Alternative Mai

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Herausgegeben von Mai 2011 Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro P.b.b., Verlagspostamt 1040 02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558 Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB 5 Massendemonstrationen für ein Soziales Europa. Die EU-Realität: NEOLIBERALISMUS, BEINHART SAUDI-WOMEN REVOLUTION • MIT DEM SOZIALSTAAT GEGEN DIE KRISE

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Monatszeitschrift der Unabhängigen Gewerkschafter_innen im ÖGB

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Herausgegeben von

Mai 2011

Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro

P.b.b., Verlagspostamt 1040

02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558

UnabhängigeGewerkschafterInnenim ÖGB

5

Massendemonstrationen für ein Soziales Europa. Die EU-Realität:

NEOLIBERALISMUS,BEINHARTSAUDI-WOMEN REVOLUTION • MITDEM SOZIALSTAAT GEGEN DIE KRISE

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ERRATUM Zum Artikel „Niedriglohn“der Alternative 3-4/2011 sind beimLayout leider die Quellenangabenabhanden gekommen. Wir entschuldi-gen uns ganz herzlich und liefern siehiermit nach: Alle Grafiken haben wirdankenswerter Weise von der StatistikAustria und aus dem zitierten Beitragvon Geisberger/Knittler übernom-

men: Niedriglöhne und atypische Beschäftigung in Österreich, Statistische Nachrichten6/2010; https://www.statistik.at/web_de/static/niedrigloehne_und_atypische_beschaeftigung_in_oesterreich_statistische_nac_049416.pdfUnd zum Nachlesen: Bei der Studie der Stadt Wien handelt es sich um: Magistratsab-teilung 25 – Gesundheits- und Sozialplanung: Wiener Sozialpolitische Schriften –Band 3: Erwerbspotenzial in der Sozialhilfe; http://www.wien.gv.at/gesundheit/einrich-tungen/planung/index.html. Der zitierte Frauenbericht ist abzurufen unter: Bundes-ministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst im Bundeskanzleramt Österreich: Frauen-bericht 2010.Bericht betreffend die Situation von Frauen in Österreich im Zeitraum von 1998 bis 2008;http://www.frauen.bka.gv.at/studien/frauenbericht2010/Frauenbericht2010PDF.zip

Daten & Taten

Vom Denken zum HandelnLehrgang „Global denken – glo-bal handeln!“ für Betriebsrät-Innen, Gewerkschaftsmitgliederund MitarbeiterInnen von NGOsund Gewerkschaften.

Was hat das billige T-Shirt, aber auchdie billige(re) Photovoltaikanlage mitmeinen Arbeitsbedingungen zu tun?Was nutzt’s, wenn ich nicht zum billige-ren Produkt greife?

So oder ähnlich lauten die Fragestel-lungen des von „Weltumspannendarbeiten – ÖGB“ und „Südwind“ entwi-ckelten Lehrganges.

Mit fehlenden Sozialstandards,Arbeitsrechten und Umweltauflagenlässt sich billig produzieren – Arbeit-nehmerInnen verlieren hier wie dort:Schon die Drohung, Produktionen zuverlagern, macht Gewerkschaften undganze Staaten erpressbar. Ein Wettlaufnach unten ist die Folge. WeltweiteWirtschaftskrisen verstärken diese Ent-wicklung noch. Da hilft nur eins:Gewerkschaften müssen weltweitzusammenarbeiten!

Wie wir globale Strukturen gemein-sam verändern und mit Arbeitnehmer-Innen auf der ganzen Welt zusammen-arbeiten können und wie wir dadurchalle profitieren – das wird im Lehrgangin mehreren Modulen und im direktenZusammentreffen unter anderem mitKollegInnen aus Rumänien und Bul-garien erarbeitet. ❚Spannende Sache – lasst euch das

nicht entgehen!Die Teilnahme am Lehrgang (in Modulenvon September 2011 bis Juli 2012) istkostenlos. Voraussetzung ist eine beste-hende Gewerkschaftsmitgliedschaft. Am27. Mai 2011 ist Anmeldeschluss. Detailsund Anmeldungen: www.fairearbeit.at,(01) 534 44-39 238, (0664) 88 52 56 58(Pia Lichtblau).

Nach machtvollen Demonstrationenin Brüssel, London, Sofia und Bukaresthatte der Europäische Gewerkschafts-bund (EGB) anlässlich der Tagung derEU-Finanzminister zur Großdemons-tration aufgerufen. „Wir wollen einEuropa der Menschen, nicht der Ban-ker“, sagte EGB-Generalsekretär JohnMonks bei der Schlusskundgebung inBudapest. „Das ist die klare Botschaft,die wir den Finanzminister mitgeben,bevor sie aus Budapest abreisen.“

Auch der Präsident des Österreichi-schen Gewerkschaftsbundes, ErichFoglar, sprach von der Bühne zu denDemonstrantInnen. „Das ist nichtunsere Rechnung, wir haben dieSchulden in Europa nicht verursacht“,sagte er in Richtung Banken undFinanzwelt, die von der EU-Politik fastvöllig aus ihrer Verantwortung entlas-sen werden. „Wir bleiben so lange aufEuropas Straßen, bis ihr eure Rech-nung selbst bezahlt.“ ❚

Soziales Europa:Massendemonstration in Budapest

50.000 Menschen aus 22 Ländern von 45 Gewerkschafts-

verbänden gaben am 9. April ein lautstarkes, buntes Zeichen

gegen die Sparpolitik der Europäischen Kommission und vieler

Europäischer Regierungen.

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Magazin

Neoliberalismus, beinhart . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4Mit dem Sozialstaat gegen die Krise . . . . . . . . . . . Seite 7Graz: Brot, nicht Butter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 10

Gewerkschaft & Betrieb

ÖGB: Seinesgleichen geschieht. . . . . . . . . . . . . . Seite 14Banken-Kollektivvertrag: Unzureichend . . . . . . . . . Seite 16AK-Unternehmensmonitor 2010: Welche Krise? . . . . . Seite 19

International

Saudi-Women Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 22

Kommentar

Wer ist denn der ÖGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 24

. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12

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IM MAI

PATENTREZEPTE

Mein Reflex funktioniert noch immer:Massendemonstration in Budapest für einSoziales Europa: Sehr gut. 10.000 demons-trieren in Graz gegen Kürzungen im Sozial-bereich: Wunderbar. Griechen, Iren, Portu-giesen wehren sich gegen die verordnetenSparpakete in ihren Ländern: Feine Sache.

Die Sinnfrage begleitet mich allerdingsdurch alle Demos meines politischenLebens. Ich gestehe: Antworten darauf sindmir früher leichter gefallen.

Die Frage, was denn das für einen Sinnhat, ist nicht neu, aber immer schwerer zubeantworten. Denn die Wirklichkeit fährtüber alle Proteste, Widerstände und Kund-gebungen drüber. Beinhart, wie MarkusKoza z.B. den Neoliberalismus à la Euro-plus-Paket auf den Punkt bringt.

Was lernen ÖkonomInnen heutzutageauf den Wirtschaftsunis? Wenn sie alsManager in gefährdeten Unternehmentätig sind, ist alles klar: Lohnkosten senken,Arbeitsplätze vernichten, Gesundschrump-fen – dafür würde ich ihnen keinen EuroGehalt zahlen, geschweige denn Prämien.

Währungsfonds, Weltbank, AngelaMerkel und die EU leiden an derselbenPhantasielosigkeit. Euro-Schutzschirmheißt: Sozialstandards herunterfahren,öffentlichen Dienst beschneiden, Pensionen kürzen …

Phantasielosigkeit? Wahrscheinlich dochnicht. Eher doch ein Produkt der weltweitverschobenen Kräfteverhältnisse. Wahr-scheinlich gibt die alte Frage „cui bono?“(wer hat den Nutzen davon) noch immerdie richtigen Antworten.

EDITORIAL von Alfred Bastecky

IMPRESSUM Medieninhaber, Verleger: Alternative und Grüne GewerkschafterInnen(AUGE/UG) Herausgeber: Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB (UG/ÖGB)Redaktion, Satz & Layout: Alfred Bastecky (Koordination), Lisa Langbein, Franz Wohl-könig (Layout) Alle: 1040 Wien, Belvederegasse 10/1, Telefon: (01) 505 19 52-0, Fax: -22,E-Mail: [email protected] (Abonnement), [email protected] (Redaktion), internet:www.ug-oegb.at, Bankverbindung: BAWAG Kto. Nr. 00110228775 Dass namentlich gezeichnete Beiträge nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oderdes Herausgebers entsprechen müssen, versteht sich von selbst. Titel und Zwischentitelfallen in die Verantwortung der Redaktion, Cartoons in die Freiheit der Kunst. Textnach-druck mit Quellenangabe gestattet, das Copyright der Much-Cartoons liegt beim Künstler.DVR 05 57 021. ISSN 1023-2702.

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Markus Koza über den „Euro-Plus-Pakt“.

NEOLIBERALISMUS,BEINHART

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on einer breiteren Öffentlichkeit wei-testgehend unbemerkt (in den Nach-richten dominierte Libyen und Japan)verabschiedete der Europäische Rat am24./25. März ein umfangreiches Maß-nahmenpaket für „ein intelligentes,nachhaltiges, sozial integratives undbeschäftigungswirksames“ Wachstum,das die „wirtschaftspolitische Steuer-ung und die Wettbewerbsfähigkeit desEuro-Währungsgebiets und der Euro-päischen Union stärken soll.“

D-MARK-IMPERIALISMUSDas vom EU-Rat beschlossene Paket

zu einer besseren wirtschaftspoliti-schen Koordination in der EU (vulgo„EU-Wirtschaftsregierung“) beinhaltetneben den sechs Gesetzgebungsvor-schlägen (Legislativpaket) der EU-Kom-mission (dieses umfasst unter anderemdie Verschärfung des Stabilitäts- undWachstumspaktes sowie eine neueÜberwachung makroökonomischerUngleichgewichte und soll bis Juni2011 nach Verhandlungen mit demEU-Parlament verabschiedet werden)und dem Europäischen Stabilitätsme-chanismus (dem alten Euro-Rettungs-schirm) auch den „Euro-Plus-Pakt“, ehe-

mals als der von Merkel-Sarkozy promo-tete „Pakt für die Wettbewerbsfähig-keit“ bekannt geworden. Dieser solltedie Euro-Länder, beziehungsweise jeneEU-Staaten, die diesem abseits derEurozone beitreten wollen, zu einerSchuldenbremse nach deutschem Vor-bild, zu einer Erhöhung des Pensions-antrittsalters, zu einer Abschaffung derin einigen Mitgliedsländern geltendenLohnanpassung im Rahmen der Infla-tion „selbstverpflichten“.

„Ein Hauch des D-Mark-Imperialis-mus“, wie die Arbeitsgruppe Alterna-tive Wirtschaftspolitik (MEMORAN-DUM) diagnostiziert, ein „Pakt derUnvernunft“, der die Eurozone „deut-scher“ machen sollte, wird doch sogetan, „als gäbe es ausschließlich fürdie anderen Mitgliedsländer einenentsprechenden Anpassungsbedarf.“Dadurch würde „… die Notwendigkeitder Anpassung Deutschlands durchdas Zurückfahren der Exportüberschüs-se und die Stärkung der Binnenwirt-schaft ausgeklammert.“

Der Merkel-Sarkozy-Pakt stieß nichtauf die ungeteilte Zustimmung allerEuro-Staaten, weshalb eine geänderteFassung unter dem Titel „Euro-Plus-Pakt“ (weil auch Nicht-Euro-Länder andiesem Pakt teilnehmen) verabschiedetwurde. Dieser „selbstverpflichtet“ zwardie beigetretenen Staaten nach wie vorzur Erreichung von Zielen, allerdingsnicht mehr zu konkreten, politischenMaßnahmen – diese sollen von denMitgliedsstaaten selbst gewählt wer-den können. Auch finden sich in die-sem Pakt keine Sanktionen, ist dieserdoch nicht EU-Recht, sondern Selbst-verpflichtung der Pakt-Länder (jedeMenge Sanktionen finden sich ohnehin

im Legislativpaket der EU-Kommission,wozu sich die Unterzeichnerländer desEuro-Plus-Pakts auch unmissverständ-lich bekennen. Eine umfassende, fun-dierte polit-ökonomische Kritik amLegislativpaket findet sich übrigens aufder Homepage des BEIGEWUM).

RADIKAL NEOLIBERALEAUSRICHTUNGDie radikal neoliberale und entde-

mokratisierend wirkende Grundausrich-tung bleibt allerdings, der Druck aufsoziale Standards, auf die nationalenBudgets sowie auf die Lohnpolitik derMitgliedsländer wird deutlich erhöht.

Weil: bleibt auch die Konkretisierungvon Maßnahmen zur Erreichung ver-einbarter Ziele den Mitgliedsstaatenüberlassen, findet eine Maßnahmen-formulierung in einem gemeinsamenProzess statt. Die Umsetzung erfolgtdann innerhalb von zwölf Monatenund wird hinsichtlich ihrer Wirkungschließlich einer Bewertung durchKommission, den EU-Rat und die Euro-Gruppe unterzogen.

