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1 Alkohol – Wieviel ist Zuviel? Dr. Georg Kremer Psychologischer Psychotherapeut, Therapeutische Leitung der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen

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Alkohol – Wieviel ist Zuviel? Dr. Georg Kremer

Psychologischer Psychotherapeut, Therapeutische Leitung der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen

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1. Konsummenge Wieviel Alkohol trinkt jemand (pro Tag und pro Woche)?

Problematischer Alkoholkonsum: Drei Zugänge

2. Definition von Krankheit

Wann sprechen Fachleute von suchtmittelbezogenen Erkrankungen? Welche Symptome müssen zutreffen?

3. Subjektive Problemdefinition

Wann und warum ist für die/den Betroffene/n der Konsum ein Problem?

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~ 4,8 Mio. abstinent

~ 33,4 Mio. risikoarm

~ 6,6 Mio. riskant

~ 2,6 Mio. Missbrauch

~ 1,65 Mio. abhängig

Konsumverteilung Alkohol (18-65jährige)

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1995 2000 2005 2008 2009 2010a

Bier 135,9 125,5 115,3 111,1 109,6 (-1,4%*)

107,4 (-2,0%)

Wein** 17,4 19,0 19,9 20,7 20,1 (-2,9%) 20,5 (+2,0%)

Schaumwein 6,5 4,1 3,8 3,9 3,9 (+0,0%) 3,9 (+0,0%)

Spirituosen*** 5,9 5,8 5,7 5,5 5,4 (-1,8%) 5,4 (+0,0%)

Verbrauch je Einwohner an Bier, Wein, Schaumwein und Spirituosen (Liter)

DHS Jahrbuch Sucht 2012

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Verbrauch im internationalen Vergleich 2008 (Liter reinen Alkohols pro Kopf) EU-Länder und weitere ausgewählte

Estland 17,24

Tschechien 16,47

Litauen 16,30

Russische Föderation 16,23

Rumänien 16,15

Ungarn 16,12

Slowenien 14,94

Irland 14,92

Polen 14.43

Portugal 13,89

Lettland 13,45

Slowakei 13,31

Großbritannien 13,24

Finnland 13,10

Luxemburg 12,84

Frankreich 12,48

Österreich 12,40

Deutschland 12,14

China 5,56 DHS Jahrbuch Sucht 2012

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Weitgehend Konsens besteht darüber, dass Konsummengen von Alkohol im Umfang von

maximal 12 g Alkohol täglich bei erwachsenen Frauen sowie

maximal 24 g Alkohol täglich bei erwachsenen Männern

als „risikoarm“ gelten können.

Dies würde beispielsweise dem Konsum von etwa 120 ml (ein kleines Glas) Rotwein bei Frauen und 240 ml (zwei kleine Gläser) Rotwein pro Tag bei Männern entsprechen.

Von riskantem Konsum kann bei Männern bei Mengen von über 24 g bis 60 g (Frauen: über 12 g bis 40 g), von gefährlichem Konsum bei über 60 g bis 120 g (Frauen: über 40 g bis 80 g) und schließlich von Hochkonsum bei über 120 g bei Männern und über 80 g Alkohol-konsum am Tag bei Frauen gesprochen werden.

Kraus, L. et al. 2010

Wieviel ist nun zuviel?

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Frauen: risikoarm riskant hochriskant

Männer: risikoarm riskant hochriskant

Anzahl Standardgetränke 0 10 20 30 40 50

2 Flaschen Wein

pro Woche

5 Flaschen Wein

pro Woche

10 L. Bier od. 1,25 L. Schnaps

pro Woche

4 L. Bier od. 0,5 L. Schnaps

pro Woche

Standardgetränke und Risikoentwicklung

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Deutsche Jugendliche trinken häufiger und mehr Alkohol als in anderen europäischen Ländern. In vielen Vergleichen liegt Deutschland in der Spitzengruppe. 8,2% der 12- bis 17- Jährigen trinkt Alkoholmengen, die auch für gesunde Erwachsene riskant oder gefährlich sind . Binge-Drinking: Jeder fünfte Jugendliche trinkt einmal im Monat 5 Gläser oder mehr (BZgA 2009). Diese Menge ist für Jugendliche gefährlich, da sie die körperliche und geistige Entwicklung beeinträchtigen kann Die Zahl der Jugendlichen, die mit akuter Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden müssen, ist zwischen 2000 und 2008 um 170 Prozent gestiegen (von 9.514 auf 25.709). Bier und Weinmischgetränke, sowie Alkopops, gehören zu den beliebtesten Getränken von Jugendlichen.

