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Ministerium für Frauen,Jugend, Familie und Gesundheitdes Landes Nordrhein-Westfalen

Die Jugendministerin informiert:

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Entwicklung und Förderung der Sprache im Elementarbereich

Wie Kinder sprechen lernen

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Düsseldorf, März 2001

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Wie Kinder sprechen lernen

Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheitdes Landes Nordrhein-Westfalen

Entwicklung und Förderung der Sprache im Elementarbereichauf der Grundlage des situationsbezogenen Ansatzes

Text:Renate Militzer

Helga Demandewitz Ragnhild Fuchs

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Der Spracherwerb kleiner Kinderist eine der herausragendsten Leistungen desMenschen. Diesen Prozess zu begleiten und zufördern ist eine wesentliche Aufgabe des Ele-mentarbereiches. Allen Kindern auf der Basisihrer individuellen Möglichkeiten die für sie not-wendige Unterstützung zukommen zu lassen,bleibt eine permanente Herausforderung.

Sprache ist die wichtigste Grundlage der Kom-munikation mit anderen Menschen, durch dieGedanken und Gefühle zum Ausdruck gebracht,Bedeutungen vermittelt, Erlebnisse verarbeitet,Erfahrungen ausgetauscht, Wünsche undBegehren kundgetan, Zusammenhänge verstan-den und Handlungen geplant werden. Zugleichist sie zwingende Voraussetzung für eine gesell-schaftliche Teilhabe der Menschen.

Kinder aus Familien mit Migrationshintergrundbedürfen deshalb in besonderer Weise derSprachförderung. Obwohl ihre Lebenssituationdurch Mehrsprachigkeit gekennzeichnet ist,haben sie häufig Probleme bei der Aneignungdeutscher Sprachkenntnisse. Hier kommt aufden Kindergarten eine zentrale Bedeutung zu.Sprachvermittlung kann aber nicht isoliert vomAufwachsen der Kinder gesehen werden. Sie

muss eingebunden sein in ein umfassendespädagogisches Konzept interkultureller Arbeit.

In 15 Kindergärten wurde unter Einbeziehungdes Sozialpädagogischen Instituts ein interkul-tureller pädagogischer Ansatz erprobt und dabeiauch der Spracherwerb unter besonderemAspekt der Zweisprachigkeit einbezogen. DieErgebnisse zeigen, dass der Kindergarten einenwesentlichen Beitrag leistet.

Wie eine Sprachförderung, die sich an der Situa-tion des einzelnen Kindes orientiert, aussehenkann, will die vorliegende Broschüre aufzeigen.Dazu werden in einem ersten Teil Erkenntnisseund Überlegungen zum Spracherwerb und zumVerlauf einer mehrsprachigen Erziehung vorge-stellt. Im zweiten Teil werden zunächst grundle-gende Aspekte zur Sprachförderung beschrie-ben, die durch konkrete Anregungen ergänztwerden.

Birgit FischerMinisterin für Frauen, Jugend,Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen

Vorwort

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Einleitung 6

Theoretische Grundlagen 11

1. Voraussetzungen für den Spracherwerb 121.1 Die Wurzeln des „Sprachbaums“ 141.2 Der Stamm des „Sprachbaums“ 171.3 Die Krone des „Sprachbaums“ 181.4 Die Sonne: Zuneigung und Wertschätzung als Voraussetzung 191.5 Die Gießkanne: Fördernde Aspekte beim Sprechen lernen 191.6 Die Erde: Die Bedeutung der Lebensumwelt 20

2. Die Entwicklung der Sprache 222.1 Der Spracherwerb 232.2 Vorstufen des Spracherwerbs 252.3 Stadien des Spracherwerbs 29

3. Mehrsprachigkeit im Elementarbereich 363.1 Erstsprache und Identitätsentwicklung 373.2 Die Bedeutung der Erstsprache 403.3 Wesentliche Aspekte beim Erwerb der deutschen Sprache 443.4 Überlegungen zur zweisprachigen Erziehung 52

Sprachförderung – als Teil der Gesamtkonzeption 57

1. Die Grundlagen der Sprachförderung 581.1 Die Lebenssituation von Kindern –

ein Wegweiser für eine am Kind orientierte Sprachförderung 581.2 Die Sprachsituation in der Familie –

Ausgangspunkt für weitere Lernerfahrungen 601.3 Verknüpfung von Handeln und Sprache 66

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2. Vier Schritte zu einer bewussten Sprachförderung 702.1 „Dass wir sprechen können, heißt noch lange nicht,

dass wir auch etwas sagen“ 702.2 Vier Schritte 732.3 Erster Schritt: Eine Situation als geeignet für

Sprachförderung erkennen 742.4 Zweiter Schritt: Einen „öffnenden“ Kontakt zum Kind herstellen 762.5 Dritter Schritt: Sprache bewusst und situationsorientiert fördern 802.6 Vierter Schritt: Die Situation tabellarisch dokumentieren 83

3. Sprachförderung im pädagogischen Alltag 863.1 Offenheit und Orientierung im Tagesablauf 873.2 Räume regen zum Sprechen an 893.3 Die Vielfalt von Materialien und Medien nutzen 923.4 Durch Öffnung zum Stadtteil neue Sprachräume erschließen 105

4. Die Rolle der sozpäd. Fachkraft 1104.1 Beobachtung als Voraussetzung für Sprachförderung 1104.2 Die sozpäd. Fachkraft als Sprachvorbild –

eine Orientierungshilfe für die Sprachentwicklung des Kindes 1174.3 Die muttersprachliche sozpäd. Fachkraft im pädagogischen Alltag 121

5. Zusammenarbeit mit Eltern 1265.1 Die Sprachwelt der Kinder kennenlernen 1265.2 Auf Eltern kann nicht verzichtet werden 1275.3 Voraussetzungen zur Zusammenarbeit: Wertschätzung

und Anerkennung 133

Literatur 136

Inhalt

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Die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeitenvon Kindern zu entwickeln und zu pflegen,ist eine der zentralen Aufgaben des Kinder-gartens. Dabei kommt die Förderung dersprachlichen Fähigkeiten allen Kindernzugute und nicht nur solchen, deren Aus-drucksvermögen Anlass zur Sorge gibt.

Sprachförderung im Rahmen des situations-bezogenen Ansatzes, der seit den 80er Jah-ren die Grundlage für die pädagogische Ar-beit im Elementarbereich in NRW darstellt,ist eingebettet in die alltägliche Arbeit derSozialpädagogischen Fachkräfte (im Folgen-den sozpäd. Fachkräfte) und Teil der Kon-zeption von Tageseinrichtungen. Sie setzteine differenzierte Vorgehensweise voraus,die individuelle Unterschiede berücksichtigtund die verschiedenen Lebenswelten vonKindern in Betracht zieht. Dies bedeutet fürdie pädagogische Arbeit, dass den unter-schiedlichen Sprachniveaus der Kinder Rech-nung getragen wird und die Ansatzpunktezur Sprachförderung von Kind zu Kindunterschiedlich sein können. Damit verbie-ten sich gleichzeitig „pauschale Förderungs-programme“, die sich in gleicher Weise analle Kinder einer Gruppe wenden.

Wenn im situationsbezogenen Ansatz dieaktuellen Lebenssituationen der Kinder den Ausgangspunkt für die Planung und Ge-staltung der pädagogischen Arbeit bilden,heißt dies zudem, die mehrsprachigeLebenssituation von Kindern aus zugewan-derten Familien zu berücksichtigen. Für die Sprachförderung ergibt sich daraus dieAufgabe, neben der Unterstützung derdeutschen Sprache als Zweitsprache auchder Erstsprache mit ihrer identitätsstützen-den Funktion in der Entwicklung von Kin-dern einen Platz in der Arbeit einzuräumen.Dies gewährleistet, dass Kinder aus zuge-wanderten Familien ebenso am Leben ihrerethnischen Gruppe wie am Leben der deut-schen Gesellschaft teilhaben können. Damitsind gleichzeitig wesentliche Aspekte einerinterkulturellen Erziehung angesprochen.

Entwicklungspsychologische Erkenntnisse,wie das Wissen darum, dass Kinder ihre Ent-wicklung in wechselseitigen Anpassungs-prozessen mit der Umwelt vorantreiben,spielen im situationsbezogenen Ansatz einewichtige Rolle. Kinder erschließen sich ihreUmwelt, indem sie selbst tätig werden.Auch der Spracherwerb ist ein Lernprozess,der durch die aktive Auseinandersetzung

Einleitung

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des Kindes mit seiner Umwelt getragenwird. Wesentlich für den Erwerb sprachlicherFähigkeiten sind hierbei die Erfahrungen,die das Kind im handelnden Umgang mitPersonen und Dingen seiner Umwelt macht.

Sprachförderung erfordert von der sozpäd.Fachkraft ein fundiertes Wissen über denSpracherwerb als einem Teilaspekt entwick-lungspsychologischer Abläufe. Bei Anwe-senheit von Kindern aus zugewandertenFamilien stellen Erkenntnisse zur Bedeutungder Erstsprache für die Entwicklung von Kin-dern als auch Hintergrundwissen zum Erler-nen einer zweiten Sprache die Basis für eineprofessionelle Gestaltung sprachfördernderSituationen im Kindergarten dar. In diesemZusammenhang sind Überlegungen, die eineAnnäherung von Kindern unterstützen, zubeachten.

Die Reflexion des eigenen Sprachverhaltensund der eigenen Sprachverwendung gibtder sozpäd. Fachkraft Hinweise auf persön-liche Entwicklungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten.

Für die Förderung einer zweisprachigenErziehung bei Kindern mit Migrationshin-tergrund bedarf es der Unterstützung durcheine muttersprachliche sozpäd. Fachkraft.Mit ihrer zweisprachigen Kompetenz ist sieein Vorbild für Kinder, das deutlich macht,wie hilfreich es sein kann, mehrere Sprachenzu sprechen.

Sprachförderung – wie sie hier beschriebenwird – ist ein kreativer Prozess, der nacheiner flexiblen Zeit- und Raumnutzung ver-langt. Situationen der Sprachförderungbrauchen häufig Zeit. Sie gelingen leichterin Räumen, in denen sich Kinder und soz-päd. Fachkräfte wohl fühlen. Auch kann diesozpäd. Fachkraft in ihrem Alltag auf eineVielfalt an Materialien und Medien zurück-greifen, die zum Zuhören, Fragen undErzählen herausfordern. Über eine Öffnungzum Stadtteil lassen sich neue Lebens- undSprachräume für Kinder entdecken.

Die Zusammenarbeit mit Eltern kann zueiner Bereicherung im Sinne einer Erweite-rung der sprachlichen Lern- und Erfahrungs-räume von Kindern beitragen. Sie kann zu-dem zu einem Austausch über wesentliche

Einleitung

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Informationen zum Sprachverhalten in denFamilien führen.

Die Analyse der familiären Sprach- undSprechgewohnheiten bietet der sozpäd.Fachkraft darüber hinaus Anhaltspunkte fürdie Planung und Gestaltung ihrer Arbeit.

In der Zusammenarbeit mit Eltern ergebensich genügend Anlässe, die sprachliche Situ-ation der Kinder mit den Eltern zu themati-sieren, sie in die Arbeit einzubeziehen undihre sprachlichen Kompetenzen für eineSprachförderung zu nutzen.

Diese verschiedenen Ansatzpunkte ergebenein Bild, das die Verknüpfung der sprach-lichen Förderung mit recht unterschiedlichenAspekten einer pädagogischen Arbeit imElementarbereich, die sich an interkulturel-len Überlegungen orientiert, widerspiegelt.Damit wird die Komplexität von Sprach-förderung aufgezeigt, aber auch deutlich,wie viele andere Bereiche der pädagogischenArbeit für eine Sprachförderung genutztwerden können.

Verknüpfung von situationsbezogenemAnsatz und interkultureller Erziehung unter

dem Aspekt: Zweisprachigkeit fördern

Die folgenden Ausführungen bauen auf derBroschüre der Beauftragten der Bundesre-gierung für Ausländerfragen „Hallo, Hola,Ola“ auf, werden um verschiedene Aspekteerweitert und führen damit weiter in dasThema ein.

Aspekte einer interkul-

turellen Erziehung

Aspekte des situations-

bezogenen Ansatzes

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Einleitung

Zusammen-arbeit

mit Eltern

Integration

Orientierung an

Lebenssituation Bedürfnissen Erfahrungen

Kutur

Identität

Zweisprachigkeit fördern

Offene Planung

Eigenaktivität von Kindern unterstützen

Rolle der Erzieherin

mit und ohneMigrations-hintergrund

Öffnung zum

Gemeinwesen

Situations-bezogener Ansatz und

interkulturelleErziehung

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T h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e n

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Bei der Geburt verfügen Kinder über Augenzum Sehen, Ohren zum Hören und eineStimme zum Schreien und Sprechen. Spre-chen ist eine Fertigkeit, die wie alle anderenFertigkeiten im Verlauf der Entwicklunggelernt werden muss. Allerdings bringenKinder eine angeborene Bereitschaft mit,Sprache zu erlernen.

Welche Voraussetzungen gegeben sein müs-sen, damit Sprache erlernen möglich ist undErgebnis einer positiven Gesamtentwicklungsein kann, soll mit Hilfe des Sprachbaumes1

verdeutlicht werden.

Ein Baum ist mit seinen Wurzeln mit derErde verbunden. Die Wurzeln geben ihmHalt und Standfestigkeit und ermöglichendie Aufnahme von Nährstoffen aus derErde.

Der Stamm gibt dem Baum Standfestigkeit.Hier werden die Nährstoffe, die der Baumüber seine Wurzeln aus dem Boden oderüber Licht und Luft aufnimmt, transportiertund dem Baum zur Verfügung gestellt.Die Krone des Baumes besteht aus einerimmer feiner werdenden Unterteilung vonÄsten und Zweigen, einem dichten Blatt-

werk und schließlich aus Knospen undFrüchten, die die Vermehrung des Baumesübernehmen.

Der Baum kann sich nur entfalten, wenngenügend Licht vorhanden ist und wenn daslebensnotwendige Wasser genügend Nähr-stoffe enthält.

Wenn wir dieses Bild auf die Sprachentwik-klung von Kindern übertragen, stehen dieWurzeln für unterschiedliche Entwicklungs-prozesse, die das Kind erfolgreich durchlau-fen muss. Dabei erwirbt es grundlegendeFähigkeiten in unterschiedlichen Bereichen,die für die Sprachentwicklung von Bedeu-tung sind.

Der Stamm verweist auf die Sprechfreudeund das Sprachverständnis des Kindes unddie Krone auf die ausgebildete Sprache mitihren Aspekten Artikulation, Wortschatzund Grammatik.

Um Sprache entwickeln zu können, mussdas Kind Akzeptanz, Wärme und Liebe vonseinen Bezugspersonen erfahren und ausrei-chende Sprachanregungen erhalten.

1. Voraussetzungen für den Spracherwerb

1 Wendlandt, 1992, S. 9

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Sc

hreien/Lallen

Hör

en

Sehe

n

Tast

en

Bewegun

g

sozialemotionale

geistige Entwicklung

Hirnreifung(Gro

b-, Feinm

otorik)

Entwicklung

Sprachver-ständnis

Sprech-freude

WärmeLiebeAkzeptanz

Mama Milch habenich

willM

ilch

habe

n

haben

tomm

Milch

Mama

weil

ich

s

sch

tr

kr kt m

oa Mama!

Mamatomm

Kommuni-kation

Blickkontakt

nicht nachsprechenlassen

zuhören

aussprechen

lassen

Sprache

an

regen

Lebensumwelt KulturGesellschaft

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Der Sprachbaum

Artiku-lation

Gram-matik

Wort-schatz

sensomotorische Integration

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1.1 Die Wurzeln des „Sprachbaums“

Sensomotorische Entwicklung

Bei der Geburt des Kindes sind alle für dieSprache wichtigen Organe und Muskelnausgebildet: das Zwerchfell, der Rachen, dieStimmbänder, die Lippen, die Zunge und dasGehör. Über das Ohr nimmt das Kind Schall-eindrücke und Sprachlaute auf. Diese akus-tischen Signale der Umwelt werden von denGehörnerven zur Entschlüsselung dem Hör-und Sprachzentrum zugeleitet. Das Gehörist die Voraussetzung für die Entwicklungvon Sprache.

Bereits im Mutterleib kann der EmbryoGeräusche wahrnehmen: den Herzschlagder Mutter, ihren Atemrhythmus, ihre Ver-dauungsgeräusche, ihre Stimme, aber auchGeräusche aus der Umgebung. Nach derGeburt ist das Gehör gut entwickelt undUnterschiede in Dauer und Intensität vonTönen werden vom Säugling registriert.

Notwendige Anregungen für die Sprachent-wicklung sind das Wahrnehmen von Lautenaus der Umgebung des Kindes und das„Sich-selbst-hören-können“.

Viele Eindrücke erhält das Kind über dasvisuelle System, über das Auge. Mit Hilfe derAugen nimmt es optische Eindrücke auf undverarbeitet sie, d.h. es lernt Formen und Far-ben erkennen, Muster zu unterscheiden,nimmt Informationen, z.B. über Räume undbewegliche Objekte, auf.

Kurz nach der Geburt können SäuglingeObjekte, die sich langsam bewegen, mit denAugen verfolgen. Zudem sind sie in derLage, verschiedene Muster wahrzunehmen,wobei sie gesichtsähnliche Muster bevorzu-gen. Kinder entdecken mit ihren Augen ihrenähere und weitere Umwelt.

Für die Sprachentwicklung ist das Sehendeshalb von Bedeutung, weil Kinder aufden Mund des Erwachsenen, auf seine Lip-penbewegungen achten und versuchen,diese nachzuahmen. Das „Ablesen-können“der richtigen Mundstellung ist notwendig,um eine altersgemäße Artikulation entwi-ckeln zu können.

„Die taktile Kommunikation ist die ersteSprache des Kindes, auf der die verbaleSprache aufbaut.“ 2

Für den Säugling ist die Haut ein wichtigesKommunikationsmittel. Über sie nimmt erKontakt zu seiner Umwelt auf. So erfährt er

2 Zimmer,1995, S. 106

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Voraussetzungen für den Spracherwerb

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z.B. über die Art, wie er gestreichelt odergehalten wird, ob er angenommen ist odereher auf Ablehnung stößt.

Über den Tastsinn lernt das Kind zuneh-mend den Berührungen durch andereMenschen eine Bedeutung zuzuordnen, z.B.die Bedeutung von Wärme, Nähe, Trost oderZuversicht, aber auch von unangehm undschmerzhaft. Taktile Berührungen sind„eine Grundlage der sozialen Existenz“, d.h.sie sind für die Entwicklung lebensnotwen-dig. 3

Um sprechen zu können, muss das Kindbestimmte Mund- und Zungenbewegungenausführen, was eine Feinabstimmung unter-schiedlicher Muskelgruppen verlangt.

Das Kind lernt allmählich, seinen Sprechap-parat zu steuern und zu koordinieren. Lippen, Zunge und Gaumensegel werdenzunächst bei der Nahrungsaufnahme benö-tigt. Somit sind Saugen, Schlucken, Leckenund Kauen Vorübungen für das Sprechen.Zunehmend lernt das Kind auch die an derLautbildung beteiligten Organe zu beherr-schen, nämlich die Zwerchfellmuskulaturund die Muskulatur der Stimmbänder.

Lange bevor Kinder ihr erstes Wort spre-chen, krabbeln sie, richten sich auf, machenGehversuche, d.h. sie trainieren ihre gesam-te Muskulatur und die Beweglichkeit derGelenke.

Zunehmende Koordination der Tast-,Muskel- und Gelenkwahrnehmungen sowiedes Sehens führen dazu, dass Kinder gezieltnach Gegenständen greifen, d.h. hier ent-wickelt sich die Feinmotorik.

Aber nicht nur mit ihren Händen erforschenKinder ihre Umwelt, sondern auch, indemsie Gegenstände in den Mund stecken, siemit dem Mund „begreifen“.