Und es wird ausdrücklich angeregt„… sich (bei den Maßnahmen, Anm.)an den Leistungsstärksten innerhalbEuropas, aber auch unter den strategi-schen Partnern, (zu, Anm.) messen“.Und nicht zuletzt finden sich im „Euro-Plus-Pakt“ ganz unmissverständlicheEmpfehlungen hinsichtlich umzuset-zender Maßnahmen. Ganz explizit wirdauf ein „angeführtes Bündel möglicher“Maßnahmen – zur Verbesserung derIndikatoren bei Wettbewerbsfähigkeit,Beschäftigung, langfristig tragfähigenFinanzen etc. – verwiesen, dem „beson-dere Beachtung geschenkt“ werden soll.

Markus Kozaist UG-Vertreter imÖGB-Bundesvorstandund Mitarbeiter derAUGE/UG in Wien.

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Und: wenig überraschend zielen dieseEmpfehlungen überwiegend auf dieLohn- und Arbeitsmarkt- sowie dieSozialpolitik ab.

IM ZEICHEN DERWETTBEWERBSFÄHIGKEITDer Euro-Plus-Pakt stützt sich auf

vier Leitvorgaben:1. Auf „Anstrengungen“, die auf einestärkere „wirtschaftspolitische Koordi-nierung im Hinblick auf die Wettbe-werbsfähigkeit und Konvergenz“ gerich-tet sind und die der Verstärkung derwirtschaftspolitischen Steuerung derEU dienen (Stabilitäts- und Wachs-tumspakt, Legislativpaket). Neue Ver-pflichtungen, Anstrengungen, „dieüber das hinausgehen, was bereitsgeleistet wird“, sollen „in nationaleReform- und Stabilitätsprogramme auf-genommen“ werden und hinsichtlichihrer Erfüllung vor allem von der EU-Kommission überwacht werden, dereine „starke zentrale Rolle“ zukommt. 2. Die „Anstrengungen“, die nationa-len Kraftakte, dienen prioritär der För-derung der Wettbewerbsfähigkeit undder Konvergenz. Dabei werden aufEbene der Staats- und Regierungschefsgemeinsame Ziele vereinbart, derenErreichung von den Mitgliedsstaaten„… mit ihrem eigenen politischenInstrumentarium …“ verfolgt werden.3. Die Staats- und Regierungschefswerden „jedes Jahr konkrete nationaleVerpflichtungen eingehen …“ und sol-len sich dabei, wie bereits erwähnt, anden Leistungsstärksten messen. DieErfüllung der Verpflichtung und die„Fortschritte“ bei der Verwirklichungder gemeinsamen politischen Ziele“werden von den Staats- und Regie-rungschefs, gestützt auf einen Berichtder Kommission (wobei derartigeBerichte regelmäßig eine klar neolibe-rale Ausrichtung haben), überwacht.Zusätzlich verpflichten sich die Mit-gliedsstaaten, ihre „Partner zu konsul-tieren, bevor sie wichtige Wirtschafts-reformen verabschieden, die poten-zielle Übertragungseffekte haben“.4. Und schließlich die vierte Leitvor-gabe: das uneingeschränkte Bekennt-nis aller Mitgliedsländer zur Vollen-dung des Binnenmarktes, „… die vonentscheidender Bedeutung für dieSteigerung der Wettbewerbsfähig-keit …“ ist. Danke und Amen.

MEHR WETTBEWERBSFÄHIGKEITDURCH LOHNDUMPINGWie sich denn ein Land hinsichtlich

seiner Wettbewerbsfähigkeit entwik-kelt, wird auf Grundlage der Lohn- undProduktivitätsentwicklungen bewertet.Dabei wird die Entwicklung der Lohn-stückkosten der Länder über einenZeitraum hinweg beobachtet undverglichen.

Besonders „wettbewerbsfähige“Länder weisen dabei Leistungsbilanz-überschüsse aus, andere Länder ent-sprechend Leistungsbilanzdefizite. Wasein Land exportiert, muss eine anderesimportieren, das ist so weit logisch.

Derartige Ungleichgewichte in derWettbewerbsfähigkeit lassen sich ent-weder beheben, in dem ein Land Über-schüsse abbaut – etwa durch eineexpansive Lohnpolitik oder Arbeitszeit-verkürzung bei vollem Lohnausgleich –wodurch andere Länder wettbewerbs-fähiger würden und ihr Leistungsbi-lanzdefizit so abbauen können, wasUngleichgewichte ausgleichen helfenwürde. Das wäre ein solidarischer Weg.

Oder, indem Länder mit Leistungs-bilanzdefiziten versuchen, über Lohnsen-kungen konkurrenzfähiger zu werden.Alle sollen Leistungsbilanzüberschüsseerwirtschaften! Das geht zwar eigent-lich nicht, und das sollte eigentlich auchjede wissen, die die vier Grundrech-nungsarten beherrscht, mit Logikmusste mensch allerdings neoliberalenMarktgläubigen noch nie kommen.

Egal. Jedenfalls würde das insgesamtzu einem Lohnwettlauf nach untenführen, auf Kosten der Arbeitnehmer-Innen, deren Einkommen, Lebensver-

hältnisse etc. Ein unsolidarischer Weg.Nun, welcher Weg wird im Euro-Plus-Pakt empfohlen? Richtig! Löhne sindauf jeden Fall zu hoch und dämpfen sodie Wettbewerbsfähigkeit, also runtermit ihnen: „Starke und anhaltende Stei-gerungen (der Lohnstückkosten, Anm.)können zu einer Aushöhlung der Wett-bewerbsfähigkeit führen, insbesonderewenn sie mit einer Ausweitung desLeistungsbilanzdefizits und rückläufi-gen Marktanteilen bei Exporten einher-gehen.“ Entsprechend die Empfehlun-gen, „ … unter Achtung der nationalenGepflogenheiten in Bezug auf densozialen Dialog und die Beziehung derSozialpartner …“ wie noch alibimäßigerwähnt wird:•So sollen „Lohnbildungsregelungen“und „erforderlichenfalls“ der Grad derZentralisierung im Verhandlungspro-zess und die Indexierungsverfahrenüberprüft werden. Im Klartext heisstdas: Lohnverhandlungen sollen gege-benenfalls von der „zentralisierten“Kollektivvertragsebene auf die betrieb-liche Ebene verlagert werden, „Indexie-rungsverfahren“, wie es diese vor allembei gesetzlichen Mindestlöhnen gibt(also die automatische, jährlicheAnpassung um die Inflationsrate),abgeschafft werden.•Lohnsteigerungen im öffentlichenDienst und im öffentlichen Sektorsollen nur soweit stattfinden, als sieden „auf die Wettbewerbsfähigkeitgerichteten Anstrengungen im Privat-sektor förderlich sind“, also klar hinterder allgemeinen Lohnentwicklungzurück bleiben.

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Wenig Neues auch, wenn es um dieFörderung von Beschäftigung geht. Hierwird einerseits bei der Förderung von„Flexicurity“ angesetzt – also hire andfire mit nicht näher definierter sozialerAbsicherung, die jedenfalls in ersterLinie dazu dienen soll, „Arbeit attraktiv“– sprich Arbeitslosengeld niedrig – zugestalten, sowie bei einer steuerlichenEntlastung von Arbeit. Interessant ist indiesem Zusammenhang allerdings dieErwähnung, wonach „… die Erwerbstä-tigkeit von Zweitverdienern“ steuerlicherleichtert werden soll, was immerhineine klare Aussage gegen Modelleeiner Familienbesteuerung ist.

SPAREN, SPAREN, SPAREN …UND WO? RICHTIG!Im Euro-Plus-Pakt wird die vollstän-

dige Umsetzung des Stabilitäts- undWachstumspaktes – jenes Paktes, denselbst der ehemalige EU-Kommissions-präsident Romano Prodi als „stupido“,also „dumm“ bezeichnete – gefordert.

Größte Aufmerksamkeit wird dabei –wie könnte es anders sein – der lang-fristigen Finanzierbarkeit der Renten,Gesundheitsfürsorge und Sozialleistun-gen gewidmet, da wird die „demogra-phische“ Keule geschwungen, welchedie langfristige Finanzierung sozialerLeistungen zu gefährden droht, wasentsprechend zum Schluss führt, dassder Zugang zu erschweren ist. Dass esbei der Frage der Finanzierung sozial-staatlicher Systeme auch um so Neben-sächlichkeiten, wie Verteilungs- undSteuergerechtigkeit gehen könnte,bleibt natürlich unerwähnt. Entspre-chende Empfehlungen:•„Angleichung des Rentensystems andie nationale demografische Situation,beispielsweise durch Angleichung destatsächlichen Renteneintrittsalters andie Lebenserwartung oder durch Erhö-hung der Erwerbsquote“ – also Pensi-onsalter rauf.•Oder durch die Begrenzung vonMöglichkeiten, in den vorzeitigenRuhestand zu treten.

Weiter verpflichten sich die Euro-Mit-gliedsstaaten mit dem Euro-Plus-Pakt,die „im Stabilitäts- und Wachstums-pakt enthaltenen Haushaltsvorschrif-ten der EU“ in nationales Verfassungs-oder Rahmenrecht umzusetzen undentsprechend auszugestalten – etwaüber eine „Schuldenbremse“ à la BRD.

Jedenfalls muss Haushaltsdisziplin aufnationalstaatlicher und supranationa-ler Ebene gewährleistet sein. Und dasheißt im Umkehrschluss immer sparenund Staatsausgaben bei Bildung, Sozi-alem und ähnlichem zu kürzen.

KONKLUSIODer „Euro-Plus-Pakt“ stärkt, ebenso

wie das Legislativpaket, ausgerechnetjene EU-Institution, die „… für ihremangelnde demokratische Legitimie-rung als auch für den Einfluss von Lob-bygruppen am meisten berüchtigt ist:die Europäische Kommission.“ (ATTAC-Deutschland).

Die dem Neoliberalismus innewoh-nende und so typische Entdemokrati-sierung wirtschaftspolitischer Prozesseüber eine Verlagerung von Entschei-dungen von den demokratisch gewähl-ten kommunalen oder nationalstaatli-chen Ebenen hin zu supranationalenInstitutionen und technokratischen Eli-ten, ohne jegliche demokratische Legi-timation und Verantwortlichkeit gegen-über WählerInnen, findet in der neuen„EU-Wirtschaftsregierung“, basierendauf Euro-Pakt und Legislativpaket,einen neuen, qualitativen Höhepunkt.

Dabei sind nationale Parlamente indiesen Prozess nicht einmal eingebun-den, ja teilweise nicht einmal ausrei-chend informiert! Dass sich gewählteParlamentarierInnen derartiges bietenlassen, spricht nicht unbedingt fürdemokratisches Bewusstsein bezie-hungsweise Selbstverständnis „unserer“gewählten VertreterInnen. Es ist anzu-nehmen, dass sich eine Mehrheit derAbgeordneten – über alle Fraktions-grenzen hinweg – noch gar nicht derTragweite der Entscheidungen aufEuropäischer Ebene bewusst ist, wer-den doch nationale Parlamente hin-sichtlich ihrer wirtschafts- und damitgesellschaftspolitischen Entscheidungs-möglichkeiten weitestgehend entmach-tet und in diesem Prozess nicht einmalkonsultiert! Er findet schlichtweg überihre Köpfe hinweg statt! Auch dasspricht nicht unbedingt für die Qualitätder NationalrätInnen.

Ökonomisch gesehen bedeutet derPakt-für-den-Euro sowie das Legislativ-paket die konsequente, noch verschärf-te Fortsetzung jener neoliberalen Wirt-schaftspolitik, welche zentral mitverant-wortlich für die Finanz- und für die

daraus resultierende Wirtschaftskriseist. Sie setzt nicht an den Ursachen derKrise an – nämlich an der über Jahr-zehnte hinweg immer größer werden-den Ungleichverteilung von Einkom-men und Vermögen, dem vollkommenderegulierten und liberalisiertenFinanzmärkten, dem sukzessiven Rück-bau des Sozialstaates über Privatisie-rung öffentlicher Leistungen, Steuer-wettlauf nach unten und Lohndruck,sondern befördert diese noch.

Auf das Faktum, dass die wachsen-den Staatsschulden Ursachen haben –nämlich milliardenschwere Banken-rettungs- und Konjunkturpakete – wirdgar nicht erst eingegangen. Es werdenauch nicht der Bankenbereich, derFinanzsektor oder die Vermögendenzur Schuldenbewältigung herangezo-gen. Nein, selbstverständlich nicht. Fürderen Risken dürfen die europäischenSteuerzahlerInnen natürlich einmalmehr bürgen, im Rahmen des „Euro-Schutzschirms“, dem zweiten Banken-rettungspaket, nachdem schon dienationalen Bankenrettungspaketeschwer auf der Bevölkerung lasten.