Jugend und Alkohol

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Jugend und Alkohol

Was geht gar nicht?

Harte Alkoholika!

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Die gesetzlichen Bestimmungen Für das Führen von Fahrzeugen gilt nach dem StVG die Obergrenze von 0,5 Promille. Bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen 0,5 Promille und 1,09 Promille ohne Ausfallerscheinungen beim Fahrzeugführer liegt eine Ordnungswidrigkeit nach §24 StVG vor. Beim Fahren unter Alkoholeinfluss wird eine Unterscheidung getroffen zwischen relativer und absoluter Fahruntüchtigkeit. Eine relative alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit besteht, wenn unterhalb der Grenze von unter 1,1 Promille, also auch schon bei 0,3 Promille, bestimmte weitere Beweisanzeichen für Fahruntüchtigkeit vorliegen, wie z.B. leichtsinnige Fahrweise, Fahren in Schlangenlinien, Fahrfehler oder in einen Unfall verwickelt sein. Unterhalb einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,3 Promille kann relative Fahruntüchtigkeit nur bei Auftreten außergewöhnlicher Umstände vorliegen. Ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,1 Promille nimmt der Gesetzgeber an, dass niemand mehr in der Lage ist, ein Auto sicher zu führen, weil die Leistungsfähigkeit so stark herabgesetzt ist, dass keiner mehr den Anforderungen des Verkehrs gerecht wird. Daher wird eine absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,1 Promille angenommen, auch wenn keine Ausfallerscheinungen sichtbar werden. Wer in diesem Zustand ein Kraftfahrzeug führt, handelt grundsätzlich grob fahrlässig. Es wird im jedem Fall ein Strafverfahren eingeleitet.

Alkohol im Straßenverkehr

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Gut zu wissen: Eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) kann nicht nur mit Kraftfahrzeugen, sondern grundsätzlich auch mit dem Fahrrad begangen werden! Eine Trunkenheitsfahrt liegt immer dann vor, wenn das Fahrrad nicht mehr sicher geführt werden kann. Eine feste Promillegrenze gibt es hier nicht. Ist der Fahrradfahrer verkehrsauffällig geworden, kann die für Kraftfahrzeuge geltende Grenze von 0,5 Promille ab der eine Ordnungswidrigkeit vorliegt auch für Radfahrer herangezogen werden, hat der sogar einen Unfall verursacht, so ist auch hier - wie bei Kraftfahrzeugen - die 0,3-Promillegrenze ausschlaggebend. Als absolute Fahruntüchtigkeitsgrenze für Radfahrer hat der Bundesgerichtshof 1,7 Promille festgesetzt (bei Kraftfahrzeugen: 1,1 Promille). Einzelne Gerichte haben aber auch schon 1,5 Promille für die absolute Fahruntüchtigkeit ausreichen lassen.

Alkohol und Fahrradfahren

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Aber auch ein Fußgänger im Alkoholrausch kann seine Fahrerlaubnis aufs Spiel setzen, nämlich dann, wenn: "Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit oder Alkoholmissbrauch begründen". Dies ergibt sich aus § 13 der Fahrerlaubnis-Verordnung. Wer stark betrunken als Fußgänger unterwegs ist und kontrolliert wird, dessen Führerschein kann von der Polizei sichergestellt werden. Auch kann eine MPU mit der möglichen Folge des Führerscheinentzugs angeordnet werden.

Alkohol und Fussgänger

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Alkohol ist plazentagängig und gelangt so ungehindert in den Körper des sich entwickelnden Kindes. Wenn eine schwangere Frau Alkohol trinkt, dann trinkt ihr ungeborenes Kind mit. Schätzungen gehen davon aus, dass Pro Jahr in Deutschland 10.000 Kinder schon bei ihrer Geburt alkoholgeschädigt sind. Alkohol ist die häufigste erklärbare Ursache für Entwicklungsverzögerungen im Kindesalter. Allein in Deutschland kommen jährlich 2.200 Kinder mit schweren Entwicklungsstörungen aufgrund von Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft zur Welt. FAS (Fetales Alkoholsyndrom oder Alkoholembryopathie) ist die häufigste Ursache einer geistigen Behinderung noch vor dem Down-Syndrom und der Spina bifida.

