Auf dem Strich bis in die Rente

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Debora Dürksen Älter werden als Prostituierte / Medienpraxisprojekt II Juli 2012 In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge 400 000 Prostituierte. Die Angaben werden dadurch erschwert, dass viele Frauen dieser Tätigkeit nur nebenbei oder vorübergehend nach- gehen und sie deswegen offiziell nicht angeben wollen. Fachbera- tungsstellen gehen davon aus, dass über die Hälfte der in Deutschland tätigen Prostituierten ausländischer Herkunft ist. Ein Großteil von ihnen hat keinen legalen Aufenthaltstitel und ist damit nicht zur Ausübung der Prostitution berechtigt. Der Lohn einer Prostituierten variiert sehr stark. Während der Einstiegs- preis für eine sexuelle Dienstleistung auf dem Drogenstrich in Berlin bei zehn Euro liegt, verdient eine Escort- Dame in Hamburg oder München 200 Euro pro Stunde. Täglich nehmen in Deutschland mehr als eine Million Männer die sexuellen Dienstleistungen von Pros- tituierten in Anspruch. Der jährliche Umsatz im Wirtschaftssektor „Prosti- tution“ liegt Schätzungen zufolge im zweistelligen Milliardenbereich. Seit zehn Jahren ist die Prostitution in Deutschland legal. Das Prostitu- iertengesetz (ProstG) von 2002 ist eines der liberalsten der Welt und sollte die rechtliche und soziale Lage von Prostituierten stärken. Neben der Tätigkeit als selbständige Prosti- tuierte ist seitdem auch das Betrei- ben von Bordellen erlaubt und nicht länger sittenwidrig. Ziel des Geset- zes war es, Prostituierten Arbeits- verträge rechtlich zuzusichern und ihnen Sozial- und Krankenversiche- rung zu ermöglichen. Zudem sollte die Kriminalität verringert werden. Prostituierte sollten durch ihre sexu- ellen Dienstleistungen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt haben und dieses auch vor Gericht einklagen können. Doch Befragungen des Sozialwis- senschaftlichen FrauenForschungs- Instituts SoFFi K belegen, dass bis- her nur vereinzelt Arbeitsverträge mit Prostituierten abgeschlossen wurden. Nur wenige Prostituierte wurden zur Sozialversicherung an- gemeldet, da viele „Prostitution“ nicht als Beruf angeben wollen. Die Mehrzahl der Prostituierten möchte anonym bleiben und fürchtet den Verlust ihrer sexuellen Autonomie. Ein weiterer Kritikpunkt des ProstG ist, dass es gerade den besonders schutzbedürftigen Personen Schutz vorenthält. Damit sind vor allem ausländische Prostituierte und Op- fer des Menschenhandels und der Zwangsprostitution gemeint. FOTO: DEBORA DÜRKSEN Auf den ersten Blick wirkt sie unscheinbar. Doch ihre Netzstrumpfhose verrät, womit Karin W. ihre Brötchen verdient von Debora Dürksen S eit fast 25 Jahren arbeitet Karin in dem Gewerbe. „Dit darf man keenem erzäh- len“, sagt sie in starkem Berliner Akzent und lacht laut. Ihr dezent geschminktes Gesicht wird von braun-getönten kurzen Haaren umrandet. Falten hat sie kaum. Fast ihr halbes Leben hat Karin Männern für ein paar Scheine Lust verschafft. Eigentlich kommt sie aus Ost- Berlin, aus der ehemaligen DDR. Dort ist sie aufgewachsen und zur Schule gegangen. Als Schuhmache- rin arbeitete sie zehn Jahre in einer Schuhfabrik bevor sie 1985 nach West-Berlin kam. „Ich hab mich erst mal zwei Jahre lang ausgeruht und dann dachte ich ‚jetzt musst du was machen‘“, erinnert Karin sich. Sie arbeitete ein Jahr lang in einem Imbiss in Grune- wald, bevor ihr gekündigt wurde. Zu dem Zeitpunkt erfüllte sie sich einen Traum: Sie reiste mit ihrem damals vierjährigen Sohn nach Afrika; 14 Tage in Kenia, mit Ka- mera und Safari. „Das Ganze hat mich 11 000 DM gekostet. Und da bin ich dann so richtig abge- rutscht.