Kombination aus christlichem und indigenem Fest‐ und Ritualkalender war; (4.) die

Etablierung individueller und kollektiver Praktiken des Kultes und der Verehrung; (5.)

die Integration des Kultes in die jeweiligen lokalen Sozial‐ und Herrschaftsstrukturen

sowie die kirchlichen Organisationsstrukturen (z.B. durch Gründung von

Bruderschaften/cofradías). Dies diente dem Zweck, den Kult nachhaltig zu finanzieren

und zu popularisieren und steigerte das Prestige der den Kult verwaltenden

Institution. Gerade dieser letzte Punkt scheint eine entscheidende Rolle für den

anhaltenden „Erfolg“ einiger bzw. Misserfolg anderer Kultbilder gespielt zu haben und

es ist von einer „Konkurrenz“ zwischen unterschiedlichen Kultbildern und Reliquien

auszugehen.16

Die „Konjunktur“ wundertätiger Bilder und Reliquien in diesem Zeitraum steht in

Zusammenhang mit dem Umstand, dass es die christlichen Institutionen und Akteure

mit Hilfe der bis dahin angewendeten Maßnahmen (Überzeugung durch das Wort und

gewalttätige „Ausrottung“ indigener Kultur) nicht vermochten, die Indigenen zu einer

Abkehr von ihren religiösen Praktiken zu bewegen. Im Gegensatz zur offiziellen

Repressionspolitik der Kirche verfolgten einige Vertreter der religiösen Orden nun eine

Strategie, die die „Anschlussfähigkeit“ indigener und christlicher Sakralität betonte.17

15 Gisbert, Mesa: La Virgen María en Bolivia, S. 22. 16 Pablo Luis Quisbert: Servir a Dios o vivir en el siglo: La vivencia de la religiosidad en la Ciudad de La Plata y la Villa Imperial (silgos XVI y XVII). In: Andrés Eichmann, Marcela Inch (Hg.): La construcción de lo urbano en Potosí y La Plata. Siglos XVI y XVII. Sucre 2008, S. 271‐415, hier S. 274. 17 Veronica Salles‐Reese: From Viracocha to the Virgin of Copacabana. The Representation of the Sacred at Lake Titicaca. Austin 1997, S. 137.

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So wurden die Geschichten der Heiligtümer von Copacabana und Carabuco

maßgeblich durch die Narrationen der beiden im südlichen Andenhochland tätigen

Augustiner Alonso Ramos Gavilán (1621) und Antonio de la Calancha (1638)

geprägt.18 Sie adaptierten die Hagiographien der Jungfrau und des Apostels an den

lokalen mythologischen Kontext19 und schrieben dabei die indigene Bevölkerung in die

Universalgeschichte des Christentums ein.

Die Kampagnen zur Bekämpfung der Idolatrie lassen im gesamten Vizekönigreich Peru

ab den 1660er Jahren nach, werden aber in geringerer Intensität noch bis Mitte des 18.

Jahrhunderts fortgeführt.20 Inzwischen hatte sich längst herausgestellt, dass auch diese

Art des Umgangs mit indigener Religiosität nicht zum erwünschten Ergebnis führte. Im

Zuge der bourbonischen Reformen zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es zu einer

Umstrukturierung der kolonialen Verwaltung und einer politischen wie auch

ökonomischen Schwächung der Kirche gegenüber der spanischen Krone,21 die 1767 in

der Ausweisung der Jesuiten unter Karl III ihren Höhepunkt fand.

Ziele, Forschungsfragen, wissenschaftliche Verortung

Vor diesem historischen Hintergrund thematisiert das Projekt die transkulturelle

Kommunikation religiösen Wissens zwischen den beteiligten indigenen und

europäischen Akteuren. Kommunikation wird dabei mit Barbara Stollberg‐Rilinger als

ein wechselseitiges Geschehen der Mitteilung und des Verstehens von Information22

18 Alonso Ramos Gavilán: Histora del Santuario de Nuestra Señora de Copacabana (1589). Lima 1988; Antonio de la Calancha: Corónica Moralizada del Orden des San Agustín en el Perú (1638). Lima 1974. 19 Thérèse Bouysse‐Cassagne: De Empédocles a Tunupa. Evangelización, Hagiografía, y Mitos. In: Dies. (Hg.): Saberes y Memorias en los Andes. In Memoriam Thierry Saignes. Paris, Lima 1997, S. 157‐212, hier S. 158, 175. 20 Kenneth Mills: Idolatry and Its Enemies. Colonial Andean Religion and Extirpation, 1640‐1750. Princeton 1997, S. 11ff. 21 Nicholas A. Robins: Comunidad, clero y conflicto. Las relaciones ente la curia y los indios en el Alto Perú, 1750‐1780. La Paz 2009, S. 174. 22 Dies meint nicht, dass die vorliegende Information „richtig“ verstanden werden muss, sondern dass sie als Mitteilung erkannt wird.

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verstanden, das sowohl Einheit als auch Differenz hervorbringt,23 sowie mit Rudolph

Schlögl, als ein Prozess andauernder Sinnproduktion durch alle an der Kommunikation

Beteiligten.24 Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Kommunikationssystem zwar

mit offenen Strukturen arbeitet, es aber trotzdem „eigene Grenzen entwickeln und sich

daran halten“ kann.25 Unter Berücksichtigung der These, dass Religion ein kulturelles,

gesellschaftlich verortetes Phänomen darstellt,26 wird die religiöse Kommunikation

zwischen Europäern und Indigenen als ein Phänomen transkultureller

Bedeutungsproduktion bzw. transkultureller Aushandlungsprozesse konzeptualisiert.

Die Einbeziehung unterschiedlicher medialer Dimensionen, die neben der Analyse

schriftlicher Quellen auch performative Phänomene sowie materielle (z.B. Bilder,

Objekte), und räumlich‐ topographische Artefakte (z.B. Architekturen und gestalteter