Alkohol und Schwangerschaft

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Wird ein Embryo (bis zur 9. Schwangerschaftswoche) oder Fetus (ab der 9. Schwangerschaftswoche) während seiner Entwicklung Alkohol ausgesetzt, so wird er nicht nur in seiner Entwicklung gehemmt, sondern erfährt in Abhängigkeit von Reifestadium, Alkoholmenge und individueller Disposition weitere körperliche und kognitive Entwicklungsschädigungen.

Das fetale Alkoholsyndrom

• Körperliche Fehlbildungen und Auffällig- keiten (am häufigsten sind Gesichtsverände- rungen, Fehlbildungen der Augen, Nieren- schäden und Herzfehler) • Wachstumsstörungen (geringes Geburts- gewicht) • Störungen des zentralen Nervensystems (z. B. verminderte Intelligenz, Wahrnehmungs- störungen).

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Frauen, die schwanger sind, sollten keinen Alkohol trinken! Das Gleiche gilt für stillende Mütter: Das Kind trinkt mit!

Alkohol und Schwangerschaft

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Das französische Paradox ist der Begriff für die Beobachtung, dass Franzosen trotz fett- und kalorienreicher Ernährung eine niedrige Herzinfarktrate aufweisen. Dies wird auf den Weinkonsum zurückgeführt, insbesondere den Konsum von Rotwein. Pro Jahr trinkt der durchschnittliche Franzose (älter 15 Jahre) ca. 12 Liter reinen Alkohol! Auf Wein umgerechnet bedeutet das etwa 80 Flaschen. Es ist jedoch umstritten, ob das französische Paradox überhaupt existiert. So hat die WHO in einer Studie festgestellt, dass die Häufigkeit von Herzerkrankungen in Frankreich bisher unterschätzt wurde. Vor allem aber gibt es Länder mit einem höheren Rotweinkonsum als Frankreich, in denen ein solches Paradox nicht beobachtbar ist.

Das französische Paradoxon

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Gerne wird beim französischen Paradox auch die Rate anderer Alkoholfolgeschäden und –erkrankungen verschwiegen. Leberzirrhosen, Polyneuropathien, Korsakow-Erkrankungen etc. Diese unterscheiden sich nämlich in keiner Weise von den Raten aus Ländern, in denen ähnlich hohe Mengen an (anderem) Alkohol getrunken werden. Es liegt somit nahe, dass das französische Paradox eine Erfindung der Alkoholindustrie, genauer der französischen Weinbauern ist.

Das französische Paradoxon

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Das Thema „Alkoholkonsum am Arbeitsplatz“ ist in vielen Unternehmen nach wie vor aktuell: Experten schätzen, dass jede/r 5. -10. Mitarbeiter/in in einem Unternehmen einen riskanten oder gar schädlichen Suchtmittelkonsum betreibt. Konsequenzen wie Fehlzeiten und Ausfälle von Mitarbeitern/innen verursachen hohe wirtschaftliche Kosten. Sie stellen ein gesteigertes Sicherheitsrisiko dar.

Alkohol am Arbeitsplatz

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Mindestens eines der vier folgenden Kriterien zeigte sich wiederholt in den letzten zwölf Monaten:

Schädlicher Gebrauch / Missbrauch (nach ICD-10)

4. Soziale und zwischenmenschliche Probleme wegen Suchtmittelgebrauch

3. Probleme mit dem Strafgesetz wegen (oder infolge von) Suchtmittelgebrauch

2. Suchtmittelgebrauch in gefährlichen Situationen (z.B. selbstgefährdendes Verhalten im Straßenverkehr)

1. Erhebliche Probleme bei der Haushaltsführung, in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Schule wegen Suchtmittelgebrauch

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Mindestens drei der 6 folgenden Kriterien zeigten sich irgendwann gemeinsam über einen Monat oder wiederholt in den letzten zwölf Monaten:

Abhängigkeit (nach ICD-10)

4. Körperliches Entzugssyndrom bzw. Konsum, um Entzug zu lindern oder zu vermeiden

3. Toleranzentwicklung

2. Verminderte Kontrollfähigkeit

1. Starker Wunsch / Zwang zu konsumieren

5. Eingeengtes Verhaltensmuster bzw. fortschreitender Interessenverlust

6. Anhaltender Konsum trotz schädlicher Folgen

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Ursachen einer Abhängigkeit

Persönlichkeit? Es gibt keine typische Persönlichkeit abhängig konsumierender!