“ Sie brauchte Geld. Inflation der Hurerei Über eine Freundin kam sie im Februar 1989 an einen Berli- ner Puff und beschloss kurzerhand ihn zu kaufen. 9 000 DM habe sie damals hingeblättert, um den total heruntergewirtschafteten Laden zu kriegen, erzählt sie. Ka- rin brachte das Modell- haus als selbständige Un- ternehmerin innerhalb weniger Monate wieder in Schuss und verdien- te monatlich 5 000 DM. Mehrere Frauen arbei- teten dort für sie. Wie viele, will sie nicht sagen. Ihr Laden war jedenfalls gut besucht: „Anfang des Jahres hab ich immer 1 000 Kondome für den Laden gekauft, weil es dann billiger war – die waren manchmal aber schon nach einem halben Jahr aufgebraucht.“ Doch auch die Zeiten, in de- nen es gut lief, waren irgendwann vorbei. Nach 13 Jahren beschloss die Bordellbesitzerin aufzuhören. „Und dann bin ich hier jelandet.“ Hier: das ist die Kurfürsten- straße in Berlin, auch bekannt als Drogenstrich. Hier und in den um- liegenden Straßen stehen alle paar Meter leichtbekleidete Frauen, die auf Freierfang sind. Die Betonge- bäude in der Straße sind grau und kahl, ab und zu fahren langsam ein paar Autos vorbei. Wer die Straße entlang geht, spürt förmlich die lüs- ternen Blicke von der anderen Sei- te der Scheibe. Die Frauen in ihren extrem kurzen, eng anliegenden Hosen und Netzoberteilen, kommen vor allem aus Osteuropa, aus Bulgarien, Ungarn, Rumänien, Polen. „Man kann durch die ganzen Aus- länder hier kein Geld mehr verdie- nen“, sagt Karin aufgebracht und fast schon wütend. „Die machen alles für billig Geld.“ Früher hätten sie bei 30 Euro angefangen. Daran habe es nichts zu rütteln gegeben. „Aber jetzt wollen sie ja schon für zehn Euro Französisch, am besten noch mit Analverkehr. Die sind ja nicht normal! Für zehn Euro ma- chen die alles.“ Die Lebe-Dame Das Geschäft auf der Stra- ße lohnt sich für Karin gar nicht mehr. Deswegen habe sie nur noch Stammgäste, die sie anrufen und dann zu ihr nach Hause kom- men. Durch ihre Stammkunden verdient die 56-Jährige nebenbei noch etwas Geld – schwarz. Bei 25 Männern kommt sie auf 500 bis 700 Euro zusätzlich im Monat, zusammen mit Hartz IV sind das etwa 1 000 Euro. Auch wenn sie während der Zeit als selbständige Puffbesitzerin deutlich mehr verdiente, hat sie nie Gespartes zurückgelegt oder eine Altersvorsorge getroffen. Und da ist sie nicht die Einzige: Auch die anderen Frauen in diesem Gewer- be, die Karin kennt, sorgen nicht vor. Um Anspruch auf Sozialleis- tungen zu haben, müssten sie sich nach dem Prostitutionsgesetz von 2002 selbständig melden. Doch das Gesetz scheint in der Realität we- nig Erfolg gehabt zu haben, denn nur ein Bruchteil der Prostituier- ten ist sozialversichert. Vor allem die Angst vor dem Finanzamt wür- de diese Frauen davon abhalten, sich selbständig zu melden, meint Karin. „Ich wurde tausendmal da- rauf angesprochen, ob ich nicht mal was für die Rente zurücklegen wolle“, erzählt sie und gestikuliert dabei wild. „Ich sagte immer nur: Ich bin eine Lebe-Dame. Lass mich damit in Ruhe!“ Wenn sie mal zu alt zum Ar- beiten ist, dann würde ihr Sohn für sie sorgen, da ist sie sich sicher. Aber bis jetzt geht es ihr gut. „Ich bin kerngesund und fit“, sagt sie voller Überzeugung und lacht mit ihrer lauten verrauchten Stimme. Sie bewegt sich fast ununterbro- chen, mit ihren Hände fuchtelt sie ständig in der Luft herum. Auch sei sie nie in Drogen verfallen, „wie die anderen“. Mit dem Sex gegen Bezahlung aufzuhören, hat sie nicht vor. „Bis 63 könnt ich mir noch vor- stellen das zu machen, so nebenbei. Ich kann doch nicht meinen ganzen Stammgästen sagen, ich hör jetzt auf. Das geht ja gar nicht!