Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! · 2008. 5. 27. · 6 Altenhilfe und...

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Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! Gesundheit Berlin (Hrsg.) 13. Kongress Armut und Gesundheit Teilhabe stärken – Empowerment fördern – Gesundheitschancen verbessern! Dokumentation des Themenbereiches Gesundheitsfördernde Lebenswelten schaffen für ältere Menschen

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Altenhilfe undAltenselbsthilfe wirksamergestalten!Gesundheit Berlin (Hrsg.)

13. Kongress Armut und GesundheitTeilhabe stärken – Empowerment fördern –Gesundheitschancen verbessern!

Dokumentation des Themenbereiches Gesundheitsfördernde Lebenswelten schaffen für ältere Menschen

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Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! 1

Gesundheit Berlin (Hrsg.)

ALTENHILFE UND ALTENSELBSTHILFE

WIRKSAMER GESTALTEN!

BEITRÄGE ZUM THEMENBEREICH

GESUNDHEITSFÖRDERNDE LEBENSWELTEN SCHAFFENFÜR ÄLTERE MENSCHEN

AUF DEM 13. KONGRESS ARMUT UND GESUNDHEIT

Impressum

Verlag: Gesundheit Berlin e.V. Friedrichstraße 231, 10969 Berlin Copyright © 2008 Gesundheit Berlin e.V.

Redaktion: Stefan Pospiech, Dr. Heinz Trommer Satz: Tina Broschat Umschlaggestaltung: Connye Wolf Printed in Germany 2008 ISBN: 978-3-939012-09-02

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2 Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten!

Foto: Anja Weber

Der 13. Kongress Armut und Gesundheit ist eine Gemeinschaftsinitiativefolgender Partner:

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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT................................................................................................... 4

Beiträge

Neurobiologische Erkenntnisse zur Teilhabe im Alter ................................. 7 PD Dr. Heinz Trommer

Von der Lust und der Last des Alterns heute Existenzielle Problemstellungen des Alterns im Horizont (welt-)gesellschaftlicher Entwicklungstrends ............................................. 13 Jörg Siebert

Ziele und erste Ideen des 6. Altenberichtes der Bundesregierung.............. 16Dipl.-Päd. Heike Heinemann

Lernen will gelernt sein - Neues aus dem EFI-Projekt ............................... 23 Dipl.-Päd., Dipl.-Geront. Barbara Weigl, Dipl.-Pol. Jo Rodejohan

Der präventive Hausbesuch – Anforderungen an ein niedrigschwelliges Angebot der Gesundheitsförderung für ältere Menschen ........................... 28 Dr. Josefine Heusinger

Helfen bevor Hilfe nötig wird – Präventive Hausbesuche.......................... 34 Dr. Christiane Perschke-Hartmann

Neue Anforderungen an Sozialkommissionen............................................ 44Regina Saeger

Verbrauchernahe Qualitätskriterien für Pflegeheime ................................. 50Dr. Josefine Heusinger, Dr. Christine Roßberg, Renate Michalski

Autorinnen und Autoren.............................................................................. 57

Literaturempfehlungen des Arbeitskreises Altern und Gesundheit ............ 63

Ziele, Aufgaben und Arbeitsweise des Arbeitsreises Altern und Gesundheit .................................................... 65

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VORWORT

„Teilhabe stärken – Empowerment fördern – Gesundheitschancen verbessern!“ unterdiesem Motto fand der 13. Kongress „Armut und Gesundheit“ am 30.11./01.12.2007 in Berlin statt. 1.700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben auf dieser größten regelmä-ßigen Public Health-Veranstaltung in über 70 Einzelveranstaltungen über Möglichkei-ten und Strategien zur Verbesserung der gesundheitlichen Lage sozial benachteiligter Menschen diskutiert. Organisiert wurde der Kongress von Gesundheit Berlin e. V.

Der Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf der Frage, wie Menschen zu politischer, sozia-ler, kultureller oder beruflicher Teilhabe befähigt werden können. Dabei stellen natür-lich auch die materiellen Teilhabemöglichkeiten einen entscheidenden Parameter dar. Teilhabe ist für die Frage gesundheitlicher Chancengleichheit somit grundlegend. Ge-lungene Teilhabe kann einen Beitrag zur Stärkung subjektiver Gesundheitsressourcen leisten. Umgekehrt gilt aber auch: Gesundheit beeinflusst die Möglichkeiten zur bürger-schaftlichen Partizipation und sozialen Teilhabe. Wer krank ist, kann nur unter er-schwerten Bedingungen am sozialen Leben teilnehmen oder sich engagieren. Der Ansatz des „Empowerment“ umfasst Strategien und Maßnahmen, die Menschen dabei helfen, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen, ihre Belange zu vertreten und zu gestalten. Im Kontext der Gesundheitsförderung und Prävention ver-steht man unter Empowerment vor allem einen Prozess, der das Selbstvertrauen stärkt und Menschen in die Lage versetzt, ihre Lebenssituation in den unterschiedlichen kon-kreten Bezügen (Settings) zu gestalten, aber auch gesellschaftliche und politische Struk-turen aktiv gesundheitsfördernd (mit) zu bestimmen. Der Kongress thematisierte die Umsetzung dieser Konzepte aus vielfältigen Perspekti-ven: Wie können gesundheitsfördernde Lebenswelten geschaffen werden, in denen Teilhabe möglich ist? Wie können gerade sozial benachteiligte Zielgruppen in die Pla-nung und Gestaltung gesundheitsfördernder Maßnahmen eingebunden werden und wel-che Strategien sind notwendig, dass die Ziele der soziallagenbezogenen Gesundheits-förderung umgesetzt werden können?

Der Bereich Altern und Gesundheit wird seit dem 6. Kongress besonders vom Berliner Arbeitskreis Altern und Gesundheit organisiert und gestaltet. Dabei standen und stehen die spezifischen Lebens- und Problemlagen alter, älterer und hochbetagter Menschen im Mittelpunkt. Thematisiert wurden bisher:

Altersarmut und höheres GesundheitsrisikoAltersarmut- Risiken bei der Erhaltung der psychischen Gesundheit im Alter Angst vor dem Altern in schwierigen LebenslagenAlter und Behinderung Altern und mögliche Risiken sozialer Armut“, Altern – Verlust oder Gewinn von Menschenwürde? Chancen und Barrieren der Teilhabe im Alter.

Ausgehend von diesbezüglichen theoretischen Grundlagen wurden vor allem praxisori-entierte Untersuchungen und Projektberichte vorgestellt.

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Auf dem 13. Kongress stand der Themenblock unter dem Titel „GesundheitsförderndeLebenswelten schaffen für ältere Menschen“. Die Themenblöcke hatten die Schwer-punkte Chancen für Teilhabe, die Befähigung und Aktivierung für Teilhabe und die Strukturen für Teilhabe im Alter. Die Dokumentation fasst die Beiträge des Themen-blocks zusammen.

Im Beitrag „Neurobiologische Erkenntnisse zur Teilhabe im Alter“ regt Dr. Heinz Trommer die Nutzung der Ergebnisse der Hirnforschung für die Sozialarbeit an. Diese Kenntnisse werden für Motivation, Kommunikation, soziale Intelligenz, soziale Gefühle und soziale Erfahrungen benötigt.

Jörg Siebert geht in seinem Beitrag „Von der Lust und der Last des Alterns heute“ vonden Aussagen des UN-Berichtes „Die alternde Weltbevölkerung 1950 bis 2050“ aus: „Die Veränderung der Altersstruktur sowie soziale und wirtschaftliche Kräfte zwingen uns, neue Formen des Lebens, der Arbeit und der Fürsorge füreinander zu finden und greifen tief in die Struktur der menschlichen Gesellschaft ein“.

Heike Heinemann verweist in ihrem Beitrag „Ziele und erste Ideen des 6. Altenberich-tes der Bundesregierung“ auf die gegenwärtige Diskussion über Altersstereotype. Ziel des 6. Altenberichtes: Altersbilder in ihrer Differenziertheit zu beschreiben sowie eine kritische Reflexion bestehender Altersbilder zu initiieren.

Barbara Weigl und Jo Rodejohann berichten in ihrem Beitrag „Lernen will gelernt sein - Neues aus dem EFI-Projekt“ - über Erfahrungen zur Befähigung älterer Menschen zum Engagement im Gemeinwesen sowie über detaillierte Praxiserfahrungen in Berlin.

In dem Beitrag von Dr. Josefine Heusinger „Der Präventive Hausbesuch - Anforderun-gen an ein niedrigschwelliges Angebot der Gesundheitsförderung für ältere Menschen“werden drei Beispielprojekte ausgewertet und die Wirksamkeit präventiver Hausbesu-che belegt. Gesundheitspolitische Entscheidungen sind erforderlich.

Christiane Perschke-Hartmann stellt im Beitrag „Helfen bevor Hilfe nötig wird - Prä-ventive Hausbesuche“ ein Pilotprojekt und dessen praktische Erprobung vor. Mit die-sem Angebot werden auch sozial Benachteiligte gut erreicht.

Ein informativer Überblick wird in dem Bericht von Regina Saeger über „Neue Anfor-derungen an Sozialkommissionen“ vermittelt. Gleichzeitig werden Impulse für künftige Aufgabenstellungen der Sozialkommissionen gegeben.

In einem Diskussionsforum „Verbrauchernahe Qualitätskriterien für Pflegeheime“wurde ein reger Erfahrungsaustausch mit Leiterinnen von Berliner Pflegeeinrichtungen über Möglichkeiten und Probleme der Teilhabe von Heimbewohnern am sozialen und kulturellen Leben geführt. Insgesamt wurden mehrere bewährte Empfehlungen vorge-schlagen.

Seniorenbezogene Gesundheitsförderung und Prävention auf kommunaler Ebene wird nicht nur in Berlin zu einer vorrangigen Aufgabe. Mit der Erhebung des Deutschen In-stituts für Urbanistik (BZgA 2007) wurde die Vielfalt von Angeboten deutlich, es fehlt jedoch noch an einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden Versorgung sowie ei-ner ausreichenden Vernetzung und zielgerichteten Zusammenarbeit der verschiedenen kommunalen Dienste, Ämter und Institutionen.

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Zielstellung muss mehr als bisher die Begrenzung des Anstiegs der Pflegebedürftigkeit sowie der Erhalt von Selbständigkeit und Lebensqualität im Alter sein. Die gemeinsame Erarbeitung von kommunalen Handlungskonzepten in den Stadtbezirken ist von allen Organisationen der Altenpolitik, Altenhilfe und Altenselbsthilfe effizient zu unterstüt-zen.In der Beratung und Betreuung der alten, älteren und hochbetagten Frauen und Männer muss mehr als bisher eine differenzierte Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden, die dar-auf zielt, sie in ihrer Unterschiedlichkeit zu befähigen und zu motivieren, bestehende Angebote zu nutzen und ihre Interessen einzubringen. Dies ist ein wesentlicher Baustein für die Entwicklung differenzierter und bedarfsgerechter gesundheitsförderlicher Struk-turen und Maßnahmen, die die Vorteile gesundheitsbewussterer Lebensstile erlebbar machen.

Carola Gold PD Dr. Heinz Trommer Dr. Josefine Heusinger

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Heinz Trommer: Neurobiologische Erkenntnisse zur Teilhabe im Alter

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Heinz Trommer

Neurobiologische Erkenntnisse zur Teilhabe im Alter

Was ist Teilhabe?

Unter Teilhabe wird im Kern die soziale und kulturelle Zugehörigkeit von Menschen zu Gemeinschaften oder Milieus verstanden – aber auch der Anteil am materiellen Wohlstand und die Teilhabe am ökonomischen Austausch einer Gesellschaft. Teilhabe umfasst soziale, politische, kulturelle und sozioökonomische Aspekte. Teilha-be ist das Konzept für Selbstbestimmung und Eigenverantwortung und Synonym für Partizipation. Sie ist eine Voraussetzung für die Entwicklung von Lebensqualität und individuellen Lebensentwürfen im Alter. Strategien und Maßnahmen, die den Menschen helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, werden unter dem Begriff Empowerment zusammengefasst. Sie ist eine bedeut-same Stärkung vorhandener Potenziale. Armut ist die unterste und zugleich weit reichende Form von Benachteiligung. Sie schränkt die Handlungsspielräume gravierend ein und schließt eine gleichberechtigte Teilhabe an den Aktivitäten und Lebensbedingungen der Gesellschaft aus.

Die soziale Teilhabe beginnt mit dem ersten AUGENBLICK Aus Untersuchungen ist bekannt, dass der erste visuelle Kontakt des Neugeboren mit der Mutter (Glanz in den Augen) emotional verarbeitet wird: „Ich bin angenommen!“ - Eine wesentliche psychosoziale Basis für die künftige Ent-wicklung!

Beiträge der Hirnforschung zur Teilhabe

Warum haben wir dieses Thema „Neurobiologische Erkenntnisse zur Teilhabe im Al-ter“ für dieses Forum ausgewählt? Kurze Antwort: Die umfangreichen Ergebnisse der Hirnforschung sind leider in der operativen Sozialarbeit zu wenig oder gar nicht be-kannt, sie werden demzufolge auch nicht genutzt. Und das sollte sicht ändern. Singer, einer der führenden Hirnforscher Deutschlands, beschreibt, wie die Hirnfor-schung in ihrer relativ kurzen Geschichte erstaunliche Einblicke in die Funktionsweise von Nervensystemen erreichte. Aus diesen Untersuchungen wissen wir, wie wir lernen, wie unser Gehirn Sprache verarbeitet, wie wir unsere Bewegungen steuern und wie wir Entscheidungen treffen. - Strukturen, deren Funktionen höchste geistige Leistungen wie Empathie, soziale Kompetenz und moralisches Urteilen vermitteln, konnten in den neu-rowissenschaftlichen Untersuchungen identifiziert werden. Die moderne Neurobiologie geht davon aus, dass alle geistigen Funktionen auf neurona-len Prozessen beruhen. Zurzeit werden Methoden der Theorie des Geistes (theory of minds) zum wissenschaftlich fundierten Verstehen von Fairness, Mitgefühl und Koope-

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ration entwickelt. - Auf der Grundlage umfangreicher empirischer Forschung vermittelt Gigerenzer, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, interes-sante Erkenntnisse über die Entstehung der unbewussten Intelligenz und der Intuition. Nachgewiesen wurde, dass das menschliche Gehirn etwa bis zum 20. Lebensjahr indi-viduelle Grundstrukturen entwickelt und in dieser Phase der Ausreifung die Interaktion vor allem mit der sozialen Umwelt. benötigt. Interessant sind die Wechselwirkungen zwischen den so gewonnenen Informationen und den gespeicherten genetischen Instruk-tionen im weiteren Verlauf der Lebensbiografie. Für die Teilhabe im Alter ergeben sich folgende relevante Fragen:

Wie entwickeln sich Motivationen? Welche Erkenntnisse liegen aus den Untersuchungen der Spiegelneuronen für die Kommunikation und soziale Intelligenz vor? Wie greifen soziale Gefühle und soziale Erfahrungen in die bewusste Planung und Steuerung unseres Verhaltens ein?

Untersuchungen von Motivationssystemen

Was treibt uns an? Was bewegt uns? Was verändert unsere Trägheit? Was motiviert uns (Motiv, lat.: Bewegung, - abgeleitet: Motor). Lange Zeit wurde angenommen, dass der biologische Antrieb in der Konkurrenz und im Kampf liegt. Als Grundregel des Lebens sah Charles Darwin den „Kampf ums Überle-ben“.Nach den neueren neurobiologischen Untersuchungen - u. a. von Braun, Roth, Aon, Bartels - ist die Gattung Mensch ein Lebewesen, dessen „zentrale Motivation auf Zu-wendung und gelingende mitmenschliche Beziehungen“ (Braun) ausgerichtet ist. Diese Erkenntnisse werden aus den Untersuchungen der Motivationssysteme neurobio-logisch belegt. Im Mittelhirn befinden sich Nervenssysteme, die als Motivationssysteme oder auch als Belohnungssysteme und Antriebsaggregate bezeichnet werden. Entspre-chend ihrer Lokalisation haben sie wesentlichen Einfluss auf viele Hirnregionen und insbesondere wechselseitige nervale Beziehungen zu den Emotionszentren. - Der von den Motivationssystemen ausgelöste Botenstoff Dopamin erzeugt Antrieb und Energie. Die Motivationssysteme reagieren auf zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschät-zung, Zuwendung und Zuneigung. Am Leben der Anderen teilzuhaben stabilisiert das Selbstwertgefühl. Ausschlaggebend sind also Resonanz und Kooperation.

Wenn keine Chance auf soziale Zuwendung besteht, schalten die nervalen Motivations-systeme ab. „Über längere Zeit vorenthaltener sozialer Kontakt hat den ‚biologischen Kollaps’ der Motivationssysteme im Gehirn zur Folge. Dies erklärt, warum Menschen nach dem Verlust wichtiger zwischenmenschlicher Beziehungen oft einen Einbruch ihrer Lebensmotivation erleben und von den Gefühlen der Sinnlosigkeit geplagt wer-den.“ (Braun) Ein typisches Beispiel: Suizid nach Tod des geliebten Partners. Längere Isolation und Verlust von wertvollen Bindungen kann zu Depressionen und anderen schwerwiegenden psychischen Störungen führen. Soziale Ausgrenzung und Isolation initiieren Apathie, Demotivation und auch aggressives Verhalten. Der Einfluss

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der unmittelbaren sozialen Umwelt - bereits in der frühen Kindheit - entscheidet, welche unterschiedlichen Verhaltensmuster ausgeprägt und stabilisiert werden. Neben Dopamin ist ein anderer Botenstoff als körpereigenes Hormon wirksam: Oxyto-zin bewirkt als Ursache und Wirkung zwischenmenschliche Bindungserfahrungen. Es erhöht die Bereitschaft, anderen Menschen zu vertrauen. Damit verbundene Gefühle werden in Emotionszentren gespeichert. Braun fasst fünf wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung von festen Bezie-hungen zusammen: Menschen wollen aus neurobiologischer Sicht als Person wahrge-nommen werden, erforderlich sind gemeinsame Aufmerksamkeit, emotionale Resonanz, gemeinsames Handeln sowie das Verstehen von Motivationen und Absichten.

Untersuchungen von Spiegelneuronen

In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden von Rizolatti Unter-suchungen durchgeführt, die zu einer neuro-biologischen Sensation - der neurobiologi-schen Resonanz - führten. Nachgewiesen wurden Spiegelneuronen. Spiegelneuronen befinden sich in einer speziellen Region der Hirnrinde, im motorischen Cortex, in der ebenfalls die Nervenzellen für Muskel-bewegungen lokalisiert sind. Spiegelneuro-nen werden als handlungssteuernde Nerven-

zellen bezeichnet. Sie verfügen über Programme, mit denen sich zielgerichtete Aktionen ausführen lassen. Es gibt eine enge Wechselwirkung zwischen den Bewegungsneuronen und diesen handlungs- steuernden Neuronen, die die Bewegungsnerven aktivieren. Die Beobachtung einer durch einen Menschen vollzogenen Handlung aktiviert im Ge-hirn des Beobachters ein eigenes neurobiologisches Programm. Die aktivierten Nerven-zellen werden als Spiegelneuronen bezeichnet. Jede Wahrnehmung eines Vorganges löst eine Spiegelreflexion aus. In Untersuchungen mit der Methode der funktionellen Kernspintomographie wurden Spiegelphänomene nachgewiesen.

Also durch die Beobachtung werden Netzwerke der eigenen Handlungsneuronen akti-viert. Beispiele aus dem Alltag sind bekannt: Gähnen wirkt ansteckend, beim Füttern des Kleinkindes öffnet die fütternde Mutter selbst ihren eigenen Mund, Lächeln wird oft unbewusst erwidert, Lachen wirkt ebenfalls ansteckend, gleiche Sitzhaltung wird häufig der des Gegenüber eingenommen… In der Psychotherapie werden diesbezügliche Er-kenntnisse effizient umgesetzt. Spiegelneuronen sind die Grundlage für Intuition, für intuitive Ahnung. Angst und Stress können die Wirkung von Spiegelneuronen beeinträchtigen. Nach den neueren Untersuchungen werden auch Empfindungen widergespiegelt und damit ein unmittelbares Verstehen der Empfindungen bei dem anderen Menschen, des-sen aktuelles emotionales Befinden. Aus den neurowissenschaflichen Arbeiten von

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Hutchison wurde bekannt, dass Spiegelneuronen für Schmerz, Mitgefühl und Empathie nachweisbar sind. Beobachtete Schmerzreaktionen anderer Menschen werden so nach-empfunden, als ob man sie selbst erlebt. - Interessant sind die Hinweise auf die Erklä-rung von Autismus durch die Annahme, dass die Wirkung von Spiegelneuronen bei Autisten nicht nachweisbar ist: Mit-Fühlen als psychische Reaktion fehlt.

Sympathie entsteht durch adäquate Spiegelung: Mimik und Körpersprache sind kon-gruent. Spiegelneuronen sind also die Basis für das gegenseitige emotionale Verstehen. Sicher am stärksten ausgeprägt in der Liebe. - Eine besondere Bedeutung zusammen mit anderen Zeichen der Körpersprache haben die Blickbewegungen: mit Blickkontakten sich wortlos verständigen. Im Gehirn gibt es eine große Nähe zwischen Nervenzellen für die Sprache und den Spiegelneuronen. Sprache ist bekanntlich ein erhebliches Potenzial für Suggestion: die „Macht der Worte“. - Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung der motorischen Gestik in der vorsprachlichen Phase beim Kleinkind: ein beliebtes lustvolles Spiel ist das Fa-xen ziehen, das Nachäffen. - Auch die Aneignung der Muttersprache erfolgt mittels der Spiegelneuronen durch Nachahmung, durch Nachsprechen. Hervorgehoben werden muss, das alle diese Entwicklungsstufen immer in zwischen-menschlichen Beziehungen stattfinden – im gegenseitigen Verstehen und in spontaner Anteilnahme. „Wir erleben, was andere fühlen in Form einer spontanen inneren Situati-on“ (Braun). Wir nehmen Freude wahr und freuen uns i. d. R. mit, wahrgenommene Trauer kann Befangenheit auslösen. Aus der Evolutionstheorie wird interpretiert, dass „Spiegelung und Resonanz nicht nur soziale Bindungen ermöglichen, sondern intuitiv auf einander abgestimmtes Verhalten, um sozialen Zusammenhalt zu erzeugen und das Überleben des Einzelnen in der Gruppe zu sichern“ (Braun). Im Gehirn gibt es demnach eine Prädisposition für genetische Pro-gramme von speziellen Verhaltensmustern.

