aspekte demokratieprinzip

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  15 Termin: 30.04.2010 2. Teil: Die Verfassungsgr undsätze des Art. 20 I-III GG  (Fortsetzung) C. Das Demokratieprinzip (Fortsetzung)  Demokratie als allgemeines Prinzip des Grundgesetzes ist in Art. 20 Abs. 1 verankert, ferner in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG. Außerdem findet sie sich als Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Schutzgegenstandes der wehrhaften Demokratie, in etlichen Bestimmungen des Grundgesetzes wie (von Anfang an) in Art. 18 S. 1, Art. 21 Abs. 2 S. 1 und Art. 91 Abs. 1 GG, und in Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG für die innere Ordnung politischer Parteien.  Wichtige Ausprägungen des Demokratieprinzips sind ferner: Garantien von Freiheit und Gleichheit im politischen Prozess; das Mehrheitsprinzip, der Schutz von Minderheiten; die demokratische Legitimation der besonderen Staatsorgane: dazu gehören allgemeine, freie, gleiche und geheime (und unmittelbare) Volkswahlen, die zeitliche Begrenzung des Mandats der Volksvertretungen und die Möglichkeit, andere Repräsentanten (zumindest) abberufen zu können.  Art. 20 Abs. 1 GG garantiert solche Ausprägungen, soweit keine besonderen Bestimmungen des Grundgesetzes eingreifen. Diese gestalten die spezifische Form der grundgesetzlichen Demokratie näher aus und sind in erster Linie maßgeblich. Sie sind im Lichte der Grundsatzgehalte des Demokratieprinzips zu interpretieren, dürfen aber nicht an außerverfassungsrechtlichen Demokratiekonzeptionen gemessen werden.  Die Kernelemente dieser Ausprägungen des Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 1 GG dürfen auch durch Grundgesetzänderungen nicht berührt werden. Ähnlich begrenzt sind die Anforderungen bezüglich der Demokratie an die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG und an die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG. Unmittelbar unter die Ewigkeitsgarantie fallen die Volkssouveränität und die Notwendigkeit demokratischer Legitimation der besonderen Organe gemäß Art. 20 Abs. 2 GG.  Der Anwendungsbereich des Demokratieprinzips ist grundsätzlich auf die Innehabung und Ausübung der Staatsgewalt in Bund und Ländern sowie in den Kommunen beschränkt. Abgesehen von der inneren Ordnung der Parteien in Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG und den Anforderungen an die Struktur der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG können dem Demokratieprinzip keine weiteren Vorgaben entnommen werden. Namentlich sind demokratische Grundsätze nicht maßgeblich für außerhalb der Sphäre der öffentlichen Gewalt gelegene Lebensbereiche, wie etwa „die Wirtschaft“.  Auch innerhalb der öffentlichen Gewalt können Sonderbereiche den allgemeinen Regeln des Demokratieprinzips entzogen sein, wie die öffentlich-rechtlichen Hochschulen und Rundfunkanstalten (Art. 5 Abs. 3 bzw. Abs. 1 Satz 2 GG). Im Übrigen sind „ministerialfreie Räume“ grundsätzlich bedenklich.  Unmittelbare Demokratie bedeutet, dass das Volk selbst die Sach- und Personalentscheidungen trifft, während im Rahmen mittelbarer Demokratie das Volk Repräsentanten zur Wahrnehmung der Staatsfunktionen durch besondere Organe bestellt (daher auch: repräsentative Demokratie).  Eine ausschließlich unmittelbare Demokratie ist für einen modernen Staat nicht praktikabel. Daher sind Mischformen (plebiszitäre Demokratie mit repräsentativen Elementen, repräsentative Demokratie mit plebiszitären Elementen) oder rein repräsentative Demokratie verfassungsrechtliche Realität.