Vererbung? Disposition ja – insbesondere bei Söhnen alkohol- abhängiger Väter -, Ausprägung einer Abhängigkeit braucht aber mehr als das.

Schwere Kindheit? Schicksalsschläge? Keine ein- deutigen Unterschiede in Lebensläufen Abhängiger und Nicht-Abhängiger.

Also was dann? Komplexe individuelle Lern- und Konditionierungs- und Bewältigungsprozesse …

Lerntheorie: Sucht ist erlerntes dysfunktionales Verhalten

Tiefenpsychologie: Sucht ist immer eine Störung der Affektregulation

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„2,65 Millionen Mädchen und Jungen haben alkoholkranke Eltern. In Deutschland wächst fast jedes fünfte Kind bei drogen- oder alkoholabhängigen Eltern auf. Das geht aus dem Jahresbericht der deutschen und europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hervor, den Mechthild Dyckmans, die Beauftragte der Bundesregierung, am Dienstag vorgestellt hat. „

Jahresbericht der europäischen Drogenbeobachtungsstelle

Aus: Süddeutsche Zeitung, 15.11.2011

Zum Beispiel die Osbournes

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Zur Situation von Kindern in alkoholbelasteten Familien

Miteinander voller Widersprüche Fürsorge vs Desinteresse

Wertschätzung vs Verachtung

Lob vs Strafe

Versprechungen vs Enttäuschungen

Liebe vs Hass

Die häusliche Atmosphäre ist davon bestimmt, ob getrunken wurde oder nicht.

Alkohol und Familie

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Allgemeine Konsequenzen für die Kinder (1)

Sie leben in einer Zwickmühle aus Liebe und Enttäuschung.

Sie erleben regelmäßigen und übermäßigen Alkoholkonsum als normal.

Gemeinsam mit dem nichttrinkenden Elternteil versuchen sie nach außen eine heile Fassade aufrechtzuerhalten.

Aus Scham wenden sie sich nicht an Außenstehende.

Teilweise erleben sie auch von Außenstehenden Ablehnung.

Alkohol und Familie

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Allgemeine Konsequenzen für die Kinder (2) - insbesondere, wenn die Mutter trinkt –

Sie sind häufig sich selbst überlassen.

Werden mangelhaft versorgt und übernehmen nicht selten hauptverantwortlich Aufgaben der Haushaltsführung bis hin zur Betreuung und Versorgung jüngerer Geschwister.

Sie werden (viel zu früh) zu „Ersatzmüttern“, eigene Bedürfnisse nach Wärme und Fürsorge werden nicht befriedigt.

Alkohol und Familie

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Psychische Konsequenzen für die Kinder

Sie werden im Bindungsverhalten extrem verunsichert

Sie suchen die Schuld bei sich

Sie passen sich an und verleugnen dabei ihre eigenen Gefühle

Sie entwickeln oft eine der „typischen“ Rollen:

> Held – aktiv, leistungsorientiert, früh selbständig > Sündenbock – trotzig, feindselig, wenig Selbstwert, früh Konsum > Das verlorene Kind – unauffälig (brav), unsicher, einsam > Clown – lustig, unreif, ängstlich, wenig belastbar

Wenn Aggressivität im Spiel ist, entwickeln sie oftmals frühzeitig aus- geprägte Angststörungen

Alkohol und Familie

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Konsequenzen für die Entwicklung der Kinder

Sie schneiden bei IQ-Tests oft schlechter ab

Sie sind in ihrem sprachlichen Ausdruck weniger weit entwickelt

Sie zeigen in der Schule oft unangemessenes Verhalten, sind oft weniger leistungsfähig

zeigen häufiger hyperaktives Verhalten und Aufmerksamkeitsstörungen

berichten häufiger über Ängste und depressive Symptome

sind öfter sexuellem Missbrauch und körperlicher Gewalt ausgesetzt

neigen eher zu somatischen oder psychosomatischen Symptomen

Alkohol und Familie

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Entgiftung Krankenkassen

Entwöhnung Rentenversicherer

Psychiatrie od. Allg.-Krkhs. Mehr od. weniger qualifiziert

Fachklinik oder Beratungs-stelle

Stat.: 2 – 6 Monate Amb.: ~ 12 Monate

Tiefenpsychologisch oder verhaltenstherapeutisch oder systemisch oder integrativ

Stat.: 5 – 21 Tage Amb.: 5 Tage

Medikamentös gestützt Teilweise VT-Elemente

Behandlung komorbider Störungen Einleitung von Nachsorge

Anbindung Hilfesystem

Empfehlungsvereinbarung

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Entwöhnungsbehandlungen Alkohol- und Drogenabhängige