Der schwarze Peter für hohe Defiziteund öffentliche Schuldenstände wirdden öffentlichen Pensions- undGesundheitssystemen, dem Sozialstaatals Ganzes zugeschoben. Die Staats-schuldenkrise wird isoliert von derWirtschaftskrise betrachtet, Staaten-bashing ist angesagt, wahre Ursachen-analyse findet selbstverständlich keinestatt, sie müsste schließlich auch zueinem radikalen Umdenken führen.Lieber radikalisiert man da in der EUden neoliberalen Umbau – in Richtungautoritärer Kapitalismus.

Linktipps: – www.beigewum.at: EU-Beschlüsse: MythosNulldefizit revisted …; Europäische Union:Bleibt beim Wettlauf zum Klubbeschluss zurEuropäischen Wirtschaftsregierung nochPlatz für die Ausübung demokratischerSouveränität? Europäische Wirtschafts-regierung: Eine stille neoliberale Revolution.– www.alternative-wirtschaftspolitik.de(MEMORANDUM-Gruppe): Euroland in derKrise – Ein Sieben-Punkte-Programm zurWirtschafts- und Währungsunion.

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Die WIFO-Monatsberichte zeigen Schwarz auf Weiß auf: der Sozialstaat, beziehungsweise sozialpolitische Maßnahmen leisteten in der jüngsten Wirtschaftskrise einen

wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung. Von Markus Koza.

MIT DEM SOZIALSTAATGEGEN DIE KRISE

JA,es war ausgerechnet der den Neo-liberalen so verhasste Sozialstaat, derentscheidend dazu beitrug, in Zeitender Finanz- und Wirtschaftskrise diebefürchteten dramatischen Auswirkun-gen auf Bruttoinlandsprodukt (BIP)und Beschäftigung abzufedern. Dasmussten – am Höhepunkt der Krise –dieselbigen auch zähneknirschend undkleinlaut zugeben.

Eigentlich hätten sie sich glücklichschätzen müssen, dass die von ihnenso munter betriebene Zertrümmerungdes Sozialstaates doch noch nichtgänzlich geglückt beziehungsweisevollzogen war.

Wer allerdings denken würde, dieErfahrungen aus der Krise hättengewisse Lerneffekte ausgelöst, irrt. ImGegenteil: die Neoliberalen in EU-Kommission und EU-Rat blasen einmalmehr beziehungsweise wieder einmal –nun unter dem Titel „EU-Wirtschafts-regierung“ oder „Umfassende Reak-tion“ – zum Generalangriff auf denSozialstaat. Und wir werden uns ein-mal mehr entschieden gegen dieseAngriffe zur Wehr setzen müssen.

Der Beitrag von Thomas Leoni, Mar-kus Marterbauer und Lukas Tockner inden WIFO-Monatsberichten 3/2011liefert dabei gute, ökonomische Argu-mentarien für einen funktionsfähigen,gut ausgestatteten Sozialstaat. ImRahmen einer Studie des WIFO – inZusammenarbeit mit anderen europäi-schen Wirtschaftsforschungsinstituten– für das Europäische Parlament wurdeuntersucht, inwieweit denn sozialstaat-liche Maßnahmen einen Beitrag leis-ten, die Wirtschaft in Zeiten der Krise

zu stabilisieren. Ab dem Frühjahr 2008brach die Finanzkrise mit aller Wuchtauch über die „Realwirtschaft“ herein:in der EU sank das BIP im Jahr 2009real um 4,2 Prozent, die Arbeitslosen-zahl erhöhte sich um 7 Mio. Menschenauf 23 Mio., die Arbeitslosenquotestieg 2010 auf 9,6 Prozent. Die imSozialsystem eingebauten Stabilisie-rungsmechanismen trugen allerdingsentscheidend dazu bei, sowohl dieDauer, als auch die Wirkung der Kriseeinzuschränken.

In der Krise gehen Beschäftigung(steigende Arbeitslosigkeit) und Ein-kommen (schwächere Lohnabschlüsse,mehr Teilzeitjobs etc.) zurück. Sinkt dasEinkommen, sinkt die Nachfrage, wasdie Krise noch einmal verstärkt. Nochmehr Beschäftigte würden gekündigt,was den Druck auf die Einkommennoch mehr verstärken würde, wach-sende Armut, die Krise würde sich wei-ter verschärfen. Diesen Entwicklungenwirken allerdings in modernen Sozial-staaten üblicherweise eigene „automa-tischen Stabilisatoren“ entgegen.

Die wichtigsten sind ausgabeseitigdas Arbeitslosengeld, einnahmeseitigdie progressive Wirkung von Einkom-menssteuern. Sinkende Einkommenbedingen niedrigere Einkommenssteu-ern, weil EinkommensbezieherInnennicht in höhere Progressionsstufen vor-dringen, was zwar zu geringeren Steu-ereinnahmen des Staates aus Löhnenund Gehältern führt, allerdings mehrverfügbares Einkommen in den Haus-halten belässt – abhängig davon, wieprogressiv das Steuersystem ausgestal-tet ist. Vor allem auch bei Haushalten

mit hoher Konsumneigung aufgrundrelativ niedriger Einkommen.

Umgekehrt verhält es sich bei denTransfers, den Staatsausgaben: dieseerhöhen sich – im Gegensatz zu Ein-kommenssteuern – natürlich im Fallesteigender Arbeitslosigkeit, weil mehrArbeitslosengeld gezahlt werden muss.Dadurch halten sich Einkommensver-luste gesamtwirtschaftlich gesehen inGrenzen und bleiben die Konsumaus-gaben – also gesamtgesellschaftlicheNachfrage – annä-hernd stabil. DerVorteil dieser auto-matischen Stabilisa-toren: sie wirkensofort, ohne zeitli-che Verzögerung:Wer arbeitslos wirdund damit Lohnein-kommen verliert,zahlt keine Lohn-steuer mehr, erhält aber unmittelbarArbeitslosengeld.

Wie groß die stabilisierende Wirkungdes Arbeitslosengeldes – des wichtigs-ten automatischen Stabilisators unterden Sozialausgaben – ist, hängt vonder Höhe der Ersatzrate und der Längeder Bezugsdauer ab. Während dieskandinavischen Länder hinsichtlichHöhe und Bezugsdauer des Arbeits-losengeldes nach wie vor Spitzenposi-tionen einnehmen (gefolgt von Bel-gien, Niederlanden und Frankreich),liegen Deutschland und Österreichhinsichtlich der Höhe im unteren Mit-telfeld. Eine geringe stabilisierende

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Wirkung aufgrund der schlechtensozialen Ausgestaltung hat dasArbeitslosengeld dagegen in denangelsächsischen, manchen süd- undden osteuropäischen Ländern.

Im Abschwung steigen allerdingsnicht nur Ausgaben für Arbeitslosen-geld, sondern auch jene für Pensionen,Invaliditätspensionen, Krankenstände,Sozialhilfe etc. Empirisch gibt es sozum Beispiel einen engen Zusammen-hang zwischen Konjunktur und Früh-pensionierungen: In Zeiten der Rezes-sion versuchen ArbeitnehmerInnen mitGesundheitsproblemen als Alternativezur Arbeitslosigkeit in die Invaliditäts-pension zu gehen.

Zur grundsätzlichen Wirksamkeitautomatischer Stabilisatoren haltendie AutorInnen des Beitrags daher fest:„Gemäß allen Untersuchungen zurWirksamkeit automatischer Stabilisato-ren ist die Größe des Staatssektors,gemessen an der Abgaben- und Ausga-benquote, entscheidend; je höher derStaatsanteil, desto stärker die Glättungder Einkommensentwicklung (…)Zudem spielen Budgetstruktur undinstitutionelle Faktoren eine wichtigeRolle für das unterschiedliche Ausmaßder Stabilisatorwirkung. Das Aufkom-

men direkter Steu-ern (zum BeispielLohnsteuern, Ein-kommenssteuern,Anm.) reagiertstärker auf Kon-junkturschwan-kungen als jenesvon Sozialversiche-rungsbeiträgenund Verbrauchs-

steuern und hat deshalb eine größereStabilisierungswirkung. Diese ist umsohöher, je stärker der Progressionsgradder Einkommenssteuern ist.“

Und „Die Ausgestaltung des Abga-ben- und Transfersystems bestimmtwesentlich, in welchem Ausmaß einnegativer Schock auf die Einkommenoder die Beschäftigung das verfügbareEinkommen der privaten Haushalteschmälert und damit die Gesamtwirt-schaft beeinträchtigt.“

War die stabilisierende Wirkung desSozialstaates in der EU schon deutlichhöher als in den USA, gibt es auchinnerhalb Europas deutliche Unter-schiede. Im Falle einer krisenbedingtenVerringerung der Bruttoeinkommen ist

die Stabilisierungswirkung in Dänemarkam größten (vor Belgien, Deutschland,Ungarn, Österreich und Schweden),in Estland, Spanien und Griechenlanddagegen am geringsten. „Dies wirdhauptsächlich durch Höhe und Pro-gressionsgrad von Einkommenssteuerund Sozialversicherungsbeiträgenbestimmt.“ Soziale Sicherungssysteme,sind im Rahmen einer Stabilisierungs-politik nicht zuletzt deshalb von hoherBedeutung, weil sie über Erwartungendas Verhalten der Wirtschaftssubjektebeeinflussen: in Zeiten der Rezession –also in der Krise – tragen gut ausge-baute Sozialleistungen wesentlich zurVermeidung von Unsicherheit unddamit zur Vermeidung von „Angst-sparen“ und damit zur Stabilisierungder privaten Konsumausgaben bei. Sogingen die Konsumausgaben im Euro-Raum von 2008 auf 2009 real umlediglich 1,1 Prozent zurück (EU-Gesamt: Minus 1,7 Prozent).

Es blieb allerdings – um die Aus-wirkungen der Krise in ihrer vollenHärte abzuschwächen – bekanntlichnicht nur beim „Wirken lassen“ derautomatischen Stabilisatoren, eswurden neben milliardenschweren, dieStaatshaushalte besonders belasten-den Bankenrettungs- auch Konjunktur-pakete geschnürt.

Die StudienautorInnen und Verfasserdes Beitrags in den WIFO-Monatsbe-richten analysieren dabei die Konjunk-turpakete hinsichtlich der Anteile ansozialpolitischen Maßnahmen. DasHandlungsfeld der Sozialpolitik wirddabei recht breit definiert: Als sozial-politische Maßnahmen im weiterenSinn gelten demnach alle Initiativen,die das Einkommen und die Beschäfti-gungssituation der Bevölkerung bezie-hungsweise bestimmter Bevölkerungs-gruppen verbessern.

Das schließt Reformen im Bereichder Einkommenssteuern (zum Beispieldie Absenkung von Steuersätzen, dieAusweitung von Steuerfreibeträgenetc.) ebenso ein, wie die Erhöhung vonTransferleistungen (zum Beispiel dieErhöhung von Pensionen, Erhöhungvon Arbeitslosengeld, Erhöhung desPflegegeldes etc). Wie Konjunkturpa-kete und in derartige Pakete eingebet-tete sozialpolitische Maßnahmen wir-ken, hängt dabei von drei Faktoren ab:1. von der Sparquote der durch dieMaßnahmen begünstigten Haushalte:

Haushalte mit niedrigem Einkommenweisen eine geringe Sparquote auf undmüssen sich vielfach in Konsumverzichtüben. Jeder Euro zusätzlich würde bei-nahe zwangsläufig in mehr Nachfrage,mehr Konsum fließen. Werden dieseEinkommen durch Steuerentlastungenoder Transfers gestärkt, führt das zuhöherem Konsum, von einer Erhöhungniedriger Einkommen ginge also ein„expansiver“, Nachfrage und damitWachstum steigernder Effekt aus.Haushalte mit hohem Einkommenhaben dagegen eine hohe Sparnei-gung. Steuerentlastungen werden nichtzu einer höheren Nachfrage führen,sondern eher dazu, dass noch mehrgespart wird, der Effekt verpufft. 2. von der internationalen Verflech-tung der Volkswirtschaft: Je mehrGüter oder Dienstleistungen importiertwerden, umso mehr an zusätzlichemKonsum fließt in die Nachfrage nachProdukten aus dem „Ausland“, wirktalso nicht im „Inland“ nachfrage- undbeschäftigungswirksam.3. vom Verhalten der Zentralbank: Voneiner Geldpolitik mit niedrigen Zinssät-zen sind expansivere Effekte zu erwar-ten, als von einer Hochzinspolitik, wel-che zum Beispiel Kredite für Investitio-nen teuer macht.