“ Ihre Stammkun- den kennt sie teilweise schon seit Jahrzehnten. Einerseits spricht sie von ihnen, wie von Freun- den. Andererseits klingt sie abgebrüht wie eine Geschäftsfrau. Ein paar von ihnen kämen jede Woche zu ihr. „Da ist ein Opi mit 77 verstorben, der hat vor zwei Jahren einen Zungen- tumor gekriegt. Dann hat er sich wieder hochgeraffelt“, erzählt sie nachdenklich. Mit schwermütiger Stimme fährt sie fort: „Aber er mel- det sich nicht mehr und irgendwie hab ich es im Gefühl, dass er nicht mehr unter uns ist. Der war die letzten zwei Male da und konnte nicht mehr abspritzen. Da hab ich nur noch Französisch jemacht. War keine Fickerei, sondern nur Fran- zösisch. Und den hab ich jetzt auch verloren. War jahrelang meine bes- te Quelle“. Sie klingt traurig. So wie früher, nur anders Ihrem Sohn konnte sie den Be- ruf nicht verheimlichen und wollte es auch gar nicht. Als sie nach Ber- lin kam und 1989 den Puff kauf- te, hat er dort mit ihr gewohnt. Manchmal habe sie zu viel getrun- ken und ihre Strapse dann irgend- wo hingeschmissen. Ihr Sohn habe sie dann auch gefunden. Damals dachte sie: „Das musst du doch mal dem Kind sagen. Nicht so wie die anderen, die ver- heimlichen das. Und ich dachte, das ist doch Quatsch!“ 13 Jahre war ihr Sohn, als sie ihm erzählte, dass sie ihr Geld mit Prostitution verdient. Er reagier- te gelassen: „Ach Mama, du musst wissen, wie du dein Geld verdienst. Mir ist das egal, was du machst.“ Auch ihre Mutter und Ge- schwister weihte sie kurze Zeit spä- ter ein. Ihre Mutter reagierte erst entrüstet, wollte sie dann aber un- bedingt einmal im Puff besuchen. Sie tauchte an einem Tag auf, an dem 13 Gäste in den Puff kamen und Karin sehr beschäftigt war. Als sie davon erzählt, lacht sie laut und schlägt sich auf die Schenkel. „Es ist wirklich selten, dass so viele an einem Tag kommen.“ Glücklich ist sie mit ihrem Le- ben auf der Kurfürstenstraße nicht so richtig. Letztes Jahr war sie total am Boden. Sie dachte: „Jetzt wirst du schon 56 und bist immer noch in so ‘ner Aktion.“ Für einen kur- zen Moment spielte sie mit dem Ge- danken sich das Leben zu nehmen. „Ich hab da gesessen und gedacht: Du müsstest im 20. Stock wohnen und dich einfach runterknallen.“ Dann habe es „tick“ gemacht in ihrem Kopf. Sie erinnerte sich an ihre zwei Kater und ihr Enkelkind. „Und dann hab ich gedacht: Du musst dir was einfallen lassen.“ Sie ließ sich was einfallen. Über Freunde kam sie an eine Schule für Hauswirtschaft und begann dort im Oktober 2011 eine Haus- wirtschaftsschulung. Im Septem- ber dieses Jahres wird Karin mit der Schulung fertig sein und darf sich dann „Managerin mit Spe- zialisierung für Privathaushalte“ nennen. Ihre Chan- cen, von der Schu- le übernommen zu werden, stehen gut. „Dann kann ich die letzten acht Jahre bis zur Ren- te nochmal richtig planen.“ Doch auch wenn sie nach Abschluss der Schulung angestellt werden sollte und ein festes Einkommen hätte, will Karin auf ihre Dienste als Pro- stituierte nicht verzichten. Ob sie nochmal die gleiche Entscheidung treffen und in dieses Gewerbe ein- steigen würde? „Auf keinen Fall“. Kurfürstenstraße in Berlin: Die überwiegend aus dem Ausland kommenden Prostituierten fangen schon bei zehn Euro an „Man kann mit den ganzen Auslän- dern hier kein Geld mehr verdienen” FOTO: NEUSTART Bis 63 könnt ich mir noch vorstellen, das zu machen – so nebenbeiHintergrund: Prostitution in Deutschland Auf dem Strich bis in die Rente Karin W. wirkt wie eine ganz normale ältere Dame. Sie ist Mutter und Großmutter, wie Tausende andere auch. Wären da nicht die breitmaschige Netzstrumpfhose und die grünen Fingernägel – niemand würde merken, dass die 56-Jährige ihr Geld mit Sex verdient. Karin W. ist Prostituierte

