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Bettina Böttinger: Zehn Jahre »Kölner Treff« »Zimmer frei«: Eine TV-Legende verabschiedet sich Sonia Seymour Mikich: Die Chefin bleibt an Bord Vivaldi goes Hip-Hop DAS MUSIK-EXPERIMENT print DAS MAGAZIN DES WDR September 2016

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Bettina Böttinger: Zehn Jahre »Kölner Treff «

»Zimmer frei«: Eine TV-Legende verabschiedet sich

Sonia Seymour Mikich: Die Chefi n bleibt an Bord

Vivaldi goes Hip-Hop

DAS MUSIK-EXPERIMENT

printDAS MAGAZIN DES WDR

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Diese Jugendlichen treiben sich gerade im Grand Canyon herum – virtuell. Tom Buhrow hat zweiundzwanzig Virtual-Reality-Brillen für das WDR Studio Zwei angeschafft. Dort können Schüler Radio und TV machen – und neuerdings Erfahrungen mit der Virtual-Reality-Brille. Der Intendant ist von der neuen Technik überzeugt: „Für den WDR erge-ben sich dadurch ganz neue Möglichkeiten, Inhalte zu erzählen.“ »Quarks & Co« hat seine Zuschauer bereits in eine erheblich unwirtlichere Umgebung entführt und eine 360-Grad-Reportage über Tschernobyl produziert.

ZUKUNFTS-AUSSICHTEN

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Wenn Sie den Typen in der Mitte nicht kennen, liegt es vermutlich daran, dass Sie volljährig sind. Es handelt ich um Youtube-Star Mr. Trashpack, der auf seinem Youtube-Kanal regelmäßig über andere Youtube-Stars spricht. Marvin Fischer (links) und Maike Greine (rechts) trafen den Schnellredner für 1LIVE diGGi bei den Videodays, Europas größtem Youtuber-Treffen, das zu sich einer Kreischalarm-Veranstaltung für viele tausend jugendlicher Fans entwickelt hat. Das WDR-Internetradio sendete erstmalig zwei mal vier Stunden live aus der Köln-Arena für die Zahnspangen-Zielgruppe.

BITTE LÄCHELN

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Peter Wohlleben sieht den Wald trotz der vielen Bäume ganz genau. Mit seinem Überraschungs-Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ wurde der Eifeler zum berühmtesten Förster Deutschlands. Darin vermenschlicht er zwar Buche, Eiche und Nordmanntanne als Freunde, beschreibt den Wald als Gemeinschaft, die ihre Kinder säugt und sich gegenseitig vor Gefahren warnt. Aber alles auf streng wissenschaftlicher Grundlage. »Planet Wissen« stellt Wohlleben am 23. September um 13.00 Uhr in der Sendung „Der Wald – Die geheime Sprache der Bäume“ vor.

SCHWEIGEN DIE WÄLDER?

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Eine nette Chefin: Birgit Schulte Bisping bedankt sich bei ihrer Kuh Karin (Name von der Redaktion geändert) für die gute Milch. Die Landfrau stellt in ihrer Hofkäserei in Telgte daraus Käse und Joghurt her. Für »Land & Lecker« kocht sie mit fünf Kolleginnen aus dem ruralen NRW um die Wette. Neben Leckereien aus der Landküche zeigen die neuen Episoden, wie den kreativen Unternehmerinnen die Balance zwischen Familientradition und Zeitenwandel gelingt. Jetzt zur besten Sendezeit: Ab 5. September montags um 20.15 Uhr im WDR Fernsehen.

KUH-KUCK!

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Dieser Straßenmusiker hat auf jeden Fall schon mal 50 Euro im Saxophon-Koffer. Denn so viel bekommt Klaus Doldinger als Komponist der »Tatort«-Titel-Melodie für jede neue Folge überwiesen. Wiederholungen bringen einen Fünfer. Da muss mancher Fußgängerzonen-Charlie-Parker lange für tröten. Im Kölner »Tatort« spielt die 80-jährige Jazzlegende, die damals Udo Lindenberg an die Trommeln setzte, erstmalig eine kleine Rolle. Den Kölner Kriminalisten scheint der Sound zu gefallen. Die Dreharbeiten fanden im Juli und August statt, ein Sendetermin steht noch nicht fest.

KLEINGELD FÜR KLAUS

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Liebe Leserinnen und Leser,

lieben Sie Jazz, Pop oder Rap oder sind Sie eher der Klassikliebhaber? Egal, welchen Musikgeschmack Sie vertreten, welcher musikalischen Generation Sie angehören, der WDR bietet seinem Publikum zum Saisonauftakt der vier Klangkörper aufre-gende neue Projekte und Programme aus allen Sparten. Wir sprachen mit Rapper MoTrip und Wayne Marshall, Chefdirigent des WDR Funkhausorchesters, über das cross-musikalische „Vivaldi Experiment“, trafen junge Musiker anlässlich des Fina-les des „Eurovision Young Musicians“ und erfuhren von Chefdirigent Jukka-Pekka Saraste die Pläne des WDR Sinfonieorches-ters. Außerdem stellen wir die kongeniale neue Doppelspitze der WDR Big Band vor und rufen zum großen Wettbewerb „Der beste Chor im Westen“ auf. Wenn Sie mitsingen wollen: Anmeldeschluss ist der 9. September.In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen beschwingten Sommerausklang

Maja Lendzian

Editorial

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TV-WG feiertAbschiedsparty

44 Als Korrespondentin suchte Sonia Seymour Mikich das Aben-teuer, wagte sich in die Verstecke tschetschenischer Rebellen und wurde für ihren mutigen Journalismus ausgezeichnet. Seit zwei Jahren ist die 65-Jährige Fernsehchefredakteurin. Wir sprachen mit ihr anlässlich einer nicht alltäglichen Vertragsverlängerung.

16 »Zimmer frei«, die anarchische Show des WDR, macht nach erfolg-reichen 20 Jahren Schluss. Wir erin-nern an die kuriosen Anfänge und unvergessliche Momente deutscher Unterhaltungskunst.

Christine Westermann und Götz AlsmannFoto: WDR/Knabe

SONIA SEYMOUR MIKICH

Mutiger Journalismus

Titel24 Das Vivaldi-Experiment: Interview mit Rapper MoTrip und Wayne Marshall, Chef- dirigent des WDR Funkhausorchesters

30 Der WDR überträgt den medial bedeut- samsten Wettbewerb für junge Klassik- musiker in Europa

34 Jukka-Pekka Saraste, Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters, über einen Rock’n’ Roller der Klassik: Mahler 38 Zwei Bosse für die WDR Big Band

40 Der WDR Rundfunkchor machte bei einem spannenden Filmprojekt mit, das für den Prix Italia nominiert wurde / Der WDR sucht wieder den besten Chor im Westen

Talk 8 Jubiläum: Interview mit Bettina Böttinger über zehn Jahre »Kölner Treff«

Panorama

14 Neue WDR-Doku-Soap über das Tanz- fieber in NRW / WDR 4 ab 2017 werbefrei

Medienmenschen

15 Thomas Hermanns moderiert künftig »Westart live« / Stefan Konarskes Abschied vom »Dortmunder Tatort«

44 Vertrag mit Fernsehchefredakteurin Sonia Seymour Mikich über die Pensionsgrenze hinaus verlängert

49 Emanuela Penev, die neue stellvertre- tende Unternehmenssprecherin / Repor- ter-Legende Herbert Watterott wird 75

Show 16 Abschied von einer TV-Legende: Nach 20 Jahren ist Schluss mit »Zimmer frei«

Hörspiel

42 Das größte Hörspiel aller Zeiten wurde in nur 70 Tagen von 1401 Vorlesern komplett eingesprochen

Nachruf 50 Ulrike Wischer, Hilde Junker-Seeliger

70 Jahre NRW

51 WDR setzte Festakt in Szene

Perspektiven52 Gesucht: Qualifizierter Nachwuchs an Fachinformatikern

54 WDR schafft Ausbildungsplätze für Flücht- linge / »Lokalzeit Köln« kommt ins Schulbuch

Glosse 55 Christian Gottschalk über Musik im Fernsehen

Berufsbilder 56 Eine von uns: Fernsehfilmredakteurin Nina Klamroth

Im Gespräch 58 Auf einen Weißwein mit Drehbuchautor Jürgen Werner

59 Service / Impressum

Sonia Seymour Mikich in ihrem Kölner Büro-Foto: WDR/Görgen

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Inhalt

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B. SPRICHT

Kölner Südstadt, im Hintergrund die Severintorburg: Bettina Böttinger trifft Köln und macht mit ihrem Moderationssessel Station an besonders schönen Plätzen. Fotos: WDR/Grande

Zehn Jahre »Kölner Treff« mit Bettina Böttinger

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Talk

Bettina Böttinger ist die Meisterin des Crosstalks: Souverän zettelt sie die spannendsten Gespräche zwischen den interessantesten Zeitgenossen an. Denn wenn die Journalistin einlädt, kommen alle. Der »Kölner Treff« zählt zu den erfolgreichsten Talk-Sendungen im deutschen Fernsehen. Zum Zehnjährigen drehten wir den Spieß um und baten die Profi-Talkerin zum Interview.

„Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie was man kriegt.“ Till Quitmann sitzt mit Bettina Böttinger auf einer Bank im Flughafen Köln/Bonn und gibt den Forrest Gump. Es ist der Einstieg in eines seiner beliebten Klapp-stuhlinterviews für die »Lokalzeit Köln«. Die mitgebrachten Sitzmöbel werden heute allerdings nicht gebraucht und zieren zusammengeklappt das Bild.

Es ist Urlaubszeit. Entsprechend viele Menschen wuseln um das WDR-Team herum. Sie habe sich vorgenommen, ihrem Fernweh häufiger nachzugeben, sagt Bet-tina Böttinger. Dabei hat sie gerade ihren Urlaub für dieses und diverse andere Inter-views unterbrochen. Die viel beschäftigte Moderatorin und Produzentin steht der-zeit im Fokus, denn im Juli feierte sie ihren

60. Geburtstag, und im September hat ihr WDR-Talk »Kölner Treff« zehnjähriges Jubiläum.

Weil das Zusammenspiel zwischen Quitmann und Böttinger so gut funk-tionierte, beschloss die Redaktion, das gesamte Interview in zwei Teilen zu senden (siehe Seite 13). Unmittelbar nach dem Dreh übernahm Christine Schilha für WDR print Klappstuhl-Tills Platz auf der Bank.

Frau Böttinger, normalerweise stellen Sie die Fragen. Wie fühlt sich der Rollenwechsel an?

Ach, ehrlich gesagt ganz gut. Es hat was von Ernte einfahren. Jetzt zum Jubi-läum zeigt sich deutlich, was für ein Ver-gnügen die Leute am »Kölner Treff« haben, wie sehr sie die Sendung schätzen. Das freut mich und mein Team sehr. Dazu kam

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auch noch Lob vom WDR: ein sehr schöner Brief vom Intendanten Tom Buhrow und eine beeindruckende Rede des Fernsehdi-rektors Jörg Schönenborn. Ich habe gerade eine tolle Zeit.

Dabei wollten Sie ja eigentlich Lehrerin wer-den …

Das stimmt nicht ganz. Ich hatte nach dem Abitur keine Ahnung, was ich beruflich machen wollte. Ich habe Ger-manistik und Geschichte studiert, weil es mich interessierte. Die Perspektive war, irgendwann zu unterrichten, aber eigent-lich wollte ich das nicht wirklich. Als ich dann freie Mitarbeiterin bei einer Zeitung wurde, war klar: Journalismus, das ist mein Weg! Es war eine sehr gute und glücklich machende Wahl.

1985 fingen Sie als Redakteurin beim WDR an. Wie kam es zum Schritt ans Mikro und vor die Kamera?

Ans Mikro sehr früh. Ich habe damals die Hörfunksendung »Guten Morgen aus Köln« gemacht und wurde gefragt, ob ich nicht auch »Zwischen Rhein und Weser« moderieren wolle – ein Flaggschiff am Nachmittag auf WDR 2. Ich war nie in meinem Leben so aufgeregt wie bei der ersten Sendung. Und dann kam das Fernsehen. Ich wurde sehr jung Redaktionsleiterin von »Hier und Heute« und habe die Sendung auch im Wechsel mit anderen moderiert. Das waren alles ganz klar journalistische Stationen. Der erste Schritt in Richtung Unterhaltung kam 1991 mit »Parlazzo«. Die von Annette Dittert konzipierte,

ungewöhnlich freche Medienshow war live vor Publikum – da habe ich gemerkt, dass ich das gerne mache. Wir haben das Fernsehen unter die Lupe und aufs Korn genommen. Das hat uns sehr viel Ver-gnügen bereitet, aber auch so manchen Ärger eingebracht.

In einer Sendung haben Sie dem jungen Stefan Raab auf den Kopf gehauen. Was hat Sie da geritten?

[Lacht] Daran habe ich mich auch erst jetzt wieder erinnert, als ich den Aus-schnitt sah. Na ja, ich sagte ja: Wir haben uns viel rausgenommen damals. Der Raab hatte ein wirklich frauenfeindliches Lied herausgebracht mit der Zeile „Frauen soll man hauen“. Da habe ich den Spieß eben umgedreht. ➔

Till Quitmann führt gleich mit Bettina Böttinger eines seiner berüchtigten „Klapp-stuhlinterviews“ für die »Lokalzeit Köln«. Anschließend bittet WDR print zum Inter-view auf dem Köln/Bon-ner Flughafen.

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Talk

2006 haben Sie mit dem »Kölner Treff« ein Stück Fernsehgeschichte wiederbelebt. Die Talkshow lief von 1976 bis 1983 im WDR. Welche Erinnerung haben Sie daran?

Ich habe im Kopf, dass die Kombina-tion aus dem Journalisten Dieter Thoma, damals Hörfunkchefredakteur des WDR, und dem Unterhalter Alfred Biolek sehr gut funktionierte. Wenn man sich aber heute eine Sendung aus dem Archiv anschaut, dann stellt man fest: Mein lieber Scholli, da liegen Lichtjahre dazwischen, was das Tempo angeht, die Art, Gespräche anzu-fangen, die Art, Fernsehen zu machen. Das Neue damals war, dass die beiden auch „normale Leute“ ins Studio holten. Das machte den Reiz aus, deshalb blieb die Sendung in positiver Erinnerung. Und deshalb kam der WDR auch auf die Idee, den Titel nochmal aufzunehmen.

Was haben Sie anders gemacht?Das Konzept war anfangs, in Dop-

pelmoderation mit Achim Winter die Gespräche nacheinander zu führen, auf dem bekannten Sofa. Das war nicht mein Fall und hat einfach nicht hingehauen. Die erste Sen-dung hatte eine dramatische Quote von 2,8 Prozent. Wir sind dann bald zur klassi-schen Talkrunde überge-gangen, und ich habe die Moderation alleine über-nommen.

Nun läuft die Sendung seit zehn Jahren. Dreimal im Monat erreichen Sie 1,4 Mil-lionen Zuschauer. Was macht den Erfolg aus?

Sie bietet ein gewisses Maß an Amüsement, das zum Freitagabend passt,

eine rheinische Lockerheit, ohne albern zu werden. Gleichzeitig bemühen wir uns, gute Gastgeber zu sein. Jeder Gast – egal ob prominent oder nicht – bekommt die gleiche Aufmerksamkeit und Wertschät-zung. Das spiegeln uns die Gäste oft und sagen: „Bei euch herrscht eine besondere Atmosphäre, wir kommen gerne.“ Und ich glaube, auch das Publikum schätzt das sehr.

„Jetzt zum Jubiläum zeigt sich deutlich, was für ein Vergnügen die Leute am »Kölner Treff« haben, wie sehr sie die Sendung schätzen.“

Nach so vielen Jahren Talk – kommt da nicht die Neugier abhanden und Routine auf?

Nee, dagegen hilft eine ganz banale Tatsache: Kein Leben ist langweilig! Dazu kommt, dass ich nie genau weiß, wie die Kombination der Gäste funktioniert, wel-che Dynamik entsteht. Auch wenn wir uns natürlich im Vorfeld Gedanken machen, wie das zusammenpasst. Mein Team und ich suchen gerne nach Parallelen. Denn ich bemühe mich, die Gäste nicht nur nachein-ander abzuhandeln, sondern eine richtige Gesprächsrunde zu etablieren. Auch das kommt beim Publikum gut an.

Was ist für Sie eine perfekte Gesprächsrunde?In einer perfekten Runde entsteht eine

ganz bestimmte Energie, die nur in dieser Situation entstehen kann – aufgrund dieser Gäste, ihres Interesses füreinander und dem, was wir nicht planen können: wenn plötzlich Sympathie aufflammt, sich Gemeinsamkei-

Der »Kölner Treff« steht für Begegnungen. Das Jubiläum ihrer Sendung nimmt Bettina Böttinger zum Anlass für einen Streifzug mit Fotografin Melanie Grande durch Köln. Auf der Severinstraße, eine der beliebtesten Straßen der Stadt, trifft sie Mehmet Sahan vor seinem türkischen Supermarkt.

Bettina Böttinger mit WDR print-Autorin Christine Schilha

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Talk

ten offenbaren. Wenn die Runde ganz dicht wird, dann kommt das bei den Zuschauern an. Nach einer Sendung, die etwas Vergnüg-liches und Leichtes hat und gleichzeitig Gedanken auslöst, die noch nachhängen, fahre ich sehr glücklich nach Hause.

Wie schmal ist der Grat zwischen dem Gast nahezukommen und ihm zu nahezutreten?

Darüber mache ich mir als Gastgebe-rin vorher Gedanken. Jeder Mensch hat eine andere Grenze. Manche sagen: Darü-ber möchte ich nicht sprechen. Das akzep-tieren wir selbstverständlich. Und die Gäste wissen, dass sie sich darauf verlassen können. Wir lassen sie auch nicht alleine, etwa wenn sie mal von einem anderen Gast angepampt werden. Das heißt aber nicht, dass wir weichgespült sind. Ich erlaube mir, die Gäste auch mal auf den Arm zu nehmen, sie aus der Reserve zu locken. Die Allermeisten kommen damit klar.

Führen Sie heute Gespräche anders, als zu Beginn Ihrer Talkshow-Karriere?

Ja. Bei »B.trifft« waren die Gesprä-che noch viel journalistischer angelegt. Da hatte ich immer das Ziel, mehr raus-zukriegen, als der Gast erzählen wollte. Diesen Anspruch habe ich heute nicht mehr. Ich versuche, als Gastgeberin eine Atmosphäre herzustellen, und bin nicht auf einem Erkenntnisgewinn-Trip. Das ist eine andere Herangehensweise, an die ich mich selbst erst gewöhnen musste.

Gibt es einen Gast, den Sie noch nicht in der Sendung hatten, aber schon immer haben wollten?

Nein. So wichtig ist niemand. Ich habe so viele beeindruckende Persönlichkeiten kennengelernt, dass ich nicht denke: Aber Boris Becker müsste unbedingt noch kom-men.