Einfluss sozialer Gefühle und sozialer Erfahrungen auf die bewusste Planung und Steuerung des Verhaltens

In der neurobiologischen Forschung erwies sich das Gehirn als weitaus plastischer und anpassungsfähiger als bisher vermutet wurde (Singer/ Hüther). Wie ein Mensch sein Gehirn nutzt, hat einen entscheidenden Einfluss auf die möglichen Verschaltungen sei-ner Nervenzellen. Deshalb kommt aus der Hirnforschung ein bekannter Spruch „Das Gehirn wird so, wie man es benutzt“. Ein Gefühl von enger Verbundenheit mit anderen Menschen kann sich deshalb nur ent-wickeln, wenn ein Mensch - besonders in seiner Kindheit und Jugend - in einer engen Beziehung zu anderen Menschen groß geworden ist. - „Kein anderes Lebewesen kommt mit derart offenen, lernfähigen und durch eigene Erfahrungen in seiner Entwicklung und strukturellen Ausreifung gestaltbarem Gehirn zur Welt wie der Mensch“ (Hüther). Für die Entwicklung der Hirnentwicklung haben emotionale, soziale und intellektuelle Kompetenzen von Bezugspersonen eine oft lebenslange starke Bedeutung. Das gilt auch für die Ausformung bestimmter Hirnregionen. Selbstwirksamkeit, Motivation, Hand-

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lungsplanung, soziale und emotionale Kompetenzen werden von Kindheit an ein Leben lang geprägt - immer in zwischenmenschlichen Beziehungen. Das gilt insbesondere auch für die Entwicklung von Gefühlen. Im Frontalhirn bildet sich so ein eigenes inneres Bild von Selbstwirksamkeit, von Selbstmotivation. Diese Hirnregion ist auch als Kontroll- und Selektionszentrum für alle eintreffenden äußeren und inneren Informationen (sensorischer Speicher) bekannt. Die wichtigste Erkenntnis der Hirnforscher lautet, das Gehirn lernt immer - vor allem zur Lösung von Anforderungen und Problemen im Alltag, zur Orientierung in der eige-nen Lebenswelt. Dabei haben die eigenen Erfahrungen den höchsten Stellenwert! Das Gehirn wird deshalb oft als ein „selbstorganisierender Erfahrungsspeicher“ bezeichnet. Es ist mehr als ein Denkorgan, nach den neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ist es ein „Sozialorgan“ - das sich entsprechend genetisch angelegter Potenzen zur Ausbil-dung eines hochkomplexen, zeitlebens lernfähigen Gehirns entwickeln kann. Neue Erfahrungen können bis ins hohe Alter erworben werden. „Je älter ein Mensch ist, desto umfangreicher ist auch der individuelle Erfahrungsschatz, über den er verfügt, um so umsichtiger sind seine Entscheidungen“ (Hüther). - Neuronale Netze sind auch im Alter formbar, also durch neue Nutzungsbedingungen anpassungsfähig. Das Gehirn bewertet alle Wahrnehmungen, alle aufgenommenen Informationen, ob sie dem Wohl-befinden zuträglich oder abträglich sind. Das Gedächtnis speichert diese Erfahrungen und Gefühle (im emotionalen Gedächtnis) und setzt diese nach Bedarf spontan in Hand-lungsentscheidungen ein.

Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu werden: Erstens durch Nachdenken, das ist der edelste, zweitens durch Nachahmung, das ist der leichteste, und drittens durch Erfahrungen, das ist der bitterste.“ Kong Fuzi

So ist auch der Unterschied zwischen („aufgenommenem“) Schulwissen und („selbst erworbenem“) Erfahrungswissen erklärbar. Eine wichtige Aussage aus der Hirnforschung ist die richtige Einschätzung und Wer-tung von Emotionen. Für Veränderungen in den nervalen Netzwerken des Gehirns ha-ben Emotionen die intensivste und nachhaltigste Wirkung. Noch immer werden sie im Alltag der Ratio, der Vernunft gegenübergestellt: „vernünftig, rational zu handeln, da-mit Gefühle auszuschalten“. Es gibt jedoch keine bewusst gesteuerte Handlung ohne emotionale Komponenten. Neurobiologisch wurde nachgewiesen, dass so keine „ver-nünftigen Entscheidungen“ möglich sind. Ein derartiges negatives Beispiel sind folge-nunkritische Entscheidungen. Durch die Abbildung physiologischer Prozesse sind emo-tionale Vorgänge immer auf körperliche Reaktionen zurückführbar. Tiefe psychische Betroffenheit ist immer mit physischen Sensationen verbunden. Die Anerkennung des Gefühls, das ist vor allem ein Gefühl zu Geborgenheit im Leben. Hüthter fordert eine „Kultur des Gefühls“. Eine zweifellos primäre Voraussetzung für soziale Teilhabe im Alter. So formuliert er auch: “Der größte Bedienungsfehler, den ein

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12 Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten!

Mensch bei der Benutzung seines Gehirns machen kann, ist die Unterdrückung emotio-naler Betroffenheit über eigene Fehler und Mängel.“ Schlussgedanke: Wir benötigen ein differenziertes Wissen, das uns hilft, uns in uns selbst zurechtzufinden - unser alltägliches Verhalten zu erklären und damit zu optimie-ren. Es gibt ein einfaches Mittel, das uns helfen kann, einander besser zu verstehen: ab und zu die Plätze tauschen, um im Anderen uns selbst und in uns selbst den Anderen zu entdecken.

Ausgewählte Schlussfolgerungen für die Diskussion und Anwendung der vorgestellten Erkenntnisse.

Der beste Motivator für den Menschen sind andere Menschen Soziale, zwischenmenschliche Beziehungen sind die Basis für Teilhabe im Alter. Zu-verlässigkeit hat einen hohen Stellenwert! Über die Gestaltung des sozialen Milieus kann über Veränderungen nervaler Prozesse im Gehirn menschliches Verhalten für Teilhabe verändert werden Die Kenntnis lebenslang erworbener Erfahrungen sowie aktueller Gefühle und Stim-mungen sind ein bedeutsamer Zugang für Bereitschaft zur sozialen Teilhabe im Alter.

Literatur:

Bauer, Joachim (2006): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hamburg: .Hoffmann und Campe.

Bauer, Joachim (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen.. 5. Aufl. München: Heyne Verlag.

Gerd Gigerenzer (2007): Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition.. 6. Auflage . München: C. Bertelsmann Verlag.

Roth, Gerhard (2003): Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steu-ert. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, taschenbuch wissenschaft.

Singer, Wolf (2002): Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung.. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.

Spitzer, Manfred (2006): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidel-berg: Spektrum Akademischer Verlag.

Hüther, Gerald (2006): Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, (Sammlung Vandenhoeck, 6. Aufl.)

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Jörg Siebert: Von der Lust und der Last des Alterns heute. Existenzielle Problemstellungen des Alterns im Horizont (welt-)gesellschaftlicher Entwicklungstrends

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Jörg Siebert

Von der Lust und der Last des Alterns heute. Existenzielle Problemstellungen des Alterns im Horizont (welt-)gesellschaftlicher Entwicklungstrends

In den Armutssektoren der Weltgesellschaften herrschen gegenwärtig Verhältnisse, un-ter denen Menschenrechte für die ältere Gesellschaft permanent verletzt werden. Das betrifft Ernährung, Wohnung, Gesundheitsversorgung und kulturelle Teilhabe. Gleichzeitig steigt aber auch dort der Anteil alter Menschen mit der Gesamtbevölkerung an.Demgegenüber scheint in einer reichen Nation wie der Bundesrepublik Deutschland die soziale Sicherheit mitsamt der gesellschaftlichen Anerkennung im Alter garantiert zu sein - durch sozial ausgleichende Systeme von Rente, Krankenversicherung und Pflege-versicherung – notfalls Sozialhilfe und durch vielfältige Angebote im Vereinsleben, in Bildungseinrichtungen etc. Doch der Eindruck trügt. Studien zufolge droht nahezu je-dem dritten Bürger Verarmung im Alter. Grund seien neben der steigenden Lebenser-wartung die Rentenreformen von 2001 und 2004, die das gesetzliche Rentenniveau er-heblich sinken ließen sowie die fehlende Bereitschaft zu privater Altersvorsorge, die viele Bürger nicht zahlen können oder wollen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband be-fürchtet im November 2006: „Die Altersarmut wird deutlich zunehmen.“ „Das Altern der Bevölkerung heute ist ohne Beispiel in der Geschichte der Mensch-heit“, wird in dem UN-Bericht „Die alternde Weltbevölkerung 1950 bis 2050“ festge-stellt. „Die Veränderung der Altersstruktur sowie soziale und wirtschaftliche Kräfte zwingen uns, neue Formen des Lebens, der Arbeit und der Fürsorge füreinander zu fin-den und greifen tief in die Struktur der menschlichen Gesellschaft ein …“. Im Rahmen eines Misereor-Projektes „Innergesellschaftliche Verständigung über Per-spektiven menschenwürdigen Alterns angesichts des demografischen Wandels“ ergeben sich folgende Erkenntnisse:

Das Altern der Gesellschaft vollzieht sich gerade in der Dritten Welt sehr schnell. Die Länder des Südens sind auf die demografischen Veränderungen nicht vorbereitet. Altern und Armsein hängen vorerst zusammen. Es gibt aber auch hoffnungsvolle Ansätze in Politik und Gesellschaft, diese Verknüp-fung zu lösen. Es ist möglich und nötig, diese Ansätze über internationale Solidaritätsarbeit zu un-terstützen.

Mit diesem Projekt sind zugleich folgende Fragen verbunden:

Was heißt „menschenwürdiges Altern“? Wie stellen sich Altern, aber auch Sterben, Tod und Trauer - in den verschiedenen kulturellen Kontexten von Christentum, Islam, Buddhismus … dar?

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Jörg Siebert: Von der Lust und der Last des Alterns heute. Existenzielle Problemstellungen des Alterns im Horizont (welt-)gesellschaftlicher Entwicklungstrends

14 Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten!

In welcher Situation befinden sich alternde MigrantInnen in Deutschland? Welche Ansätze von kultureller Altersbildung und Altenhilfe gibt es im Sinne einer „Eine- Welt- Arbeit“ vor Ort? Welchen Bedarf und welche Ansätze gibt es für Deutschland bezüglich des solidari-schen Zusammenlebens von und mit alten Menschen?

Die Ausstellung „Ich kann gehen. Von der Lust und der Last des Alterns heute“ ist angesiedelt im Schnittfeld von Erwachsenenbildung, Altenarbeit und Eine- Welt- Arbeit. Sie adressiert in erster Linie Menschen im Dritten Lebensalter, die sich der „geschenkten Jahre“ ihrer Lebenssituation bewusst sind und sich fragen, wie sie der Besonderheit dieser Situation Rechnung tragen können.Der Titel „Ich kann gehen“ ist mehrdeutig und möchte in dieser Mehrdeutigkeit die Viel-schichtigkeit von Lebens- und Alternserfahrungen zum Ausdruck bringen. „Ich kann gehen“ kann heißen „Ich stehe auf

eigenen Füßen, gehe meine eigenen Wege, komme zu mir selbst“. „Ich kann gehen“ kann aber auch die Bedeutung haben von „Ich werde nicht mehr ge-braucht, ich bin nutzlos, ich bin überflüssig“. Diese bitter-ironische Bedeutungsdimen-sion mag irritierend wirken, aber sie entspricht der Situation und den Erfahrungen von Menschen, die z. B. gegen ihren Willen vorzeitig aus dem Arbeitsprozess ausgegliedert und in den Ruhestand „entsorgt“ werden, ebenso wie etwa der Lebenswelt vieler alter Menschen in den Ländern der Dritten Welt, die ohne jede soziale und wirtschaftliche Absicherung ihr Leben zu Ende bringen müssen. „Ich kann gehen“ kann schließlich auch bedeuten „Ich kann loslassen, kann mich verab-schieden – auch endgültig. Aber grundlegend zielt der Titel auf die stets neu zu erwerbende Fähigkeit ab, das Le-ben in die eigenen Hände zu nehmen und selbstbestimmt zu leben. Gehenkönnen heißt, zielorientiert und unter Berücksichtigung von Grenzen, die es immer gibt, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu entscheiden und bestimmte Wege einzuschlagen. Sol-ches Gehenkönnen ist eine existentielle Grunderfahrung durch alle Lebensstufen hin-durch und bietet so eine wunderbare Hermeneutik auch des Alternskönnens. Alterns-können ist wie das Gehenkönnen keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Kunst. Nach einem Wort von Leopold Rosenmayr muss der Mensch, der auch im Alter eine weitere Entwicklung bejaht, neue Perspektiven für seine Zukunft erwerben. „Er muss sich, wie Jean-Paul Sartre vorschlug, in die Unsicherheit hinein entwerfen, als ‚Projekt’ leben. Lebensziele, konkretisierbare Lebenspläne und Daseinstechniken samt Chancen zu deren Realisierung müssen ihm selbst (oder unter Beteiligung seiner selbst) vor Au-gen kommen, wenn Gestaltungsfähigkeit und Kompetenz werden sollen.“ (1996: 21 f.).

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Jörg Siebert: Von der Lust und der Last des Alterns heute. Existenzielle Problemstellungen des Alterns im Horizont (welt-)gesellschaftlicher Entwicklungstrends

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Die Ausstellung „Ich kann gehen. Von der Lust und Last des Alterns heute“ möchte solche Perspektive entstehen lassen. Ihre Exponate bringen existenzielle Problemstel-lungen und Erfahrungen ebenso wie (welt-)gesellschaftlich vorgegebene Entwicklungs-trends des Alterns zum Ausdruck. In ihrer Verschränkung sollte es möglich sein, sich von den Herausforderungen und Möglichkeiten des Alterns weltweit berühren, anregen und - nicht zuletzt auch - zu solidarischen Handlungen bewegen zu lassen.

Auszüge aus dem Katalog zur Ausstellung:

Mitten in dem, was man Wechseljahre nennt, mitten in Umbauprozessen, Veränderun-gen, Metamorphosen. Der Körper signalisiert ein erstes Mal ‚du bist nicht mehr jung’. Gefühl und Verstand kommen daran nicht mehr vorbei. Das Herz flattert ängstlich den Takt dazu. Noch ist alles gewohnt, noch ist es eine vage Andeutung, ein Hauch, der mich danach beschleicht und stocken lässt. Denke ich Jahrzehnte weiter, steht eine Vision vor mir: eine alte, weise, weiße Frau am Ende ihres Weges, Jahrzehnte im Rucksack, gelebtes Leben im Herzen, Weisheit im Lachen, Verständnis um die Dinge.“ Die Alte, Faltige, Gelebte, Geliebte, das möchte ich sein, die weiß, wo es lang ging, und die ahnt, wo es hingeht, die diesen Weg ohne Zögern beschreitet, denn er bringt jeden verbleibenden Tag neue Abenteuer. Bin ich nicht schon heute diese Alte? Manchmal? (Uta Göbel-Groß)

„Na wie geht’s? - Es geht. Es geht (sich) immer etwas schlechter. Es geht nicht mehr. Nicht mehr vorankommen. Langsamer werden. Stehen bleiben. Uninteressant werden. Das Leben ist ein Weg. Der junge Mensch bewegt sich schnell der ältere langsamer. Am Ende nur noch mit Hilfe. Das Bewegungstempo läuft dem Zeitgefühl entgegen. Die gefühlte Zeit wird kürzer, je langsamer das Leben verläuft. (Eva Radscheit)

„Alle alten Menschen tragen in ihren Augen ein Kind, und die Kinder zuweilen, sie be-trachten uns wie unergründliche Alte“ (Pablo Neruda)

Literatur:

Katalog zur Ausstellung „Ich kann gehen. Von der Lust und Last des Alterns heute“. Misereor Alternativen Heft 10, (2007) . Aachen: MVG-Medienproduktion und Ver-triebsgesellschaft mbH.

Rosenmayr, Leopold (1996): Altern im Lebenslauf. Soziale Position, Konflikt und Lie-be in den späten Jahren. Göttingen

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Heike Heinemann: Ziele und erste Ideen des 6. Altenberichts der Bundesregierung

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Heike Heinemann

„Ziele und erste Ideen des 6. Altenberichts derBundesregierung“

Einleitung

Bereits im 5. Altenbericht der Bundesregierung wurde danach gefragt, wo gesellschaft-liche und strukturelle Barrieren liegen, die ältere Menschen daran hindern, ihre Kompe-tenzen und Fähigkeiten in noch stärkerem Umfang in die Gesellschaft einzubringen. Schnell landet man hier bei den Altersbildern, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure, Vertreter der Politik und viele andere Institutionen und vor allem die älter werdenden Menschen selbst im Kopf haben. Die Vorstellungen von einer eingeschränk-ten Einsatzfähigkeit Älterer und Bilder einer nachlassenden Tatkraft, Innovationsfähig-keit und Kreativität Älterer können sich – entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen – nach wie vor hartnäckig im öffentlichen Bewusstsein halten. Ein reflektierter Umgang

mit Altersbildern spielt somit eine große Rolle, wenn es um die Förde-rung der Teilhabe im Alter und einer altersfreundlichen Umwelt und Politik geht. Hier setzt das Thema des 6. Altenberichtes an: „Altersbilder in der Gesellschaft“.

Die Sachverständigenkommission, die von der Bundesregierung beauftragt wurde, ei-nen politikberatenden Bericht zu diesem Thema zu erstellen, hat im Juli 2007 ihre Ar-beit aufgenommen. Bislang haben erst zwei weitere Sitzungen der Kommission stattge-funden, so dass im Folgenden noch keine Ergebnisse des 6. Altenberichts präsentiert werden können, sondern lediglich die Ziele dargelegt und erste Ideen zum 6. Altenbe-richt vorgestellt und diskutiert werden sollen.

Hintergrund der Altenberichte

Zunächst ein paar allgemeine Informationen zu den Altenberichten: Die formelle Grundlage der regelmäßigen Erstellung der Altenberichte bildet ein Parlamentsbe-schluss aus dem Jahr 1994, der die Bundesregierung verpflichtet dem Deutschen Bun-destag in jeder Legislaturperiode einen Bericht zu einem altenpolitischen Thema vorzu-legen. Federführend für die Erstellung der Altenberichte seitens der Bundesregierung ist das Bundesseniorenministerium (BMFSFJ), das ein Gremium von ausgewiesenen Ex-pertinnen und Experten auf dem Gebiet der Altersforschung und angrenzender wissen-schaftlicher Disziplinen beruft. Diese Sachverständigenkommission arbeitet unabhängig und ist multidisziplinär zusammengesetzt, je nach Thema des Berichts. Sie erstellt in rund zweijähriger Arbeit ihr Gutachten. Die Bundesregierung fügt dem Sachverständi-

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genbericht ihre Stellungnahme bei und übergibt beide Teile gemeinsam als "Altenbe-richt" dem Parlament bzw. der Öffentlichkeit. Zur Unterstützung der Altenberichts-kommission hat das BMFSFJ bereits seit 1996 eine „Geschäftsstelle der Altenberichte“ am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) in Berlin eingerichtet.

Ziele und Zielgruppen der Altenberichte

Das wichtigste Ziel der Altenberichte ist die Politikberatung und Bewertung sozialpoli-tischer Maßnahmen (primär auf Bundesebene) sowie die Entwicklung politikrelevanter Umsetzungsstrategien. Zielgruppe ist deshalb in erster Linie der Auftraggeber, also die Bundesregierung und das Parlament. Ziel der Altenberichte ist es dabei, wissenschaftli-che Befunde zum Alter zusammenzufassen und objektiv und neutral sowie verständlich aufzubereiten. Altenberichte dienen zudem der Sozialberichterstattung und damit der allgemeinen Aufklärung über die soziale Lage und die Lebensbedingungen älterer Men-schen. Gleichzeitig sollen sie die öffentliche Diskussion über den Umgang und Stellen-wert Älterer in der Gesellschaft anregen und somit auch eine Diskussion über gesell-schaftliche Altersbilder führen. Zielgruppe der Altenberichte ist darüber hinaus die Wissenschaft sowie Hochschulen und Fachhochschulen. Und auch für besondere Felder der Versorgungspraktik und der Altenhilfe stellt der Altenbericht eine Art „State-of-the-Art-Bericht“ dar. Die Altenberichte der Bundesregierung bilden heute, neben aktuellen wissenschaftli-chen Studien, anderen Berichten auf Bundesebene (z.B. Berichte der Enquete-Kommission "Demografischer Wandel", Alterssicherungsberichte, Pflegeberichte usw.) und den Altenberichten der Länder, Kommunen und Verbände, eine der wichtigsten Quellen für die öffentliche Diskussion zu Fragen der Politik für das Alter. Die bislang erschienenen Altenberichte der Bundesregierung haben darüber hinaus zur allgemeinen Verbreitung des Wissens über Alternsprozesse und die Situation älterer Menschen bei-getragen.

Bisher vorliegende Altenberichte

Festgelegt wurde in einem weiteren Parlamentsbeschluss auch, dass abwechselnd ein eher umfassender Bericht über die Lage der älteren Menschen in Deutschland sowie ein Schwerpunktbericht zu einem spezifischen Thema erstellt werden soll. Bislang liegen fünf Altenberichte vor:Der 1993 vorgelegte Erste Altenbericht hatte allgemeinen Charakter und zeichnete ein Gesamtbild der Lebenssituation älterer Menschen im kurz zuvor vereinten Deutschland. Der Zweite Altenbericht (1998) widmete sich dem Thema "Wohnen im Alter". Der Anfang 2001 erschienene Dritte Altenbericht enthält eine allgemeine Bestandsauf-nahme der Lebenssituation Älterer (einschließlich der Entwicklung seit der Wiederver-einigung Deutschlands), entwirft Zukunftsperspektiven und gibt Handlungsempfehlun-gen für jene Politikfelder, die für die Lebenssituation älterer Menschen besonders rele-vant sind. Der Dritte Altenbericht betont die Bedeutung individueller und gesellschaftli-cher Ressourcen für ein selbstständiges, aktives und produktives Leben im Alter.

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Der Vierte Altenbericht (2002) trägt den Titel "Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger - unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen".

Der Fünfte Altenbericht trug den Titel "Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesell-schaft – Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen". Im Zent-rum des Berichts standen die Potenziale älterer Menschen, die in den Feldern Erwerbs-arbeit, Bildung, Einkommenslage, Seniorenwirtschaft, Familie und private Netzwerke, Engagement und Teilhabe sowie für ältere Migrantinnen und Migranten untersucht wurden. Das Arbeitsthema des Sechsten Altenberichts sind die "Altersbilder", die in Wirtschaft und Gesellschaft, in Politik und Kultur untersucht werden sollen.

Thema und Auftrag des Sechsten Altenberichtes

Die Bundesministerin hat am 17. Juli 2007 die 14-köpfige Sachverständigenkommissi-on zur Erarbeitung des Sechsten Altenberichts der Bundesregierung berufen. Die Kom-mission soll dem Bundesministerium bis spätestens Anfang 2010 einen Bericht zum Thema „Altersbilder in der Gesellschaft“ vorlegen. Nach Abfassung einer Stellungnah-me der Bundesregierung wird das Sachverständigengutachten gemeinsam mit der Stel-lungnahme als „Altenbericht der Bundesregierung“ frühestens Mitte 2010 der Öffent-lichkeit vorgestellt. Seine Erstellung wird durch verschiedene Workshops und Tagun-gen begleitet.Das Thema „Altersbilder“ ist sehr vielseitig, dementsprechend ist auch die Kommission sehr interdisziplinär zusammengesetzt: In ihr sind sowohl Vertreterinnen und Vertreter aus den klassischen Disziplinen wie Gerontologie, Soziologie, Psychologie, wie auch aus der Sozialpolitikforschung, der Wirtschafts- und Bildungsforschung, den Rechts- sowie den Geschichtswissenschaften, dem Bereich Gesundheit, Marketing und Kon-sumforschung, zudem Vertreterinnen und Vertreter der Medien und Kommunikations-wissenschaften, der Ethnologie sowie der Ethik und Theologie.Die Sachverständigenkommission hat von der Bundesregierung den Auftrag bekom-men, „(...) Altersbilder in Wirtschaft und Gesellschaft sowie in Politik und Kultur zu untersuchen (...) und aufzuzeigen (...) in welcher Hinsicht sich diese Altersbilder auf die Teilhabe älterer Menschen am gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt (...) auswir-ken. (...) Es soll aufgezeigt werden, inwieweit sich in diesen Bereichen eine differen-zierte Darstellung des Alters sowie eine differenzierte Ansprache älterer Menschen fin-den lässt.