46.403 abgeschlossen Davon etwa 1/5 illegale Drogen

10.594 abgeschlossen Davon etwa 1/10 illegale Drogen

2010 stationär 2010 ambulant

Behandlung der Abhängigkeit: Der Königsweg

Verhältnis Männer / Frauen = 3,5 / 1

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Ambulante / komplementäre / Reha Suchthilfe in Bielefeld

DROBS Suchtberatung

ASB Suchtberatung

Hellweg-Bera-tungszentrum Suchtberatung

Caritas Suchtberatung

A-K-H Stat. Eingliede-rungshilfe

TrockendockAnlaufstelle

Hellweg-Klinik Stat. Reha

Hellweg-Klinik Tageskl. Reha

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Weitere Anbieter von Suchthilfen i.w.S. in Bielefeld

Selbsthilfegruppen Ca. 60 Gruppen verschiedener Anbieter in Bielefeld.

Ambulante Eingliederungshilfe Betreutes Wohnen. Zahlreiche Anbieter.

Allgemeinkrankenhäuser Insbesondere Franziskus und Rosenhöhe, seltener Städtisches.

Niedergelassene HausärztInnen Insbesondere Menschen mit riskanten und missbräuchlichen Konsummustern. Sonderfall Benzodiazepine!

Nervenärzte vermitteln schnell weiter an Psychiatrische Institutsambulanz.

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Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen 55 stationäre und 16 teilstationäre Behandlungsplätze + Institutsambulanz

Behandlung von Menschen mit stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen Legale Substanzen (Alkohol und Medikamente) Illegale Substanzen (Opiate, Kokain, Cannabis, Amphetamine und anderes)

Stationär (Gilead IV), teilstationär (Bethel-Eck) und ambulant (beide Standorte)

Entgiftung Qualifizierter Entzug Therapievorbereitung Motivationsbehandlung Substitution Krisenintervention Behandlung von somatischen und psychiatrischen

Begleiterkrankungen …

Suchtbehandlung in der Psychiatrie

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Wie motiviert man die Süchtigen?

„Sie dürfen in Zukunft …“ - „Ja, nee, is‘ klar, Doktor!“

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Stärke der Kräfte

Aufhören zu

rauchen

(+-)

31.12.

„Ja, ich will!“-Kräfte

„Nein, ich will nicht!“-Kräfte

Ambivalenz

01.12.

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)

Ziele sollen ...

... gemeinsam mit PatientInnen aufgestellt werden

... bedeutsam für PatientInnen sein

... klein sein

... konkret, meßbar und verhaltensbezogen sein

... realistisch und erreichbar sein

... eher das Vorhandensein als die Abwesenheit von etwas zum Ausdruck bringen

... eher einen Anfang als ein Ende beschreiben

Wohlgestaltete Ziele finden Quelle: Berg & Miller 1995

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Mann, 44 J., vor 1 Jahr Führerscheinverlust wg. Alkohol, seitdem arbeitslos. Die Ehefrau hat sich räumlich von ihm getrennt, die Partnerschaft aber noch nicht endgültig aufgegeben. Der Patient trinkt überwiegend allein zu Hause, in den letzten Monaten mit steigender Tendenz und beginnenden gesundheitlichen Beschwerden bes. im Magenbereich.

Partnerschaft Führerschein Freizeit Paargespräche, Angebot Antabus, Führerscheinvorbereitungskurs Genusstraining, GSK Monitoring der Medikation Regelmäßiger Gesundheitscheck Alkoholfreier Treffpunkt, Tanzkurs

Der Community Reinforcement Approach

Wohlgestaltete, wertvolle Ziele finden

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Gemeinsam entscheiden! Shared decision making

Gemeinsam getragene Problemdefinition

Gemeinsam getragene Therapieentscheidung

Regelmäßige gemeinsame Überprüfung und ggfs.

Korrektur

Wie motiviert man die Süchtigen?

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Ach ja, wieviel war jetzt nochmal zuviel? „Et kütt druff an!“ würde der Jeck sagen.

Et kütt druff an, in welchem Alter in welcher Situation mit welcher Funktion wie oft …

Und ob es auch ohne geht! Denn: Et hätt nich immer jot jejange!