Naturraum) in den Blick nimmt, ermöglicht es, die Komplexität dieser

Kommunikationsvorgänge darzustellen. Auf diese Weise wird ein mehrdimensionales

Modell von Kommunikation entworfen, das es erlaubt, medial vermittelte

Sinnrepräsentationen mit dem Aufbau bzw. der Transformation kultureller

Ordnungsmuster in einer historischen Kontaktzone27 in Beziehung zu setzen.28

23 Barbara Stollberg‐Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe, Thesen, Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489‐52, S. 493. 24 Perspektiven kommunikationsgeschichtlicher Forschung. Ein E‐Mail‐Interview mit Prof. Dr. Rudolf Schlögl, Konstanz. In: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9, URL: http://www.sehepunkte.de/2004/09/forum/neuere‐ publikationen‐zur‐kommunikationsgeschichte‐der‐fruehen‐neuzeit/artikel/perspektiven‐ kommunikationsgeschichtlicher‐forschung‐brein‐e‐mail‐interview‐mit‐prof‐dr‐rudolf‐schloegl‐konstanz‐16/ (zuletzt gesehen 14.01.13) 25 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main 1987, S. 200. 26 Kaspar von Greyerz: Religion und Kultur. Europa 1500‐1800. Göttingen 2000, S. 10‐11. 27 Vgl. hierzu Mary Louise Pratt: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation. London et. al. 1992, S. 7. 28 Somit repräsentiert das Vorhaben eine Weiterentwicklung der Idee eines Kommunikationsmodells, das Symbolfunktionen mit dem Aufbau und der Beschaffenheit sozialer Strukturmuster in Beziehung setzt. Vgl. Rudolf Schlögl: Symbole in der Kommunikation: Zur Einführung. In: Rudolf Schlögl, Bernhard Giesen, Jürgen Osterhammel (Hg.): Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften.

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Ausgehend von diesen Prämissen stellen sich einige für das Projekt zentrale Fragen:

Wie wurden

Vorstellungen und Repräsentationen von Sakralität kommuniziert? War die Vermittlung

spezifischer religiöser Inhalte an spezifische Medien geknüpft? Welche Inhalte wurden

in welchen Kontexten kommuniziert und in welcher Weise wurden Medien

kombiniert, um spezifische Sinnzusammenhänge auf unterschiedlichen

Wahrnehmungs‐ und Argumentationsebenen (z.B. visuell, akustisch, haptisch,

emotional, rational) zu verdeutlichen? Welche Rolle spielte die Einschreibung

europäischer Konzepte in lokale Bedeutungsstrukturen (Lokalisierung) für die

Indigenen wie für die Missionare? Denn erstere „indigenisierten“ christliches Wissen

(z.B. durch das Praktizieren von Ahnenkulten im Rahmen des christlichen Totenkults),

während Letztere indigenes Wissen christianisierten (z.B. durch das Ersetzen indigener

durch christliche Formen von Sakralität) oder der neuweltlichen Situation (z.T. bis ins

19. Jahrhundert) anhand von Rückgriffen auf mittelalterliche oder antike

Darstellungsformen und Inhalte begegneten, was im europäischen Kontext so nicht

mehr üblich war.29 Und wie sind die institutionellen und infrastrukturellen

Rahmenbedingungen sowie die jeweiligen lokalen Machtverteilungen und

Deutungshoheiten für die Repräsentation und Wahrnehmung religiöser Ordnungen zu

bewerten?

Eine für das Projekt auch entscheidende Frage stellt sich hinsichtlich der Rezeption

bzw. Wahrnehmung der Texte, Bilder, Objekte und verräumlichten Ordnungen durch

Konstanz 2004, S. 9‐38, hier S. 15. 29 Vgl. hierzu Sabine MacCormack: On the Wings of Time: Rome, the Incas, Spain, and Peru. Princeton 2007. Die mittelalterlichen Darstellungsformen in den Monumentalbildern von Carabuco sind Gegenstand des von mir und Jens Baumgarten publizierten Aufsatzes „The Invention of a Medieval Present: Visual Stagings in Colonial Bolivia and Brasil“, in: Indiana 30 (2013), S. 51‐76 (URL: http://www.iai.spk‐ berlin.de/fileadmin/dokumentenbibliothek/Indiana/Indiana_30/IND_30_2013_051‐076_Windus‐ Baumgarten.pdf, 4.3.2014)

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die europäischen und/oder indigenen Betrachter. Sie ist deshalb entscheidend, da, wie

Margit Kern es für die visuellen Übersetzungsprozesse in der Christianisierung Mexikos

formuliert, „die kulturelle Verortung der Zeicheninformationen erst in der Rezeption,

im performativen Akt der Sinnstiftung, zu einem Abschluss kommt“.30 Gleichzeitig ist

die Frage nach der Rezeption aber auch nicht zu beantworten, da es hierüber keine

Quellen gibt. Wie ist mit diesem Dilemma umzugehen und wie lassen sich Zugänge zu

möglichen Lesarten erschließen, ohne in ein anachronistisches „Sich‐Hineinversetzen in

die Akteure“ zu verfallen?

Eine Möglichkeit bietet der Ansatz, mögliche Lesarten unterschiedlicher Medien

innerhalb eines gemeinsamen Kommunikationsraums zu erschließen, wobei dies unter

enger Anbindung an die daran beteiligten kulturellen Wissenssysteme, in Form einer

„dichten Beschreibung“, geschehen muss.31 Bedeutungsträger werden dabei

hinsichtlich der ihnen eigenen Repräsentationseigenschaften (d.h. der

Verweissysteme, mittels derer Medien Informationen darstellen), ihrer spezifischen

Materialität (Zusammensetzung, Funktion, Symbolik, Wert, Herkunft usw. des

Herstellungsmaterials) sowie der an den jeweiligen kulturellen Nutzungskontext

gebundenen Möglichkeiten der Wahrnehmung der von ihnen kommunizierten

Informationen durch die Akteure untersucht. Diese Parameter unterscheiden sich z.T.

erheblich von Medium zu Medium und dokumentieren die Vielschichtigkeit,

Multiperspektivität und soziale Gebundenheit kommunikativer Prozesse. Konkret heißt

das, dass es nicht ausreicht, religiöse Bilder, Kirchenfassaden oder die Gestaltung und

sakralräumliche Verortung religiöser Objekte aus der Untersuchungsregion

ausschließlich mittels einer europäischen Ikonologie oder auf Grundlage von

ausschließlich christlichen Systemen räumlicher Ordnung zu analysieren. Vielmehr 30 Margit Kern: Übersetzungsprozesse in der religiösen Kunst der Frühen Neuzeit: Die Mission in Neuspanien. In: Henning P. Jürgens, Thomas Weller (Hg.): Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa. Göttingen 2010, S. 265‐291, hier S. 266. 31 Eine ähnliche Vorgehensweise zur Beschreibung der “Varianz der Lektüren“ (S. 278), allerdings mit ausschließlichem Bezug auf religiöse Bilder, beschreibt Margit Kern in ihrem Aufsatz „Übersetzungsprozesse…“.

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müssen auch nicht‐christliche visuelle und symbolische Bedeutungssysteme (z.B.

