Auslandssemester in Irkutsk im SS 2016 an der Irkutsk ... · Irkutsk besticht durch eine Vielzahl...

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Auslandssemester in Irkutsk im SS 2016 an der Irkutsk State University, Russland Warum ein Auslandssemester in Russland – und dann noch in Sibirien? Irkutsk, das sogenannte „Paris Sibiriens“, befindet sich zwischen wilden Bären, waghalsigen Autofahrern und tonnenweise qualitativ hochwertiger Superkälte in Form von Eis und Schnee, die nur dort weicht, wo schwitzende Russen mit einer Vodkaflasche aus einer dampfenden Banja taumeln oder alte Babushkas versehentlich ihren Tee verschütten. Und das auch noch direkt in der Nähe des Baikalsees, der eigentlich und grundsätzlich 36 Monate im Jahr zugefroren ist. Warum zum Teufel sollte man denn dort sein Auslandssemester verbringen, wenn man es auch im zivilisierten Frankreich, schönen Kanada oder den USA machen könnte? Genau das möchte ich euch in diesem Erfahrungsbericht näherlegen.

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Auslandssemester in Irkutsk im SS 2016 an der Irkutsk State University, Russland

Warum ein Auslandssemester in Russland – und dann noch in Sibirien?Irkutsk, das sogenannte „Paris Sibiriens“, befindet sich zwischen wilden Bären, waghalsigen Autofahrern und tonnenweise qualitativ hochwertiger Superkälte in Form von Eis und Schnee, die nur dort weicht, wo schwitzende Russen mit einer Vodkaflasche aus einer dampfenden Banja taumeln oder alte Babushkas versehentlich ihren Tee verschütten. Und das auch noch direkt in der Nähe des Baikalsees, der eigentlich und grundsätzlich 36 Monate im Jahr zugefroren ist. Warum zum Teufel sollte man denn dort sein Auslandssemester verbringen, wenn man es auch im zivilisierten Frankreich, schönen Kanada oder den USA machen könnte? Genau das möchte ich euch in diesem Erfahrungsbericht näherlegen.

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Das Direktaustauschprogramm der CAU zu Kiel & KostenpunkteIm Direktaustauschprogramm der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel besteht die Möglichkeit für ein oder zwei Semester (je nach Wunsch) einen Platz im Studentenwohnheim in Irkutsk inklusive eines dort täglich stattfindenden Sprachkurses der Staatlichen Universität Irkutsk finanziert zu bekommen. Zusätzlich werden 250€ an Reisekosten gezahlt. Neben dem Sprachkurs, den man in Kiel als Russisch-Student auch als Semester anerkannt bekommen kann (wie ich gehört habe), besteht die Möglichkeit weitere fachspezifische Kurse zu belegen. Zusätzlich zum Programm der CAU zu Kiel gibt es die Möglichkeit das PROMOS-Stipendium zu erhalten, mit dem man über fünf Monate je 300€ monatlich erhält, sowie ein Stipendium des russischen Staates, das sich bei uns auf jeweils ca. 100€ monatlich belief. Auf dieses Stipendium besteht Anspruch und Ihr müsst Euch nicht mit einem Motivationsschreiben bewerben.Die Kosten für Lebensmittel sind etwa so hoch wie in Deutschland, dafür sind Verkehrsmittel und Kulturelles wesentlich günstiger. Einmalig fallen zu Anfang noch 20-30€ für das Wohnheim und die Visumsverlängerung an, denn das in Deutschland (bequem über Visaagenturen) beantragte Visum gilt nur für 90 Tage und wird vor Ort erneuert. Hierfür benötigt Ihr auch einen HIV-Test, den ihr aber vor Ort für wenige Euro machen lassen könnt. Alles in allem kommt Ihr mit den maximal erhältlichen 400€ vor Ort super über die Runden und könnt sogar noch reisen! Die besten Zeiten für längere Reisen sind im Februar kurz nach der Ankunft, im Mai und nach den Prüfungen im Juni.