Vielfalt von Altersbildern

Anhand dieses recht allgemein gehaltenen Auftrags werden bereits einige zentrale As-pekte deutlich, die für die Diskussion von Altersbildern grundlegend und somit für die Teilhabe älterer Menschen von hoher Bedeutung sind:So wird schon im Auftrag von Altersbildern (im Plural) gesprochen und damit bereits ihre Vielfalt angesprochen. Klar ist, dass es nicht das eine – und schon gar nicht das eine richtige oder falsche – Altersbild gibt. Gerade im Alter nimmt die Unterschiedlich-

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keit zwischen einzelnen Menschen eher zu als ab; in der Gerontologie spricht man hier vom differentiellen Altern. Im Auftrag werden bereits verschiedene Bereiche angesprochen. Und auch in der Kommission wurde schnell deutlich, dass man Altersbilder nicht (nur) pauschal und gesamtgesellschaftlich betrachten kann, sondern immer auch in die einzelnen gesell-schaftlichen Bereiche (z.B. in die Arbeitswelt, in den Gesundheits-, Bildungs- oder in den zivilgesellschaftlichen Bereich) gehen und dort genauer untersuchen muss, welche Bilder und Stereotype dort vorherrschen. Dabei sollte man unter anderem die neueren Bereiche, wie z.B. innovative Formen der Selbstorganisationen (neue Wohnformen, Großelterndienste, Seniorengenossenschaften o. ä.) im Hinblick auf die dort zu beo-bachtenden Altersbilder in den Blick nehmen.

Den Hinweis auf die „differenzierte Darstellung des Alters“ nimmt die Kommission sehr ernst. Aus ihrer Sicht darf es in dem Bericht keinesfalls nur um die Altersbilder im so genannten dritten Le-bensalter gehen. Es müssen immer auch die Ver-letzlichkeit und die Ambivalenzen des Alters in den Blick genommen werden. So muss es u. a. darum gehen, wie in unserer Gesellschaft das Le-ben von Menschen in Grenzsituationen, vor allem

in gesundheitlichen Grenzsituationen (demenzielle Erkrankungen, chronische Erkran-kungen, Pflegebedürftigkeit, Sterben) gedeutet und bewertet wird und inwieweit diesen Menschen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden kann. Denn häufig kollidieren die Zustände, mit denen ältere Menschen unter derartigen gesundheit-lichen Bedingungen konfrontiert sind, mit gesellschaftlichen Leitbildern der Autonomie und Selbstbestimmung bzw. Selbstständigkeit.

Kontextspezifische Wirkung von Altersbildern

Eine der zentralen Fragen, wenn man über Altersbilder spricht, ist die nach den Wir-kungen von Altersbildern, wie sie unsere Wahrnehmung beeinflussen und unser Han-deln prägen etc. Im Berichtsauftrag wird explizit die Wirkung von Altersbildern auf die Teilhabe älterer Menschen am gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt betont. Da-bei ist zunächst deutlich zu machen, dass Altersbilder ihre Wirkung immer kontextspe-zifisch entfalten.

Altersbilder entstehen auf ganz unterschiedlichen Ebenen und unter ganz unterschiedli-chen Voraussetzungen, die es zu betrachten und zu unterscheiden gilt, z.B.

auf der individuellen Ebene, auf der Ebene der Institutionen und Organisationen (also in Betrieben, in Verbänden und in der Politik), auf der gesellschaftlich-kulturellen Ebene, aber auch auf der situativen Ebene der ganz alltäglichen Begegnung (im Supermarkt, beim Arzt).

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20 Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten!

Lassen Sie mich dies am Beispiel der Teilhabe älterer Menschen deutlich machen: Auf gesellschaftlicher Ebene erfährt die Debatte um die Teilhabe und v. a. das Engage-ment älterer und alter Menschen immer wieder Akzentverschiebungen, wodurch sich auch das in diesen Debatten zugrunde gelegte Altersbild stets mitverändert. Lange Zeit stand die Sorge um die mangelnde soziale Einbettung von Menschen im Alter bzw. be-sonderen Risikogruppen im Mittelpunkt des Interesses; heute richtet sich die Aufmerk-samkeit stärker darauf, wie die Leistungspotenziale älterer Menschen von der Gesell-schaft nachgefragt werden. Die Gesellschaft fordert quasi das Engagement und die „Mitverantwortung“ älterer Menschen immer stärker ein. Forciert wird diese Diskussion durch den demografischen Wandel und den Umbau des Sozialstaates. Gleichwohl wird – wie dieser Kongress zeigt – die soziale Integration und Teilhabe älterer Menschen angesichts wieder steigender Exklusions- und Armutsrisiken im Lebenslauf ein wichti-ges Zukunftsthema bleiben.

Auch auf der Ebene von Institutionen und Organisationen (z.B. in Unternehmen oder in der Politik) spiegelt sich diese Entwicklung wider. So wird u. a. mit Projekten, wie dem Bundesmodellprojekt EFI (Erfahrungswissen für Initiativen), über das im Anschluss an diesen Vortrag berichtet wird, implizit auch die Förderung eines bestimmten, eher posi-tiven, aktiven Altersbildes angestrebt, da ein positiv besetztes Altersbild – zumindest in der Politik – als Voraussetzung für die Nachfrage und Nutzung von Leistungspotenzia-len älterer Menschen durch bzw. für die Gesellschaft gesehen wird.Auf individueller Ebene ist klar, dass Erwartungen der Menschen selbst in ganz ent-scheidender Weise ihr Bild vom Alter prägen und damit auch ihre Vorstellung von ge-sellschaftlicher Teilhabe im Alter. Dies wird vermutlich auch im EFI- Projekt sehr deut-lich geworden sein, dass nämlich diejenigen Menschen, die sich in diesem Projekt en-gagieren, ein eher positiv gefärbtes Altersbild haben; sie können sich dadurch vermut-lich auch gut mit dem durch EFI vermittelten Altersbild identifizieren und das Bild des „Senior-Trainers“ darüber hinaus in ihren Alltag und sogar ihren Lebensstil überneh-men.

Wechselwirkungen – Fremd- und Selbstwahrnehmung

Hieran wird schließlich die starke Wechselwirkung von Altersbildern zwischen den verschiedenen Ebenen offensichtlich. Am deutlichsten wird dies, wenn man sich die unterschiedliche Fremd- und Selbstwahrnehmung anschaut, also die kursierenden Bilder über alte Menschen und die Bilder, die diese Gruppe selbst über das Alter hat.Nicht selten werten ältere Menschen ihre eigene Generation selbst ab und tragen damit dazu bei, Stereotype über das Alter zu konzipieren und Alter negativ zu besetzen. Je negativer dabei das individuelle Altersstereotyp, desto stärker bilden sich negative Selbsteinschätzungen auf Einbußen in der Lebenszufriedenheit ab. Das Altersstereotyp prägt dann z.B. auch die Erwartungen des Einzelnen über den zukünftigen Verlauf aktu-ell wahrgenommener Einbußen in relevanten Merkmalen.

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Auch im Gesundheitswesen gibt es eindeutige Studien darüber, inwieweit sich das Al-tersbild des Arztes – z.B. seine Auffassung, ob sich Prävention im Alter noch lohnt – eindeutig auf die Diagnose, Behandlung und Beratung des älteren Patienten auswirkt und gewisse Maßnahmen der Gesundheitsförderung gar nicht im Behandlungsplan be-rücksichtigt werden. Hier stellt sich die wichtige Frage: Welche Auswirkungen haben diese Altersbilder der Ärzte auf das Gesundheits- und präventive Verhalten bei den Be-troffenen selbst? Verhalten sich die älteren Patienten dadurch anders, indem sie z.B. eher passiv bleiben und schließlich selbst daran glauben, dass manche Krankheiten eben mit dem Alter einhergehen und kaum zu beeinflussen sind? Ein weiteres, ganz anderes Beispiel in Bezug auf die Teilhabe älterer Menschen am ge-sellschaftlichen, kulturellen und auch technischen Fortschritt zeigt sich hinsichtlich der Nutzung des Internets als eine Kommunikations- und Informationsplattform. Die Zöger-lichkeit, mit der Ältere bislang den Onlinemedien begegnen, wird häufig und sehr ver-kürzt mit mangelnder Technikkompetenz begründet. Dieses Stereotyp – denn so pau-schal lässt sich das nicht verallgemeinern – wenden die Betroffenen dann oft auch aus Zweifel und Unsicherheit auf sich selbst an, sodass sie gar nicht erst den Versuch star-ten, sich diesem Medium anzunähern. Dies kann schließlich zu Exklusionsgefühlen, also dem Gefühl, nicht dazu zu gehören, führen. Dieses Exklusionsgefühl zu verändern und ein Altersbild als moderner, an der Medien- und Informationsgesellschaft aktiv par-tizipierender älterer Mensch zu fördern erscheint als ein wichtiges Element eines mo-dernen Selbstbildes Älterer in der Zukunft.

Altersbilder als soziale Konstruktionen

Schließlich gilt es in dem Bericht zu analysieren, inwieweit Altersbilder nicht nur stets kontextgebunden wirken, sondern sie immer auch normativ sind und von daher kaum „realistisch“ sein können. Das würde bedeuten, dass Altersbilder nicht die allgemein anerkannte Wirklichkeit beschreiben, sondern immer (kontextgebundene) sozial geteilte Vorstellungen bzw. Konstruktionen davon sind, wie die soziale Wirklichkeit sein sollte. Altersbilder dienen also nicht nur der Beschreibung (Deskription), sondern auch der Bewertung und Normierung (Präskription) ihres Gegenstandes. Und schon die Unter-scheidung vom dritten und vierten Lebensalter ist eine soziale Konstruktion, die auch öffentlich immer stärker thematisiert wird. Dies kann dazu führen, dass die Menschen dies schließlich so fühlen, d.h. den „Bruch“ vom aktiven dritten Lebensalter hin zum gebrechlichen vierten Lebensalter, in das v. a. negative Altersbildaspekte (insbesondere: Thematisierung von Demenzerkrankungen) hineinverlagert werden, fühlen.Eine weitere konstruierte „Altersgrenze“ haben wir z.B. auch beim gesetzlich festgeleg-ten Rentenzugangsalter, das eine hohe „Orientierungswirksamkeit“ hat und damit auch ein Bild vom „wohlverdienten“ Alter im Ruhestand internalisiert.

Ziele des Altenberichts

An diesen Ausführungen sollte deutlich geworden sein, dass es nicht darum gehen kann, dass die Altenberichtskommission ein „neues“ Altersbild aufstellt (dies ist aus verschie-

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denen Gründen gar nicht möglich – siehe Abschnitt über soziale Konstruktion von Al-tersbildern), sondern dass es vielmehr darum gehen muss, (1) Altersbilder in ihrer Dif-ferenziertheit zu beschreiben und (2) eine kritische Reflexion bestehender Altersbilder anzustoßen und zu fördern. Nur durch diese kritische Reflexion können Altersstereotype bewusst gemacht werden, um schließlich hinterfragt und ggf. aufgehoben zu werden.

Literatur beim Verfasser

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Babara Weigl, Jo Rodejohann: Lernen will gelernt sein – Neues aus dem EFI- Projekt

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Barbara Weigl, Jo Rodejohann

Lernen will gelernt sein – Neues aus dem EFI- Projekt

Wir möchten Sie über die neuere Entwicklung des Modellprogramms „Erfahrungswis-sen für Initiativen“ (EFI) informieren, das seit Anfang 2006 mit dem Aufbau eines seni-orKompetenzteams auch hier in Berlin angekommen ist. Das EFI- Modell- Projekt wur-de von 2002 bis 2006 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend gefördert. In der letzten Förderphase wurden an 28 bestehenden und 7 neuen Standorten, darunter auch Berlin, seniorKompetenzteams aufgebaut. Um den Ansatz des Modellprojektes zu verdeutlichen, möchten wir mit einem ersten Blick seine zentralen Ziele darlegen. Ein zweiter Blick gilt den konkreten Erfahrungen in Berlin.

Die Ziele

Mit EFI sollte: ein positives Altersbild entwickeln werden, die gesellschaftliche Teilhabe von älteren Menschen gefördert werden, neue Rollen als seniorTrainerInnen entwickelt und erprobt werden, zur öffentlichen Anerkennung von Erfahrungswissen von älteren Menschen beigetra-gen werden, der intergenerationelle Dialog und die Generationensolidarität gefördert werden, ein neues Weiterbildungsangebot für Senioren/innen entwickelt und erprobt werden.

Was ist darunter konkret zu verstehen? Im Zentrum des Konzeptes steht die Teilhabe von älteren Menschen, durch ihr Engagement für das Gemeinwesen. Der Weg um diese Teilhabe zu erreichen ist nach Auffassung der Modellentwickler nicht per se gegeben, sondern die beteiligten Menschen müssen erst zum Engagement befähigt werden. Diese Befähigung erfolgt durch ein Curriculum, das die angehenden seniorTrainerInnen in einem zweimonatigen Kurs erwerben. Die vermittelten Inhalte beziehen sich auf Struk-turen des Gemeinwesens auf Informationen über bereits bestehende Netzwerke und Or-ganisationen in der Gemeinwesenarbeit. Daneben werden Einführungen in eine Art Handwerkszeug wie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Fundraising und Netzwerkarbeit angeboten. Dieser Lernprozess soll die individuellen Kompetenzen klären und stärken, aber auch eine Teamstruktur in der Gruppe entwickeln. Mit diesem Rüstzeug erlangen die Teilehmer/-innen die Befähigung, bestimmte Rollen bzw. Aufgaben in der Organi-sation des Bürgerschaftlichem Engagements zu übernehmen. Welche Menschen sollten durch das EFI- Modell angesprochen werden? Ausgestattet mit dem vermittelten Wissensrüstzeug und dem mitgebrachten Erfahrungswissen, kön-nen sich die seniorTrainerInnen nun in das Gemeinwesen aufmachen, um Gutes und Sinnvolles zu tun. Sie sollen gesellschaftliche Probleme orten, sie analysieren und Ab-hilfestrategien entwickeln. Spätestens jetzt zeigten und zeigen sich immer wieder gra-vierende Hindernisse.

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Babara Weigl, Jo Rodejohann: Lernen will gelernt sein – Neues aus dem EFI- Projekt

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Wer hat auf das Engagement der seniorTrainerInnen gewartet? Die Kommune, der Be-zirk, die betroffenen Menschen, um die es in erster Linie gehen soll? Wer weiß über-haupt, was seniorTrainerInnen sind, was sie wollen und können? Die Antworten, bzw. das erfahrene Unwissen löst bei den seniorTrainerInnen anfängliche Frustration aus, hier aber setzt der wesentliche Schritt an, die Engagement- und Teilhabebereitschaft der seniorTrainerInnen bekannt und anerkannt zu machen. Diese Hürde ist oftmals sehr hoch und erfordert Anstrengung und Ausdauer sie zu überwinden. Dabei gibt es keine Erfolgsgarantie. Das Engagement der seniorTrainerInnen kann beispielsweise nicht stattfinden, wenn sie keine geeigneten Räume für Hausaufgabenhilfe von einer Schule bereitgestellt bekommen und ihr Angebot von den Lehrkräften nicht unterstützt wird. Hieran wird deutlich, wie sehr Teilhabe gelernt werden muss und zwar von beiden Sei-ten, von denen die teilhaben wollen und denen, die die Teilhabe ermöglichen müssen. Dazwischen klafft bisweilen noch eine scheinbar unüberwindbare Lücke.

Berliner Erfahrungen

In zwei Durchgängen wurden 2006-2007 im Treffpunkt Hilfsbereitschaft, der Landes-freiwilligenagentur Berlins, insgesamt 23 Menschen zu seniorTrainerInnen ausgebildet. Der Treffpunkt hat 2005 unter Trägerschaft des Paritätischen Landesverbands Berlin die Projektverantwortung für den Berliner Teil des Modellprojekts übernommen. Dreiund-zwanzig Menschen in der Altersspanne von den vierziger bis in die siebziger Jahre, Menschen mit und ohne Behinderungen, mit unterschiedlichen Lebens-, Berufs- und Tätigkeitserfahrungen, aber alle mit einem mehr oder weniger vollem und damit auch mitunter schweren Rucksack an Erfahrungen und Wissen. Sie haben sich 2007 zum seniorKompetenzteam Berlin zusammengefunden. Wie ist diese Gruppe nun mit den Vorgaben des Programms „Erfahrungswissen für Ini-tiativen“ klargekommen, wie hat sie sich diese Aufgabe angeeignet, die bekanntlich so formuliert wurde: Es soll eine neue „Verantwortungsrolle“ entwickelt werden, „die bür-gerschaftliches Engagement in einer Form erschließt, die Kompetenz und Lebenserfah-rung für solche Aufgabenbereiche nutzt, die gesellschaftliche Wertschätzung erfahren. Für die Seniorinnen und Senioren sollte die Möglichkeit eröffnet werden, die neue Le-benssituation als eine Chance zur Neuverortung in gesellschaftlichen Sinnbezügen wahrzunehmen und sich inhaltlich anspruchsvolle Aufgabenfelder zu erschließen". Kurz zusammengefasst: Die Gruppe musste ihren eigenen Berliner Weg finden, und sie ist noch immer auf diesem Weg. Eine Erfahrung, die sie auch mit anderen seniorKom-petenzteams teilt. Kompetenz, zumal seniorKompetenz, definiert nach den Vorgaben der Europäischen Gemeinschaften im strategischen Zusammenhang lebenslangen Ler-nens als die „Fähigkeit zum wirksamen Einsatz von Erfahrung, Wissen und Qualifikati-onen“, die dann im Rahmen persönlicher, bürgerschaftlicher, sozialer Perspektiven ge-sellschaftlich in Wert gesetzt werden soll, ist offenbar eine sehr voraussetzungsvolle und auch ergebnisoffene Sache. Das beginnt damit, dass der dem Modellprojekt anhaftende seniorenpolitische Impetus sich als seltsam veraltet erwiesen hat: Ich beschrieb schon die Altersstruktur der kleinen Berliner Gruppe, die sich eben nicht als Seniorengruppe nach dem Ausscheiden aus

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Babara Weigl, Jo Rodejohann: Lernen will gelernt sein – Neues aus dem EFI- Projekt

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dem Berufsleben gefunden hatte, auf der Suche nach „Chancen“ gesellschaftlicher „Neuverortung“. Es waren vielmehr vor allem Menschen in Übergangssituationen, sehr unterschiedlichen zwar, aber alle mit einem großen Interesse an einem Engagement in gesellschaftlichen Sinnbezügen. Dies kann nur den verwundern, der die massiven ge-sellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte gerade auch in Berlin übersieht. Altern stellt sich ohnehin für den einzelnen Menschen sehr unterschiedlich dar, und die Unterschiede in den Lebenslagen nehmen nicht ab sondern werden deutlicher. Wirt-schaftliche, politische und soziale Entwicklungen haben in den letzten Jahrzehnten den kurzen Traum (Lutz) eines Alters als „freie“ nachberufliche Institution nach Altersteil-zeit, finanziell einigermaßen abgesichert und noch weitgehend gesund, für viele Men-schen unwiderruflich zerstört. Dabei sind die demografischen Entwicklungen nicht die Ursache, aber sie akzentuieren deutlich den tief greifenden sozialstrukturellen Wandel. Für immer mehr Menschen ist das Dritte Alter 50+ zu einer lang andauernden, zu einer wirtschaftlich, sozial und politisch wachsend prekären Übergangsphase bis hin zu einem letztlich potenziell hilfebedürftigen und zudem gesellschaftlich belastend wahrgenom-menen Vierten Alter 75+ geworden. Es kommt in diesen langen, durch steigende Le-benserwartung immer längeren Jahrzehnten des Alterns individuell zu häufigen Rollen- und Positionswechseln, die in kritischen Übergangssituationen kumulieren können. Die-se müssen verarbeitet werden, hier müssen neue Ziele gesetzt, neue Wege gefunden werden, die in ihrer Problematik und Komplexität, aber auch Unsicherheit weit über das hinausgehen, was klassische Modelle von im Lebenslauf zu bewältigenden Aufgaben einst angedacht haben. Das Angebot von anerkannten Verantwortungsrollen durch die „selbstständige Über-nahme von gesellschaftlicher Verantwortung durch ältere Menschen“ jenseits der klas-sischen, an die Erwerbsarbeit gebundenen, ist dann zwar sehr attraktiv, aber offenbar auch höchst voraussetzungsvoll. Denn diese „neue Praxis im Bereich des bürgerschaft-lichen Engagements“ kann nicht einfach darauf bauen, dass „Erfahrungswissen“, dass „Älter sein“ ohne weiteres von gesellschaftlichem Wert ist (und erst recht so wahrge-nommen würde) - und das dann gewissermaßen nur „abgerufen“ werden müsste und könnte. Ohne entsprechende und gezielt zu organisierende, ohne ermöglichende Prozes-se des In-Wert-Setzens von „Erfahrungswissen“, von „Älter sein“ durch Begleiten, Betreuen, durch situatives (Selbst-)Lernen, durch ein hierfür förderliches Umfeld, durch eine entsprechende soziale Infra- und Willkommensstruktur (Stichwort: Altersdiskrimi-nierung) können diese „Verantwortungsrollen“ weder individuell noch gesellschaftlich geklärt und ausgefüllt werden. Dies ist eine zentrale Erfahrung der Berliner Gruppe: dass sie erst einmal Zeit brauchte, sich in mehr oder weniger losen strukturellen Koppelungen an den ihr eigenen und ihr zugänglichen Orten zu finden, wo sowohl Raum für persönliche wie für sachliche Er-wartungen und Anforderungen war und ist, wo sie sich mit eigenen und angetragenen Rollenerwartungen auseinandersetzen konnte und kann. Sie ist nun auf dem Weg, selb-ständig die ursprünglich individuellen Interessen an einem Engagement in gesellschaft-lichen Sinnbezügen in eigener Verantwortung, eben in Verantwortungsrollen, zusam-men oder in unterschiedlichen Teams je nach Notwendigkeit und vorhandenen (und gegebenenfalls zu erwerbenden) Kompetenzen in gemeinsamen Projekten umzusetzen.

