Altersansprache beim Rehwild Jungspund oder alter Bock? · 24 5/2015 Durch die zunehmend kantige...

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22 5/2015 In freier Wildbahn werden Rehe kaum älter als zehn Jahre. In einem jagdlich unbeeinflussten Bestand würde der Großteil aus mittelalten und alten Rehgeißen und Böcken bestehen. Auf der Hegeschau aber müssen wir entdecken, dass die wirk- liche Altersstruktur weit von der natürlichen entfernt ist. Wenn fast ausschließlich Jährlinge und zweijährige Rehböcke die Rolle des Platzbockes übernehmen – in einem Bestand mit natürlicher Altersstruktur besitzen erst mindestens dreijährige und damit körperlich voll ausgewachsene Tiere ein Territorium – steht das ohne jeden Zweifel in direktem Zusammenhang mit einem rigorosen Abschuss der älteren Artgenossen. Fehlen die alten Böcke aber im Bestand, bringt der Abschuss auch nicht den gewünschten Erfolg aus waldbaulicher Sicht. Denn der Rehwildbestand reagiert auf starke jagdliche Eingriffe mit einer artspezifischen Dynamik. Es werden von jungen und da- mit vitaleren Geißen nicht nur im Durchschnitt mehr Kitze ge- setzt, sondern auch mehr weibliche Kitze, deren Nachkommen in kürzester Zeit den Bestand wieder auffüllen – und das erst recht bei einem völlig zu Gunsten der Geißen verschobenen Geschlechterverhältnis, wie es fast überall der Fall sein dürfte. Altersansprache beim Rehwild Jungspund oder alter Bock? Wenn wir im Bestand der Rehböcke eines Reviers oder einer Hegegemeinschaft wieder eine gesunde Alters- und Sozialstruktur erreichen wollen, müssen wir die Rehböcke unterschiedlichen Altersklassen zuordnen. Berufsjäger Matthias Meyer hat eine Abstufung für die Einteilung in Altersklasen gewählt: Ein- und zweijährige Böcke ordnet er in die Jugendklasse ein, drei- bis vierjährige in die Klasse der Mittelalten, fünf- bis siebenjährige in „Alte“, und Böcke, die über sieben Jahre alt sind, in die Klasse der Überalten. Er zeigt hier auf, welcher Bock in welche Klasse gehört. Fotos: M. Meyer

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Page 1: Altersansprache beim Rehwild Jungspund oder alter Bock? · 24 5/2015 Durch die zunehmend kantige Form des Hauptes wirkt der Ge-sichtsausdruck deutlich ernster. Mit drei Jahren ist

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In freier Wildbahn werden Rehe kaum älter als zehn Jahre. In einem jagdlich unbeeinflussten Bestand würde der Großteil aus mittelalten und alten Rehgeißen und Böcken bestehen. Auf der Hegeschau aber müssen wir entdecken, dass die wirk-liche Altersstruktur weit von der natürlichen entfernt ist. Wenn fast ausschließlich Jährlinge und zweijährige Rehböcke die Rolle des Platzbockes übernehmen – in einem Bestand mit natürlicher Altersstruktur besitzen erst mindestens dreijährige und damit körperlich voll ausgewachsene Tiere ein Territorium – steht das ohne jeden Zweifel in direktem Zusammenhang

mit einem rigorosen Abschuss der älteren Artgenossen. Fehlen die alten Böcke aber im Bestand, bringt der Abschuss auch nicht den gewünschten Erfolg aus waldbaulicher Sicht. Denn der Rehwildbestand reagiert auf starke jagdliche Eingriffe mit einer artspezifischen Dynamik. Es werden von jungen und da-mit vitaleren Geißen nicht nur im Durchschnitt mehr Kitze ge-setzt, sondern auch mehr weibliche Kitze, deren Nachkommen in kürzester Zeit den Bestand wieder auffüllen – und das erst recht bei einem völlig zu Gunsten der Geißen verschobenen Geschlechterverhältnis, wie es fast überall der Fall sein dürfte.