Irkutsk & UmgebungIrkutsk besticht durch eine Vielzahl an Möglichkeiten und eine tolle Lage und setzt sich zusammen aus dem typischen russischen Stadtbild mit Hochhäusern, sowie dem sibirischen Einfluss in Form der kleinen Holzhäusschen mit teilweise äußerst kunstvoll verzierten Fenstern und Dächern. Die eben angesprochene Vielzahl an Möglichkeiten bezieht sich darauf, dass es hier viel zu entdecken gibt: Etliche sehr schöne russisch-orthodoxe Kirchen, den Kirov-Platz mit seinen Springbrunnen, das Angara-Ufer, das Babr- oder Lenin-Denkmal, die Innenstadt und das 130ste Kvartal, welches eine kleine Fußgängerpassage mit besonders schönen Exemplaren der eben erwähnten Häusschen ist, in denen sich Restaurants und eine Brauerei befinden und die vom Babr zum Einkaufszentrum „Modnyj Kvartal“ führt. Auch das Theater ist nicht uninteressant, die Karten kosten ca. zwischen zwei und fünf Euro! Die winterlichen Sportangebote dürften für viele Kieler ebenfalls eine Abwechslung sein, denn so kann man direkt neben dem Wohnheim Schlittschuhlaufen, Langlaufskier oder ein Snowboard ausleihen oder in Listvijanka eine Hundeschlittentour machen. Doch auch bei Plusgraden kann man hier Tennis, Basketball oder Fußball spielen, Fitnessstudios gibt es natürlich auch, ein kleines in der Uni umsonst. Die Lage von Irkutsk eröffnet weitere Möglichkeiten, so ist man nicht nur innerhalb weniger Stunden in den Bergen, sondern auch am Baikalsee, der sich fast wie ein Meer eröffnet, wären da nicht in der Ferne die schneebedeckten, hellblauen Berge der anderen Seite gerade noch zu sehen. Hin kommt man innerhalb einer Stunde ins Dorf Listvijanka, auf dem Weg befindet sich ebenfalls das Freilichtmuseum Talzy, in dem es v.a. am Masleniza-Fest ein tolles Programm mit Musik, Tanz und natürlich haufenweise Blinys sowie der traditionellen Vogelscheuchenverbrennung gibt. Andere Ziele sind die Insel Ol'chon im Baikalsee, die wirklich unglaublich schön ist und zu deren größten Stadt Chuzhir allein schon die Anreise ein Abenteuer darstellt, da es dort keine Straßen mehr in unserem Sinne gibt. Das muss man aber selbst erleben. Übrigens kann man den Baikalsee im zugefrorenen Zustand sogar in einer Tagestour überqueren! In Arshan, ein Dorf direkt an den Bergen mit heißen Quellen in der Nähe, bemerkt man bereits den Einfluss der burjatischen Nachbarregion, von dem man in Ulan Ude mit all den beeindruckenden buddhistischen Tempeln und Dazanen komplett umgeben wird. In Ulan Ude war ich auch zum ersten Mal in meinem Leben im Ballett (zwei Karten für zehn Euro) und obwohl ich mir zunächst nicht sicher war, ob das etwas für mich ist, hat es mir dann ziemlich gut gefallen. Ansonsten möchte ich noch hinzufügen, dass

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auch Vegetarier nicht vor Russland zurückschrecken sollten: Es gibt ein unglaublich leckeres vegetarisches Restaurant (das Govinda's), das mich mit seinem indischen Einschlag auch als Omni begeistert hat. Desweiteren bekommt man auch hier Tofu, Sojawurst und Sojakäse.Als Schlusswort noch einige Worte zum Wetter: Es ist nicht so kalt, wie man befürchtet und man kann deutlich spüren, dass eine trockene Kälte wesentlich angenehmer als eine feuchte Kälte ist. Selbst ich als Frostbeule habe meine wärmsten Sachen nicht benötigt! Das Wetter ist allgemein recht sonnig und im Frühling war es dann oft über 20°C und wie ich hörte, wärmer als bei uns.