Sie lernen immer mehr, Bewegungen feinaufeinander abzustimmen, die Kraft, die fürBewegungen notwendig sind, richtig zudosieren und die für die Aussprache richti-gen Mundstellungen und Spannungszustän-de der Mundmuskulatur herzustellen.

Sozialemotionale Entwicklung

Die Art und Weise, wie der Säugling ge-pflegt und versorgt wird, wie seine Bedürf-nisse aufgegriffen und erfüllt werden, wiebefriedigend die Beziehungen zwischen ihm und seinen Bezugspersonen sind,

3 Zimmer, a.a.O, S. 106

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entscheidet über seine Grundhaltung zuMenschen und Umwelt. Das Kind wird Men-schen Vertrauen entgegenbringen undseine Umwelt aktiv mit gestalten, wenn esselbst erfährt, dass es angenommen ist undVertrauen und Geborgenheit erlebt.

Sprechen heißt, in Beziehung zu anderenMenschen zu treten und sich aktiv derUmwelt zuzuwenden.

Kinder, die nicht ausreichend mitmenschli-che Zuwendung erfahren, bleiben – wieUntersuchungen belegen – in ihrer sprach-lichen Entwicklung zurück, da ihnen Anre-gung und Motivation fehlen, sich sprachlichzu äußern.4

Geistige Entwicklung

In den ersten Wochen und Monaten nachder Geburt wächst das Gehirn des Kindesweiter, und es vollziehen sich noch wichtigeReifungsprozesse in den entsprechendenHirnzentren sowie in den die Sprachwerk-zeuge betätigenden und steuernden Ner-venbahnen. Das Gehirn besitzt unterschied-liche Areale, denen bestimmte Funktionenzugeordnet werden. So gibt es „motorischeZentren“, mit deren Hilfe alle Bewegungen,

wie Gehen oder Greifen, gesteuert werden.Über die „sensorischen Zentren“ werdenBerührungsreize der Haut sowie die Stel-lungsreize aus den Gelenken und der Mus-kulatur wahrgenommen. Darüber hinausgibt es „Seh- und Hörzentren“. Bei 90 - 95%aller Menschen liegt das „aktive Sprachzen-trum“ in der linken Hirnhälfte und das „passive Sprachzentrum“, in dem das ge-sprochene Wort aufgenommen wird, in derrechten Hirnhälfte.

Mit dem Wachstum des Gehirns entfaltensich die geistigen Fähigkeiten des Kindes. Eslernt, wahrgenommene Dinge wiederzuer-kennen oder zu unterscheiden, bestimmtenBegriffen bestimmte Dinge zuzuordnen,Bedeutungen zu erfassen.

Während der Spracherwerb zunächst relativunabhängig von der kognitiven Entwick-lung zu verlaufen scheint, treffen sich dieEntwicklungslinien für das Denken und dieSprache nach dem ersten Lebensjahr. In die-ser Zeit bemerkt das Kind, dass ein Gegen-stand, z.B. ein Ball, auch dann existiert,wenn es ihn nicht mehr sehen kann. Es suchtnach sprachlichen Bezeichnungen, mitdenen es auf die An- oder Abwesenheit desGegenstandes reagieren kann. Das Kinderkennt nun, dass jedes Ding einen Namenhat. Der enge Zusammenhang zwischen gei-stiger und sprachlicher Entwicklung wird im4 Vgl. Merten und Klann-Delius

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sog. Fragealter besonders deutlich, wennsich das Kind seine Umwelt mit ihren vielfäl-tigen Erscheinungen über Spracheerschließt.

Schreien und Lallen

In den ersten Lebenstagen und -wochenkann sich der Säugling nur über das Schreienartikulieren. Schon bald lassen sich jedochUnterschiede beim Schreien feststellen. DasSchreien gewinnt an Informationsgehalt fürdie Bezugspersonen des Kindes. Sie erken-nen, ob der Säugling Hunger hat, ob ihnBauchschmerzen quälen oder ob er schreit,weil er allein ist. Der Säugling wiederumlernt, dass sein Schreien bestimmte Reaktio-nen in seiner Umwelt auslöst, dass z.B. dieMutter kommt, ihn hochhebt, streichelt,stillt, zu ihm spricht. Hier entwickelt sichzwischen beiden eine erste stimmliche Kom-munikation und damit einhergehend diezwischenmenschliche Beziehung.

Etwa vom zweiten bis dritten Monat fängtdas Kind, das sich wohlfühlt, an zu lallen.Lalläußerungen sind rhythmische Lautket-ten, die unterschiedlich lang sein können:„mamama, dada, gegegege ...“

1.2 Der Stamm des „Sprachbaums“

Sprechfreude und Sprachverständnis

Kinder sind neugierig und wollen ihreUmwelt entdecken. Der Säugling plaudertviel und gern, ahmt einzelne Laute undGeräusche nach, zunächst noch ohne denSinn zu verstehen. Es macht dem Kind Freude, sich anderen „mitteilen“ zu kön-nen. Die Kommunikationsfähigkeiten ent-wickeln sich zunehmend, wenn sich dieBezugspersonen auf die „Sprechabsichten“des Kindes einlassen und freudig aufgrei-fen, d.h. in einen Dialog mit dem Kind ein-treten, und seine Sprechversuche Erfolghaben.

Zu erwähnen ist, dass die Fähigkeit, Sprachezu verstehen, eher vorhanden ist als dieFähigkeit zu sprechen. Das Kind begreift dieBedeutung einzelner Wörter eher und han-delt entsprechend, noch bevor es z.B. selbstsagen kann: „Hol den Ball!“.

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1.3 Die Krone des „Sprachbaums“

Die drei Aspekte „Artikulation, Wortschatzund Grammatik“ entfalten sich nebeneinan-der und meist in einem beachtlichen Tempo.

In seiner Artikulation gelingt es dem Kindimmer besser, die verschiedenen Laute rich-tig zu bilden. Beim Erwerb von Lautenscheint es eine bestimmte Reihenfolge zugeben. So werden zuerst die Laute erwor-ben, die im vorderen Mundbereich gebildetwerden, wie „m,a,b“, danach folgen dieje-nigen, die im mittleren, wie „l,n,t“ undschließlich diejenigen, die im hinterenMund- und Rachenbereich entstehen, wie„kr, gl“.

Im Wortschatz des Kindes sind zunächstBegriffe für solche Dinge vorzufinden, diedas Kind anfassen kann und täglich wahr-nimmt. Es schließen sich in der Regel Begrif-fe für Dinge an, die sich außerhalb seinerunmittelbaren Umgebung befinden, die esnicht anfassen kann oder abstrakte Bezeich-nungen sind.

Die Entwicklung der grammatikalischenStrukturen erfolgt von der Einwortphase überdie Zweiwortphase zu komplexen Sätzenmit Nebensatzkonstruktionen.

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1.4 Die Sonne: Zuneigung und Wertschätzung als Voraussetzung

Um sich entwickeln zu können, muss sich dasKind angenommen fühlen, Liebe und Zunei-gung erfahren. Bei Störungen in der sprach-lichen Entwicklung gilt es herauszufinden,„welches Klima“ in der Familie bzw. in derKindertageseinrichtung vorherrscht: ist hierein ständig „verhangener Himmel“ bestim-mend oder kommen die Entwicklungsmög-lichkeiten des Kindes aufgrund einer Über-behütung – zuviel Sonne – zu kurz?

1.5 Die Gießkanne: FörderndeAspekte beim Sprechen lernen

Kinder lernen sprechen über die Kommuni-kation mit Erwachsenen. Erst über das tägli-che Gespräch mit dem Kind können sichseine kommunikativen Fähigkeiten entfal-ten. Die „Gießkanne“ steht für das sprach-fördernde Verhalten der Eltern bzw. dersozpäd. Fachkraft. Um die Sprechfreude derKinder zu erhalten und zu unterstützen,sind folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Blickkontakt: Über den Blickkontakt zwi-schen Eltern/sozpäd. Fachkraft und Kindkann emotionale Nähe und Zuwendungentstehen. Außerdem hat das Kind die Mög-lichkeit, auf die Mund- und Lippenbewe-gungen zu achten, und erhält dadurchAnregungen für die eigene Lautbildung.

Nicht nachsprechen lassen: Lässt man Kinderbei Fehlern oder Abweichungen von derNormsprache der Erwachsenen „richtig“nachsprechen, können die Sprechfreude derKinder gemindert als auch Hemmungen auf-gebaut werden. Wichtiger als die richtigeForm sollte der Inhalt der Mitteilunggenommen werden.

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Zuhören: Für das, was Kinder mitteilenmöchten, sollte immer genügend Zeit vor-handen sein, auch wenn die Mitteilungendes Kindes aus der Sicht des Erwachsenennoch sehr ungeschickt sind.

Aussprechen lassen: Es ist wichtig, Kindernzuzuhören und sie aussprechen zu lassenund nicht Verständnis zu signalisieren, bevorKinder ihre Mitteilung beendet haben.

Sprachanregungen: Erwachsene solltendeutlich und verständlich mit Kindern sprechen, in einer Art, die ihnen signalisiert,dass sie ernst genommen werden. Gesprä-che mit Kindern sind eine gute Möglichkeit, Kinder zum Sprechen anzuregen.

1.6 Die Erde: Die Bedeutung derLebensumwelt

So wie der Baum in der Erde verwurzelt istund Halt und lebensnotwendige Nährstoffein ihr vorfindet, so ist auch das Kind in seinesoziale Umgebung eingebettet. Über dieErziehung in der Familie werden dem Kindkulturelle und gesellschaftliche Aspekte ver-mittelt, findet es seinen Standort, von demes aus die Welt wahrnimmt und sich in ihrzurechtfindet. Einflüsse aus der sozialenUmgebung wirken sich somit auch auf denGebrauch der Sprache – als Teil der Kultur –und ihre Ausgestaltung durch das Kind aus.

So wie kein Baum dem anderen gleicht, sindauch in der sprachlichen Entwicklung vonKindern Unterschiede festzustellen. Obwohldie Abläufe in der sprachlichen Entwicklungähnlich sind, lassen sich große individuelleUnterschiede beobachten. Auch wechselnsich Zeiten schnellen mit Zeiten langsamerenFortschritts ab.

Wenn Unterschiede in der sprachlichen Entwicklung von Kindern deutlich werden,wenn Kinder Lautverbindungen nicht aus-sprechen können oder Wörter noch nichtbeherrschen, wenn sie nur langsam sprechenlernen, ist es wichtig zu überlegen, welches„Menü“ an Sprachanregungen Kinder benö-tigen, das die individuellen Fähigkeitenberücksichtigt.

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N O T I Z E N

Voraussetzungen für den Spracherwerb

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Sprache ist die wichtigste Grundlage derKommunikation mit anderen Menschen,durch die Gedanken und Gefühle zum Aus-druck gebracht, Bedeutungen vermittelt,Erlebnisse verarbeitet, Erfahrungen ausge-tauscht, Wünsche und Begehren kundgetan,Zusammenhänge verstanden und Handlun-gen geplant werden.

Sprache und Sprechen helfen dem Kind,Erscheinungen und Vorgänge der Umweltzu verarbeiten, d.h. Dinge und Vorgänge –zunächst die mittelbaren, später auch dieweiter entfernten – zu erkennen und zu

unterscheiden. Erscheinungen und Vor-gänge der Umwelt werden durch Spracheverfügbar. Dadurch erweitert sich gleich-zeitig die Begriffswelt des Kindes. DieDifferenzierung der Umwelt und die Um-

setzung in Sprache helfen ihm, sich dieUmwelt anzueignen, sie zu verstehen, Erleb-

nisse und Wahrnehmungen zu speichernund Erfahrungen zu strukturieren.

Sprache ermöglicht ihm die geistige Über-brückung von Zeit und Raum, sich aus dem„Jetzt und Hier“ zu lösen, Vergangenheitund Zukunft ins Blickfeld zu rücken. Erfah-rungen des Kindes bleiben durch Sprache

gegenwärtig, auch wenn sich Personen undDinge nicht in unmittelbarem Sichtkontaktbefinden.

Durch Sprechen und Sprache nimmt dasKind Kontakt zu seiner Umwelt auf, stellt esBeziehungen zu anderen Menschen her.Zuerst über Laute, dann über Sätze versuchtes, Verbindung zu seiner Umwelt aufzu-nehmen. Dabei nehmen im KleinkindalterMimik, Gestik und Intonation noch einengroßen Platz im Kommunikationssystem des Kindes ein. Erst das ältere Kindergarten-kind achtet mehr auf den Informationsge-halt des Gesprochenen, da körpersprachli-che Äußerungen, wie Mimik und Gestik, alsVerständigungsmittel nicht mehr ausrei-chen, zumal sie Ursache für vielfältige Miss-verständnisse sein können.

Über die Sprache wird das Kind mit denSichtweisen seiner Umwelt, den Normen undWerten seines Kulturkreises vertraut ge-macht. Dadurch werden sein Selbstbild wieauch sein Bild von Welt entscheidend beein-flusst. Grundlegend für die Vermittlung vonsprachlichen Fähigkeiten ist die Familie mitihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund.Das in seiner Familie übliche Kommunika-

2. Die Entwicklung der Sprache

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Die Entwicklung der Sprache

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tionsverhalten hat wesentlichen Einfluss aufdie sprachlichen Fähigkeiten des Kindes.

Durch Sprechen und Sprache äußert,erkennt und verarbeitet das Kind seine Ge-fühle, Wünsche, Bedürfnisse und Vorstel-lungen. Gefühle und Denken, Denken undSprechen bilden bei ihm eine Einheit, auchwenn es zunächst noch nicht genügend ausdrücken kann, was es empfindet oderdenkt. Für das Kind ist es wichtig zu erfah-ren, dass es seine Gefühle, Wünsche undBedürfnisse ausdrücken kann und darf, aberauch, dass es mit Hilfe der Sprache lernt, mit seinen Gefühlen umzugehen, sie zu ver-arbeiten und sich in sein soziales Umfeldeinzuordnen.

Sprache gibt Kindern über Literatur, Mär-chen, Bilderbücher und Erzählungen einenEinblick in eine Welt der Phantasie, die ihreErlebnis- und Wahrnehmungsfähigkeiterweitert. Hier werden Gefühle, Gedankenund Erlebnisse anderer Menschen beschrie-ben. Hier können Kinder Spannungen miter-leben, Gefahren überwinden und Problemelösen. Sie können sich mit den Inhalten der Geschichten auseinandersetzen, sich mit den Gestalten identifizieren und evtl.Lösungsmöglichkeiten für eigene Problemefinden.

2.1 Der Spracherwerb

„Sprachentwicklung ist stets als ein Vor-gang der Vermittlung einer vorhandenenSprache als Symbolsystem einer bestehen-den Gesellschaft anzusehen. Spracherwerbist ein Prozess der Sprachvermittlung,“ d.h.Sprache wird in einem lang anhaltenden,dialogischen Prozess zwischen dem Kindund seinen Bezugspersonen erworben.5

Dabei ist Sprache nicht nur „eine Produk-tion von Lauten, sondern ein komplexer undvielgestaltiger Prozess der Kommunikation,bei dem über den Einsatz der Sprechorganeund Sprachwerkzeuge hinaus der ganzeMensch mit all seinen unterschiedlichenAusdrucksmitteln beteiligt ist.“ 6

Sprechen besteht nach HURLOCK darin,„dass ein Kind die Bedeutung der Wörter,die es gebraucht, auch kennen muss und siemit den Gegenständen, die sie bezeichnen,in Verbindung bringt“ und dass es seineWörter so ausspricht, „dass sie für andereMitglieder der Gesellschaft leicht verständ-lich sind.“ 7

Jedes Kind hat eine angeborene Bereit-schaft, Sprache zu erlernen. Der Erwerb derErst- oder Muttersprache vollzieht sich in

5 Grimm,1987, S. 599

6 Zimmer,1992, S. 52

7 Hurlock,1971, S. 157

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bestimmten aufeinander folgenden Phasen,die vermutlich für alle Kinder gleich sind.Alle Kinder verfügen zunächst über einengemeinsamen Lautbereich. In allen Sprachenbasieren die ersten Wörter auf den frühenKinderlauten, z.B. mama, dada, baba, papa.Die für die jeweilige Sprache spezifischenLaute muss das Kind lernen.

Im Verlauf der Sprachentwicklung sindgroße individuelle Unterschiede zwischenden Kindern zu beobachten, und zwar hin-sichtlich der Geschwindigkeit der Entwick-lung des Wortschatzes, der Aussprache- undSatzbildungsfähigkeit. Bei fast allen Kindernsind außerdem Zeiten schnellen und lang-sameren Fortschritts auszumachen.

Das Kind übernimmt das Sprachsystem derSprache seiner Umwelt u.a. durch Nachah-mung beim Erwerb von Lauten und Wörternund durch Wiederholung. Dabei spielt auchdie Häufigkeit des Auftretens eine Rolle,d.h. je öfter eine bestimmte Satzstrukturoder Wortklasse auftritt, desto eher kannsie vom Kind übernommen und verarbeitetwerden.

Ein grundlegendes Prinzip des Spracher-werbs ist aber, so FELIX, das Zerlegen von

Strukturen der Zielsprache bzw. der einzel-nen sprachlichen Bereiche in verschiedeneSchritte, die sich das Kind nacheinanderaneignet. Bei dieser systematischen Annähe-rung an die Sprache der Umwelt treten Phasen auf, die als Abweichungen vomErwachsenenmodell, als Rückschritte odergrammatische Fehler erscheinen. Diese inden sprachlichen Äußerungen des Kindesvorkommenden Abweichungen vom Er-wachsenenmodell sind jedoch keineswegsbeliebig oder willkürlich. Das Kind bildetvielmehr seine Äußerungen nach bestimm-ten Prinzipien, die in sich ein logischesSystem darstellen.

Beim Sprechen auftretende Fehler oderAbweichungen sind also – so ZIMMER – nurFehler aus der Sicht des Erwachsenen. Ausder Sicht des Kindes handelt es sich dagegenkeineswegs um Fehler, da es Regeln, die eserfasst hat, konsequent anwendet, die abereben nicht immer mit der Sprachnorm derErwachsenen übereinstimmt, z.B. „derOsterhase hat mir ein Ei gebrungen“(gebrungen – gesungen).

Der Spracherwerb vollzieht sich nur schein-bar wie von selbst. Für die sprachliche Ent-wicklung des Kindes sind die Sprachanregun-gen durch das Umfeld von besonderer Be-deutung. Es ist wichtig, dass Kinder Sprache

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Die Entwicklung der Sprache

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hören und anwenden können.Dabei scheint das sprachlicheVorbild des Erwachsenen einenweit wirksameren Einfluss aufdie sprachlichen Fähigkeiten desKindes zu haben als das Vorbildvon Kindern, da durch das Ge-spräch mit Erwachsenen Kinderzu größerer sprachlicher Aktivi-tät angeregt werden.

Mit zunehmendem Alter gewin-nen die Kontakte zu Kindernjedoch an Bedeutung und sprach-liches Lernen findet auch im Aus-tausch der Kinder untereinan-der statt.

2.2 Vorstufen des Spracherwerbs

Die vorsprachliche Phase umfasst den Zeit-raum von der Geburt bis zum ersten Wortdes Kindes. Schreien, Gurrlaute und Lallensind Phasen, die sich teilweise ergänzenoder einander ablösen und einen wichtigenSchritt auf dem Weg zur Sprache darstellen.

Schreien

Die Sprachentwicklung des Kindes beginntmit dem Schreien, das bei der Geburt dieLungenatmung in Gang setzt.

In den ersten Wochen des Kindes wechselnlange Schlafzeiten mit kurzen Wachzeitenab, in denen seine Bedürfnisse nach Nah-rung und körperlichem Wohlbefinden befrie-digt werden. In diesen Wochen ist Schreienein Signal – zunächst noch undifferenziert –,

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Je kleiner das Kind ist, desto stärker ist derganze Körper beim Schreien in Bewegung.

Etwa ab der zehnten Woche treten auchSchreilaute lustvoller Art auf, die sog. Kreisch-laute.