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Das deutsche Prostitutionsgesetz ist eines der liberalsten der Welt. Seit zehn Jahre ist die Prostitution hier legal und darf im Zuge dessen sogar gefördert werden. Es sollte uns also erstens interessieren, was uns das freizügige Gesetz gebracht hat und zweitens, was aus den Frauen dieses Gewerbes wird, wenn sie zu alt zum Anschaffen sind. Der Beitrag sollte einen kleinen Einblick in das Leben und Altern auf dem Strich ermöglichen.

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Page 1: Auf dem Strich bis in die Rente

Debora Dürksen Älter werden als Prostituierte / Medienpraxisprojekt II Juli 2012

In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge 400 000 Prostituierte. Die Angaben werden dadurch erschwert, dass viele Frauen dieser Tätigkeit nur nebenbei oder vorübergehend nach-gehen und sie deswegen offiziell nicht angeben wollen. Fachbera-tungsstellen gehen davon aus, dass über die Hälfte der in Deutschland tätigen Prostituierten ausländischer Herkunft ist. Ein Großteil von ihnen hat keinen legalen Aufenthaltstitel und ist damit nicht zur Ausübung der Prostitution berechtigt.

Der Lohn einer Prostituierten variiert sehr stark. Während der Einstiegs-preis für eine sexuelle Dienstleistung auf dem Drogenstrich in Berlin bei zehn Euro liegt, verdient eine Escort-Dame in Hamburg oder München 200 Euro pro Stunde.

Täglich nehmen in Deutschland mehr als eine Million Männer die sexuellen Dienstleistungen von Pros-tituierten in Anspruch. Der jährliche Umsatz im Wirtschaftssektor „Prosti-tution“ liegt Schätzungen zufolge im zweistelligen Milliardenbereich.

Seit zehn Jahren ist die Prostitution in Deutschland legal. Das Prostitu-iertengesetz (ProstG) von 2002 ist eines der liberalsten der Welt und sollte die rechtliche und soziale Lage

von Prostituierten stärken. Neben der Tätigkeit als selbständige Prosti-tuierte ist seitdem auch das Betrei-ben von Bordellen erlaubt und nicht länger sittenwidrig. Ziel des Geset-zes war es, Prostituierten Arbeits-verträge rechtlich zuzusichern und ihnen Sozial- und Krankenversiche-rung zu ermöglichen. Zudem sollte die Kriminalität verringert werden. Prostituierte sollten durch ihre sexu-ellen Dienstleistungen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt haben und dieses auch vor Gericht einklagen können.