Die Universität und der UnterrichtKieler Studenten haben jeden Tag zwei Doppelstunden Sprachunterricht, die in unserem Fall nicht vor 10Uhr begonnen haben, das Institut ist zu Fuß innerhalb von 5min zu erreichen. Die Universität erinnert eher an eine Schule: Die Studenten sind alle recht jung, es gibt eine Pausenglocke und die Räume sind wie Schulklassen aufgebaut mit Tafel. Wir hatten Unterrichtseinheiten zum Thema Grammatik, praktische Rede, Syntaxis, Analyse russischer Texte und einen Videokurs, in dem russische Klassiker geschaut und besprochen wurden. Wer möchte kann zusätzlich Kurse anderer Fakultäten belegen. Desweiteren gibt es in der Universität eine Cafeteria, die sehr günstig ist. Unsere Lerngruppe war klein mit durchschnittlich 4 Studenten und ich persönlich war mit allen Dozenten abgesehen von unserer Kuratorin sehr zufrieden, sie haben wirklich gute Stunden gehalten. Die Kuratorin selbst hat diesen Makel aber durch das Organisieren von Exkursionen und einem wunderbaren Besuch auf der Dacha wieder wettgemacht. Trotzdem könnte man an ihrem Unterricht viel verbessern. Ansonsten hat der Koordinator der Amerikaner uns ebenfalls sehr eingebunden: So lernten wir ganz zu Anfang bei einem gemeinsamen Teeabend russische Studenten kennen und wurden auch sonst oft zu Ausflügen und Veranstaltungen eingeladen. Leider muss man für Ausflüge außerhalb des Wohnheims einen schriftlichen Antrag stellen, was ein bisschen anstrengend ist, aber wichtig aufgrund der Melderegelungen in Russland. Neben den Angeboten des Koordinatos, die mit den amerikanischen Studenten zusammen stattfinden, kann ich es jedem nur wärmstens ans Herz legen, sich mit den anderen Kursteilnehmern anzufreunden, die in unserem Falle aus China und Afghanistan stammten. Denn dann ist man wirklich gezwungen Russisch zu sprechen und sie sind genauso am Lernen, wie man selbst. Aufgrund der Unterrichtszeiten hat man allgemein viel Freizeit für alles, was das Herz begehrt und um eben weitere Kurse an der Universität für sein Studium zu belegen, wenn dies vom Sprachniveau her möglich und gewünscht ist.

Das WohnheimIch wurde auf der Ausländeretage im Wohnheim der uliza ulan batorskaja (Nummer 12) untergebracht. Man teilt sich hier ein Zimmer mit einer anderen Person und jeweils zwei Zimmer teilen sich eine Toilette und eine Dusche. Da meine Mitbewohnerin nach 1,5 Monaten auszog, habe ich die meiste Zeit alleine gewohnt, der andere Kieler Student sogar die ganze Zeit. Während meines Aufenthaltes funktionierte leider die Etagenküche nicht, wer sich nicht die ganze Zeit über von Instant-Nudeln oder über die Cafeteria ernähren will, kann sich jedoch eine Kochplatte + Zubehör besorgen. Ich habe diese Dinge mit meiner Mitbewohnerin zusammen benutzt und nach ihrem Auszug geschenkt bekommen und so unmöglich ich es früher hielt auch nur mit zwei Herdplatten zu kochen (ich koche gerne), so wenig kann ich dies jetzt verstehen. Im Wohnheim gibt es ebenfalls noch zwei Kioske, in denen man Lebensmittel, Toilettenpapier, etc. bekommt, eine Cafeteria, einen Waschsalon (waschen, trocknen und zusammenlegen für zwei Euro) und einen Friseur. Nicht weit vom Wohnheim finden sich andere Supermärkte, Drogerien, Restaurants und Cafés und die Haltestelle, von der aus man sehr schnell in die Stadt kommt. Ein Friseurbesuch inkl. russischen Zöpfen hat mich übrigens umgerechnet ca. drei Euro gekostet. Ein kleiner Tipp noch: Die Ausländeretage wird nachts von innen durch die Babushkas geschlossen. Wenn ihr später nach

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Hause kommt, freuen sie sich, wenn ihr dies vorher ankündigt und man wird nach einem Klingeln eingelassen.

AbschließendRussland ist sicherlich nicht das klassische Ziel für ein Auslandssemester und ich kann die letzten Erfahrungsberichte bestätigen, dass man hier, wenn man nicht gerade Russisch studiert, nicht unbedingt Scheine für sein normales Studium sammelt. Dafür lernt Ihr aber ein unglaublich schönes und vielfältiges Land mit seinen Menschen und seiner Kultur kennen, sprecht am Ende soweit Russisch, dass Ihr Euch unterhalten könnt (Englisch hat jeder in seinem Lebenslauf, aber Russisch?) und sammelt viele Erfahrungen, die man so in europäischeren Ländern sicherlich nicht machen würde und die für die persönliche Entwicklung sehr wertvoll sind. Da weniger Leute nach Russland als z.B. in die USA wollen, habt Ihr außerdem weniger Konkurrenten beim Bewerben.Ansonsten beantworte ich gerne Deine Fragen, also melde Dich bei mir (Emailadresse gibt’s über die CAU, da sie sich demnächst ändert), wenn Du möchtest! :)