WDR FERNSEHENFR / 2. September / 22:00 – 23:40

»Kölner Treff«Jubiläumssendung mit Mariele Millowitsch, Walter Sittler, Gaby Köster, Till Brönner, Bülent Ceylan, Enissa Amani

danach online: www.wdr.de/k/koelnertreff

1/30Zehn Jahre Kölner Treff in Bildern

www.wdr.de/k/10jahre

#Klappstuhl: Till trifft BettinaBöttinger (Teil I und II)in der Lokalzeit aus Köln

online: www.wdr.de/k/klappstuhl

Sind Sie eigentlich privat auch eine Plau-dertasche oder schweigen Sie da zum Aus-gleich?

Mein Temperament ist nicht nur fern-sehtauglich, ich bin auch sonst nicht still. Ich bin aber auch keine, die zwanghaft jede Tischgesellschaft unterhalten muss. Im Gegenteil, wenn ich privat interessante Menschen treffe, kann ich mich auch den ganzen Abend zurücknehmen und zuhö-ren. Zuhören habe ich ja als Talkerin auch gelernt. Ich glaube schon, dass mich diese Tätigkeit, die ich jetzt so lange ausübe, sehr geprägt hat. Und es hat auch mein Men-schenbild geprägt. Vielleicht sogar zu sehr zum Positiven.

Wie meinen Sie das?Die Menschen, mit denen ich zu tun

habe, sind in der Regel sehr freundlich. Und ich bin es auch. Es sind sehr oft sehr menschliche und warme Begegnungen. Was ich da freitagabends erlebe, strahlt meist noch auf meine Wochenenden aus. Und dann kommt die bittere Realität, wenn ich Nachrichten schaue und sehe, in was für einer Zeit wir leben.

Der »Kölner Treff« steht für Begegnungen. Das Jubiläum ihrer Sendung nimmt Bettina Böttinger zum Anlass für einen Streifzug mit Fotografin Melanie Grande durch Köln. Auf der Severinstraße, eine der beliebtesten Straßen der Stadt, trifft sie Mehmet Sahan vor seinem türkischen Supermarkt.

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Panorama

Nordrhein-Westfalen bittet zum Tanz! Die neue WDR-Doku-Soap »Tanzfieber – mein bewegtes Leben« taucht ab 5. Septem-ber hautnah ein in die Lebenswelten von Tanzlehrern, Tänzern und Tanzbegeister-ten in unserem Land.

Tanzen ist Leidenschaft! Und für die Protagonisten der neuen sechsteiligen WDR-Doku-Soap ist es ihr Leben. So fand zum Bei-spiel Hanno Liesner in seinem Tanzverein „Funky“ eine neue Lebensaufgabe, nachdem er mit Sozialstunden bei der Lebenshilfe Münster Buße per Gerichtsbeschluss hatte leisten müssen: „Egal ob behindert oder nicht: Wir haben einen Ort, an dem nur die gemeinsame Liebe zum Tanzen zeleb-riert wird.“ Dass Tanzen und Liebe zusam-mengehören, zeigen auch die Düsseldorfer Eheleute Rudolf (75) und Gudrun Pekel (62) eindrucksvoll auf dem Parkett: Sie gehören zu den ältesten sowie erfolgreichsten Paaren in ihrer Klasse und schreiten seit mehr als 40 Jahren im gleichen Takt durchs Leben. Weniger um Liebe, sondern um eiserne Dis-ziplin und Hingabe geht es bei der Latein-Formation vom TSZ Velbert: Hier tanzt nur, wer auch absolute Bestleistung zeigt. Oder

Let’s Dance!

„Dornröschen“ in einer Choreographie des russischen Ballettstars Rudolf Nurejew: Tanzlehrer Marcos Souza Araujo tanzt den Nussknacker. Foto: WDR/ITV/Kohr

der brasilianische Profitänzer Marcos Souza Araujo: Früher auf fast allen großen Bühnen in seinem Heimatland und in Deutschland unterwegs, führt er heute eine eigene kleine Tanzschule in Sprockhövel, zusammen mit seinem Mann Walter. Carsten Wiese, verant-wortlicher Redakteur der neuen Doku-Soap:

Tanzfieber – mein bewegtes Leben

WDR FERNSEHENMO / ab 5. September / 21:00

„Tanzen ist etwas Wunderbares, es ist alles in einem: Liebe und Leid, Erfolg und Niederlage, Glück und Schmerz.“ EB

„ONE – Eins für euch“Schon länger setzt

Einsfestival verstärkt auf Fiktion und Unter-haltung. Jetzt passte der vom WDR verantwor-tete digitale Fernseh-sender seinen Namen den neuen Inhalten an. Vom 3. September an heißt der Sender „ONE“. Mit dem Claim wird daraus: „ONE – Eins für Euch“. „Der alte Name passte einfach nicht mehr zum Sender. Wenn wir die Leute fragen, woran sie bei ,Einsfestival‘ denken, hören wir häufig ,klassische Musik‘ und ,Kultursender‘“, erklärt ONE-Projektleiterin Karin Egle.

Der neue Look knüpft an das etablierte Einsfestival-Design an und präsentiert sich mit starken Farben und spezieller Bild-sprache. ONE wird den Fokus auf Film, Serie und Comedy legen. Zu den aktuellen ONE-Programm-Highlights zählen der US-Late-Night-Hit »The Tonight Show Starring Jimmy Fallon«, die australische Krimiserie »Miss Fishers mysteriöse Mord-fälle«, die Emmy-prämierte US-Serie »Nurse Jackie« und das eigenproduzierte Gossip-Magazin »Shuffle« mit Lena Liebkind. Egle: „Es soll aufregender und unterhaltender werden – und einen guten Schuss Glamour wollen wir ONE verpassen.“ EB

WDR 4: Ab 2017 werbefreiWDR 4 ist künftig werbefrei. Der Rundfunkrat hat einem ent-

sprechenden Vorschlag der Geschäftsleitung zugestimmt. Damit setzt der WDR eine rechtliche Vorgabe des Landes NRW um: Mitte Februar trat das neue WDR-Gesetz in Kraft, das unter anderem eine Reduzierung der Radiowerbung vorgibt.

„Bei WDR 4 müssen wir durch den Wegfall nur minimal in den Programmablauf eingreifen, was letztendlich auch den Hörerinnen und Hörern zugutekommt“, begründet Hörfunkdirektorin Valerie Weber die Entscheidung. „Außerdem entsteht dem WDR durch die-sen Werbeverzicht auch der vergleichsweise geringste finanzielle Schaden.“ WDR 4 hatte bisher im Jahresdurchschnitt werktags 15 Minuten Werbung gesendet.

Gemäß der Neuerungen des WDR-Gesetzes werden ab 2017 dann noch 1LIVE (35 Minuten werktags im Jahresdurch-schnitt) und WDR 2 (40 Minuten werk-tags im Jahresdurchschnitt) Werbung ausstrahlen. Die Entscheidung, welche WDR-Welle als einzige von 2019 an noch Radiowerbung sendet, wird der WDR im Sommer 2018 treffen. EB

WDR-Hörfunkdirektorin Valerie Weber Foto: WDR/Sachs

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Medienmenschen

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»Westart live« erhält Verstärkung: Tho-mas Hermanns wird neuer Moderator der innovativen Kultursendung des WDR Fernsehens. Seinen Einstand gibt er am 26. September.

Er ist Komiker, Drehbuchautor, Regis-seur, Gründer des »Quatsch Comedy Clubs«, Gastgeber der NDR-Variety-Show »Thomas und Helga« und war von 2006 bis 2008 kon-genialer Moderator der deutschen Vorent-scheidung zum Eurovision Song Contest. Ab 26. September macht Thomas Hermanns in Sachen Kultur: Der gebürtige Bochumer wird dann, im Wechsel mit Matthias Bon-gard, »Westart live« moderieren.

Mit Hermanns verpflichtet der WDR für sein Kulturflaggschiff einen Fernsehprofi, der in seiner gesamten Karriere an der Zusam-menführung von E und U gearbeitet hat. „Als studierter Theaterwissenschaftler hätte ich eigentlich direkt den Dramaturgen-Job angesteuert, aber die Anerkennung des Pop als Kultur in den 1980ern hat mich über selbst geschriebene

Thomas Hermanns, der neue „Gastgeber der interessantesten Sofaparty der Nation“.

Komödien, Fashion Shows und Kleinkunst nach New York gebracht, wo mein allumfas-sendes Kulturverständnis geprägt wurde“, erklärt der neue »Westart live«-Moderator. Die Zuschauer werden merken, dass er die Kultur in allen Farben mag und sich für alles interessiert – „außer vielleicht für Speed Metal und Yoko Ono“.

WDR-Kulturchef Matthias Kremin, der vor allem Hermanns‘ „erstaunliche popkulturelle Kenntnise“ schätzt, sieht‘s gelassen: „Ich bin sicher, bis er bei uns anfängt, wird er auch die letzten Bildungs-lücken in Sachen Speed Metal und Yoko Ono geschlossen haben.“

Und seine Herausforderung im neuen Job? „Nicht jedem ungefragt Beyoncé als feministische Ikone der Post-Madonna-Ära zu erklären“, sagt Hermanns, der sich dar-auf freut, der

„Gastgeber der interessantesten Sofaparty der Nation“ zu wer-den. mal

Thomas Hermanns moderiert »Westart live«

WDR FERNSEHENMO /22:40

»Westart live«

Stefan Konarske steigt aus dem Dortmunder WDR-»Tatort« aus. Seinen letzten Einsatz als Ober-kommissar Daniel Kossik wird er 2017 haben. Das verriet der Ermittler aus dem vierköpfigen Kripo-Team Mitte August bei der Open-Air-Premiere der neuen Folge „Zahltag“ im Dortmunder Westfalen-park vor rund 1200 Zuschauern. Die Entscheidung sei auf seinen eigenen Wunsch bereits vor längerer Zeit und in enger Abstimmung mit dem WDR und dem Produktionsteam getroffen worden, betonte der Schauspieler. „Ich bin sehr froh, ein Teil dieser ganz besonderen Ermittlergruppe zu sein. Doch mein Lebensmittelpunkt liegt mittlerweile in Paris. Dort arbeite ich in verschiedenen Film- und Thea-terprojekten“, begründete Konarske seinen Schritt.

„Sturm“ (Arbeitstitel), der zehnte Fall für das Ermittlerteam aus Dortmund, ist bereits abgedreht und wird nächstes Jahr im Ersten zu sehen sein. Dann klärt sich auch, unter welchen Umständen Kossik aus dem Team ausscheidet. Redakteur Frank Tönsmann: „Die Fans des Dort-mund-Tatorts dürfen sich auf ein würdiges Finale von Daniel Kossik freuen. Es wird nicht leicht, diese Lücke zu füllen, doch wir arbeiten daran.“ Siehe auch das Interview mit Drehbuchautor Jürgen Werner auf Seite 58 mal

Stefan Konarske gibt seinen Ausstieg aus dem Dortmund->>Tatort<< bei der Open-Air-Premiere des neusten WDR-Krimis bekannt. Foto: WDR/Langer

Das ErsteSO / 9. Oktober / 20:15

ZahltagWDR-»Tatort« aus Dortmund

Stefan Konarske verabschiedet sich vom »Tatort«

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KEIN ZIMMER MEHR FREI

»Zimmer frei!«, Deutsch-lands berühmteste Fernseh-WG, löst sich auf. Was als lockeres Sommerprogramm erdacht war, lief 20 Jahre lang erfolgreich im WDR Fernsehen.

WDR print-Autor Christian Gottschalk geht für diese besondere, immer ein wenig „anarchische“ Sendung auf eine persönliche Spurensuche.

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KEIN ZIMMER MEHR FREIChristine Westermann und Götz Alsmann – ein Moderatorentraumpaar mit unverwechselbarem Stil, von 1996 (links) bis heute (oben).Fotos: WDR/Galuschka/Knabe

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Schrille Kostümspektakel, meister-liche bis schräge Hausmusik, skurrile Bil-derrätsel, sehr persönliche Gespräche und überraschende Geständnisse, rotzfreche Kabarettisten, irrwitzige Spielaktionen und abgedrehte Parodien. Das war »Zimmer frei!« von der allerersten Sendung bis zum Bild-schirmabschied mit der 699. Folge. Dabei war alles ganz anders geplant. Nach nur 18 Ausga-ben, gesendet innerhalb von sechs Wochen, sollte eigentlich wieder Schluss sein: „Das Scheitern war quasi Teil des Konzepts“, sagt Michael Müller-Erdorf. Er war einer von vier Autoren, die sich 1996 Spiele, Bilderrätsel und Aktionen für die Gäste ausdachten. Das Team: eine bunte Mannschaft aus verschie-denen Abteilungen des Senders, die dafür

gesorgt hat, dass der WDR zwei Jahrzehnte lang einen solchen Unterhaltungsklas-siker zeigen konnte. Einen „Dauerbrenner“, wie WDR-Intendant Tom Buhrow sagt. „Das ist vor allem Christine Westermann und Götz Als-mann mit ihrem unverwech-selbaren Stil zu verdanken. Ihre langjährige, aber heiße Moderationsaffäre im WDR

Fernsehen hat uns immer wieder begeistert und überrascht. Danken möchte ich auch dem gesamten WDR-Team. Die festen und freien Kolleginnen und Kollegen unserer großen Show-Eigenproduktion können auf dieses Sahnestückchen der Fernsehunter-haltung mächtig stolz sein.“

Mit Moik fing alles an

Als ersten Gast begrüßten Christine Westermann und Götz Alsmann am 9. Juli 1996 das Volksmusikschwergewicht Karl Moik. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Es treten auf: ein Musiker, Musikwissenschaftler und TV-Moderator, der außerdem als Professor Bop im Radio eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Dazu eine gestandene Journalistin aus der »Aktuellen Stunde«, die sich aufs Parkett der Unterhaltung wagt und eben Karl Moik. Für viele Zuschauer damals – um es freundlich zu formulieren – eine Reizfigur. Das sieht so gar nicht nach Zielgruppenanalyse aus, sondern spricht für einen gewissen Über-mut. Es sei stets das „Anarchische“ an der Sendung gewesen, das sie zu etwas Beson-

derem gemacht habe, meint Müller-Erdorf. Und das von Beginn an für viel Beachtung sorgte: Ungezählte Schauspielerinnen, Poli-tiker, Sängerinnen, Kabarettisten, Promi-nente aller Art haben sich seit dem Start um Aufnahme in die WG beworben, manche sogar zwei Mal.

Letzter Gast: Thomas Gottschalk

Am 18.9. führen Christine und „Götzi-Mausi“ das letzte Bewerbungsgespräch. Und zwar mit Thomas Gottschalk. Am 25.9. steigt dann als 700. Folge die 120 Minuten lange Abschiedsparty mit 20 prominenten Gästen. Mit dabei sind: Guido Cantz, Clueso, Kim Fisher, Jorge González, Thomas Hermanns, Maite Kelly, Guido Maria Kretschmer, Mariele Millowitsch, Oliver Mommsen, Katrin Müller-Hohenstein, Jens Riewa, Mary Roos, Semino Rossi, Florian Silbereisen, Oliver Welke und Anne Will. Danach ist Schluss. Deutschlands berühm-teste Fernseh-WG löst sich auf.

Es wären auch doppelt so viele Promi-nente zur letzten Sendung gekommen. „Nicht wenige Promis kommen auf die Redaktion zu“, sagt Produktionsleiterin Gaby Montag, „und fragen, ob sie mitmachen können. Das gibt es sonst auch nicht. Wir sind eben echt eine Marke“. Seit zehn Jahren begleitet Montag die Sendung „von der Anmeldung des Programmvorhabens bis zur Abrech-nung am Schluss“. Denn auch Chaos und Glamour wollen verwaltet werden. Sie wird diese große Show-Eigenproduktion des WDR vermissen: „Das ist wie eine große Familie. In den letzten zehn Jahren haben fast immer dieselben Leute zusammengearbeitet. Alle sind aufeinander eingespielt und die Moti-vation ist sehr hoch.“

Redakteur Michael Kerkmann über-nahm die Sendung 2010, gerade mal ein Jahr nach seinem Volontariat: „Als blutjunger Redakteur war das für mich wirklich eine Mammutaufgabe.“ Die kompletten Bauten sind handgemacht, die Zimmer von der Szenenbildnerin Isabel Linnenbecker ent-worfen. Kerkmann: „Wir haben ganz Bock-lemünd beschäftigt.“ In dem Stadtteil am Rande Kölns befinden sich die Werkstätten des WDR. Auch Maske und Kostüm kön-nen sich bei »Zimmer frei!« richtig austoben, wenn man bedenkt, welche Verkleidungen Gäste und Moderatoren bei den Spielen anlegen mussten – ➔

„»Zimmer frei!« ist wie eine große Familie. Alle sind

aufeinander eingespielt.“

Produktionsleite-rin Gaby MontagFoto: WDR/Knabe

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Eine Legende der Fernsehunter-haltung zum Abschied: Thomas Gottschalk ist in der 699. Sen-dung der allerletzte Bewerber um das WG-Zimmer. Wird er einziehen dürfen? Foto: WDR/Knabe

Der erste Gast: Karl Moik. Er bekam das Zimmer. Foto: WDR/Seip

Erdbeere in Schokolade am Spieß für Sandra Maischberger vonChristine Westermann Foto: WDR/Seip

Harald Juhnke did it his way. Selbstverständlich auch bei »Zimmer frei!«. Der große Entertainer sorgte kurz vor seinem Tod für einen bewegenden Moment. Foto: WDR/Hohl

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und dass Götz Alsmann am Ende jeder Sendung eine skurille Kopf bedeckung trägt. „Das macht die Sendung aus“, sagt Kerkmann, „und dass sie so bunt ist wie das Leben. Man kann albern sein, kann aber auch tiefschürfende Gespräche führen.“

Während Show-Redakteure heutzu-tage meist gemeinsam mit Produktionsfir-men ein Gesamtprodukt entwickeln, ging bei »Zimmer frei!« alles über Kerkmanns Redaktionsschreibtisch. „Dadurch war ich in der Lage, eine Show bis ins Detail zu ver-stehen. So konnte ich die kreative Arbeit der verschiedenen Gewerke begreifen und wert-

schätzen – Erfahrungen, die später in andere Produktio-nen wie »Frag doch mal die Maus« eingeflossen sind.“

Eine andere Besonder-heit der Produktion erklärt Gaby Montag: „Es gibt keine Generalprobe, und die Auf-zeichnung wird nie abge-brochen. Das funktioniert mit den beiden Moderato-ren, weil sie sehr spontan sind.“ Wenn ein Spiel nicht richtig funktioniert, dann

bekommt es nicht nur das Studiopublikum, sondern auch der Fernsehzuschauer mit. Wenn ein Gespräch sich spannend entwi-ckelt, wird auch mal ein Spiel spontan aus der Sendung geworfen. Das ist manchmal schmerzhaft für die Produktionsleiterin, „denn das hat ja auch Geld gekostet. Aber so ist das Format nun mal“.