Doch Befragungen des Sozialwis-senschaftlichen FrauenForschungs-Instituts SoFFi K belegen, dass bis-her nur vereinzelt Arbeitsverträge mit Prostituierten abgeschlossen wurden. Nur wenige Prostituierte wurden zur Sozialversicherung an-gemeldet, da viele „Prostitution“ nicht als Beruf angeben wollen. Die Mehrzahl der Prostituierten möchte anonym bleiben und fürchtet den Verlust ihrer sexuellen Autonomie.

Ein weiterer Kritikpunkt des ProstG ist, dass es gerade den besonders schutzbedürftigen Personen Schutz vorenthält. Damit sind vor allem ausländische Prostituierte und Op-fer des Menschenhandels und der Zwangsprostitution gemeint.

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Auf den ersten Blick wirkt sie unscheinbar. Doch ihre Netzstrumpfhose verrät, womit Karin W. ihre Brötchen verdient

von Debora Dürksen

Seit fast 25 Jahren arbeitet Karin in dem Gewerbe. „Dit darf man keenem erzäh-

len“, sagt sie in starkem Berliner Akzent und lacht laut. Ihr dezent geschminktes Gesicht wird von braun-getönten kurzen Haaren umrandet. Falten hat sie kaum. Fast ihr halbes Leben hat Karin Männern für ein paar Scheine Lust verschafft.

Eigentlich kommt sie aus Ost-Berlin, aus der ehemaligen DDR. Dort ist sie aufgewachsen und zur Schule gegangen. Als Schuhmache-rin arbeitete sie zehn Jahre in einer Schuhfabrik bevor sie 1985 nach West-Berlin kam.

„Ich hab mich erst mal zwei Jahre lang ausgeruht und dann dachte ich ‚jetzt musst du was machen‘“, erinnert Karin sich. Sie arbeitete ein Jahr lang in einem Imbiss in Grune-wald, bevor ihr gekündigt wurde. Zu dem Zeitpunkt erfüllte sie sich einen Traum: Sie reiste mit ihrem damals vierjährigen Sohn nach Afrika; 14 Tage in Kenia, mit Ka-mera und Safari. „Das Ganze hat mich 11 000 DM gekostet. Und da bin ich dann so richtig abge-rutscht.“ Sie brauchte Geld.

Inflation der HurereiÜber eine Freundin kam sie

im Februar 1989 an einen Berli-ner Puff und beschloss kurzerhand ihn zu kaufen. 9 000 DM habe sie damals hingeblättert, um den total heruntergewirtschafteten Laden zu kriegen, erzählt sie. Ka-rin brachte das Modell-haus als selbständige Un-ternehmerin innerhalb weniger Monate wieder in Schuss und verdien-te monatlich 5 000 DM. Mehrere Frauen arbei-teten dort für sie. Wie viele, will sie nicht sagen. Ihr Laden war jedenfalls gut besucht: „Anfang des Jahres hab ich immer 1 000 Kondome für den Laden gekauft, weil es dann billiger war – die

waren manchmal aber schon nach einem halben Jahr aufgebraucht.“

Doch auch die Zeiten, in de-nen es gut lief, waren irgendwann vorbei. Nach 13 Jahren beschloss die Bordellbesitzerin aufzuhören. „Und dann bin ich hier jelandet.“

Hier: das ist die Kurfürsten-straße in Berlin, auch bekannt als Drogenstrich. Hier und in den um-liegenden Straßen stehen alle paar Meter leichtbekleidete Frauen, die auf Freierfang sind. Die Betonge-bäude in der Straße sind grau und kahl, ab und zu fahren langsam ein paar Autos vorbei. Wer die Straße entlang geht, spürt förmlich die lüs-ternen Blicke von der anderen Sei-te der Scheibe. Die Frauen in ihren

extrem kurzen, eng anliegenden Hosen und Netzoberteilen, kommen vor allem aus Osteuropa, aus Bulgarien, Ungarn, Rumänien, Polen.