Ende 2008, Anfang 2009 schnürtendie meisten EU-Staaten Konjunktur-pakete, die mit 2009 wirksam wurden.Im Euro-Raum wurden konjunkturbele-bende Maßnahmen im Ausmaß vonrund 170 Milliarden Euro beschlossen,rund knapp 2 Prozent des EU-BIP von2008. Auf sozialpolitische Maßnahmenim weiteren Sinne entfielen dabei59 Prozent, nämlich rund 100 Milliar-den Euro oder 1,1 Prozent des BIP,wobei Steuersenkungen gegenüberhöheren Sozialausgaben klar dominier-ten. So beliefen sich Steuer- und Abga-besenkungen auf 0,78 Prozent des BIP,höhere Sozialausgaben dagegen nurauf 0,32 Prozent. Nur Dänemark,Schweden, Belgien, Portugal und Spa-nien setzten ausgabenseitige Impulsevon über 0,5 Prozent des BIP. Und,interessant: Zwei Drittel der gesamtensozialpolitischen Impulse im Euro-Raum machten dabei alleine die Maß-nahmen in Deutschland (39,07 Mrd.Euro, vor allem Erhöhung Steuerfrei-betrag, Senkung Eingangssteuersatzund SV-Beiträge, Kurzarbeit) und Spa-nien (26,42 Mrd. Euro) aus.

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Großes Gewicht hatten sozialpoliti-sche Maßnahmen zur Konjunkturstüt-zung auch in den skandinavischenLändern, in Belgien, den Niederlanden,Österreich, der Slowakei und Tsche-chien. In Österreich fallen in dieseKategorie die Steuertarifreform inklu-sive Familienpaket 2009, die Auswei-tung von Sozialtransfers (Einführung13. Familienbeihilfe, Erhöhung Pflege-geld und Pensionen im Herbst 2008)und die Förderung von Kurzarbeit.

Die im Rahmen der Krise betriebeneexpansive Sozialpolitik wirkte sich posi-tiv auf die wirtschaftliche Entwicklungaus: Sie erhöhte das BIP im Euro-Raum2009 um 0,9 Prozent, alle EU-Länderprofitierten nicht nur von ihren selbstgesetzten Maßnahmen, sondern auchvon den Aktivitäten der Partnerländer.

In Deutschland etwa steigerten dieeigenen sozialpolitischen Maßnahmenschon 2010 das BIP um 0,3 Prozent,bis 2012 wird der Effekt (kumuliertgegenüber einem Szenario, wo keinesozialpolitischen Konjunkturpaketegeschnürt worden wären) plus 1,4 Pro-zent betragen. Dabei profitiert diedeutsche Wirtschaft zu drei Viertel vonin der BRD gesetzten Maßnahmen, zueinem Viertel von Maßnahmen derPartner in der EU.

Ähnliche Ergebnisse ergeben sichauch für andere Länder: in Finnlandzum Beispiel, einer kleinen, offenenVolkswirtschaft (also eine Volkswirt-schaft, in der aussenwirtschaftlicheHandelsbeziehungen von besondershoher volkswirtschaftlicher Bedeutungsind), wird das Bruttoinlandsproduktaufgrund der expansiven Sozialpolitikum drei Prozent höher liegen als ohneentsprechende Maßnahmen (wobei einDrittel des Effekts auf Maßnahmen derPartnerländer zurückzuführen ist). Ähn-liche Resultate gibt es für Dänemarkund Schweden. In Österreich erhöhensozialpolitische Konjunkturmaßnah-men das Bruttoinlandsprodukt im Jahr2012 um 1,5 Prozent, zu einem Drittelaufgrund ähnlicher Aktivitäten dereuropäischen Handelspartner.

Die AutorInnen, hinsichtlich der Aus-wirkungen sozialpolitischer Konjunktur-pakete auf die gesamtwirtschaftlicheEntwicklung, zusammenfassend: „Sozi-alpolitische Maßnahmen erhöhen dasverfügbare Einkommen der privatenHaushalte. Sie wirken deshalb übereinen Anstieg der Konsumnachfrage

auf das BIP. In einigen Ländern unter-stützen die Konjunkturpakete die Bin-nennachfrage in erheblichem Aus-maß (…) Im Durchschnitt des Euro-Raumes wird die Konsumnachfrage derprivaten Haushalte im Jahr 2012 um0,6 Prozent höher sein als ohne diesozialpolitischen Maßnahmen. In denskandinavischen Ländern beträgt derAnstieg 2,5 Prozent bis 3 Prozent, inÖsterreich 1,7 Prozent.“

Nicht gänzlich vernachlässigt werdensollten die beschäftigungspolitischenEffekte aus sozialpolitischen Konjunk-turpaketen, wobei die Wirkung beson-ders beschäftigungswirksamer Maß-nahmen, wie etwa die Ausweitung vonBeschäftigung im öffentlichen Dienstoder Kurzarbeit im Modell nicht vollerfasst werden konnten: Sozialpoliti-sche Maßnahmen in der EU schufen imJahr 2010 112.000 Arbeitsplätze, bis2012 soll sich dieser Wert auf 330.000erhöhen. 190.000 zusätzliche Beschäf-tigungsverhältnisse ergeben sich dabeiaufgrund von den Staaten selbstgesetzter Maßnahmen, 140.000 Jobsaus Sozialpaketen der Partnerländer.Angesichts der Höhe der eingesetztenMittel sind die erzielten Beschäfti-gungsverhältnisse allerdings ver-gleichsweise gering.

Die AutorInnen: „Dies hat mehrereGründe: Erstens bestehen in einerRezession in den Unternehmen hoheProduktivitätspolster, zusätzlicheBeschäftigung entsteht also mit erheb-licher Verzögerung. Zweitens ist dieUnsicherheit in einer tiefen Wirtschafts-krise besonders ausgeprägt, die Nach-frage nach dauerhaften Konsumgüternoder Investitionsgütern besondersniedrig. Drittens war der Anteil vonAbgabesenkungen an den gesamtenMaßnahmen besonders hoch. Steuer-senkungen weisen wegen der relativhohen marginalen Sparleistung derBegünstigten (die in der Krise sogarnoch gestiegen ist) geringe Nachfrage-wirksamkeit und verhaltene Beschäfti-gungswirkungen auf.“

Nicht zuletzt aufgrund dieser Ergeb-nisse verorten die AutorInnen aucheinen „Reformbedarf“ bezüglich desEinsatzes diskretionärer Sozialpolitik –also einer Sozialpolitik zur Erreichungkonjunktur- beziehungsweise stabili-tätspolitischer Ziele. Eine Möglichkeitwäre etwa, die „… Mittelvergabe inbestimmten Bereichen an die Entwick-

lung von relevanten ökonomischenIndikatoren …“ zu binden. So werdenzum Beispiel in Dänemark mit steigen-der Arbeitslosigkeit die Mittel für Trai-nings- und Qualifizierungsmaßnahmenautomatisch aufgestockt, eine ähnlicheVorgangsweise wäre für die AutorInnenauch hinsichtlich einer krisenbedingtenAnpassung von Höhe und Bezugsdauervon Arbeitslosengeld beziehungsweiseMindestsicherung denkbar.

Sehr zurückhaltend wird in dem Bei-trag auch die Wirkung von Steuersen-kungen auf die Konjunktur beurteilt, daerhoffte Nachfrage- und Beschäfti-gungswirkungen – vor allem in Phasender krisenbedingter Unsicherheit – sehrgering seien. Als besonders wirksamwerden dagegen „zielgerichtete“ Maß-nahmen, „… die direkt private Haushaltemit hoher Konsumneigung begünstigenoder mittels Förderungen die Beschäf-tigung in Krisenbranchen aufrechter-halten …“ bewertet.

Eines hat die Studie allerdings klargezeigt: die automatischen Stabilisa-toren des Sozialstaates sowie sozial-politische Konjunkturmaßnahmenhaben einen bedeutenden Beitrag zurStabilisierung der krisengeschütteltenVolkswirtschaft geleistet, über Staats-grenzen hinweg. Es waren die sozialenSicherungssysteme, welche die Schwereder Krise nicht voll durchschlagen lie-ßen. Umso wichtiger ist es, diesen Sozi-alstaat zu verteidigen. Gerade auchaus ökonomischen Gründen. Dass sichdas bis zu den MacherInnen dergeplanten EU-Wirtschaftsregierungnoch nicht herumgesprochen hat, istdabei kein Zufall, sondern ideologischwie interessenspolitisch begründet.

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Gellende Pfeifkonzerte gegen Budgetkürzungen im steirischen Sozialbereich. Die steirische Plattform25 heizt der Landesregierung ein.

BROT, NICHT BUTTER

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Magazin

rei lautstarke Pfeifkonzerte, Protestmär-sche und Menschenketten von vielenTausenden um Landtag und Burg brin-gen derzeit die steirische Landesregie-rung ins Schwitzen. Sie hatte es sichwohl leichter vorgestellt, 25 Prozentdes Sozialbudgets auf zwei Jahre zukürzen und so zu tun, als wäre das einelängst fällige Aufräumarbeit im „Sozi-aldschungel“ (Originalzitat SPÖ-LAbG).

„Der Speck muss weg“ war auch dieDevise des Landeshauptmanns Voves,assistiert von seiner SPÖ-Finanzlandes-rätin Vollath, die die Butter vom Brotstreichen muss.

Vollath: „Das unterliegt der politi-schen Beurteilung, wo wir die Butter zudick aufs Brot gestrichen haben, wo wirdiese Butter jetzt wieder herunterkrat-zen können!”, Voves: „Die Politik hatzugelassen, dass wir zu viel Speckangesetzt haben!“

Die geplanten Kürzungen sind nichtdie Butter, sondern das Brot selbst,

konterten die SprecherInnen YvonneSeidler und Gerhard Zückert der„Plattform25“. Mit ihnen und tausen-den Menschen, die sich jetzt fast imWochenrhythmus zu den Aufrufen derPlattform versammeln, hat die Landes-regierung nicht gerechnet.

Über 530 Organisationen sindbereits in der Plattform vereint. Bei derersten verregneten Demo am Sitz derLandesregierung stellte sich ein sicht-lich erschrockener Landeshauptmannund sein Vize noch mutig dem gellen-den Pfeifkonzert der Gewerkschafter-Innen und anderen Demonstrierenden.Es half jedoch kein beschwichtigenderVersuch zum Ausgleich sozialer Härte-fälle. Zum zweiten Protestmarsch wur-den seitens der Plattform 3000 erwar-tet, tatsächlich waren es über 10.000Menschen, die sich nicht damit abfin-den wollten, dass die steirische Landes-regierung Leistungen im Sozialbereichstreichen oder kürzen will, aber bei den

Einnahmen keinerlei Phantasie entwik-kelt. Die Plattform machte weiter mobilund rief zur dritten Protestaktion auf.Diesesmal machte eine Menschenketterund um den Landtag lautstark auf diedrastischen Verschlechterungen auf-merksam: •Ersatzlose Streichung von Leis-

tungen und existenzbedrohendeKürzungen der Mittel für Men-schen mit Behinderung,

•Einführung von Kindergarten-gebühren,

•Ersatzlose Streichung von Leis-tungen und existenzbedrohendeKürzungen der Mittel in der Kin-der- und Jugendarbeitund Jugendwohlfahrt,

•ExistenzbedrohendeKürzungen bei zahlrei-chen Sozial- und Kultur-initiativen,

•Wiedereinführung derRückzahlungspflicht

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(Regress) für Angehörige beiPflegekosten,

•Einführung des Regresses fürAngehörige von Empfänger-Innen der Mindestsicherung,

•Massive Verschlechterung beider Mindestsicherung gegenüberder Sozialhilfe,

•Verschlechterungen bei derWohnbeihilfe.Zur Menschenkette erwartet worden

waren 1500, tatsächlich kamen über5000 Menschen am Montag mittagzum Landtag. In der Alternativbudget-rede vor dem Landhaus wurden Vor-schläge gemacht, wie eingespart wer-den kann und wo die Einnahmenphan-tasie der Landesregierung ansetzensollte: Allein die Schotterabgabe zuerhöhen, übermäßige Wirtschaftsförde-rungen zu überdenken, Doppelgleisig-keiten bei Behörden abzuschaffen, ein-schließlich des unseligen Proporzsys-tems, den kostenaufwändigen Fuhr-park, teure Eventkulturen, wie dieumweltschädlichen Airpower-Veranstal-tungen, auf Bundesebene Vermögens-und Finanztransaktionsteuer einzufüh-ren und deren Einnahmen sozialwirk-sam zu verteilen, würde zur Folgehaben können, dass das Sozialbudgetkeine Einschnitte erleiden muss.

Für neue Einnahmen und andereErhöhungen sprachen sich auf derArbeiterkammer-Vollversammlung auchsozialdemokratische Gewerkschafter-Innen aus. Sie sitzen jedoch in derKlemme: Parteilich gebunden, ihren

KollegInnen am Arbeitsplatz aber alsAK-RätInnen und BetriebsrätInnen inder Pflicht. Die steirischen sozialdemo-kratischen AK- und ÖGB-Präsidentenversuchen den Tanz auf dem Vulkan,indem sie auf Distanz gehen zu ihrenSPÖ-ParteikollegInnen in der Landes-regierung. Aber die Zwangslage wirdnoch enger: Für den Vorsitzenden derFraktion Sozialdemokratischer Gewerk-schafter in der AK ist es besonderspikant, gleichzeitig Betriebsratsvorsit-zender einer Einrichtung für behinderteMenschen zu sein und als SPÖ-Land-tagsabgeordneter dem Budget zustim-men zu (müssen?). Da sind die schlaf-losen Nächte vorprogrammiert. Diesebeklagen auch der Soziallandesrat unddie Finanzlandesrätin, beide aus demLager der SozialdemokratInnen. Undder Show-down geht weiter: Der steiri-sche ÖGB-Präsident Schachner hat mitseinem ÖAAB-Vize dem SteirischenRegierungsduo Voves/Schützenhöferein Forderungspaket übergeben, dasjedoch nicht zu irgendeinerÄnderung der Regierungs-vorhaben führte.