Explosivlaute oder Gurren

Neben dem Schreien äußern Säuglinge inden ersten Wochen und Monaten auch eineReihe anderer einfacher Laute: Vokallaute,wie „a, ä“, die häufig mit „h“ verbundenwerden, „ähä, hä“ sowie Gurr- und Explosiv-laute: sog. rrr Ketten, Kehllaute, wie „ech,gu, gr, ng“. Diese Laute werden oft durchrein zufällige Bewegungen des Stimmecha-nismus hervorgerufen. Sie haben explosivar-tigen Charakter, werden von allen Säuglin-gen gleichermaßen geäußert und brauchennicht erlernt zu werden. Sie sind überwie-gend abhängig von der Mundform und vomLuftstrom, der aus den Lungen ausgestoßenwird und an den Stimmbändern vorbeigeht.Das Kind stößt diese Laute nicht absichtlichaus; sie sind lediglich Begleiterscheinungenund Reaktionen auf körperliche Bedürfnisseund Aktivitäten. Demnach sind solche Äuße-rungen kein Mittel der Verständigung, son-dern lediglich eine Art spielerischer Beschäf-tigung. Meist verschwindet der größte Teil

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das den Bezugspersonen die Wachzeitenankündigt und zugleich zur Befriedigungder Bedürfnisse nach Nahrung und körperli-chem Wohlbefinden auffordert.

Schon nach wenigen Wochen sind Unter-schiede beim Schreien zu bemerken,

und zwar in der Intensität und in derTonhöhe, später auch in der Klang-

qualität und im Rhythmus desSchreiens. Das Schreien wird also zuneh-

mend differenzierter. Es gewinnt an Infor-mationsgehalt, so dass man allmählich dasSchreien aus Hunger von dem durch andereStörungen, wie Blähungen, Magenbe-schwerden, verursachten Schreien unter-scheiden kann.

Die Veränderung der Schreilaute und ihrEinsatz kommen zunächst rein instinktiv zu-stande. Sie wirken aber auf die mit der Pflege des Kindes beschäftigten Personenwie ein auslösendes Signal, d.h. diese Lautehaben den Charakter einer Mitteilung. Vor-aussetzung, um die Schreilaute richtig inter-pretieren zu können, ist, dass die Erwach-senen das Kind beobachten und es kennen. Bevor das Kind drei Monate alt ist, hat esgelernt, Schreien als Mittel der Aufmerksam-keitserregung einzusetzen.

Die ersten

Wochen

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Die Entwicklung der Sprache

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dieser frühen Laute wieder, wenn sich derStimmechanismus weiterentwickelt.

Mit den allmählich länger werdendenWachzeiten werden die Lautäußerungendes Kindes immer häufiger.

Neben Schrei- und Kreischlauten treten wei-tere Laute auf, die als Quietschen bezeich-net werden, als Ausdruck von Fröhlichkeit,wie es z.B. beim Baden des Kindes oft zubeobachten ist.

Als Ausdruck der Freude ist das Juchzen des Kindes zu interpretieren. Juchzen istgekennzeichnet durch kurze, hervorbre-chende Laute mit plötzlichem Stimmlagen-wechsel.

Ferner äußert das Kind Blasreiblaute, wie „f, w oder s“, indem es die Luft zwischenden geschlossenen Lippen durchpresst.

Zunehmend sind auch rasch wechselndeLautgebilde zu beobachten, die den Über-gang zur Lallphase kennzeichnen.

Lallen

Etwa vom zweiten bis dritten Monat sindbeim Kind, das sich wohl fühlt, die erstenBehaglichkeitsäußerungen wahrzunehmen.Damit erreicht es die Phase des Lallens, dieeine Vorbereitung auf die eigentlichenSprachleistungen des Kindes darstellt.Bei diesen Lautäußerungen handelt essich um rhythmische Lautketten, dieunterschiedlich lang sein können, die ein-fach oder mehrfach wiederholt werden unddie den Charakter von Silben haben, die sichaus Vokalen und Konsonanten zusammen-setzen, z.B. „ma-ma, da-da, ra-ra, de-de, ge-ge...“

Kennzeichen dieser Phase ist, dass es sich um spontane Lautproduktionen handelt, dieständig wechseln können.

Im Laufe des ersten Lebensjahres nimmt die Anzahl der Laute, die ein Kind erzeugenkann, ständig zu, wobei Kinder im Laufe der Lallphase individuelle Vorlieben fürbestimmte Lautkomplexe entwickeln. Die in dieser Zeit gebildeten Lalläußerungenkönnen fremdartig klingen, weil sie nichtnur Laute der Erst- oder Muttersprache enthalten.

Die ersten

monate

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Lautäußerung hin zu einer gezielten Artiku-lation getan, und die Lautäußerungen desKindes nähern sich mehr und mehr derErwachsenensprache an. Dies führt häufigdazu, „dass die Familie diese Lautungenaufnimmt und dem Kind wieder vorspricht,so dass sich in einem häufig wiederholen-den Dialog einzelne Lautgebilde verfestigenkönnen.“ 9

Mit etwa acht bis neun Monaten beginntdas Kind, zu flüstern und hört sich dabei auf-merksam zu.

In den letzten Monaten des ersten Lebens-jahres ist ein erstes Sprachverständnis zubeobachten, d.h. das Kind versteht den Inhalt einiger Worte. So wendet es z.B. denKopf dem entsprechenden Gegenstand oder der Person zu, wenn man es fragt: „Woist ...?“, oder reagiert auf Verbote, wie„nein“, indem es seine Tätigkeit kurz unter-bricht.

Häufig auftretende Lautäußerungen in Verbindung mit einer Reduzierung der Viel-falt der Laute kündigen nach BOVING denBeginn einer neuen Phase an, nämlich denGebrauch von Sprachlauten. Kennzeichenfür diese Vorstufe des Sprechens ist, dass dasKind den Sinngehalt einiger Worte erfasstund die mehrsilbigen Äußerungen auf Dop-pelsilben reduziert und phonetisch stabile

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Das Lallen ist nicht an bestimmte Gegen-stände, Menschen oder Situationen gebun-den; es ist kein Sprechen im eigentlichenSinne. Obwohl manche LalläußerungenWörtern gleichen, verbindet das Kind nochkeinerlei Bedeutung damit, „ma ma“ – stehtin dieser Phase noch nicht für Mutter. DerWert des Lallens besteht in der Übung. Den-noch hat das Lallen für den später ein-set-zenden Spracherwerb eine wichtige Funk-tion: „Das Kind hört seine eigenen Lauteund freut sich über die hörbar werdendenFähigkeiten.“ 8

Das Kind übt in dieser Zeit vielfältige Laut-verbindungen ein, die von Veränderungenin der Tonhöhe und in der Modulationbegleitet werden.

Im weiteren Verlauf steht die Weiterent-wicklung der Laute im Vordergrund. DasKind „erzählt“ viel und gern, z.B. Konsonant– Vokal – Verbindungen: „nana, aga, ata,laalaa“, rrr - Ketten. Dabei wechselt es Laut-stärke und Tonhöhe.

Das Kind fängt an, seine Lautäußerungen zuwiederholen bzw. sich selbst nachzuahmen.Es stellt eine Verbindung zwischen Hören undSprechen her: es hört, wie das klingt, was es sagt, und spricht, was es hören möchte. Da-mit ist der erste Schritt von einer spontanen8 Gipper,1985, S. 40

9 Boving. In: Gipper,1985, S. 91

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Die Entwicklung der Sprache

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Formen benutzt. Diese Lautäußerungenwerden von allen Kindern in für sie beson-ders wichtigen Bereichen eingesetzt. Hierunter fallen die Lautäußerungen, dieFreude, Zufriedenheit oder Unzufriedenheitausdrücken, die zur Bedürfnisbefriedigungauffordern oder Lautäußerungen, die aufetwas hinweisen, wie „da, da“, die durch eineZeigegebärde unterstützt werden.

Schon in den ersten Monaten wirken sichEinflüsse aus der Umwelt des Kindes auf dieArt und Häufigkeit der Lautbildung aus.Wesentlich für die sprachliche Entwicklungist, dass die Mutter bzw. die Bezugsperso-nen und das Kind von Anfang an miteinan-der kommunizieren und über den Dialogeine gemeinsame Erfahrungswelt aufbauen.Indem sie das Verhalten des Kindes interpre-tieren und ihm Bedeutungen zuweisen, lei-ten sie das Kind an, selbst solche Konzepteund Regeln zu entwickeln, die die Grundla-ge für den Spracherwerb sind. Dabei kommtes häufig vor, dass die Bezugspersonen dieLaute des Kindes aufnehmen und vorspre-chen, so dass sich „im Dialog“ einzelne Laut-gebilde verfestigen können, d.h. Mutterund Kind führen „Wechsel-Gespräche“. DasKind ist dabei aktiv an der Interaktion betei-ligt. Seine Lautäußerungen differenzierensich im Laufe der Zeit immer stärker aus.

2.3 Stadien des Spracherwerbs

Etwa gegen Ende des ersten Lebensjahresbildet das Kind erste sinnvolle Wörter. Wennes in der Lage ist, Lautäußerungen mitbestimmten Inhalten/Bedeutungen zu ver-binden, setzt das eigentliche Sprechen ein.Aus dem Lallen wird Sprache, wenndas Kind eine Verbindung zwischenWort und Inhalt herstellt. Um die-sen Entwicklungsschritt von denbedeutungslosen Lautäußerungen hinzum ersten sinnvollen Wort machen zu kön-nen, bedarf es des Erwachsenen, der demKind hilft, für Personen oder Gegenstände,die es wahrnimmt, Worte zu finden.

Einwortphase

Beim Übergang von der Lallphase zu denersten Sprachlauten verlieren Kinder dieFähigkeit, vielfältige Laute zu erzeugen. Siebeginnen meist mit nur wenigen Sprachlau-ten aus ihrer Sprache.

Die ersten Sprachlaute werden im Vorder-mund artikuliert, z.B. „mam, ada, dada“.Dagegen werden Laute, wie „f, s, sch, ch, lund r, pf und tsch sowie st und sp“, sofernsie zum phonologischen System der Mutter-sprache gehören, meist später von Kindern

Das erste

Jahr

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Es ahmt jetzt häufig die Laute der Erwachse-nen nach, ohne den Sinn zu verstehen.

In dieser Phase treten auch Lautmalereienauf. Dabei handelt es sich um Wörter, diedie Beschaffenheit eines Gegenstandes ineiner bestimmten Weise wiedergeben, z.B.„wauwau“ (Hund), „puffpuff“ (Eisenbahn).

Zunächst vertauscht das einjährige Kind dieBezeichnungen für Personen, Gegenständeund Situationen noch beliebig.

Von entscheidender Bedeutung für diesprachliche Entwicklung ist die gesamte kör-perliche Entwicklung des Kindes, die es ihmerlaubt, verschiedene Eindrücke wahrzu-nehmen und zu koordinieren. Um Lauteoder sprachliche Äußerungen verstehen zukönnen, müssen Kinder zuerst einmal ver-stehen, worauf sich denn diese Laute oderÄußerungen überhaupt beziehen. Dieserreichen Eltern dadurch, dass sie die Auf-merksamkeit des Kindes z.B. auf den Gegen-stand lenken, d.h. sie achten darauf, dassihre Kinder den Gegenstand ansehen, überden sie gerade sprechen. Solche Situationen„(gemeinsam auf etwas achten und ent-sprechende Äußerungen hören) erleichterndem Kind (...) die Zuordnung des Ausdruckszu einem bestimmten Inhalt.“ 10

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geäußert. Das Erlernen der Sprachlaute scheintin einer bestimmten Reihenfolge stattzufin-den. Gewisse Laute und Lautverbindungenlernen die meisten Kinder früher als andereLaute.

In der ersten Phase des Spracherwerbsspricht das Kind einige wenige Worte – voneinigen Autoren als „Einwortsätze oderHolophrasen“ bezeichnet.

Diese Einwortäußerungen beziehen sichimmer auf die Gesamtsituation und könnenWünsche, Bedürfnisse, Behagen oder Unbe-hagen, Gefühle ausdrücken oder Benen-nungsfunktion (Namen) haben. Sie sind Tei-le eines komplexen Handlungsschemas. Sokann „mama“ z.B. bedeuten; „ich möchteetwas zu essen“ oder „Mama, komm bitteher“ oder „ich möchte nach draußen“...

Das Kind drückt also mit einem Wort ver-schiedene Bedürfnisse aus, bei denen es oftGesten zur Hilfe nimmt, z.B. „da“, verbun-den mit einer Zeigegeste.

Die ersten Wörter bestehen häufig aus ei-nem Wechsel von Vokalen und Konsonanten,z.B. „ba-ba“. In dieser Phase bevorzugt dasKind Substantive.

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Die Entwicklung der Sprache

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Unterstützend wirken die Reaktionen derBezugspersonen auch, wenn sie die Lautäu-ßerungen des Kindes aufgreifen, wiederho-len und so in einen „Dialog“ mit dem Kindtreten. Dabei ist wiederum häufig die Situa-tion, in der die Wiederholung stattfindet,ausschlaggebend dafür, dass das Lautgebil-de des Kindes nicht nur stabil wird, sondernauch einen Sinngehalt erhält. Das Kind lernt,seine Lautgebilde mit Personen, Gegen-ständen und Situationen allmählich eng zu verbinden, so dass sie zu deren Symbolenwerden können.

Wesentlich bei den Dialogen ist, dass sichdie Bezugspersonen dem kindlichen Sprach-verständnis anpassen, d.h. sie verwendeneinfache Satzstrukturen, eine langsameSprechweise und einen gedehnten Tonfall.„Die Funktion dieser Anpassungen ist offen-sichtlich eine kommunikative: Die Bezugsper-sonen bemühen sich darum, sich dem Kindverständlich zu machen und orientieren sichdabei am kindlichen Sprachverständnis.“ 11

Mit zunehmendem Sprachverständnis er-höht sich die Komplexität des Sprachstils.

Zweiwortphase

Zwischen eineinhalb und zwei Jahren tretenzunehmend Zweiwortäußerungen auf. Beiden ersten Zweiwortäußerungen wird jedesWort einzeln gesprochen und durch einePause gegen das andere abgesetzt, d.h. dieersten Zweiwortäußerungen bestehen auseiner Aneinanderreihung zweier Ein-wortäußerungen, z.B. „ata –Puppe“. Bald werden diese Äuße-rungen über die Betonung alszusammengehörig ausgedrückt. Damit ent-stehen „echte“ zweiwortige Äußerungen.Die Zweiwortäußerungen, die durch dieexistenziellen Bedürfnisse des Kindes beein-flusst werden, erfüllen u.a. folgende Funk-tionen: Feststellung: „wawa tun“, (ich tuesie wieder ins Wasser), Verlangen, Wunsch:„mama ahm“, (Mama, ich will auf deinenArm), Verneinung: „heia nein!“, (ich willnicht ins Bett), Fragen: „wo Ball“, Ortsbe-stimmung: „Ball da“ oder Bezeichnung einerEigenschaft: „Milch heiß“. Bei den Zwei-wortäußerungen variiert die Wortfolge nochsehr stark, da das Kind das Gefühlsbetonteund das Anschauliche voranstellt.

Charakteristisch für diese Phase ist der tele-grammartige Stil der Äußerungen: das Kindverwendet Substantive im Singular, Verben

10 Kolonko,1996, S. 45

11 Apeltauer,1997, S. 37

Das

zweite Jahr

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abwandlungen, nämlich die Beugung des Verbs (Konjugation), des Substantivs(Deklination) und die Steigungsformen derAdjektive (Komparation) ziemlich gleich-zeitig.

Allgemein werden dabei die schwächer flek-tierten und regelmäßigen Formen leichtererlernt als die stark flektierten und unregel-mäßigen, die oftmals durch Formen der er-sten Art ersetzt werden, z.B. „gut – güter“wie „groß – größer“ statt „gut – besser“, ichhabe „getrinkt“ wie ich habe „gemalt“.

In dieser Zeit wird das Sprachverständnisimmer differenzierter. Das Kind versteht all-mählich Aufforderungen, die zwei verschie-dene Handlungen enthalten, z.B. „ Hol denBall und gib ihn ...“

Das Kind versteht schon sehr viel, es kannSprache besser verstehen als produzieren,d.h. das Verstehen von Sprache geht demeigentlichen Sprechen voraus.

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im Infinitiv und einzelne Adjektive. Es feh-len die unbestimmten (einer, eine, ein) undbestimmten Artikel (der, die das), die Kon-junktionen (und, oder, aber), die Hilfszeit-wörter (sein, haben) und die Flexionsendun-gen bei der Pluralbildung (Puppe – Puppen).

Das zweijährige Kind probiert verschiedeneVerbindungen von Lautkomplexen undInhalten. Diese Versuche werden von denErfahrungen, die das Kind macht, beein-flusst und gesteuert.

Allmählich wird es in seinen Bezeichnungensicherer, und der Wortschatz des Kindeswächst stark an. Es entwickeln sich Substan-tive, Verben, Adjektive und Pronomen(Beziehungswörter).

Das erste Fragealter setzt ein: Das Kind fragtnach dem Namen der Dinge: „Ist das?“. Es entdeckt, dass zu jedem Gegenstand einLautkomplex gehört, der ihn bezeichnet,dass jedes Ding einen Namen hat. Eserwacht das Bewusstsein von der Bedeutungder Sprache.

Mit dem Übergang zu den Zweiwortäuße-rungen treten auch die ersten Flexionsversu-che auf, z.B. Puralbildungen beim Substan-tiv. Nun lernt das Kind die Formen der Wort-

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Die Entwicklung der Sprache

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Mehrwortsätze

Etwa im dritten Lebensjahr spricht das KindMehrwortsätze mit drei oder mehr Wörtern.Auch hierbei werden die für das Verstehenwichtigen Wörter geäußert, die unwichti-gen fallen weg, d.h. in der Sprache des Kin-des überwiegen die Inhaltswörter. Die sog.Funktionswörter, wie Konjunktionen (und,oder), Präpositionen (in, an), Artikel (ein, eine)fehlen weitgehend. Die Sprache erscheintnoch immer telegrammstilartig. Die Äuße-rungen des Kindes sind oftmals nur vor demHintergrund der gesamten Situation zu ver-stehen und zu interpretieren. Solche Inter-pretationen werden – wie Untersuchungenbelegen – von der Mutter häufig vorgenom-men, indem sie die Äußerungen des Kindesin grammatisch richtiger Form wiedergibtund abwartet, ob es gegen ihre Interpreta-tion „protestiert“.

Mit dem Auftreten der Mehrwortsätze kann von grammatikalischen Strukturengesprochen werden. So wird z.B. aus„Mama Ball, Mama holen, Ball holen“ nun„Mama Ball holen“ (Subjekt – Prädikat –Objekt, hier: S – O - P).

Die Wortstellung im Satz weicht noch häu-fig von der Erwachsenensprache ab, da das

Kind Wörter voranstellt, die ihm wichtigsind „Ball, gib mir“.

Oftmals werden auch Wörter zusammen-gezogen, „bin gangen“ statt „ich bin gegan-gen“.

Nun äußert das Kind auch Adverbien „da,hier“, später Possessivpronomen „mein,dein“ und Präpositionen (Verhältniswörter)„auf, in“. Beim Erwerb der Verhältnis-wörter werden Ortsbestimmungen„in, auf“ vor Zeitbestimmungen,wie „jetzt, heute, gestern“ erlernt.Das Kind benutzt zunächst den unbe-stimmten, später den bestimmten Artikel.

In Verbindung mit der geistigen Entwick-lung und dem Vertrautwerden mit der Um-welt ist der Erwerb von Fragewörtern zusehen. Zunächst treten die Fragewörter „wooder was“ auf, später folgen „wer, wie, wieviel?“ Das Kind fragt nach dem Namen,es vergewissert sich.

Das Kind verwendet vorwiegend Hauptsät-ze, aber schon auf verschiedene Arten, z.B.als Ausrufe-, Frage- und Aussagesätze.