„Man kann durch die ganzen Aus-länder hier kein Geld mehr verdie-nen“, sagt Karin aufgebracht und fast schon wütend. „Die machen alles für billig Geld.“ Früher hätten sie bei 30 Euro angefangen. Daran habe es nichts zu rütteln gegeben. „Aber jetzt wollen sie ja schon für zehn Euro Französisch, am besten noch mit Analverkehr. Die sind ja nicht normal! Für zehn Euro ma-chen die alles.“

Die Lebe-DameDas Geschäft auf der Stra-

ße lohnt sich für Karin gar nicht mehr. Deswegen habe sie nur noch Stammgäste, die sie anrufen und dann zu ihr nach Hause kom-

men. Durch ihre Stammkunden verdient die 56-Jährige nebenbei noch etwas Geld – schwarz. Bei 25 Männern kommt sie auf 500 bis 700 Euro zusätzlich im Monat, zusammen mit Hartz IV sind das etwa 1 000 Euro.

Auch wenn sie während der Zeit als selbständige Puffbesitzerin deutlich mehr verdiente, hat sie nie Gespartes zurückgelegt oder eine Altersvorsorge getroffen. Und da ist sie nicht die Einzige: Auch die anderen Frauen in diesem Gewer-be, die Karin kennt, sorgen nicht vor. Um Anspruch auf Sozialleis-tungen zu haben, müssten sie sich nach dem Prostitutionsgesetz von 2002 selbständig melden. Doch das Gesetz scheint in der Realität we-nig Erfolg gehabt zu haben, denn nur ein Bruchteil der Prostituier-ten ist sozialversichert. Vor allem die Angst vor dem Finanzamt wür-de diese Frauen davon abhalten, sich selbständig zu melden, meint Karin. „Ich wurde tausendmal da-rauf angesprochen, ob ich nicht mal was für die Rente zurücklegen wolle“, erzählt sie und gestikuliert dabei wild. „Ich sagte immer nur: Ich bin eine Lebe-Dame. Lass mich damit in Ruhe!“

Wenn sie mal zu alt zum Ar-beiten ist, dann würde ihr Sohn für sie sorgen, da ist sie sich sicher. Aber bis jetzt geht es ihr gut. „Ich bin kerngesund und fit“, sagt sie voller Überzeugung und lacht mit ihrer lauten verrauchten Stimme. Sie bewegt sich fast ununterbro-chen, mit ihren Hände fuchtelt sie ständig in der Luft herum. Auch sei sie nie in Drogen verfallen, „wie die anderen“. Mit dem Sex gegen

Bezahlung aufzuhören, hat sie nicht vor. „Bis 63 könnt ich mir noch vor-stellen das zu machen, so nebenbei. Ich kann doch nicht meinen ganzen Stammgästen sagen, ich hör jetzt auf. Das geht ja gar nicht!“

Ihre Stammkun-den kennt sie teilweise schon seit Jahrzehnten. Einerseits spricht sie von ihnen, wie von Freun-den. Andererseits klingt sie abgebrüht wie eine

Geschäftsfrau. Ein paar von ihnen kämen jede Woche zu ihr. „Da ist ein Opi mit 77 verstorben, der hat vor zwei Jahren einen Zungen-tumor gekriegt. Dann hat er sich wieder hochgeraffelt“, erzählt sie nachdenklich. Mit schwermütiger Stimme fährt sie fort: „Aber er mel-det sich nicht mehr und irgendwie hab ich es im Gefühl, dass er nicht mehr unter uns ist. Der war die letzten zwei Male da und konnte nicht mehr abspritzen. Da hab ich nur noch Französisch jemacht. War keine Fickerei, sondern nur Fran-zösisch. Und den hab ich jetzt auch verloren. War jahrelang meine bes-te Quelle“. Sie klingt traurig.