Nun ist der ÖGB-Chefsauer: „Die können sichfesthalten“, ist seine Dro-hung für die am 26. Aprilangesetzte ÖGB-Demons-tration. Vorerst unge-wohnte Schritte derÖGB-GewerkschafterIn-nen. Offenbar angetrie-ben durch viele lang

gediente GenossInnen, die „ihrer“ SPÖdie Brocken hinwerfen, weil sie Kür-zungen bei denen vornehmen, die sichnicht wehren können. Auch Leiter vongroßen Einrichtungen im Behinderten-bereich legen sich quer, ihre Protestewären aber ohne die Tausenden aufden Straßen weniger hörbar.

Dumm für die Landesregierung, dasssich nun die steirische Presselandschaftdreht. Kein Heruntermachen der Pro-testierenden, sondern sachliche biswohlwollende Berichterstattung, auchim ORF-Landesfernsehen. Die Beispieletausender Betroffener, denen existen-zielle Leistungen gekürzt oder gestri-chen werden und die Drohung vielerhunderter Stellenstreichungen zeigenWirkung. Ein Ende der Proteste istnicht absehbar.

Informationen: www.Plattform25.at

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tellen wir uns vor – nur so, einfach zumSpass – wir wären in einem Land, woes freie Gewerkschaften gibt. Stellenwir uns ebenfalls vor, diese Gewerk-schaften hätten vor einigen Jahrzehn-ten eine schwerwiegende historischeErfahrung gemacht, die sie dazubrachte, sich zu schwören, sich nichtmehr gegenseitig (partei-)politisch aus-spielen zu lassen, sondern gemeinsam– über so manche ideologische Grenzehinweg – nach bestem Wissen undGewissen die Interessen der Arbeitneh-merInnen zu vertreten.

Stellen wir uns ebenfalls vor, stellenwir uns vor, diese Gewerkschaftenhätte vor fünf bis sechs Jahren einSkandal heimgesucht, der zu einer gro-ßen Vertrauenskrise und dramatischenMitgliederverlusten führte. Aber stellenwir uns ebenfalls auch vor, dieseGewerkschaften wären so lernfähigund -willig gewesen, sich der Kritik zustellen und einem Reformprozess zuunterziehen. Und gehen wir einmaldavon aus, die Analyse hätte dazugeführt, dass in den Leitsätzen derDachorganisation dieser Gewerkschaf-ten verankert worden wäre: „WirGewerkschafterInnen sind politischdenkende und überparteilich han-

delnde Menschen. Wir entwickeln dieinnerorganisatorische Demokratie stän-dig weiter. Um der Vielfalt der Interes-sen der Menschen in unserer Organisa-tion Rechnung zu tragen, fördern wireine offene und ehrliche Diskussionund Kommunikation. Wir haben denAuftrag, in allen Gremien alles zu hin-terfragen“ (Statuten des Österreichi-schen Gewerkschaftsbundes)

Stellen wir uns vor, die Zeit heilt alleWunden, Gras wächst über (fast) allesund die genannten Gewerkschaftentun wieder, was sie über Jahrzehntegut gelernt haben und daher am bes-ten können: ganz fest zusammenrücken– jede für sich natürlich – die Reihenmöglichst dicht schliessen, nach aus-sen eine möglichst glatte, homogeneOberfläche bilden. Und natürlich besteKontakte pflegen zu den politischenParteien … – naja, wir wollen’s ja nichtgleich übertreiben: zu einer politischenPartei. Die Kontakte sind so gut, dassmensch auch nicht scheut, als Manda-tarIn dieser politischen Partei quasi dieGewerkschaften im Parlament und denLandtagen zu vertreten. Und so wardalles gut, Wohlstand, Friede und Freu-de brach über die ArbeitnehmerInnenherein und alle lebten glücklich undzufrieden bis an ihr Ende …

Nein? Doch nicht? Es begab sich, dawollte eine oder auch mehrere in eineroder auch der anderen dieser Gewerk-schaften arbeiten. „Ich bin überzeugtvon dieser Organisation, ich will meinBestes dazu beitragen, dass sie starkund erfolgreich die Interessen derArbeitnehmerInnen vertritt. Aber dieseeine Partei, von der bin ich nicht soüberzeugt, die ist nicht meine …“. „Aberdiese eine Partei, die nicht deine ist, ist

Klaudia Paihaist Bundessprecherinder AUGE/UG undMitglied desKoordinations-ausschusses der UG.

Sag mir, wo die kritischen GewerkschafterInnen sind. Von Klaudia Paiha.

SEINESGLEICHENGESCHIEHT

August 2007: Abriss des ÖGB-Hauses in der WienerWipplingerstrasse

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die von unserem obersten Gewerk-schaftschef und er liebt sie so sehr,dass er sie im Parlament vertritt. Undbist du nicht für sie, so bist du gegenihn und kannst hier nicht arbeiten.Was du weißt und kannst ist tatsäch-lich genau das, was wir brauchen undfür richtig halten. Aber leider: wichtigerist für uns, dass du dich jener Gruppeanschließt, die diese eine Partei unter-stützt …“. Gras ist gewachsen über dasErgebnis einer Mitgliederbefragung, inwelcher 80 Prozent, konkret: 46.662Personen, angaben, die „Stärkung derÜberparteilichkeit“ sei ihnen wichtig(Ergebnisse der ÖGB-Mitgliederbefra-gung 2006).

„Um der Vielfalt der Interessen derMenschen in unserer OrganisationRechnung zu tragen, fördern wir eineoffene und ehrliche Diskussion undKommunikation“ – so ward’s beschlos-sen und niedergeschrieben, Schwarzauf Weiß, auf geduldigem Papier …

Diesem Papier entsprungen, in Wortegeformt, offen und ehrlich kommuni-ziert, führt so manche Diskussion indiesem Land in diesen Gewerkschaftenauch weit – oft bis in die Chefetagenund meist zu Konsequenzen. In denChefetagen wird dann gedreht undgewendet, Gesagtes als „unerhört“,Gehörtes als „unsagbar“, die Kommuni-katorInnen, offen und ehrlich, als

„untragbar“ empfunden, „unserschöner, gemeinsamer Weg – erbekommt Unebenheiten,Abzweigungen, Parallelverläufe,… wie schaut denn das aus, eskann nur einen Weg geben undwelcher das ist, da lassen wiruns nix dreinreden …“. Die Kon-sequenzen reichen von Ächtungüber Rufmord bis zur Einschrän-kung beziehungsweise garBeendigung der Zusammenar-beit – schlimm für BetriebsrätIn-nen und FunktionärInnen, nochschlimmer für Beschäftigte derGewerkschaften. Wenig offenund wenig ehrlich wird dannkonstruiert: von „betrieblichenUmstrukturierungen“ ist danndie Rede, wenn eine versetztoder gar gekündigt wird, oderplötzlich ist diese Person „ehschon immer unmöglich“ gewe-sen, „unfreundlich“, „inkompe-tent“, „schwierig“, … – die Listeließe sich beliebig verlängern.Eigenartig nur, dass dieseUmstrukturierungen oder Eigen-heiten offenbar ganz plötzlichund ziemlich unmittelbar nacheiner „offenen und ehrlichenDiskussion, Kommunikation“auftreten, nachdem jahrelangkeine Rede davon war … Oder,wie unlängst geschehen – nacheinem politischen Outing, sichnicht der Mehrheitsfraktionzugehörig zu fühlen. Das wirddoch nichts mit einem Bedürfnisnach „Sortenreinheit“ (O-TonBetriebsrat Mehrheitsfraktion)beziehungsweise „sofort trennenvon kritischen oder der falschen

Fraktion zugehörigen Leuten“ (kolpor-tierter Ausspruch aus einer gewerk-schaftlichen Chefetage) zu tun haben?Sicher nicht, denn „wir Gewerkschafter-Innen sind politisch denkende undüberparteilich handelnde Menschen.Wir sind beispielgebend und zeigenauch durch Aktionismus eine soziale,die Gleichstellung der Frauen förderndesowie multikulturelle Haltung. Wir ver-treten in Wort und Tat konsequent dieMitgliederinteressen“ (ÖGB-Statuten,S. 6), ist doch einer der Leitsätze, nachwelchen diese Gewerkschaften leben.

Oh nein, ebensowenig wie die –sagen wir mal – reduzierte gewerk-schaftliche Unterstützungsleistung anBetriebsrätInnen, die der falschen/garkeiner Fraktion angehören oder zumwiederholten mal durch kritisches Hin-terfragen oder Anmerkungen aufgefal-len sind. Da ist es auch purer Zufall,wenn diese – uuups – aus den Gre-mien rausfallen …

Nein, ich bin froh, dass das alles nurFiktion ist. Sonst müsst’ ich mir über-legen, ob ich so geduldig sein kann,wie das Papier, auf dem geschriebensteht: „Der ÖGB ist eine unabhängigeGewerkschaftsbewegung und offen füralle, die sich mit den Statuten des ÖGBidentifizieren können. Der Überpartei-lichkeit des ÖGB kommt eine beson-dere Bedeutung zu, um allen Men-schen den Zugang zum ÖGB zu öffnenund die Politik des ÖGB mitzugestalten(…) Der ÖGB will eine pluralistischeGesellschaft, in der die Arbeitnehmer-Innen einen besonderen Stellenwerthaben, in der Friede, soziale Gerechtig-keit sowie Chancengerechtigkeit undGleichbehandlung der Geschlechterherrschen und in der der Sorge umeine gesunde Umwelt grosses Augen-merk geschenkt wird“. (Leitbild desÖGB, Statuten, S. 5)

Quellenhinweise: ÖGB-Statuten und Mitglie-derbefragung im Internet zu finden unter„Downloads: ÖGB-Kurzbericht und Anträge;Reformklausur und Mitgliederbefragung“auf www.oegb.at den Suchbegriffen„Downloads“ und „Mitgliederbefragung“.

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Der Banken-Kollektivvertrag für 2011 wurde im März abgeschlossen.

Von Fritz Schiller.

UNZUREICHEND

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1. April wurden die Gehälter der Bank-angestellten um durchschnittlich2,3 Prozent erhöht. Nur wenige derDienstrechtsforderungen konnten vonden ArbeitnehmerverhandlerInnendurchgesetzt werden. Fast zweihundert,während der Arbeitszeit schon einberu-fene Betriebsversammlungen, wurdenabgesagt, um einen unbefriedigendenAbschluss zu erreichen. Wiederumwurde eine Chance vertan, die poten-tielle Stärke der ArbeitnehmerInneneinzusetzen, um die seit Jahren zurück-weichende Gewerkschaftsseite zumin-dest zu stabilisieren.

Am 12. März um 3 Uhr früh war dieEinigung perfekt. Die Verhandlungs-teams der Arbeitgeber und das derGPA-djp hatten sich auf einen Kollek-tivvertragsabschluss für den Finance-bereich geeinigt. Im Durchschnitt überalle betroffenen Gehaltsschemata wer-den die Gehälter 2,3 Prozent, die Lehr-lingsentschädigungen um 2,58 Prozentsowie die Kinderzulage um 2,3 Prozenterhöht. Für letztere wurde ein Auslau-fen der Regelung bis zum 26. Lebens-jahr in drei Jahren vereinbart. Die Bun-desregierung hatte jüngst im Zuge derBudgetsanierung die Herabsetzung derFamilienbeihilfe vom 26. auf das24. Lebensjahr beschlossen. Die Kin-derzulage im Financebereich war bis-

her an diese Regelung gebunden.Diese beschlossene Regelung bedeutetin Hinkunft eine Verschlechterunggegenüber der aktuell geltenden.

Außerdem wurde die Einführungeines Papamonats, Maßnahmen zurGesundheitsförderung und zur Verrin-gerung des Arbeitsdrucks sowie „Fair-ness-Klauseln“ für All-In Verträge inden Kollektivverträgen vereinbart. DerKollektivvertrag hat eine Laufzeit vonzwölf Monaten.

Dieser Kollektivvertragsabschluss istfür zirka 80.000 ArbeitnehmerInnenbei Banken, Sparkassen, Raiffeisen-,Landeshypotheken- und Volksbankensowie Kreditkartengesellschaften gül-tig. Für jeden dieser Bereiche gibt eseinen Kollektivvertrag, ein Gehalts-schema sowie ein Dienstrecht.