Es entwickelt verschiedene Nebensätze und lernt, durch Über- und Unterordnung

Das dritte

Jahr

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Zu den Strukturen, die das Kind erst späterfasst, gehören die Passivkonstruktionen.Das Verstehen und Bilden der richtigen Passivkonstruktion fällt dem Kind am leich-testen, wenn Handelnder und Leidenderlogisch nicht umkehrbar sind, wie: „DieMaus wird von der Katze gejagt“, d.h. dasKind weiß, dass die Katze die Maus jagt undnicht umgekehrt. Der eigentliche Erwerbder Passivkonstruktionen erfolgt erst imSchulalter.

Mit etwa vier Jahren hat das Kind diewesentlichen Strukturen seiner Erstspracheerworben. Es spricht überwiegend in voll-ständigen Sätzen. In der Regel sind alleWortklassen vorhanden. Das Kind kann seineWünsche, Gedanken und Absichten mittei-len. In der Sprache des Kindes herrschen biszur Einschulung im allgemeinen einfacheund kurze Sätze vor, die vorwiegend durch„und“ und „dann“ verbunden werden. Der Wortschatz wird weiter angereichert.

Der Erwerb von Bedeutungen, der sehr engmit der kognitiven Entwicklung verbundenist, setzt sich bis ins Schulalter fort. Auch dasVerständnis für Passivkonstruktionen nimmtim Schulalter weiter zu. Relativsätze werdenebenfalls erst im Schulalter wirklichbeherrscht.

e o r e t i s c h e G r u n d l a g e n

Gedanken wiederzugeben. Die erstenNebensätze werden häufig nicht erkannt,weil sie durch einen undefinierbaren Uni-versallaut, wie „ä“ oder „mm“ eingeleitetwerden. Bald folgen Verknüpfungen mit„und“ oder „dann“, später erst mit „weil,darum, wenn“... Gegen Ende des drittenLebensjahres treten auch die ersten Relativ-sätze auf.

Es fragt nach dem „warum, wann und wielange“.

Etwa ab der zweiten Hälfte des drittenLebensjahres bezeichnet das Kind Gegen-stände und Objekte seiner Umgebung rich-tig. Es fragt nach dem Namen unbekannterDinge. Der Wortschatz nimmt zu.

Durch Ableitungen und Zusammensetzun-gen bildet das Kind neue Wörter, entspre-

chend zu „Dunkelheit“ gibt es eine „Hell-heit“, zu „Nachthemd“ das „Taghemd“,ein unbekanntes Geräusch führte zu der

Frage „Oma, was hat da geräuscht?“ 12

Die Aussprache verbessert sich zunehmend.Es lernt auch die schwierigen Laute, wie „r und s“ richtig auszusprechen.

Kindestümliche Sprachbildungen gehenzurück, und die Kindersprache nähert sichder Erwachsenensprache an.

ab etwa

6 Jahren

12 Gipper, a.a.O., 1985, S. 143

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Die Entwicklung der Sprache

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Seit einigen Jahrzehnten wird das Leben inder Bundesrepublik durch den Zuzug vonMigrantinnen und Migranten, Aussiedlerin-nen und Aussiedlern sowie Flüchtlingengeprägt. Diese durch Migration entstande-ne multikulturelle Gesellschaft ist zugleichauch eine mehrsprachige Gesellschaft, wieu.a. in Kindertagesstätten und Schulendeutlich wird. Zwei- und Mehrsprachigkeitist allerdings kein Phänomen, das nur auf-grund von Migrationsbewegungen zustan-dekommt. Da die meisten Menschen in Kontakt mit mehreren Sprachen aufwach-sen und es Zwei- und Mehrsprachigkeit in so unterschiedlichen Facetten und Formengibt, wird in der Literatur darauf hinge-wiesen, dass Zweisprachigkeit in fast jedemLand der Erde vorkommt, z.B. in der Schweiz,in Belgien, in Grenzgebieten, und somit dasNormale sei.

Dabei wurde Zweisprachigkeit über einelange Zeit als schädlich für die Entwicklungvon Kindern angesehen und nur „hochbe-gabten“ Kindern zugebilligt. Man war derAnsicht, dass Zweisprachigkeit zu schlechte-ren Schulleistungen und zu geringerer Intel-ligenz führe, und die „sprachliche Heimat-losigkeit“ Kinder seelisch instabil mache.

Erst ab Anfang der 60er Jahre setzte sich dieAuffassung durch, dass eine zweisprachigeErziehung positive Auswirkungen auf diesoziale wie kognitive Entwicklung habe. Aneine vollkommene Beherrschung von zweiSprachen in allen Bereichen menschlichenLebens ist dabei nicht gedacht. Zu welcherArt von Zweisprachigkeit ein Kind gelangt,hängt hauptsächlich von den Bedingungenab, unter denen zweisprachiges Lernenstattfindet.

Politische, ökonomische und soziale Aspekteführten dazu, dass Menschen ihre Heimat-länder verlassen und sich u.a. in der Bundes-republik Deutschland niedergelassen haben.Wenn sie hier gesellschaftlich handlungsfä-hig sein wollen, müssen sie ihr Leben in derBundesrepublik zweisprachig organisierenund gestalten. In diese zweisprachig organi-sierte Lebenswelt wachsen die Kinder hin-ein. Für Kinder aus zugewanderten Familienbedeutet dies, dass sie aufgrund ihrer Lebens-situation, in ihrer Entwicklung und Persön-lichkeitsbildung auf Zweisprachigkeit ange-wiesen sind.

3. Mehrsprachigkeit im Elementarbereich

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Mehrsprachigkeit im Elementarbereich

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In manchen Familien ist die sprachliche Situation bereits durch mehr als zwei Spra-chen geprägt, weil Dialekte oder Regional-sprachen des Herkunftslandes gesprochenwerden. In anderen Familien gewinnt auchdie deutsche Sprache an Bedeutung.

3.1 Erstsprache und Identitätsentwicklung

Schon ab der Geburt beeinflusst die Interak-tion zwischen Eltern und Kind die Identitäts-entwicklung des Kindes in entscheidenderWeise. Neben dem Körperkontakt bieten El-tern dem Kind auch über die Sprache Impul-se zur Verständigung an. Gleichzeitig erfährtes nach und nach, dass die Zeichen seinerBedürfnisse, wie Schreien oder Lächeln, ver-standen oder auch missverstanden werden.Nach Erkenntnissen der modernen Säug-lingsforschung entwickeln sich dabei ersterudimentäre Vorstellungen vom eigenen„auftauchenden Selbst“.13 Reagieren dieEltern verlässlich und wiederholend auf dieInteraktionsangebote des Kindes, helfen sie ihm, sich mehr und mehr als Subjekt zuerfahren, das die Reaktionen seiner Bezugs-personen selbst beeinflussen kann. Indemdas Kind erfährt, dass es Beziehungen mit-gestalten kann, lernt es, sich selbst von denEltern zu unterscheiden.

Bereits in diesen frühen Dialogen mit denEltern macht das Kind also Erfahrungen, diefür den weiteren Verlauf der Identitätsent-wicklung von Bedeutung sind: In einer ver-lässlichen Interaktion mit Mutter und Vatererlebt es Geborgenheit und Sicherheit undentwickelt dadurch Urvertrauen.14 Dies hilftihm, ein positives Selbstbild aufzubauen.Der Dialog mit der Umwelt ist damit ein Bei-trag zur Entstehung, Entwicklung und Sta-bilisierung der Ich-Identität des Kindes.

Dabei begleitet die Sprache der Eltern schon ab der Geburt die Interaktion mit demKind. Sie reagieren mit ihrer Körpersprache,Wörtern und Lauten auf die Kommunika-tionsangebote des Kindes. Klang und Stimm-führung transportieren Gefühle und Stim-mungen, die das Kind versteht, schon langebevor es selbst sprechen kann.

Im Kontakt mit dem Kind erfahren Elternund andere wichtige Bezugspersonen rechtschnell, wie sie mit ihrer Stimme spezifischeKlangfarben, Melodien und Modulationenerzeugen, die dem Kind Geborgenheit undSicherheit vermitteln oder Aufmerksamkeitbeim Kind hervorrufen können. „Die ElternNeugeborener lernen rasch, welche Ton-höhe die Aufmerksamkeit ihres Babys zuwecken vermag. ... Aufmerksame Elternwerden überdies früher oder später feststel-len, dass die Babys ihre Bewegungen dem

13 Vgl. Stern

14 Vgl. Erikson

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Rhythmus der elterlichen Stimmen anpassenund sie selbst, umgekehrt, das Gleiche tun.“ 15

Nach einer Untersuchung von CONDON undSANDER16 gleichen Neugeborene bereitsunmittelbar nach der Geburt ihre Bewegun-gen dem Rhythmus der Stimme ihrer Mutteran. „Dies ist ein Beispiel für die große,wechselseitige Anpassungsfähigkeit in derfrühen Kindheit. Die Bewegungen des Babysstimmen mit denen der Mutter überein, dieihrerseits ihren Sprachrhythmus den Bewe-gungen des Babys anpasst.“ 17 Hieran wirddeutlich, welche Bedeutung der Erstsprachein der Entwicklung des Kindes zukommt. Esist die Sprache, die mit ihrem spezifischenRhythmus und Klang dem Kind erste Erfah-rungen des gemeinsamen Verstehensermöglicht und damit die Bindung zwischenEltern und Kind festigen kann. Die Spracheder Eltern ist durch erste Bindungserfahrun-gen stark emotional besetzt und hat damiteine „Intimität stiftende Funktion: Durchdie besondere Sprechweise stellt die Muttereine positive affektive Beziehung zu ihremKind her und sichert die gegenseitige Ver-ständigung.“ 18

Auch der Aufbau von Beziehungen zumVater, zu den Geschwistern und den Großel-tern, die dem Kind helfen können, einSelbstbild in Abgrenzung zu ihnen aufzu-

bauen, wird durch die Erstsprache begleitet.Somit ist die Erstsprache wichtiger Bestand-teil des familiären Bindungsgefüges. Wirddem Kind zu einem späteren Zeitpunkt ver-wehrt, seine Erstsprache zu sprechen, kannsich dies auch auf die Beziehungen zu Fami-lienangehörigen auswirken.

Da sich die Identitätsentwicklung des Kin-des in sozialen Bezügen seines direkten undspäter auch erweiterten familiären Umfel-des vollzieht, werden mit der Erstsprachezugleich spezifische soziale Regeln, Normenund Werte vermittelt, die dem Kind Orien-tierungspunkte für den Aufbau seiner Iden-tität bieten. „In der Mutter-Kind-Dyade vermittelt, ist Sprache das Produkt gemein-samer Teilnahme an gesellschaftlicher Praxis. ... Das Kind lernt also die Regeln derSprache nicht isoliert, sondern sie habenihren Ursprung in Strukturen des sozialenHandelns.“19 Im weiteren Verlauf seinesSpracherwerbs lernt das Kind mit den gram-matikalischen Regeln „zugleich die ihnenzugrundeliegenden sozialen Konventionen,die in einem gesellschaftlichen System anerkannten und definierten Rollen undPositionen.“ 20

Im Verlauf der Identitätsentwicklung desKindes stellt der Spracherwerb also einewichtige Errungenschaft dar. Mit Hilfe der

15 Brazelton, Cramer, 1991, S.76f

16 Condon, Sander, 1975.

In: Brazelton, Cramer, 1991

17 Brazelton, Cramer, a.a.O., S.77f

18 Oerter, Montada, 1987, S. 607

19 Oerter, Montada, a.a.O., S. 599f

20 Peukert,1979, S. 121f

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Erstsprache kann das Kind seinen Gefühlen,Bedürfnissen und Interessen einen sprach-lichen Ausdruck geben. Diese Fähigkeit un-terstützt es dabei, sich von seinen Bezugs-personen abzugrenzen und dabei seinSelbstbild zu festigen.

Für den Zusammenhang von Identität und Sprache ist von Bedeutung, dass dieSprachentwicklung des Kindes eingebet-tet ist in ein Wechselspiel von kogniti-ver und interaktiver Entwicklung.21 Dabei beeinflussen sich alle drei Entwicklungs-stränge wechselseitig. Sie fördern gegen-seitig ihre Weiterentwicklung und sind Motorfür die Identitätsentwicklung.

Wenn ein Kind „merkt“, dass seine Fähig-keit, sich mit Gestik und Mimik non-verbalauszudrücken (interaktive Kompetenz),nicht mehr ausreicht, um verstanden zu wer-den, so wird es sich bemühen, seine sprach-lichen Kompetenzen voranzutreiben. Ähnlich verhält es sich mit seinen kognitivenKompetenzen. Neue Entdeckungen undErfahrungen will ein Kind meist auch seinenEltern oder anderen Bezugspersonen mittei-len. Oft kann beobachtet werden, wie Kin-der um Worte ringen, um anderen verständ-lich zu machen, wovon sie so begeistertsind.

Kezan hat zusammen mit anderen Kin-dern aus ihrer Gruppe ein naturkundlichesMuseum besucht. Auf dem Weg zurückzur Einrichtung fragt Ulrike, die Erziehe-rin, welches Tier ihr am besten gefallenhabe. „Das...“, sie hält inne und schütteltden Kopf. „Fällt dir das Wort nicht ein?“,fragt Ulrike zurück. Kezan schüttelt denKopf. Ulrike: „Dann spiele mir doch deinTier vor, und ich versuche es zu erraten.“Kezan nickt eifrig und strahlt über dasganze Gesicht. Sie breitet ihre Hände wie

21 Peukert, 1985, S. 326; vgl.

auch Auwärter, Kirsch, Schrö-

ter 1976

= Weiterentwicklung in den einzelnen Bereichen

Identitätsent-wicklung

kognitiveEntwicklung

sprachlicheEntwicklung

interaktiveEntwicklung

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Flügel aus und beginnt hin- und herzuflie-gen. „Ah, du meinst sicher einen Vogel?“„Nein, nicht Vogel, kleiner, ein...“ Ulrike:„Wie groß ist denn das Tier?“ Kezan zeigtes mit den Fingern: „So“. Sie zeigt denAbstand zwischen Daumen und Zeigefin-ger: „klein“. Ulrike: „Und was für ein Ge-räusch macht das Tier?“ Kezan produziertein deutliches „ssss“ und fliegt summendmit viel Spaß um Ulrike herum. „Vielleichteine Biene?“ „Bie..ne?“ fragt Kezan. Ulri-ke: „Ja, die sind von außen in das Museumhinein geflogen“. Kezan: „Ja, so – ( siespielt wieder eine Biene) – und dann ...indas...(sie überlegt) Loch sss und dann sss...hinter dem Fenster und dann so mitden...“, Kezan zeigt auf ihre Arme. „Meinstdu vielleicht Flügel?“, fragt Ulrike. „Ja,Flügel, mit den Flügeln ganz schnell ssssund dann war da eine Bie..ne..., andereBiene...“ Kezan ist kaum noch zu stoppen.

Die Erzieherin hatte im Museum beobach-tet, wie Kezan mit leuchtenden Augen vor dem Bienenstock stand, der durch eine Glasscheibe für die Besucher/inneneinsichtig war. Durch ein kleines Fensterbeobachtete sie, wie die Bienen vonaußen durch eine kleine Öffnung in denBienenstock gelangten. Nach und nachholte Kezan ihre Freundinnen dazu, umihnen die für sie wichtige Entdeckung zuzeigen.

Die Entwicklung sprachlicher, kognitiver undinteraktiver Kompetenzen stärken das Kindzugleich darin, seine Identität in Kommuni-kation mit anderen zu erweitern und dabeiauch zu stabilisieren.

3.2 Die Bedeutung der Erstsprache

Weiterhin wird in den frühen Interaktionenmit den Bezugspersonen die Basis für diespäteren sprachlichen Kompetenzen desKindes geschaffen. Aber auch im weiterenVerlauf des Spracherwerbs kommt denBezugspersonen eine bedeutende Rolle zu,denn „ihr sprachliches Handeln legt denGrund für das eigene sprachliche Handelndes Kindes; ihre Sicht von Welt ist es, durchdie das Kind seine ersten eigenen Einsich-ten gewinnt.“ 22

So werden die Alltagssituationen in zuge-wanderten Familien durch die in der Familievorherrschende Sprache beeinflusst. In ihrmachen Kinder ihre ersten wichtigen Lebens-erfahrungen. In dieser Erstsprache werdendie Kinder erzogen. Ihre Werte und Normen,ihr Wissen von der Welt, ihre Einstellungenund Vorstellungen werden hierdurch entschei-dend geprägt. Mit Hilfe der Sprache erobernsie sich ihre Umwelt, wird ihnen kultur-22 Gogolin, 1988, S. 21

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spezifisches und gesellschaftliches Wissenvermittelt. Mit der Erstsprache eignen sichKinder Gestik, Mimik, Sprechrhythmus undIntonation (Sprechmelodie) an, erwerbensie sprachliche Handlungskompetenz.

Die Sprache dient der Verständigung inner-halb der Familie, wobei das kontinuierlicheGespräch zwischen Eltern und Kindern unddas Angenommensein in der Familie grund-legend für die emotionale Entwicklung der Kinder sind.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken,dass die Erstsprache in zugewandertenFamilien nicht unbedingt mit der National-sprache des Herkunftslandes gleichgesetztwerden kann. So müssen Kinder aus der Tür-kei nicht türkisch, sondern können auch kur-disch als ihre Erstsprache angeben. Kinderaus Italien könnten in ihren Familien nichtitalienisch, sondern sardisch, rätoromanisch,deutsch oder friaulisch sprechen. Da sich dieFrage nach der Erstsprache von außen nichteindeutig beantworten lässt, ist es für dieErzieherin hilfreich, die Familien danach zubefragen.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Erstsprache der zugewanderten Familien –als Sprache von Minderheiten – nicht mehrin allen Lebensbereichen funktional ist. Sie beschränkt sich oftmals auf die Kommu-

nikation in der Familie, innerhalb der eige-nen ethnischen Gruppe oder auf Kontaktezum Herkunftsland. In den Lebensberei-chen, in denen es um die Kontakte zwischenMinderheit und Mehrheit geht, kommt dieSprache der Mehrheit, nämlich die deutscheSprache zum Tragen, z.B. in Bereichen derArbeit, Ausbildung, Bildung, Verwaltungund Politik. Damit verlieren die Sprachender Minderheiten wesentliche Funktionenin der öffentlichen Kommunikation, wasu.a. auch zu Veränderungen in diesen Spra-chen führt. Neben Veränderungen in dersyntaktischen Struktur und in der Bedeutungeinzelner Worte fließen Wörter und Rede-wendungen aus der deutschen Sprache in die Erstsprachen der zugewanderten Fa-milien ein. Wörter, wie „Kindergarten, Jugendamt, Arbeitsamt“ sind vielfach denGesprächen von zugewanderten Familien zu entnehmen.

GOGOLIN weist darauf hin, dass Kinder aus zugewanderten Familien während ihresSpracherwerbs eine sprachliche Situationvorfinden, in der ihre Familien Strategiensprachlichen Verhaltens entwickelt haben,die u.a. auch die genannten Veränderungenin der Erstsprache beinhalten. Damit begeg-nen Kindern bereits in dieser Phase erstenFacetten von Zweisprachigkeit.

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Mit dem Eintritt in den Kindergarten müs-sen Kinder oft auf der Grundlage einer nochwenig beherrschten Erstsprache die Zweit-sprache Deutsch erlernen. Unter Hinweisauf die bevorstehende Einschulung fordernmanche Eltern eine ausschließliche Betreu-ung in der deutschen Sprache. Aber auchviele sozpäd. Fachkräfte sind der Meinung,dass Eltern im Hinblick auf eine IntegrationGespräche mit ihren Kindern nur noch inder Zweitsprache Deutsch führen sollten,weil sie sich hierdurch Unterstützung für dieeigene Arbeit in den Gruppen erhoffen.Vielfach ist im Alltag zu beobachten, dassdie Erstsprache der Kinder nicht zur Kennt-nis genommen oder als Hindernis beimErwerb der Zweitsprache angesehen und alsFamilienangelegenheit abgetan wird.

Dieses Vorgehen kann sich jedoch – siehtman sich die vielfältigen Funktionen derErstsprache an – als problematisch für dieweitere Entwicklung der Kinder erweisen.