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Babara Weigl, Jo Rodejohann: Lernen will gelernt sein – Neues aus dem EFI- Projekt

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Dass eine solche Entwicklung nicht ohne Probleme ist, dass immer wieder (lernend) neue Lösungen gefunden werden müssen für neue wie alte Fragen, bei Schwierigkeiten und in sich kritisch zuspitzenden Übergängen, steht außer Frage. Soweit die eine Seite. Die Erwartung an Menschen in Übergangssituationen, selbst zu Problemlösern für an-stehende soziale Herausforderungen zu werden, die offenbar in Berlin (nicht nur hier aber durchaus im Unterschied zu anderen Regionen) eine wichtige Zielgruppe für das neue Angebot seniorTrainerIn sind, ist aber zugleich an umfassende gesellschaftliche Partizipation und Teilhabemöglichkeiten, an die Öffnung der Institutionen und Organi-sationen für dieses bürgerschaftliche Engagement gebunden. Das ist die andere Seite. Zu den wesentlichen Erfahrungen auch in Berlin gehört deswegen weiter die Einsicht, dass ein gesellschaftliches Inwertsetzen von persönlichem Erfahrungswissen - eingebet-tet in die örtlichen Engagementnetze in den Kiezen und sozialen Räumen - konsequent als kompetenzorientiertes, befähigendes lebenslanges (Selbst-)Lernen gestaltet werden muss. Dieses Lernen zielt darauf, Menschen den wirksamen Einsatz von Erfahrung, Wissen und Qualifikationen zu ermöglichen, ist immer ein offener gesellschaftlicher Prozess, in dem Leben und Lernen (immer wieder neu) im gesellschaftlichen Engage-ment zur Passung gebracht werden. Dazu ist dann auch, wie die Erfahrungen zeigen, professionelle Begleitung von Nöten - und es bedarf hierfür vor Ort sowohl tragfähiger sozialer Infrastrukturen wie für diese neue Formen bürgerschaftlichen Engagements offener Organisationen und Menschen. Lassen Sie uns ein kurzes Resümee über die beiden Blickweisen ziehen. Es ist eine Art Soll- und Ist-Analyse, die anmutet, als ob es sich dabei um zwei ganz unterschiedliche Modellprojekte handele. Die Erkenntnis, dass die Zielgruppe nicht in der gewünschten Passgenauigkeit gewonnen werden konnte, führte zum „Berliner Mo-dell“, das der Lebensrealität der Menschen in dieser Stadt geschuldet ist. Die Aufgabe liegt nun darin, die Vorgaben des Modellprojektes so zu modifizieren, dass das Modell zu den Menschen passt und nicht umgekehrt. Unser Titel: „Teilhabe will gelernt sein“ ist ohne Abstriche für alle Beteiligten zutref-fend, die aktiven seniorTrainerInnen des EFI- Modells, die mittlerweile in verschiede-nen Rollen aktiv sind, die Projektkoordinatoren/-innen und nicht zu vergessen die Pro-jektentwickler im Bundesministerium. Damit wurde bewiesen, dass nur durch gemein-same Lernprozesse ein Teilhabemodell für ältere Menschen realisiert werden kann, das die unterschiedlichen Lebenslagen von Menschen über 50 Jahre erkennt und anerkennt – auch wenn das nicht die ursprüngliche Intention der Modellentwickler im Ministerium war.

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Babara Weigl, Jo Rodejohann: Lernen will gelernt sein – Neues aus dem EFI- Projekt

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Literatur:

ISAB Schriftenreihe: Berichte aus Forschung und Praxis Nr. 89: Erfahrungswissen und Verantwortung – zur Rolle von seniorTrainerinnen inausgewählten Engagementbereichen. Gutachten aus dem wissenschaftlichen Beirat zum EFI- Programm. Joachim Braun, Sonja Kubisch, Peter Zeman (Hrsg.). Köln 2005

ISAB Schriftenreihe: Berichte aus Forschung und Praxis Nr. 90: Leitfaden für die Nutzung des Erfahrungswissens der Älteren als seniorTrainerin und in seniorKompetenzteams. Arbeitshilfe für Seniorenbüros, Freiwilligenagenturenund Selbsthilfekontaktstellen zur Anwendung des Konzeptes „Erfahrungswissen für Initiativen“. Joachim Braun, Stefan Bischoff, Elke Olbermann (Hrsg.). Köln 2005

ISAB Schriftenreihe: Berichte aus Forschung und Praxis Nr. 91: Weiterbildung älterer Menschen für bürgerschaftliches Engagement als seniorTrainerin. Ein Kurskonzept für lokale Netzwerke. Joachim Burmeister, Anne Heller, Ilona Stehr. Köln 2005

ISAB Schriftenreihe: Berichte aus Forschung und Praxis Nr. 102: SeniorTrainerinnen und seniorKompetenzteams. Erfahrungswissen und Engagement älterer Menschen in einer neuen Verantwortungsrolle. Dietrich Engels, Joachim Braun, Joachim Burmeister (Hrsg.). Köln 2007

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Dr. Josefine Heusinger: Der präventive Hausbesuch – Anforderungen an ein niedrigschwelliges Angebot der Gesundheitsförderung für ältere Menschen

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Dr. Josefine Heusinger

Der präventive Hausbesuch –Anforderungen an ein niedrigschwelliges Angebot der Gesundheits-förderung für ältere Menschen

Impulsbeitrag auf dem 13. Kongress Armut und Gesundheit

Einleitung

Eine der vielen Herausforderungen in der Gesundheitsförderung und Krankheitspräven-tion für ältere Menschen besteht darin, Informationen über vorhandene Angebote und Präventionsmöglichkeiten an den Mann und die Frau zu bringen. Gesundheitsbezogene Informationen werden - wenn überhaupt - meist erst dann gesucht, wenn Beschwerden

und Probleme aufgetreten sind. Dann gestaltet sich die Suche aber schon recht beschwerlich, für manche Unterstützungsmöglichkeit oder Vorbeugung ist es vielleicht schon zu spät. Mit den sogenannten präventiven Hausbesuchen wird in anderen europäischen Ländern und in einigen Modellversuchen in Deutschland versucht, einen Ausweg für diese Probleme zu finden. In dem vorliegenden Beitrag werden überblicksartig drei

Konzepte für präventive Hausbesuche vorgestellt. Der präventive Hausbesuch ist in diesen Projekten ein Angebot, dessen „Kernelement die Beratung von SeniorInnen in ihrer häuslichen Umgebung zu Themen selbständiger Lebensführung, Gesunderhaltung und Krankheitsvermeidung im Alter ist.“ Die Erfahrungen aus den drei Beispielprojekten werte ich im Hinblick auf die wichtigs-ten Voraussetzungen und Empfehlungen für eine erfolgreiche Implementierung von präventiven Hausbesuchen aus.

Kooperationsprojekt der Bosch BKK und des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip) in Stuttgart

Von 2004 bis 2007 erhielten 150 über 74-Jährige Versicherte der Bosch- BKK im Raum Stuttgart das Angebot zu einem präventiven Hausbesuch. Auf Basis vorangegangener Literaturrecherchen waren zuvor einige Kernelemente herausgearbeitet worden, auf die besonderer Wert gelegt wurde:

eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater und Beratenem Folgeberatungen über einen Zeitraum von mindestens 2-3Jahren Gute Schulung der Berater Interdisziplinäre Fallbesprechungen mit den / für die Berater Nutzung eines multidimensionalen Assessments zur umfassenden Erfassung der Situ-ation der SeniorInnen.

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Dr. Josefine Heusinger: Der präventive Hausbesuch – Anforderungen an ein niedrigschwelliges Angebot der Gesundheitsförderung für ältere Menschen

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Die ersten Ergebnisse der Projektevaluation zeigen, dass die TeilnehmerInnen die Bera-tungsbesuche, die rund 3x/Jahr stattfanden, hilfreich für ihre Gesundheitsförderung und zur Vorbeugung von Pflegebedürftigkeit fanden. Fast die Hälfte wurde angeregt, kon-kret etwas für die eigene Gesundheit zu tun und bestimmte Probleme mit dem Hausarzt zu besprechen. 50 % fühlten sich besser über Krankenkassenleistungen informiert. Niemand fühlte sich durch die Besuche in der Privatsphäre gestört.Die Situation der TeilnehmerInnen in diesem Projekt wurde mit dem Assessmen-tinstrument STEP-M (am dip entwickelt) zu Beginn und dann jährlich erfasst. Dabei wurden u. a. folgende gesundheitlichen Probleme häufig festgestellt: Sturzgefahr 68%, eingeschränktes Hörvermögen 51%, weniger als 2x/Wochen sportliche Betätigung 43%, Trinkmenge unter 5 Tassen/Tag 42%, erhöhter Blutdruck 37%. Außerdem wurden in den Beratungsgesprächen weitere Sorgen und Fragen benannt und protokolliert. Es stellte sich heraus, dass über die vorbereitende Schulung der Berater hinaus laufend ergänzende Fortbildungen nötig waren, um der Komplexität der Bedürfnisse der alten Menschen gerecht zu werden. Die bei den Beratungsbesuchen entwickelten individuellen Empfehlungen konnten 41,4% der TeilnehmerInnen vollständig, weitere 12,9% teilweise umsetzen. Ein Viertel konnte mit ihnen gar nichts anfangen, die übrigen erwiesen sich als nicht mehr nötig. Mit der Gruppe der TeilnehmerInnen an dem Projekt wurde eine Gruppe, die keine Hausbesuche erhielt, verglichen. Dabei zeigten sich hinsichtlich der Einstufung in die Pflegeversicherung, der Häufigkeit von Pflegeheimumzügen, der Gesundheitskosten und des subjektiven Gesundheitszustands keine Unterschiede. Hier stellt sich allerdings auch die Frage, ob diese Kriterien – und dann noch über den Zeitraum von drei Jahren - geeignet zur Beurteilung der Wirkungen von Hausbesuchen sind. Eine wichtige Er- kenntnis lieferte das Stuttgarter Projekt noch: In den Beratungsgesprächen wurden Lüc- ken in der regionalen Angebotspalette bekannt, die zuvor noch nicht aufgefallen waren.

Präventive Hausbesuche bei AOK-Versicherten in Hannover

Die AOK Niedersachsen hat im Jahr 2004 in enger Zusammenarbeit mit dem kommu-nalen Seniorenservice in zehn Stadtteilen von Hannover 1300 nicht pflegebedürftigen Männer und Frauen zwischen 68 und 79 Jahren einen Hausbesuch angeboten. Rund 350 haben dem Besuch eines Beraters zugestimmt, weitere 3000 Versicherte aus der Alters-gruppe fungierten als Vergleichsgruppe und erhalten kein Besuchsangebot. Da die Hausbesuche nicht nur auf Information, sondern auch auf Aktivierung zielen, wurde allen TeilnehmerInnen eine individuelle, schriftliche Zielvereinbarung angeboten. Wer sie unterschreibt, erhält von der AOK einen Individualbonus nach §65b SGB V.

Die BeraterInnen (neun Frauen, ein Mann, darunter Krankenschwestern, Sozialpädago-gInnen, PsychologInnen, SozialwissenschaftlerInnen) wurden speziell für diese Bera-tungen geschult, um umfassend über Gesundheitsthemen und gesunden Lebensstil bera-ten zu können („systemisch-lösungsorientierte Kurzzeitberatung“). Auch in diesem Pro-jekt wird ein standardisiertes geriatrisches Assessment eingesetzt, das mit Fragen zur

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Lebensqualität (WHO-Fragebogen) ergänzt wird. Weiterhin werden Wünsche nach Un-ternehmungen oder Aktivitäten erfragt. Hervorzuheben ist in diesem Projekt die Einbettung der präventiven Hausbesuche in die vorhandenen Strukturen:

Das Einverständnis der jeweiligen TeilnehmerInnen vorausgesetzt, werden die Daten aus dem geriatrischen Assessment direkt an den Hausarzt weitergegeben, damit dieser sie mit seinem Patienten/seiner Patientin besprechen kann. Damit waren viele einver-standen, im Projektverlauf zeigte sich allerdings, dass die Hausärzte teils kaum mit den Informationen weiterarbeiteten. Ihnen werden nun kostenfreie Weiterbildungen zur ambulanten Geriatrie angeboten, um sie besser einzubinden. Sehr viele TeilnehmerInnen äußerten den Wunsch nach mehr sozialen Kontakten. Durch die Zusammenarbeit mit dem kommunalen Seniorenservice gelang es, in den drei Stadtbezirken, in denen die zehn Stadtteile liegen, Seniorengruppen aufzubauen, bei denen sich TeilnehmerInnen aus dem Projekt nun für gemeinsame Aktivitäten treffen. Als wichtig erwies sich auch eine gute Informiertheit der BeraterInnen über vorhandene Angebote, z. B. zu finanzieller Unterstützung, von denen die SeniorInnen häufig gar nichts wussten. Die Erkenntnisse aus den Gesprächen mit den SeniorInnen bei den Hausbesuchen fließen zurück in die vorhandenen Netzwerke auf Stadtbezirksebene und münden in Bemühungen um eine Verbesserung der Angebote.

Die TeilnehmerInnen bewerten die Hausbesuche überwiegend positiv, insbesondere die verbesserten sozialen Kontakte und die Beziehungen zu den BeraterInnen. Im Jahr 2007 soll durch den Vergleich der Lebens- und Gesundheitssituationen sowie der Gesund-heitskosten von alten Menschen mit und ohne Hausbesuche eine gesundheitsökonomi-sche Bewertung der präventiven Hausbesuche erfolgen.

Präventive Hausbesuche in Dänemark

Die präventiven Hausbesuche in Dänemark zielen darauf, einen dynamischen Prozess in Gang zu bringen und tragfähige Beziehungen zu knüpfen, die es den alten Menschen erlauben, zusammen mit ihren BeraterInnen für ein langfristig unabhängiges, gutes und selbstbestimmtes Leben Sorge zu tragen. Es geht nicht nur um einen Gesundheitscheck, sondern um ein umfassendes Assessment, das primäre, sekundäre und tertiäre Präventi-on ebenso berücksichtigt wie Empfehlungen zum Lebensstil und allgemeiner Gesund-heitsförderung.

Die Tradition der präventiven Hausbesuche für über 75-Jährige reicht bis in die 70er Jahre zurück. Seit 1996 müssen alle Kommunen sie zweimal jährlich anbieten, wenn auch mit großen Spielräumen für die Ausgestaltung hinsichtlich der Qualitätssicherung, der verantwortlichen Behörden usw. Deshalb bietet sich in Dänemark die Möglichkeit die Erfahrungen aus verschiedenen Kommunen zu vergleichen, was wiederum zeigt, welche Faktoren entscheidend für die – in Dänemark erwiesene - positive Wirkung sind: Sind es Veränderungen bei den Alten selbst oder eher die in der regionalen Angebots-struktur? Oder ist es die Beziehung zwischen BeraterInnen und Besuchten, die einen

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produktiven Prozess ausgelöst hat? Oder ist es die größere Sicherheit, mit der sich die gut informierten Alten im Gesundheitssystem bewegen? Die Hausbesuche werden den alten Menschen in 80% der Kommunen schriftlich ange-boten und müssen ausdrücklich abgelehnt werden, damit sie nicht stattfinden. Sie wer-den überwiegend von „District nurses“ (Gemeindeschwestern), aber auch von Sozialar-beiterInnen oder PhysiotherapeutInnen durchgeführt. Das Assessment bezieht sich auf psychische und physische Gesundheit, soziale Einbindung, Möglichkeiten zur selbstbe-stimmten Lebensführung und mündet in einer gemeinsamen Beratung über mögliche Verbesserungen und Angebote. Über den Zeitraum von zehn Jahren hat sich erwiesen, dass der kontinuierliche Kontakt mit den BeraterInnen das Vertrauen der alten Men-schen in das Gesundheits- und Sozialsystem stärkt, so dass sie frühzeitiger und umfas-sender Hilfe suchen. Sie wenden sich in Krisensituationen an die BeraterInnen, bei-spielsweise nach dem Tod der Ehefrau. So tragen die Hausbesuche auch zur Prävention von Suiziden bei, die gerade in solchen Lebenssituationen gehäuft als Ausweg gewählt werden.Auch in Dänemark wird großer Wert auf die Integration der Hausbesuche in die regio-nalen Angebote gelegt. So wurde in einer randomisiert- kontrollierten Studie mit über 4000 SeniorInnen in 34 Kommunen über drei Jahre untersucht, wie sich die Schulung von Hausärzten und BeraterInnen auf die aktive Lebenserwartung der alten Menschen auswirkt. Bei der Schulung ging es vor allem um die Verbesserung der Kooperationsbe-ziehungen, die Einführung einer gemeinsamen professionellen Sprache und die Verbes-serung der interdisziplinären Kooperation sowie um die Vermittlung der Notwendigkeit, die Selbstbestimmung und Individualität jedes alten Menschen zu respektieren. Im Er-gebnis konnte eine kleine, aber stabile Verbesserung der funktionellen Fähigkeiten der alten Menschen in diesen Kommunen insgesamt erreicht werden. Außerdem ließen sich folgende Schlüsse ziehen:

Die Schulung der BeraterInnen war letztlich kostenneutral. Das Angebot von Hausbesuchen als fester Bestandteil des Präventionsangebotes ver-besserte die funktionellen Fähigkeiten der alten Menschen, die die Besuche akzeptiert hatten. Frauen profitierten stärker als Männer, 80jährige mehr als 75jährige. Zahl und Regelmäßigkeit der Besuche sowie Kontinuität in der Person des/der Bera-terIn und die Entwicklung einer guten Beziehung waren entscheidend für den Erfolg. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Hausärzten war sehr wichtig.

Voraussetzungen für wirksame präventive Hausbesuche

Mit der Auswertung der drei genannten Beispiele wird zunächst die Eignung präventi-ver Hausbesuche für eine umfassende Gesundheitsförderung älterer Menschen belegt. Das Konzept des präventiven Hausbesuches ist jedoch auch voraussetzungsvoll und bedarf der Berücksichtigung einiger Faktoren, um erfolgreichen umgesetzt zu werden:

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Die BeraterInnen, die die Hausbesuche durchführen, müssen (laufend) umfassend geschult werden, regelmäßig an interdisziplinären Fallbesprechungen teilnehmen und Supervision erhalten. Sie müssen die alten Menschen motivieren, sich empathisch auf sie einlassen und sie auf der Grundlage umfassenden Wissens über das Gesundheits- und Sozialsystem kompetent unterstützen. Die BeraterInnen müssen verbindlich in die regionalen Strukturen eingebunden sein, damit ihr Wissen nicht nur zur Verbesserung der individuellen Lage der einzelnen, sondern auch der Strukturen beitragen kann. Präventive Hausbesuche müssen ein Baustein in einem regionalen Netzwerk von me-dizinischen, pflegerischen und sozialen Angeboten sein, sonst können vorhandene und neu entstehende Bedarfe nicht befriedigt werden. Insbesondere die Einbeziehung der Hausärzte hat sich als wichtig für den Erfolg erwiesen. Die Hausbesuche sollten so angeboten werden, dass sie nur ausfallen, wenn sie aus-drücklich abgelehnt werden. Zur Zielgruppe gehören alle alten Menschen (die Alters-grenze variiert rund um 75 Jahre) in einer Region, insbesondere auch die gesunden unter ihnen, weil sie besonders von der langfristigen Gesundheitsförderung profitie-ren können.Das Assessment, das bei den Hausbesuchen eingesetzt wird, soll medizinisch-gesundheitliche, aber auch soziale Fragen abdecken. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Klärung der Selbstbestimmungsmöglichkeiten und der Lebenszufriedenheit. Wünsche und Pläne sind ebenfalls gezielt zu erfragen. Das Assessment ist die Basis für eine gemeinsame Planung von Verbesserungsmöglichkeiten, die konkret formu-liert und in der Regel schriftlich fixiert werden sollten. Die Hausbesuche sollten regelmäßig zweimal jährlich sowie bei Bedarf erfolgen und von den gleichen BeraterInnen wiederholt werden, damit eine vertrauensvolle Bezie-hung entstehen kann und Probleme rechtzeitig erkannt werden.

Schluss

Das Ziel präventiver Hausbesuche ist, die körperlichen und psychischen Fähigkeiten der alten Menschen zu stärken, ihre soziale Teilhabe zu sichern und ihnen den Weg zu Un-terstützungsangeboten zu erleichtern. Dadurch können Selbstständigkeit und Selbstbe-stimmung gestärkt, die Gesundheit nachhaltig verbessert und Pflegebedürftigkeit ver-hindert oder hinausgezögert werden. Die Wirksamkeit von präventiven Hausbesuchen durch dafür geschulte und in ein regionales Netzwerk eingebundene BeraterInnen ist durch Modellversuche und die Expertise der europäischen Nachbarländer erwiesen.

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Literatur:

Perschke-Hartmann, Ch. (Projektleiterin): Preisträger Gesund älter werden, in: Deut-scher Präventionspreis 2005: 38-41

Schmidt, C./Gebert, A.: Präventive Hausbesuche für Senioren – Erkenntnisse und Per-spektiven im Ausklang des Projektes mobil, in: Perspektiven – Informationen des Deut-schen Instituts für angewandte Pflegeforschung 2/2007: 1-3

Vass, M./Avlund,K./Hendriksen, C./Philipson,L./Riis, P.: Preventive home visits to older people in Denmark. Why, how, by whom, and when?, in: Zeitschrift für Geronto-logie und Geriatrie Heft 40, 2007: 209-216

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Christiane Perschke – Hartmann: Helfen bevor Hilfe nötig wird – Präventive Hausbesuche

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Christiane Perschke-Hartmann

Helfen bevor Hilfe nötig wird – Präventive Hausbesuche

Einleitung

Zum Älterwerden gibt es keine wirkliche Alternative. Sehr wohl beeinflussbar ist je-doch die Art des Älterwerdens. Die Frage ist, wie können Gesundheit, Lebenszufrie-denheit und Selbstständigkeit bis ins hohe Alter erhalten bleiben? Was kann der ältere Mensch auch bei chronischer Erkrankung zur Erhaltung seiner Lebensqualität und sei-nes Wohlbefindens beitragen? Das sind die Grundfragen, denen sich das Präventions-programm „Gesund Älter Werden“ (GÄW) der AOK Niedersachsen verpflichtet hat. Das Programm widersetzt sich damit bewusst der Tradition, den Lebensabschnitt Alter von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention auszunehmen. Ursache da-für ist die gesellschaftlich vorherrschende Überzeugung, dass der Rückgang körperli-cher und geistig-seelischer Leistungsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit alterstypisch, irreversibel und quasi dem Alter immanent seien. Obgleich eine Reihe wissenschaftli-cher Studien diese Ansicht widerlegen und gerade dem Alter ein erhebliches Präventi-onspotenzial attestieren, überwiegt diese Haltung nach wie vor (Kruse, A. 2002). In seiner Herangehensweise folgt GÄW dem Programm der Weltgesundheitsorganisation, die mit ihrem Konzept des „Active Ageing“ das Ziel verfolgt, eine aktive und selbst-ständige Lebensführung zu fördern und damit die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern (WHO 2002). Anknüpfungspunkt des Konzeptes ist nicht nur die individuel-le, sondern auch die gesellschaftliche Ebene, denn ein gesundes und aktives Altern ist an strukturelle Voraussetzungen gebunden. Damit Senioren und Seniorinnen körperlich, geistig-seelisch und sozial aktiv bleiben und an Gesellschaft teilhaben können, sind re-gionale Möglichkeiten und bedarfsgerechte Angebote erforderlich. GÄW folgt dieser Herangehensweise, indem auf der individuellen Ebene die Verbesserung der persönli-chen Situation älterer Versicherter und auf der systemischen, regionalen Ebene die Ver-netzung bedarfsgerechter Seniorenangebote verfolgt wird. Die Initiative zu GÄW wurde von der AOK Niedersachsen (AOKN) ursprünglich nicht zuletzt deshalb gestartet, weil bereits jetzt jeder dritte ihrer Versicherten 60 Jahre alt und älter ist und sie unter den Krankenkassen in Niedersachsen den höchsten Anteil an Rentnern aufweist. Die AOKN ist damit der gesamtgesellschaftlichen Zukunft ein Stück voraus.