Mythologie), Darstellungsformen (z.B. auf vorspanischer Keramik) und Raumordnungen

in die Überlegungen einbezogen werden. Dabei sind nicht nur die Darstellungen selbst

zu berücksichtigen, sondern auch die Materialität der Artefakte und die mit den

Materialien verbundene Symbolkraft (z.B. von Farben/Pigmenten oder Edelmetallen

wie Gold oder Silber), die in europäischen und indigenen Kontexten keineswegs

deckungsgleich sein müssen.32 Die Analyse zeigt, dass jedes einzelne Medium

eine sehr spezifische Aufgabe in dem Interaktions‐ und Kommunikationsraum hatte,

innerhalb dessen die lokale Konfiguration religiöser Ordnungen in ihren zahlreichen

Facetten, Themen und Varianten hervorgebracht wurde.

In Anlehnung an Jens Baumgartens und Kirsten Kramers Modell zum Verhältnis von

Visualisierung und kulturellem Transfer33 wird davon ausgegangen, dass religiöse

Ordnungen sich in Objekten, Bildern, Texten, Handlungen, Musik, Architekturen etc.

repräsentieren. Ihre Konfiguration, d.h. ihre Repräsentation, aber auch ihre

Wahrnehmung durch die an der Kommunikation beteiligten Akteure, findet innerhalb

eines Raumes („Kontaktzone“) statt, der sich im Spannungsfeld sozio‐kultureller

Strukturen und Prozesse (z.B. dem (ethno‐)historischen Kontext), regulativer

Instanzen (z.B. kirchliche Institutionen, tridentinisches und europäisches Normgefüge,

aber auch indigene Normsysteme) und kultureller Praktiken (Praktiken der

Wahrnehmung, des Gebrauchs, der Reproduktion, der Substitution) verortet. Da diese

Konfigurationen sich aus – vereinfacht gesagt – mindestens zwei prinzipiell

unterschiedlichen kulturellen Kontexten speisen (dem „indigenen“ und dem

32 Vgl. hierzu insbesondere Gabriela Siracusano: El poder de los colores. De lo material a lo simbólico en las prácticas culturales andinas. Siglos XVI‐XVIII. Buenos Aires, México D.F. 2005 sowie die Dissertation (und das in dieser Publikation enthaltene Paper) von Andrea Nicklisch „Kulturkontakt am Altar. Silberarbeiten als Medien des Bedeutungstransfers im bolivianischen Altiplano des 17. und 18. Jahrhunderts“. 33 Jens Baumgarten, Kirsten Kramer: Visualisierung und kultureller Transfer. In: Kirsten Kramer, Jens Baumgarten (Hg.): Visualisierung und kultureller Transfer. Würzburg 2009, S. 11‐28.

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„europäischen“34), sind, entsprechend der Macht‐ und Repräsentationsverhältnisse

des jeweiligen Kommunikationsraums, sehr heterogene Konfigurationen religiöser

Ordnung möglich. Dieses Schema ermöglicht es, Transkulturalität und transkulturelle

Kommunikation in ihrer Dynamik und Diversität, aber auch in ihrer jeweiligen

sozio‐kulturellen Gebundenheit greifbar zu machen. Zudem können auf diese Weise

einzelne transkulturelle Phänomene über ihren jeweiligen lokalen Kontext hinaus in

einen größeren Theoriezusammenhang eingebettet und (idealerweise) von

exotisierenden Zuschreibungen befreit werden. Auch berücksichtigt der Ansatz den

Umstand, dass die aus Sicht der aktuellen Forschung als „transkulturell“, „hybrid“ oder

„kulturell durchmischt“ bezeichneten Phänomene seitens der historischen Akteure

nicht notwendigerweise als solche wahrgenommen wurden, sondern nicht weiter

erwähnenswerte Alltagspraktiken waren.35

Mit der Fokussierung auf verschiedene mediale Bedeutungsträger und Systeme der

Repräsentation und Wahrnehmung sowie mit der Loslösung des Begriffs der

„Transkulturalität“ von seiner Fixierung auf die „Sichtbarkeit“36 ethnisch codierter

Zeichen in Texten, Bildern, Artefakten oder performativen Ausdrucksformen, verortet

sich die Arbeit innerhalb eines neueren, aus der Kulturanthropologie,37 den Visual

Studies38 und der Global Art History39 sowie den Geschichtswissenschaften40

34 Angesichts mangelnder sprachlicher Alternativen werden diese Begrifflichkeiten weiterhin verwendet, jedoch mit dem Hinweis auf ihren stark essentialistischen Charakter. 35 Carolyn Dean, Dana Leibsohn: Hybridity and Its Discontents: Considering Visual Culture in Colonial Spanish America. In: Colonial Latin American Review, Vol. 12:1 (2003), S.5‐35, hier S. 11. 36 Zum Problem der “Sichtbarkeit” bzw. „Unsichtbarkeit“ von „Hybridität“ vgl. Dean, Leibsohn: Hybridity and Ist Discontents, S. 9ff. 37 Daniel Miller (Hg.): Materiality. Durham and London 2005; Karl‐Heinz Kohl: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. München 2003; Eric Margolis, Stephen Laurence (Hg): Creations of the Mind. Theories of Artifacts and their Representation. New York 2009. 38 W. J. T. Mitchell: Bildtheorie. Frankfurt am Main 2008; Hans Belting: Bild‐Anthropologie. München 2001; Kramer, Baumgarten: Visualisierung und kultureller Transfer. 39 Gauvin Alexander Bailey: The Andean Hybrid Baroque. Convergent Cultures in the Churches of Colonial Peru. Notre Dame 2010; Serge Gruzinski: The Mestizo Mind. New York 2002; ders. et al: Passeurs, mediadores culturales y agentes de la primera globalización en el mundo ibérico.

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hervorgegangenen Forschungsfeldes, das sich im weiteren Sinne als

Transkulturalitätsforschung bezeichnen lässt.

Vorgehensweise

Die kommunikationshistorische Analyse der beiden mikrohistorischen, aus dem

ländlichen (Carabuco) bzw. dem städtischen Raum (La Plata) gewählten Fallbeispiele

baut einerseits auf einer Synthese der zentralen Elemente, Praktiken und

Repräsentationsformen andiner Religiosität unter Berücksichtigung der lokalen

Mythologie und Topographie auf. Den zweiten Pfeiler stellt das tridentinische

Normsystem für die religiöse Kommunikation innerhalb des Untersuchungsraums dar.

Hierbei geht es vor allem um die Rolle der kirchlichen Visitation als Kontrollinstanz

sowie die dadurch angestrebte Normierung materieller Kultur (v.a. Architektur und

Kirchenausstattung) und religiöser Praxis in den Gemeinden.