Die Ertragslage der österreichischenBanken im Jahr 2010 war ausgespro-chen gut. Der Jahresüberschuss insge-samt für alle Banken erhöhte sich von43 Millionen (2009) auf 4231 Millio-nen Euro (erwartet) . Freilich war derschlechte Jahresabschluss für 2009(quasi eine schwarze Null) Ergebnis derAuswirkungen der globalen Finanz-marktkrise. Vergleicht man jedoch denJahresüberschuss aus 2010 mit denje-nigen seit 2000, ist es das zweitbesteErgebnis nach 2007 mit 4787 Millio-nen Euro. Auch die Cost-Income-Ratio(Betriebserträge, -aufwendungen) hatsich im letzten Jahr deutlich auf 58,6Prozent (2009: 62,1 Prozent) verbes-sert. Setzt man das Betriebsergebnis zuden MitarbeiterInnen (in Vollzeitäqui-valenten) in Beziehung, zeigt sich fürletztes Jahr ebenfalls eine deutlicheVerbesserung. 2010 wurde ein Stei-gerung von 19,9 Prozent gegenüberminus 24,5 Prozent (2009) registriert.Der Durchschnitt über die letzten zehn

Jahre beträgt 6,2 Prozent. Auch alleanderen Kennzahlen zeigen eine deut-lich verbesserte Ertragslage der öster-reichischen Banken für 2010.

WIE KAM ES ZUM ABSCHLUSS? Anfang Jänner wurden die Forderun-

gen des Verhandlungsteams der GPA-djp übermittelt. Neben der Forderungnach einer realen, nachhaltig wirksa-men Erhöhung aller Schemagehälterwurde eine Reihe von (Dienstrechts)-Forderungen erhoben.

Zunächst wurde die Beibehaltungdes Anspruches der Kinderzulage biszum 26. Lebensjahr eingemahnt. Unterdem Überschrift „Arbeitszeit“ forderteder Brief eine Arbeitszeitverkürzungauf 38 Stunden bei vollem Lohnaus-gleich, die Sicherstellung der korrektenBezahlung der geleisteten Arbeit durchArbeitszeitaudits (zum Beispiel Mehr-arbeitszuschläge, Überstundenzuschlä-ge, Nachbezahlung bei Übererfüllungvon Überstundenpauschalen und All-inVerträgen) sowie das Recht auf Einhal-tung der vereinbarten Arbeitsverpflich-tung und einen Rechtsanspruch beiregelmäßiger Überschreitung auf ent-sprechende Anpassung des Arbeits-zeitfaktors.

Unter dem Titel „Gesundheit undArbeitsdruck“ wurden ein Gesundheits-euro, ein betriebliches Eingliederungs-management, Mindeststandards fürBetriebsordinationen, regelmäßig stan-dardisierte Umfragen und ein betriebli-cher Gesundheitsausschuss gefordert.Außerdem standen noch Maßnahmenzur Verringerung des Arbeitsdrucks,Erhöhung der Regenerationsphasensowie der Abschluss einer Charta fürden verantwortungsvollen Vertrieb von

Fritz Schillerist Ökonom,Betriebsrats-vorsitzender und AUGE/UG-Vertreter im Bundesvorstand der Gewerkschaft der Privatangestellten.

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Finanzprodukten auf der Liste derArbeitnehmerverhandlerInnen.

Lehrlingen sollten die Förderungs-prämie direkt ausbezahlt werden, dieLehrzeit auf alle dienstzeitabhängigenAnsprüchen angerechnet werden sowiekeine Lehrlingsverträge für Absolvent-Innen von kaufmännischen berufsbil-denden Schulen angeboten werden.

Der Brief der GPA-djp fordertezudem die Anrechnung der gesetzli-chen Karenz auf alle dienstzeitabhän-gigen Ansprüche, ein Kollektivvertrags-Screening auf unmittelbare, mittelbareDiskriminierung sowie das Recht aufein Papamonat und die Förderung derVäterkarenz.

DIE VERHANDLUNGENVon diesen Forderungen blieben

letztendlich nur sehr wenige übrig. Einabsolutes „no go“ (so die Terminologieder ArbeitgeberInnen-Seite) gab esschon in der zweiten Verhandlungs-runde für die Forderung nach Arbeits-zeitverkürzung auf 38 Stunden.

Die VerhandlerInnen der Arbeitneh-merInnenseite unter der Führung desZentralbetriebsratsobmanns der BankAustria, Wolfgang Heinzl, benötigtenfünf Verhandlungsrunden, um einnicht zufriedenstellendes Ergebnis zuerreichen. Nach der zweiten Verhand-lungsrunde am 15. Feber wurden inden Betrieben Fragebögen verteilt, indenen abgefragt wurde, ob das Arbeit-geberangebot einer Erhöhung derGehälter um 0,85 Prozent plus 16 Euroakzeptabel sei. Rund 95Prozent der über fünf-zehntausend Rückmel-dungen lehnten diesesAnbot ab.

Nach der gescheitertendritten Verhandlungs-runde (3. März), bei derdie Arbeitgeber ihr Ange-bot auf ein Prozent plus20 Euro erhöht hatten,wurden österreichweitam 2. und 3. MärzBetriebsrätekonferenzenveranstaltet, um die Ver-handlungsposition derGewerkschaft zu stärken.Gleichzeitig wurden dieVorbereitungen fürBetriebsversammlungenwährend der Dienstzeit

für ein Scheitern des vierten Terminsbeschlossen.

In der vierten Verhandlungsrundeam 8. März besserte die Arbeitgeber-seite ihr Angebot auf 1,7 Prozent plus8 Euro auf, was einer durchschnittli-chen Erhöhung der Bankengehälter um2,06 Prozent entsprach. Dem gegen-über stand die Forderung der Arbeit-nehmerInnenseite von 2,2 Prozent plus10 Euro (durchschnittlich 2,65 Prozentder Bankengehälter). Nach dem für dieGewerkschaftsseite ungenügendenAngebot wurden die Verhandlungabgebrochen. Ein letzter, fünfter Ver-handlungstermin wurde für den11. März vereinbart.

Mittlerweile waren fast 200 Betriebs-versammlungen während der Arbeits-zeit für den 15. bis 17. März einberufenworden. Selbst in bislang von gewerk-schaftlichen Aktivitäten „unberührten“Betrieben waren die BetriebsrätInnenbereit gewesen, die Betriebsversamm-lungen einzuberufen. Schließlich wurdein den frühen Morgenstunden des12. März das vorliegende Ergebnisunterschrieben.

BEWERTUNG DER HÖHE DESGEHALTSABSCHLUSSESZunächst gilt es, die Form der Erhö-

hung näher zu betrachten. Die Sche-magehälter wurden mit 1,9 Prozentplus 9 Euro erhöht. Bei dieser Form derGehaltssteigerungen steigen die niedri-geren Gehälter stärker als die höheren.

Im Vergleich zu einer linearen Steige-rung ist sie somit zu bevorzugen.

Bei der Bewertung der Erhöhung desGehaltsabschlusses können drei Krite-rien unterschieden werden: •erstens die absolute Höhe im Ver-gleich zu den Anforderungen der pro-duktivitätsorientierten Lohnpolitik,•zweitens der Vergleich mit derSteigerung der Verbraucherpreiseund schließlich •drittens der relative Vergleich zuanderen Branchen.

Der Maßstab für die produktivitäts-orientierte und somit solidarischeLohnpolitik bestimmt sich aus der Ver-änderung der Verbraucherpreise (natio-nale Berechnung) plus der Verände-rung der gesamtwirtschaftlichen Pro-duktivität. Die Gewerkschaften ziehenaus gutem Grund die bereits bekann-ten Veränderungen aus dem Vorjahrheran. Für 2011 beträgt der Vertei-lungsneutrale Spielraum 3,2 Prozent(VPI 2010: 1,9 Prozent, Produktivität:1,3 Prozent). 2010 hatte er, bedingtdurch die negative Produktivitätsstei-gerung im Zuge der weltweiten Finanz-marktkrise, minus 1,8 Prozent betragen(siehe Abbildung 1: „Verteilungsneu-traler Spielraum“). Der Durchschnittüber den Zeitraum 2001 bis 2011beträgt 2,9 Prozent. Das bedeutet, die-ser Wert hätte im Durchschnitt erreichtwerden sollen, damit die Verteilungs-gerechtigkeit zwischen ArbeitgeberIn-nen und ArbeitnehmerInnen aufrechtgewesen wäre.

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In der Abbildung 2(„KV-Erhöhung, Vertei-lungsbilanz, reale Gehalts-erhöhung“) sind die kol-lektivvertraglichen Erhö-hung im Bankensektor,die Verteilungsbilanzsowie die realen Gehalts-erhöhungen von 2001 bis2011 dargestellt. Die Ver-teilungsbilanz setzt sichaus dem Verteilungsneu-tralen Spielraum (sieheAbbildung 1) minus dererzielten KV-Erhöhungenzusammen. Bis auf 2001und 2010 war sie für denBankensektor negativ. ImDurchschnitt dieserbetrachteten Periode istdie Verteilungsbilanz mitinsgesamt 0,4 Prozentp.a. negativ. Der erzielteAbschluss 2011 wird, ebenso wie inden meisten vergangenen Jahren,gemessen an der produktivitätsorien-tierten Gehaltspolitik mit minus0,9 Prozent nicht erfolgreich sein.

Die reale Gehaltserhöhung (sieheAbbildung 2) im Bankensektor ergibtfür 2011 plus 0,4 Prozent, für 2010hatte es plus 0,9 Prozent ergeben. ImDurchschnitt von 2001 bis 2011erreichten die Bankangestellten einereale Gehaltserhöhung von 0,5 Pro-zent. Lediglich 2002 hatte es für dieBankangestellten einen realen Gehalts-verlust gegeben. Reale Gehaltserhö-hungen haben jedoch den Nachteil,dass die Produktivitätssteigerungennicht berücksichtigt werden.

Schließlich ist ein relativer Vergleichzwischen den Branchen relevant. Die

Auswahl der in Tabelle 1 berücksichti-gen Branchen erfolgten zum einennach einer relativen zeitlichen Nähedes Inkrafttretens, zum anderen nachder Anzahl den betroffenen Beschäftig-ten. Der wichtigste Lohn- und Gehalts-abschluss (die Lohnführerschaft), wirdin der Metallindustrie und Bergbauverhandelt. Sie ist der Orientierungs-punkt für alle weiteren Abschlüsse. DieGewerkschaften ProGe und GPA-djpbenötigten für diesen Abschluss dreiVerhandlungsrunden und 413 Betriebs-versammlungen.

Die niedrigsten Steigerungen in die-sem Sample erreichten die Beschäftig-ten in der Sozialversicherung mit1,6 Prozent, d.h., die höchsten diejeni-gen der Holz- und Sägeindustrie mit2,9 Prozent der KV-Löhne und Gehälter.

Die Spanne ist innerhalb des Betrach-tungszeitraums von sechs Monaten mit1,3 Prozentpunkten sehr hoch.

Die durchschnittliche Erhöhung die-ses ausgewählten Samples beträgt2,3 Prozent, exakt genauso wie dieje-nige des Bankenbereichs. Gemessen ander relativen Höhe kann also der Ban-kenabschluss als durchschnittlichbezeichnet werden, und nicht mehr.

Abschließend kann somit geurteiltwerden, dass, neben den nur sehrwenigen dienstrechtlichen Erfolgen dieErhöhung der Gehälter für dieses Jahrals absolut unzureichend zu bezeich-nen ist.

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Im Dezember 2010 hat die Arbeiterkammer erstmals die Ergebnisse des AK-Unternehmensmonitors für die Jahre 2005 bis 2009 veröffentlicht.

Der Monitor nimmt dabei die alljährliche Performance der heimischen Unternehmen sowieeinzelne Sektoren unter die Lupe. Von Markus Koza.

WELCHE KRISE?

Dank einer umfangreichen Datenbank,die die Bilanzen von jährlich bis zu1500 mittelgroßen und großen Unter-nehmen umfasst (zum Beispiel Daten-sample 2005: 1317 Unternehmen mit718.175 Beschäftigten – d.s. 21,7 Pro-zent der unselbständig Beschäftigten inÖsterreich, 2007: 1499 Unternehmen,778,278 Beschäftigte, 22,6 Prozent2009: 796 Unternehmen, 520.637Beschäftigte, 14,7 Prozent, viele Jahres-abschlüsse zum Zeitpunkt der Untersu-chung noch nicht veröffentlicht), habendie Untersuchungsergebnisse einehohe Aussagekraft.

Die Arbeiterkammer analysiert dieUnternehmen, Branchen hinsichtlichihrer Ertragslage, der betrieblichenVerteilungspolitik, der finanziellenStabilität, der Zukunft und der gesell-schaftlichen Verantwortung (unteranderem Steuerleistung der Unterneh-men und Sektoren).