Pilotprojekt

Als Pilot- und Demonstrationsprojekt der WHO startete GÄW Anfang 2004. Das Pilot-projekt ist als Forschungsprojekt angelegt. Ziel ist es, Aussagen zur Wirksamkeit der Maßnahmen zu generieren. Das Projekt weist daher ein kontrolliert- randomisiertes Studiendesign auf: Aus insgesamt 3 Stadtbezirken Hannovers wurden Versicherte, die zu diesem Zeitpunkt zwischen 68 und 79 Jahren alt waren und keine Leistungen aus der Sozialen Pflegeversicherung erhielten, herausgefiltert. Aus diesem Gesamt von insge-samt 4.300 Personen wurden nach einem Zufallsprinzip 1.300 Personen der Interventi-

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ons- und die verbleibenden 3.000 Personen der Kontrollgruppe zugeordnet. Ziel des Studienaufbaus ist es, durch statistische Vergleiche der beiden Gruppen, Aussagen zur Wirkung und Wirksamkeit dieses Vorgehens zu ermöglichen. Die Wirksamkeit wird an Kriterien wie Mortalität, Krankenhauseinweisungen, Pflegebedürftigkeit usw. gemes-sen. Weitere Aussagen werden durch einen Vergleich der Interventionsgruppe jeweils zu Beginn und zum Ende des Interventionszeitraums ermöglicht. Der Interventionszeit-raum endete am 31.12.2006. Die Auswertung der im Pilotprojekt erhobenen Daten ist gegenwärtig noch nicht völlig abgeschlossen. Das Pilotprojekt wird von einem Team unter der Leitung von Frau Prof. em. Fischer wissenschaftlich begleitet.

Roll- Out

Aufgrund der hohen Akzeptanz der Maßnahme und der Brisanz des Themas hat sich die AOKN bereits im Verlauf des Jahres 2006 dazu entschlossen, GÄW als Modul der all-gemeinen Gesundheitsförderung in weiteren Regionen Niedersachsens – quasi als eine weitere Phase der Pilotierung – auszurollen. Neben Hannover wurden vier weitere eher ländliche und kleinstädtische Regionen Niedersachsens hinzugenommen. Zielgruppe sind auch hier ältere Versicherte, in der Regel ab dem Alter von 65 Jahren, die keine Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung beziehen. Nach oben besteht nun-mehr keine Altersbegrenzung.

Der präventive Hausbesuch

Kernleistung von GÄW ist der „präventive Hausbesuch“. Dazu werden Versicherte schriftlich und telefonisch kontaktiert, über das Angebot und Teilnahmemöglichkeiten informiert. Ca. jeder zweite bis dritte Senior nimmt das Angebot in Anspruch, wobei einige im weiteren Verlauf „abspringen“ und letztendlich ca. jeder vierte die volle Bera-tungsleistung in Anspruch nimmt. Nicht-Teilnehmer und Abbrecher sind häufig Perso-nen, die sehr aktiv und engagiert im Leben stehen und keinen Bedarf für sich sehen oder aber Personen, die sich aufgrund von Erkrankungen subjektiv als defizitär und einen Hausbesuch als Überforderung erleben.Ein anderes Problem stellen häufig Ehepaare dar. Nicht selten kommt es vor, dass Ehe-frauen der Teilnahmewunsch von ihren Männern verwehrt wird. Die Teilnehmer (Klien-ten) hingegen entsprechen einer Art „Mittelweg“: sehr wohl durch chronische Erkran-kungen belastet, aber im Großen und Ganzen fit und sozial nicht sehr eingebunden.

Netzwerkarbeit

Damit Ältere aktiv an Gesellschaft teilhaben können, sind strukturelle Voraussetzungen erforderlich. Die Erfahrungen mit den Senioren zeigen, dass es in den Regionen eine Vielzahl von Offerten für diese Altersgruppe gibt, die aber von ihnen wenig in An-spruch genommen werden. Die Gründe dafür liegen häufig in der mangelnden Attrakti-vität der Angebote. Viele Ältere fühlen sich nicht als alt und lehnen die üblichen „Al-

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tenkreise“ o. Ä. ab. Der Bedarf dieser Generation geht mehr zu erlebnisorientierten Szenarien.

Gemeinsam mit regionalen Anbietern wie z. B. in Hannover dem Kommunalen Senio-renservice der Stadt Hannover vernetzt GÄW die Angebote. Hannover ist hinsichtlich seiner Seniorenpolitik sehr innovativ und hat bereits frühzeitig auf der Ebene der Stadt-bezirke sog. „runde Tische“ eingerichtet. Teilnehmer sind alle Organisationen, die im Bereich der Seniorenarbeit aktiv sind. Ziel ist es, sich über Profile und Angebote der Organisationen auszutauschen und dem Bedarf der Älteren entsprechende Angebote zu koordinieren. Ein Ergebnis dieses Austauschs sind z. B. sog. „Formularlotsen“, die Äl-tere bei dem Ausfüllen von Formularen behilflich sind oder kostenlose Wohnraumbera-tung. Die Beraterinnen aus GÄW nehmen aktiv an diesem Austausch teil. Mit seiner Seniorenpolitik hat Hannover eine gewisse Vorreiterfunktion. In den anderen Regionen Niedersachsens wird hingegen von den Beraterinnen sehr viel mehr Eigeninitiative ab-gefordert.

Beratungsablauf und Assessment

Der Inhalt der ersten beiden Hausbesuche ist vorgegeben. Mithilfe eines standardisier-ten multidimensionalen Assessments wird die Situation des Klienten erfasst. Dazu ge-hören die Ermittlung von Ressourcen, Interessen, Freizeitverhalten, Wohnsituation, die gesundheitsbezogene Lebensqualität ebenso wie der allgemeine Gesundheitsstatus und die Funktions- und Leistungsfähigkeit. Mithilfe des von einer europäischen Forscher-gruppe entwickelten STEP-Instrumentes (Standardised assessment of elderly people in primary care, Junius et al. 2003) werden körperliche Beschwerden und Symptome, Stimmungen und Affekte, kognitive Leistungsfähigkeit und Schlafstörungen, Lebensstil und Risikofaktoren, die Wahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen sowie die Mobilität erfasst. Das Assessment ermittelt nicht nur die Aspekte von Ge-sundheit in einem engen Sinn, sondern bezieht bewusst alle Aspekte des persönlichen Wohlbefindens mit ein. Die präventiven Hausbesuche werden im Sinne der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention durchgeführt, enthalten im Weiteren aber auch Ratsch-läge zum Lifestyle und zur Gesundheitsförderung.

Beratungsthemen

Die Beratung erfolgt auf der Grundlage der umfangreichen Informationen. Ziel ist es, den allgemeinen Bedarf des Klienten zu ermitteln, ihm zu mehr Eigenverantwortung zu verhelfen, seine Autonomie zu stärken und ihn zu gesellschaftlicher Teilhabe anzure-gen. Der dritte Hausbesuch dient der konkreten Vereinbarung, welche Aktivitäten der Klient aufnehmen will oder was er ändern möchte. Weitere Hausbesuche sind grund-sätzlich möglich. Parallel dazu erfolgen selbstverständlich telefonische Kontakte. In den 2,5 Jahren Interventionszeitraum des Pilotprojektes sind insgesamt über 1.800 Hausbe-suche durchgeführt worden. Insgesamt 588 Personen wurden mindestens einmal be-

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Christiane Perschke – Hartmann: Helfen bevor Hilfe nötig wird – Präventive Hausbesuche

Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! 37

sucht, wobei die 347 Klienten im Durchschnitt mehr als vier Besuche und maximal bis zu elf Besuche in Anspruch genommen haben.

Abb. 1: Beratungsdimensionen

Das Hausbesuchsprogramm unterscheidet folgende Beratungsdimensionen (Abb.1): Mobilität Medizinischer Bereich Ökonomische Situation WohnsituationErnährungLebenssinn/ Spiritualität Psychosozialer Bereich Soziokultureller Bereich

Diese Bereiche sind für die Älteren von großem Interesse. Sie haben Probleme im All-tag oder weisen unerfüllte Wünsche auf, wie die Aufnahme alter oder neuer Hobbys oder das Eingehen von Freundschaften. Vielen Klienten fehlen soziale Kontakte und sie wissen nicht, wie und wo sie sich helfen lassen können. Um fit zu bleiben und sich wohl zu fühlen, brauchen ältere Menschen aber soziale Kontakte als auch sinnvolle Aufga-ben. Die Fachkräfte informieren und beraten zu diesen Themen, vermitteln ihnen Frei-zeitangebote aus der Region oder unterstützen sie bei der Suche nach einem geeigneten ehrenamtlichen Engagement. Viele Senioren sind nur unzureichend über funktionelle Veränderungen im Alter und Risikofaktoren im Lebensstil informiert. Die Fachkräfte beraten sie auch dazu und unterstützen sie, wenn sie liebgewordene, aber ungesunde Verhaltensweisen ablegen und zugunsten eines risikoärmeren Lebensstils aufgeben wol-

AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen

MobilitätGangsicherheitkörperliche Betätigungsportliche AktivitätTrainingsgruppen

Medizinischer BereichArztbesuch VorsorgeuntersuchungenImpfungenmedizinische Alternativen

Ökonomische SituationUnterstützung bei

AnträgenVermittlung zu Fach--beratungen

WohnsituationSicherheitsgefühlAusstattungSturzgefahrenUnfallquellenWohnumfeld

ErnährungEinkaufs-/EssverhaltenErnährungsgewohnheitenTrinkprotokollGewichtskontrolleLebenssinn

Glaube, ReligionSpiritualitätGesprächskreiseTräumeWünsche

Psychosozialer Bereichsoziale KontakteFamilie, FreundePartnerschaftSexualitätTraumata Selbsthilfegruppe

Soziokultureller BereichInteressen / HobbiesWahrnehmung des eigenenSelbstbildes und Ressourcen

Beratung Beratung RessourcenanalyseRessourcenanalyse

AktivierungAktivierungVermittlungVermittlung

Abb. 1: Beratungsdimensionen

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Christiane Perschke – Hartmann: Helfen bevor Hilfe nötig wird – Präventive Hausbesuche

38 Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten!

len. Als Ansporn zur Selbstdisziplin schließen die Berater mit den Teilnehmern eine Zielvereinbarung ab. Ca. 2/3 der Klienten des Pilotprojektes haben mit ihrer Beraterin Ziele vereinbart. Nach einem ersten Eindruck scheint es, als wenn die Teilnehmer Krankheit eher als etwas Schicksalhaftes betrachten und die Verantwortung für die ei-gene Gesundheit gerne den medizinischen Experten zuweisen. „Aktivierung“ als Erwei-terung ihrer Handlungsressourcen und Stärkung ihrer Eigenverantwortung ist dann die beste Investition in die Gesundheit älterer Menschen. Viele der Senioren sind chronisch krank und in der Regel multimorbide und haben in Bezug auf den Umgang mit ihrer Erkrankung ein enormes Informationsbedürfnis. Die Berater geben ihnen Tipps, wie z. B. durch vermehrte moderate Bewegung oder eine gesunde Ernährung Krankheitsphä-nomene und –verläufe positiv beeinflusst werden können.

Beraterinnen

Die präventiven Hausbesuche werden von eigens geschulten Präventionsfachkräften der AOKN durchgeführt. In der Regel handelt es sich um Personen, die über langjährige Erfahrungen im Bereich der Gesundheitsförderung verfügen. Von ihrer Grundqualifika-tion her handelt es sich um Krankenschwestern, Sozialpädagogen, Ernährungsexperten, Sozialwissenschafter, Familientherapeuten, Sportpädagogen oder Psychologen. Alle sind in der Methode der systemisch-lösungsorientierten Beratung weiterqualifiziert und wenden sie in ihrer Beratung an. Die Erfahrungen zeigen, dass die persönliche Bezie-hung der Präventionskräfte zu den Älteren das zentrale Element ist. Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung ist der Grundstein zum Erfolg der Maßnahme. Das setzt ausreichend Zeit und eine hohe Motivation mit älteren Menschen zu arbeiten voraus. Die unterschiedlichen Professionszugehörigkeiten bieten die Chance, dass im Team voneinander gelernt wird und sich dadurch ein ganzheitlicher Blick auf die Senioren und ihre Bedarfe einstellt. Die professionsbedingten Einzelperspektiven erweitern sich.

Ergebnisse aus der Pilotstudie

Gesundheits- und Funktionsstatus

Unter den Teilnehmern des Pilotprojektes konnten eine Reihe von Störungen und Sym-ptomen aufgedeckt werden, sodass die Klienten zu einer weiteren Abklärung an den Haus- oder Facharzt verwiesen wurden. Ebenso musste festgestellt werden, dass Vor-sorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen von einem großen Teil der Besuchten nicht in Anspruch genommen worden waren.

Die Auswertung der Daten zum Gesundheitsstatus des Pilotprojektes (N=366) ergaben ein vielschichtiges Bild. Als häufigste Risikobereiche wurden ermittelt:

Unzureichende Flüssigkeitsaufnahme (rund 60%) Gelenkbeschwerden (knapp 60%) Bewegungsmangel (53,5%) und geringe körperliche Belastbarkeit (46,5%)

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Christiane Perschke – Hartmann: Helfen bevor Hilfe nötig wird – Präventive Hausbesuche

Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! 39

Eine oder mehrere Einschränkungen bei den Basisaktivitäten des täglichen Lebens (50,7%)Mäßige oder starke Schmerzen (45,7%) Probleme beim Sehen oder Hören (40,3%) Fehlende Grippe- (33,8%) oder Tetanusschutzimpfungen (46,6%) Allein lebend (45,1%) mit häufig unklarer Hilfemöglichkeit bei akut eintretender PflegebedürftigkeitSystolischer Blutdruck über 159 mmHg (45,6%) Schlafstörungen (38,9%) und häufige Niedergeschlagenheit (25,5%) Inkontinenzproblem (30%) Einnahme von mehr als 5 Medikamenten (22,5%) Einmal oder mehrere Male in den letzten 6 Monaten gestürzt (24,8%); Unsicherheiten im Gang und in der Bewegung (23,4%)

Die im Rahmen des geriatrischen Assessments gewonnenen Informationen werden dem Hausarzt – sofern der Klient einverstanden ist – mit der Bitte um Kenntnisnahme und ggf. weitere Veranlassung zugeleitet. Damit erhält der Hausarzt eine Vielzahl von In-formationen, die er im strengen Praxisalltag kaum generieren kann. Themen wie unzu-reichende Flüssigkeitszufuhr oder Bewegungsmangel sind dagegen Anknüpfungspunkte für eine Beratung durch die Präventionsfachkräfte.

Beratung und Gruppentreffen

Beratungsbedarf besteht in erster Linie zu medizinischen Themen (Abb. 2). Die Aus-wertung unter den Klienten des Pilotprojektes zeigt eindeutig die Priorität dieses The-menbereichs. Im Vordergrund stehen dabei unklare Symptome, gesundheitliche Prob-leme oder Befindlichkeitsstörungen gefolgt von mangelndem Impfschutz, Seh- und Hörproblemen, Harn- und Stuhlinkontinenz, Problemen mit den Zähnen, Obstipation u. W. Das Spektrum der Beratungsthemen im psychosozialen Bereich dagegen reicht von Kriegstraumata, die jetzt am Lebensende zu Sprache kommen, über Konflikte mit Le-benspartnern oder Familienangehörigen, Krankheitsbewältigung, Krankheit des Part-ners, Verlust des Partners oder anderer nahe stehender Personen, allgemeine Ängste, Niedergeschlagenheit, psychische Probleme bis zu Einsamkeitsgefühlen und dem Be-dürfnis nach sozialen Kontakten. Die Beraterinnen treffen immer wieder – trotz der vielzähligen regionalen Seniorenangebote – auf sozial isolierte und vereinsamte Perso-nen, die dankbar für Anregungen und die Vermittlung in Freizeitangebote sind. Aus diesem Kontaktbedürfnis ergeben sich häufig Zielvereinbarungen, die in die anderen Bereiche wie Mobilität (bei Wahrnehmung sportlicher Aktivitäten) oder in den sozio-kulturellen Bereich (bei Wahrnehmung von Freizeitangeboten) münden. Das immense Kontaktbedürfnis hat im Weiteren dazu geführt, dass das Angebot der Hausbesuche um Gruppentreffen erweitert wurde. In jedem Stadtbezirk des Pilotprogramms als auch den in der zweiten Welle hinzugekommenen Regionen werden Gruppentreffen für die Teil-nehmer von GÄW organisiert. Das Programm der Treffen gestaltet sich nach den Wün-schen der Teilnehmer, die sie nach anfänglicher Unterstützung durch die Beraterinnen

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Christiane Perschke – Hartmann: Helfen bevor Hilfe nötig wird – Präventive Hausbesuche

40 Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten!

weitestgehend selbstständig organisieren. Themen sind z. B. Typberatung, gemeinsames Spielen von Gesellschaftsspielen, Gärtnern, Kriegserlebnisse, Literaturdiskussionen, Ausflüge in die Umgebung u. v. m. Im Rahmen der Treffen vernetzen sich die Klienten ihren Hobbys und Interessen entsprechend, finden neue Kontakte und entwickeln Freundschaften. Die Gruppentreffen werden sehr gut angenommen und erfreuen sich trotz der Vielzahl vorhandener Angebote für Senioren großer Beliebtheit. Offensichtlich haben sich die Bedarfe der Älteren verändert. Sie wollen weniger unterhalten werden, als lieber selbst organisieren.

Abb. 2: Beratungsthemen

Ernährung und das eigene Körpergewicht sind weitere sehr wichtige Beratungsthemen ebenso wie die körperliche Beweglichkeit und Leistungsfähigkeit. Die Frage war häu-fig, was trotz des Vorliegens einer chronischen Erkrankung noch an sportlichen Aktivi-täten möglich und sinnvoll ist und wie ein Leistungsabbau kompensiert werden kann. Auch hierzu unterstützen die Präventionsfachkräfte durch entsprechende Beratung und Vermittlung an Angebote in der Region.

Das Thema Wohnsituation umfasst den barrierefreien Zugang zur Wohnung ebenso wie den barrierefreien Zustand in der Wohnung. Häufig konnte durch kleine Tipps weiter-geholfen oder aber auf die entsprechende Wohnraumberatung durch öffentliche Stellen verwiesen werden. Es geht um mögliche Umbauten innerhalb der Wohnung und im extremen Fall auch um einen Umzug. Häufig sind die Älteren in ihrem Wohnquartier und ihrer Hausgemeinschaft sehr verwurzelt, so dass ein Umzug die allerletzte Mög-lichkeit darstellt. Obgleich ein großer Teil der Klienten angaben, mit ihrem Geld schlecht oder gar nicht auszukommen, wurde dieses Thema nicht sehr häufig angespro-chen und wenn waren die finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten in der Regel ausge-schöpft. Es deutet einiges darauf hin, dass ca. jeder vierte bis fünfte Teilnehmer des GÄW Pilotprojektes eine gewisse Armutsproblematik aufweist.

Interventionen

Ein sehr großer Teil der Interventionen bestand im Pilotprojekt aus Motivationsarbeit (ca. 21%). Die tatsächliche Realisierung von Wünschen, die man sich bisher vielleicht

Abb. 2: nachgefragte Beratungsthemen (Mehrfachnennungen insgesamt 668)

64

213

1330

108

15

174

51

0

50

100

150

200

250

Mobilität Medizin. Bereich ökonom. Situation Wohnsituation Ernährung Lebenssinn Psychosozialer B. soziokultureller N.

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Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! 41

noch nicht einmal eingestanden hat oder die Aufgabe liebgewordener, aber ungesunder Verhaltensweisen sind nur möglich, wenn bisherige intrinsische als auch extrinsische Hemmnisse beseitigt werden. Das ist nicht so ohne Weiteres möglich und erfordert auf Seiten der Präventionsfachkräfte viel Feingefühl und Geduld. Dazu waren zum Teil auch Bestärkung und Unterstützung (9%) erforderlich ebenso wie das Arbeiten an dem eigenen Selbstbild (7%). Zu einem kleineren Anteil bestanden die Interventionen aus Beratung zu sozialen Beziehungen und Traumata (5%). Passende regionale Angebote herauszusuchen und Senioren dorthin zu vermitteln war ein weiterer großer Baustein ihrer Tätigkeit (19%), neben Interventionen im Bereich Impfung/ Vorsorge und Ernäh-rung (31%).

Gesundheitsbezogene Lebensqualität

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wird in fünf Domänen gemessen: Zur Anwen-dung kommt die deutsche Version des World Health Organization Quality Of Life-Bref (WHOQOL-Bref), die eine Kurzversion des Basisinstrumentes WHOQOL-100 darstellt (Angermeyer 2000). Die physische Lebensqualität beinhaltet das Erleben von Schmerz, Bewegungs- und Arbeitsfähigkeit, die psychische z. B. das Erleben von positiven und negativen Gefühlen sowie die Konzentrationsfähigkeit. Unter sozialen Beziehungen werden die Beurteilung der persönlichen Beziehungen und des Sexuallebens sowie die Angemessenheit sozialer Unterstützung gefasst, während unter den Bereich Umwelt die soziale und physikalische Umwelt subsumiert wird. Das Bild wird durch die Beurtei-lung der eigenen Lebensqualität und Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit unter der Kategorie „global“ abgerundet. Wenig überraschend ist, dass die durchschnittlichen Lebensqualitätswerte über alle Domänen hinweg bei Personen mit gesundheitlichen Sorgen ebenso wie bei Personen, bei denen eine Armutsproblematik zu vermuten ist, sehr viel niedriger und damit schlechter ausfallen als im übrigen Klientel (Abb. 3). Bis auf die psychische Dimension weisen Männer schlechtere Werte auf als Frauen. Der Verlust einer nahe stehenden Per-son in den letzten 24 Monaten hatte dagegen kaum Einfluss auf die Werte.

Abb. 3: Lebensqualität nach finanziellen Verhältnissen zu Beginn der Intervention: Mittelwerte (N = 340)

55,560,7 61,9

56,850,2

61,2 65,8 67,6 69,157,5

71,2 74,9 73,9 78,266,2

0102030405060708090

physisch psychisch soziale Bez. Umwelt global

schlechthalbwegsüberwiegend

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Ein Vergleich der Werte aller Klienten aus dem Pilotprojekt vor und am Ende des Inter-ventionszeitraums zeigt nur leichte, wenig eindeutige und keinesfalls signifikante Trends. Eine minimale Verbesserung der Lebensqualität lässt sich für alle Klienten im Bereich der „sozialen Beziehungen“ nachweisen, während die Klienten mit Verdacht auf Armut als auch die mit sehr geringer Schulbildung eine tendenzielle Verbesserung über alle Domänen hinweg erreichen konnten. Eine leichte Verbesserung im Bereich der psychischen Domäne zeigen die Werte für allein lebende Personen und Personen mit gesundheitlichen Sorgen. Möglicherweise ist bereits die Stabilisierung der Lebensquali-tät in dieser Altersgruppe als Erfolg zu werten, da einiges darauf hindeutet, dass sich die Werte mit zunehmendem Alter verschlechtern (Knesebeck et al. 2006).

