Aufgehuebschtes Fleisch
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Heinz Knieriemen März 2011
Aufgehübschtes Fleisch Nitrat – Nitrit – Nitrosamine, eine fatale Folgekette
Die Konsumentenschutz-Organisation Foodwatch wirft den deutschen Detailhandelsketten in der
Schweiz vor, dass sie ihre Kunden mit aufgehübschtem Fleisch betrügen. Starke Worte. Auch ich bin
für schonungslose Aufklärung, wenn es darum geht, Konsumenten wichtige Entscheidungshilfen zu
liefern, die Einfluss auf ihre Gesundheit nehmen. Voraussetzung ist allerdings, dass die
Zusammenhänge erkannt werden. Sonst wirkt der erhobene Zeigefinger eher penibel und gemahnt
an das alte Sprichwort: Wirf nicht mit Steinen, wenn Du im Glashaus sitzt.
Im Detail wirft Foodwatch den deutschen Handelsketten vor, ihren Kunden Frische vorzugaukeln,
ihnen aber in Wahrheit minderwertiges Fleisch unterzujubeln. Auch in der Schweiz werde zwar
Fleisch in eine Schutzatmosphäre verpackt, um es länger haltbar zu machen, wird immerhin
eingeräumt. Im Gegensatz zu deutschen Handelsketten, wo die Haltbarkeit laut Bell 20 Tage
beträgt, liegt sie in der Schweiz jedoch bei 4 bis 6 Tagen. Ein gescheiter Rat von Foodwatch wäre
also gewesen: Kauft grundsätzlich kein in Plastik verpacktes schutzbegastes Fleisch, sondern nur
frisches in Bioqualität.
Das verwendete Gasgemisch besteht aus rund 80 Prozent Sauerstoff und 20 Prozent Stickstoff.
Der Sauerstoff fördert die Fleischreifung und bewahrt dem Fleisch lange eine schöne rote Farbe,
Stickstoff erhöht die Haltbarkeit.
Sauerstoff und Stickstoff – kommt uns da nicht etwas bekannt vor? Ja richtig, Nitrate sind
Sauerstoff-Stickstoff-Verbindungen, und diese stehen in vielfältigen Beziehungen zu Natur und
Mensch. Das Salz der Salpetersäure mit der chemischen Formel NO-3 besteht aus den Elementen
Stickstoff (N) und Sauerstoff (O). Nitrat ist ein wichtiges Glied im Stickstoffkreislauf der Natur und
dient den Pflanzen als Nährstoff zum Aufbau von Pflanzeneiweiss. Um hohe landwirtschaftliche
Erträge zu sichern, wird Nitrat dem Boden als Dünger zugeführt. Nitrat, das die Pflanzen nicht
aufnehmen können, wird ausgewaschen und gelangt mit der Zeit ins Grundwasser.
Nun stellt nicht nur das Nitrat im Grundwasser und Gemüse eine gesundheitliche Bedrohung dar,
sondern weit mehr noch das Reaktionsprodukt Nitrit und vor allem die Nitrosamine. Nitrit hat als
E 250, 251 und 252 eine Lebensmittelzulassung in der EU, die auch für die Schweiz gilt. Und von
dem heiklen Zusatzstoff wird rege Gebrauch gemacht. Dies nun ausgerechnet auch von jenen, die
via Foodwatch andere des Betrugs bezichtigen.
Nitrit finden wir vor allem in Cervelats, laut einer Migros-Erhebung mit jährlich 160 Millionen
Stück das meistverkaufte Nahrungsmittel in der Schweiz – noch vor Brot, Milch und Käse. Ob nun
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Bell, Naturafarm, ob Prix Garantie oder Weight Watcher - alle setzen in ihren Produkten wie
Cervalats Wienerli, Schweinswürstli, Lyoner, Streichleberwurst, Brätkügeli, Schinken oder
Schmelzkäse (Gerber) auf den Zusatzstoff Nitrit, auch als Nitritpökelsalz deklariert. Dieses erfüllt
unterschiedliche Funktionen: Es wirkt antimikrobiell, also konservierend, es gilt als
Umrötungsmittel, also farbstabilisierend. Das wichtigste ist jedoch: Nitrit verleiht den Würsten
das typische Pökelaroma. Verschwiegen sei jedoch nicht, dass Nitrit auch zur
Nahrungsmittelsicherheit beiträgt, indem es die Entwicklung der gefährlichen Botulinum-Gifte
verhindert. Trotzdem gilt die Begasung als eine schonendere und weniger heikle Behandlung von
Nahrungsmitteln als der Nitritzusatz.
Nitrat – Nitrit – Nitrosamine, eine fatale Folgekette
Das erste Glied der Reaktionskette ist Nitrit (NO-2), das umgewandelte Nitrat. Diese Umwandlung
erfolgt durch Bakterien. So kann Nitrit sowohl im Boden, im Trinkwasser, in Lebensmitteln als
auch im Körper des Menschen aus Nitrat entstehen. Nitrit behindert den Sauerstofftransport des
Blutes. Besonders gefährdet durch Nitrit sind Kleinkinder. Nitrit kann den Farbstoff der roten
Blutkörperchen, das Hämoglobin, so verändern, dass dieses nicht mehr in der Lage ist, den
lebensnotwendigen Sauerstoff zu transportieren. Ist ein bestimmter Anteil des roten
Blutfarbstoffs durch Nitrit in Methämoglobin umgewandelt, besteht vor allem für Säuglinge im
ersten Lebensjahr akute Gefahr, an der sogenannten Blausucht zu erkranken. Der Körper des
Erwachsenen verfügt über ein Schutzsystem, das den blockierten Blutfarbstoff wieder in die
sauerstofftransportierende Form umwandelt. Dieses System ist bei Säuglingen noch
unzureichend ausgebildet. Die Umwandlung von Nitrat in Nitrit geschieht auch im Trinkwasser,
wo für Kindernahrung auch besonders niedrige Nitrat-Grenzwerte vorgeschrieben sind, aber auch
durch die Aufnahme nitrathaltiger Nahrung im Körper selbst. Nitrate können in der
Reaktionskette über Nitrit auch Nitrosamine bilden, die als krebserregend gelten. Und hier sind
nun alle Altersgruppen gleichermassen gefährdet.
Nach unserer Lebensmittelverordnung beträgt der gültige ADI-Wert (Acceptable Daily Intake,
tolerierbare tägliche Aufnahme) 3,7 mg Nitrat pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag, jener für
Nitrit 0,06 mg/kg/Tag. Die beiden Werte sind allerdings nicht für Säuglinge anwendbar, zudem
berücksichtigen sie auch das Risiko der Nitrosaminbildung nicht, wie in der
Lebensmittelverordnung ausdrücklich betont wird. ADI-Werte sind zudem nur für absichtlich im
Lebensmittelsektor verwendete Stoffe (Zusatzstoffe) gültig. Der ADI-Wert für Nitrat darf somit
nicht auf Gemüse angewendet werden (Nitrat als Inhaltsstoff). Die Folgen dieser auf EU-Normen
beruhenden Regelung: die Kantonschemiker, die sich vehement gegen diesen Schritt der
Verharmlosung von Nitrat gewehrt haben, dürfen auch massiv mit Nitrat belastetes Gemüse oder
Salat nicht mehr aus dem Verkehr ziehen.