Viele unvergessliche Fernsehmomente

Dieser Mut zur Spontaneität, die unter-schiedlichen Temperamente des Modera-torenpaars, die Bereitschaft von Licht, Ton und Kamera, immer wieder blitzschnell zu reagieren, auch wenn Götz Alsmann spon-tan durch die Kulisse zum Klavier rennt, all das schafft Möglichkeiten, die immer wieder zu unvergesslichen Fernsehmomen-ten führen. So ein Moment war für Müller-Erdorf die „Hausmusik“ mit Harald Juhnke: Der Entertainer trägt einen knallgrünen Riesen-Poncho vom Spiel zuvor über dem Anzug und singt seine deutsche Version von „My Way“. Götz sitzt im roten Umhang am Piano, Christine in Gelb und sichtlich berührt auf dem Sofa. Es ist der letzte Fern-sehauftritt Juhnkes.

Doch auch an laute und alberne Momente erinnert sich der Autor gerne. Zum Beispiel die „Schlacht im Teutobur-ger Wald“ als Operninszenierung mit dem Rundfunkchor. „Da ist der Funke zum Pub-likum übergesprungen“, sagt er „wie so oft, wenn Götz und Christine keine Hemmun-gen hatten und diesen Mut zur Lächerlich-keit und Selbstentäußerung gezeigt haben.“

In zwei Best-of-Sendungen erinnert der WDR an solche Momente: Nina Hagen und ihre Ufo-Theorien, Ulrich Wickert beim Wasserballett (ohne Wasser), Kim Fishers Lachanfall und andere Höhepunkte aus 20 Jahren Kindergeburtstag mit Alkohol – denn auch Sekt, Bier und Eierlikör waren echt bei »Zimmer frei!«.

Fragt man die Beteiligten nach dem „Erfolgsgeheimnis“ der Sendung, wieder-holen sich zwei Antworten. Erstens: die gute Zusammenarbeit des Teams. Alle geben ihr Bestes. Und zweitens: Christine und Götz. „Die sind zu allem bereit“, sagt Gaby Mon-tag, „sind sich für nichts zu schade. Ob Torte ins Gesicht oder Schlammbad.“ Für Michael Kerkmann „ergänzen sich beide sehr in ihren Talenten und Fähigkeiten und sind dabei einfach authentisch. Das spüren die Zuschauer.“ Götz Alsmann ist immer voll dabei: „Auch wenn es um nichts geht, ist er sehr scharf darauf, das Spiel zu gewin-nen.“ Und seine Kollegin habe eben „die-sen ureigenen Christine-Westermann-Stil. Emphatisch, gut zuhörend und manchmal mit vermeintlicher Naivität“.

„Die Sendung ist so bunt wie das Leben. Man kann albern sein. Aber man kann auch

tiefschürfende Gespräche führen.“

Michael Kerkmann, WDR-Redakteur

Zimmer frei! – Der AbschiedDas große Special zum 20-JährigenSO / 25. September / 22:15

Zimmer frei! – Das Making ofHinter den Kulissen der Kult-WGSO/ 25. September / 00:15

Zimmer frei! – Best ofDas Kultigste aus 20 Jahren, Teil 1SO / 2. Oktober / 22:45

Best of, Teil 2SO / 9. Oktober / 22:45

WDR FERNSEHEN

»Zimmer frei!« online wdr.de/fernsehen/zimmer-frei

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Raab: 1997 erklärte Stefan Raab bei »Zimmer frei!« die Sache mit den Bienen und den Blumen. Als optische Hilfsmittel gab es eine Stock-puppen-Biene und einen Strauß Kunstblumen. Diese Chance ließ Raab nicht liegen. Die Biene wurde zur „Metapher für Götz Alsmann“. Die „anmutigen Blumen“ standen für Christine Westermann. Und natürlich, so Raab weiter, „kommt jetzt der kleine Götz und riecht.“ Später bei der Hausmusik sang er noch das Lied von der Biene Maja, wobei Götz und Christine beide ein Bienenkostüm trugen: ein Themenabend quasi.Foto: WDR/Hohl

Hagen: Nina Hagen war zwei Mal zu Gast. 1999 erzählte sie von ihrer 1981 stattgefundenen Begegnung mit einem Ufo. Und zwar sehr detailreich und ausführlich. Christine sagte im Rückblick, sie wisse nicht, ob Hagen sie „auf den Arm genom-men habe“. Bei ihrem zweiten Auftritt 2012 hatte Frau Hagen dann zum christlichen Glauben gefunden – zu Gott, ihrem „Arbeitgeber“. Fast hätte sie diesen Besuch in der Sendung verschieben müssen, weil sie Ärger mit dem Teufel hatte: „Ich habe über Satanismus aufgeklärt, und dann kam eine schwarze Katze!“ Und die biss sie. Immer was los, bei der Sängerin. Foto: WDR/Seip

Maiwald: Armin Maiwald erklärt, warum er im »Zimmer frei!«-Fragebo-gen als schönstes Kindheitserlebnis schrieb: „Die ungeahnte Stille nach der Kapitulation.“ Denn der spätere „Maus“-Macher wuchs im Lärm des Krieges auf. Darüber hatte er bei seiner ersten Einladung in einem beein-druckenden Gespräch auf dem Zimmer bereits ausführlich gesprochen: ein berührender Moment zwischen Scherzen und Spielen. Foto: WDR/Knabe

Fisher: Auch Kim Fishers Lachanfälle sind in die Sendungsannalen einge-gangen. Ob am Esstisch, auf dem Sofa oder beim heißen Flirt mit einem Hai (bewegt und gesprochen vom groß-artigen Puppenspieler Martin Reinl): Wenn die Sängerin und Moderatorin losprustet, steckt sie den Saal und die TV-Zuschauer gleichermaßen an.Foto: WDR/Seip

Elstner: Sein Besuch im März 2000 ist fast schon legendär, weil er in der Sendung ganz offen über seine Schlafgewohnhei-ten plauderte, Stichwort Löffelchen-Stellung. Auch Frank Elstner gehörte zu den Glückli-chen, die sich ein zweites Mal um das Zimmer bewerben durften. Er versäumte dabei nicht, die Geschichte zu erzählen, wie er damals »Wetten, dass ..?« erfunden hat. Ein Thema, das er später in der WDR-Sendung »Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von Frank Elstner« nochmal mit viel Selbstironie aufgriff. Foto: WDR/Seip

Wickert: Im Jahr 2000 war Ulrich Wickert zu Gast in der Sendung. WDR print zeigt eines der wenigen existierenden Fotos des damaligen »Tagesthemen«-Moderators beim »Zimmer frei!«-Wasserballett. Zu beachten ist die Anmutung von Anmut im Antlitz des Anchormans. Foto: WDR/Hohl

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„Fanta 4 haben mir Deutsch beigebracht.“ Hin-ter dieser verblüffend einfachen Aussage, die Rapper MoTrip auf der Pressekonferenz zum „Vivaldi Experiment“ (S. 24) getroffen hat, steckt eine eigentlich gar nicht so überraschende Er-kenntnis: Es gibt sie also doch, die Weltsprache Musik, die Brücken baut, Wege öffnet, Men-schen verbindet. Und kann für vieles gelten, was der WDR mit seinen beiden Orchestern, der Big Band, dem Rundfunkchor und vielen weiteren Künstlerinnen und Künstlern auf die Bühnen bringt. Zum Beispiel beim Vivaldi-Musikprojekt, mit dem die ARD unter Federführung des WDR Klassik und Rap, Profi-Musiker und Schüler zu-sammenbringt. Das funktioniert, weil es dabei immer um ureigene menschliche Emotionen geht. Sagt Dr. Christoph Stahl, Leiter der Haupt-abteilung Orchester und Chor. „Über die Gren-zen der Jahrhunderte und die Grenzen der Kul-turen hinweg sind es die elementaren Gefühle, die alle Menschen kennen und verbinden, und die kaum eine andere Kunst tiefer anrühren kann als die Musik. Freude und Trauer, Liebe und Schmerz, Geborgenheit und Distanz: alle Menschen kennen diese Gefühle, egal welcher Herkunft.“ Solche Erfahrungen machen alle vier Klangkörper des WDR. Zum Saisonauftakt stel-len wir spannende Projekte aller Orchester vor.

WIRSPRECHEN MUSIK

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Vivaldi goes Hip-HopDas Musikexperiment des WDR

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Verbinden Klassik und Rap: MoTrip und Wayne Marshall. Foto: WDR/FußwinkelVivaldi goes Hip-Hop

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Musik ist eine universelle Sprache, Musik verbindet Menschen – egal ob Pop, Klassik, Jazz oder Rap. Rap-per MoTrip und Wayne Marshall, Chefdirigent des WDR Funkhaus-orchesters, schlagen für junge Men-schen eine Brücke von Hip-Hop zum klassischen Komponisten Antonio Vivaldi. Musik überwindet aber nicht nur Grenzen zwischen jungen und alten Menschen, son-dern auch zwischen den Kultu-ren. Im Interview sprechen beide darüber, wie gut sie die jeweils ande-re Seite beim „Vivaldi-Experiment” kennengelernt haben.

Klassische Komponisten wurden zu ihren Lebzeiten wie Popstars verehrt. Welchem würde es auch noch im Jahr 2016 so gehen?

WAYNE MARSHALL: Mozart! Er war ein brillanter Komponist, aber gleichzeitig ein sehr verrückter Typ. Exzentrisch, ideenreich und brillant – er wäre auch heute noch ein großer Popstar.

Trotzdem interessieren sich vergleichsweise eher wenige junge Leute für klassische Musik. Warum?

MOTRIP: Die Musik ist teilweise Jahrhunderte alt und die Mög-lichkeiten des Musikschaffens waren damals noch ganz andere. Auch die Instrumente waren andere als in der Computer-Musik von heute. Das Internet, die Technik und den Fortschritt im Allgemeinen – den hört man auch in der Musik. Wir machen heute die Klassik für in 300 Jahren. Umso spannender ist es, da eine Brücke für die Menschen zu schlagen, die sonst vielleicht keinen direkten Zugang zu Klassik haben. Ich selbst höre mir im Radio auch oft gerne so etwas an. Rein aus Interesse, weiß dann aber auch nie: Wer ist das gerade? Was für ein Stück ist das? Unser Experiment könnte also ganz interessant sein, um eine Tür zu öffnen.

MARSHALL: Durch das Internet entgeht vielen Menschen öfters das Live-Gefühl von Musik. Sie verbringen mehr Zeit zu Hause, gehen auch deswegen nicht mehr so oft auf klassische Konzerte, wie man es noch zu meiner Schulzeit gemacht hat. ➔

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Sophie

Lisa-Marie

Ender Tökmel

Melissa

Jonas

Luis

Wenn am 30. September das große Abschlusskonzert des „Vivaldi-Experiments“ stattfindet, dann wird auch eine „Update-Version“ von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ live auf die Bühne gebracht. Für diesen Hip-Hop-Klassik-Crossover mit dem Rapper MoTrip haben Hunderte Schülerinnen und Schüler Videos aufgenommen, in denen sie den Refrain seines Stücks „Auserwählt“ mitsingen. Sein Song basiert auf Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Aus den Videos entsteht ein virtueller Chor für das Stück.Fotos: WDR/Screenshot

Ender

Melissa

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Ich komme aus einer Familie, in der wir jeden Sonntag in die Kirche gingen. In unserer Schule wurde klassische Musik unter-richtet, ich konnte dort auch auftreten. Heute ist das anders. Klas-sische Musik hat in vielen Schulen nicht mehr dieselbe Priorität wie vielleicht früher noch. Jungen Menschen wird nicht mehr vermittelt, dass sie sich mit Klassik auseinandersetzen sollten.

Hören Sie denn selbst manchmal auch Hip-Hop?MARSHALL: Manchmal schon. Es ist nicht mein absolutes

Lieblings-Genre, aber es fasziniert mich. Man darf auch nicht vergessen, dass es sogar schon in George Gershwins Oper „Porgy and Bess“ einen kleinen Rap gab: In einer Szene spricht Maria über den Drogendealer Sportin‘ Life, den sie sehr verachtet. Sie sagt, was sie über ihn denkt und ihm am liebsten antun würde.

Und was waren bislang deine Berührungspunkte mit Klassik, MoTrip?

MOTRIP: Klingt vielleicht lustig, aber das muss mein Handy-klingelton gewesen sein. Da waren so ein paar „Dedelem, dedelems“ dabei – ich glaube, das war der „Türkische Marsch“ von Mozart. Berührungspunkte also ganz banal da, wo man es mitbekommt. Aber eben auch nie so ganz bewusst. Ich habe mir nie ein Buch über Klas-sik oder alte Platten gekauft. Höchstens mein Schwiegervater, der

ein großer Musik-Fan ist. Und zwar von allen Genres. Viel Rock, viel Klassik. Als er davon erfuhr, dass wir an diesem Projekt teilnehmen, hat er mir seine Vivaldi-CD gegeben. Seitdem pumpe ich sie im Auto.

Im Auto, beim Einkaufen, in der Telefonwarteschleife – heutzutage ist Musik überall. Ändert sich dadurch der Stellenwert, die Bedeu-tung von Musik?

M ARSHALL: Nein, das glaube ich nicht. Ob man die Musik mag oder nicht, sie ist um uns herum und man hört sie. Sie ist immer da. Wie das gesprochene Wort. Manchmal gibt es Momente, in denen man sich Stille wünscht. In einem Restaurant, einer Bar oder im Taxi. Manchmal möchte man nur Stille, denn Stille zu hören ist auch wundervoll. Aber selbst, wenn alles völlig still ist – selbst dann schwirrt Musik durch den Kopf. Vielleicht sogar am lautesten, wenn alles still ist.

Welche Bedeutung hat Musik denn nun wirklich in unserer heutigen Gesellschaft?

MARSHALL: Musik verbindet Menschen. Egal ob Pop, Klas-sik, Jazz oder Rap. Sie ist eine universelle Sprache, die jeder spricht. Es ist nur eine Frage, welchen Teil dieser Sprache man verstehen will. Eine Welt ohne Musik kann ich mir nicht vorstellen. Musik ist immer Teil des Lebens.

„Egal ob Pop, Klassik,Jazz oder Rap, Musik ist eine universelle Sprache, die jeder spricht.“ Wayne Marshall

Die junge Geigerin Mariella Haubs spielt eine große Rolle beim „Vivaldi Experiment“. Derzeit studiert sie in New York an der Juilliard School in der Klasse von Itzhak Perl-man und Catherine Cho. Foto: Screenshot

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Zuschauer werden. Als Orchester sind wir es gewohnt, eine große Bandbreite an Musik zu spielen. Deswegen ist es für uns auch schön, durch diesen Rahmen eine große Bandbreite an Publikum zu errei-chen. Und ich als Dirigent stehe dem Ganzen sehr offen gegenüber. Ich habe Lust, bei diesem Projekt mitzumachen. Es ist etwas Neues. Kein klassisches Klassik-Konzert. Es verbindet zwei Strömungen.

Beim „Vivaldi-Experiment“ konnten auch ganz viele Schüler mitmachen. Beim Abschlusskonzert singst du den Refrain von „Auserwählt“ mit einem virtuellen Chor. Hast du schon die ersten Mitsing-Videos gesehen?

MOTRIP: Ja klar. Schon beim ersten Video hatte ich tat-sächlich eine Gänsehaut. Das Schönste am ganzen Projekt ist, dass so viele Menschen eingeladen werden mitzumachen. Das baut Brücken, und es hinterlässt auch Brücken, über die die Men-schen langfristig gehen können. Es ist toll, dass ein so frischer und gleichzeitig so ernst gemeinter Text bei so vielen Menschen ankommt. Und sie sogar dazu bewegt mitzumachen. Ganz gleich, aus welchem Motiv. Darüber freue ich mich.

Kann man als klassischer Musiker auch etwas von Rappern lernen?MARSHALL: Für mich geht es bei der Musik ums Gefühl.

Im Hip-Hop geht es mehr um Texte und um instinktives Musik-machen. So habe ich auch angefangen und erst mit sieben oder acht Jahren begonnen, Noten zu lesen. Noch heute nutze ich diese Erfahrung und vertraue in manchen Momenten hauptsächlich auf meine Instinkte. Diese zwei verschiedenen Herangehensweisen zu kombinieren wird spannend. Nicht jedes Orchester hat die Möglichkeit, so etwas in diesem Maß auszuprobieren. Deswegen freuen wir uns besonders auf das Konzert.

Hat dich Vivaldi umgekehrt beim Schreiben des Texts zu „Auser-wählt“ beeinflusst?

MOTRIP: Sehr! Weil mich auch die Lebensgeschichte dieses Mannes interessiert hat. Er war nicht nur ein hervorragender Künstler, der es geschafft hat, mit seiner Musik Jahr-hunderte zu überleben. Er hat sich auch sozial engagiert und das vor allem in einer Zeit, in der das wahr-

scheinlich noch nicht so ausgeprägt war, wie es das mit all den Organisationen heute ist. Er ging in ein Waisenhaus und hat Menschen geholfen, die es nötig hatten. Er half Musikern auf die Beine, die dadurch später zu europaweitem Ruhm gelangten. Was er gemacht hat, ist vorbildlich und sehr inspirierend. Und zwar nicht nur in der Musik.

Mit Wayne Marshall und MoTrip sprach Marc Möllmann.

MOTRIP: Ich glaube, ohne Musik hätten wir noch mehr Kriege. Es gäbe noch mehr unnötige Grenzen. Musik hat schon viele Grenzen gesprengt. So etwas schaffen vielleicht nur Sportler und Musi-ker. Ein Fußballfest kann viele Menschen verbinden und genauso ist es zum Bei-spiel bei einem Udo Lindenberg-Konzert. Musik ist essenziell für uns. Schon die ursprünglichsten Völker, die noch ganz weit von der Zivilisation, wie wir sie heute kennen, weg waren, hatten die Musik für sich entdeckt. Das Gruppensingen am Lagerfeuer, das ein Gemeinschaftsgefühl entfacht hat. Das hält bis heute an. Musik ist essenziell für uns alle. Ich bin stolz, dass es weltweit, aber vor allem auch in Deutschland, so gepusht wird. Dass man hier gerade beim WDR so viel Kraft in dieses Projekt steckt, um das den Jugendlichen noch näher zu bringen. Das finde ich sehr wertvoll.

MARSHALL: Ich finde das Projekt auch sehr wichtig. Wir sprechen damit ein neues Publikum an. Bei dem Konzert wird ein sehr junges Publikum ein klassisches Orchester erleben, das es in einem anderen Kontext vielleicht nie so sehen würde. Es kennt MoTrip sehr gut, aber in einem anderen Umfeld. Wir bringen neue Elemente mit. Es wird auch eine neue visuelle Erfahrung für die

„Meine erste Berührung mit Klassik war ein Handy-Klingelton.“ MoTrip

Musikproduzent Peter Saurbier („Tony Mono“, rechts), WDR-Hörfunkdirek-torin Valerie Weber, Rapper MoTrip und Chefdirigent Wayne Marshall stellten auf einer Presse-konferenz im 1LIVE Haus „Das Vivaldi-Experiment“ vor. Im Rahmen des bundeswei-ten Musik-vermittlungs-projekts „Ein ARD-Konzert macht Schule“ setzt der WDR dabei auf die Verbindung von Klassik und Rap. Foto: WDR/Fußwinkel

Das Vivaldi-Experiment

WDR FERNSEHENFR / 30. September / 11:00

WDR 3FR / 30. September / 11:00

Das Abschlusskonzert als Video-Livestreamwww.vivaldiexperiment.de

facebook.com/vivaldiexperiment/

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JUNGEKLASSIKER

Er ist medial der bedeutsamste Wettbe-werb für junge Klassikmusiker in Europa. Am 3. September überträgt der WDR das Finale des Eurovision Young Musicians (EYM) mit elf Kandidaten live und multi-medial aus Köln. Besonders im Fokus:das junge Publikum via Webstream.