Das erste Fallbeispiel, anhand dessen die Konfiguration religiöser

Kommunikationsstrukturen untersucht wird, ist der im Zuge der Reformen Toledos zu

einer Reduktion umgewandelte Ort Carabuco41 mit einer überwiegend indigenen,

allerdings ethnisch/linguistisch gemischten Bevölkerung, die, neben einigen Spaniern,

aus Aymara‐, Quechua‐, Pukina‐ und wenigen Uru‐ Sprechern bestand.42 Der Ort ist

Schauplatz der bereits erwähnten Legende des vorspanischen Apostels San

Lima 2005; Thomas DaCosta Kaufmann: Time and Place. The Geohistory of Art. Aldershot u.a. 2005; ders.: Toward a Geography of Art. Chicago u.a. 2004; Dean, Leibsohn: Hybridity and Its Discontents; Ramón Mujica Pinilla: Ángeles apócrifos en la América virreinal. México et. al. 1996. 40 Estenssorro Fuchs: Del paganismo a la santidad; Salles‐Reese: From Viracocha to the Virgin of Copacabana; Mills: Idolatry and Its Enemies; ders.: Diego de Ocaña’s Hagiography of New and Renewed Devotion in Colonial Peru. In: Allan Greer, Jodi Bilinkoff (Hg.), Colonial Saints. Discovering the Holy in the Americas, 1500‐1800. New York, London 2003, S. 51‐75, Gabriela Ramos: Death and Conversion in the Andes. Lima and Cuzco 1532‐1670. Notre Dame 2010. 41 Thérèse Bouysse‐Cassagne: La identidad Aymara. Aproximación histórica (Siglo XV, Siglo XVI). La Paz 1987, S. 65, 69. 42 Catherine Julien: Hatunqolla. A View of Inca Rule from the Lake Titicaca Region. Berkeley 1983, S. 45ff.

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Bartolomé/Santo Tomás, der aufgrund seiner Rolle als „Kulturbringer“ auch mit dem

vorspanischen Gott Tunupa in Verbindung gebracht wurde. Während San Bartolomé

bzw. Santo Tomás das Christentum zu den „Barbaren“ brachten und diese dadurch

versuchte zu kultivieren, gilt Tunupa als eine Erscheinungsform des Schöpfergottes

Viracocha, der mit der Schöpfung und der Ordnung von Zeit und Raum assoziiert

wird.43

Carabucos Kirche beherbergt das wundertätige, von dem Apostel dorthin

gebrachte Kreuz von Carabuco (Abb.2), das als Reliquie die Materialisierung

der Heiligkeit des Apostels (eine „Hierophanie“)44 darstellt und bis heute alljährlich

in der Fiesta de la Cruz verehrt wird. Da es Heiligkeit nicht nur symbolisiert, sondern

sich diese in dem Kreuz manifestiert, handelt es sich nicht nur um ein Objekt mit

Zeichencharakter, sondern um ein Artefakt, dem ein agens zugeschrieben wird. In

seiner Eigenschaft als wundertätige Reliquie korrespondiert es mit dem indigenen

Konzept von Heiligkeit, huaca.

Die visuelle Repräsentation der lokalen Legende von San Bartolomé/Santo

Tomás/Tunupa sowie ihre Verknüpfung mit der doktrinären Praxis, mit

Glaubensinhalten und eschatologischen Motiven, finden sich in den vier monumentalen

Bildern des Malers José López de los Ríos von 1680, die den Kircheninnenraum

schmücken: Himmel, Hölle, Fegefeuer, Jüngstes Gericht (Abb. 3‐6).45 Aber auch über

diese Aufsehen erregenden Bilder hinaus stellt der Kirchenraum einen geeigneten Ort

dar, um im Abgleich mit den in den Kirchenbüchern aus dem 17. Jahrhundert

enthaltenen Daten die materiellen und räumlichen Dimensionen religiöser Ordnung zu 43 Salles‐Reese: From Viracocha to the Virgin of Copacabana, S. 62; Bouysse‐Cassagne: De Empédocles a Tunupa, S. 173. 44 Mircea Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Köln 2008, S. 8ff. 45 Neben der oben (FN 29) bereits zitierten, gemeinsam mit Jens Baumgarten verfassten Publikation „The Invention of a Medieval Present…“ existiert zu diesem Themenbereich eine weitere aus dem Projekt hervorgegangene Publikation: Astrid Windus: The Embodiment of Sin and Virtue. Visual Representations of a Religious Concept in a Colonial Andean Contact Zone. In: Sebastian Jobs, Gesa Mackenthun (Hg.): Embodiments of Cultural Encounters. Münster u.a. 2011, S. 93‐114.

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beschreiben und zu analysieren. Objekte wie liturgische Gefäße, Gewänder und

Kirchenbücher, die Anordnung von Altären, Heiligenbildern und ‐statuen im Raum

oder die Aufbewahrungsorte von Hostien und Reliquien stellten den materiellen

Rahmen46 lokaler christlicher Religiosität dar, der sich streng nach den katholischen

Normen zu richten hatte und mittels Visitationen kontrolliert wurde. Die als Folge des

Dritten Konzils von Lima regelmäßig durchgeführten kirchlichen Visitationen wurden

minutiös dokumentiert und die dabei entstandenen Akten enthalten reichhaltige

Daten zur Raumgestaltung und materiellen Ausstattung der Kirche.47

Neben den narrativen, visuellen und materiellen Repräsentationsformen wird

auch auf die performative Ebene religiöser Bedeutungsproduktion mit Bezug auf

die Liturgie, die Feste (hierzu geben die Quellen leider nur spärliche Informationen)

sowie das mit den bischöflichen Visitationen verbundene Zeremoniell eingegangen.48

Durch dieses wurden zum einen religiöse Inhalte, aber auch die zwischen den Akteuren

und den von ihnen repräsentierten Institutionen (Bischof/visitador, Gemeindepriester,

Kaziken,49 Gemeindemitglieder) herrschenden Machtverhältnisse vor allen

Anwesenden inszeniert.50

Aufgrund der guten und vielfältigen Quellen‐ und Materiallage ermöglicht es das

Fallbeispiel, den sich während des 17. Jahrhunderts in der Gemeinde vollziehenden

Formen religiöser Kommunikation auf den unterschiedlichen Repräsentations‐ und

Wahrnehmungsebenen nachzugehen. Die verschiedenen Quellenarten/Medien

46 Miller: Materiality, S. 5. 47 Vgl. Astrid Windus, Putting Things in Order: Material Culture and Religious Communication in the Bolivian Altiplano (17th Century). In: Astrid Windus, Eberhard Crailsheim (Hg.): Image – Object – Performance. Mediality and Communication in Cultural Contact Zones of Latin America and the Philippines (16th‐19th Centuries). Münster: Waxmann 2013, S. 241‐261. 48 Ebd. 49 Kazike: Indigener Führer. 50 Zur kommunikationshistorischen Dimension kirchlicher Visitationen vgl. Rudolf Schlögl: Bedingungen dörflicher Kommunikation. Gemeindliche Öffentlichkeit und Visitation im 16. Jahrhundert. In: Werner Rösener (Hg.): Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft, S. 241‐261.