Ausblick

Der Anteil älterer Menschen in unserer Bevölkerung steigt. Die Frage ist, wie Ältere möglichst lange an Gesellschaft teilhaben können sowie wie ihre Gesundheit, Selbst-ständigkeit und Lebensqualität möglichst lange erhalten bleiben kann. Als mögliche Methode wird in diesem Zusammenhang seit einiger Zeit der präventive Hausbesuch diskutiert. Eine Reihe von Fragen zur Wirksamkeit sowie zu den Erfolgsdeterminanten dieser Maßnahme sind hierzulande jedoch nach wie vor offen (Lübke/ Meinck 2003; Expertenhearing 2005), während andere Länder wie z. B. Dänemark diese Maßnahme bereits seit geraumer Zeit erfolgreich als Standardleistung des Gesundheitssystems vor-halten (Vass et al. 2007). Die weitere Auswertung der aus dem Pilotprojekt vorliegen-den Daten wird zeigen, ob GÄW zu dieser Diskussion einen Beitrag leisten kann. Zwar handelt es sich bei dem Pilotprojekt um eine kontrolliert- randomisierte Studie, auf-grund der vorliegenden Erfahrungen ist es jedoch grundsätzlich fraglich, ob der Unter-suchungsgegenstand mit dieser Methode überhaupt wissenschaftlich erfahrbar und nachweisbar ist. Denn das, was im Rahmen der präventiven Hausbesuche geleistet und nachgefragt wird, ist mehr ein sozialer Prozess als eine gleichförmige und standardisier-te Behandlung (Clark 2001; Schmidt/ Gebert 2007). Nichtsdestotrotz zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass präventive Hausbesuche als ein niedrigschwelliges Angebot, mit dem auch sozial Benachteiligte gut erreicht werden können, sehr sinnvoll sind. Der Gesundheits- und Funktionsstatus der älteren Menschen weist in einigen Teilen eine gewisse medizinische Unterversorgung auf ebenso wie im psychosozialen Bereich Defizite zu verorten sind. Gesund Älter Werden wird daher quasi in einer weiteren Pilotierungswelle fortgesetzt. Erfahrungen aus der ersten Pilotie-rung kommen in der zweiten zum Tragen. Insbesondere die Kooperation mit den Haus-ärzten soll verbessert werden. Dazu ist das zum Einsatz kommende geriatrische As-sessment verändert und komprimiert worden. Die Erprobung der Zugangswege über den Hausarzt ist vorgesehen. Im Weiteren ist eine Spezifikation des Angebots für bestimmte Zielgruppen angedacht. Der These entsprechend, dass sich Gesundheit im Alltag herstellt, hat das Programm der AOK Niedersachsen einen sehr breiten Ansatz gewählt und den Fokus weniger auf Ge-sundheit im eigentlichen, als vielmehr auf das persönliche Wohlbefinden im weiteren Sinne gelegt. Deutlich wird dabei, dass Ältere insbesondere von der Verzahnung des

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Christiane Perschke – Hartmann: Helfen bevor Hilfe nötig wird – Präventive Hausbesuche

Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! 43

Gesundheitssystems mit anderen gesellschaftlichen Systemen profitieren. Aufgabe der Zukunft wird es sein, ein Gesamtkonzept von Versorgungsstrukturen zu entwickeln, in das kommunalorientierte ebenso wie nachbarschafts-, vereins- und bürgerinitiativorien-tierte Dienste mit einbezogen werden. Ein solches Konzept käme nicht nur den Senioren in unserer Bevölkerung zugute, sondern der gesamten Gesellschaft.

Literatur:

Angermeyer, MC., Kilian, R., Matschinger, H. (2000): WHOQOL-100 und WHOQOL-Bref. Handbuch für die deutschsprachige Version der WHO Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität, Göttingen: Hogrefe

Clark, J. 2001: Preventive home visits to elderly people. In: BMJ 323, 708

Expertenhearing 2005: Expertenhearing “Präventiver Hausbesuch im Alter”. Hrsg. von der Bundesvereinigung für Gesundheit. Veröffentl. Ms. www.dip-home.de/material/downloads/Dokumentation_Experten_Hearing.pdf

Junius, U. et al. 2003 : Das europäische geriatrische Assessment im Praxistest. Ergeb-nisse aus der deutschen Machbarkeitsstudie. In: Z Allg Med 79, 620 - 623

Von dem Knesebeck, O. et al. 2006: Aktives Altern und Lebensqualität. Evaluationser-gebnisse eines WHO-Demonstrationsprojektes. In: Z Gerontol Geriat 38, 82 - 89

Kruse, A. 2002: Gesund altern. Stand der Prävention und Entwicklung ergänzender Präventionsstrategien. (Band 146. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesund-heit), hrsg. Vom Bundesministerium für Gesundheit. Baden-Baden: Nomos

Meinck, M., Lübke, J.(2003): Wirksamkeit präventiver Hausbesuche im Alter. Gutach-ten des Kompetenzzentrums für Geriatrie im Auftrag der Spitzenverbände der Kranken-kassen. Hamburg, veröffentl. Ms.

Schmidt, C., Gebert, A. 2007: Präventive Hausbesuche für Senioren – Erkenntnisse und Perspektiven des Projektes mobil. In: Perspektiven. Informationen des Deutschen Insti-tuts für angewandte Pflegeforschung 2, 1 – 3

Vass, M. et al. 2007 : Preventive home visits to older people in Denmark. Why, how, by whom, and when? In: Z Gerontol Geriat 40, 209 - 216

WHO 2002: Active and life course publications. Active Aging: a policy Framework. http://www.who.int/hpr/ageing/ActiveAgeingPolicyFrame.pdf

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Regina Saeger: Neue Anforderungen an Sozialkommissionen

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Regina Saeger

"Neue Anforderungen an Sozialkommissionen"

Bürgersinn und persönliches Engagement für die Gemeinschaft sind unverzichtbare Elemente unseres Staatswesens. Sie tragen ganz wesentlich zur Gestaltung des mensch-lichen Zusammenlebens bei. Der Beitrag, der seit der Wiedervereinigung Deutschlands durch ehrenamtliches Engagement für die soziale und politische Stabilität sowie die kulturelle Vielfalt unseres Lebens geleistet worden ist, kann gar nicht hoch genug ge-würdigt und geschätzt werden. Das ehrenamtliche Engagement bleibt auch in Zukunft wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft. Hier etwas über den Stellenwert und die Bedeutung von Ehrenamt, Selbsthilfe und bürgerschaftlichem Engagement zu sagen, hieße " Eulen nach Athen" tragen. Aber es ist für die weitere Diskussion des heutigen Tages doch noch einmal sinnvoll, sich in Erinnerung. zu rufen, was wir bereits haben. Das Klima unseres Gemeinwesens wird durch die gegenseitige Zuwendung und die Hilfe von Mensch zu Mensch, durch täglich praktizierte Solidarität, Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit entscheidend geprägt.

Ohne den Einsatz der unzähligen engagierten Helfer, ihrer Einsatzbereitschaft und ihrer Tatkraft würde in Berlin ein ganzes Stück an sozialer Wärme und Geborgenheit fehlen. Kein Senat könnte all das ersetzen, was hier durch Selbsthilfe im Rahmen sozialen En-gagements geleistet wird. Wenngleich ehrenamtliche Arbeit in ihrer Wirkung oft nicht direkt beobachtbar und messbar ist, ihr Fehlen tritt jedoch immer dann sofort zu Tage, wo diese Leistungen nicht vorhanden sind. Für mich ist das freiwillige Engagement für den einzelnen Mitmenschen ebenso wie für das Sozialwesen eine zentrale Grundlage einer sozialen und aktiven Demokratie und für das Zusammenleben in einem sozialen Gemeinwesen unverzichtbar. In der Regel vollzieht sich diese Hilfe bescheiden und unauffällig.

Eine sehr anerkennenswerte Berliner Besonderheit sind die bezirklichen Sozialkommis-sionen (im nachfolgenden SOKO' s genannt) Die SOKO' s wurden auf der Grundlage der Verwaltungsvorschrift " Allgemeine Anweisung über den Ehrenamtlichen Dienst im Sozialen Bereich (Allg. Anw. EaD) vom 08.08.1995 und deren Novellierung der Ver-waltungsvorschrift (VV EaD) vom 19.09.2006 von der Senatsverwaltung für Gesund-heit, Soziales und Verbraucherschutz erlassen.

Als Mitglieder des Ehrenamtlichen Dienstes können Bürgerinnen und Bürger aus allen Kreisen der Bevölkerung tätig werden. Die Bezirke bemühen sich, geeignete Ansprech-foren zu finden, die Menschen unterschiedlicher Kulturen, Herkunftssprachen, Religio-nen und Glaubensgemeinschaften und aus allen Altersgruppen ermutigen, sich ehren-amtlich zu engagieren, um für alle Teile der Bevölkerung adäquate Dienste und An-sprechpartner/innen zur Verfügung zu stellen. Die Bestellung der Mitglieder erfolgt durch das jeweilige Bezirksamt und die Mitglieder werden dann auf Vorschlag des Be-zirksamtes für die Dauer von 4 Jahren von der Bezirksverordnetenversammlung ge-

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Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! 45

wählt. Eine erneute Wiederwahl ist möglich. Sie erhalten für die Wahlperiode einen Ausweis mit Lichtbild damit sie sich legitimieren können und sie sind Unfall- und Haft-pflichtversichert in diesem Ehrenamt. Die Mitglieder des Ehrenamtlichen Dienstes er-halten eine kleine Entschädigung nach der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung, der Bür-gerdeputierten und Sonstigen ehrenamtlich tätigen Personen in der jeweils geltenden Fassung. Nach unseren Recherchen haben wir in Berlin ca. 457 SOKO' s die sich wie folgt zusammensetzen:

Bezirk Spandau 38 SOKO' s Bezirk Tempelhof/Schöneberg 20 SOKO' s Bezirk Charlottenburg/Wilmersdorf 50 SOKO' s Bezirk Reinickendorf 50 SOKO' s Bezirk Steglitz/Zehlendorf 21 SOKO' s Bezirk Neukölln 76 SOKO' s Bezirk Mitte 41 SOKO' s Bezirk Lichtenberg 17 SOKO' s Bezirk Pankow 44 SOKO' s Bezirk Treptow/Köpenick 35 SOKO' s Bezirk Friedrichshain/Kreuzberg 26 SOKO' s Bezirk Marzahn- Hellersdorf 39 SOKO' s

Insgesamt: 457 SOKO' s

Schätzungsweise 3.200 bis 3.500 ehrenamtliche SOKO- Mitglieder leisten regelmäßig Dienst. Wer die SOKO' s etwas näher kennt, weiß mit welchem Engagement und wel-cher langjährigen Ausdauer sich hier ehrenamtlich um soziale Anliegen, Probleme und private Sorgen und Nöte im Bezirk gekümmert wird. Sie pflegen persönliche Kontakte, vermitteln bei Fragen des sozialen Bedarfs und persönlichen Hilfeleistungen, informie-ren zu sozialen Angeboten und fördern die Teilnahme am öffentlichen Leben, und über-bringen Ehrungen bei hohen Geburtstagen und Ehejubiläen. Bürgerinnen und Bürgern, die das 80. 85. 90. und jedes weitere Lebensjahr vollenden, wird, verbunden mit einem kleinen Präsent in Höhe von 5.- EURO mit Gratulationsschreiben, vom jeweiligen Be-zirksbürgermeister/in gratuliert. In einigen Bezirken erhalten auch 75jährige eine Glückwunschkarte, ohne Besuch der SOKO. Zum 100. Geburtstag erhält der Jubilar/in ein Glückwunschschreiben des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, verbun-den mit einem einmaligen Präsent von 50.- EURO und die Glückwünsche des jeweili-gen Bezirksamtes, verbunden mit einem Betrag von 8.- EURO für Blumen, oder einem kleinen Präsent. Zwischen den jeweiligen Gratulationsbesuchen gibt es zu dem o. g. Personenkreis keinen weiteren Kontakt, erst wieder zum nächsten Jubiläum. Die Gratu-lationsbesuche der SOKO- Mitglieder werden vorab mit den Jubilaren abgesprochen und der Termin für den Hausbesuch vereinbart. Und nur dabei besteht für die Mitglieder der SOKO die Möglichkeit, den jeweils älteren Menschen persönlich zu begegnen, aber

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Regina Saeger: Neue Anforderungen an Sozialkommissionen

46 Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten!

nicht die Möglichkeit sich ein umfassendes Bild über Hilfsangebote, Vereinsamung usw. zu machen. Im Namen des Bezirksamtes werden auch Glückwünsche und Präsente überbracht bei:

- Goldener Hochzeit - Diamantener Hochzeit - Eisernen Hochzeit - Gnaden Hochzeit

Bei den Geburtstagen der 100-jährigen und den gerade genannten Jubiläen wird im Vor-feld erfragt, ob es gewünscht wird, dass der Bezirksbürgermeister/in die Glückwünsche übermittelt und ob über die Pressestelle eine Gratulation und Würdigung erwünscht ist. Die Bezirke sind in Sozialräume aufgeteilt und die SOKO' s werden diesen zugeordnet. In den SOKO' s werden die Straßenzüge im Sozialraum auf die Mitglieder aufgeteilt, so dass bei einem angemeldeten Hausbesuch immer das gleiche Mitglied des ehrenamtli-chen Dienstes präsent ist. Damit wird ganz gezielt eine Vertrauensbasis aufgebaut. Die Zahl der Mitglieder einer SOKO bestimmt sich nach der Einwohnerzahl, der sozialen Struktur und nach dem Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung der Bezirke. Emp-fohlen wird pro 800 Einwohner ein Mitglied. Die Mitglieder einer SOKO verpflichten sich zu einer gewissenhaften und unparteiischen Tätigkeit und zur Verschwiegenheit über die durch ihre Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen. Ihre gesamte ehrenamtli-che Tätigkeit, Information und Berichterstattung vollzieht sich in engster Zusammenar-beit mit dem jeweils im Bezirksamt Verantwortlichen und dem sozialen Dienst. In Zu-kunft werden die Anforderungen für ehrenamtliche Mitarbeit zunehmen. Prognosen über die demografische Entwicklung in Berlin zeigen im Vorhersagezeitraum bis 2030 einen erheblichen Rückgang der Bevölkerungszahl, aber gleichzeitig einen Zuwachs der Bevölkerungsanteile älterer und hilfsbedürftiger Menschen und ein Anstieg der Allein-lebenden. Der demografische Wandel macht auch um Berlin keinen Bogen. Berlin ist im Wandel und braucht Prognosen. Für Berlin heißt das ganz konkret: Seit 2003 ist die Zahl der über 65- jährigen größer als die der unter 18-jährigen und der Trend setzt sich fort. Besonders zunehmen wird die Zahl der Personen im hoch betagten Alter von 75 bis 100 und mehr Jahren. 2020 wird diese Altersgruppe vermutlich aus über 120.000 Men-schen mehr bestehen als noch zu Beginn dieses Jahrzehnts und das ist eine Steigerung um rund 50 Prozent.

Wir haben in Berlin ein wunderbares, bestfunktionierendes Netz von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Der Stellenwert des Ehrenamtes und die Bedeutung sozialer Netzwerke werden zunehmen, da die klassische Familienstruktur oft nur noch eingeschränkt funk-tioniert. Umso wichtiger wird gemeinnütziges Engagement. Anderen Menschen zu hel-fen, verhindert Einsamkeit und Isolation, erhöht aber auch die eigene Lebensfreude und das Glück. Was hat soziales Engagement mit meiner Gesundheit zu tun? Sehr viel, sa-gen die Mediziner und Psychologen. Faktoren, die das Gefühl von Gemeinsamkeit, Zu-gehörigkeit und menschlicher Nähe fördern, wirken sich positiv auf unsere Psyche aus. Eine Studie in den USA und in Finnland belegt, dass menschliche Nähe und Wärme

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Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten! 47

sowie soziale Integration Krankheiten verhindert oder den Genesungsprozess beschleu-nigen können. Auch erwiesen wurde, ohne soziale Unterstützung kann die Sterblichkeit, etwa nach einer Herzerkrankung, drei bis fünf Mal höher sein als mit einem gut funkti-onierenden unterstützenden Netzwerk.

Die Sozialkommissionen haben sich in den vergangenen Jahren als vertrauensbildende, hilfreiche und betreuende wie auch beratende Institution bürgerlicher Arbeit bewährt. Aus ihren Reihen wurde gleichermaßen das Sozialamt auf zahlreiche Probleme und Fragen der älteren Bürger wie auch ihrer Angehörigen aufmerksam gemacht. Die ver-änderte und sich weiter verändernde Sozialstruktur der Bezirke verlangt entsprechend der territorialen Schwerpunkte eine breite Diskussionsrunde über die Neuausrichtung der Aufgabenstellungen für die SOKO' s. Verstärkt muss die Gewinnung von jüngeren Bürgern für die Arbeit der SOKO' s in den Mittelpunkt gerückt werden. Das betrifft aber auch den Kreis der Aussiedler, Spätaussiedler und Migrantinnen und Migranten. Wir haben also in der jeweiligen Kommune durch die SOKO' s ein ausgeprägtes Betreuungsnetz. Wenn wir dann noch die vorhandenen sozialen Strukturen miteinbezie-hen, wie z.B. die Stadtteilzentren, Seniorenfreizeitstätten, Seniorenvertretungen, Koor-dinierungsstellen, kirchliche- und caritative Einrichtungen, Wohnungsanbieter, Freie Trägereinrichtungen usw. und eine erfolgreiche, abgestimmte Zusammenarbeit und Vernetzung vorantreiben, könnten wir eigentlich für die kommenden Jahre gute Voraus-setzungen haben und die Fähigkeit zur solidarischen Mitmenschlichkeit, Hilfe und Un-terstützung für unsere Seniorinnen und Senioren, Alleinlebende und Hochbetagte haben. Damit würden wir auf kommunaler Ebene eine gemeinschaftliche Verantwortung schaf-fen und die Bevölkerungsgruppe, um die es uns geht, stärker im gesellschaftlichen Le-ben berücksichtigen und uns auch einer Form der Altersdiskriminierung entgegenstel-len. Die Kommunalpolitik spielt also bei der Umsetzung einer neuen Sozial- und Bür-gerkultur die wichtigste Rolle, denn die Kommune hat den engsten Kontakt zum Bür-ger. Alle gesellschaftlichen Gruppen sind hier in der Verantwortung und müssen ihren Beitrag leisten, damit kein Hilfesuchender, Bedürftiger, Alleinlebender, Hochbetagter oder sei es auch nur ein auf Streicheleinheiten und Kontaktgespräche wartender Senior oder Seniorin, die verlassen, vereinsamt, verängstigt in ihren vier Wänden leben oder dahinvegetieren. Die solidarische Mitmenschlichkeit muss in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden.

Wie könnten die Schritte dazu aussehen?

1. Verwaltungsvorschrift über den Ehrenamtlichen Dienst im sozialen Bereich den neu-en demografischen Herausforderungen anpassen. 2. Gemeinsam ein neues Konzept mit Aufgaben und Zielstellung erarbeiten. 3. Rat der Bürgermeister und alle zuständigen Bezirksstadträte/rätinnen für die neue Sozial- und Bürgerkultur gewinnen. 4. Politisch Verantwortliche in der Senatsverwaltung - Fraktionen im Berliner Abgeord-netenhaus und Verbündete für diese Thematik sensibilisieren.

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Regina Saeger: Neue Anforderungen an Sozialkommissionen

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5. Territoriale Gesundheitskonferenzen in den 12 Bezirken müssen sich mit der Proble-matik auseinandersetzen. 6. Nachbarschaftsbeziehungen und soziale Bindungen im jeweiligen Quartier aufbauen bzw. ausbauen. 7. Die Aufgabenstellung muss auf ständige Besuchsdienste erweitert werden. 8. In der Kommune muss eine ortsnahe Infrastruktur zur Förderung von Selbsthilfe, Familien- und Nachbarschaftshilfe sowie sozialem Ehrenamt vernetzt werden. 9. Die so entstehenden Gremien sollten künftig grundsätzlich in die beratenden Gremien der Stadtteilzentren und auch speziell in Beratungen der Ausschüsse der Bezirksverord-netenversammlung zu territorialen sozialen Problemen einbezogen werden. 10. Für diese beratenden Tätigkeiten der Sozialkommissionen oder Gremien ist eine fachliche Anleitung und Schulung weiterzuführen bzw. weiterzuentwickeln. Das betrifft besonders Neuerungen und Erfahrungswerte über die Rente und Sozialgesetzgebung, der behördlichen Zuständigkeit sowie über wichtige Entscheidungen bzw. Standpunkte des Senats, des Berliner Abgeordnetenhauses, der Bezirksverordnetenversammlung und des jeweiligen Bezirksamtes. 11. Bildung von SOKO - FA' s = Sozialkommissionsfamilien

Menschen, - meist fortgeschrittenen Alters, Alleinlebende usw. - schließen sich zu einer "SOKO - FA" zusammen. Ziel dieses Zusammenschlusses ist gegenseitige Hilfe und Unterstützung wie in einer richtigen Familie. Dabei erweist es sich als vorteilhaft, wenn möglichst Menschen zusammenfinden, die nahe beieinander wohnen. Kurze Wege und entsprechend häufige Kontakte können gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Eine "SOKO - FA" wäre also eine neue Solidargemeinschaft als Weiterentwicklung von traditionel-len Formen der Großfamilie und der Nachbarschaftshilfe. Die "SOKO - FA " kooperiert mit allen privaten, kommunalen, staatlichen und konfessionellen Hilfseinrichtungen und Netzwerken. Die "SOKO - FA" sollte in ihrer Größe überschaubar bleiben, um ein sehr vertrauensvolles Miteinander - eben wie in einer echten Familie - entwickeln zu können. Die "SOKO - FA" - Mitglieder können beim Nachlassen der eigenen Kräfte wesentlich länger, sicherlich auch oft bis zum Tode, in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. So wird ein Fremdheitsschock vermieden, der sich auch bei guter Heimunterbringung einstellen kann. Alt zu werden in geistiger Gemeinschaft und gegenseitiger Hilfe gibt Geborgen-heit, Sicherheit, schützt vor Isolation und Vereinsamung und verleiht ein sicheres Ge-fühl der Teilhabe. Die "SOKO - FA" -Mitglieder brauchen geeignete Rahmenbedingun-gen, wo auch Kenntnisse und Fähigkeiten in der Abwicklung der Pflege und bei der Finanzierung der Maßnahmen durch die Gesundheits- und Sozialsysteme zur Verfügung stehen. Sie sollen beraten, helfen, sowohl vorsorgend, als auch bei akuten Anforderun-gen. Durch die von der "SOKO - FA" praktizierte Kombination von gegenseitiger Hilfe, solidarischer Mitmenschlichkeit, gegenseitiger Hilfe und Selbsthilfe, mit der Fremdhilfe durch Sozialstationen, soziale Netzwerke, mobile soziale Dienste und anderer Hilfsor-ganisationen und den zuständigen sozialen Stellen in der Kommune, würden sich auch sicherlich die erforderlichen Aufwendungen in allen Pflegestufen erheblich absenken lassen. Die Selbsthilfe in einer "SOKO - FA" würde Fremdhilfe häufiger überflüssig machen. Wenn Fremdhilfe notwenig wird, sorgen die Mitglieder schon selbst für mög-

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lichst wirkungsvolle, humane und individuelle Lösungen, man kennt ja die Befindlich-keiten untereinander. Die Arbeit einer "SOKO - FA" - ist nach einer gewissen Anlauf-zeit in jeder Hinsicht unbürokratisch und beruht ja auf Gegenseitigkeit im Geben und Nehmen. Voraussetzung dafür aber ist eine Bündelung der örtlichen Aktivitäten auf dem Gebiet der ambulanten Betreuung älterer Bürger zu einem dichten kommunalen, gemeinnützigen, sozialen Netzwerk. Um eine Kontinuität zu sichern, den Mitgliedern Sicherheit und Rückendeckung zu verleihen, sollte eine Art "Soziale Leitstelle" in einer Sozialbehörde angesiedelt werden, die ständiger Ansprechpartner für die Aktivitäten der "SOKO -FA" ist. Wer anderen hilft, selbst aktiv bleibt, wird seltener krank und lebt gesünder, ist auch die Botschaft von Prof. Dr. Thomas OKK, Vorstandsvorsitzender der Stiftung "Bürger für Bürger" und Sprecher des Bundesnetzwerkes BürgerschaftlichenEngagements. Lassen Sie uns alle gemeinsam nach geeigneten Lösungswegen suchen. Es darf dabei kein TABU geben und neue Antworten sind gefragt. Welche Wege wir auch einschlagen, es muss sich eine zufriedenstellende Problemlösung abzeichnen, wegschauen gilt hier nicht, auch Sie werden eines Tages alt sein und ich wünsche Ihnen, dass Sie Menschen um sich haben, denen Sie vertrauen können und die Ihnen ans Herz gewachsen sind. Helfen Sie mit?