Das Kind hat seine ersten sprachlichen Erfah-rungen in der Sprache der Familie gemacht,es hat gelernt, seine Gefühle auszudrückenund seine Erfahrungen und Erlebnisse mit-zuteilen. Diese Erstsprache ist also Teil sei-ner selbst geworden. Eine Ablehnung oderLeugnung der Sprache kann beim Kind zueiner Beeinträchtigung seines Selbstver-ständnisses führen.

Die Ablehnung der Erstsprache ist eine ganzumfassende Zurückweisung des Kindes,„denn die Sprache steht für all das, was das Immigrantenkind ‘anders’ macht: seineFamilie, seine Herkunft, sein Name, seinealltäglichen Gewohnheiten und seine Wert-vorstellungen.“ 23

Die Zurückweisung kann – nach WAGNER –zu einer starken Verunsicherung und An-spannung führen, denen das Kind auf unter-schiedliche Art und Weise zu begegnensucht, indem es sich von der eigenen Familieoder von den deutschen Bezugspersonenmit ihren Vorstellungen distanziert.

23 Wagner, 1993, S. 170

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Eine Ablehnung kann den Aufbau einesSelbstbewusstseins erschweren, und zwar„im Sinne einer tiefen Sicherheit“, dass esüber Fähigkeiten verfügt, die von anderenMenschen anerkannt werden. Dieses Selbst-bewusstsein wiederum ist Voraussetzung für Interesse an und Offenheit gegenüberLernprozessen und erleichtert dem Kind denErwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Eine fehlende Förderung der erstsprachi-gen Fähigkeiten des Kindes kann auch dieKommunikation zwischen Kindern undihren Bezugspersonen gefährden. Die Mög-lichkeit, Erfahrungen und Erlebnisse vonaußerhalb in der Familie mitzuteilen unddadurch die Verbindung zwischen zwei oft-mals recht unterschiedlichen Erfahrungsbe-reichen herzustellen, wird dadurch erheb-lich eingeschränkt.

Eine fehlende Unterstützung führt letztlichdazu, dass das Kind in seinen individuellenEntwicklungsmöglichkeiten und seinen Chan-cen auf selbstbestimmte und gleichberech-tigte Partizipation am Leben seiner ethni-schen Gruppe eingeschränkt wird.

Neben diesen emotionalen und sozialenBeeinträchtigungen kann eine Vernachläs-sigung der Erstsprache auch zu Problemenim kognitiven Bereich und zu schulischemVersagen führen. Aus der Spracherwerbsfor-

schung ist mittlerweile bekannt, dass Kin-der, die über eine gut entwickelte Erstspra-che verfügen, weniger Schwierigkeitenbeim Erwerb einer zweiten Sprache aufwei-sen, weil sie bereits in der Erstsprachegrundlegende sprachliche, kommunikative,soziale und kognitive Fähigkeiten erworbenhaben, die das Erlernen der zweiten Sprachebegünstigen. So „wissen“ sie, dass eine Spra-che nach Regeln aufgebaut ist und dass ein wesentlicher Teil der Kommunikation an Sprache gebunden ist. Untersuchungen zurZweisprachigkeit zeigen, dass es zu Schwie-rigkeiten in der Zweitsprache kommen kann,wenn nur der Zweitspracherwerb gefördertund die Erstsprache vernachlässigt wird.

In Alltagssituationen ist zwar immer wiederzu beobachten, dass Kinder fließend undakzentfrei über alltägliche Dinge sprechen.Dies lässt sich nach MAIER damit erklären,dass sich die Ausdrucksfähigkeit der Kinderin der Regel auf die immer wiederkehren-den Situationen beschränkt, die sich auf-grund eines relativ festgelegten Tagesab-laufs und der geringen Anzahl von Sprech-anlässen zwischen Erzieherin und Kindernergeben. Erst beim genauen Zuhören undschließlich in der Schule wird deutlich, wieunzureichend die sprachlichen Fähigkeitenin der zweiten Sprache sind, wie gering

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der Wortschatz ist, welche Mängel beimSatzbau und auf der abstrakten Ebene derBegriffe vorliegen. Dadurch bestehen er-hebliche Lücken bei Aufgaben, die sprachli-che und gedankliche Abstrahierfähigkeitverlangen.

Da es erfahrungsgemäß nicht ausreicht,wenn das Kind erst in der Schule einige Stun-den muttersprachlichen Förderunterrichterhält, sollte eine Förderung bereits frühereinsetzen.

Der besonderen Bedeutung, die die Erst-sprache für die Entwicklung von Kindernhat, wird auch in der UN – Kinderrechtskon-vention Rechnung getragen, wenn es dortin Artikel 30 heißt:

„In Staaten, in denen es ethnische, religiöseoder sprachliche Minderheiten oder Urein-wohner gibt, darf einem Kind, das einer sol-chen Minderheit angehört oder Ureinwoh-ner ist, nicht das Recht vorenthalten wer-den, in Gemeinschaft mit anderen Angehö-rigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zu pflegen, sich zu seiner eigenen Religionzu bekennen und sie auszuüben oder seineeigene Sprache zu verwenden.“

3.3 Wesentliche Aspekte beim Erwerb der deutschen Sprache

Beim Besuch von Tageseinrichtungen oderSchulen, bei Kontakten zu Gleichaltrigenoder in Gesprächen mit älteren Geschwis-tern steht vielfach die deutsche Sprache imMittelpunkt. Um sich hier zurechtfindenund wohl fühlen zu können, um deutscheFreunde gewinnen oder um den Anforde-rungen außerhalb der Familie entsprechenzu können, ist das Kind auf die deutscheSprache angewiesen, d.h. ein wichtiger Teilseiner Entwicklung und seines Lebens spieltsich in dieser Sprache ab.

Der Besuch des Kindergartens bringt fürviele Kinder eine größere Umstellung undNeuorientierung mit sich. Sie müssen evtl.zum ersten Mal für eine längere Zeit aufvertraute Bezugspersonen verzichten, sichauf neue, unbekannte Situationen einstel-len und eine neue Rolle einnehmen. An dieKinder werden Erwartungen an ihr Verhal-ten gestellt, die möglicherweise von denenin ihren Familien abweichen. Sie werden mitzum Teil noch fremden Lebensgewohnhei-ten und anderen Erziehungsvorstellungenkonfrontiert, müssen sich auf Regeln einlas-sen, die sie so nicht kennen. Die im Kinder-garten vorhandenen Spielmaterialien undderen Handhabung sind vielfach nicht

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bekannt. Die Kinder können ihre Bedürf-nisse, ihre Unsicherheiten und Ängste nichtmitteilen, fühlen sich unverstanden, fremd,der neuen Situation nicht gewachsen undmüssen dennoch immer wieder mit neuenSituationen zurechtkommen. Das Gefühlvon Fremdheit, das mit dieser Situation ver-bunden ist, wird umso größer, je mehr dasKind erfährt, dass es die Sprache der sozpäd.Fachkraft und anderer Kinder nicht verstehtund dass es sich mit seiner Erstsprache nichtverständlich machen kann. Diese Situationkann für Kinder sehr verwirrend und beäng-stigend sein. Das in diesen SituationenUnvertraute, Fremde kann dazu führen,dass einige von ihnen ihr Bedürfnis, sich mit-zuteilen, aufgeben und zu Beginn des Kin-dergartenbesuchs „sprachlos“ werden. Kin-der erforschen ihre Umwelt – so Maslow –gerne „aus einem sicheren Hafen heraus“.Unsicherheit und Angst können stärker seinals Neugier und damit Lernbereitschaftbeeinträchtigen. Andere Kinder ziehen sichzurück und ergreifen kaum Spielinitiativenoder versuchen, sich mit Gewalt durchzuset-zen, weil ihnen die sprachlichen Möglich-keiten fehlen, Wünsche und Bedürfnisse zuartikulieren.

Solange Kinder auszugewandertenFamilien aber überkeine oder nurgeringfügige Kennt-nisse in der deut-schen Sprache verfü-gen, können sie sichweder mit der soz-päd. Fachkraft nochmit anderen Kindernaustauschen, Fragenstellen oder beant-worten. Zudem wer-den sie erfahrungsgemäß selten von deut-schen Kindern angesprochen. Auch könnensich Kinder mit Migrationshintergrund erstdann als integriertes Mitglied einer Gruppebegreifen, wenn sie den Gruppenprozessverstehen und sich daran beteiligen kön-nen. Wenn eine einigermaßen mühelose,altersentsprechende Verständigung zwi-schen den Kindern nicht möglich ist, sindKontakte, die über den Kindergartenall-tag hinausreichen, und ein kooperativesSpielen und Lernen schwerlich zu erreichen.Gemeinsame Spielaktivitäten können erstentstehen, wenn sich alle Kinder bei der Planung und Absprache von Handlungeneinbringen können.

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Spracherwerb – ein kreativer Prozess

Ein großer Teil der Kinder aus zugewander-ten Familien erwirbt die deutsche Spracheunter natürlichen Bedingungen, d.h. sieerlernen die zweite Sprache – wie beim Erst-spracherwerb – über die Kommunikationmit anderen. Dieser Prozess wird daher auchals natürlicher oder ungesteuerter Zweit-spracherwerb bezeichnet. Wesentlich isthierbei, dass Kinder eine sprachanregendeUmwelt brauchen, in der sie Spracheanwenden können.

Das Erlernen einer zweiten Sprache ist einkreativer Prozess, d.h. Kinder sprechen nichtnur einfach nach, was ihnen vorgesprochenwird, sondern experimentieren mit der Spra-che, erlernen die Sprache nach bestimmtenGrundprinzipien.

So greifen sie einzelne Elemente aus denÄußerungen ihrer Umgebung auf und bildensich daraus ein Sprachgerüst, ein eigenstän-diges grammatikalisches System, das sich ineinigen Bereichen mit dem Erwachsenen-modell deckt, in anderen Bereichen von derzu erlernenden Sprache abweicht, z.B. „ichhabe zweimal genehmen“, und das sie –entsprechend der Rückmeldung aus ihrerUmgebung – prüfen, ergänzen und verän-dern. Das Aufnehmen, Überprüfen und Ver-arbeiten von Informationen erfolgt dabei

nicht willkürlich, sondern unterliegtbestimmten Gesetzmäßigkeiten, die demKind allerdings nicht bewusst sind. „Ein entscheidendes Merkmal des natürlichenZweitspracherwerbs scheint (...) zu sein, dassdas Kind die Zielstrukturen nicht in der vor-gegebenen Form aufgreift und speichert,sondern sie vielmehr in ihre Bestandteile auf-löst, um dann aus diesen Bestandteilen nachfesten Regeln Äußerungen zu bilden.“ 24

Erstsprachliche Vorkenntnisse

Der Erwerb der zweiten Sprache kann alsein Prozess beschrieben werden, der ähnlichverläuft wie der Erwerb der ersten Sprache.Dabei fließen das sprachliche Vorwissen unddie Vorerfahrungen aus dem Erstspracher-werb auf unterschiedliche Weise bei derLautbildung, beim Wortschatz und Satzbauals auch bei den Phasen des Zweitsprach-erwerbs ein. Kindergartenkinder verfügenüber Erfahrungen mit der Erstsprache und haben bereits sprachliche Fertigkeitenentwickelt, auf die sie beim Erlernen derzweiten Sprache zurückgreifen können.Aufgrund der erstsprachlichen Vorkennt-nisse sind Kinder imstande, den Sprach-Lernprozess in der Zweitsprache Deutscheffektiver zu gestalten.

24 Felix, 1982, S. 63

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Die Beeinflussung des Zweitspracherwerbsdurch die erste Sprache kann allerdingsauch negativ verlaufen, d.h. „die einmalgelernte sprachliche Struktur (wird) fälsch-lich auf die Zweitsprache übertragen, ohne dass vielleicht auch nur der Versuchunternommen wird, die der zweiten Spra-che eigenen Strukturen kennenzulernen.“ 25

Solche Interferenzen lassen sich in verschie-denen Bereichen beobachten, z.B. bei derAussprache und der Grammatik. Interferen-zen treten bei jüngeren Kindern – so APEL-TAUER – allerdings seltener auf als bei älte-ren Sprachlernern, weil sie weder auf einevoll entwickelte Erstsprache zurückgreifenkönnen noch über voll entwickelte kog-nitive Fähigkeiten und das Wissen über Zu-sammenhänge eines älteren Lerners ver-fügen.

Verstehen von Sprache geht dem eigent-lichen Sprechen voran

Hier sind oftmals große Unterschiede beiKindern zu beobachten. Einzelne Kindersprechen erst nach einigen Monaten, wennsie bereits vieles verstehen und sie sich eini-germaßen sicher fühlen. Andere Kinder versuchen sich bereits mit einigen wenigenWorten in der zweiten Sprache.

Für die Erzieherin ist es wichtig, die Kinderanzusprechen, ihnen Sprachmuster anzubie-ten, ohne eine Antwort zu erwarten. Es istdavon abzuraten, „das Kind verfrüht zumNachsprechen aufzufordern. Nachsprechennützt in dieser Phase wenig, da sich das Kinddie Bedeutung des Gesprochenen erst nocherschließen muss.“ 26

Erschließen von Wortbedeutungen

Kinder, die über keine oder nur geringeKenntnisse in der deutschen Sprache verfü-gen, müssen lernen, auf eine für sie zu-nächst kaum analysierbare, große Anzahlvon Lauten angemessen zu reagieren.

Wenn Kinder nicht wissen, was die Erziehe-rin oder der Erzieher z.B. meint, versuchensie, den Verhaltensweisen und Äußerungender sozpäd. Fachkraft eine Bedeutung zuzu-weisen. Um die Bedeutung von Wörtern, dieKinder nicht oder noch nicht ganz verstehen,zu erfassen, orientieren sie sich an der Mimikund Gestik ihrer Bezugspersonen und an pro-sodischen Merkmalen, wie Lautstärke, Ton-höhe und Dauer, die bewirken, dass bestimm-te Silben oder Wörter stärker hervortretenals andere. Über die Art der Betonung ein-zelner Wörter, die Veränderung der Tonhö-he und Zeigegesten versuchen Kinder, dengesamten Lautschwall zu gliedern und zu

25 Schönpflug, 1977, S. 124

26 Müller, Rösch, 1985, S. 68f

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strukturieren und so Zugang zur Sprache zu finden. Die Art der Betonung einzelnerWörter, die Tonführung bei Sätzen undbegleitende Körperbewegungen helfen Kin-dern, „den sprachlichen Strom von Lautenzu gliedern und zu strukturieren und sich soallmählich die Sprache zu erschließen.“ Sielernen, „sich innerhalb eines Geflechts auskonventionalisierten, kulturspezifischen Zei-chen (z.B. Wörter, Blickkontakt, Körperdis-tanz) und natürlichen Anzeichen (z.B. Kör-perhaltung, Stimmqualität, Sprechgeschwin-digkeit) zu orientieren.“ 27 Kinder müssenalso herausfinden, welche Beziehung z.B.zwischen den sprachlichen Äußerungen dersozpäd. Fachkraft und deren Handlungenoder bestimmten Situationen bestehen.Dabei ist eine eindeutige Zuordnung einersprachlichen Äußerung zu einem Gegen-stand nicht immer leicht herzustellen, wiedas folgende Beispiel zeigt:

Die Kinder spielen draußen. Die Erzieherinwendet sich an Mirko: „Hol dir doch denBall“ und zeigt auf den weiter entfernt lie-genden Ball. Die Hinweisgeste der Erziehe-rin erleichtert zwar Mirko die Zuordnungder sprachlichen Äußerung zum Gegenstand„Ball“, aber was er mit dem Ball tun soll,bleibt für Mirko nach wie vor unklar, erkann hier nur Vermutungen anstellen, wasmit dem Ball geschehen soll.

Um sich eine fremde Sprache aneignen zukönnen, müssen Kinder beobachten, die in der Situation gewonnenen Eindrücke ord-nen, den Verhaltensweisen oder Äußerun-gen ihrer Bezugspersonen Bedeutungen zu-weisen und schließlich überprüfen, ob ihreAnnahmen, ihre Vermutungen richtig sind.

Der Inhalt ist wichtiger als die Form

Kinder wollen sich anderen mitteilen undvon ihnen verstanden werden, d.h. imMittelpunkt ihres Interesses steht der Be-deutungsgehalt der Sprache. Bei ihremBemühen, sich sprachlich zu verständigen,geht es ihnen zunächst weniger darum, obsie sich dabei auch „richtig“ ausdrücken.Beobachtungen im Rahmen der Sprachför-derung zeigen, dass manche Kinder sehrsensibel darauf reagieren, wenn sie bemer-ken, dass es ihrem Gesprächspartner eherum die korrekte Form geht und der Inhaltihrer Mitteilung zur Nebensache wird. Um die formale Korrektheit ihrer Sprachebemühen sich die Kinder, indem sie nach-fragen, wie etwas heißt, sich in Wieder-holungen verbessern oder sich gegenseitigkorrigieren „Das heißt nicht Möbels, dasheißt Möbel“.

27 Apeltauer, a.a.O., S. 42

Die Kinder spielen draußen. Die sozpäd.Fachkraft wendet sich an Mirko: „Hol dirdoch den Ball“ und zeigt auf den weiterentfernt liegenden Ball. Diese Hinweisge-ste erleichtert zwar Mirko die Zuordnungder sprachlichen Äußerung zum Gegen-stand „Ball“, aber was er mit dem Ball tunsoll, bleibt für Mirko nach wie vor unklar,er kann hier nur Vermutungen anstellen,was mit dem Ball geschehen soll.

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Mehrsprachigkeit im Elementarbereich

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Orientierung an Regeln und Strukturen

Ein grundlegendes Merkmal des Zweitsprach-erwerbs ist, dass er in bestimmten Entwick-lungssequenzen, in bestimmten Abfolgen,verläuft. Diese Abfolgen in der sprachlichenEntwicklung können unterschiedlich langsein. Auch ein Überspringen einzelner Sta-dien ist nicht auszuschließen.

Dabei treten bestimmte Strukturen erstdann auf, wenn das Kind zuvor anderebestimmte Strukturen verwendet hat. So istz.B. eine „satzinterne Verneinung“ erstmöglich, wenn Formen der „satzexternenVerneinung“ bereits vorhanden sind:

Satzexterne Verneinung:F.: David, bist du in der Küche?

D.: nein, ich komm doch.F.: das ist ja kaputt.

D.: nein kaputt.

Satzinterne Verneinung:F.: was machst du denn da? Isst du

deine Schokolade?D.: ich nein essen.

G.: Julie nicht spielt mit.

„er singt das Lied nicht“.28

Aufgrund ihrer Kenntnisse aus der Erstspra-che „wissen“ Kinder auch, dass sprachlicheÄußerungen in bestimmte Satzstrukturengekleidet werden, dass Fragen gestellt undBegründungen gegeben werden können.Sie scheinen zu wissen, dass sprachliche Mit-teilungen nicht durch ein wahlloses Anein-anderreihen von Wörtern gebildet werden,sondern bestimmte Regeln und Ordnungs-prinzipien angewendet werden müssen.Dazu müssen sie zuerst das Grundverständ-nis für eine bestimmte Struktur erworbenhaben, bevor sie in der Lage sind, diese vonihnen „erkannte“ Struktur anzuwenden.Dabei beginnen sie mit einem einfachenSatzbau und sog. Kopulasätzen, mit Sätzen,die mit dem Hilfsverb „sein“ gebildet wer-den, z.B. „ich sein Junge“. Allmählich wer-den die Sätze länger und enthalten Verben,wie „essen, trinken“ und Modalverben, wie„können, sollen“. Schließlich wird der Satz-bau komplexer, und das Kind ist imstande,schwierige Sätze zu bilden und sich zu ver-ständigen. Es baut seine Sätze zunehmendüber verschiedene Stadien nach dem Erwach-senenmodell aus, wie die folgenden Bei-spiele zeigen:

„du kannst blau (= du kannst den blauen Stift nehmen)

ich gemacht ein Hunddu kann kommen

du kannst das sehen.“ 29

28 Felix, a.a.O., S. 24ff

29 Felix, 1978, S. 108ff

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Im Bereich der Laute müssen Kinder nurnoch solche erwerben, die ihnen von derErstsprache her unbekannt sind. Mit demErwerb der Erstsprache bilden Kinder einen„Lautfilter“, der zunächst die in der Erst-sprache nicht vorkommenden Laute, d.h.also die neuen Laute aus der Zweitsprache,als nicht wichtig aussondert. Erst danachwerden die einzelnen Laute analysiert.