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(Narrationen der Heiligenlegende, Chroniken, Visitationsberichte, Kirchenbücher,

Bilder, offizielle katechetische und normative Texte, Objekte, die topographische und

räumliche Vorortung) können in einem Gesamtzusammenhang betrachtet werden, der

nur in seltenen Fällen durch Quellen belegt ist, da entweder Bestände verloren

gegangen oder lokal nicht mehr zuordenbar sind, oder aber die Forscher/innen sich auf

lediglich ein Untersuchungsmedium (meist Texte oder auch Bilder) spezialisieren.

Das zweite Fallbeispiel ist nicht symmetrisch zum ersten angelegt, da sich hier die

Quellen‐ und Materiallage etwas anders darstellt. La Plata war die Hauptstadt der

Provinz von Charcas und Sitz des Bistums bzw. ab 1602 Erzbistums sowie der für diese

Region zuständigen Real Audiencia de Charcas, (regionaler Gerichtshof). Die

Bevölkerung der Stadt bestand zu einem großen Teil aus Spaniern bzw. Kreolen.51

Im Fokus des Fallbeispiels steht die Kathedrale als eine Art urbanes Pendant zur Kirche

von Carabuco. Beide Orte verbindet die Reliquie des Kreuzes von Carabuco, die

Bischof Ramírez de Vergara Ende des 16. Jahrhunderts vom Titicacasee nach La Plata

brachte und in die Reliquiensammlung der Kathedrale aufnahm. Allerdings spielte das

für die religiöse Ordnung in Carabuco so wichtige Objekt in La Plata nur eine

untergeordnete Rolle, insbesondere nachdem dort ab 1602 das wundertätige Bild der

Jungfrau von Guadalupe als wichtigstes Kultbild verehrt wurde.

Zentral (allerdings noch etwas stärker akzentuiert als für das Beispiel von Carabuco) ist

auch hier die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Konstruktion und Inszenierung

sakraler Objekte und Räume und den lokalen sozialhistorischen Prozessen. Deshalb

geht es zunächst darum, die 1552‐1568 erbaute Kathedrale52 als dynamischen

sakralen Raum in den Blick zu nehmen, die im Untersuchungszeitraum aufgrund von 51 Ximena Medinaceli: Potosí y La Plata: La experiencia del la ciudad andina (siglos XVI y XVII). In: Andrés Eichmann, Marcela Inch (Hg.): La construcción de lo urbano en Potosí y La Plata. Siglos XVI y XVII. Sucre 2008, S. 3‐145, hier S. 21. Kreolen: In Amerika geborene Nachfahren europäischer Kolonisten. 52 Torres: La Catedral Metropolitana, S. 81. Allerdings zogen sich die Baumaßnahmen bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts.

16

Baumängeln und Erdbeben zahlreichen Konstruktions‐ und

Rekonstruktionsmaßnahmen unterzogen wurde. Sicherlich war Ramírez de Vergara zu

diesem Zeitpunkt über den bevorstehenden Aufstieg La Platas zum Erzbistum informiert

und witterte eigene Aufstiegsmöglichkeiten. Dem entsprechend arbeitete er darauf

hin, die Kathedrale um die Wende zum 17. Jahrhundert mit einer ihrem Status und

den tridentinischen Normvorgaben entsprechenden Architektur und Ausstattung zu

versehen,53 unter anderem mit einer umfangreichen Reliquiensammlung und

einer machtvollen Schutzpatronin. Aus diesem Grund gilt es anhand der

Kirchenbücher diese Entwicklungen nachzuzeichnen und den materiellen Rahmen zu

beschreiben, in dem sich die stark urbane und vom Einfluss institutioneller Macht

geprägte Repräsentation religiöser Ordnung in La Plata repräsentierte.

Den zentralen Untersuchungsgegenstand dieses Teils stellt jedoch, als Vergleich mit

der Apostellegende von Carabuco, die Konstruktion von Sakralität in diesem

Kommunikationsraum dar, wie sie sich in der Geschichte des Bildnisses der Jungfrau

von Guadalupe (Abb. 7) repräsentiert. Dieses kann über den Bericht des Malers und

Hieronymitaners Diego de Ocaña54 nachvollzogen werden, der von seinem Orden nach

Südamerika geschickt wurde, um dort den Kult der Jungfrau von Guadalupe zu stärken.

Die Hieronymiten verwalteten das „originale“ Kultbild der Jungfrau im Kloster von

Guadalupe in der spanischen Region Extremadura, in dem auch Ocaña lebte. Von hier

aus brach er auf, um für sein Stammhaus und die Virgen Spenden und Kollekten von

den amerikanischen Guadalupe‐Anhängern einzuwerben.

Im Auftrag von Ramírez de Vergara implementierte Ocaña in generalstabsmäßiger

Weise und mit großem Erfolg den Kult der Jungfrau in La Plata. Zunächst versicherte

er sich der finanziellen und religiösen Unterstützung der einheimischen Eliten und

53 Julio García Quintanilla: Historia de la Iglesia en La Plata, Vol. 1: La Iglesia durante la Colonia (1553‐1700). Sucre 1964, pp. 109‐110. 54 Fray Diego de Ocaña: Viaje por el Nuevo Mundo: De Guadalupe a Potosí, 1599‐1605. Ed. crítica, introducción y notas de Blanca López de Mariscal y Abraham Madroñal. Madrid, Frankfurt am Main 2010.

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sorgte dafür, dass eine Bruderschaft der Jungfrau gegründet wurde, die sich auch

später noch um die Belange des Bildes und das Sammeln von Almosen für das

spanische Mutterhaus kümmern würde. Danach malte Ocaña das Bild, das reichhaltig

mit gespendeten Goldobjekten und Edelsteinen geschmückt wurde. Er war maßgeblich

an den Planungen für die mehrtägigen und überaus prachtvollen

Inthronisationsfeierlichkeiten beteiligt und schrieb dafür eigens ein Theaterstück, das

die Wunder der Jungfrau an den lokalen Kontext adaptierte. Anhand der Inventarlisten

der Kathedrale kann der weitere Umgang mit dem Kultbild nachverfolgt werden, das

bis Mitte des 18. Jahrhunderts mehreren Umgestaltungen unterlag und gerade auch

deshalb ein überaus interessantes Untersuchungsobjekt darstellt.