Julian Rachlin, Vorsitzen-der der Finaljury (r.) Foto: Guldener

Für Deutschland tritt der 16-jährige Hornist Raul Maria Dignola aus Dortmund an.Foto: WDR/privat

Dieser eine Tag hat sein ganzes Leben verändert und seine Karriere bestimmt. Es war der 31. Mai 1988, als der damals 14-jäh-rige Julian Rachlin an der Geige den Euro-vision Young Musicians (EYM) gewann. Heute blickt der in Österreich lebende Klassik-Star zurück. Wie viele erfolgreiche EYM-Musiker – zum Beispiel die Geigerin-nen Julia Fischer und Lidia Baich – bekam Rachlin nach dem Finalsieg sofort zahl-reiche Angebote für große Engagements, die er natürlich angenommen hat. Dazu zählten ein Auftritt bei den Berliner Fest-spielen unter Lorin Maazel und bei den Wiener Philharmonikern unter Riccardo Muti sowie ein Plattenvertrag mit Sony.

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Nun sitzt Rachlin selbst der Final-jury des 18. EYM vor und beurteilt am 3. September in Köln die Leistungen des Musikernachwuchses. Bereits in der ersten Minute spüre man, wer ein großes Talent besitzt, sagt er. Was vorher im Musiker-leben war, zähle nicht bei der Bewertung, alles hänge von dieser einen Performance ab, die müsse perfekt sitzen. Weitere Jury-mitglieder, die darüber zu befinden haben, sind die norwegische Trompeterin Tine Thing Helseth, der britische Cellist und Dirigent Jonathan Cohen, der österreichi-sche Tubaspieler Andreas Martin Hofmeir sowie die deutsch-japanische Pianistin Alice Sara Ott.

Überzeugen in sechseinhalb Minuten

Dem Urteil der Jur y muss sich auch Raul Maria Dignola stellen, der für Deutschland auf der großen Bühne antritt. Der 16-jährige Dortmunder hat sein ins-trumentales Frühstudium mit der Note 1,0 abgeschlossen, ist mehrfacher Preis-träger von „Jugend musiziert“ und gehört dem Bundesjugendorchester an. Er spielt ein eher seltenes Instrument: das Horn. „Mich fasziniert der Klang des Horns, der der menschlichen Stimme sehr nahe kommt“, erzählt Raul, das sei der Grund für ihn gewesen, 2008 von der Trompete aufs Horn umzusteigen. Mit ein bis zwei Stunden Üben am Tag komme er aus. Das höre sich im Vergleich zu einem Pianis-ten oder Geiger nach wenig an, doch für ein Blechblasinstru-ment sei das ein gutes Pensum, da dafür viel Kondition verlangt werde. Das Horn zähle zu den schwierigen Instrumenten, daher gehöre es nicht zu den „begehrtesten“. Ein guter Hornist könne Stücke sogar ohne das Instrument spielen, nur auf dem Mundstück.

Maximal sechseinhalb Minuten Zeit haben Raul Maria Dignola und die ande-ren Kandidaten, um mit ihrem Auftritt die Jury zu überzeugen. Rachlin, der vor 28 Jah-ren auf der Bühne des Concertgebouw in Amsterdam mit dem Violinkonzert op. 22

Redakteur und Red a k t ion slei-ter WDR Klassik Lothar Mattner. Dementsprechend habe man dieses Jahr das Strea-ming ausgeweitet, neben dem WDR bei der Europäi-schen Rundfunk-union (EBU) und A r t e C onc er t . „Inhaltlich kon-zentrieren wir uns auf Präsentationsformen und Show-Dra-maturgien, die gezielt ein junges Publikum ansprechen.“ Dazu gehörten auch musi-kalisch inspirierte Sideacts und vor allem ein auch bei jungen Menschen bekanntes

von Henryk Wieniawski antrat, hatte noch mehr als doppelt so viel, nämlich 15 Minu-ten. Alles ist schnelllebiger geworden. Ein Zeichen dafür sei auch die Tatsache, dass für viele junge Zuschauer, die man vor allem gewinnen wolle, „Fernsehen gleich Internet“ sei, sagt der verantwortliche

Auch beim EYM 2016 steht die Bühne wieder auf dem Kölner Roncalli-Platz zu Füßen des Doms. Foto: WDR/Langer

Tanja Nagel Foto: WDR/Fußwinkel

„Inhaltlich konzentrieren wir uns auf Präsentationsformen und Show-Dramaturgien, die gezielt ein junges Publikum ansprechen.“ WDR-Redakteur Lothar Mattner

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mu s i k a l i s c h e s Repertoire.

D a s z w e i-stündige Finale vor der Kulisse des Kölner Doms präsentieren der britische Star-Gei-ger Daniel Hope (»WDR 3 Persön-lich mit Daniel Hope«) und WDR-Fernsehmoderato-

rin Tamina Kallert (»Wunderschön«),

die selbst Geige spielt. Begleitet werden die Solisten vom WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Clemens Schuldt. Vor dem Finale fanden in den teilnehmenden Ländern Vorrunden statt, aus denen sich

Wien. In diesem Jahr erwartet der WDR eine noch höhere Zuschauerbeteiligung, weil man das Ereignis noch stärker bewor-ben habe. Das Finale wird live im WDR Fernsehen, WDR Radio und im Livestream übertragen sowie auf Facebook, Twitter und Instagram gepostet.

Hope und Kallert moderieren

Anders als der „große Bruder“ Eurovi-sion Song Contest entscheidet beim EYM nur die Fachjury. „Tatsächlich ist über das Zuschauer-Voting immer wieder innerhalb der Steering Group der EBU diskutiert worden“, sagt WDR-Herstellungsleiterin Tanja Nagel, die den EYM als ausführende Produzentin betreut. „Wenn man sich aber die zu bewertenden Kriterien ansieht wie künstlerische Persönlichkeit, genaue Wie-dergabe der Komposition, Qualität des Klangs und allgemeine Musikalität, wird schnell klar, dass nur eine Fachjury eine faire Bewertung vornehmen kann.“ Raul setzt dabei auf die Leidenschaft zur Musik, die wie ein Funke überspringen könne. „Wenn die Jury sieht, dass ein Gleichaltri-ger so stark für die Musik lebt, das steckt an wie beim Sport.“ Seine Konkurrenten im Wettbewerb treten mit Klavier, Geige, Cello, Kontrabass, Saxofon und einem tra-ditionellen kroatischen Saiteninstrument an. Der Jüngste der Runde ist elf Jahre alt, kommt aus Malta und spielt seit sieben Jahren Klavier.

Raul Maria Dignola zieht mit dem ersten Satz aus dem 2. Hornkonzert von Mozart ins Finale. Ein Hornist war zuletzt beim EYM-Finale 1988 am Start. Das Jahr, in dem Julian Rachlin gewann.

Peter Reuter

die elf Kandidaten für das Finale durchge-setzt haben. Zugelassen waren Musiker bis 19 Jahre und alle Instrumente, für die Kon-zerte mit Orchesterbegleitung komponiert wurden.

Der 1982 von der EBU ins Leben geru-fene Wettbewerb europäischer Jugendli-cher zählt zu den bedeutendsten Musik-wettbewerben auf internationaler Bühne und gastiert alle zwei Jahre in einer euro-päischen Metropole. Die damalige Premi-ere fand in Manchester statt. 2014 kam der EYM zum ersten Mal nach Köln. Beim Pitch für 2016 fiel die Wahl erneut auf Köln, da der WDR mit seiner Art der Umsetzung die EBU überzeugen konnte.

Vor zwei Jahren sahen 1,2 Millionen Zuschauer die Übertragung aus der Dom-stadt. Das entspricht einem Zuwachs von 27 Prozent gegenüber dem EYM 2012 aus

Auch beim EYM 2016 steht die Bühne wieder auf dem Kölner Roncalli-Platz zu Füßen des Doms. Foto: WDR/Langer

Lothar MattnerFoto: WDR/Heckl

Eurovision Young Musicians

Livestreamwww.youngmusicians.tv

Homepagewww.eym.wdr.de

WDR FERNSEHENSA / 3. September / 20:15

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„BEI MUSIK BIN ICH ZIEMLICH HEFTIG“Jukka-Pekka Saraste führt seit sechs Jahren das WDR Sinfonieorchester Köln. Eine Ehe, wie er augenzwinkernd sagt. Im Interview spricht er darüber, wie im Orchester Musiker aus 20 Nationen zusammenarbeiten und warum Kom- ponisten manchmal unangenehme Zeitgenossen sein müssen.

In der kommenden Konzertsaison steht unter anderem Mahlers Neunte auf dem Plan. Unbestreitbar war Mahler ein großartiger Komponist. Aber ihm wird nachgesagt, dass er etwas merkwür-dig mit seinen Musikern umgegangen ist. Angeblich hat er sie schikaniert, geschlagen, wie Soldaten gedrillt und wie Sklaven behandelt. Die Musiker hätten Mahler nicht selten gern umge-bracht.

Mahler wird als heftige Person beschrieben, als impulsiver und aufbrausender Mensch. Er konnte sehr wütend werden und es war sicherlich nicht angenehm, mit ihm zu arbeiten. Und man merkt das in seiner Musik. Bei ihm gibt es plötzliche musikalische Ausbrüche, fast eine Art von „Unterwelt“, die zum Leben erweckt wird. Meiner Meinung nach, muss ein guter Komponist solche Eigenschaften besitzen. Schön ist das nicht. Nett auch nicht.

Aber es bringt diese Art von Spannung, die das Sein und die Welt von Mahler in Frage stellt. Und es ist sehr komplex und sehr aufregend. ➔

Jukka-Pekka Saraste zählt zu den herausragenden Dirigenten seiner Generation. Fotos: WDR/Broede

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meisten verändert?Vieles hat sich verändert, insbesondere

natürlich die Kommunikation. Mittlerweile weiß das Orchester, was ich will, und darauf zu reagieren, fällt den Musikern leicht. Das ist das Schöne an einer langen Zusammen-arbeit: Alles wird besser und besser – und spontaner. Meiner Meinung nach ist das die größte Veränderung. Natürlich haben sich noch andere Dinge verändert, zum Beispiel, dass wir mittlerweile viele gute Solisten und Tutti-Spieler haben. Man kann sagen, dass das Orchester erwachsener geworden ist.

Sie haben einmal gesagt, es sei ähnlich wie in einer Ehe, in der es das Wichtigste ist, ehrlich

zu sein.Natürlich. Wenn’s mal

schwierig wird, entstehen Irritationen und Missver-ständnisse, das ist keine Überraschung. Aber auch das gehört zu einer guten Ehe dazu. (lacht)

Eine der Solistinnen der nächsten Saison ist Anna Vinnitskaya. Was erwarten Sie von ihr? Sie ist ja noch sehr jung.

Wir haben schon zusammen in zwei Orchestern gespielt. Sie ist ein Star ihrer Generation und eine sehr interessante Pianistin. Ich bin mir sicher, dass sie den „wahren“ Bartók herbringt. Sie ist eine sehr inspirierende Künstlerin.

Sie haben mal gesagt, dass der musikalische Ausdruck wichtiger sei als das technische Beherrschen eines Instrumentes. Welchen Ausdruck erwarten Sie von Bartók?

Bartók hat sich seine eigene musikalische Welt erschaffen, sozusagen. Er begann mit eher romantischen Kompositionen und wurde dar-aufhin von ländlicher Musik aus Ungarn ins-piriert. Er bediente sich einzigartiger Klänge, bei den besonderen Akkorden und den rhyth-mischen Eigenarten ungarischer Volksmusik. Durch diese Einflüsse kreierte er seinen eige-nen Stil. Es ist für uns sehr spannend, diesen Musikstil im Orchester nachzustellen.Hat es etwas zu tun mit der Emanzipation der osteuropäischen modernen Musik?

Musik brauchte schon immer Impulse und Verbindungen zu bereits existierenden Stilen. Denken wir zum Beispiel mal darüber

Außerdem sagten Sie einmal, dass Mahler „Rock’n’Roll“ sein kann. Könnten Sie das erläutern?

Gäbe es heutzutage jemanden, der wie Mahler komponiert, würde er sich sicher-lich an Unterhaltungsmusik oder sogar an moderner elektronischer Musik wie Techno bedienen. Mahler wurde von diversen musi-kalischen Strömungen inspiriert, die zu sei-ner Zeit allgegenwärtig waren. Jeder kannte die Charakteristika, die die damalige Musik ausmachten. Andere Komponisten hätten sie auch einsetzen können, aber niemals so offen, wie Mahler es in seinen Sinfonien tat.

Sie selbst haben Mahler als „sehr heftige Per-

sönlichkeit“ beschrieben. Fasziniert Sie das? Sie scheinen ja eher ruhig zu sein …

Ich glaube, bei der Musik bin ich ziem-lich heftig. Und ich kann mich leicht in Kom-ponisten wie Mahler hineinversetzen, weil ich es geradezu körperlich spüre, wenn sich Stimmungen ändern. Aber Mahlers musika-lische Präsenz ist anders als meine.

Und Ihr Arbeiten mit einem Orchester ist selbstverständlich ebenfalls anders. Wie könnte man Ihre Art beschreiben? Sie be- handeln Ihre Musiker hoffentlich nicht wie Soldaten, oder?

Es ist immer ein Prozess, bei dem man flexibel sein und mit den verschiedensten Methoden arbeiten muss. Manchmal ist es notwendig, viele Details sehr genau zu pro-ben. Und manchmal kann man den Musi-kern vertrauen und davon ausgehen, dass sie fühlen, was ich mir vorstelle. In diesem Fall ist es sehr viel angenehmer und inspirieren-der, wenn alles auf natürliche Art entsteht.

Sie sind nun seit sechs Jahren Chefdirigent. Wenn Sie zurückblicken: Was hat sich am

„Anna Vinnitskaya ist ein Star ihrer Generation und eine sehr interessante Pianistin. Ich bin mir sicher, dass sie den ‚wahren‘ Bartók herbringt.“

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nach, was mit der Musik zur Zeit der Klas-sik passierte, als Komponisten sich etwa von türkischer Musik inspirieren ließen. Damals bestand ein großes Interesse an ausländi-schen Stilen – das war der Anreiz, Neues zu schaffen. Jeder ist immer auf der Suche nach Frische und Quellen der Inspiration.

Wo können Musiker diese Frische heute finden?

Heute? Heute geht es in die verschie-densten Richtungen. Es ist immer wichtig, neue Inspirationen zu suchen. Ich freue mich schon auf unser Silvesterkonzert, wel-ches türkisch inspiriert ist. Ich bin jeden-falls überzeugt, dass klassische Musik auch jüngeren Leuten gefallen kann.

Viele junge asiatische Musiker sind sehr gut ausgebildet. Was macht für junge Koreaner, Chinesen oder Japaner den Reiz alter euro-päischer Musik aus?

Ist das positiv oder negativ? Nun, es gibt ja zum Beispiel auch viele jüngere Leute in Finnland, die im Stile Mozarts spielen. Ich habe schon viele Jugendliche kennengelernt, die ihren eigenen Stil ohne klassische Einflüsse ent-wickelten. Es ist verwun-derlich, wie eine Person einen solchen Stil ohne traditionelle Klassikausbil-dung aufbauen kann. Ich bin der Meinung, es spielt keine Rolle, woher jemand stammt – jeder ist in der Lage so etwas zu schaffen.

In Ihrem Orchester sind mittlerweile 20 Nati-onen vertreten. Sie sind der einzige Finne, nicht wahr?

Ja, ich glaube schon.

Welche Sprache wird im Orchester gespro-chen?

Unsere Hauptsprache ist Deutsch, manchmal muss ich jedoch Englisch spre-chen, um bestimmte Dinge genauer zu erläutern.Gibt es manche Dinge, die auf Englisch oder in noch anderen Sprachen besser erklärt werden können?

Das deutsche musikalische Vokabular ist sehr reich. Jeder weiß, dass der deutsche Begriff „schwer“ nicht dasselbe bedeutet

wie das englische „heavy“. Es ist viel inte-ressanter, sich auf Deutsch über Musik zu unterhalten. Meiner Meinung nach kommt es auf die Herkunft des Stückes an. Es ist zum Beispiel leichter, ein französisches Stück auf Französisch zu beschreiben. Die Nationalität des Komponisten spielt eine wichtige Rolle.

Herbert von Karajan hat einmal gesagt, ein Dirigent unter 40 sei ein Anfänger. Sie sind jetzt 60. Haben Sie sich als Anfänger gesehen, als Sie das WDR Orchester lange vor Ihrer Zeit als Chefdirigent zum ersten Mal trafen?

Ich glaube, das Leben des Dirigenten, seine Erfahrung, ist entscheidender. Wenn man sehr erfahren ist, spielt das Alter keine Rolle. Wenn man gesund ist und viele Ener-giereserven hat, fällt vieles leichter. 60 Jahre alt zu sein, ist da kein großer Meilenstein.Was war der bewegendste, schönste Moment in dieser Zeit?

Ich weiß es wirklich nicht. Ich glaube, der wichtigste Moment meiner Karriere war in der Tat der Tag, als ich zum Chefdirigen-ten des WDR Orchesters ernannt wurde. Das

Orchester und vor allem ich waren in diesem Moment sehr begeistert von den Möglichkei-ten der Zusammenarbeit. Ich war von Anfang an überzeugt, dass wir gut zusammenarbei-ten werden.

Mit Jukka-Pekka Saraste sprach Sascha Woltersdorf. Übersetzung aus dem Englischen: Florian Claus.

Mit Beginn der Saison 2010/2011 übernahm Jukka-Pekka Saraste das Amt des Chefdirigenten beim WDR Sinfonieorchester Köln.

„Das deutsche musikalische Vokabular ist sehr reich. Es ist viel interessanter, sich auf Deutsch über Musik zuunterhalten.“

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Musik

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ZWEI BOSSE FÜR DIE BIG BAND

Bob Mintzer (oben) und Vince Mendoza (r.) führen von Beginn der Saison 2016/17 an die WDR Big Band. Die Doppelspitze soll für noch mehr kreative Freiräume sorgen.