Neben der Entwicklung der Unter-nehmen und Branchen von 2005 bis2009 steht vor allem die Entwicklungder Unternehmen im Krisenjahr 2009im Zentrum: Welche Spuren hat diegrößte Finanz- und Wirtschaftskrise der

Nachkriegszeit bei den österreichischenUnternehmen hinterlassen?

ERTRAGSLAGE: EIGENTÜMERDURFTEN ERFREUT SEINDie Ertragslage der österreichischen

Unternehmen präsentierte sich imKrisenjahr 2009 überraschend gut.Die Gewinnspanne, die EBIT-Quote(ordentliches Betriebsergebnis in Pro-zent der Betriebsleistung) hat sich seitdem betrachteten Zeitraum gut entwi-ckelt (2005: 4,2 Prozent, 2006: 4,8,2007: 5,2, 2008: 4,3) und lag auch imJahr 2009 nach der Krise noch immerbei guten 3,8 Prozent (d.h., dass denUnternehmen bei einem Umsatz von100 Euro fast 4 Euro Gewinn bleiben).Und das trotz schwieriger wirtschaftli-cher Rahmenbedingungen.

Erfreuen durften sich ob der günsti-gen Ertragslage der Unternehmen vorallem deren EigentümerInnen. DieUntersuchung der Arbeiterkammerzeigt, dass in den letzten Jahren sehrlukrative Eigenkapitalrentabilitäten(EK-R, Jahresüberschüsse im Verhältniszum durchschnittlich eingesetzten

Kapital, quasi die „Verzinsung“ des ein-gesetzten Kapitals) erzielt wurden. Solag im Jahr 2005 die EK-R etwa bei14,8 Prozent, um bis 2007 einen Spit-zenwert von 15,2 Prozent zu erzielen.Zum Vergleich: die „Sekundärmarktren-dite“ (SMR, das ist die durchschnittli-che Rendite aller im Umlauf befindli-chen, inländischen festverzinslichenWertpapiere erster Bonität, also vonAnleihen, vor allem Staatsanleihen) lag2005 bei 3 Prozent, 2007 bei 4,2 Pro-zent. Die Eigenkapitalrentabilität imKrisenjahr 2009 lag immer noch bei9,6 Prozent – und damit um 6,3 Pro-zentpunkte über der Sekundärmarkt-rendite (3,3 Prozent).

BETRIEBLICHEVERTEILUNGSPOLITIKKrise hin, Krise her: wer hat, dem

wird gegeben, wer nicht hat, dem haltnicht. Die Ausschüttungen der heimi-schen Unternehmen sind im Verhältniszu Löhnen und Gehältern massivgestiegen: 2005 betrugen die Dividen-

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den 26,7 Prozent der Bruttolöhne und -gehälter, um bis 2008 auf den Rekord-wert von 40,1 Prozent zu steigen.

Wer nun meint, dass die Krise in ent-sprechend deutlich niedrigeren Aus-schüttungen ihren Niederschlag findenwürde, irrt. Im Jahr 2009 lag der Anteilder Ausschüttungen gemessen anLöhnen, Gehältern bei 39,7 Prozent.Während den Beschäftigten gleichzei-tig Kurzarbeit und Lohnzurückhaltungverordnet wurde, kamen die Aktionäreum die Krise ganz offensichtlich wun-derbar herum.

Auch an den Produktivitätsfortschrit-ten beziehungsweise der steigendenWertschöpfung haben die Arbeitneh-merInnen nicht beziehungsweise kaumpartizipiert. Im Gegenteil: Von 2005bis 2006 ist der Personalaufwand ander Wertschöpfung pro Kopf von 61,2auf 60 Prozent zurückgegangen. Derleichte Zuwachs auf 62,2 Prozent biszum Jahr 2009 ist auf den Rückgangder Wertschöpfung im Rahmen derKrise zurückzuführen, nicht auf erfolg-reiche Verteilungskämpfe.

HOHE LIQUIDITÄT,HOHE EIGENKAPITALQUOTEDie Liquidität – das Verhältnis von

kurzfristigem Umlaufvermögen zu kurz-fristigem Fremdkapital, also die Zah-lungsfähigkeit der Betriebe – ist inÖsterreich mit 99,7 Prozent im Krisen-jahr 2009 überraschend hoch. Sie hatsich zwar seit 2006 (107,4 Prozent)etwas verschlechtert, liegt allerdingsauch am Höhepunkt der Krise nurknapp unter 100 Prozent.

Interessante Details: ein Viertel derUnternehmen weist einen geringerenLiquiditätsgrad als 93,3 Prozent auf,während die Hälfte der Unternehmenmit über 123,7 Prozent über eine guteLiquidität verfügt. Das „beste“ Viertelaller Unternehmen kann mit einerLiquidität von sogar 179,9 Prozentfällige Schulden jederzeit tilgen.

Noch besser als die Zahlungsfähig-keit stellt sich die Eigenkapitalquotedar (Eigenkapital in Prozent desGesamtkapitals. Hat für die Krisenfes-tigkeit des Unternehmens hohe Bedeu-tung, da mögliche Verluste vom Eigen-kapital aufgefangen werden müssen).Die Eigenkapitalquote lag die vergan-genen fünf Jahre immer über 40 Pro-zent (2006/2007 bei 45 Prozent) und

lag auch im Krisenjahr 2009 beiimmer noch guten 43 Prozent. Beigenauerer Betrachtung zeigt sich, dassein Viertel der untersuchten Unterneh-men eine Eigenkapitalquote von weni-ger als 23,6 Prozent vorweisen konnte,was nur einer mittelmäßigen Eigenka-pitalausstattung entspricht. Die Hälfteder Unternehmen liegt allerdings über40,6 Prozent, das beste Viertel über63,4 Prozent Eigenkapitalquote.

HOHE INVESTITIONS-BEREITSCHAFTDie Investitionsbereitschaft der

Unternehmen ist in den letzten Jahrenals zufriedenstellend zu bewerten, sodie Arbeiterkammer-ExpertInnen. DieInvestitionsneigung (Investitionen inSachanlagen im Verhältnis zu denAbschreibungen) lag 2005 bei 125,6Prozent, um bis 2007/2008 auf 156,5Prozent zu steigen und 2009 auf 144,1Prozent zu fallen – allerdings immernoch über 2005 liegend. Das lässt denSchluss zu, dass die österreichischenUnternehmen durchaus Investitions-bereitschaft zeigen. Allerdings auch inFinanzanlagen: Machten die Investitio-nen in Sachanlagen 2005 121,9 Pro-zent der Finanzinvestitionen aus, sinddiese 2006 auf 89 Prozent zurückge-gangen. Dieser niedrige Wert deutetdarauf hin, dass sich Unternehmen pri-mär auf den Erwerb von Wertpapierenund Unternehmensbeteiligungen kon-zentriert haben, anstatt in die eigenenStandorte zu investieren, wie Produkti-onskapazitäten auszuweiten, neue,modernere oder auch umweltfreundli-chere Anlagen, Maschinen, Gebäudezu kaufen etc.

Mit der Wirtschaftskrise und denEinbrüchen an den Finanzmärktenhaben sich Sachanlagen gegenüberFinanzanlagen wieder stärker durch-gesetzt (2008, 149,9 Prozent Sach- imVerhältnis zu Finanzanlagen). Im Jahr2009 hat sich der Trend allerdingsschon wieder umgekehrt, das Verhält-nis ist auf 131 Prozent gefallen.

GESELLSCHAFTLICHEVERANTWORTUNG?Was den Beitrag der Unternehmen

zum Steueraufkommen – also jenemAufkommen, aus dem gesamtgesell-schaftliche Leistungen wie öffentliche

und soziale Infrastruktur, Bildungsein-richtungen, etc. finanziert werden –betrifft, ist Bescheidenheit ganz offen-sichtlich eine Tugend. An sich gilt jabei der Körperschaftssteuer ein ohne-hin niedriger Steuersatz von 25 Pro-zent. Von 2005 bis 2009 erreichte der„effektive Steuersatz“, also das Verhält-nis der bezahlten Ertragssteuern zumEGT („Ergebnis der gewöhnlichenGeschäftstätigkeit“, wobei Ertragssteu-ern nur abzuführen sind, wenn das EGTpositiv ist, also ein Gewinn vorliegt)allerdings nicht einmal 20 Prozent(2005: 19,5 Prozent, 2007: 17,8, 2008:19,7). Im Jahr 2009 lag mit 17,5 Pro-zent die geringste Steuerleistung vor.„Gemessen am effektiven Steuersatzweisen österreichische Unternehmen –auch im internationalen Vergleich –eine niedrige Steuerleistung auf.

Rückläufig sind nicht nur die Steuer-beiträge, sondern auch die Beschäfti-gungszahlen: Obwohl die Konjunktur-daten 2006 bis 2008 deutlich nachoben wiesen, stiegen die Beschäftig-tenzahlen bei den untersuchten Unter-nehmen nicht entsprechend (2006:plus 1,1 Prozent, 2007: minus 0,2 Pro-zent, 2008: plus 1,6 Prozent). Beson-ders drastisch wirkte sich die Finanz-und Wirtschaftskrise auf die Beschäfti-gung aus: 2009 war im analysiertenUnternehmenssample ein Beschäfti-gungsrückgang von 2,5 Prozent zuverzeichnen. Diese Entwicklung istangesichts eines Wirtschaftseinbruchsvon beinahe minus vier Prozent eigent-lich nicht moderat.

Die Arbeiterkammer-ExpertInnendazu: „Kurzarbeit und die hohe Flexibi-lität der ArbeitnehmerInnen haben denBeschäftigungsrückgang weitgehendgedämpft. Weiter ist zu berücksichti-gen, dass sich die vorliegende Zahlen-reihe ausschließlich auf die Entwick-lung des Stammpersonals bezieht undZeitarbeiterInnen – aufgrund derDatenlage – nicht berücksichtigt wer-den konnten. Gerade diese Beschäfti-gungsgruppe war jedoch massiv vonKündigungen (v.a. Sachgütererzeu-gung) betroffen.“

BRANCHENERGEBNISSEZusammengefasste Branchenergeb-

nisse (sämtliche Ergebnisse Krisenjahr2009, in Klammer Vergleich zu Vorjahr,Bewertung nach Schulnotensystem aus

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Sicht der Arbeiterkammer: 1= sehr gut,2 = gut, 3 = befriedigend, 4 = genü-gend, 5 = Nicht genügend):

DienstleistungssektorUntersucht wurden 128 Unterneh-

men aus den Bereichen Hotel undGaststätten, Gütertransport, Personen-beförderung, Nachrichtenübertragung,Postdienste, Datenübertragung, Bera-tung, Reinigungsdienste, Personal-leasing, Entsorgung und Montagen,jedoch keine Non-Profit-Unternehmen •EBIT-Quote: 3,2 Prozent (plus 0,4Prozent), Arbeiterkammer-Note: 3•Eigenkapitalquote: 35,3 Prozent(minus 1,5 Prozent), Arbeiterkammer-Note: 2•Gewinnausschüttung in Prozent derLohn- und Gehaltssumme: 32,3 Pro-zent (plus 7,3 Prozent!), Arbeiterkam-mer-Note: 3•Effektiver Steuersatz: 12,5 Prozent(k.A.), Arbeiterkammer-Note: 5

Energieversorgungsunternehmenund StadtbetriebeDieser Sektor umfasst neben der

Energie und Wasserversorgung (Strom,Gas, Wärme und Wasser) auch denBereich der Stadtbetriebe (zum BeispielWiener Linien, Linz Linien, Graz AG),insgesamt 50 Unternehmen.•EBIT-Quote: 6,6 Prozent (plus 1,3Prozent), Arbeiterkammer-Note: 1•Eigenkapitalquote: 54,5 Prozent(minus 0,7 Prozent), Arbeiterkammer-Note: 1•Gewinnausschüttung in Prozent derLohn- und Gehaltssumme: 74,7 Prozent(!, k.A.), Arbeiterkammer-Note: 5•Effektiver Steuersatz: 20,5 Prozent(k.A.), Arbeiterkammer-Note: 3

HandelUmfasst sowohl Großhandel, als

auch Einzelhandel, vor allem die Berei-che Nahrung, Rohstoffe, Maschinen,Mineralöl, Pharmaartikel, Möbel, Kraft-fahrzeuge (nicht Energie- und Wasser-versorgung), insgesamt standen Datenvon 181 Unternehmen zur Verfügung.•EBIT-Quote: 1,7 Prozent (minus0,4 Prozent), Arbeiterkammer-Note: 4•Eigenkapitalquote: 37,1 Prozent(minus 1,8 Prozent), Arbeiterkammer-Note: 2•Gewinnausschüttung in Prozent derLohn- und Gehaltssumme: 23,7 Pro-zent (plus 3,3 Prozent), Arbeiterkam-mer-Note: 2•Effektiver Steuersatz: 21,5 Prozent(k.A.), Arbeiterkammer-Note: 3

SachgütererzeugungInsgesamt 437 Produktionsunterneh-

men in den Bereichen Nahrungs- undGenussmittel, Textil und Bekleidung,Holzbe- und -verarbeitung, Papier- undPapperzeugung, Druck und Verlag,Chemie und Kunststoff, Erde und Glas,Metallerzeugung und -bearbeitung,Elektroindustrie und Bauwesen.•EBIT-Quote: 4,8 Prozent (minus 0,7Prozent), Arbeiterkammer-Note: 2•Eigenkapitalquote: 43,6 Prozent(k.A.), Arbeiterkammer-Note: 1•Gewinnausschüttung in Prozent derLohn- und Gehaltssumme: 42,9 Pro-zent (k.A.), Arbeiterkammer-Note: 5•Effektiver Steuersatz: 16,8 Prozent(k.A.), Arbeiterkammer-Note: 4

RESÜMEE DERARBEITERKAMMER„(…) Die Ergebnisse des Unterneh-

mensmonitors für das Jahr 2009 zei-gen: Die Verteilungsschieflage hat sichin der Krise deutlich verfestigt. Mehrdenn je müssen jetzt die Unternehmenin die Verantwortung genommen wer-den und endlich einen gerechten Bei-trag leisten (…)“

Wobei Genügsamkeit von Seiten derArbeitnehmerInnen wohl nicht ange-bracht ist: schließlich geht es nicht nurum den Kuchen, den es zu verteilengilt, sondern vor allem auch um dieBäckerei, in der gebacken wird.