So wie früher, nur anders Ihrem Sohn konnte sie den Be-

ruf nicht verheimlichen und wollte es auch gar nicht. Als sie nach Ber-lin kam und 1989 den Puff kauf-te, hat er dort mit ihr gewohnt. Manchmal habe sie zu viel getrun-ken und ihre Strapse dann irgend-wo hingeschmissen. Ihr Sohn habe sie dann auch gefunden. Damals dachte sie: „Das musst du doch mal dem Kind sagen. Nicht so wie die anderen, die ver-heimlichen das. Und ich dachte, das ist doch Quatsch!“ 13 Jahre war ihr Sohn, als sie ihm erzählte, dass sie ihr Geld mit Prostitution verdient. Er reagier-te gelassen: „Ach Mama, du musst wissen, wie du dein Geld verdienst. Mir ist das egal, was du machst.“

Auch ihre Mutter und Ge-schwister weihte sie kurze Zeit spä-ter ein. Ihre Mutter reagierte erst entrüstet, wollte sie dann aber un-bedingt einmal im Puff besuchen. Sie tauchte an einem Tag auf, an

dem 13 Gäste in den Puff kamen und Karin sehr beschäftigt war. Als sie davon erzählt, lacht sie laut und schlägt sich auf die Schenkel. „Es ist wirklich selten, dass so viele an einem Tag kommen.“

Glücklich ist sie mit ihrem Le-ben auf der Kurfürstenstraße nicht so richtig. Letztes Jahr war sie total am Boden. Sie dachte: „Jetzt wirst du schon 56 und bist immer noch in so ‘ner Aktion.“ Für einen kur-zen Moment spielte sie mit dem Ge-danken sich das Leben zu nehmen. „Ich hab da gesessen und gedacht: Du müsstest im 20. Stock wohnen und dich einfach runterknallen.“ Dann habe es „tick“ gemacht in ihrem Kopf. Sie erinnerte sich an ihre zwei Kater und ihr Enkelkind. „Und dann hab ich gedacht: Du musst dir was einfallen lassen.“

Sie ließ sich was einfallen. Über Freunde kam sie an eine Schule für Hauswirtschaft und begann dort im Oktober 2011 eine Haus-wirtschaftsschulung. Im Septem-ber dieses Jahres wird Karin mit der Schulung fertig sein und darf sich dann „Managerin mit Spe-zialisierung für Privathaushalte“

nennen. Ihre Chan-cen, von der Schu-le übernommen zu werden, stehen gut. „Dann kann ich die letzten acht Jahre bis zur Ren-

te nochmal richtig planen.“ Doch auch wenn sie nach Abschluss der Schulung angestellt werden sollte und ein festes Einkommen hätte, will Karin auf ihre Dienste als Pro-stituierte nicht verzichten. Ob sie nochmal die gleiche Entscheidung treffen und in dieses Gewerbe ein-steigen würde? „Auf keinen Fall“.

Kurfürstenstraße in Berlin: Die überwiegend aus dem Ausland kommenden Prostituierten fangen schon bei zehn Euro an

„Man kann mit den ganzen Auslän-dern hier kein Geld

mehr verdienen”

FOTO: NEUSTART

„Bis 63 könnt ich mir noch vorstellen, das zu machen – so

nebenbei”

Hintergrund: Prostitution in Deutschland

Auf dem Strich bis in die RenteKarin W. wirkt wie eine ganz normale ältere Dame. Sie ist Mutter und Großmutter, wie Tausende andere auch. Wären da nicht die breitmaschige Netzstrumpfhose und die grünen Fingernägel – niemand würde merken, dass die 56-Jährige ihr Geld mit Sex verdient. Karin W. ist Prostituierte