Der Erwerb von Lauten, von Aussprache undBetonung geht mit dem Erlernen andererBereiche der Zweitsprache einher, wobeijüngere Kinder meist wenig Aussprache-schwierigkeiten haben.

Beobachtungen im Alltag

Kinder im Kindergartenalter verfügen be-reits über bestimmte Alltagsbegriffe. Siewissen z.B., was Tisch, Brot, essen, schlafen,warm oder kalt ist. Sie wissen jedoch viel-fach nicht, wie dies in der Zweitsprache ge-nannt wird. Es kann allerdings auch vor-kommen, dass Kinder im Kindergarten neueAlltagsbegriffe erlernen, die ihnen von derErstsprache her noch nicht bekannt sind.

Außerdem haben sie in bestimmten Situa-tionen bereits kommunikative Fertigkeitenerworben. Sie kennen aus der Erstsprache

Situationen, wie „sich begrüßen“, „sich ver-abschieden“, „sich bedanken“ und wissen,wann und wo sie angewendet werden.

Im Kindergarten wird das Kind über Spiel-und Handlungssituationen an die zweiteSprache herangeführt. Manchmal kann esdabei die Bedeutung des Gesprochenen ausdem nichtsprachlichen Teil der Situationenentnehmen, z.B. bei der Begrüßung oderbei der Verabschiedung. Allerdings ist hierzu berücksichtigen, dass Kinder mit Migra-tionshintergrund aus Kulturbereichen kom-men, in denen sich Regeln des Begrüßensoder Verabschiedens von unseren deutlichunterscheiden können, z.B. Blickkontakteaufnehmen, die Hand reichen.

Das Kind nimmt zunächst einzelne Wörter,oftmals Alltagsbegriffe, aus den gehörtenÄußerungen auf. Weiterhin greift es ausdiesen Äußerungen einzelne sprachlicheElemente, z.B. Regeln für die Wortstellung,Wortschatzregeln, Regeln für die Vernei-nung im Satz, auf und versucht, seine Äuße-rungen nach den von ihm erfassten Regelnzu bilden. Dabei helfen ihm die Rückmel-dungen aus seiner Umgebung.

Es erkennt allmählich, dass sich in den verschiedenen Äußerungen einzelne Teilewiederholen, und beginnt, diese Teile zuisolieren und in neuen Redewendungen

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anzuwenden. Auf diese Weise wird es ihm möglich, sich in alltäglichen Situationenmehr und mehr sprachlich zu beteiligen.

Beim Erwerb der Zweitsprache ist zu beob-achten, dass Kinder im Satz solche Wörterauslassen, die wenig Informationen enthal-ten und deren Bedeutung aus der Situatio-nen heraus erfasst werden kann, z.B. „Pup-penecke spielen“, statt „ich möchte in derPuppenecke spielen.“ Bei den Wörtern, diedas Kind oftmals auslässt – die auch Funk-tionswörter genannt werden – handelt essich um Pronomen (z.B. Personalpronomen:ich, du), Präpositionen (mit, in), Artikel (der,die, das), Konjunktionen (und, oder), Hilfs-verben (können, wollen, sein, müssen) undFlexionsendungen (z.B. der Wald – des Wal-des). Dagegen werden Inhaltswörter, wieSubstantive (z.B. Puppenecke), Verben (z.B.spielen) und Adjektive (z.B. schnell, schön)beibehalten.

Zudem gibt es in der deutschen Spracheeine Vielfalt an Wortformen, die sich auf-grund von Pluralbildung (z.B. das Tier – die Tiere), Deklination (z.B. das Buch – desBuches) und Konjugation (z.B. ich male – ich habe gemalt) ergeben und durch Wort-endungen, Vorsilben, Artikel, Präpositionen,Pronomen oder durch Wortstellung im Satzgebildet werden.

Kinder reduzieren oft die Vielfalt in denWortformen auf einige wenige und erleich-tern sich auf diese Weise den Einstieg in dieneue Sprache. So verwenden sie z.B. beimEinsatz von Artikeln nur einen statt dreiArtikel, den sie dann in verschiedenen Situa-tionen gebraucht (z.B. die Puppe, die Ball,die Haus).

Auch bei der Anwendung von Regeln tretenbeim Erlernen der neuen Sprache Abwei-chungen auf, wenn das Kind z.B. sagt: „DerVogel hat gesingt“. Das Kind hat hier einfalsches Partizip gebildet. Wenn man aller-dings bedenkt, wie regelmäßige Verben ihr Partizip bilden, hat es sich einer Formbedient, die möglich ist. Es hat z.B. gelernt,wie schwache Verben das Partizip bilden:malen – gemalt, machen – gemacht undüberträgt diese Form auch auf alle starkenVerben, wie singen – gesingt, trinken –getrinkt.

Ferner sind Abweichungen auch bei der Pluralbildung zu beobachten, nämlich dann,wenn das Kind eine unveränderte Singular-bildung beibehält, z.B. ein Haus – zwei Haus.

Mit Hilfe dieser Strategien nähert sich dasKind allmählich der korrekten Sprachform.Weil Kinder eigenen Regeln folgen, nehmensie direkte Korrekturen von anderen auchseltener auf.

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Wie wenig Korrekturen bewirken, mag dasfolgende Gespräch zwischen Mutter undKind verdeutlichen:

„Kind: Keiner mögt mich nicht.Mutter: Nein, das heißt Keiner mag mich.

Kind: Keiner mögt mich nicht. Mutter: Nein, das heißt Keiner mag mich.

Kind: Keiner mögt mich nicht.Mutter: Nein, das heißt Keiner mag mich.

Fünf weitere Male der gleiche Wortwechsel. Dann:

Mutter: Nein, nun hör mal genau zu – Keiner mag mich.Kind: Achso. Keiner magt mich nicht.“ 30

Das Kind kann also nur Sprachformen auf-nehmen, die in sein momentanes Sprachsy-stem hineinpassen. Darum braucht es einesprachanregende Umgebung, die ihm ver-mittelt, wie es seine Sprache ändern undweiterentwickeln muss. Mit direkten Kor-rekturen, wie „das ist falsch“ oder „so heißtdas nicht“ verbunden mit einem Nachspre-chen-lassen der korrekten Äußerung, kannes oftmals nicht viel anfangen. Sie könnensich sogar störend auf seine Lernmotivationauswirken. Um die Sprechfreude und Unbe-

fangenheit des Kindes zu erhalten, sollte diesozpäd. Fachkraft das vom Kind Gesagte inkorrekter Form wiederholen, ohne das Kindzum Nachsprechen aufzufordern: z.B. Kind:„Ich habe ein Lied gesingt“, Erzieherin: „Duhast ein Lied gesungen“ oder „Welches Liedhast du gesungen?“, über die Frage könntesich hier sogar noch ein Gespräch ergeben.

3.4 Überlegungen zur zweisprachigen Erziehung

Wesentlich für eine zweisprachige Erzie-hung ist, dass die beiden Sprachen an Personen gebunden und nicht willkürlichgewechselt und benutzt werden. Wenn Kinder von Geburt an zwei Sprachen gleich-berechtigt erwerben, weil ihre Eltern jeweilsüber eine andere Erstsprache verfügen, soll-ten Mutter und Vater nur in ihrer Sprachemit dem Kind kommunizieren. Das Kindlernt auf diese Weise, sich sicher zwischenzwei Sprachen zu bewegen. Diese Bindungder Sprachen ist ein Ordnungsprinzip, dasvom Kind problemlos übernommen werdenkann, das allerdings hohe Anforderungenan das Sprachverhalten der Eltern stellt,wenn es konsequent beibehalten wird.

30 Zimmer, 1986, S. 21f

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Diese Sprachtrennung sollte auch Anwen-dung finden, wenn sich die Familiensprachevon der Umgebungssprache unterscheidet,wie dies bei Kindern aus zugewandertenFamilien anzutreffen ist. Die Umgebungs-sprache wird mit zunehmendem Alter immerwichtiger für die Kinder, wenn sie Kontaktezu gleichaltrigen deutschen Kindern finden,Kindergarten oder Schule besuchen. Hierbeiist zu beobachten, dass die Umgebungs-sprache einen beträchtlichen Druck auf dieFamiliensprache ausübt, so dass die Umge-bungssprache zunehmend mehr zur „starken“und die Sprache in der Familie zur „schwa-chen“ Sprache wird.

Für eine erfolgreiche zweisprachige Erzie-hung erweist es sich jedoch als günstig, in der Familie weiterhin die Familiensprachezu sprechen, sich nicht dem Druck der Um-gebung anzupassen und die Umgebungs-sprache als Familiensprache zu übernehmen.Eltern sollten ermutigt werden, Gesprächemit ihren Kindern in der Familiensprache zuführen. Im Kindergarten hat dann die För-derung der deutschen Sprache ihren Platz.Sind im Kindergarten sozpäd. Fachkräfte mitMigrationshintergrund angestellt, lässt sichauch hier eine funktionale Sprachtrennungvornehmen, indem z.B. die griechische sozpäd. Fachkraft überwiegend in der grie-chischen Sprache, die deutsche sozpäd. Fach-kraft in der deutschen Sprache mit demKind spricht.

Damit eine zweisprachige Erziehung gelin-gen kann, ist eine ausreichend emotionaleund sprachliche Zuwendung Grundvoraus-setzung. Für eine erfolgreiche zweisprachi-ge Erziehung ist es notwendig, dass beideSprachen mit einer ähnlichen Intensität andas Kind heran getragen werden. Sonstbesteht die Gefahr, dass sich eine der beidenSprachen schneller entwickelt und zur „starken“ Sprache wird.

GOGOLIN bemerkt hierzu, dass Kinder, dienur über eingeschränkte Ausdrucksmittel ineiner der beiden Sprachen verfügen, „vonMöglichkeiten der aktiven Partizipation ander Kommunikation in einem Teil ihrerLebenswelt abgeschnitten“ sind.31

Mit dem Erwerb der deutschen Sprache können Situationen auftreten, die die Motivation des Kindes und damit auch seineLernprozesse beeinträchtigen können.

So treten in manchen Familien Konflikteauf, weil sich Eltern und Kinder aufgrundunterschiedlichen Sprachvermögens von-einander entfremden. Die Kinder erleben,dass sie von ihren Eltern nicht verstandenwerden und sie ihre Erlebnisse aus dem Kin-dergarten oder mit anderen Kindern nichtmitteilen können.

31 Gogolin, a.a.O., S. 102

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Zudem kann der vielfach vorhandene sprach-liche „Vorsprung“ von Migrantenkindern zu einer Verunsicherung der Eltern führen.Diese Verunsicherung wiederum kann Unsi-cherheiten und Konflikte bei den Kindernauslösen, die sich in einer Störung der Erst-sprache oder beim Erlernen der deutschenSprache äußern können. Allerdings kannder sprachliche Vorsprung der Kinder auchzu einer Überbewertung ihrer sprachlichenKompetenzen durch die Eltern führen. In Folge kann es zu überhöhten Bildungs-erwartungen an die Kinder kommen.

Weiterhin kommt es vor, dass die mit derSprache der Kinder aus der deutschen Um-gebung in die Familie hinein getragenenWerte und Verhaltensweisen auf den Wider-stand der Eltern stoßen, die diese Einflüsseals eine Bedrohung des eigenen Selbstver-ständnisses empfinden und ablehnen.

Ferner können Störungen in der Beziehungzwischen Kind und Bezugspersonen die Ur-sache dafür sein, dass das Kind Sprache ver-weigert, weil es einen bestimmten Erwach-senen ablehnt und ihn mit der Verweige-rung „bestrafen“ will.

Aber auch der Wunsch, zu den anderen Kindern zu zugehören, so zu sein wie alleanderen Kinder, kann zu einer Verweige-rung der Erstsprache führen.

Wesentlich für die zweisprachige Entwick-lung ist, dass die Umgebung des Kindeseiner Zweisprachigkeit gegenüber positiveingestellt ist. Hierbei sind die Einstellungder Familie gegenüber der zu erlernendenSprache und die Erfahrungen von Bedeu-tung, die das Kind im Umgang mit Gleichal-trigen und Erwachsenen macht, die dieZweitsprache sprechen.

Kinder aus zugewanderten Familien er-fahren vielfach, dass ihre Erstsprache vonSprechern der Zweitsprache abgewertet undihre kulturellen Orientierungen von derdeutschen Umwelt abgelehnt oder als min-derwertig angesehen werden. Diese Zurück-weisung kann von Kindern als persönlicheAblehnung erlebt werden und Minderwer-tigkeitsgefühle auslösen, deren Folge man-gelhaftes Selbstvertrauen, ein überzogenesBedürfnis nach Anpassung und Verweige-rung oder Ablehnung der Sprache sein kann.Solche Diskriminierungen können eine zu-nächst hohe Bereitschaft zum sprachlichenLernen erheblich beeinträchtigen.

Hinzu kommt, dass Kindern mit Migrations-hintergrund von ihrer Umgebung nur seltenAnerkennung und Bewunderung wegenihrer Zweisprachigkeit entgegengebrachtwird. Sie werden meist nur unter dem Aspektgesehen, erhebliche Defizite in bezug aufihre sprachlichen Fähigkeiten aufzuweisen,

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d.h. im Alltag werden diese Kinder oft sowahrgenommen, dass sie die eine Sprache„noch nicht“, die andere Sprache „nichtmehr“ vollständig beherrschen. Ein positivesSelbstbild, ein Vertrauen in die eigenen Fä-higkeiten kann sich dabei kaum entwickeln.

Ferner ist für das Gelingen einer zweispra-chigen Erziehung auch das Ansehen einerSprache von Bedeutung. So wird z.B. eineenglisch-deutsche Zweisprachigkeit im all-gemeinen höher bewertet als eine türkisch-deutsche. Wenn eine der beiden Sprachenein geringeres Ansehen genießt, so führtdies – nach KIELHOFER/JONEKEIT – fastzwangsläufig zu einer negativen Einstellunggegenüber dieser Zweisprachigkeit und inder Folgezeit oft zu einer Verweigerung derSprache. Das Kind geniert sich, die Sprachezu sprechen.

Sowohl ein geringes Ansehen der Erstspracheals auch auftretende Sprachprobleme derKinder tragen dazu bei, dass ihre Bemühun-gen um Zweisprachigkeit und der Wert ihrerZweisprachigkeit oft zu gering geachtetwerden.

Wie die verschiedenen Aspekte zeigen, sindWertschätzung und Gleichberechtigung der Erstsprache für ein positives Selbstver-ständnis und damit auch für die Lernprozessedes Kindes von entscheidender Bedeutung.

Kinder, die für ihre Erstsprache Anerken-nung erfahren, können sich auf den Wegmachen, um die deutsche Sprache zu erler-nen. Kinder, die wegen ihrer sich entwick-elnden Zweisprachigkeit positive Rückmel-dungen erhalten, sind stärker motiviert, sich auf die deutsche Sprache einzulassen,als die Kinder, die vorwiegend mit ihrensprachlichen Defiziten wahrgenommen wer-den. Achtung und Anerkennung kommen –neben einer direkten Förderung der Erst-sprache durch die muttersprachliche sozpäd.Fachkraft – im alltäglichen Umgang zumAusdruck, wenn sich die sozpäd. Fachkraftbemüht, die Namen der Kinder richtig aus-zusprechen, mit den Kindern gemeinsamWörter aus der Familiensprache lernt, Kin-dern nicht verbietet, in der Erstsprache miteinander zu sprechen, wenn sie Lieder, Spiele und Geschichten, die den Kindernbekannt sind, in ihre Arbeit einbezieht.

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Sprachförderung, wie sie hier vorgestelltwird, ist ein selbstverständlich in die alltäg-liche pädagogische Arbeit integriertes Element und kommt allen Kindern zugute,und nicht nur solchen, die noch einer weite-ren Unterstützung ihres Sprachvermögensbedürfen. Sie verlangt eine differenzierteVorgehensweise, die individuelle Unter-schiede der Kinder berücksichtigt und Beson-derheiten des Lebensumfeldes in Rechnungstellt. Dies bedeutet, dass die Ansatzpunktezur Sprachförderung von Kind zu Kindunterschiedlich sein können. Damit verbie-ten sich pauschale Förderprogramme, diesich an alle Kinder einer Gruppe wenden.

Auch (Trainings-) Konzepte, wie sie fürSchulkinder konzipiert wurden, sind nichtohne weiteres auf Kindergartenkinder über-tragbar. Diese Erkenntnis wird gerade inBezug auf die Sprachförderung häufigaußer Acht gelassen.

1.1 Die Lebens-/Situation von Kindern – ein Wegweiser für eine amKind orientierte Sprachförderung

Ihr Wissen über die allgemeine und aktu-elle Lebenssituation eines Kindes gibt dersozpäd. Fachkraft einen Fundus an Anknüp-fungspunkten für die Sprachförderung im gemeinsamen Alltag mit den Kindern.Erfahren Kinder ein echtes Interesse anihren Bedürfnissen, Fragen, Entdeckungenund Erfahrungen, werden auch sie sich mit-teilen wollen und dabei zugleich Spracheüben. Eine vertrauensvolle Beziehung zurErzieherin oder zum Erzieher kann Kindermotivieren, ihren Wortschatz zu erweitern,um noch besser verstanden zu werden.Dabei ist es nicht immer ganz leicht heraus-zufinden, was Kinder wirklich interessiert,was sie so fasziniert, dass sie darauf „bren-nen“, es anderen zu erzählen.

Angesichts der Vielfalt von Unterschiedennicht nur zwischen, sondern auch innerhalbvon Kulturen ist es notwendig, den Blick aufdas einzelne Kind zu lenken. Wie Kinderheutzutage aufwachsen, welche Erfahrun-gen sie in ihrer Familie und in ihrem sozia-len Umfeld machen, welche familiärenLebensformen, Rituale und Regeln, Werte

1. Die Grundlagen der Sprachförderung

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Die Grundlagen der Sprachförderung

und Normen für sie jeweils „normal“ sind,ist allein aufgrund der Nationalität oder derHerkunftskultur nicht voraussagbar. Für dieErzieherin bedeutet dies, bei ihrer Arbeitund der Einschätzung der Lebenssituationeines Kindes sehr sensibel und kritisch mitangelesenem Hintergrundwissen über ver-schiedene Kulturen umzugehen. Denn oftzeigt sich, dass die individuelle Situationeines Kindes ganz anders aussehen kann alszunächst angenommen wurde.

Erst durch Beobachtungen im Alltag, dieAufschlüsse über die aktuelle Lebenssitua-tion geben, durch Situationsanalysen undGespräche mit den Eltern über ihre familiäreSituation kann sich die sozpäd. Fachkraft einBild davon machen, welche Themen für dasKind im Moment anstehen und es motivie-ren könnten, sich sprachlich auszudrücken.

Um sich darüber hinaus ein Bild davon zumachen, welche Bedeutung die Sprache fürdie Lebenssituation von Kindern hat, sei aufdie folgenden Aspekte hingewiesen:

Identitätsentwicklung und Familiensprache

Mit Hilfe seiner Erstsprache bewältigt dasKind wichtige „Meilensteine“ seiner Iden-titätsentwicklung. Es lernt seine Bedürfnissedeutlich zu artikulieren und grenzt sich

damit von seinen Bezugspersonen ab.Zugleich ist die Erstsprache für das Kind wich-tig, um sich in der Familie zu verständigen.Auch vermittelt sie ihm Sicherheit undGeborgenheit.