Bob Mintzer ist neuer Chefdirigent der WDR Big Band. Foto: WDR

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ZWEI BOSSE FÜR DIE BIG BAND

Ganz oben, an der Spitze, weht ein rauer Wind: Das spürt auch die WDR Big Band. Als häufige Grammy-Kandidatin – und Gewinnerin – zählt sie weltweit zu den Spitzenensem-bles im Bereich des orchestra-len Jazz und ist zugleich breit verwurzelt als verlässlicher Pfleger des swingenden Reper-toires im Sendegebiet. Jede Neubesetzung, und erst recht jeder Wechsel in der Leitung, soll helfen, ihre Ausnahmestel-lung zu untermauern. „Zuerst“, rekapituliert Lucas Schmid, „haben wir die Musiker der Band nach Vorschlägen für die Leitung der Band gefragt, und dann war die Auswahl schon sehr zusam-mengeschrumpft.“ Einige Sitzungen und Sondierungsgespräche später war klar, dass eigentlich nur einer dafür in Frage kommt, ab Sommer 2016 als Chefdirigent vor der WDR Big Band zu stehen: der Saxofonist, Komponist und Arrangeur Bob Mintzer.

Geboren 1953 an der Ostküste der USA, ist Mintzer ein in allen Wassern der Jazzmoderne gewaschener Instrumentalist. Lehrjahre

verbrachte er an der Seite des Schlagzeugers Art Blakey und später im Thad Jones/Mel Lewis Orchestra, bevor er 1978 ein eigenes Orchester gründete, mit dem er den Swing in all seinen Aggregatszuständen zelebrierte. Daneben tummelte sich Mintzer auch in der Welt des rockorientierten Groove, arbeitete mit dem legendären Bassisten Jaco Pastorius zusammen und gehört seit 1991 zu der All-Star-Fusionband Yellowjackets. Gestützt auf derart vielseitige Erfahrungen, ist Mintzer ein Brückenbauer zwischen Tradition und Moderne des Jazz, ein akribischer Arbeiter, der größten Wert auf Klangkultur legt und auf der swingenden Basis seine eigenen Akzente setzt. Seine eleganten und rhythmisch experimentierfreudigen Arrangements zählen seit Langem zu den von vielen Bands gespielten Klassikern des Genres. Mit der WDR Big Band verbinden ihn Zuneigung und eine gemein-same Erfolgsgeschichte, die mehr als 30 Jahre umspannt.

Zwei feste Pole, die Akzente verschieden setzen

Doch weil das Schreiben von Arrangements sehr viel Zeit und Akribie erfordert und Musiker der obersten Güteklasse weltweit sehr gefragt sind, ersann Lucas Schmid eine kreative Lösung, die dem neuen Chefdirigenten neben seiner Haupttätigkeit in Köln den Freiraum sichert, für besonders glamouröse Herausforderun-gen am Wegesrand offen zu bleiben. Mit Vince Mendoza, einem langjährigen Freund und Kollegen von Mintzer, in der Rolle eines „1. Gastdirigenten“ und „Composer in Residence“ bekommt die

WDR Big Band einen zweiten hervorgehobenen festen Pol, der die musikalischen Akzente noch einmal anders setzt. Die Doppellösung als Weg zu kom-promissloser Brillanz: passt.

Auch der acht Jahre jün-gere Mendoza ist an der Ost-küste aufgewachsen, nur vierzig Kilometer entfernt von Mintzer, und seit die Yellowjackets 1991 die ersten Arrangementaufträge an Mendoza vergaben, kreu-zen sich die Wege der beiden Orchesterspezialisten immer wieder. Beide arbeiteten häufig

mit der WDR Big Band und dem Metropole Orkest aus Hilversum in den Niederlanden, beide sind vielfach mit Preisen ausgezeich-net und berühren sich in ihrem stringenten Arbeitsethos, im Farbenreichtum ihrer klanglichen Visionen, in einer Vorliebe für unwiderstehliche Rhythmen und im außerordentlichen Geschick im Umgang mit Rhythmusgruppen. Dabei sind es in Mendozas Fall vor allem die von iberischen Rhythmen und Flamenco-Klän-gen inspirierten Orchesterarbeiten, die in Europa seinen Ruf als

außerordentlich präzise arbeitender Arrangeur und Orchesterlei-ter begründen: Mit einer hochdifferenzierten Klangfarbenpalette orchestriert Mendoza feinziselierte Sound-Architekturen, die musikalisch den Übertritt zwischen verschiedenen Kulturkreisen wie zwangsläufig erscheinen lassen.

„Very Personal“, „Focus on Brazil“ und noch mehr Programme

Nach dem großen Begrüßungskonzert für den neuen Chefdiri-genten am 4. September, für das Bob Mintzer eine breite Palette an neuen Stücken geschrieben hat, mit denen er das ganze Spektrum der modernen Jazzstilistiken abbildet, werden Mintzer und Men-doza jeweils mit mehreren neu geschriebenen Programmen den Saisonplan der WDR Big Band bestimmen. Im Dezember adaptiert Vince Mendoza für die Kölner die Musik des Schlagzeugers Anto-nio Sanchez, der im Frühjahr für seine Filmmusik für „Birdman“ mit einem Grammy geehrt wurde. Zwei Monate später präsentiert er „Focus on Brazil“, ein brasilianisch getöntes Programm mit der Sängerin Luciana Souza. Mintzer dagegen steht im März mit „Very Personal“ am Pult, mit einem Programm, das er ganz speziell für die Musiker der WDR Big Band schreibt, damit jede und jeder Einzelne von ihnen seine außerordentliche Individualität und Spielfreude optimal zur Geltung bringen kann. Gewissermaßen lässt sich dieses Programm verstehen als ein herzerwärmendes Gegenmittel gegen den so rauen Wind auf dem Gipfel. Stefan Hentz

Vince Mendoza ist „1. Gastdirigent“ und „Composer in Residence“. Foto: WDR/Kaiser

Musik

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LICHTSPIEL FÜR DEN

PRIX ITALIADer WDR Rundfunkchor hat

Rachmaninows „Ganznächtliche Vigil“ als Konzertfilm zwischen Tag und

Nacht inszeniert. Spielort: Eine spätgotische Kölner Kirche.

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WDR Rundfunkchor

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WDR CHORWETTBEWERB 2016: »Der beste Chor im Westen«

Der Film „Rachmaninow Ganznächtliche Vigil op. 37“ zeigt einen Auftritt des WDR Rundfunkchors als effektvoll gestaltetes Konzert zwischen Tag und Nacht. Regisseur Enrique Sánchez Lansch (unter anderem »Rhythm is it!«) setzte die Chormitglieder und ihren Dirigenten Nicolas Fink in einer spätgotischen Kirche in Szene. Der WDR hofft nun, dass der Film auch die Jury des europäischen Fernseh-, Hörfunk- und Internetwett-bewerbs Prix Italia überzeugt, für den der Film nomi-niert ist. Der Prix Italia gilt als einer der renommiertesten Wettbewerbe seiner Art in Europa. Die „Ganznächtliche Vigil“ wurde von der ARD in der Kategorie TV Perfor-ming Arts eingereicht, zusammen mit der WDR/Arte-Produktion „Feuer bewahren – nicht Asche anbeten“ über den Choreografen Martin Schläpfer (Redaktion: Sabine Rollberg). Die Auszeichnungen werden in diesem Jahr vom 30. September bis zum 2. Oktober auf Lampedusa vergeben.

Das Licht von Abend, tiefer Nacht und frühem Morgen

Der Filmdreh mit dem Rundfunkchor fand in der „Kunststation“ der Kölner Kirche St. Peter statt, die mit einem leeren Raum ohne Kirchenbänke viele gestalterische Möglichkeiten bot. Der sakrale Rahmen passt zur „Ganz-nächtlichen Vigil“: Das Werk besteht aus 15 Gesängen wie Stundengebete, die über die ganze Nacht verteilt gesungen werden. Eine ganze Nacht lang mussten die Sängerinnen und Sänger ihre Stimmbänder allerdings nicht schwingen lassen. Man habe während der Produktion im Juli 2015 etwa eine Woche lang in Abschnitten und mit Playback produziert, berichtet WDR-Redakteur Lothar Mattner aus der Programmgruppe Doku/Kultur und Geschichte. Und doch durchzieht den Film eine Lichtstimmung, die zur Folge der Gesänge vom frühen Abend durch die tiefe Nacht bis in den Morgen passt. Vor den Fenstern der Kirche wird es langsam dunkel und später wieder hell – was nicht nur am gesetzten Licht liegt, sondern daran, dass die entspre-chenden Bilder tatsächlich nachts gedreht wurden. »Das war sehr aufwendig«, sagt Mattner.

Kunstvolle Inszenierungen

Wie auch der Rest dieser kunstvollen Inszenierung, die ihre Wirkung aus dem Zusammenspiel vieler Kunst-griffe bezieht: Feiner Kunstnebel steigt empor, die Sänge-rinnen und Sänger stehen mal im Hauptschiff verteilt, mal auf der Empore, mal im Kreis um ihren Dirigenten Nicolas Fink gruppiert. Die Kamera, meist in ruhiger Bewegung, gleitet an steinernen Säulen entlang oder verweilt auf dem üppigen Rubens-Gemälde, das in der Kirche hängt. Zu Beginn und am Ende des Films schwebt sie über den Sän-gerinnen und Sängern, die sich im Kirchenschiff in Form eines russisch-orthodoxen Kreuzes aufgestellt haben.

Barbara Buchholz

Der WDR ist wieder auf der Suche nach wunderschönen Stimmen und tollen Klängen, die das Publikum faszinieren. »Der beste Chor im Westen!« lautet der Titel, der beim WDR-Chorwettbewerb 2016 vergeben wird. Dafür werden kreative und motivierte Chöre aus NRW mit mindestens zwölf Mitgliedern gesucht. Sie können sich noch bis zum 9. September um die Teilnahme bewerben unter derbestechor.wdr.de. Mit einem maximal drei Minuten langen Video sollen die Chöre ihr Können zeigen.

300 Chöre haben im vergangenen Jahr beim WDR-Wettbewerb mitgemacht. Mit seiner unnachahmlichen Interpretation von „The Lion Sleeps Tonight“ holte der Kemper Werks-Chor aus Olpe den Titel.Der Contest wird 2016 noch größer aufgezogen als im Vorjahr: Aus allen Einsendungen kommen 20 Chöre zu vier großen Regi-onalentscheidungen, die zwischen dem 2. und 12. November stattfinden. Hier werden acht Halbfinalisten ermittelt. Nach den regionalen Vorentscheiden werden den Gesangsgruppen, die sich fürs Halbfinale am 9. Dezember – live im WDR Fernsehen – qua-lifizieren, Musikprofis zur Seite gestellt. Diese unterstützen als Coaches den weiteren Weg ihrer Schützlinge.In den Wettbewerben müssen die Sängerinnen und Sänger eine prominente Jury und das jeweilige Saalpublikum begeistern. Fünf Gruppen ziehen ins große Finale am 16. Dezember ein, auch live im WDR Fernsehen. Dann bestimmt ausschließlich das Publikum, wer zum besten Chor im Westen gekürt wird. Der Gewinner darf sich auf ein gemeinsames Konzert mit den Profis vom WDR Rund-funkchor in ihrer Heimatstadt freuen. kp

Der Kemper Werks-Chor war 2015 der beste im Wes-ten.Foto:

WDR/Weinberger

Der beste Chor im Westen!Zweiteilige Doku über den Einzug ins Halbfinale

HalbfinaleFR / 9. Dezember / 20:15

FinaleFR / 16. Dezember / 20:15

WDR FERNSEHENFR / 25. November / 21:00 FR / 2. Dezember / 21:00

Internetseite zum Wettbewerbderbestechor.wdr.de

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Musik

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Hörspiel

Von Christian Gottschalk„Wenn wir nicht 1401 Leute

finden, die jeder eine Seite lesen, ist das Projekt gescheitert“, sagte Andreas Ammer, als ich ihn im Feb-ruar für WDR print traf. Der Künst-ler, der zusammen mit den Musikern Andreas Gerth und Martin Gretsch-mann eine „unendliche“ Komposi-tionsmaschine zur Begleitung des Hörspielprojekts schuf, machte sich offenbar ernsthaft Sorgen. Deshalb

versprach ich ihm, selbst eine Seite des Romans „Unendlicher Spaß“ von David Fos-ter Wallace einzusprechen und im Notfall noch Freunde und Bekannte einzuspannen. Die Idee, Teil des größten Hörspiels aller Zeiten zu sein, reizte mich wirklich, zumal ich glaube, ein guter Vorleser zu sein. An einem Sonntag Ende März war es soweit: Ich reservierte mir auf unendlichesspiel.de die Seite 928, auf der es um Theorien rund um die Serie M.A.S.H. geht – und eine Person mit dem Namen Marathe taucht auf. Das System gab mir eine Stunde Zeit, den Text einzusprechen und hochzuladen. Bis ich die knapp drei Minuten Text wortgetreu, ohne mich bei den englischen Namen zu verhaspeln und zu meiner eigenen Zufrie-denheit eingesprochen hatte, vergingen zwei Stunden (ich konnte die Reservie-rung verlängern). Kurz nachdem ich meine Datei hochgeladen hatte, erhielt ich eine automatisierte E-Mail: „Vielen Dank für Ihre Aufnahme. Wir werden Sie per E-Mail

informieren, ob Ihre Aufnahme im Unend-lichen Spiel verwendet werden konnte.“ 14 Tage später bekam ich eine weitere Mail, in der stand, dass es durch die unerwartet rege Beteiligung leider zu längeren Wartezeiten komme. Dann hörte ich nichts mehr von der Redaktion.

Das Problem der großen Resonanz

Redakteurin Christina Hänsel erklärt: „Unser Problem war, dass das Projekt so gut angekommen ist. Unsere Hauptschwierig-keit bestand darin, dass der Prozess der Auf-nahme so schnell ging.“ Schon nach 70 Tagen hatten zahlreiche Freiwillige alle 1401 Seiten des Romans eingesprochen. Angelegt war das Mammutprojekt aber für ein Jahr. Für die inhaltliche Kontrolle der Einsendungen war hauptsächlich nur eine einzige Person beauf-tragt worden. Die Lektorin Katja Herzke überprüfte, ob das Eingesprochene mit der Vorlage wortwörtlich übereinstimmt. Dieser Vorgang ist mittlerweile abgeschlossen. Aber auch technische Kontrolle und gegebenen-falls Ausbesserung gehört zu den nötigen Arbeitsschritten, die noch vor dem eigentli-chen Arrangement des Hörspiels liegen. Die normalerweise beim WDR für Audiorestau-rationen zuständige Tontechnikerin Kerstin Grimm-Franken unterstützt das Künstlertrio bei diesem aufwändigen Vorgehen. Aus die-sem Grund warten etliche Sprecherinnen und Sprecher bis heute auf die Veröffentli-chung „ihrer“ Seite. Ich auch.

Halbfertig und schon 40 Stunden lang. „unendliches spiel unendlicher spaß“, das „größte Hörspiel aller Zeiten“, wurde Dank reger Beteiligung in nur 70 Tagen komplett eingesprochen. Eine Zwischenbilanz.

Der Reiz, Teil eines Hörspiels zu sein

Die „Goldene Maschine“ steht im Foyer der Kunstsammlung NRW K 20 in Düsseldorf. Fotos: WDR/Anneck

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Hörspiel

Andreas Ammer und Andreas Gerth investieren nach der Kontrolle auch noch die eine oder andere Arbeitsstunde in das Hörspiel, das am Ende, im Herbst dieses Jahres, etwa 90 Stunden umfassen wird. Sie verknüpfen die Musik der „Goldenen Maschine“ mit den eingelesenen Seiten. Die Maschine ist ein selbst komponieren-der analoger Synthesizer, der derzeit im Foyer der Kunstsammlung NRW K20 in Düsseldorf steht und dort unentwegt und ohne sich zu wiederholen Musik spielt. Das Ganze klingt ein bisschen so, als würde ein durchgeknallter Musiktüftler im Proberaum experimentieren, bevor die anderen aus der Band da sind, nur besser. Zwischen sphärisch-melodischem Knarzen und reduziertem rhythmischen Klatschen bewegt sich die Musik und bildet einen hypnotischen Klangteppich als Hinter-grund für die unterschiedlichsten Stim-men: Männer und Frauen, junge und alte, mal in professionellem Hochdeutsch, mal mit deutlichem Einschlag diverser deut-scher Dialekte. Christina Hänsel ist mit der Qualität der Aufnahmen zufrieden: „Maximal ein Drittel der Einsendungen war unbrauchbar, meist wegen technischer Probleme. Man hörte zu viele Plopper oder das Rauschen war zu laut. Kleine Verspre-cher haben wir drin gelassen, wenn sie nicht sinnentstellend waren.“

Spielerischer Zugang

Das als schwer zugänglich geltende Werk eignet sich merkwürdigerweise ganz hervorragend für diesen schnipselhaften Zugang, den die Website bietet. Denn jede Seite für sich erzählt durchaus Verständ-liches, allein der Gesamtzusammenhang entschlüsselt sich nicht so einfach. „Der Roman ist sehr überbordend, aber kein hermetisches Werk. Man kann sich in die Episoden reinfallen lassen“, sagt Hänsel. Etwa die Hälfte des Buches steht bereits auf der Webseite zum Anhören und zum Download zur Verfügung: 40 Stunden „unendliches spiel unendlicher spaß“. Und immer noch wird die Seite laut Hänsel rege frequentiert. Das Hörspiel bietet einen spielerischen Zugang zu einem Werk, das vom TIME-Magazin zu einem der 100 ein-flussreichsten Romane seit 1923 gewählt wurde. Und ich habe dabei geholfen. Falls ich gut genug war, beim Sprechen.

„Die Idee, Teil des größten Hörspiels aller Zeiten zu sein, reizte mich.“ WDR print-Autor Christian Gottschalk ist einer der 1401 Vorleser.

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DIE CHEFIN bleibt an Bord

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Medienmenschen

Auf eine erfahrene, profilierte und urteilsstarke Journalistin wie Sonia Seymour Mikich will der WDR in diesen Zeiten nicht verzichten. Deshalb wurde der Vertrag der 65-Jährigen über die Pensionsgrenze hin-aus bis Ende 2018 verlängert. Maja Lendzian sprach mit der Fernsehchefredakteurin über die kommenden Herausforderungen.

Erdogan hat kürzlich wieder einmal die Massen mobilisiert und die Zähne Richtung EU gefletscht. Frau Mikich, wären Sie jetzt lieber in der Türkei als hier in Köln?Fahnenmeere, alles was nach Gleichschal-tung oder Gleichmachen aussieht, ist mir suspekt. Nein, ich wäre nicht gerne dort, auch weil es schwierig ist, differenzierte Fragen zu stellen, wie mir Kollegen erzählt haben: Es wird übel genommen, und es wird emotionalisiert.

Nicht nur die Politiker, sondern auch der Bürger auf der Straße nimmt übel. Die Situ-ation damals, als Sie kurz nach dem Zusam-menbruch des Sowjetreiches aus Russland berichteten, war anders.

Damals in Russland hatten viele Men-schen einfach Lust darauf zu hören, was so eine Westfrau zu erzählen hat. Und sie hatten Lust, Fragen zu stellen, sich wirklich auszutauschen.

Die Deutsche Presse-Agentur zitierte Sie kürzlich mit den Worten „Journalismus hatte für mich immer auch einen Abenteu-eranteil.“ Wo steckt dieser Anteil in Ihrem Job als Chefredakteurin?