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Termin: 30.04.2010

2. Teil: Die Verfassungsgrundsätze des Art. 20 I-III GG (Fortsetzung)

C. Das Demokratieprinzip (Fortsetzung)

•  Demokratie als allgemeines Prinzip des Grundgesetzes ist in Art. 20 Abs. 1 verankert, fernerin Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG. Außerdem findet sie sich als Elementder freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Schutzgegenstandes der wehrhaftenDemokratie, in etlichen Bestimmungen des Grundgesetzes wie (von Anfang an) in Art. 18S. 1, Art. 21 Abs. 2 S. 1 und Art. 91 Abs. 1 GG, und in Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG für die innereOrdnung politischer Parteien.

•  Wichtige Ausprägungen des Demokratieprinzips sind ferner: Garantien von Freiheit undGleichheit im politischen Prozess; das Mehrheitsprinzip, der Schutz von Minderheiten; diedemokratische Legitimation der besonderen Staatsorgane: dazu gehören allgemeine, freie,gleiche und geheime (und unmittelbare) Volkswahlen, die zeitliche Begrenzung des Mandats

der Volksvertretungen und die Möglichkeit, andere Repräsentanten (zumindest) abberufen zukönnen.

•  Art. 20 Abs. 1 GG garantiert solche Ausprägungen, soweit keine besonderen Bestimmungendes Grundgesetzes eingreifen. Diese gestalten die spezifische Form der grundgesetzlichenDemokratie näher aus und sind in erster Linie maßgeblich. Sie sind im Lichte derGrundsatzgehalte des Demokratieprinzips zu interpretieren, dürfen aber nicht anaußerverfassungsrechtlichen Demokratiekonzeptionen gemessen werden.

•  Die Kernelemente dieser Ausprägungen des Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 1 GGdürfen auch durch Grundgesetzänderungen nicht berührt werden. Ähnlich begrenzt sind dieAnforderungen bezüglich der Demokratie an die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländernnach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG und an die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 1

GG. Unmittelbar unter die Ewigkeitsgarantie fallen die Volkssouveränität und dieNotwendigkeit demokratischer Legitimation der besonderen Organe gemäß Art. 20 Abs. 2GG.

•  Der Anwendungsbereich des Demokratieprinzips ist grundsätzlich auf die Innehabung undAusübung der Staatsgewalt in Bund und Ländern sowie in den Kommunen beschränkt.Abgesehen von der inneren Ordnung der Parteien in Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG und denAnforderungen an die Struktur der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GGkönnen dem Demokratieprinzip keine weiteren Vorgaben entnommen werden. Namentlichsind demokratische Grundsätze nicht maßgeblich für außerhalb der Sphäre der öffentlichenGewalt gelegene Lebensbereiche, wie etwa „die Wirtschaft“.

•  Auch innerhalb der öffentlichen Gewalt können Sonderbereiche den allgemeinen Regeln desDemokratieprinzips entzogen sein, wie die öffentlich-rechtlichen Hochschulen undRundfunkanstalten (Art. 5 Abs. 3 bzw. Abs. 1 Satz 2 GG). Im Übrigen sind „ministerialfreieRäume“ grundsätzlich bedenklich.

•  Unmittelbare Demokratie bedeutet, dass das Volk selbst die Sach- undPersonalentscheidungen trifft, während im Rahmen mittelbarer Demokratie das VolkRepräsentanten zur Wahrnehmung der Staatsfunktionen durch besondere Organe bestellt(daher auch: repräsentative Demokratie).

•  Eine ausschließlich unmittelbare Demokratie ist für einen modernen Staat nicht praktikabel.Daher sind Mischformen (plebiszitäre Demokratie mit repräsentativen Elementen,repräsentative Demokratie mit plebiszitären Elementen) oder rein repräsentative Demokratie

verfassungsrechtliche Realität.

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•  Im Grundgesetz sind grundsätzlich beide Formen von Demokratie als Möglichkeit angelegt(Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG: „Wahlen und Abstimmungen“), durchgeführt ist auf derBundesebene nahezu ausschließlich die repräsentative Demokratie.