Altersansprache beim Rehwild

Jungspund oder alter Bock? Wenn wir im Bestand der Rehböcke eines Reviers oder einer Hegegemeinschaft wieder eine gesunde Alters- und Sozialstruktur erreichen wollen, müssen wir die Rehböcke unterschiedlichen Altersklassen zuordnen. Berufsjäger Matthias Meyer hat eine Abstufung für die Einteilung in Altersklasen gewählt: Ein- und zweijährige Böcke ordnet er in die Jugendklasse ein, drei- bis vierjährige in die Klasse der Mittelalten, fünf- bis siebenjährige in „Alte“, und Böcke, die über sieben Jahre alt sind, in die Klasse der Überalten. Er zeigt hier auf, welcher Bock in welche Klasse gehört.

Fotos: M. M

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Der Jährling lässt sich noch relativ einfach ansprechen. Besonders auffällig sind seine schlanke Figur, der noch sehr kindlich wirkende Gesichtsausdruck bei einer meist einheitlich dunkel gefärbten Ge-sichtsmaske.

Ein weißer, an den Rändern scharf gezeich-neter Muffelfleck fehlt fast immer und ist nur bei körperlich sehr stark entwickelten Stücken als schmaler Saum oberhalb des Windfangs erkenn-bar.

Je nach Veranlagung, körperlicher Entwicklung oder sozialer Stellung des Muttertieres kann der Jährling ein Knopf-bock oder auch ein kapitaler Sechser sein. Gerade die besonders kapital entwickelten Jünglinge werden oft als viel zu alt angesprochen und als „reife“ Kapital-böcke erlegt.

Der zweijährige Rehbock hat noch eine schlanke Figur, kann aber vom Wildbret her schon sehr stark sein. Rücken- und Bauchlinie sind absolut gerade. Seitlich betrach-tet geben die Läufe, Rücken- und Bodenlinie nahezu ein Quadrat. Ein im Verhältnis zum Wildkörper noch dünn wirkender Träger wird sehr steil getragen.

Das besonders im Profil schlank und spitz zulaufende Haupt wird stets hoch getragen. Der Gesichtsausdruck wirkt durch ein sehr buntes und klar gezeichnetes Gesicht noch kindlich bis jugendlich neugierig.

Der Zweijährige hat in den meisten Fällen nicht nur einen großen weißen Muffelfleck, der bis in die dunklen Stirnlocken reichen kann, sondern zusätzlich noch eine rote bis bräunliche Farbge-bung im Bereich der Wangen und Lichter.

Rehböcke, so heißt es häufig, hätten doch schon mit drei Jahren ihr stärkstes Gehörn und könnten folglich geern-tet werden. Das trifft vielleicht in Revieren mit künstlicher ganzjähriger Mast zu, sicher nicht in einem normalen Durch-schnittsrevier. Wenn wir uns anstatt auf Trophäen auf eine natürliche Altersstruktur konzentrieren, stellt sich eine gute Trophäe von alleine ein.

Entscheidend für die Altersansprache sind bestimmte Alters-merkmale. Wie überall bestimmt auch hier die Ausnahme die Regel. Das heißt, dass jedes Merkmal für sich genom-men unterschiedlich zuverlässig sein kann. Nur die Summe aller Körper- und Verhaltensmerkmale kann dem verant-wortungsbewussten Jäger für die komplexe Gesamtschau wertvolle Hilfestellungen geben. Regionale Besonderheiten, insbesondere bei der Gesichtsfärbung, aber auch beim Ge-hörnaufbau müssen unbedingt dabei berücksichtigt werden. Denn schwedische Rehböcke sehen ganz anders aus als ihre Verwandten aus der Lüneburger Heide, diejenigen aus den Marschrevieren an der Nordseeküste wieder anders als die aus dem Alpenvorland. Wichtig ist, dass sich der Jäger auf das Aussehen seiner Rehböcke konzentriert und zu ergrün-den versucht, welche Altersmerkmale für das Wild in seinem Revier maßgeblich sind.