(Lacht) Könnte ich Ihnen jedes Mal

zeigen, wenn ich zu einer Chefredak-teurskonferenz gehe! Das ist Herausfor-derung, pures Abenteuer. Aber ernsthaft gesprochen: Das Reporterleben, das Impro-visierte, das Risikobereite, das fehlt mir schon sehr. Bleibe aber neugierig auf die Welt und lasse mich immer wieder gerne überraschen: Wenn wir wie jetzt über Ero-sion von Demokratie diskutieren, ist das für mich pure Provokation und turnt mein Hirn an.

Sie waren 2008 in Harlem, als klar war, dass Obama der erste schwarze Präsident der USA werden würde – Ihr aufregendstes Erlebnis als Berichterstatterin, wie zu lesen war. Wie beurteilen Sie seine Amtsperioden?

Obama hat viele Probleme auf der Welt nicht lösen können oder wollen, weil er sich außenpolitisch sehr zurückgehal-ten hat. Gleichzeitig ist der Drohnenkrieg noch schlimmer betrieben worden, und er hat Guantanamo im Grunde genommen nicht gelöst. Innenpolitisch hat er das Aus-einanderdriften von Arm und Reich nicht gepackt, er hat Big Business und die Wall-street nicht wirklich in Schranken weisen können und so weiter. ➔

DIE CHEFIN bleibt an Bord

Sonia Seymour Mikich hat sie aufbewahrt: die Ausgabe der New York Times mit der Schlagzeile „Obama“ nach dem historischen Wahlsieg 2008. Fotos: WDR/Görgen

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Medienmenschen

Es gibt aber auch Entwicklungen, die hoffnungsvoll stimmen: Die Gesund-heitsreform, die für viele Menschen einen echten Fortschritt bedeutet. Dann auch das Ideelle: Dass es nicht mehr nur unter alten weißen Männern ausgemacht wird, wer die mächtigste Nation der Erde regiert. Des-wegen: gemischte Bilanz, würde ich sagen. Letztendlich erlebten die USA acht Jahre Blockade-Politik seitens des Kongresses.

Das Rennen Clinton contra Trump gehört zu den wichtigsten Ereignissen Ihrer Amtszeit, denn der WDR ist in der USA-Berichterstat-tung federführender Sender. Wie werden

Sie das Spektakel diesmal für die Zuschauer aufbereiten?

Die Wahlnacht haben wir in der ARD als Event geplant: Es wird unterschiedliche Gesprächsrun-den geben, wir werden uns sehr auf die Entwicklung der Zahlen konzentrieren und auf Fragen, wie sich Deutschland auf den nächsten Präsidenten oder die nächste Prä-sidentin einzustellen hat.

Ich persönlich freue mich auf ein kleines „Extra“: Andreas Cichowicz vom NDR und ich wer-

den kurz vor der Wahl die „Lange Ame-rikanacht“ machen. Wir schauen in die besten Reportagen der vergangenen Jahre und ziehen so ein Resümee der Amtszeit Obamas. Und wir werden durchs Land rei-sen und Stimmen einfangen.

Ich werde mich auf den Aspekt Ras-sismus konzentrieren und möchte gerne noch einmal mit den Schwarzen reden, die ich damals in Harlem getroffen habe. Die Wahlnacht 2008, das waren großartige Momente, die sehr ans Herz gingen. Ich versuche auch, mit dem afro-amerikani-schen Schriftsteller Ta-Nehisi Coates zu sprechen. Er sagt, dass die USA auch heute, 2016, ein zutiefst rassistisches Land sind. Alles andere sei Schönfärberei.

Gerade jetzt, da die Medien sehr viel über US-Politik berichten, fällt es noch mehr auf, dass europäische Länder selten vorkommen – mal abgesehen vom Brexit und der Grie-chenlandkrise.

Ob es nun viele Menschen mögen oder nicht: Die USA sind unser Partner im Krieg und Frieden und nach wie vor eine Weltmacht. Das kann man ganz nüch-

tern sehen, aber es gibt auch die Tradition, Amerika kritisch zu begleiten, Politik und Defizite anzuprangern.

Europa? Ein kontinuierliches Puls-fühlen, das würde ich mir wünschen. Wir Journalisten haben oft Europa so behan-delt, wie es überhaupt nicht behandelt werden darf: nämlich als Elite-Projekt. Etwas ganz Banales, was mir auffällt: Wir bringen regelmäßig die Arbeitslosenzahlen in Deutschland, und die sind bekanntlich ganz gut, weil sie niedrig sind. Wir müssten aber gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen aus den anderen europäischen Ländern ins Verhältnis setzen, damit die Menschen hier sehen, wie gut es ihrem Land geht. Außer-dem könnten wir so eine Beziehung zu unseren europäischen Nachbarn herstellen und erklären: Hey, das steckt in Frankreich dahinter, wenn die Jugend da auf die Straße geht.

Zu Ihren ersten Herausforderungen als Chef-redakteurin gehörte vermutlich die Frage: Wie gehen wir mit dem Vertrauensverlust der Leitmedien um? Welche Antworten haben Sie gefunden auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise?

Nach den ersten Schocks, als uns das Vertrauen scheinbar – ich muss das Wort „scheinbar“ betonen, – entzogen wurde, haben wir die Herausforderung erkannt: Wenn die großen Ereignisse, Anschläge, Katastrophen stattfinden, schalten die Leute zunächst die Öffentlich-Rechtlichen ein. Und dann erst gehen sie in ihre Sozi-alen Medien.

Und dennoch der Vertrauensverlust. Warum? Weil es auch gerade aus dem Netz viel Kritik, zum Teil auch berechtigte, an unserer Berichterstattung gab und wir uns am Anfang nicht schnell oder deut-lich genug dazu positionierten. Dann aber haben wir alles abgearbeitet – routiniert und ohne Schaum vorm Mund. Ohne Über-heblichkeit.

Ich erinnere mich zum Beispiel an die Klage, wir würden über Russland „unfreundlich“ berichten. Ich habe dafür gesorgt, dass ein 60-Minüter ins erste Pro-gramm kam, 60 Minuten Pulsfühlen bei den Russen: Sie sollten sagen, warum sie Putin gut finden, sogar verehren. Das war der Versuch, differenziert zu berichten. Denn es gibt immer zwei Perspektiven auf eine Sachlage.

„Die Gesprächssendung »Ihre Meinung« ist eine Antwort auf die Frage, wie wir mit dem Ver-trauensverlust der Leitmedien umgehen.“

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Medienmenschen

Den Vorwurf „Lügenmedien“ oder „Merkel-Medium“ haben wir in vielen Talkrunden aufgegriffen.

Besonders gelungen fand ich unse-ren Versuch, im WDR Fernsehen die Gesprächssendung »Ihre Meinung« mit Bettina Böttinger zu machen. Zuhörer, Zuschauer, User waren nicht mehr wie Petersilie drumherum garniert, sondern mit ihren Fragen und Meinungen Mit-telpunkt eines Austausches. Das ist für mich ein großartiges Experiment, das wir im Herbst weiterführen, und eine weitere Antwort auf die Frage, wie wir mit dem Vertrauensverlust umgehen.

Die Medien treibt schon wieder eine neue Diskussion um. Wie berichtet der WDR künftig über Amokläufe und terroristische Taten? Wie sehen Sie das?

Ich bin froh, dass die Diskussion eröff-net wurde. Ich habe mir aber noch keine abschließende Meinung gebildet. Als ich noch aus Russland berichtete, gehörte ich zu jenen, die sagten, man muss die Grau-samkeiten des Krieges, des Terrors zeigen und nicht irgendwie wegschnörkeln. Dazu gehört dann auch das Gesicht, der Name eines Täters. Ich wollte an Schmerzgren-zen gehen.

Was inzwischen nicht mehr geht: das Übernehmen von Material, das Täter oder Organisationen selber hergestellt haben. Diese triumphalen Videobilder. Ich will auf keinen Fall zur IS-Propaganda beitragen. Die Diskussion führen wir gerade.

Wo viel Schatten, ist auch viel Licht: die Panama-Papers. Der WDR war im Recher-che-Team Russland Putins Machtelite auf der Spur. Wie geht es weiter. Ist ein neuer Scoop zu erwarten?

(Lacht) Es gibt nicht jeden Tag und auch nicht jedes Jahr einen Scoop, das war schon wirklich außergewöhnlich und ich bin sehr stolz darauf, dass unsere Leute mit an Bord waren. Der ursprüngliche Impuls, da muss man fair sein, kam von der Süddeutschen Zeitung. Was wir dazu beigetragen haben, war höchst relevant.

Investigation ist aber nicht immer so heldenhaft schön und von vielen Schlagzeilen geadelt. Sondern perma-nentes Wühlen, Datenbänke und Akten durchschauen, Spuren verfolgen, sich mit Informanten treffen: Das ist überhaupt

nicht so glamourös. Ich bin aber felsen-fest davon überzeugt, dass die Investiga-tion die journalistische Spielart ist, die uns von allen unterscheidet. Der WDR ist sehr gut beraten gewesen, sich darauf einzulassen, wir haben vieles enthüllt, wir haben auch wieder Punkte zurück-geholt an Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Und warum? Weil Investigation sich fast immer dreht um Machtmissbrauch, um Absprachen, Korruption. Journalismus dient nicht der Zerstreuung und Ablen-kung, sondern der Demokratie. Das honoriert unser Publikum. Ich würde mir wünschen, dass wir noch viel, viel mehr dahinein investierten, denn Investigation ist auch eine Überlebensgarantie für die Öffentlich-Rechtlichen.

Sie stehen für den hinterfragenden Journa-lismus: gegen den Strich bürsten, kritisch bleiben, politisch sein. Wie muss moder-nes Fernsehen aussehen, wenn man die-sen inhaltlichen Anspruch mit einer Form verbindet, die den neuen Sehgewohnheiten gerecht wird?

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, Fernsehen muss unanstrengend sein um jeden Preis. Gleichzeitig können wir nicht an den veränderten Erwartungen des Publikums vorbei etwas präsentieren und nur auf Inhalt setzen. Viele Menschen sind mittlerweile daran gewöhnt, dass Fernsehen gut auszusehen hat. Das heißt Grafikeinsatz, das kann auch Musikein-satz bedeuten, was ich – das möchte ich betonen – überhaupt nicht liebe. Das heißt auf jeden Fall, sich sehr viel mehr Gedan-ken um Dramaturgie, Filmanfänge, Spra-che, Protagonisten zu machen als wir es früher getan haben.

Als Sie vor zwei Jahren Chefredakteurin wurden, haben Sie Ihre Mitarbeiter zu Blitzdates geladen. Was wollten Sie in der kurzen Zeit vor allem von ihnen erfahren?

Ich wollte Zufriedenheit und Sorgen abtasten und vor allen Dingen das Gefühl vermitteln, dass da eine nahbare Chef-redakteurin ist. Ich fand es immer sehr wichtig in allen Jobs, die ich hatte, um mich herum eine angstfreie Atmosphäre zu verbreiten. ➔

„Ich fand es immer sehr wichtig in allen Jobs, die ich hatte, um mich herum eine angstfreie Atmos-phäre zu verbreiten.“

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Medienmenschen

„Am Ende des Prozesses wird stehen, dass jemand hier in NRW über ein Zechenun-glück berichten kann, aber auch fit ist, die Wahlen in Russland zu analysieren.“

Es ist merkwürdig, dass eine Chefre-dakteurin das sagt, aber es ist so: Es gibt wenig das mich weniger interessiert als Status.

Sie haben strukturelle Veränderun-gen vorgenommen, beispielsweise die Redaktion der »Tagesschau« mit der Programmgruppe Ausland vernetzt. Welche Ziele verfolgen Sie damit?

Wir hatten ein Jahr mit unend-lich vielen Sondersendungen, weil einfach viel passierte. Terroran-schläge, Katastrophen, Kriege. Und siehe da, aus dem journalistischen Impuls haben immer wieder Leute aus der Programmgruppe Ausland und vom Aktuellen zusammengearbeitet und besten Journalismus gemacht. Das war ein Aha-Erlebnis: Es ist eigentlich relativ wurscht, ob was vor der Haustür, in Washington oder Moskau passiert, du hast die Aufgabe, sehr schnell gut abgesicherte Recherchen zu senden.

Am Ende des Prozesses wird stehen, dass jemand hier in Nordrhein-Westfalen über ein Zechenunglück berichten kann, aber auch fit ist, Wahlen in Russland zu analysieren. Das

wird für die Kollegen sehr schön, weil dann ihr Spielfeld viel, viel größer sein wird.

Sie haben eine Bilderbuchkarriere hinge-legt. Doch in den 1970er Jahren war der Einstieg in den Journalismus, damals noch ein angesehener Berufsstand, etwas leichter als heute. Was raten Sie dem Nachwuchs in Zeiten des Zeitungssterbens und der Aus-beutung der jungen Leute in meist schlecht oder gar nicht bezahlten Praktika?

Journalismus ist Herzenssache, keine Karriere-Autobahn. Man muss Lei-denschaft haben. Und Leidenschaft heißt

dann leider auch, sich damit abzufinden, dass die materiellen Voraussetzungen ent-

schieden schlechter geworden sind. Aber jeden Abend ins Bett zu gehen mit dem Gefühl, etwas Relevantes getan zu haben, das ist großartig und müsste über vieles hinwegtrösten, was nicht großartig ist.

Der Nachwuchs muss sich fit machen für alle Ausspielungs-wege, die es gibt, und „Hier, ich will!“ schreien, gerade, wenn es kompliziert oder anstren-gend ist. Und er sollte von der Gewissheit ausgehen, dass es wenige Berufe gibt, die eine so

unendliche Vielfalt, so viel Sinn anbieten – bis ins hohe Alter hinein (lacht).

Mir macht es momentan am meisten Freude, wenn andere Leute glänzen. Ich habe meine große Befriedigung im Job erlebt und erlebe sie noch immer. Jetzt sind andere dran. Mein Motto: Das Schlimmste verhü-ten und das Beste ermöglichen.

Die Fernsehchefredakteurin ist bekennender Nachrichten-Junkie: „Für den Journalismus muss man Leidenschaft haben und dann ist es ein Job, der einen 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche fordert“, sagt Mikich.

SONIA SEYMOUR MIKICH wurde am 13. Juli 1951 in Oxford als Tochter einer Deutschen und eines Serben geboren. An der RWTH Aachen studierte sie Poli-tologie, Soziologie und Philoso-phie. Mikich hatte bereits Erfah-rung als Zeitungsjournalistin, bevor sie 1982 beim WDR volon-tierte. In den 90er Jahren arbeitete die Kosmopolitin als ARD-Korres-pondentin und Studioleiterin in Moskau und Paris. 1998 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande für ihre journalistische Arbeit in Russland ausgezeich-net; zahlreiche Fernsehpreise folgten. 2002 übernahm Mikich die »Monitor«-Redaktionsleitung und Moderation des Politmaga-zins. 2014 folgte die Ernennung zur Chefredakteurin Fernsehen. Ihre publizistische Führung sei in diesen Zeiten wichtiger denn je, begründete Fernsehdirektor Jörg Schönenborn die Verlängerung ihres Vertrages als Chefredak-teurin über die Pensionsgrenze hinaus bis Ende 2018. In diese Zeit fallen die Wahlen in den USA, in Deutschland und NRW.

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Medienmenschen

EMANUELA PENEV

„Starkes Team für die Kommunikation“

HERBERT WATTEROTT

Reporter-Legende der Tour de France wird 75

Emanuela Penev (41) ist seit August neue stellvertretende Un-ternehmenssprecherin des WDR sowie stellvertretende Leite-rin der Abteilung Presse und Information.

„Emanuela Penev kennt den WDR von Grund auf, ist multi-medial orientiert und hat im Laufe ihrer Karriere viele kreative und wichtige Impulse gesetzt“, begründete WDR-Intendant Tom Buhrow seine Personalentscheidung. „Mit Unternehmenssprecherin Ingrid Schmitz und ihr hat der WDR ein starkes Team für die Kommuni-kation nach außen und nach innen.“

Die gebürtige Duisburgerin hatte bereits während ihres Studiums der Kommunikationswissenschaft, Anglistik und Germanistik als freie Autorin im Studio Essen gearbeitet, bevor sie 2006 ein Programmvolontariat beim WDR absolvierte. Von 2007 bis 2011 war Emanuela Penev als Redakteurin und Repor-terin in den WDR-Studios Köln und Düsseldorf tätig. Zuletzt betreute sie in denselben Funktionen dokumentarische Formate im »Hier und Heute«-Team. EB

„Wichtige Impulse gesetzt“: Emanuela Penev, die neue stellvertretende Unternehmensprecherin und stellvertretende Leiterin der Abteilung Presse und Information Foto: WDR/Sachs

Herbert Watterott, die Reporterlegende der Tour de France, wird am 21. Septem-ber 75 Jahre alt. Eine Würdigung seines WDR-Kollegen Günther Baumhauer.

Rennradfahren war und ist noch immer sein Sport Nummer eins. 41 Mal hat er die berühmte Frankreichrunde als WDR-Reporter kommentierend begleitet. Er kannte die Rennfahrer alle von A bis Z, von Altig bis Zabel. Auch international war er mit den Großen des Radsports eng vertraut. Der Belgier Eddy Merckx war für Watti der Größte. Seine letzten Reporterjahre aller-dings waren von den Doping-Affären der Profigilde und den daraus resultierenden langjährigen Sendeeinschränkungen in der ARD getrübt.

Wer als Kollege viele Jahre Büronachbar von Watterott war, weiß zu berichten, wie mühsam zu einer Zeit ohne Internet mit ent-sprechenden Info-Quellen die Vorbereitung für Live-Reportagen war. Gleich mehrere Karteikästen schleppte der Radsportreporter da mit in die Sprecherkabine, um im rechten Moment den passenden Kommentar zum im Bild angebotenen Fahrer zu haben.

Als Watterott vor zehn Jahren in den Ruhestand ging, hatte er schon ein Buch geschrieben: „Tour de France – live“. Die-ses Buch schwenkte Harald Schmidt in der

Luft, während er den Autor in seiner TV-Show humorvoll ausquetschte. 30 Sekun-den aus dem Hut musste Watterott ein Rennfinale kommentieren. Bravo! Da war er wieder: „Der rote Teufelslappen tausend Meter vor dem Ziel, die Sprinter formier-ten sich ...“ Auch nach zehn Jahren lohnt es noch, die Show von damals im Internet anzuklicken.

Zur Blütezeit der Sechs-Tage-Rennen war der Junge aus dem Bergischen Land in Köln, Dortmund oder Berlin als sachkun-diger Hallensprecher natürlich dabei. Und beim diesjährigen Rennen „Rund um Köln“ saß der Kommentier-Oldie am Bensberger Schloss zur Freude der Zuschauer ebenfalls am Mikrofon und gab Wissenswertes von sich. Sein Einsatz beim Wohltätigkeits-rennen in Oldenburg Mitte August endete dagegen mit einem Sturz und einigen Kno-chenbrüchen.

In seiner Heimat ist der WDR-Mann über Jahrzehnte selbst tausende Kilome-ter mit dem Rennrad gestrampelt. „Bergauf bergab, da lernt man zu schätzen, was die Radsportler leisten“, sagt der Mann mit der unverkennbaren Radsportstimme.