•  Ausdruck unmittelbarer Demokratie im Grundgesetz sind nur die in den Art. 29, 118, 118 a

GG geregelten (Einzel-)Fälle der Länderneugliederung. Eine gesetzliche Erweiterung istnicht möglich, weil die Wahrnehmung der Staatsfunktionen im Übrigen abschließendbesonderen Organen übertragen ist. Dies gilt namentlich für die am ehesten dafür geeigneteRegelung der Gesetzgebungskompetenz (vgl. Art. 77 Abs. 1, Art. 81, Art. 115 e GG). EineVerfassungsänderung zugunsten erweiterter plebiszitärer Mitwirkungsmöglichkeiten wärenach Art. 79 Abs. 3 GG aber zulässig.

•  In den Verfassungen der Länder bestehen in weiterem Umfang plebiszitäreMitwirkungsmöglichkeiten, die auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GGzulässig sind. Die Verfassungen einzelner Länder sehen dabei ein Gesetzesinitiativrecht desVolkes vor, Gesetzes- und Verfassungsänderungen können durch Volksinitiativen oder durchReferendum herbeigeführt werden. Das Recht, den Landtag vorzeitig durch

Volksabstimmung aufzulösen, gehört als Element repräsentativer Demokratie wie die Wahlin den Zusammenhang der repräsentativen Demokratie.

•  Auf kommunaler Ebene besteht im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG einegrundsätzliche Freiheit der Ausgestaltung im Gemeinderecht. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 4 GGkann für Gemeinden sogar ganz auf eine Volksvertretung verzichtet werden.

•  Im Rahmen der mittelbaren Demokratie ist zwischen der einstufigen und mehrstufigenBestellung von Organwaltern zu unterscheiden. Durch Volkswahl (einstufige Bestellung vonRepräsentanten) werden sowohl der Bundestag nach Art. 38 GG als auch die Volksvertretungauf Landesebene nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und auf kommunaler Ebene nach Art. 28Abs. 1 Satz 2 GG gewählt. Bei der Gemeinde besteht zudem die Besonderheit, dass derBürgermeister direkt gewählt werden kann.

•  Mehrstufige Bestellung liegt dann vor, wenn vom Volk gewählte RepräsentantenOrganwalter bestellen (zwei Stufen): Dies kann durch besondere Wahlorgane geschehen (wiebei der Wahl des US-Präsidenten) oder durch das Parlament (wie bei der Wahl desBundeskanzlers durch den Bundestag nach Art. 63 Abs. 1 GG). So bestellte Organwalterkönnen ihrerseits Personen in andere Organstellungen berufen (weitere Stufen) (wie bei derBestellung der Bundesminister nach Art. 64 Abs. 1 GG).

•  Selbstverwaltung als Ausübung hoheitlicher Gewalt durch Gruppen von Betroffenen ist nichtauf das Staatsvolk zurückzuführen. Die dadurch in Frage gestellte demokratischeLegitimation wird für die Kommunen in Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG durch dieAbleitung vom Volk in den Kreisen und Gemeinden in spezieller Weise hergestellt. Darüberhinaus wird – auch außerhalb grundrechtlich fundierter Sonderbereiche (Rundfunk,Wissenschaft) – „funktionale Selbstverwaltung“ durch verselbständigte Träger öffentlicherVerwaltung in engen Grenzen präziser gesetzlicher Vorgaben und staatlicher Aufsicht alsdemokratiekonform anerkannt. 