Auch an diesem Beispiel aus La Plata ist es also möglich, sprachliche (Ocañas

Bericht und Theaterstück), materielle (Bildnis der Jungfrau) und performative

(Inthronisations‐ und Patronatsfeiern, Liturgie, Theater) Ebenen religiöser

Kommunikation eng verzahnt darzustellen und religiöse Kommunikation in einem

zweiten, vom ersten unterschiedlichen Kontext in ihrer Komplexität zu erfassen.

Auf Grundlage der beiden Fallbeispiele wird in einem abschließenden Arbeitsschritt ein

kommunikationshistorisches Analysemodell entworfen. Dieses soll über den

spezifischen Untersuchungszusammenhang hinaus geeignet sein, Mechanismen der

Konfiguration kultureller Ordnungen und ihre Einbettung in mediale Systeme der

Repräsentation und Wahrnehmung nachvollziehen und beschreiben zu können. Es

handelt sich hierbei um ein praxisorientiertes Schema, das, ähnlich einem „Leitfaden“

(z.B. zur Text‐ oder Bildanalyse), sprachliche, materielle und performative Dimensionen

transkultureller Kommunikation anhand einer strukturierten Darstellungsweise aufzeigt

und es Forscherinnen und Forschern ermöglicht, diese in ihren Untersuchungen

systemisch aufzuarbeiten.

Zwischenergebnisse (Stand August 2014)

18

Carabuco

Die bisher erzielten und teilweise publizierten Ergebnisse hinsichtlich der intermedialen

Dynamiken religiöser Kommunikation und Bedeutungsproduktion in Carabuco

beziehen sich auf verschiedene Aspekte der Konfiguration religiöser und kultureller

Ordnungen in der Kontaktzone.

Der erste Aspekt umfasst Verräumlichungen von Sakralität in der Topographie und

lokalen Kirchenarchitektur.55 Die Bedeutung (natur‐) räumlicher Dimensionen für die

religiöse Kommunikation in einer kolonialen Kontaktzone kann am Beispiel Carabucos

und der Tunupa‐Legende gut nachvollzogen werden und repräsentiert sich in ganz

unterschiedlichen Medien. So kann die Apostellegende als topographischer Text gelesen

werden, der die christliche Hagiographie innerhalb desselben Raums verortet, in dem

lokale Narrationen des Tunupa‐Mythos angesiedelt sind und der sich somit den vormals

indigenen Sakralraum narrativ aneignet und christlich umdeutet. Auf der materiellen

Ebene erfolgt die Aneignung durch das Errichten einer christlichen Architektur auf

einem vormals indigenen Kultplatz. Wie die meisten der ländlichen Kirchen, die im

andinen Hochland zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert gebaut wurden, folgt die

Struktur der Kirche von Carabuco einem Modell, das sich an der frühchristlichen

Kirchenarchitektur orientierte. Diese vom franziskanischen Millenarismus geprägte

„Missionsarchitektur“ verwies auf die von verschiedenen religiösen Orden (auch den

Augustinern) betriebene Analogiebildung zwischen der Christianisierung Europas und

derjenigen Amerikas sowie auf die Assoziation der Indigenen mit den Israeliten bzw.

einem der verlorenen Stämme Israels. Charakteristisch war die Ausdehnung des

Sakralraums über den Innenraum der Kirchen hinaus in die capillas abiertas und atrios.

Der Kult unter freiem Himmel ermöglichte die gleichzeitige Bezugnahme auf die den

christlichen Sakralraum umgebende andine Sakraltopographie.

55 Astrid Windus: Architektur und religiöse Bedeutungsproduktion in transkulturellen Kontexten: Verflechtungsgeschichtliche Perspektiven (Bolivien, Philippinen, 17.‐18. Jh.), in: Michael Mann, Jürgen Nagel (Hg.): Jenseits der Grenzen. Europa in den Zeiten der Globalisierung. Heidelberg: Draupadi Verlag 2015, S. S. 107‐140.

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Dieses Phänomen der Konstruktion transkultureller Räumlichkeiten als einer Dimension

religiöser Kommunikation kann nicht nur aus der Anordnung der architektonischen und

topographischen Strukturen hergeleitet werden, sondern repräsentiert sich auch in dem

auf den vier Monumentalbildern aus Carabuco dargestellten Zyklus der Apostellegende.

Die Medaillons des Zyklus sind „Ikonotexte“, d.h. sie bestehen aus jeweils einem Bild‐

und einem Textteil, der an die Cronica moralizada von Calancha angelehnt ist. Die Bilder

scheinen zunächst den Text zu illustrieren, bei genauerer Betrachtung wird jedoch

deutlich, dass dies nicht immer der Fall ist und sie auch eigene Bildaussagen jenseits der

Chronik schaffen. Sie verweisen sehr konkret auf die Bedeutung räumlicher und

architektonischer Strukturen für die lokale religiöse Praxis. Die historischen Akteure

werden innerhalb dieser Strukturen visuell verortet und beziehen sich in ihrem

(kultischen bzw. „idolatrischen“) Handeln in einer Weise darauf, die von der

kanonisierten europäisch‐christlichen Kultpraxis deutlich abweicht. Vorspanische

Konzepte sakraler Räumlichkeit werden hier deutlich sichtbar und werden mit

christlichen Konzepten in eine neue Beziehung gesetzt. Obgleich die Bilder sich auf

Calanchas Chronik beziehen, weichen sie vom Text ab und erzählen eine eigene

Geschichte. Betrachtet man diesen Umstand im Hinblick auf mögliche

Rezeptionsformen und berücksichtigt dabei, dass die Textabschnitte von den

zeitgenössischen Akteuren meist nicht gelesen werden konnte, eröffnen sich neue, über

Calanchas Text hinausgehende „Lesarten“ der Chronik auf Basis der Ikonotexte.

Das Beispiel zeigt, dass die spezifische Medialität der Bedeutungsträger die

Konfiguration religiösen Wissens und die religiöse Kommunikation entscheidend

mitbestimmt und dass hierbei Artefakte eine zentrale Rolle spielen. Sie repräsentieren

den materiellen Rahmen, innerhalb dessen und in Bezug auf den sich Kommunikation

vollzieht.

Dies wird in einem weiteren Analyseschritt systematisch ausgeführt, der sich mit dem

Kircheninnenraum und seinen Objekten befasst. Hierbei geht es zunächst um die Rolle

und Verwendung religiöser Objekte (liturgische Objekte, Bilder, Kleidung, Instrumente,

20

Reliquien etc.) in der Kirche von Carabuco.56 Ausgehend von Visitationsakten und den

Darstellungen religiöser Objekte auf den Monumentalbildern konnten zwei

Repräsentationsebenen herausgearbeitet werden, auf denen dieser Gruppe von

Artefakten eine kommunikative Funktion zukommt: die performative und die visuelle

Ebene. Religiöse Objekte waren ein wichtiger Bestandteil der Rituale, die im Rahmen

der Liturgie, während der Ausübung der Sakramente, in der individuellen

Frömmigkeitspraxis oder im Kontext von Visitationen durchgeführt wurden.