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Dr. Josefine Heusinger, Dr. Christiane Roßberg, Renate Michalski: Diskussionsforum mit Mitarbeiter/innen von Berliner Pflegeheimen

50 Altenhilfe und Altenselbsthilfe wirksamer gestalten!

Dr. Josefine Heusinger, Dr. Christine Roßberg, Renate Michalski

Diskussionsforum mit Mitarbeiter/innen von Berliner Pflegeheimen

Verbrauchernahe Qualitätskriterien für Pflegeheime

Der Arbeitskreis Altern und Gesundheit von Gesundheit Berlin organisierte am 1. De-zember 2007 während des 13. Kongresses „Armut und Gesundheit“ ein Diskussionsfo-rum zum Thema „Verbrauchernahe Qualitätskriterien für Pflegeheime“. Als Gäste nah-men Frau Hoempler, Seniorencentrum am Schäfersee, Frau Kühn, Bethanien Havelgar-ten, und Frau Nejla Kaba-Retzlaff, Türk Huzur Evi, sowie als Moderatorinnen Frau Dr. Heusinger, Frau Dr. Roßberg und Frau Michalski aus dem Arbeitskreis „Altern und Gesundheit“ teil. Frau Michalski begrüßte die Teilnehmer/innen des Forums und leitete die Aussprache mit folgenden Überlegungen ein: Grundsätzlich arbeiten alle stationären Pflegeeinrichtungen auf der Grundlage eines Versorgungsvertrages, nach standardisierten Qualitätskriterien, die von der Heimauf-sicht und dem MDK abgeprüft und bewertet werden. Dies ist vorrangig die Qualität in der Grundpflege (MDK) sowie die Essenversorgung, Einhaltung des Brandschutzes, der Hygienevorschriften, der Wäscheversorgung, der medizinischen Versorgung sowie eine nachvollziehbare Dokumentation aller Maßnahmen, anhand konkreter bewohnerbezo-gener Daten (Heimaufsicht und MDK). Alle Maßnahmen sind in einem von der Senats-verwaltung bestätigten Heimvertrag (z. T. 20 Seiten!) verankert. Verbindliche Ausfüh-rungsvorschriften bestimmen die Qualität. Arbeitsgrundlage sind die Vorgaben im Qua-litätsmanagement / Qualitätsentwicklung. Bei Einhaltung aller Vorgaben sind Quali-tätsmängel auszuschließen, es kann keinen Grund zur Klage bei den Heimbewohnern und deren Angehörigen geben!

Für unsere heutige Diskussion gibt es viele Fragen:

Werden Vorschriften nicht eingehalten, da so viel über Mängel in der Qualität geklagt wird? Aus der Sicht des „Nutzers“, des Heimbewohners, auch der Angehörigen und Pfleger, ist die Qualität sehr viel weit reichender. Vorrangig wird der Faktor „ZEIT“ beklagt. - „TEILHABE“ wird in der Regel auf die Möglichkeit der Teilnahme an der Beschäftigungstherapie und den Festveranstaltungen in der Einrichtung reduziert. Inwieweit die individuellen Bedürfnisse der Mitmenschlichkeit definiert sind und befriedigt werden können, bleibt zu hinterfragen. Mitmenschlichkeit heißt Mitfühlen! Das bedeutet sich mitteilen zu können, Ansprechpartner zu haben bei Angst, Freude und Trauer. Dies alles ist jedoch gebunden an Zeit. Personalschlüssel orientieren sich an Zeitfaktoren der Pflegestufen. Diese Zeitvorgaben sind nachweislich unzureichend bei zunehmend steigendem Pflege- und Betreuungsbedarf. Mitmenschlichkeit be-stimmt die höchste Qualität. Sie erfordert Zeit und kompetentes Handeln. Beides kos-tet Geld, das nicht vorhanden ist.

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Sind freiwillige Hilfe und Ehrenamtlichkeit die Lösung, um auf die Bedürfnisse der Bewohner angemessen zu reagieren? Können alltägliche Bedürfnisse - wie z. B. Arztbesuche, ein Friedhofsbesuch oder Teilnahme an Veranstaltungen außerhalb der Einrichtung - befriedigt werden, ohne dass hierfür extern Dienstleistungen, verbunden mit hohem Kostenaufwand, in An-spruch genommen werden müssen? Wie wird auf die besonderen Bedürfnisse der Bewohner mit Demenzerkrankungen eingegangen? Verlässliche Bezugspersonen sind lebenslang wichtig! Kann dies im Rahmen der ausgewiesenen Bezugspflege geleistet werden? Gibt es individuelle Betreuungsmöglichkeiten, in die auch Angehörige einbezogen sind? Welche Möglichkeiten hat der Heimbeirat im Rahmen seiner Mitwirkungsrechte auf die konzeptionelle Gestaltung einzuwirken? Wie groß ist das Interesse / die Möglichkeit der Hausbewohner, die Aufgaben eines Heimbeirates wahrzunehmen?

Frau Dr. Heusinger berichtet anschließend in ihrem Beitrag aus dem Forschungsprojekt einer „Fallstudie zur Qualität von Pflege und Versorgung in stationären Pflegeeinrich-tungen“:

Ich möchte einleitend einige Bemerkungen zur Qualitätsdiskussion in Heimen machen. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums habe ich gerade eine Reihe von Fallstudien in vergleichsweise guten Pflegeheimen angefertigt. In diesem Zusammenhang habe ich mich noch einmal sehr genau mit Qualitätskriterien befasst. Auf die wichtigsten Eck-pfeiler der aktuellen Diskussion, nämlich die Veröffentlichung der MDK-Berichte, . möchte ich jetzt gar nicht genauer eingehen, sondern vielmehr gleich auf die Lücken in der heutigen Qualitätsdiskussion.

Stichworte:

Körperliche Unversehrtheit der BewohnerInnen ist eine Minimalanforderung, die auch geprüft wird Bauliche Voraussetzungen sind wichtig, werden benannt und geprüft Dokumentationspflichten sollen Qualität überprüfbar machen. Das sehe ich kritisch, denn Papier und EDV sind geduldig: ein Formular in der Akte, in das die Biografie eingetragen wird, kann allein keine gute Biografiearbeit bewirken. Es fehlen Kriterien für die so genannte. Ergebnisqualität, die m. E. gleichbedeutend ist mit der Lebensqualität der Menschen, die in den Heimen wohnen Von dem Expertenworkshop zu Beginn der genannten Untersuchung habe ich hier schon einmal berichtet. Es sind einige Aspekte für Lebensqualität erforderlich, die ich über die körperliche Unversehrtheit hinaus als „verbrauchernahe Kriterien“ hier ein-führen möchte. Man könnte sie auch als Kriterien für eine menschenwürdige Versor-gung bezeichnen:

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Die Lebensgeschichte und die Lebensleistung eines Menschen prägen ihn und ma-chen seine individuelle Persönlichkeit aus. Deshalb kommt es auf das Interesse an den einzelnen BewohnerInnen, an ihrer Geschichte und ihren Geschichten an. Biogra-fiearbeit ist nicht nur ein Bogen in der Akte, der ausgefüllt wird, sondern Ausdruck von Interesse an und Respekt vor jedem Einzelnen. Soziale Beziehungen pflegen, d. h., für das Pflegepersonal, für die BewohnerInnen wichtige Menschen zu kennen und die Kontakte zu unterstützen, vor allem zu Ange-hörigen sowie zu alten Freunden und Bekannten. Es ist aber auch durchaus möglich, neue Beziehungen zu knüpfen. Ein sehr schönes Beispiel findet sich in diesem Fotoband, der eine Reihe von Freundschaften doku-mentiert, die in einem Pflegeheim neu entstanden sind. Vielleicht ist es ein allgemein menschliches Bedürfnis, vielleicht in unserer Leistungsgesellschaft besonders ausge-prägt, das weiß ich nicht. Aber um sich wohl zu fühlen, ist es für fast alle Menschen entscheidend, für andere nützlich, bedeutsam, wichtig zu sein. Wie oft sagen alte Menschen ganz traurig „Ich bin doch zu nichts mehr nütze“. Ihnen Wege zu zeigen, die ihnen erlauben, etwas für andere Schönes, Gutes, Sinnvolles zu tun, ist deshalb für ihre Zufriedenheit entscheidend. Das ist bekannt aus Wohngemeinschaften, in denen BewohnerInnen beim Kochen helfen. Das ist ein guter Ansatz. Aber nicht alle wollen kochen. Bei meinen Untersu-chungen habe ich z. B. beobachtet, dass Beschäftigungsangebote für eine nützliche Tätigkeit die BewohnerInnen oft sehr befriedigen. Und für einzelne ist es toll, wenn sie eine Aufgabe haben, und sei es das tägliche Abreißen der Kalenderblätter auf dem Flur und im Gemeinschaftsraum, das Tischdecken oder Serviettenfalten oder Medi-zinbecher abtrocknen, Zeitung holen oder, oder, oder. Auch selbst das Bett zu ma-chen, kann mit Stolz erfüllen – andere sind aber auch empört, weil sie bei den Heim-preisen einen Hotelservice erwarten. Erst diese Woche habe ich gelesen von einem Heim, das BewohnerInnen 25 - 50 € für praktische Hilfen zahlt. Das ist nicht nur eine gute Aufbesserung des Taschengeldes und Anerkennung, das schafft auch Verbind-lichkeit. Ganz kurz möchte ich noch auf die Frage der Einzelzimmer eingehen. Ein eigenes Zimmer ist sicher das, was sich mit minimalen Ausnahmen alle Menschen wünschen. Die Privatsphäre zu wahren ist ohnehin schwer, wenn man sich nicht mehr selbst ver-sorgen kann. Wenigstens einen Ort zum Ungestörtsein sollte man dann haben dürfen. Die Argumente, die hier immer wieder vorgebracht werden, sind nicht überzeugend: Bettlägerigkeit sollte es außer bei Sterbenden sowieso nicht geben, jeder pflegebe-dürftige Mensch kann in geeignete Pflegerollstühle mobilisiert werden oder notfalls mit dem Bett an der Gemeinschaft teilhaben. Einsamkeit lässt sich nicht bekämpfen, indem zwei Menschen in ein Zimmer gesteckt werden. Selbst Ehepaare bevorzugen im Heim oft zwei Zimmer nebeneinander. Die aktuellen Vorschläge der Marseille-Kliniken, eine wie sie es nennen „2-Sterne-Pflege“ anzubieten, also Mehrbettzimmer und Gemeinschaftsbäder, lehne ich deshalb ab. Eine gute Versorgung der BewohnerInnen kann nur von zufriedenen MitarbeiterInnen gesichert werden. Die BewohnerInnen sind zwar der verletzlichste Teil, aber auch die MitarbeiterInnen verdienen mehr Aufmerksamkeit. Viele leiden darunter, die ihnen

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anvertrauten Menschen nicht glücklicher machen zu können. Dabei ist das Problem nicht, dass sie nicht wüssten wie das geht. Sie haben tatsächlich wenig Zeit dafür und meist viel zu wenig Unterstützung von oben. In der Folge reagieren sie z. B. so, wie mir eine Fachkraft erklärte: „Ich will gar nicht wissen, was die Bewohner früher ge-macht haben und wer sie waren. Ich bin heute zu allen freundlich und höflich, das reicht.“ Diese Reaktion ist nicht bösartig, sondern eine sehr verbreitete und funktiona-le Überlebensstrategie. Wenn die Pflegekräfte sich auf die Individualität der Bewoh-nerInnen einlassen, ihre Sorgen und Wünsche kennen und teilen, können sie sie nicht mehr so behandeln, wie sie das tun. Sobald eine individuelle, persönliche Beziehung entsteht – wie sie sich die meisten BewohnerInnen für ihren alltäglichen Umgang sehnsüchtig wünschen – wird der Dienst nach Vorschrift zur seelischen Grausamkeit. Es ist deshalb oft eine Frage der Psychohygiene und des Selbstschutzes für die Pfle-gekräfte, die BewohnerInnen als mehr oder weniger einheitliche Gruppe, die es zu versorgen gilt, zu betrachten, und sich möglichst wenig einzulassen. Wer den Heimalltag kennt, weiß, dass es da immer auch Ausnahmen gibt. Fast alle Pflegekräfte haben einzelne BewohnerInnen, zu denen sie innige Beziehungen pfle-gen. Gerade an denen sieht man, wie schön das sein kann und wie gut das beiden Be-teiligten tut. So was müsste strukturell gefördert werden, das System dafür ist auch bekannt. Es ist die Bezugspflege, die aber mit den bestehenden Personalschlüsseln nicht machbar ist. Ich weiß, dass heutzutage auf jeder BewohnerInnen- Akte eine Bezugspflegekraft be-nannt ist. Das will der MDK so und ist ja auch nicht weiter schwer zu machen. Aber in der Realität wird das kaum gelebt. In der Regel wissen weder Angehörige noch BewohnerInnen, wer ihre Bezugspflegekraft ist, und die Bezugspflegekraft macht zwar vielleicht die Pflegeplanung und kennt den Hausarzt, aber die Biografie, das so-ziale Netzwerk ihrer BewohnerInnen kennt sie auch nicht besser als andere. Ge-schweige denn, dass sie mal mit ihren BewohnerInnen einen Ausflug zum alten Zu-hause gemacht, einen Besuch bei Bekannten organisiert hat oder regelmäßig etwas Besonderes mit ihm oder ihr unternimmt. Die aktuellen Pflegeheimvergleiche in Berlin sind ein Fortschritt im Hinblick auf Verbraucherschutz, auch wenn sie vieles nicht zeigen bzw. man sehr viel interpretie-ren muss. Sehr gut finde ich dort die Erwähnung der Personalzahlen. Die zeigen näm-lich schon sehr viel: Bestenfalls kommt eine Pflegekraft auf etwas mehr als 2 Bewoh-nerInnen, es können aber auch mal nur 21 Vollzeitstellen für 121 BewohnerInnen sein. Ein Monat hat durchschnittlich 30 Tage, mal 24 Stunden ergeben 720 Stunden. Ohne Urlaub und Krankheit zu berücksichtigen, arbeiten 21 Vollzeitkräfte in einem Monat zusammen 3360 Stunden. Für die Rund-um-die-Uhr-Versorgung von 121 Be-wohnerInnen stehen in dieser Einrichtung 112 Arbeitsstunden am Tag zur Verfügung, das ist nicht einmal eine Stunde für pro BewohnerIn. Und es handelt sich hier um ein Pflegeheim, in dem die BewohnerInnen mindestens die Pflegestufe 1 haben. Die wie-derum bekommen nur diejenigen, die mindestens 90 Minuten am Tag Hilfe brauchen.

So ist eine menschenwürdige Versorgung nicht möglich, wir brauchen zusätzliche Ressourcen für die stationäre Pflege. Sowohl mehr Pflegepersonal als auch nachbar-

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schaftliche, ehrenamtliche Hilfe. Ein wichtiges verbrauchernahes Qualitätskriterium zur Bewertung von Einrichtungen ist deshalb auch, wie offen und intensiv darum ge-rungen wird, Angehörige und Ehrenamtliche einzubinden, ernst zunehmen, zu betei-ligen, und zwar nicht nur als Lückenbüßer, sondern als PartnerInnen.

Fazit:

Die Qualitätskriterien, die heute überwiegend benutzt werden, beschränken sich wesent-lich auf körperliche Unversehrtheit und bauliche Vorschriften sowie Dokumentations-pflichten.Insofern möchte ich meinen einführenden Beitrag mit zwei Botschaften beenden:

Erstens müssen wir uns dafür einsetzen, dass mehr Ressourcen für die stationäre Pflege mobilisiert werden. Dazu gehört Geld, aber auch mehr nachbarschaftliche In-tegration in den Stadtteil, Zusammenarbeit mit Freiwilligen usw. Angehörige und Eh-renamtliche stellen außerdem auch Öffentlichkeit her, ein wichtiger Aspekt von Qua-litätskontrolle! Wichtig hier der Hinweis: Seit der Föderalismusreform sind die Län-der zuständig für die Heime. In Berlin und Brandenburg werden demnächst Heimge-setze gemacht. Lassen Sie uns da aufmerksam sein und uns einmischen! Zweitens müssen die Interessen der BewohnerInnen lauter formuliert werden. Ich finde zwar die Bezeichnung „Kunde“ für Pflegeheim- BewohnerInnen falsch, aber gerade in Berlin, wo es ein Überangebot an Heimplätzen gibt, haben sie und ihre An-gehörigen doch eine gewisse Verbrauchermacht. Ich habe deshalb hier einige Fragen für die Wahl eines Heimplatzes aufgelistet, die ergänzend zu den bekannten Checklis-ten vielleicht stärker auf die Lebensqualität der BewohnerInnen zielen. Sie sind un-vollständig, aber vielleicht könnte es eine Aufgabe sein, diese Liste zu ergänzen und weiter zu konkretisieren.

Qualitätsfragen an Pflegeheime

Mit diesen (unvollständigen) Fragen zur Qualität und tatsächlichen Bewohnerorientie-rung einer Pflegeeinrichtung möchte ich anregen, eine über die körperliche Unversehrt-heit hinausgehende Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner sicherzustellen:

Wer interessiert sich für die Lebensgeschichte und das soziale Netzwerk, also wichti-ge Ressourcen der einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner? (Wie) Werden die Bewohnerinnen und Bewohner dabei unterstützt, sich gegenseitig kennen zu lernen? Ist die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner im Wohnbereich überschaubar, so dass nachbarschaftliche Kontakte entstehen können? Werden diese durch die Innen-architektur, insbesondere Wohnküchen mit einer familiären (Koch- und) Esskultur, gefördert? Wie viele Pflegekräfte sind zu welchen Tageszeiten für wie viele Pflegebedürftige da? Wird bei der Dienstplangestaltung auf Spitzenbelastungszeiten morgens und bei den Mahlzeiten geachtet? Gelingt es ganz überwiegend (60% und mehr) personelle Kontinuität für die Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren oder wird doch meist in

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Funktionspflege gepflegt, also z. B. Essen von der Pflegekraft angereicht, die gerade Zeit hat? Gibt es Bezugspflegekräfte, die nicht nur die Pflegeplanung machen, sondern auch bei der praktischen Pflege kontinuierlich zuständig sind? Sind sie besonders gut über „ihre“ Pflegebedürftigen informiert, für sie, ihre Angehörigen und Ärztinnen oder Ärzte Ansprechpersonen? Machen sie hin und wieder etwas Besonderes mit „ihren“ Pflegebedürftigen? Wann endet der Spätdienst bzw. zu welcher Uhrzeit können die Bewohnerinnen und Bewohner im Normalfall noch erwarten, Unterstützung bei der Abendtoilette und beim Zubettgehen zu erhalten? Wann genau gehen die Letzten, die dabei Unterstüt-zung benötigen, in dem konkreten Wohnbereich tatsächlich ins Bett? Gibt es täglich vor- und nachmittags sowie gelegentlich abends und an den Wochen-enden Beschäftigungsangebote? Wie werden die Bewohnerinnen und Bewohner an der Entwicklung von Angeboten und am Tagesablauf beteiligt? Können daran auch Schwerstpflegebedürftige/Bettlägerige teilnehmen? Oder gibt es täglich andere Angebote für diese Menschen? Werden alle Bewohnerinnen und Bewohner täglich aus dem Bett mobilisiert? (Wie) Werden die Bewohnerinnen und Bewohner dabei unterstützt, Verantwortung bzw. sinnvolle Aufgaben auch für andere zu übernehmen? (Wie) Werden die Bewohnerinnen und Bewohner dabei unterstützt, hin und wieder die Einrichtung einzeln und zusammen mit anderen zu verlassen? Arbeiten freiwillig Engagierte in der Einrichtung? Beruht ihr Engagement auf einem Konzept, sie gezielt einzubinden? Wofür? Wie werden die Angehörigen in den Alltag einbezogen? Gibt es dafür ein Konzept und konkrete Angebote?

Am Beginn der Diskussion informierten die Vertreterinnen aus den Einrichtungen über ihre Profilierung und Schwerpunkte in der Pflege:

Das Vitanas Seniorencentrum arbeitet nach dem psychobiographischen Pflegemodell von Professor Erwin Böhm. Die Einrichtung erhielt die international anerkannte Aus-zeichnung für Leistungen in der Betreuung von Menschen mit Demenz ENPP (Euro-päisches Netzwerk für psychobiographische Pflegeforschung). Die Senioreneinrichtung TÜRK HUZUR EVI berücksichtigt in Pflege und Betreuung die besonderen Bedürfnisse türkischer Mitbürger/innen. Die Seniorenresidenz Bethanien Havelgarten ist eine neue Einrichtung mit außerge-wöhnlich komfortabler Ausstattung. Bemerkenswert ist der großzügig gestaltete ge-schützte Garten- und Wohnbereich für Menschen mit Demenz. Zu den besonderen Einrichtungen gehören moderne Wellnessbäder, ein Veranstaltungssaal. ein An-dachtsraum, das Restaurant mit Blick auf die Havel und ein hauseigenes Ausflugs-boot.