Vermittlung von kulturellen Normen undWerten

Über die Erstsprache werden zugleich Werteund Normen vermittelt, die dem Kind ersteOrientierungspunkte beim Aufbau seinerIdentität geben. Dabei lernt es sozusagenganz nebenbei kulturspezifische oder auchindividuell familientypische Verhaltenswei-sen. Allein beim Essen kann es von Kultur zu Kultur, aber auch von Familie zu Familieunterschiedliche Rituale geben, sei es einGebet oder ein Spruch in Verbindung miteiner Geste.

Sprache – ein wichtiger Bestandteil derFamilienkultur

Welche Bedeutung die Sprache für die Fami-lie eines Kindes hat, kann einen nicht zuunterschätzenden Einfluss auf die Sprech-freude des einzelnen Kindes haben. Sprachezu pflegen, indem die Familienmitgliedersich treffen und austauschen oder mit denKindern spielen, ist nicht mehr selbstver-

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ständlich. Oft ersetzt schon beim Mittag-stisch oder beim Abendbrot der Fernseherdas gemeinsame Gespräch. Dadurch übenKinder nicht nur ihre Sprache(n) weniger,sondern auch der Stellenwert, selbst zusprechen, nimmt in der Erlebniswelt der Kin-der an Bedeutung ab.

Wert- oder Geringschätzung der Sprache

Die Lebenssituation eines Kindes wird auchdadurch beeinflusst, wie sein außerfamili-äres Umfeld auf seine Sprache(n) reagiert.Manche Kinder erleben, dass sie aufgrundihrer Erstsprache von anderen Menschengemieden werden, andere wiederum, dasssie mit offenen Armen empfangen werden.Fast alle Kinder werden schon ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Bewer-tung ihrer Sprache und denen der anderengemacht haben, wenn sie in eine Kinderta-geseinrichtung kommen. Diese Erfahrungenkönnen sie in ihrer Einstellung gegenüberder eigenen Erstsprache und der deutschenSprache beeinflussen und sollten daher beider Sprachförderung nicht unterschätztwerden.

Manch einem Kind muss vielleicht Mut und Anerkennung zugesprochen werden,sich auch in der Erstsprache auszudrücken.Andere scheuen sich, deutsch zu sprechen,

vielleicht aus Angst, etwas falsch zu sagen.Möglicherweise fehlt ihnen auch eine ver-traute Bezugsperson im Kindergarten oderdie Erwartungen der Erzieherinnen undEltern sind so hoch, dass sie dem Kindsprichwörtlich den Mund verschließen. Wel-che Gründe ein Kind hemmen bzw. motivie-ren, seine Sprachkompetenzen auszubauen,kann von Kind zu Kind unterschiedlich sein.Auch aus diesem Grund ist es notwendig,sich der individuellen Lebenssituation einesKindes zuzuwenden.

1.2 Die Sprachsituation in der Familie – Ausgangspunkt für weitereLernerfahrungen

In der alltäglichen Arbeit mit Kindern kannes hilfreich sein, sich zu vergegenwärtigen,mit welcher Sprache und welchen Sprachge-wohnheiten Kinder in ihren Familien auf-wachsen. Die Analyse der Sprachsituation inder Familie und im näheren sozialen Umfelderöffnet der Erzieherin die Möglichkeit, dasKind in seinem sprachlichen und sozialenVerhalten besser verstehen zu können, denBlick auf die Stärken des Kindes und derEltern zu lenken sowie Informationen ausdem Lebensumfeld der Familie zu erhalten.Damit kann sie bei ihrer Sprachförderung

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Die Grundlagen der Sprachförderung

auf Hintergrundinformationen aufbauen,die das Verständnis für die Lebenssituationder Familie erweitern und den Zugang zumeinzelnen Kind erleichtern können. Sprach-förderung – wie sie hier verstanden wird –setzt an den Erfahrungen und Interessendes Kindes an und bietet ihm die Möglich-keit, aus einem eigenen Bedürfnis herausfür neue sprachliche Lernfortschritte moti-viert zu sein.

Die folgenden Abschnitte gehen darauf ein, welche Chancen sich aus der Analyse derfamiliären Sprachsituation für die alltägli-che Arbeit mit Kindern und Eltern eröffnen.

Wertschätzung der Erstsprache – den Selbstwert der Kinder stärken

Nicht die Sprache des Umfeldes zu sprechen,kann Kinder verunsichern. Dies gilt nicht nurfür Kinder aus zugewanderten Familien, dieeine andere als die deutsche Sprache spre-chen. Auch innerhalb der deutschen Sprachegibt es regionalspezifische Unterschiede. So kann sich ein deutsches Kind bei einemWohnortswechsel von München nach Ham-burg in der neuen Umgebung sehr fremdfühlen. Vielleicht wird es sogar wegen sei-nes Dialektes ausgelacht. Da die Erstsprachesehr eng mit dem Identitätsgefühl eines

Kindes zusammenhängt, kann es sich dadurch in seinem Selbstwertgefühl herab-gesetzt fühlen.

Kinder mit ihrer individuellen Erstsprachewertzuschätzen und nach Wegen zu suchen,ihnen und den anderen in der Gruppe diesimmer wieder deutlich zu machen, ist einewichtige Aufgabe von sozpäd. Fachkräften.Das Vertrauen und der Selbstwert, den Kin-der aus dieser (Be-)Achtung entwickeln kön-nen, sind eine solide Basis für neue Lern-schritte, auch in der deutschen Sprache.

Die Anerkennung der Kompetenzen in derErstsprache ist nicht nur für den Selbstwertund die Identitätsentwicklung des Kindesbedeutsam. Auch für den Zweitspracher-werb hat sie eine wichtige Funktion: Kinder,die bereits in ihrer Erstsprache erfahrenhaben, dass es bestimmte Regeln gibt, wieeine Sprache aufgebaut wird, haben es oftleichter, sich einen Weg durch den „Dschun-gel“ des Wortschatzes und der Grammatikeiner neuen Sprache zu bahnen.

Respekt vor der Einzigartigkeit jedes Kindes

Sich die familiäre Sprachsituation des Kin-des zu vergegenwärtigen, hat auch etwasmit dem Respekt vor der Einzigartigkeiteines jeden Kindes zu tun. Dieser Respekt

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zeigt sich in einer wertschätzenden offenenHaltung, eine Haltung, die einkalkuliert,dass die persönlichen Vorannahmen über ein Kind nicht unbedingt mit der Realitätübereinstimmen müssen – auch nicht in Hin-sicht auf die Sprachgewohnheiten in denjeweiligen Familien:

Enrico, ein italienischer Junge, ist erst seitein paar Tagen im Kindergarten. Meist sitzter scheu auf der Fensterbank, wobei er sehraufmerksam das Spiel der anderen Kinderbeobachtet. Leona, eine Erzieherin, derenErstsprache italienisch ist, versucht immerwieder, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Siewundert sich, warum sie über ihre Erstspra-che keinen Zugang zu ihm findet. Er wirkteher so, als ob ihn dies noch mehr verunsi-chere.

Im Gespräch mit Enricos Vater stellt sich her-aus, daß die Eltern zwar mit der Erzieherinitalienisch sprechen, die Familiensprachejedoch sizilianisch ist. Nun versteht sie,warum es ihr bei diesem Kind wahrschein-lich nicht gelang, mit Hilfe ihrer Erstspracheeine Atmosphäre von Vertrautheit undGeborgenheit zu vermitteln.

Dies Beispiel zeigt, dass die Nationalität der Kinder nicht unbedingt etwas darüberaussagt, welche Sprache tatsächlich in derFamilie gesprochen wird. Leona und Enricohaben zwar die gleiche Nationalität, spre-chen jedoch unterschiedliche Sprachen.

Auch Kinder mit deutscher Staatsangehörig-keit müssen nicht unbedingt in ihrer Familiedeutsch sprechen. So dominiert in Spätaus-siedlerfamilien oftmals die Sprache ihresHerkunftslandes.

Eine offene Grundhaltung bei der Einschät-zung der familiären Sprachsituation ist ein fruchtbarer Boden für den Aufbau vonvertrauensvollen Beziehungen. Diese sindnötig, um sich in das unsichere Terrain einerneuen Sprache zu wagen und sich darauf zu bewegen.

Das Verständnis für die Lebenssituation des Kindes erweitern

Das Gespräch darüber, mit wem das Kind inwelcher Sprache spricht, kann zudem darü-ber Aufschluss geben, welche Beziehungenfür das Kind von Bedeutung sind. Dadurchentsteht ein dichteres Bild von der Lebens-situation des Kindes. Manche Erzählungendes Kindes aus seinem familiären Umfeld

Enrico, ein italienischer Junge, ist erst seitein paar Tagen im Kindergarten. Meistsitzt er scheu auf der Fensterbank, wobeier sehr aufmerksam das Spiel der anderenKinder beobachtet. Leona, eine Erziehe-rin, deren Erstsprache italienisch ist, ver-sucht immer wieder, mit ihm Kontakt auf-zunehmen. Sie wundert sich, warum sieüber ihre Erstsprache keinen Zugang zuihm findet. Er wirkt eher so, als ob ihn diesnoch mehr verunsichere.Im Gespräch mit Enricos Vater stellt sichheraus, dass die Eltern zwar mit der Erzie-herin italienisch sprechen, die Familien-sprache jedoch sizilianisch ist. Nun verstehtsie, warum es ihr bei diesem Kind wahr-scheinlich nicht gelang, mit Hilfe ihrer Erst-sprache eine Atmosphäre von Vertrautheitund Geborgenheit zu vermitteln.

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Die Grundlagen der Sprachförderung

können so u.U. besser verstanden werden.Auch können sich wichtige Anknüpfungs-punkte für Gespräche mit Kindern ergeben.

Den Blick für die Vielfalt familiärer Sprachsituationen öffnen

Im Gespräch mit den Eltern und dem Kindkann die sozpäd. Fachkraft herausfinden,welche Sprache(n) in der Familie und im nä-heren sozialen Umfeld gesprochen werden:

Rachels Vater ist US-Amerikaner und ihreMutter ist Deutsche. Schon seit der Geburtist sie es gewohnt, daß der Vater mit ihr nuramerikanisch und die Mutter nur deutschspricht. Wenn alle zusammen sind, sprechensie amerikanisch. Wenn sie sehr aufgeregtist, kann es schon mal sein, daß ein amerika-nisches Wort in ihren deutschen Sätzen auf-taucht oder umgekehrt. Rachel wächst in einer bilingualen fami-liären Sprachsituation auf: Mit dem Vaterspricht sie in der einen und mit der Mutterin der anderen Sprache. Wie bereits dar-gestellt, hilft es den Kindern, wenn sie denSprachen jeweils unterschiedliche Personenzuordnen können. Dadurch fällt es ihnen

leichter, die beiden unterschiedlichen Regel-systeme, die den Sprachen zugrunde liegen,besser trennen zu können. Für den Alltag in den Kindertageseinrichtungen bedeutetdies: Wenn es sozpäd. Fachkräfte in der Ein-richtung gibt, die jeweils eine der beidenSprachen des Kindes beherrschen, kannauch hier eine Aufteilung der Sprachen derbilingualen Sprachentwicklung der Kinderzugute kommen.

Özge spricht zu Hause mit ihren Eltern tür-kisch. Im Kindergarten und auf der Straßespricht sie sowohl deutsch als auch türkisch.Özges liebste Freundin ist Alina. Der hat sieauch schon ein paar türkische Wörter beige-bracht. Hauptsächlich sprechen sie deutschmiteinander. Aber Alina ist auch stolz, schonein bißchen türkisch zu können.Özge wächst in einem zweisprachigen familiären und sozialen Umfeld auf: In derFamilie wird türkisch gesprochen, die Um-gebungssprache ist deutsch. Eine wichtigeMotivation, um deutsch zu lernen, ist dieinnige Beziehung zu ihrer Freundin Alina.Hier zeigt sich, wie entscheidend die Bezie-hungen zu Freundinnen oder Freunden,aber auch zu den sozpäd. Fachkräften sind:Sie können Motor und Antrieb sein, um aus

Rachels Vater ist US-Amerikaner und ihreMutter ist Deutsche. Schon seit der Geburtist sie es gewohnt, dass der Vater mit ihr nuramerikanisch und die Mutter nur deutschspricht. Wenn alle zusammen sind, spre-chen sie amerikanisch. Wenn sie sehr auf-geregt ist, kann es schon mal sein, dass einamerikanisches Wort in ihren deutschenSätzen auftaucht oder umgekehrt.

Özge spricht zu Hause mit ihren Eltern tür-kisch. Im Kindergarten und auf der Straßespricht sie sowohl deutsch als auch türkisch.Özges liebste Freundin ist Alina. Der hat sieauch schon ein paar türkische Wörter bei-gebracht. Hauptsächlich sprechen sie Deutschmiteinander. Aber Alina ist auch stolz, schonein bisschen türkisch zu können.

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einem inneren Bedürfnis heraus eine zweiteSprache erlernen zu wollen. Darum ist es für die Förderung der Erstsprache und derdeutschen Sprache in der Einrichtung wich-tig, sich um einen behutsamen und vertrau-ensvollen Aufbau der Beziehungen zu denKindern zu bemühen. Sich ein paar wichtigeWörter in der Erstsprache der Kinder anzu-eignen, kann hier hilfreich sein.

Auch kann ein vertrauter Gegenstand ausdem familiären Hintergrund als Anknüp-fungspunkt für Spiele und Gespräche mitKindern dienen und dabei die Angst, ineiner fremden Situation, mit fremden Men-schen und einer fremden Sprache zu sein,ein wenig zurücktreten lassen.

Sozpäd. Fachkräfte, die ihre Erstsprache mitden Kindern teilen, können die Kinder inihrer zweisprachigen Entwicklung unter-stützen, wenn sie mit ihnen in ihrer Sprachesprechen. Diese Empfehlung können sieauch den Eltern der Kinder weitergeben. Siehelfen den Kindern dabei, ihre Erstspracheweiterzuentwickeln und zu differenzieren,was zugleich eine gute Voraussetzung zumErlernen der Zweitsprache mit sich bringt.

Die muttersprachliche sozpäd. Fachkraftkann auch am besten einschätzen, wie weitein Kind in seinem Erstspracherwerb fortge-schritten ist. Sicher findet sie, orientiert anden Bedürfnissen des Kindes und mit demHintergrundwissen über seine familiäreSituation, Anknüpfungspunkte für die För-derung der Erstsprache.

Bei manchen Kindern und Eltern ist zubeobachten, dass sie innerhalb eines Satzesvon einer Sprache in eine andere Sprachewechseln. Die Familiensprache, die das Kindin seiner Identitätsentwicklung begleitet,setzt sich aus einer Mischform von zweiSprachen zusammen:

Samets Eltern sind in Deutschland aufge-wachsen. Zu Hause sprechen sie sowohldeutsch als auch türkisch. Manche Wörtergibt es auch einfach im Türkischen oder imDeutschen nicht. Weil es Samet gewöhnt ist,so zu Hause mit seinen Eltern und Geschwi-stern zu sprechen, fällt es ihm schwer, nurdeutsch oder mit der türkischen Erzieherinnur türkisch zu sprechen.Es würde ziemlich sicher Samets Selbstwertangreifen, wenn seine Fähigkeit, sich mitHilfe einer Mischform von zwei Sprachen zuverständigen, nur defizitär bewertet würde.Da der Selbstwert eines Kindes jedoch ent-

Samets Eltern sind in Deutschland auf-gewachsen. Zu Hause sprechen sie sowohldeutsch als auch türkisch. Manche Wörtergibt es auch einfach im Türkischen oder imDeutschen nicht. Weil es Samet gewöhntist, so zu Hause mit seinen Eltern und Ge-schwistern zu sprechen, fällt es ihm schwer,nur deutsch oder mit der türkischen soz-päd. Fachkraft nur türkisch zu sprechen.

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Die Grundlagen der Sprachförderung

scheidender Faktor für den Mut und Lern-willen beim Ausbau seiner Sprachkompeten-zen ist, kann es ihm helfen, wenn sozpäd.Fachkräfte das Kind unter dem Blickwinkel:„Was kann es schon? Was hat es in den letz-ten Wochen dazu gelernt?“ betrachten.Diese pädagogische Grundhaltung wird dasKind bemerken und es für den Kontakt zuden sozpäd. Fachkräften öffnen.

Werden Kinder dagegen hauptsächlichunter der Perspektive „Was können sie(noch immer) nicht“ betrachtet und behan-delt, so wird es auch verständlich, warummanche Kinder sich neuen sprachlichen Ler-nerfahrungen zu verweigern scheinen oderschon in frühen Jahren die Einstellung ent-wickeln „Das kann ich ja sowieso nicht“.

Ist diese Einstellung bereits vorhanden, soist es wichtig, die in jedem Kind innewoh-nende Lernfreude aufs Neue zu wecken. Dieswird am besten gelingen, wenn die sozpäd.Fachkräfte genau beobachten, welcheErlebnisse und Erfahrungen das Kind in denBann zieht, in welchen Spielsituationen undbei welchen Themen es sich besonders enga-giert zeigt, kurz, wo die Interessen undBedürfnisse des Kindes liegen. Sie sind diebesten Ausgangspunkte, um die Lernfreudeder Kinder, auch in sprachlicher Hinsicht,(wieder) zu wecken.

Wie ein Wechsel von einer Sprache in dieandere zu bewerten ist, ob ein Wechsel alsKompetenz anzusehen ist, weil das Kindvorübergehend „Lücken“ in einem Sprach-system durch Äußerungen aus einem an-deren sprachlichen System schließen kann,oder ob er negativ, als „Störfall“ in derzweisprachigen Entwicklung zu beurteilenist, ist bislang noch nicht endgültig geklärt. Wenn Kinder oder Erwachsene mit einerneuen Sprache konfrontiert werden, lassensich verschiedene Formen der Veränderungdes Sprachverhaltens: Mischsprachen, Ent-lehnungen oder code switching (Kode-Wechsel) beobachten:

„Mischsprache“ meint, dass Kinder oderErwachsene Elemente der verschiedenenSprachen – scheinbar – wahllos mischen.

Bei „Entlehnungen“ werden einzelneBegriffe aus der einen Sprache in eine an-dere übernommen, z.B. der Begriff „Team“in die deutsche Sprache.

Unter „code switching“ wird verstanden,dass Kinder oder Erwachsene in einemGespräch – mitten im Satz oder am Ende desSatzes – in eine andere Sprache überwech-

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seln. Dabei werden die einzelnen Abschnit-te aus der einen oder anderen Sprache klarvoneinander getrennt, nicht vermischt.

HEUCHERT weist darauf hin, dass verschie-dene Formen der Mischsprache sowie Ent-lehnungen bei kleineren Kindern seltenanzutreffen sind.

1.3 Verknüpfung von Handeln und Sprache

Kinder erschließen sich ihre Umwelt, indemsie selbst tätig werden. In der Eigentätigkeitdes Kindes, in der Auseinandersetzung mitder dinglichen und sozialen Umwelt, wirdder zentrale Motor für kindliche Entwick-lungsprozesse gesehen.

Entwicklungsschritte finden statt, wenn Kin-der auf der Grundlage ihrer vorhandenenMöglichkeiten selbstbestimmte Ziele errei-chen wollen und sich dabei Herausforderun-gen stellen.

Auch der Spracherwerb ist ein Lernprozess,der durch die aktive Auseinandersetzungdes Kindes mit seiner Umwelt getragen

wird. Wichtig für den Erwerb von Bedeutun-gen und den Aufbau von Begriffen sind dieErfahrungen, die das Kind im handelndenUmgang mit Dingen und Personen seinerUmwelt macht. „Dem Interesse am Objekt,an der gemeinsamen Handlung und deremotionalen Bewertung kommt dabei einzentraler Stellenwert zu.“ 32 In diesem Lernprozess werden die Regeln der Sprache„aus konkreten Erfahrungen mit Objektenund Ereignissen, linguistischen Strukturenund interpersonalen Interaktionen“ aufge-nommen.33

Um sprachliche Lernprozesse in Gang zubringen, brauchen Kinder also eine sozialeund dingliche Umwelt, die Anlässe zumsprachlichen Austausch bereithält. Sie brau-chen Ansprechpartner, denen sie etwas mit-teilen können, wenn sie möchten, die ihreArt der Mitteilung ernst nehmen und verste-hen wollen sowie ihre Sprechfreude unter-stützen, und Situationen, die so gestaltetsind, dass sie sprachliches Lernen erleichternund Kinder ermutigen, sich mit den ihnenzur Verfügung stehenden sprachlich-kom-munikativen Mitteln mitzuteilen. KindlicheSprachprozesse zu unterstützen, bedeutetfür die Arbeit der sozpäd. Fachkraft, Kin-dern auf der Basis ihrer individuellen Mög-lichkeiten die für sie notwendige Förderungzukommen zu lassen, von den kindlichenKompetenzen und Möglichkeiten auszuge-

32 Kolonko, a.a.O., S. 94

33 Dannenbauer, 1987.

In: Kolonko, 1996, S. 28

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Die Grundlagen der Sprachförderung

hen und an den Erlebnissen und Lebensbe-reichen anzuknüpfen, die für Kinder bedeu-tend sind.