Entsprechend des variierenden Grades ihrer Sakralität konnten sie als für die

Durchführung bestimmter Handlungen notwendige Gegenstände fungieren (z.B.

Abendmahlskelchen, Hostientellern, Karaffen für die heiligen Öle, liturgische Gewänder

etc.), als Medien, die die Kommunikation zwischen Menschen und Gott, Maria und den

Heiligen ermöglichen (Kruzifixe, Marien‐ und Heiligendarstellungen, Kultbilder) oder die

die Anwesenheit Gottes oder eines Heiligen repräsentieren (wundertätige Kultbildern

oder Reliquien). Die tridentinische Norm regelte die Positionierung, Aufbewahrung und

Pflege der liturgischen Objekte innerhalb des Kirchenraums, was im Rahmen von

Visitationen überprüft wurde. Diese öffentlich durchgeführte Überprüfung der Objekte

war ein zentraler Bestandteil des Visitationsrituals. Auf diese Weise wurde die

Einhaltung der „katholischen Ordnung der Dinge“ überprüft und die Autorität dieser

Ordnung bestätigt. Die Visitationsakten aus Carabuco verdeutlichen die Vehemenz, mit

der die tridentinischen Vorgaben zur korrekten Verwaltung der religiösen Objekte in

den Kirchengemeinden umgesetzt wurden. Sie geben auch Auskunft über illegale

indigene Aneignungen katholischer Objekte, die von der Kirche vehement bekämpft

wurden. Damit bestätigen sie die herausragende Bedeutung, die dieser Gruppe von

Artefakten für die religiöse Kommunikation in den Gemeinden, aber auch für die

Bestätigung der kolonialen Machtverhältnisse zukam.

Dem gegenüber hatte die Abbildung religiöser Objekte, wie sie z.B, auf den

Monumentalbildern aus Carabuco zu sehen ist, eine andere Funktion. Als visuelle

56 Astrid Windus, Putting Things in Order.

21

Zeichen waren sie Teil katholischer Indoktrination und dienten zur Erklärung

katholischer Lehrinhalte.

Weitere Erkenntnisse über die intermedialen Dimensionen der Christianisierung am

Fallbeispiel Carabuco konnten im Hinblick auf die Visualisierung von Sakralität und

Dogma in den Monumentalbildern (lienzos) von José López de los Ríos (1684) gewonnen

werden. Exemplarisch wurde dies mittels der Analyse eines der vier Monumentalbilder

untersucht, des Infierno, das das Konzept der (christlichen) Sünde zum Thema hat. 57 Das

Bild visualisiert das in den Katechismen enthaltene Wissen über Sünde und die

Konsequenzen für Sünder im Jenseits in Anlehnung an europäische Vorlagen (z.B.

Hieronymus Bosch, Pieter Brueghel), verortet dieses jedoch anhand bestimmter

visueller Marker (z.B. Darstellung andiner Landschaften und lokaler Artefakte wie

Kleidung; parallele Narration der Legende des Heiligen Kreuzes) innerhalb der lokalen

Kontaktzone. Auf diese Weise eröffnet es eine Vielzahl möglicher „Lesarten“, die aus

den unterschiedlichen kulturellen Kontexten der Betrachter hervorgehen. Die

didaktische Funktion des Bildes für die Christianisierung vor Ort erforderte eine Nutzung

und Rezeption der Bildinhalte, die die Grenzen des Visuellen überschreiten und auf

diese sprachlich (z.B. in der Predigt und Katechese) bzw. in Form von Handlungen (z.B. in

der Buß‐ und Beichtpraxis) Bezug nehmen. Die Bildanalyse gibt Hinweise darauf, dass

diese intermedialen Dynamiken unter Verweis auf christliche wie auch auf nicht‐

christliche autochthone Bedeutungssysteme spezifische Konfigurationen religiösen

Wissen hervorbrachten, die in höchstem Maße raum‐ bzw. ortsgebunden waren und die

anhand einer traditionellen Analyse von Schriftquellen nicht erschlossen werden

können. In den Monumentalbildern von Carabuco ist das entscheidende Element der

Integration christlicher Lehrinhalte in einen lokalen und intermedialen religiösen

Kommunikationszusammenhang ihre visuelle Verknüpfung mit der christlichen Legende

des heiligen Kreuzes, der lokalen Architektur, Mythologie und dem durch die

57 Astrid Windus: The Embodiment of Sin and Virtue. Visual Representations of a Religious Concept in a Colonial Andean Contact Zone, in: Sebastian Jobs, Gesa Mackenthun (Hg.): Embodiments of Cultural Encounters. Waxmann, Münster 2011, S. 93‐114.

22

vorspanischen lokalen Kulturen (Inkas, Aymaras, Urus) geprägten indigenen

Sakralraum.58

Die vergleichende Analyse der Monumentalbilder gab zudem Aufschluss über einen

weiteren Aspekt transkulturellen Wandels, der Teil der religiösen Kommunikation der

Kontaktzone ist: der visuellen Konstruktion neuer Zeitkonzepte.59 Während die Bilder

stilistisch und formal mittelalterlichen Darstellungsweisen folgen, die den

zeitgenössischen Entwicklungen in der europäischen visuellen Kultur des 17.

Jahrhunderts keineswegs entsprechen, konstruieren sie mittels inhaltlicher und

thematischer Referenzen eine neue, transkulturelle Zeitlichkeit. So wird im Infierno

durch die in den drei Bildregistern dargestellten Inhalte (obere Ebene: Darstellung der

Sünden im Diesseits; zentrale Ebene: Darstellung der Strafen für die im Diesseits

begangenen Sünden im Jenseits/Hölle; untere Bildebene: Darstellung der

Apostellegende in Ikonotexten) die Gleichzeitigkeit von menschlicher Gegenwart,

eschatologischer Zukunft und „historischer“ Vergangenheit inszeniert. Dieses dem

christlichen Zeitkonzept zugrunde liegende Prinzip wird innerhalb des lokalen Kontextes

verortet – eine Strategie, die sich auch in den übrigen ´Monumentalbildern

wiederfindet.