Herbert Watterott 2005: Leidenschaftlicher Radsport-Reporter und Radfahrer Foto: WDR/Sachs

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Ulrike Wischer leitete zehn Jahre lang die elf regionalen Lokalzeit-Ausgaben. Foto: WDR

ULRIKE WISCHER †

Eine leidenschaftliche Journalistin

HILDE JUNKER-SEELIGER †

Ihr Engagement galt zeitlebens dem WDRHilde Junker-Seeliger hat von 1975 bis 1985 als erste weibliche Vorsitzende die Arbeit des WDR-Rundfunkrats wesent-lich geprägt. Sie starb 93-jährig am 30. Juli.

Über 33 Jahre war die Sozialdemo-kratin und Gewerkschafterin Mitglied der WDR-Gremien und hat in verschie-denen Positionen große Verantwor-tung übernommen. „Aufgrund ihrer umfangreichen kommunalpolitischen und gewerkschaftlichen Erfahrungen hat Hilde Junker-Seeliger die Frauen-förderung und Regionalität als zen- trale Themen erkannt und aufgegriffen, zwei Themen, die auch heute noch von großer Bedeutung für den WDR sind“, würdigt Ruth Hieronymi, Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats, die Verdienste

und Hintergrund, kritisch und heimatverbunden, auf Augen-höhe und nicht von oben herab. Dabei scheute sie keine Ausein-andersetzung – mit niemandem –, wenn es darum ging, diese Sendung voranzubringen.

In beispielhaften Work-shop-Prozessen gelang es Ulrike Wischer immer wie-der, zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern in den Studios einen gemeinsamen Spirit zu kre-ieren und so den immensen Erfolg zu ermöglichen: die »Lokalzeit« zur Lieblings-sendung so vieler Nordrhein-Westfalen zu machen.

Mit dieser ungeheuren Energie hatte sie schon ihre vorherigen Aufgaben erledigt:

So leitete sie das Studio Aachen und die »Aktuelle Stunde«. Ihre Kreativität, ihre Ideen waren Motor für diese leidenschaftliche Journalistin.

Ulrike Wischer, Leiterin der elf »Lokalzeit-Ausga-ben« im WDR Fernsehen, ist am 1. August im Alter von 56 Jahren gestorben. Gabi Ludwig, die Chef- redakteurin der Landes- programme, erinnert an eine leidenschaftliche Journalistin, die das ak-tuelle regionale WDR-Magazin an die Spitze der erfolgreichsten WDR- Programme führte.

Leidenschaft, Energie,

Mut, Lebenslust – Ulrike Wischer hat gebrannt für die Dinge, die ihr am Her-zen lagen, vor allem für „ihre“ »Lokalzeit«. In den vergangenen zehn Jahren kämpfte sie als Leiterin der Programmgruppe Regionales mit allen Fasern ihres Seins für ihre Vision von einem Fernsehen aus und für den Nahbereich: Aktualität

Hilde Junker-Seeliger im Jahr 1978 Foto: WDR

ihrer Vorgängerin. Bei ihren Analysen habe Junker-Seeliger immer die finanzi-ellen und wirtschaftlichen Aspekte des Senders im Blick gehabt. Zudem sei sie mit ihrem erfolgreichen gesellschaftspo-litischen Wirken eine Wegbereiterin und ein Vorbild für Frauen in Führungsposi-tionen gewesen.

Die Bielefelderin setzte sich Zeit ihres Lebens für den öffentlich-rechtli-chen Rundfunk ein. 1955 hatte Hilde Jun-ker-Seeliger ihre Arbeit im Rundfunkrat begonnen. 20 Jahre später wurde sie die erste weibliche WDR-Rundfunkratsvor-sitzende, danach war sie bis 1988 Mitglied im WDR-Verwaltungsrat. Außerdem war sie Kommunalabgeordnete der SPD und im Bundesvorstand des Deutschen Gewerk-schaftsbundes tätig. EB

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Nachruf

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Wenn das Land an Rhein und Ruhr Geburtstag feiert, dann ist der WDR nicht nur als Berichterstatter dabei. Der Sender für den Westen hat schließlich als Chronist die Geschichte Nordrhein-Westfalens mitgestaltet.

„Ein Bundesland mit sehr bewe-gender Geschichte, aber jung genug, um auch noch neue Geschichte zu schrei-ben“, sagte »Tagesthemen«-Anchorman Thomas Roth zu Beginn der Feier am 23. August in der Düsseldorfer Tonhalle. Der WDR-Journalist führte durch die Veranstaltung, in der die Historie NRWs anhand von Ausschnitten aus der WDR-Doku-Reihe »Unser Land« aufgerollt wurde: vom Nachkriegs-Wirtschaftswunder dank Kohle und Stahl bis zum Strukturwandel. Und das WDR Sinfonieorchester spielte unter der Leitung von Jukka-Pekka Saraste dem Geburtstags-kind mit der „Rheinischen Sinfonie“ Robert Schumanns ein beson-deres Ständchen. Den ersten Satz des Werkes kannte im Land früher jeder als Titelmelodie der WDR-Sendung »Hier und Heute«.

1946 schufen die britischen Besatzer in der „Operation Mar-riage“ aus der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen das Bun-

desland Nordrhein-Westfalen. Prinz William war deshalb als Vertreter Großbritanniens angereist, um zu gratulieren. Das „dynamic Bundes-land“ sei eine Erfolgsgeschichte, sagte seine Hoheit und versprach: „Die Tiefe unserer Freundschaft wird sich nicht verändern.“ Dafür gab es ausgiebigen Applaus von den 1300 Gästen aus allen Bereichen der Gesellschaft, darunter WDR-Intendant Tom Buhrow.

„NRW ist ein starkes Stück Deutschland“, sagte Angela Merkel in ihrer Ansprache. Im vergangenen Jahr nahm NRW mehr Flüchtlinge als jedes andere Bundesland auf, die Bun-

deskanzlerin lobte diese Integrationsleistung. Darauf bezog sich auch Hannelore Kraft: „Anpacken“, so die Ministerpräsidentin, „das ist in der DNA des Landes angelegt.“ Nordrhein-Westfalen sei auch in Zukunft eine Heimat „für alle, die anpacken wollen“. CSh

Thomas Roth führte durch die Veranstaltung in der Düsseldorfer Tonhalle, das WDR Sinfonieorchester spielte zum Geburtstag die Rheinische Sinfonie. Fotos: WDR/Sachs

Gruppenbild mit Prinz (v. l.): Carina Gödecke, Präsidentin des Landtags NRW, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Prinz William, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages

»Doku am Freitag«: Unser Land in sechs Teilen

www1.wdr.de/fernsehen/doku-am-freitag/unser-land/

70 JAHRE NRW

Eine Erfolgsgeschichte: das „dynamic Bundesland“

WDR FERNSEHENFR / bis zum 23. September / 20:15 – 21:00 /

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28 Server in Düsseldorf, 30 in Köln und diverse weitere Server und Speicher-systeme in den neun anderen NRW-Studios des WDR sind nötig, damit Autorinnen, Kameraleute, Redakteure und Cutter Mate-rial digital austauschen können. Alexander Gast arbeitet bereits seit seiner Ausbildungs-zeit am Ausbau dieser Techniklandschaft für die Fernsehproduktion mit: „Wir haben da in den vergangenen vier Jahren ganz schön was an Hardware hingestellt“, so der 24-Jährige. Bald sollen 428 Terrabyte für den schnellen Medienaustausch zur Verfügung stehen. Das reicht für einen Durchlauf von 7000 Stunden Video. Für die Archivierung bereits gesendeter Beiträge gibt es weiteren Speicherplatz. „Das war ein ziemlich gro-ßes Projekt, an dem ich wachsen konnte.“ Mit Erfolg: Der WDR hat Gast nach seiner Ausbildung übernommen. Nun arbeitet er fest angestellt als Fachinformatiker im Bereich Systemintegration. Er und seine Kollegen sorgen im ganzen Unternehmen dafür, dass informationstechnisch alles

E-Mail-Verschlüsselungen aus. Um seine Kenntnisse noch weiter zu vertiefen, nahm der 26-Jährige im Anschluss an seine Aus-bildung ein Studium der IT-Sicherheit auf. Nun arbeitet er parallel zum Studium einen Tag die Woche im WDR. Das Unternehmen fördert Mitarbeiter wie ihn mit Zuschüssen zu anfallenden Studiengebühren.

Während Systemintegratoren sich mehr um die Hardware kümmern, sind Anwendungsentwickler für die Software zuständig. Tim Netzer lernte beim WDR die Grundlagen der SAP und Abap-Pro-grammierung. Er hatte mit verschiedenen Anwendungen zu tun, die der WDR etwa für die Personalverwaltung, für die Abrech-nung von Honoraren oder zur Erstellung von Websites braucht. Zum Ende seiner Ausbildung kam er dann zur Agenturversor-gung. Seit sechs Jahren stellt der 28-Jährige dort sicher, dass Meldungen der Deutschen Presse-Agentur oder anderer Informations-dienste über das Redaktionssystem überall dorthin gelangen, wo sie gebraucht werden.

läuft. Sie helfen zum Beispiel, wenn die Maus oder die Tastatur nicht funktioniert oder E-Mails nicht abgerufen werden kön-nen. Die Azubis durchlaufen in der Regel sämtliche Stationen – vom Support für PCs und Smartphones über die Telefonzentrale bis zur Server-Administration und Geräte-bereitstellung. Sie arbeiten sowohl in der Verwaltung als auch dort, wo Fernsehen und Radio gemacht werden.

Ausbildung und Studium parallel

Timm Börgers hat allerdings die Hälfte seiner Ausbildung auf eigenen Wunsch in der IT-Sicherheit verbracht: „Das hat mich am meisten interessiert, und so konnte ich meinen Ausbilder überzeugen.“ Die immer wichtiger werdende Abteilung wehrt Hacker-Angriffe auf den WDR ab oder verhindert, dass brisante Recherche-ergebnisse investigativer Journalisten aus-gespäht werden. Börgers kennt sich mit Viren- und Datenschutz, Firewalls und

Wer eine fundierte IT-Ausbildung mit einer spannenden und abwechslungs-reichen Tätigkeit bei den Medien verbinden will, sollte sich bis zum 30. September beim WDR bewerben. Qualifizierter Nachwuchs an Fachinformatikern – sehr gerne auch weiblicher – wird noch gesucht.

VIEL MEHR ALS COMP UTER-NERDS

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Perspektiven

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gar nichts mehr.“ Damit ein-her gehe natürlich auch eine große Verantwortung und ein hoher Druck.

„Wer Fachinformati-ker werden will, denkt viel-leicht nicht zuerst an den WDR“, erklärt Dr. Michael Ashauer, der beim WDR die Zentrale Personalentwick-

lung leitet. Dabei habe sich mit der Digita-lisierung der Medienproduktion auch das Berufsbild gewandelt, sei wesentlich pro-duktionsnäher geworden. Zudem würden Azubis im WDR besonders intensiv betreut: Fachbezogene Seminare ergänzen Berufs-schule und Tätigkeit im Betrieb. Eigenstän-diges Arbeiten werde gefördert.

Ein soziales Projekt ist fester Bestand-teil der dreijährigen Ausbildung. Der Jahr-gang, dem Gast und Börgers angehörten, stattete eine Gesamtschule mit 30 ausran-gierten WDR-Rechnern aus und führte die Kids in den Umgang damit ein. Netzer

schulte Senioren am PC. Soziale Kompeten-zen sind nicht nur hier gefordert. „Auch im Bereich Support hat man ja immer mit Men-schen zu tun“, meint Börgers. „Wir suchen vielfältig interessierte und kontaktfreudige Bewerber“, betont Ashauer, „keine Compu-ter-Nerds mit Tunnelblick.“

Schülerinnenpraktika und „Girls‘ Days“

Wissbegierde, Eigeninitiative und Teamfähigkeit nennen die drei Absolven-ten als unerlässliche Voraussetzungen für den Job. Diese Eigenschaften würden auch im Laufe des Auswahlverfahrens getestet. Bewerben kann sich jede(r) mit mindestens mittlerer Reife und einer gewissen Affinität zu Technik und Naturwissenschaften. Wer Praktika im IT-Bereich vorweisen kann, hat bessere Chancen, eingeladen zu werden.

Trotz intensiver Bemühungen um weiblichen Nachwuchs – etwa über „Girls‘ Days“ oder Schülerinnenpraktika – scheint sich das Berufswahlverhalten nach wie vor an traditionellen Rollenbildern zu orientieren. „Maximal zehn Prozent der Bewerbungen im IT-Bereich kommen von Frauen“, bedauert Ashauer. „Wir freuen uns über jede!“ Auch Börgers, Gast und Netzer hatten in ihren Ausbildungs-Jahrgängen nur jeweils eine Kollegin. Mehr Frauen würden die Atmosphäre in der Abteilung auflockern, glauben die Jungs. „Die haben andere Lösungsansätze, sind meist kreati-ver“, ist Börgers überzeugt. „Der Beruf hat ja noch immer so einen Nerd-Stempel“, meint Gast, „vielleicht schreckt das Frauen ab.“

Christine Schilha

„Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es jeden Tag aktuelle WDR-Nachrichten gibt“, sagt Netzer sichtlich stolz.

Der WDR als Ausbilder und Arbeitge-ber biete den großen Vorteil, dass man in so viele Bereiche reinschauen könne, meint Börgers. „In einem kleineren Unternehmen ist man viel festgefahrener.“ Sein Kollege Gast findet es besonders spannend, für den größten öffentlich-rechtlichen Sender Deutschlands tätig zu sein und hinter die Kulissen schauen zu können. „Wir machen das Programm für Westdeutschland“, sagt er, „ohne IT läuft im Fernsehen und Radio

„Der WDR betreut Azubis besonders intensiv.“

VIEL MEHR ALS COMP UTER-NERDS

Hier zieht die IT Strippen: die Fachinformatiker Alexander Gast, Timm Börgers und Tim Netzer (v. l.) in einem Server-raum des WDR. Foto: WDR/Dahmen

Dr. Michael Ashauer, Leiter Zentrale Personalentwicklung Foto: WDR/Fürst-Fastré

Bei Fragen an die WDR-Ausbilder:[email protected]

Informationen zu den Ausbildungsberu-fen im WDR und Bewerbungsformulare:wdr.de/k/karriere

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Perspektiven

Der WDR ist nicht nur bekannt als Medienbetrieb, sondern auch als enga-gierter Ausbilder. Neuerdings gibt er Flüchtlingen mit Praktika und Ausbil-dungsplätzen Perspektiven auf eine bessere Zukunft.

„Jetzt muss ich nur noch lernen, in Köln einen Parkplatz zu finden“, meint Khaled Kakeh. Der Syrer ist vor fünf Jah-ren aus Aleppo nach Libyen geflüchtet und dann im März 2015 über das Mittelmeer nach Italien und später nach Deutschland gekommen. In seinem früheren Leben hat er LKW hunderte Kilometer durch die Wüste gefahren. Beim WDR bekam er

deshalb ein Praktikum in der Wort-, Musik- und Außenproduktion. Hier fährt mit den großen Wagen auch eine Menge Technik mit. Vorerst wird Kakeh noch auf dem Bei-fahrersitz Platz nehmen, denn seine Fahr-kenntnisse werden hier nicht anerkannt. Er macht zunächst den PKW-Führerschein für Deutschland und dann im Rahmen sei-ner Ausbildung den für LKW. Ab 1. Sep-tember erlernt er nämlich beim WDR den Beruf des Kraftfahrers.

Kakeh ist der zweite Azubi beim WDR mit Flüchtlingsgeschichte. Auch Mehreteab Kesete konnte im August aus seinem Praktikum in eine Ausbildung wechseln. Der Eritreer wird Bauten- und Objektbeschichter und kann, wenn er ein drittes Ausbildungsjahr dranhängt, den Gesellenbrief als Maler und Lackierer machen. Ausbildungsleiter Silvan Leggio ist sich sicher, dass es in den kommenden

Jahren noch mehr Ausbildungsverträge mit Geflüchteten geben wird: „Bis jetzt sind wir noch im ‚Übungs-Modus‘. Im nächsten Jahr rechnen wir mit deutlich mehr Bewerbungen, wenn alle, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen, registriert wurden und Sprach-kurse absolviert haben.“

Voraussetzung: Deutschkenntnisse

Im Februar beschloss die Geschäftslei-tung des WDR, durch Praktika zur Integra-tion der zahlreichen AsylbewerberInnen bei-zutragen. Voraussetzung sind ausreichende Deutschkenntnisse. Acht Praktikumsplätze

in den verschiedensten Bereichen sind seit-dem vergeben worden. Weitere Anfragen sind in Bearbeitung.

Ob Flüchtlinge arbeiten beziehungs-weise ein Praktikum oder eine Ausbildung absolvieren dürfen, hängt von den unter-schiedlich definierten Aufenthaltstiteln ab: Ist jemand asylsuchend, hat er oder sie eine Aufenthaltsgestattung oder nur eine Duldung? Und die Gesetzeslage ändert sich laufend. Eine Herausforderung für das Per-sonalmanagement, die Marita Schulz gerne annahm: „Die IHK-Stiftung und der WDR gingen fast gleichzeitig aufeinander zu und kooperieren seitdem intensiv. Schnell hat sich über persönliche Initiativen und Kon-takte zu Ehrenamtlern und Institutionen im vergangenen halben Jahr ein richtiges Netz-werk entwickelt.“ Marita Schulz wird nicht nur beraten, sie ist längst Ratgeberin – man hilft sich gegenseitig. CSh

Die »Lokalzeit« Köln kommt ins Schulbuch„Wie gelangt eine Information in die Medien?“ Das wollte Philine Lissner, Koordinatorin des Bachem Verlags für das Schulbuch „Köln, wie geht das?“, bei einem Besuch im WDR Studio Köln herausfinden.

Dabei erhielt sie authentische Ein-blicke in die Arbeit der Hörfunk- und Fernsehjournalisten: Der stellvertretende Studioleiter Lothar Lenz lud die Verlags-mitarbeiterin zu Konferenzen ein, zeigte Schnitt- und Arbeitsräume und beant-wortete alle Fragen, die dabei aufkamen. Er ist sich der anspruchsvollen Aufgabe, ein Sachbuch für Kinder zu machen, bewusst: „Um für Kinder zu schreiben, braucht man echt Gehirnschmalz. Ich habe davor großen Respekt.“

Interessant, aber hektisch

Das Lehrbuch soll Viertklässlern in regionalen Grundschulen neben anderen grundlegenden Themen über Köln die lokale Medienberichterstattung erklären. Um einen realistischen Einblick hinter die Kulissen zu erhalten, nahm Philine Lissner an der Konferenz der Hörfunk-Redaktion teil sowie an der Gesamtkonfe-renz der WDR-»Lokalzeit«, bestehend aus Radioredaktion und Fernsehredaktion. Dort wurden die Sendungen vom Vortag diskutiert, die neuen konzipiert und auch die Planung für die kommende Woche besprochen.