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Durch die zunehmend kantige Form des Hauptes wirkt der Ge-sichtsausdruck deutlich ernster. Mit drei Jahren ist das Körperwachstum beim Reh abgeschlossen. Im Profil wirkt das Haupt eher kurz, kantig und bullig.

Ein relativ sicheres Altersmerkmal ist bei reifen, alten Rehböcken das typische Altersgrau, das auf keinen Fall mit der manchmal bei jungen Böcken vorkom-menden Grauzeichnung verwechselt werden darf. Bei alten Böcken ist die Graufärbung nie scharf abgegrenzt, sondern immer verwaschen und geht ineinander über.

Seitlich betrachtet ähnelt die Körperkontur beim mittelalten Bock deutlich einem Rechteck mit beginnendem Hänge-bauch und Senkrücken. Beim alten Rehbock ist in der Silhouette nun ein Vorschlag sichtbar, der noch beim mittelalten Rehbock fehlt.

Wirklich alte Rehböcke, die ihren Zenit deutlich überschritten haben, zeichnen sich vor allem durch eine stumpf wir-kende Decke, die fahl gelb gefärbt ist, aus. Das Gesicht verliert seine klare Zeichnung und schwindet ebenfalls in ein stumpfes Einheits-grau.

Beim alten Bock wird oft die so genannte Brille deutlich. Gemeint sind damit die hellgrauen Haare um die Lichter. Der Gesichtsausdruck geht von ernst, mürrisch bis apathisch wirkend. Durch den im hohen Alter stattfindenden Schwund der Muskulatur nimmt die Konstitution ab.

Typisch für den alten Bock sind Falten, die sich am starken Träger bil-den. Mit zunehmendem Alter ab sieben Jahren geht auch der Farbton der Decke ins fahl gelbliche. Der Glanz der Decke geht verloren.

Beim Zweijährigen sind die hohen Rosenstöcke noch leicht zu erkennen, wie auch der noch enge Abstand zwischen den Rosen. Erst mit zuneh-mendem Alter flachen die Rosenstöcke ab und verbreitern diesen Abstand, so dass der Betrachter ein seitliches Abrutschen der Stangen erkennen kann.

Deutlich muskulös und konturenreich erscheint der Wildkörper des mittelalten, drei- bis vierjährigen Rehbocks. Die Gesichtsmaske ist nicht mehr bunt und nicht scharf gezeichnet, da die unterschiedlichen Farbränder ineinander laufen.

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Bei der Trophäe setzt der überalterte Bock recht schnell zurück. Meist schiebt er nur noch Spieße. Aufgrund der flachen, kaum noch vorhandenen Rosenstö-cke wirken die Stangen wie seitlich an der Stirn abrutschend mit einem gehörigen Platz zwischen den Stangen.

Rehböcke mit einer ab-normen Gehörnbildung sind bei vielen Jägern als Trophäen besonders begehrt. Die Ursache ist meistens eine Bastver-letzung. Im Folgejahr wird der Bock wieder ein normales Gehörn schieben. Wenn er passt, den Bock erlegen, aus gesundheitlichen oder Tierschutzgründen ist es nicht notwendig.

Bei einem Bruch der Rosenstöcke, die unter Umständen noch nicht einmal verheilt sind, oder bei einem so genannten Perückenbock müssen Sie das Tier so-fort erlegen. Denn diese Böcke leiden lange, bis sie an den Folgen einer Blutvergiftung durch Madenfraß verenden.

Matthias Meyer Wildmeister Matthias Meyer, Mitglied im BJV-Niederwild-ausschuss, betreut circa 5.500 Hektar Revierfläche der Fürst-lichen Forstverwaltung Oettin-gen-Spielberg im Landkreis Donau-Ries. Seit 22 Jahren leitet er die Schweißhundestation Nord-Ries, ist langjähriger He-geringleiter sowie leidenschaft-licher Wild- und Jagdfotograf.