In einem regen Erfahrungsaustausch wurde vor allem über folgende Anliegen aus dem Alltag in der Pflegearbeit gesprochen:

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Individuell auf die Bedürfnisse der Bewohner/innen einzugehen ist von den personel-len und finanziellen Möglichkeiten der Einrichtung abhängig. Die „Charta der Rechte hilfs- und pflegebedürftiger Menschen“ ist zwar Grundlage des Handelns, die konkrete Umsetzung für ein selbstbestimmtes Leben der Heimbe-wohner/innen ist von vielen Voraussetzungen abhängig, die noch nicht immer reali-sierbar sind.Eine Bezugspflege, die auf die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner/innen ausge-richtet ist, erfordert einen erweiterten Pflegeschlüssel. Ehrenamtliche Helfer sind in den Heimen stets willkommen. Sie benötigen eine kom-plette Begleitung und Betreuung (Fortbildung). Anerkennung und Dank werden ihnen zuteil.Angehörigenarbeit fördert die Kommunikation. Angehörige lernen sich untereinander kennen, tauschen ihre Erfahrungen aus und helfen sich gegenseitig. Ein gutes Qualitätsmanagement und qualifizierte Mitarbeiter sind Garanten für best-mögliche Betreuung. Dabei ist die Kompetenz entscheidend, nicht die Anzahl. Die ärztliche Versorgung besonders bei notwendiger Behandlung durch Fachärzte muss verbessert werden. Weitgehend zufrieden ist die Betreuung in den Einrichtun-gen mit dem Berliner Modell, in denen Ärzte fest angestellt sind. Die Betreuung dementiell erkrankter Bewohner/innen gewinnt zunehmend an Bedeu-tung. Die Einrichtungen sind entsprechend konzeptionell darauf eingestellt. Die Pfle-gekräfte werden besonders fachlich qualifiziert.

Am Schluss der Diskussion wurde mit dem Dank für die informative Aussprache die Einladung an interessierte Teilnehmer/innen zu einem Besuch der Einrichtungen ausge-sprochen.

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Autorinnen und Autoren

Gold, Carola___________________________________________________________ geboren 1960 Geschäftsführerin von Gesundheit Berlin

Publikationen:Gold, Carola/ Geene, Raimund/ Stötzner, Karin (Hg.), Patienten, Versicherte, Verbraucher - Möglichkeiten und Grenzen einer angemessenen Vertretung von Pati-enteninteressen, Berlin 2000 Geene, Raimund/ Gold, Carola (Hg.), Gesundheit für Alle! Wie können arme Men-schen von kurativer und präventiver Gesundheitsversorgung erreicht werden?, Berlin 2000.

Kontakt:Gesundheit Berlin, Friedrichstr. 231, 10969 Berlin Tel: (030) 44 31 90 60 E-Mail: [email protected] Heinemann, Heike______________________________________________________ geboren 1972 Diplom-Pädagogin Leiterin der Geschäftsstelle „6. Altenbericht der Bundesregierung“ Studium der Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt: Soziale Gerontologie an der Universität Dortmund. Seit August 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deut-schen Zentrum für Altersfragen (DZA) Berlin, dort – seit dem 4. Altenbericht – in der „Geschäftsstelle für die Altenberichte der Bundesregierung“.

Kontakt:Deutsches Zentrum für Altersfragen (DZA), Geschäftsstelle „6. Altenbericht der Bun-desregierung“, Manfred-von-Richthofen-Str. 2, 12101 Berlin Tel.: (030) 26 07 40 83 E-Mail: [email protected] www.dza.de

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Heusinger, Josefine______________________________________________________ geboren 1965 Dr. phil., Dipl. Soziologin, Krankenschwester, Casemanagerin (DGS, DBSH, DBfK), Lehrbeauftragte, Vorstandmitglied und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gerontologische Forschung e. V. mit den Arbeitsschwerpunkten Soziale Gerontologie, Versorgungsforschung, Soziale Ungleichheit, Gesundheitsförderung, Casemanagement, Fortbildungsevaluation

PublikationenHeusinger, J./Klünder, M.: „Ich lass mir nicht die Butter vom Brot nehmen!“ – Aus-handlungsprozesse in häuslichen Pflegearrangements, Mabuse Verlag, Frank-furt/Main 2005 Heusinger, J.: Pflegeorganisation und Selbstbestimmung in häuslichen Pflegearran-gements, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie Band 39, Heft 6/2006Professionelle Steuerung im Hilfesystem als Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben im Alter, Vortrag beim 1. Fachgespräch im Netzwerk SONG (gefördert durch die Bertelsmann-Stiftung), Köln, 6. Februar 2007 http://www.aktion2050.de/cps/rde/xchg/SID-0A000F0A-8FF83530/aktion/hs.xsl/13959.html

Kontakt:IGF - Institut für Gerontologische Forschung e.V., Torstr. 178, 10115 Berlin,Tel: (030) 85 94 908 E-Mail: [email protected] www.igfberlin.de

Michalski, Renate_______________________________________________________ geboren 1939 Seniorenvertretung ReinickendorfBeruflicher Werdegang: Krankenschwester, Leitungsfunktionen im ambulanten und stationären Bereich der Altenpflege, seit 1999 im Ruhestand Ehrenamtliche Tätigkeiten: Heimbeirat im Seniorenheim, Vorstand eines Selbsthilfe-vereins / Nachbarschaftsverein Gremienarbeit: Mitarbeit Fachgruppe alte Menschen/DPW, Kompetenznetz für das Al-ter, Graduiertenkolleg Charité/Beirat, Mitarbeit bei Gesundheit Berlin e.V.

Kontakt:Seniorenvertretung Reinickendorf, Eichborndamm 215-239, 13437 Berlin

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Perschke-Hartmann, Christiane___________________________________________ geboren 1956 Dr. phil., Dipl. Sozialwiss., M.A., Qualitätsmanagerin im Gesundheitswesen (DGQ) Projektleitung Gesund Älter Werden Forschung zu Medizinsoziologie und Gesundheitspolitik, Qualitätsmanagement im Ge-sundheitswesen, Referentin im AOK Institut für Gesundheitsconsulting der AOK Nie-dersachsen; Leitung des Projekts „Gesund Älter Werden“

PublikationenPerschke-Hartmann, Christiane (2002): Qualitätswahrnehmung aus Sicht der pflege-bedürftigen Menschen In: Qualität in der Pflege. Betreuung und Versorgung von pflegebedürftigen alten Menschen in der stationären und ambulanten Altenhilfe, hrsg. von G. Igl, D. Schiemann, B. Gerste, J. Klose, Stuttgart, Schattauer, S. 325 – 336 Dies. (2003): Gesund alt werden – Möglichkeiten der Prävention und Gesundheits-förderung; In: der demografische Wandel unter dem Aspekt möglicher Konsequenzen für die Angebote der Volkshochschulen; erweiterte Dokumentation der Fachbereichs-tagung Gesundheit am 30.10.2002, hrsg. Vom Landesverband der Volkshochschulen Niedersachsens e.V.; Hannover, Mai 2003, S. 15 – 36

Kontakt:AOK Institut für Gesundheitsconsulting, AOK Niedersachsen, Hildesheimerstr. 273, 30519 Hannover Tel.: (0511) 8701-16141, Fax: (0511) 8701-16109 E-Mail: [email protected] www.aok.de/gesund-aelter-werden

Rodejohann, Jo_________________________________________________________ geboren 1947 Dipl.-Pol.Publizist; KontorZ; seniorKompetenzteam berlin Wissenschaftlicher Mitarbeiter; Geschäftsführer; Heimleiter

PublikationenSozialwerk Berlin (2007): Für sich und in Gemeinschaft. Barrierefreiheit als Vor-aussetzung für ein selbstbestimmtes Wohnen bis ins hohe Alter, Berlin

Kontakt:Treffpunkt Hilfsbereitschaft, Landesfreiwilligenagentur Berlin, Torstr. 231, 10115 Ber-linTel.: (030) 77 23 620 E-Mail: [email protected] www.seniorkompetenz.de

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Roßberg, Christine______________________________________________________ geboren 1934Dr., Fachärztin für Allgemeinmedizin Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, danach Studium der Medizin, Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin, bis 1991 tätig als Ärztin im Ambulanten Gesund-heitswesen Berlin-Lichtenberg, von 1978 an Leiterin der Geriatrischen Beratungsstelle des Bezirks und beratende Ärztin für Geriatrie beim Stadtbezirksarzt, seit 1998 Vorsit-zende des Landesverbands der Volkssolidarität

Kontakt:Volkssolidarität Landesverband Berlin e.V., Landesgeschäftsstelle, Alfred-Jung-Str. 17, 10367 Berlin E-Mail: [email protected]

Saeger, Regina_________________________________________________________

geboren 1939 FinanzkauffrauVorsitzende Landesseniorenbeirat Berlin und der bezirklichen Seniorenvertretung Mar-zahn-Hellersdorf, stellv. Vorsitzende Landesseniorenvertretung Berlin, zahlreiche Eh-renämter: Richterin, Bürgerdeputierte, Altenbeirat im Bezirk usw.

Kontakt:Regina Saeger, Ernst- Bloch- Str.34, 12619 Berlin Tel., Fax.: (030) 56 32 810

Siebert, Jörg___________________________________________________________ geboren 1948 In der Abteilung Bildung und Pastoral zuständig für den Bereich der Erwachsenenbil-dung,seit 1998 „Initiative "einfach anders altern. Eine-Welt-Arbeit im 3. Lebensalter" Nach dem Studium von Philosophie, Theologie und Sozialwissenschaften in Walber-berg, Köln, Bonn und Berlin und Lektorats- und Katechetentätigkeit in Düsseldorf und Berlin seit 1983 Mitarbeiter bei Misereor in Aachen.

Publikationen:Publikationsreihe MISEREOR-ALTERnativen

Kontakt:Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e. V., Mozartstr. 9, 52064 Aachen Tel.: (02406) 44 21 89 E-Mail: [email protected] www.misereor.de

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Trommer, Heinz________________________________________________________

geboren 1930 Dr. phil., Dipl.-Psychologe 25 Jahre Hochschullehrer an der Universität Rostock, Ehrenvorsitzender der Landesver-einigung für Gesundheitsförderung Mecklenburg-Vorpommern, Sprecher des Arbeits-kreises „Altern und Gesundheit“ von Gesundheit Berlin e.V., Mitglied des Beirates des Landesvorstandes des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes M-.V, Mitglied des Beirates „Kompetenznetzwerk für das Alter“ Berlin

Publikationen:Trommer, Heinz: Die Menschenwürde ist unantastbar - auch im Alter! In: Doku-mentation der Beiträge zum 11. Kongress „Armut und Gesundheit, 2006 Trommer, Heinz: Älter werden - gesund alt werden. In: Dokumentation zur Landes-konferenz „Älter werden - gesund, aktiv und selbstbestimmt“ M-V, 2006 Trommer Heinz / Ulrika Zabel: Altern und mögliche Risiken sozialer Armut. In Dokumentation der Beiträge zum 10. Kongress „Armut und Gesundheit“, 2005

Kontakt:Stühlinger Straße 1, 10318 Berlin E-Mail: [email protected]

Weigl, Barbara_________________________________________________________ geboren 1962 Dipl.-Pädagogin, Dipl.-GerontologinLehrbeauftragte, Freiwilligenmanagerin, Mediatorin, ProjektberaterinWissenschaftliche Mitarbeiterin

PublikationenWeigl Barbara (2005): Lebenslanges Lernen - Wie kann Lehre und Weiterbildung aus Sicht der Lehrenden an Fachhochschulen aussehen? In: Dokumentationen der Fach-tagungen des Kompetenznetzes für das Alter. BMFSFJ Weigl, Barbara (2004): Demenz als gesellschaftliche Integrationsaufgabe. In: Doku-mentation des 10. Kongress „Armut und Gesundheit“, Gesundheit Berlin e.V.

Kontakt:Evangelische Fachhochschule, Teltower-Damm 118-121, 14376 Berlin Tel.: (030) 62 73 61 63 E-Mail: [email protected] www.evfh-berlin.de

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Literaturempfehlungen des Arbeitskreise „Altern und Gesundheit“ von Gesundheit Berlin

Bachèr, Ingrid: Sieh da, das Alter. Tagebuch einer Annäherung. - Verlag Dittrich, 2003. - ISBN 3-920862-49-X.

Bauer, Joachim: Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. - Hamburg, Hoffman und Campe, 2006. - ISBN (10) 3-4555OO17-X.

Bovenschen, Silvia: Älter werden. - 8. Aufl. - Frankfurt a. M., S. Fischer, 2006. – ISBN 13: 978-3-10-003512-7.

Goldberg, Elkhonon: Die Weisheitsformel. Wie Sie neue Geisteskraft gewinnen, wenn Sie älter werden. - Hamburg, Rowohlt, 2007. - ISBN 978-3-498 02508 3.

Gruss, Peter (Hrsg.): Die Zukunft des Alterns. Die Antwort der Wissenschaft. Ein Re-port der Max-Planck-Gesellschaft. - München, C.H. Beck, 2007. - ISBN 978 3 406 55746 0.

Haiden, Christine / Petra Rainer: Vielleicht bin ich ja ein Wunder. Gespräche mit 1OO-Jährigen. - 2. Aufl. - St. Polten-Salzburg, Residenz-Verlag, 2007. - ISBN 13: 978-3-7011-3023-0.

Kickbusch, Ilona: Die Gesundheitsgesellschaft. Megatrends der Gesundheit und deren Konsequenzen für Politik und Gesellschaft. - Hamburg, Verlag für Gesundheitsförde-rung, 2006. - ISBN 3-929798-36-0.

Lange, Elisabeth: Älterwerden ist nichts für Feiglinge. Jung, schön und gesund bleiben - alles was man wissen muss. - München, Piper Verlag, 2006. - ISBN 13: 078-3-492-24834-1.

Livingston, Gordon: Zu früh alt und zu spät weise? – 3. Aufl. - München, Integral, 2006 - ISBN 10: 3-7787-960-5.

Pohlmann, Friedrich: Die soziale Geburt des Menschen. - Weinheim und Basel, Beltz, 2000. - ISBN 3-40722061-8.

Scherf, Henning: Grau ist bunt. Was im Alter möglich ist. - 2. Aufl. - Freiburg im Breisgau, Verlag Herder, 2006. - ISBN 978-3-451-28593-6.

Steineckert, Gisela: Alt genug, um jung zu bleiben. - 2. Aufl. - Berlin, Das Neue Berlin, 2006. - ISBN 10: 3-360-01278-X.

Stiftung Warentest / Bertelsmann-Stiftung / Kuratorium Deutsche Altershilfe (Hrsg.): Leben und Wohnen im Alter. - Berlin, Stiftung Warentest, 2006. - ISBN 10: 3-937880-26-7.

Walter, Ulla, Uwe Flick, Anke Neuber, Claudia Fischer, Friedrich-Wilhelm Schwarz: Alt und gesund? Altersbilder und Präventionskonzepte in der ärztlichen und pflegeri-schen Praxis. - Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 2006. - ISBN 10: 3-8100-4084-3.

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ZIELE, AUFGABEN UND ARBEITSWEISE

DES ARBEITSKREISES ALTERN UND GESUNDHEIT

Arbeitskreis Altern und Gesundheit

Basis der Aktivitäten des Arbeitskreises sind die theoretischen Grundlagen und praxis-orientierten Orientierungen der Gesundheitswissenschaften und Gerontologie - u.a. der Salutogenese, der Ressourcen- und Kompetenzmodelle für menschliches Altern. Ge-sundheit und Altern werden als lebenslange biopsychosoziale Prozesse verstanden (sys-temischer Ansatz, lebensbiografischer Ansatz). Der Arbeitskreis setzt sich für die Um-setzung wissenschaftlicher fundierter und praxisbewährter Konzeptionen für den Um-gang mit dem demographischen Wandel ein.

Ressourcen und Kompetenzen älterer Menschen sind durch die höhere Akzeptanz der ehrenamtlichen Tätigkeit wirksamer zu nutzen. Die aktive anerkannte Mitarbeit der Äl-teren auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft sollte entsprechend ihren vielfälti-gen Lebenserfahrungen künftig viel effizienter als politische und soziale Potenziale ein-gesetzt werden. Zugleich muss es gelingen, die alten und älteren Menschen nicht nur zu motivieren, sondern ihnen bewusst und unmittelbar erlebbar werden zu lassen, dass die-ses individuelle Engagement der eigenen Gesundheit und der Bereicherung ihres Le-bensinhaltes im Alltag wesentlich dienen kann.

Ziele

Gesundheitsförderung und Prävention älterer und hochbetagter Menschen Stabilisierung der Lebensqualität im Alter (Selbstbestimmtes Altern, Anti-Diskriminierung) Erhaltung der psychischen Gesundheit mit zunehmendem Alter (psychische Belast-barkeit)Sicherung sozialer Gerechtigkeit und Gleichstellung (Soziale Benachteiligung / Al-tersarmut / Unterversorgung) Auswertung und Mitarbeit bei Umsetzung neuer Erkenntnisse (Berichte zur Lebens-lage der älteren Generationen, u.a. 5. Altenbericht „Potenziale des Alters“; Analysen über Frühwarnsysteme) Einfluss auf Qualität und Fachkompetenz von Angeboten zur Gesundheitsförderung der älteren Generationen Mitwirkung auf die inhaltliche Gestaltung von Aus-, Weiter- und Fortbildung von Menschen, die im Gesundheits- und Sozialwesen tätig sind

Aufgaben

Organisation von Erfahrungsaustausch und Kooperationsbeziehungen Anfertigung von Recherchen und Aufbereitung von Informationen (aus Veranstal-tungen und Publikationen; Herausgabe von Literaturempfehlungen) Mitarbeit bei der Unterstützung von Projektarbeit (z.B. Modellprojekt „Netzwerk für das Alter“, Gesunde-Städte-Netzwerk) Unterstützung der Altenselbsthilfe / insbesondere Selbsthilfegruppen Unterstützung bei der Integration in Sozial- und Gesundheitssystemen (Aufsuchen-de Sozial- / Altenhilfe)

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Mitarbeit bei Aktivitäten zur kultursensiblen Altenhilfe (Soziale Integration von Migranten)Unterstützung erforderlicher Beratungs- und Betreuungsdienste für Ältere Hilfe bei Umsetzung von Entwicklungskonzepten in Heimen, ambulanten Diensten Unterstützung bei Aktivitäten der Lebenssituationen Älterer in Familien sowie der Angehörigen-Initiativen Anregung und Förderung von Vernetzungen Mitarbeit bei der Verstärkung der Akzeptanz und Wirksamkeit ehrenamtlicher Tä-tigkeit

Arbeitsweise

Sitzungen des ArbeitskreisesVorbereitung, Durchführung und Auswertung von Foren während der Kongresse „Armut und Gesundheit“ Mitarbeit bei der Gestaltung und Auswertung von zentralen Veranstaltungen und Kampagnen Mitarbeit bei wissenschaftlichen Kongressen, Fachtagungen, Workshops, Tagesse-minaren Teilnahme an Veranstaltungen der Kooperationspartner Öffentlichkeitsarbeit (Pub-likationen)

Kooperationspartner

Der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband, LV Berlin, Arbeiterwohlfahrt, LV Berlin, Caritasverband für Berlin / Projekt „Alt werden in der Fremde“, Diakonisches Werk Berlin-Branden-burg, Deutsches Rotes Kreuz, LV Berlin, Volkssolidarität, LV Berlin, Verbände (Sozialverband Berlin-Brandenburg(VdK), Sozialverband Deutschland (SoVD), Berliner Behindertenverband, Verband für soziokulturelle Arbeit), Sozialwerk Berlin (Arbeitsausschüsse), Koordinierungsstellen „Rund ums Alter“, Senioren-vertretungen, LSB, ABS, EURAG, Vereine (Jahresringe, SSB „Graue Panther“, MUT, GBM, Miteinander wohnen), Frauengesundheitszentrum (FFGZ), Selbsthilfegruppen, Selbsthilfekontaktstellen, Freizeit-Klubs, Begegnungsstätten, Bezirksämter (Abt. Ge-sundheit; Senioren-, Behindertenbeauftragte; Beratungsbörse), Altenheime, Senioren-heime, Betreutes Wohnen, Wohnprojekte, Unionshilfswerk, Tagesstätten, Sozialstatio-nen, Geriatrie-Zentren, Ambulante Pflegedienste, Alzheimer Gesellschaft, Universitäten und Fachhochschulen, Forschungszentren (z.B. Netzwerk für das Alter), Krankenkassen (AOK, BKK, IKK, VdaK)

Für den Arbeitskreis ist die Kooperation mit den verschiedenen Verbänden, Ver-einen, Klubs, Initiativen, Bezirksämtern sowie mit den Universitäten, Fachschulen und anderen Institutionen eine der wichtigsten Prämissen für eine interdisziplinä-re und multiprofessionelle Tätigkeit:

Kontakt:Dr. Heinz Trommer Gesundheit Berlin e. V. Friedrichstraße 231, 10969 Berlin

Tel.: 030 – 44 31 90 60 Fax: 030 – 44 31 90 63 [email protected]

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Die Dokumentation der Fachtagung „Gesund alt werden in Berlin – Potentiale und Stra-tegien“ am 7. Juni 2007 im Abgeordnetenhaus Berlin ist die Grundlage für die Tätigkeit des Arbeitskreises Altern und Gesundheit in den Berliner Amtsbezirken.

Welche Strategien der Gesundheitsförderung sind erforderlich, um die Selbstständig-keit, die Selbstbestimmung und die Teilhabe der älteren Generationen zu erhalten und zu stärken? Wo liegen die Chancen, aber auch Barrieren der Teilhabe älterer Menschen? Ergebnisse der Diskussionen zwischen Vertreter/ innen der älteren Generation, aus Poli-tik, Verwaltung, von Angebotsträgern, Wissenschaftler/ innen und anderen Akteuren auf der Fachtagung im Juni liegen nun in einer Dokumentation gebündelt vor.

Erhältlich gegen Einsendung von 3,30 € in Briefmarken bei: Gesundheit Berlin, Friedrichstraße 231, 10969 Berlin Tel: 030-44 31 90 60 Fax: 030-44 31 90 63

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13. Kongress Armut und GesundheitTeilhabe stärken – Empowerment fördern –Gesundheitschancen verbessern!

Dokumentation des Themenbereiches Gesundheitsfördernde Lebenswelten schaffen für ältere Menschen

Das Thema Gesundheit und Gesundheitsförderung hat in unserer

Gesellschaft in den vergangen Jahren an Bedeutung gewonnen.

Dies gilt auch für die Altersgruppe der über 55-Jährigen.

Diese Gruppe, zu denen heute bereits jeder Fünfte zählt, wird im Jahr

2030 voraussichtlich einen Anteil von 35 Prozent der Bevölkerung

ausmachen. Die Aufrechterhaltung einer selbstständigen Lebens-

führung und der gesellschaftlichen Teilhabe sowie die Vermeidung

von Krankheiten und Behinderungen werden daher von der WHO zu

Recht als eine der größten Herauforderungen des 21. Jahrhunderts

bezeichnet.

Angesichts dieser Entwicklung werden Strategien der Gesundheits-

förderung, Prävention und Rehabilitation sowie der Altenhilfe und

Altenselbsthilfe zum Erhalt von Gesundheit, Selbstbestimmung,

Teilhabe und Mobilität im Alter zu entscheidenden Determinanten

der zukünftigen Entwicklung unserer Gesellschaft. Ein besonderes

Augenmerk muss dabei auf die Gruppe der sozial benachteiligten

älteren Menschen gelegt werden, da sich gesundheitliche Risiken

und eine stärkere Krankheitsbelastung benachteiligter

Bevölkerungsgruppen auch im Alter fortsetzen.

Die Dokumentation des Themenbereiches „Gesundheitsfördernde

Lebenswelten schaffen für ältere Menschen“ liefert Anregungen und

Beispiele, wie die Chancen für Teilhabe im Alter genutzt, wie ältere

Menschen zu mehr Teilhabe aktiviert und befähigt und wie die

Strukturen für Teilhabe im Alter verbessert werden können.

ISBN: 978-3-939012-09-2