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Linktipp: AK-Unternehmensmonitor 2010www.arbeiterkammer.at/bilder/d136/Unternehmensmonitor2010.pdf

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Revolutionserklärung der Frauen Saudi-Arabiens.

SAUDI-WOMENREVOLUTION

S

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oziale Netze spielen eine immer größe-re Rolle, wenn es darum geht, gesell-schaftliche Veränderungen anzustoßen.Über Twitter haben viele saudi-arabi-sche Frauen unter „SaudiWomenRevo-lution“ ihrem Wunsch nach sozialerGerechtigkeit in ihrer Gesellschaft Aus-druck verliehen. Sie liefern Beispiele,erzählen von der Ungerechtigkeit, dersie ausgesetzt sind.

Die Medien haben zwar über dieTwitter-Diskussion berichtet, abernichts dafür getan, die Sache selbstvoranzutreiben. In der Hoffnung,Unterstützung für ihren Kampf gegengesellschaftlich legitimierten Sexismuszu erhalten, haben sie eine Revoluti-ons-Website*) eingerichtet. Die fol-gende Erklärung fasst die dort gesam-melten Forderungen zusammen. Siewird an Menschenrechtsorganisationenund MedienvertreterInnen gesendet.

ERSTENSFrauen können ihre Rechte nicht wahr-

nehmen, solange nicht das System dermännlichen Vormundschaft vollständigaus den Regeln und Gesetzen des saudi-arabischen Staates getilgt ist. Der männ-liche Vormund, der „Mahram“ kann derVater, Bruder, Ehemann oder sogar derSohn einer Frau sein.

Er verfügt über vielerlei Rechte, mitdenen er ihr Leben fast vollständig kon-trollieren kann. Das Königreich Saudi-Arabien sicherte der UN-Menschen-rechtsrat im Juni 2009 zu, die männlicheVormundschaft und staatlich legitimier-ten Sexismus zu beenden. Doch bisherblieben diese Versprechen unerfüllt.

Vor allem aus folgenden Gründen lei-den saudi-arabische Frauen unter dermännlichen Vormundschaft:•Saudische Frauen dürfen ohne dieErlaubnis ihres Vormunds weder arbei-ten noch sich für einen Stelle bewerben.•Saudische Frauen dürfen ohne Beglei-tung ihres Mahram nicht verreisen, essei denn, sie haben seine schriftlicheErlaubnis dazu. Das saudi-arabischeInnenministerium gestattet Frauen über45 zwar Reisefreiheit, jedoch stellte die

Organisation „Human Rights Watch“im April 2008 fest, dass Flughafen-beamte diese trotzdem an der Ausreisehinderten.•Saudische Frauen dürfen ohne dieErlaubnis ihres Vormunds keine Univer-sität besuchen und keine Ausbildungabsolvieren. Sie dürfen das Land nichtverlassen, um im Ausland zu studieren,selbst dann nicht, wenn sie ein Stipen-dium für das betreffende Land haben.Zudem stehen saudischen Frauen weni-ger Studienfächer zur Verfügung alsMännern, obwohl sie, wie Statistikenbeweisen, die besseren Abschlüssemachen als Männer.•Saudische Frauen haben kein Rechtohne die Einwilligung des Vormunds zuheiraten oder sich scheiden zu lassen.Verschiedene Beispiele zeigen, wie sehrFrauen besonders unter diesem Aspektdes Vormundschaftssystems leiden. Inihrem Bericht von 2010 nennt „HumanRights Watch“ zwei Fälle in Braida undRiad, in denen Männer ihre Schwesterngleich fünf mal hintereinander verheira-tet und wieder geschieden haben, umdas Brautgeld zu bekommen.•Saudische Frauen haben kein Rechtdazu, ohne die Erlaubnis ihres VormundsFormulare und amtliche Dokumente aus-zufüllen und zu unterzeichnen. Auch dür-fen sie nicht ohne ihren Vormund anGerichtsverhandlungen teilnehmen.Human Rights Watch berichtete 2010von einer Frau, die mit 300 Peitschenhie-ben und einem halben Jahr Gefängnisdafür bestraft wurde, weil sie ohne Vor-mund vor Gericht erschien. Das Justizmi-nisterium versprach im Februar 2010,Frauen zu gestatten, als Anwältinnen zu

*) www.facebook.com/pages/Saudi-Women-Revolution/188278964539309

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arbeiten, doch blieb dieses Versprechenbisher unerfüllt.•Saudische Frauen können ohne dieZustimmung ihres Vormunds keine medi-zinische Behandlung in Anspruch neh-men. Viele Frauen erzählen von Schäden,die sie dadurch erlitten haben. Im Juli2009 berichtete „Human Rights Watch“,dass saudi-arabische Frauen sogar fürdas Betreten oder Verlassen eines Kran-kenhauses einen Vormund benötigen.Nach einer Krankenhausbehandlungmuss eine Frau so lange in der Klinik blei-ben, bis ihr Mahram sie abholt.•Saudische Frauen können ohne dieErlaubnis des Vormunds kein Bankkontofür ihre Kinder eröffnen, sie an keinerSchule anmelden, keine Einsicht in dieSchulakten bekommen und nirgendwohin mit ihnen verreisen.

ZWEITENSSaudi-Arabien muss Gewalt gegen

Frauen verbieten, verfolgen und bestra-fen. Die Regierung muss Gesetze schaf-fen, die es Frauen ermöglichen, jeden zuverklagen, der Gewalt gegen sie ausübt.

DRITTENSSaudi-Arabien muss Kinderheiraten

verbieten. Viele Mädchen werden nochvor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet, oftbekommen ihre Familien dafür Geld.„Human Rights Watch“ berichtete 2010von einem geschiedenen Mann, derseine zwölfjährige Tochter für 80 000saudische Riyals (15.000 Euro) an einenalten Mann verheiratete.

VIERTENSSaudi-Arabien muss Frauen das Recht

geben, Auto zu fahren. Heute sind siedarauf angewiesen, männliche Fahrer zuengagieren, damit sie ihre täglichenBesorgungen erledigen und zur Arbeitzu fahren können. Ein Fahrer kostet umdie 1000 Saudi Riyals (190 Euro) imMonat, und viele Frauen können sichdiese Summe nicht leisten.

FÜNFTENSSaudi-Arabien muss völlige Geschlech-

tergleichheit einführen, und Männernund Frauen die gleichen Rechte undPflichten einräumen, einschließlich demRecht, ihre Staatszugehörigkeit an ihr

Kind weiterzugeben, ein Recht, das inSaudi-Arabien bisher den Männern vor-behalten ist.

SECHSTENSSaudische Frauen müssen dieselben

politischen Rechte haben wie Männer.Dazu gehören das Recht, sich an derWahl der Gemeindeverwaltung zu betei-ligen und das Recht, selbst zu kandidie-ren. Frauen sollten am „Shura-Rat“, (EineArt Gremium, das in rechtlichen Fragenzurate gezogen werden kann) teilneh-men und an allen staatlichen Institutio-nen und Stiftungen, dazu gehören auchdas Justiz- und das Außenministerium.

SIEBTENSNachdem alle bevorstehenden Rechte

garantiert sind, muss der KöniglicheGerichtshof ein starkes Frauenkomiteeerrichten, um die Rolle von Frauen inallen Bereichen der Gesellschaft zu akti-vieren und zu stützen, um Sexismusgesetzlich zu bekämpfen, und um dasBewusstsein der Öffentlichkeit auf dieGefahren von Sexismus zu lenken.

Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog derJournalistin Mona Kareem; http://monaka-reem.blogspot.com. Ins Deutsche übersetzthaben ihn Sara Mously (text-salon.de/auto-ren/mously-sara) & Rasha H. Khayat(westoestlichediva.blogspot.com). Wir habenihn über http://maedchenmannschaft.neterhalten, bedanken uns bei den Übersetzer-innen und publizieren ihn gerne.

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ug-oegb.at

auge.or.at

kiv.at

ugoed.at

ug-vida.at

we4you-ug.at

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Weil ein Beginn positiv sein soll, sei gesagt,dass es im ÖGB wieder eine Finanzierungs-

vereinbarung gibt. Die Gewerkschaften sagen,dass sie bis an ihre Grenzen gegangen seien, derÖGB hat eine Finanzierungslücke. Es wird neuer-lich gespart werden müssen. Einschnitte seien inallen Bereichen geplant.

Auch bei der Bildung, nur mehr die Lehrgängesollen weitergeführt werden, über ein Bildungs-

haus braucht sowieso niemand mehr reden.Auch bei den Fraktionen, da ist näheresnoch nicht bekannt, die Rute aber ins Fens-ter gestellt. Immerhin, niemand soll gekün-digt werden, „nur mehr“ der „natürliche“Abgang nicht ersetzt.

Ich dachte nicht, dass mir eine ÖGB-Sit-zung noch die Stimmung verderben kannund wurde eines Besseren belehrt. Die Ein-stellung der Seminare des ÖGB trifft dieMitglieder und trifft die kleinen Fraktionen.Wer mit den Seminaren der Einzelgewerk-schaft nicht zufrieden ist oder dafür nichtzugelassen wird, hatte eine zusätzlicheMöglichkeit. Hatte. Zudem ist allgemein eindeutliches Bildungsdefizit zu bemerken, eswäre also in diesem Bereich viel zu tun. Dasist im Gewerkschaftsbund nicht unbekannt– die Forderung nach einer Bildungsmilli-arde zeugt davon. Bei der Bildung im eige-nen Bereich wird allerdings jetzt gespartwerden. Ein Trauerspiel.

Eine allfällige Reduktion der Fraktionsgel-der bedeutet das Aus für die kleinen Frak-tionen. Die Mittel sind schon jetzt sehrbegrenzt, wer auch nur ein Minimum anÖffentlichkeitsarbeit machen will, wirdschnell an die Grenzen stossen. Bei einerReduktion wird’s von Vornherein unmöglich.Damit bleibt der Überparteilichkeitsan-spruch des Gewerkschaftsbundes auf derStrecke. Wenn nur mehr die „grosskoalitio-nären“ Fraktionen eine Chance auf Gewerk-schaftsarbeit haben und die kleinen ganzmundtot gemacht werden, ist die Glaubwür-digkeit endgültig verschwunden. Mit demzusätzlichen Risiko, dass zukünftige Mitglie-der einen Anziehungspunkt vermissen wer-den. Nämlich die Möglichkeit der Vielfalt.

Dazu kommt, dass die Minderheitsfraktio-nen in den Gewerkschaften offenbar zunehmend wenigergern gesehen sind. Widerspruch oder Diskussionen sindnicht positiv besetzt, sondern gelten als unsolidarisches Ver-halten, die Zugehörigkeit zur (jeweiligen) Mehrheitsfraktionwird oft gar zum Anstellungserfordernis. Reformbestrebun-gen haben sich überholt, sie geraten in Vergessenheit. Warda nicht irgendwann von Mitgliederbeteiligungsmodellenund Partizipation, von Offenheit und Gemeinsamkeit dieRede? Mit der akuten Krise verschwanden die Vorsätze,Mauern sind wieder angesagt.

Und das in Zeiten, wo der Mitgliederstand nicht befriedi-gend ist und dringend Neue geworben werden sollten. DieFrage ist – womit? Mit Beteiligung? Mit Bildung? Oder dochwieder mit Versicherungsmodellen und Appellen? ❚

Kommentar

Lisa Langbein ist UG-Vorsitzende und arbei-tet in der KIV. Das Foto wurdebei der Demonstration desEuropäischen Gewerkschafts-bundes am 9. April 2011 inBudapest aufgenommen.

WER IST DENN DER ÖGB?Öffnung, Licht, Luft und Sonne wärengefragt. Das Gegenteil ist der Fall. Von Lisa Langbein.