Rechtsprechungshinweise: BVerfGE 8, 104 (Volksbefragung zur Atombewaffnung); BVerfGE 9,

268 (281 f.) (Bremer Personalvertretung); BVerfGE 44, 125 (Öffentlichkeitsarbeit); BVerfGE 83, 60

(Ausländerwahlrecht Hmb); BVerfGE 93, 37 (66 ff.) (Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein);

BVerfGE 102, 176 (Volksinitiative über Landeshaushalt); BVerfGE 107, 59 (Emscher-

Genossenschaft); BVerfGE 123, 267 (Vertrag von Lissabon); BayVerfGH, NVwZ-RR 2000, 401;

BayVerfGH, NVwZ-RR 2000, 737 (Grenzen der Volksgesetzgebung); SächsVerfGH, LKV 2001, 459;

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BayVerfGH, NJW 2001, 3771 (Koppelungsverbot bei Volksbegehren); BbgVerfG, LKV 2002, 67

(Volksgesetzgebung und Budgethoheit des Landtages); ThürVerfGH, LKV 2002, 83; NdsStGH,

NVwZ-RR 2002, 161 (Zulassung Volksbegehren); SächsVerfGH, NVwZ 2003, 472

(Volksgesetzgebung und Haushaltsvorbehalt).

Literaturhinweise:  Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: HStR II, 3. Aufl. 2004,

S. 497 ff.; Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, S. 429 ff.;

v. Danwitz, Plebiszitäre Elemente in der staatlichen Willensbildung, DÖV 1992, 601;  Degenhart ,

Direkte Demokratie in den Ländern – Impulse für das Grundgesetz, Der Staat 31 (1992), 77; ders.,

Rdn. 23-119; Dreier, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, Jura 1997, 249; Engelken, Kann ein

Volksbegehren Sperrwirkung für Gesetzgebung und Regierung haben?, DVBl. 2005, 403;  Hannebeck,

Bundesverfassungsgericht und Demokratieprinzip, DÖV 2004, 901; Hillgruber, Die Herrschaft der

Mehrheit, AöR 127 (2002), 460; Horn, Gewaltenteilige Demokratie, demokratische Gewaltenteilung,

AöR 127 (2002), 427;  Jestaedt, Demokratische Legitimation – quo vadis?, JuS 2004, 649; Karpen,

Plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie?, JA 1993, 110; P. Kirchhof, Die Zukunft der

Demokratie im Verfassungsstaat, JZ 2004, 981; Krause, § 35 Verfassungsrechtliche Möglichkeiten

unmittelbarer Demokratie, in: HStR III, 3. Aufl. 2005, S. 55 ff.; Kühling, Volksgesetzgebung und

Grundgesetz – „Mehr direkte Demokratie wagen“?, JuS 2009, 777;  Maurer, § 7 Rdn. 1-65;  Müller-

Franken, Unmittelbare Demokratie und Direktiven der Verfassung, DÖV 2005, 489; Papier/Durner,

Streitbare Demokratie, AöR 128 (2003), 340;  Rittner, Demokratie als Problem: Abschied vom

Parlamentarismus? JZ 2003, 641;  Rossi/Lenski, Treuepflichten im Nebeneinander von plebiszitärer

und repräsentativer Demokratie, DVBl 2008, 416;  Rux, Voraussetzungen für Verfassungsänderungen

durch Volksentscheid, JA 2002, 378; Sachs, in: ders., GG, 5. Auf. 2009, § 20 Rdn. 11 ff.; Stern,

Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 587-635; Thedieck , Demokratietheorien und Grundgesetz, JA 1991,

345; Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus?, AöR 127 (2002), 575; Zacharias, Das Prinzip der

demokratischen Legitimation, Jura 2001, 446;  Zippelius, Die rechtsstaatliche parlamentarische

Demokratie als Ergebnis geschichtlicher Lehren, JuS 1987, 687.

Übungsfälle:  Frotscher/Faber, Der praktische Fall – Öffentliches Recht: Volksgesetzgebung und

Verfassung, JuS 1998, 820; Palm, Referendarexamensklausur – Öffentliches Recht: Plebiszitäre

Abweichung, JuS 2007, 751.