Welche von diesen Themen es dann tatsächlich in die Sendung geschafft hat-ten, davon konnte sich Philine Lissner am Abend überzeugen: In der Senderegie verfolgte sie die Kurzausgabe der »Lokal-zeit«. Vorher nahm sie die Chance wahr, sich einmal den Moderatoren-Platz von Henning Quanz und das Studio genauer anzuschauen. Nach einem Tag mit vielen neuen Eindrücken verließ Philine Lissner abends das Studio: „Sehr interessant, aber manchmal doch ganz schön hektisch.“ EB

WDR bildet Flüchtlinge aus

Ammar Haddad aus Syrien, hier mit Marita Schulz vom WDR-Personal management und Ausbildungsleiter Silvan Leggio, war der erste Flüchtling, der ein Praktikum beim WDR absolvierte. Fotos: WDR

Mehreteab Kesete hat im August seine Ausbildung zum Bauten- und Objektbeschichter begonnen.

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Glosse

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Ginge es bei Musik nur um Musik, wäre es Unsinn, Konzerte im Fern-sehen zu übertragen. Dann könnten Kiss ungeschminkt singen, Miley Cyrus vollständig bekleidet, und AC/DC würden im Sitzen spielen. Aber Rock‘n‘Roll ist Show-Business. Andrea Berg zum Beispiel hat einen feuerspeienden Dra-chen auf der Bühne. Neulich zog sie sich bei einem Live-Auftritt Verbren-nungen zweiten und dritten Grades zu. Die Sängerin dachte an ihren Hit „Die Gefühle haben Schweigepflicht“ und sang das Lied knallhart zu Ende. Das ist Rock‘n‘Roll! Der Frontmann von Rammstein hätte sich bestimmt sofort acht Wochen krankschreiben lassen. Der hat übrigens selber eine Pyrotechniker-Ausbildung, vermutlich um Personal einzusparen. James Last war da anders, er hat sich Zeit seines Lebens geweigert, den Busführerschein zu machen. Aber ich schweife ab.

Musik im Fernsehen, da denkt der in Ehren ergraute Rockfan Marke „55-jähriger Jeanstyp“ gerne an den »WDR Rockpalast«. Der brachte damals die ganz großen Bands ins Wohnzimmer, und weil das Ganze zeitgleich im Radio übertragen wurde, sogar in Stereo. So traf man sich mit den anderen Langhaarigen bei Bier, Lambrusco und selbst gedrehten Zigaretten, und sobald der große Alan Bangs mit seinem sexy britischen Akzent die Bands ansagte, flippten alle aus. Hat mir meine Redakteurin erzählt. Die sehr mit mir schimpfte, nachdem ich Alan Bangs aus diesem Text gekürzt hatte. Jetzt ist er wieder drin. Der ungemein gut aussehende und extrem sympathische Musikjournalist, wenn ich hier mal ganz offen meine eigene Meinung sagen darf. Ich selber war übrigens nie eingeladen zu den Fernseh-Partys. Ich hatte eine schwere Jugend.

Ob Klassik im Bild gut rüberkommt, hängt sehr von der Frisur und dem Temperament des Dirigenten ab. Die Haare müssen halt schön fliegen. Jazz im Fernsehen ist auch toll, weil Jazzmusiker zwar nicht tanzen, aber dennoch enorm transpirieren. Außerdem können sie teilweise sehr schnell spielen. Ich wollte schon immer mal mit einem Jazzstück an einem Luftgitarren-wettbewerb teilnehmen und mich gar nicht bewegen – außer im Gesicht.

Will man junge Menschen heute für irgendetwas begeistern, holt man sich einen Rapper dazu, und das Dolle ist: Das funktioniert. Siehe „Das Vivaldi-Experiment“ (Bericht Seite 24). Das hätte Vivaldi jetzt auch nicht gedacht, dass seine Grooves gesampelt werden und MoTrip die Lines dazu droppt. Leider befindet sich im Refrain ein Grammatikfehler: „Zeit, um endlich aufzuste-hen, jeder Mensch ist auserwählt, hat seine Gründe hier zu sein, auf diesem kleinen blauen Planet.“ Planeten, Herr MoTrip, Planeten! Dativ! Aber derlei Fehler finden sich in den größten Hits. Marmor, Stein und Eisen brechen ja genau genommen, um das berühmteste Beispiel zu nennen. Der Bayerische Rundfunk weigerte sich damals, den Hit zu spielen. Der Grammatik wegen. „Mit 66 ist noch lang noch nicht Schluss“ klingt auch eher zweifelhaft. Oder Sportfreunde Stiller: „Ich wollte Dir nur mal eben sagen, dass Du das Größte für mich bist. Und sichergehen, ob Du denn dasselbe für mich fühlst.“ Finde die beiden Fehler! Ja, ich bin ein Besserwisser. Meine Klassenkameraden hätten während der Rocknächte sehr viel von mir lernen können!

CHRISTIAN GOTTSCHALK

VON BRENNENDEN DRACHEN, SEXY MUSIK-JOURNALISTEN UND – ERBSENZÄHLERN

Christian Gottschalk (war früher mal Gitarrist der Band „Frauke und die schönen Männer“ )

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Extra-Vorführung für WDR print: Nina Klamroth zeigt uns in ihrem Büro im Kölner Vierscheibenhaus den neuesten »Tatort« aus Münster. Gewohnt giftig agieren Kommissar Thiel (Axel Prahl) und Professor Boerne (Jan-Josef Liefers) miteinander. Dann plötzlich wird es ungemütlich im Schreibtischstuhl. Der Plot nimmt eine grausige Wendung: Eine der Hauptfiguren windet sich in einer Blutlache … Mehr wird an dieser Stelle noch nicht verraten. Und der Film ist zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht ganz fertig. „Wir sind gerade im Feinschnitt, und dann kommt noch die Musik hinzu“, erklärt unsere Gastgeberin.

Nina Klamroth ist verantwortliche Redakteurin des Lieblings-»Tatorts« der ARD-Krimi-Fangemeinde; am 25. September wird Münster zum 30. Mal die Kulisse einer tödlichen Tat sein. „Redak-tion Nina Klamroth“ steht später im Vorspann. Was Schauspieler oder der Regisseur bei einem Krimi zu tun haben, ist den meisten klar. Aber welche Aufgaben hat ein Redakteur beim Film?

Ihre Arbeit ist ungeheuer vielfältig und einfach spannend, denn oft weiß sie nicht, was der nächste Tag bringt, sagt Klamroth, die den Film von der ersten Idee bis zur Ausstrahlung begleitet. Bei

den »Tatort«-Produktionen immer an ihrer Seite: der Produzent. Im aktuellen Fall ist es Produzentin Iris Kiefer, die neben Autorin Elke Schuch und Regisseur Lars Jessen ihre stärkste Partnerin ist. Mit ihr zusammen hat sie das Thema in Auftrag gegeben und an der Drehbuchentwicklung gearbeitet.

Ein neues Projekt: Komödie mit Charly Hübner

Praktisch bedeutet das nichts anderes als immer wieder ver-werfen, neu überlegen, ausprobieren: Der Drehbuchautor liefert erst einmal ein Exposé; fünf Seiten nur, auf denen er die Geschichte skizziert und die in größerer Runde mit dem Regisseur, dem Pro-duzenten und der Redakteurin besprochen wird. Die Ergebnisse der Diskussion fließen in das so genannte Treatment ein, das dann vielleicht schon 25 Seiten lang ist. Und wieder wird der Vorschlag mit allen Beteiligten diskutiert: Trägt die Story über 90 Minuten? Ist sie spannend und nachvollziehbar? Gibt es genug Verdächtige, oder entlarven die Zuschauer den Mörder sofort? Das sei hauptsächlich dramaturgische Arbeit, erklärt Klamroth. „In meinem Arbeitsver-

Eine von uns:NINA KLAMROTH

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trag steht ja auch ,Dramaturgin mit besonderen Aufgaben‘.“

Erst, wenn das Treatment von Redakteurin und Produ-zent abgenommen ist, beginnt für den Autor die eigentliche Drehbucharbeit. Hier bekom-men die Figuren Persönlichkeit und Dialoge, und die Hand-lung ist so ausgearbeitet, dass sie die Geschichte vorantreibt.

„Der Produzent und ich suchen auch gemeinsam einen Regisseur aus“, erläutert die WDR-Redakteurin das übliche Prozedere. Im Fall des neues-ten Münster-»Tatorts« fiel die Wahl auf Lars Jessen. Mit ihm geht Klamroth ins Cas-ting, entscheidet also, welche

Schauspieler dabei sein werden. Regie, Produzent und Redaktion überlegen auch gemeinsam, wer als Komponist geeignet ist und bestimmen die Drehorte. Bis hin zum Kostümbild kann und muss Klamroth als verantwortliche Redakteurin alles abnehmen. Aller-dings schränkt sie ein: „Wenn wir häufiger zusammenarbeiten, dann ist das Vertrauen da und ich weiß, dass ich da nicht eingreifen muss.“ Da profitiert die 37-Jährige ganz von ihrer Erfahrung.

Ursprünglich hat Nina Klamroth Film- und Fernsehproduk-tion an der Filmhochschule in Babelsberg studiert. Beim WDR ist sie seit 2009. Zwei Münsteraner »Tatorte« pro Jahr macht sie hier. Hinzu kommen Serien, Fernseh- und Kinofilme. Derzeit entwickelt sie eine Satire über den Kölner Oppenheim-Esch-Skandal und dreht eine Komödie mit Charly Hübner und Heinz Strunk. Fast fertig ist „Frau Temme sucht das Glück“, eine Hauptabendserie für Das Erste. Meike Droste, die Bärbel aus »Mord mit Aussicht«, und Mar-tin Brambach karikieren darin den Versicherungswahn der Deut-schen. Außerdem hat sie gerade einen Kinofilm abgedreht: „Magical Mystery“. „Das ist eine Sven-Regener-Verfilmung“, verrät sie. „Ein Nachfolger von ,Herr Lehmann‘, der kommendes Jahr in die Kinos

kommen wird.“ Das alles kann tatsächlich parallel geschehen, weil die einzelnen Projekte jeweils unterschiedlich weit vorangeschritten sind. „Beim »Tatort« sind wir vielleicht noch im Exposé-Stadium, beim Kino-film schon im Schnitt“, erläutert Klamroth.

Der aktuelle »Tatort« mit dem Arbeitstitel „Feierstunde“ ist über dieses Stadium schon hinaus. Ungefähr vier Wochen dauert die reine Drehzeit, an die sich etwa zweieinhalb bis drei Monate Postproduktion anschließen. Während der

Dreharbeiten ist Klamroth zwar hin und wieder am Set, aber eigentlich nur zu Presseterminen oder wenn produktionstechni-sche Details besprochen werden müssen. Ihre Hauptarbeit verlagert sich dann mehr auf ihr eigenes Büro. „Wir bekommen jeden Tag vom Drehort Material, die so genannten Muster, digital zugeliefert“, berichtet sie. Erst wenn der Film abgedreht ist, werden die aus den unterschiedlichen Einstellungen ausgewählten Bilder einer Szene im Schnitt zusammengesetzt. Dann ist der „Picture lock“ erreicht, das heißt, dass Regie und Redaktion am Bildschnitt nichts mehr ändern.

Die nächste Phase der Nachbearbeitung, Ton und Musik, kann beginnen. „Wenn irgendwas akustisch nicht verständlich war, dann müssen die Schauspieler nochmal kommen und nach-synchronisieren“, erläutert Klamroth. Auch Schussgeräusche und Fußtritte werden in der Postproduktion verstärkt.

Für den 30. »Münster-Tatort« hat sie mit ihrem Team ein Jubiläum vor dem Münsteraner Schloss organisiert – eine Premiere der besonde-ren Art: Aus Erfahrung weiß Klamroth, dass die Münsteraner verrückt nach ihrem »Tatort« sind und die Karten in der Regel innerhalb von einer Viertelstunde ausverkauft. Die Redakteurin und die Schauspieler werden sich bei dieser Gelegenheit den Fragen des Publikums stellen – auch das ist Teil ihres Jobs. Und dann wird sich auch aufklären, wer da warum blutüberströmt am Boden liegt. Ute Riechert

Der »Tatort« aus Münster oder die schräge Krimi-Komödie

»Mord mit Aussicht« sind seit Jahren Kult. Mitverantwortlich für den Erfolg ist eine von uns: Nina Klamroth, Redakteurin

im Programmbereich Fernsehfilm, Kino und Serie.

Wie werde ich Fernsehfilm redakteur im WDR?

Für den Beruf des Fernsehfilmredakteurs/Dra-maturgen gibt es keinen fest vorgezeichneten Werdegang. Es gibt beispielsweise journalis-tische, filmwissenschaftliche Laufbahnen, Tätigkeiten als Produzent oder ein Studium der Pro-duktion an einer Filmhochschule. Voraus-setzung ist auf jeden Fall ein abgeschlossenes Hochschulstudium, ein Volontariat oder eine einschlägige berufliche Erfahrung. Wer den Beruf des Fernsehfilmredakteurs ergreifen will, sollte eine ausgeprägte Leidenschaft für Fernsehfilme, Serien und das Kino mitbringen.

Gebhard Henke, WDR-Fernseh-filmchef und ARD »Tatort«-Koordinator

Nina Klamroth in ihrem WDR-Büro. Die auffälligste Requisite hinter

ihrem Schreibtisch: das Ortsschild von Hengasch, dem fiktiven Ort,

wo sich »Mord mit Aussicht« abspielt. Foto: WDR/Fußwinkel

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Jürgen Werner (52) ist gerade zurück aus Bozen. Wenn er an einem kniffeligen »Tatort«-Drehbuch sitzt, zieht er sich gerne in die Berge zurück, wo Handy und Internet nur sporadisch funktionieren. Der Autor ist klassischer Quereinsteiger: Stu-diert hat der Schwabe Luft- und Raumfahrttechnik, erst mit 30 machte er aus seiner Leidenschaft einen Beruf und schrieb so-gar Götz Georges Kultfigur Schimanski die Abenteuer auf den Leib. Wir treffen uns in seiner Heimatstadt Stuttgart in der traditionsreichen Weinstube Fröhlich, bis heute das Szene-lokal von Künstlern und Intellektuellen.

Sie schreiben gerade an einem »Dortmund-Tatort«. Wie geht es denn nun weiter, nachdem Kommissar Daniel Kossik das Team verlassen wird? (Siehe auch Seite 15)

Stefan Konarske ist ein toller Schauspieler, aber er hat sich leider entschieden, etwas anderes zu machen. Wir werden eine neue Figur einbauen mit einer neuen Biographie. Daran arbeite ich gerade.

Dürfen Sie schon etwas verraten?Nur so viel: Die Art und Weise, wie er

reinkommt, ist hoffentlich ungewöhnlich. Wir haben uns bemüht, nicht den Stan-dard zu machen – morgens geht die Tür auf und der neue Kommissar ist da.

Wer entscheidet über die Geschichte, haben Sie freie Hand?

Die Produzentin Sonja Goslicki, Redakteur Frank Tönsmann und ich haben gemeinsam überlegt: Versuchen wir es mit einem Dreierteam? Nein, Dortmund steht für ein Viererteam. Kommt eine Frau, ein Mann, ein Älterer, ein Jüngerer? Alles war offen. Ich habe anschließend Vorschläge gemacht, wir haben eine Richtung gefunden, jetzt schreibe ich die erste Fassung.

Steht eine Geschichte vorher immer komplett fest?Mit Frank Tönsmann arbeite ich schon lange zusammen. Wir

besprechen die Details im Vorfeld, aber er gibt mir auch die Freiheit, es einfach mal laufen zu lassen. Manchmal tun die Figuren dann Dinge, mit denen ich vorher gar nicht gerechnet habe. Sie entwickeln ein Eigenleben. Wieso geht der jetzt aus der Tür? Moment mal! Das ist der schönste Moment, das ist dann wie ein Rausch beim Schreiben.

Wie loten Sie Dramatik, Spektakularität und Glaubwürdigkeit aus? Beim »Tatort« steigt man ja schon in die Tiefen menschlicher Abgründe.

Beim »Dortmund-Tatort« haben wir am Anfang vielleicht ein biss-chen übertrieben. Faber war nur noch auf Pille, hat mit dem Baseball-schläger sein Büro zertrümmert. Da haben wir jetzt einen guten Weg gefunden. Aber trotzdem gilt erst einmal: Vollgas geben, ruhig mal über die Stränge schlagen. Danach loten Redaktion, Produktion und Autor gemeinsam aus, wie weit wir letztendlich gehen. Ich spreche auch immer mit einem echten Kommissar, der mir manchmal etwas

aus seinem Beruf erzählt. Aber verglichen mit der Realität sind wir selbst bei einem harten »Tatort« noch weit von der Wahrheit entfernt.

Woher kommen die Ideen für diese komplexen Geschichten?Ich lese sehr viele Zeitungen und

Zeitschriften. Entweder gibt es einen interessanten Kriminalfall, aus dem man ein Fragment nehmen kann. Oder ich greife ein gesellschaftliches Thema auf. Zum Beispiel Bürgerwehren. Dann beschäftige ich mich damit, wie so eine Bürgerwehr aufgebaut ist. Und dann lege ich irgendwo die Leiche hin und schaue,

was sich entwickelt.

Sie schreiben auch Forsthaus Falkenau und Traumschiff … Drehbuchschreiben ist ein Handwerksberuf. Ich habe mich von

der Soap über Vorabendserien und den Sonntagsfilm an den »Tatort« herangetastet. Zum Handwerk kommt aber noch etwas anderes: Wie weit lasse ich mich auf die Figuren ein? Das ist vor allem beim »Tatort« wichtig: glaubwürdige Figuren, das muss in sich stimmig sein. Das passiert aus dem Bauch heraus, das kann man nicht lernen. Da gehen Handwerk und Wahnsinn Hand in Hand.

Was bedeutet es, wenn man wie beim »Dortmund-Tatort« vier Kom-missare gleichzeitig im Blick haben muss?

Man muss den Plot so bauen, dass alle Vier ständig in Bewe-gung sind; das macht es schwierig. Die Fälle müssen komplexer und schneller werden, gleichzeitig gibt es aber auch nicht mehr Geld für mehr Schauspieler. Die Folgen werden mittlerweile auch von verschiedenen Autoren geschrieben und von verschiedenen Firmen produziert. Da muss der Redakteur, Frank Tönsmann, alle Fäden zusammenhalten, damit die Horizontalen – die privaten Geschich-ten der Kommissare, die sich über mehrere Folgen ziehen – stimmig bleiben. Einen »Tatort« will man gut machen, da ist man schon ein bisschen nervös. Das ist im positiven Sinne Stress.

Mit Jürgen Werner sprach Ina Sperl

Auf einen Weißwein mit

Jürgen Werner

Jürgen Werner arbeitet aktuell an einer neuen Figur für den »Tatort« aus Dortmund. Foto: WDR/Anneck

„Und dann lege ich irgendwo die Leiche hin

und schaue, was sich entwickelt.“

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Redaktionsschluss der Oktober-Ausgabe ist der 9. September 2016

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Great to have you hereDie WDR Big Band startet mit

ihrem neuen Chefdirigenten Bob Mintzer in die Saison 2016/2017.

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