La Plata

Die bisher erzielten und teilweise publizierten Ergebnisse hinsichtlich der religiösen

Kommunikation in einem katholischen Zentrum der Provincia de Charcas am Beispiel

der Kathedrale von La Plata (Sucre) beziehen sich auf den Entstehungskontext des

Guadalupekultes und des entsprechenden Kultbildes in La Plata. Die sozio‐kulturelle und 58 Astrid Windus: Arquitectura ecclesiástica, topografía y comunicación religiosa en el altiplano boliviano colonial, in: Astrid Windus, Andrés Eichmann‐Oehrli (Hg.): Comunicación religiosa en América Andina colonial – Representaciones, apropiaciones y medios (siglos XVI‐XVIII) (Dossier). Iberoamericana Vol 16 (erscheint im Frühjahr 2016). 59 Astrid Windus, Jens Baumgarten: The Invention of a Medieval Present: Visual Stagings in Colonial Bolivia and Brasil. In: Peter Conrad Kröfges, Astrid Windus (Hg.): Changing Concepts of Time in Colonial Latin American Contact Zones: Interdisciplinary Approaches (Dossier). Indiana 30, Berlin: Ibero‐Amerikanisches Institut 2013.

23

demographische Situation in der Stadt, die von einer breiten spanischstämmigen und

kreolischen Oberschicht dominiert wurde, und die Sitz des Bistums bzw. Erzbistums war,

unterscheidet sich grundlegend von der Situation Carabucos. Daher können hier auch

sehr unterschiedliche Strategien beobachtet werden, bestimmte Formen von Sakralität

zu etablieren. Hervorzuheben ist hierbei vor allem die Implementierung des Kultes der

Jungfrau von Guadalupe durch den Hieronymitaner Diego de Ocaña im Jahr 1601, der

auf Grundlage von Ocañas Bericht, Archivquellen und der Analyse des Kultbildes

untersucht wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass individuelle, gemeinschaftliche und

institutionelle Wirtschaftsinteressen einen Schlüsselfaktor in der Produktion und

Inszenierung sakraler Bildnissen und lokaler Heiligtümer darstellen. Das Bild allein war

nicht ausreichend für die erfolgreiche Implementierung eines Kultes. Wie auch in

Carabuco musste es in lokale Narrative und performative Strukturen eingebettet

werden, die seinen sakralen Charakter und seine wundertätigen Kräfte legitimierten und

kontinuierlich aktualisierten, allerdings in ganz anderer Art und Weise. Ocaña musste

die Menschen von der Wichtigkeit seines Anliegens überzeugen und sein eigenes

Wissen über die Jungfrau von Guadalupe auf eine Weise kommunizieren, auf die ihr

neuer Kontext ansprach. Zusätzlich musste er seinen exklusiven Anspruch auf die

„Echtheit“ des Bildes und „seines“ Kultes der Jungfrau erklären und rechtfertigen, indem

er auf seine eigene persönliche und körperliche Beziehung zu der originalen

Madonnenfigur verwies. Die intermediale Dynamik der Implementierung umfasste die

Produktion eines Schöpfungsmythos‘, neuer Texte, Theaterwerke, Musik und Gesänge

sowie die Etablierung einer Kultordnung mit Zeremonien, Messen, Prozessionen und

öffentlichen Festen, die den Festkalender und das liturgische Jahr modifizierten. Die

jährlichen Feierlichkeiten bedurften eines enormen finanziellen Budgets, schufen aber

eine kollektive Identität in und zwischen verschiedenen sozialen und ethnischen

Gruppen.

Ein weiterer Aspekt, über den die Quellen Aufschluss geben, ist die Konkurrenz

zwischen sakralen Bildern bzw. zwischen den Administratoren, „Managern“ oder

Förderern der entsprechenden Heiligtümer. Die Jagd nach Almosen führte sogar zu

24

Konflikten zwischen Anhängern der verschiedenen Stätten des gleichen Kultes. In

anderen Fällen führten die direkten Konkurrenzen zwischen verschiedenen

Heiligenkulten zur Blüte einiger und zum Misserfolg anderer Kultbilder und heiliger

Orte. So war das in Carabuco ja äußerst „erfolgreiche“ wundertätige Kreuz, das Bischof

Ramírez de Vergara in die Kathedrale mitbrachte, in La Plata dem Kultbild der Jungfrau

von Guadalupe konkurrenzlos unterlegen.

Trotz Ocañas spanischer Herkunft, der starken Orientierung an seiner Heimat und der

von ihm gewählten europäischen Darstellungsweise kann die Jungfrau von Guadalupe

aus La Plata als transkulturelles Artefakt verstanden werden. Ocañas Text zeigt, dass die

spezifische Visualisierung der Jungfrau, ihre Implementierung und Inszenierung als

sakrales und wundertätiges Objekt, eng mit den jeweiligen kulturellen Ordnungen der

lateinamerikanischen Kontaktzonen verbunden ist. Diese unterscheiden sich in

mancherlei Hinsicht von denen der spanischen „Heimat“ des „originalen“ Kultbildes: in

der sozialen und ethnischen Struktur der Bevölkerung, den lokalen Macht‐ und

Herrschaftsstrukturen, dem religiösen Wissens der Akteursgruppen und dem Grad ihrer

Durchdringung mit katholischen Konzepten von Sakralität und Repräsentation.

Die Produktion und Rezeption des Bildes aus Charcas ermöglichte dessen Adaption an

lokale Systeme der Repräsentation, Kommunikation und performativen Praxis. Die von

Ocaña einst geschaffene Madonna wurde in Form und Materialität in einem solchen

Maß modifiziert, dass wir von einer kollektiven, plurikulturellen Autorenschaft sprechen

können, mindestens bezüglich seiner aktuellen Form. Der außergewöhnliche Erfolg des

Bildes bei Menschen unterschiedlichster ethnischer, sozialer oder kultureller Herkunft

zeigt, dass es nicht so sehr eine Frage der kulturellen „Wurzeln“ des Autors oder der

Autorin ist, oder der darin eingeschriebenen Zeichen einer wie auch immer gearteten

Ethnizität, die ausschlaggebend dafür sind, ob ein Bild zum Medium transkultureller

kommunikativer Prozesse wird. Das transkulturelle Potential visueller Repräsentationen

oder auch anderer materieller Artefakte kann an sichtbare Elemente gebunden sein,

muss es aber nicht. Es kann für den Betrachter auch zunächst „unsichtbar“ bleiben und

Abb. 1: Antonio de Herrera Descripción de la Real Audiencia de Charcas( 1601)

Abb. 2: Kreuz von Carabuco

Abb. 4: José López de los Ríos: Infierno (Hölle)

(1684)

Abb. 6: José López de los Ríos: Juicio Final (Jüngstes

Gericht) (1684)

Abb. 3 José López de los Ríos: Gloria (Himmel) (1684)

Abb. 5: José López de los Ríos: Purgatorio

(Fegefeuer) (1684)

Abb. 7: Virgen de Guadalupe, La Plata