Sprachliche Förderung sollte zudem Bestand-teil einer ganzheitlich ausgerichteten Erzie-hung sein und nicht als ein von anderenBereichen isoliertes Sprachtraining angebo-ten werden.

Für die sozpäd. Fachkraft stellt sich daherdie Aufgabe, den Alltag in der Tageseinrich-tung „sprachfreundlich“ und „sprachanre-gend“ zu gestalten und die vielfältigenMöglichkeiten, die sich in der Arbeit bieten,bewusst zu nutzen.

Da Kinder Sprache über die Orientierung an Sprachvorbildern und in Handlungszusam-menhängen erwerben, ist es wichtig, denZusammenhang von Handeln und Sprechen,von Erfahrung und Begriff zu berücksichti-gen. Handeln meint das Umgehen mit rea-len Gegenständen, d.h. Kinder sollten überverschiedene Sinne (mit Ohren, Augen,Nase, Mund, Haut und Händen) Erfahrun-gen mit den Gegenständen sammeln kön-nen. Über den Umgang mit den Dingen ler-nen sie die Beschaffenheit und die Eigen-schaften von Dingen kennen. Sie erfahrenz.B., dass der Ball rund ist, dass er hoch-

springt, wenn man ihn auf die Erde auf-schlägt. Tätigkeiten lassen sich über das Tun, Eigenschaften über das Schmecken,Tasten, Hören erfahren, abstrakte Begriffe,wie Freude oder Trauer, über konkreteErfahrungen oder über bildliche oder mi-misch-gestische Darstellungen vermitteln.Das Handeln des Kindes wird von der soz-päd. Fachkraft sprachlich begleitet, d.h. siebenennt den Gegenstand „Ball“, die Tätig-keiten „laufen oder malen“, die Eigenschaf-ten „süß oder salzig“. Die durch das Han-deln gewonnenen Erfahrungen werdenüber die Verbindung mit Sprache zu Begrif-fen. Dabei werden dem Kind Begriffsbildungund Wortschatzerweiterung erleichtert,wenn sie in für Kinder bedeutsamen Situa-tionen stattfinden, d.h. in solchen Situatio-nen, die an der Erfahrungswelt des Kindesanknüpfen, in denen sie Erfahrungen sam-meln und Entdeckungen machen könnenund in denen emotionale Erlebnisse möglichsind. Die Begriffe wiederum ermöglichendem Kind „die innere Abbildung der Welt“.

Mit Hilfe der Sprache werden Dinge, Erschei-nungen und Vorgänge für das Kind verfüg-bar. Sprache wird somit zu einem wichtigenMittel zur Aneignung der Umwelt. Handelnund Tun bilden somit die Grundlage für dasSprechen und Denken des Kindes.

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Beim anschließenden Spiel oder im Gesprächwerden die neuen Begriffe eingebracht undvertieft, über das Anschauen von Bildern oderFotos verfestigen sie sich allmählich. Das Kindlernt, die neuen Begriffe in verschiedenenZusammenhängen einzusetzen, und wird zu-nehmend fähig, sich losgelöst vom konkre-ten Gegenstand an Begriffen zu orientieren.

Die sprachliche und gedankliche Verarbei-tung helfen ihm, seine Eindrücke und Erfah-rungen zu ordnen, zu vergleichen, Zusammen-hänge herzustellen und so sich seine Umweltzu erschließen. Da das Kind lernt, indem estätig wird, ist es für die sprachliche Förde-rung wichtig, dass Kinder unmittelbare Er-fahrungen mit den Gegenständen sammelnkönnen und Sprache nicht nur abstrakt über das Anschauen von Bildern, z.B. beimMemory-Spiel, erwerben.

Wesentlich für das Gelingensprachlicher Prozesse sindaußerdem sichere, stabile Bezie-hungen zwischen Kindern undErzieherin oder Erzieher. Kindermüssen sich von der sozpäd.Fachkraft und der Gruppe ak-zeptiert wissen und sich in derGruppe wohl fühlen können. Inden alltäglichen gemeinsamenHandlungs- und Kommunika-tionssituationen können sichKinder mit ihren sprachlichen

Fähigkeiten einbringen. Über das gemeinsa-me Spiel, beim Tische decken, bei Bilder-buchbetrachtungen oder beim Basteln kanndie Nähe zur sozpäd. Fachkraft dem Kindden Zugang zur (neuen) Sprache erleichtern.Zudem kann sie Kindern Erfahrungenermöglichen, die ihnen die „Nützlichkeitvon Sprache für sich“ entdecken lässt. Nach-und Rückfragen der sozpäd. Fachkraft regenKinder an, ihre Sprache weiter zu entwickeln.Über eine Anpassung ihrer sprachlichen undkommunikativen Fähigkeiten an die kind-lichen Möglichkeiten kann sie Hilfestellungbeim sprachlichen Lernen geben. Dies setztvoraus, dass sich die sozpäd. Fachkraft dersprachlichen Fähigkeiten und entwick-lungsbedingten Möglichkeiten der Kinderbewusst ist und über Beobachtung der kind-lichen Gespräche Aufschluss über die sprach-lichen Fähigkeiten der Kinder gewinnt.

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Die Grundlagen der Sprachförderung

Sprachliches Lernen findet auch in der Kin-dergruppe statt, wenn Kinder gemeinsameSpielaktivitäten planen und abstimmen,Regeln klären oder Konflikte lösen. Dabeilernen sie, sich sprachlich mitzuteilen undKontakte zu anderen Kindern aufzubauen.

Über gemeinsame Aktivitäten, Erlebnisseund Themen ergeben sich Sprechanlässe, die zu kommunikativen Gruppenprozessenführen.

Diese Überlegungen zur sprachlichen För-derung sind in der Arbeit mit deutschen undKindern aus zugewanderten Familien glei-chermaßen von Bedeutung. Damit Kinderaus zugewanderten Familien selbstbestimmtam gesellschaftlichen Leben – ihrer ethni-schen Gruppe und der deutschen Gesellschaftteilhaben können, – sind sie auf Zweispra-chigkeit angewiesen. Für diese Kinder ist eswichtig, dass sie ihre Zweisprachigkeit imAlltag als wertvoll und bedeutsam erfahrenkönnen. Anerkennung und Wertschätzungder Zweisprachigkeit kommen zum Tragen,wenn sich auch Kinder aus zugewandertenFamilien mit ihrer Lebenswelt und ihrenErfahrungen im Kindergarten, bei Themen,Aktivitäten und Materialien, in der Raumge-staltung und im Tagesablauf wiederfindenund ihre zweisprachigen Fähigkeiten alspositiv erleben können.

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2.1 „Dass wir sprechen können, heißt noch lange nicht, dass wir auchetwas sagen“

Wir alle kennen Situationen, in denen wirganz selbstverständlich reden, „wie uns derSchnabel gewachsen ist“, z.B. im vertrautenFamilien- oder Freundeskreis. Wir kennenaber auch Situationen, in denen wir mitÄußerungen sehr vorsichtig und zurückhal-tend sind und schließlich solche, in denenwir blockiert sind, ins Stottern geraten oderim schlimmsten Fall in tiefes Schweigen ver-sinken – meist dann, wenn es völlig unan-gebracht ist, z.B. in Prüfungssituationen, indenen wir unser Bestes geben sollen undwollen.

Das heißt, zum Sprechen gehört nicht nurdie Kenntnis von Wörtern und Begriffen,das Verständnis einer Sprache, sondern auchMotivation und Mut, diese aktiv anzuwen-den, also zu sprechen. Dass wir eine Sprachekennen und können, heißt noch lange nicht,dass wir auch etwas sagen. Das hängt mitder Tatsache zusammen, dass Sprechen in

der Regel mit einem Gegenüber stattfindet,also eine Wechselwirkung auslöst, die wirnur zum Teil überschauen und kontrollierenkönnen.

SCHULZ von THUN35 hat dies mit den „vierSeiten einer Nachricht“36 sehr anschaulichvorgestellt: Neben der Sachinformationerfährt mein Gegenüber eine Menge darü-ber „was ich für eine/einer bin“, „wie es um mich steht“. Beim Sprechen zeigen wiretwas von uns, geben etwas preis, das überdas hinaus geht, was wir dem anderen aufder Sachebene mitteilen. Und die Wortebewirken beim Gegenüber nicht selten etwasanderes, als wir beabsichtigten. Ein (unbe-dachtes) Wort, einmal auf den Weg gebracht,kann so schnell nicht mehr eingefangenwerden.

In ihrem Gedicht „Unaufhaltsam“ bringtDOMIN die Macht des Wortes auf eindringli-che Weise zum Ausdruck:Besser ein Messer als ein Wort.Ein Messer kann stumpf sein,ein Messer trifft oftam Herzen vorbei.Nicht das Wort.

2. Vier Schritte zu einer bewussten Sprachförderung 34

34 Entnommen aus: Beauftragte

der Bundesregierung für Aus-

länderfragen (Hrsg.): Hallo,

Hola, Ola. Sprachförderung in

Kindertagesstätten. Berlin,

Bonn, August 2000

35 Schulz von Thun, 1991, S. 25 ff

36 Die „Vier Seiten einer Nach-

richt“ umfassen den Sachin-

halt, den Appell (wenn einer

etwas sagt, will er in der Regel

auch etwas bewirken, die

Beziehung (zum Mitmenschen)

und die Selbstoffenbarung

(wenn einer etwas sagt, gibt

er auch etwas von sich, von

seiner Persönlichkeit)

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Vier Schr itte zu einer bewussten Sprachförderung

Sprechen ist also mit Risiko verbunden, je fremder die Situation, in der wir stehen,desto stärker empfinden wir dies. Kindererleben das vermutlich in noch stärkeremMaße als Erwachsene, denn ihnen sind dieFallstricke nicht so bekannt und sie verfügennoch nicht, wie später der Erwachsene, überunverfängliche Höflichkeitsfloskeln, mitdenen man zunächst Zeit gewinnt, um dieLage zu sondieren.

Unser Selbstwertgefühl entwickelt sich infrüher Kindheit und im weiteren Lebenslaufnicht durch simple Zuschreibung, sondern in Interaktion mit der Umwelt,37 ist also starkan Kommunikation und Sprache gebunden.Es stellt im Gefüge unseres Selbstkonzeptesein Postulat höchster Ordnung dar und mussin besonderer Weise geschützt werden.Kränkungen auf der sprachlichen Ebene(etwas „Dummes“ sagen) gefährden dasSelbstwertgefühl in hohem Maße.38

Wie sehen die ersten Erfahrungen eines Kin-des mit Reaktionen der Umwelt auf seinesprachlichen Äußerungen aus? Die Reaktio-nen auf erste kindliche Äußerungen in derFamilie werden sehr unterschiedlich sein. Siekönnen mehr oder weniger beachtet, mitFreude oder Gleichgültigkeit aufgenommenwerden, es kann eine Atmosphäre herrschen,in der das Kind eher angehalten wird, „den Mund zu halten“, oder zum Sprechen

ermuntert und ermutigt wird. Nicht seltenfindet sich die Situation, dass Erwachseneüber „drollige“ Kinderäußerungen lachen.Die Reaktion des Kindes auf dieses Lachenzeigt häufig tiefe Verunsicherung, denn eshat seine Äußerung ernst gemeint, einenernsthaften Beitrag geleistet.

Auch im günstigsten familiären Sprachklimawird das Kind die Erfahrung machen, dass esSituationen gibt, in denen man leise seinmuss, in denen man bestimmte Dinge bessernicht sagt (sonst ist die Oma beleidigt), oderbestimmte Kraftausdrücke verboten werden.Das Kind findet auch schnell heraus, dass inunterschiedlichen Settings unterschiedlicheRegeln gelten. Es beobachtet sehr genau,dass auch die Eltern unterschiedlich reden, je nachdem, ob sie z.B. sich zu Hause unter-halten, beim Einkauf oder mit dem Nach-barn.

Wir können davon ausgehen, dass ein Kinddie Macht der Worte hautnah und eindrück-lich erlebt: sowohl der Worte, die an esselbst gerichtet sind (Worte, die wohltunoder wehtun), als auch der Worte, die esselbst äußert und die aus Sicht des Kindesoft erstaunliche Reaktionen – der Begeiste-rung oder der Ablehnung – hervorrufen.

37 Filipp, 1984, S. 131 f

38 Seymor-Epstein, 1984, S. 19

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Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dassdie Sprechfreude, die Sprechbereitschaft,die ein Kind im Kindergarten an den Taglegt, nicht nur zu tun hat mit seiner Kennt-nis von Sprache, sondern auch mit Gefühlenvon Vertrautheit oder Fremdheit. Je mehrAnknüpfungspunkte, Verbindungslinien dasKind findet, die ihm bereits vertraut sind,desto unbefangener wird es sich sprachlichäußern. Je fremder es sich fühlt, destohöher erlebt es das Risiko, etwas Falsches,Unangebrachtes zu sagen, und es wird,zumindest erst einmal, schweigen. In seinemSchweigen wird es jedoch ein aufmerksamerBeobachter der Kommunikationskultur inder Einrichtung sein: wie redet man hier mit-einander, wie gehen die sozpäd. Fachkräftemit meinem Schweigen um.

Es ist wichtig, dass die sozpäd. Fachkräftesich klar machen, welche Kinder besondersviel Fremdes vorfinden. Dabei sind es nichtnur die Kinder mit Migrationshintergrund,sondern auch Kinder, die aus einem anderen„Milieu“ stammen als die Mehrzahl der Kin-der. Es gilt dann, Verbindungen zu schaffenzwischen Elternhaus, familiärem Lebens-raum und der Tageseinrichtung, um vertrau-te Anknüpfungspunkte sichtbar zu machen,die das Kind wiedererkennt, an denen esmit seinen Erfahrungen anknüpfen kann,die ihm das Gefühl vermitteln: „Hier bin ichrichtig“.

Murat, ein marokkanischer Junge, gehört zuden schweigsamen Kindern der Einrichtung.Dies ändert sich an dem Tag, als er in derPuppenecke etwas Neues entdeckt: "orien-talische" Pantöffelchen aus verschiedenenglänzenden Stoffen gearbeitet, in violettund lila, am Rand mit Goldfäden bestickt,die Schuhspitzen hochgezogen. Eine Erzie-herin hatte sie aus einem Tune-sienurlaubmitgebracht, mit der Idee, sie vielleicht malfür ein Theaterstück zu verwenden. Sie wur-den zunächst in der Puppenecke deponiert.Murats Freude war unbeschreiblich. Er zogsich die Pantöffelchen an, lief damit begei-stert durch die ganze Einrichtung, sang undplapperte munter und fröhlich mit jedem,der ihm begegnete und sein Schuhwerkbewunderte. Er wirkte wie befreit, endlichetwas gefunden zu haben, das ihm vertrautwar, ein Stück "Zuhause".

Das Beispiel verweist auf den bedeutsamenHandlungsspielraum, der sich hier der soz-päd. Fachkraft bietet: Sie kann eine Vertrau-ensbasis schaffen, eine Atmosphäre vonAkzeptanz und Sicherheit, in der das Kindsich traut, Neues zu erproben, auch auf dasRisiko hin, Fehler zu machen.

Murat, ein marokkanischer Junge, gehörtzu den schweigsamen Kindern der Einrich-tung. Dies ändert sich an dem Tag, als er in der Puppenecke etwas Neues entdeckt:„orientalische“ Pantöffelchen aus verschie-denen glänzenden Stoffen gearbeitet, inviolett und lila, am Rand mit Goldfädenbestickt, die Schuhspitzen hochgezogen.Eine sozpäd. Fachkraft hatte sie aus einemTunesienurlaub mitgebracht, mit der Idee,sie vielleicht mal für ein Theaterstück zuverwenden. Sie wurden zunächst in derPuppenecke deponiert. Murats Freude warunbeschreiblich. Er zog sich die Pantöffel-chen an, lief damit begeistert durch dieganze Einrichtung, sang und plappertemunter und fröhlich mit jedem, der ihmbegegnete und sein Schuhwerk bewun-derte. Er wirkte wie befreit, endlich etwasgefunden zu haben, das ihm vertraut war,ein Stück „Zuhause“.

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Vier Schr itte zu einer bewussten Sprachförderung

2.2 Vier Schritte

Sprachförderung findet im Kindergarten auf vielfältigen Ebenen statt: Zwischen soz-päd. Fachkraft und Kindern, z.B. bei dergemeinsamen Betrachtung von Bilderbü-chern, bei Aufforderungen, welche dieAlltagsorganisation betreffen, beim Aushan-deln von Regeln usw. Aber auch zwischenden Kindern: Im gemeinsamen Spiel müssenviele Dinge vereinbart, geklärt und bespro-chen werden, um das Spiel in Gang zu brin-gen und aufrecht zu erhalten. Ältere odersprachgewandtere Kinder verbessern ihreSpielgefährten, wenn diese Dinge „falsch“benennen oder auch bei nicht korrekterGrammatik: „Das heißt nicht Tigers, dasheißt Tiger.“ Dabei lernen die Kindersowohl, indem sie unmittelbar in die Kom-munikation einbezogen sind als auch mittel-bar, indem sie beobachten, wie andere Kin-der und die sozpäd. Fachkräfte miteinanderund untereinander reden.

In diesem Kapitel wollen wir einen Teil-aspekt zum Thema „Sprachförderung“ imKindergarten herausgreifen und weiter-führende Gesichtspunkte dazu entwickeln.Es geht um die Frage, inwieweit der situa-tionsbezogene Ansatz eine gezielte, syste-matische Sprachförderung zulässt. Anders

formuliert: Wie kann man die aktuellenInteressen, Bedürfnisse und Kompetenzender Kinder zum Bezugspunkt der Arbeiterklären und gleichzeitig eine bewusste undregelmäßige Sprachförderung für die Kin-der sicherstellen? Steht die sozpäd. Fach-kraft nicht vielmehr in einer Warteposition,die richtige Situation abzupassen, die Situa-tion, in der das Kind von sich aus Bereit-schaft und Bedürfnis nach verbaler Kommu-nikation zeigt?

Im situationsbezogenen Ansatz „wartet“die Erzieherin in der Tat auf den richtigenAugenblick, auf das, was die Kinder von sichaus einbringen. Aber dieses Warten ist nichtin einem passiven Sinne zu verstehen, son-dern vielmehr im Sinne eines aufmerksa-men, neugierigen „Erwartens“, etwa so, wieman liebe Gäste erwartet. Damit verbundenist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit,wachen Beobachtens, der Bereitschaft inBeziehung zum Kind zu treten und Wissenum seine persönlichen Fähigkeiten undDefizite.

Dieses Wechselspiel zwischen pädagogischerAbstinenz und Aktivität findet sich in derhier vorgestellten Schrittfolge zur bewus-sten Sprachförderung wieder:

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Erster Schritt: Eine Situation als geeignetfür Sprachförderung erkennen.

Zweiter Schritt: Einen „öffnenden“ Kon-takt zum Kind herstellen.

Dritter Schritt: Sprache bewusst und situa-tionsorientiert fördern.

Vierter Schritt: Die Situation schriftlich /tabellarisch dokumentieren / festhalten – imSinne einer Selbstkontrolle.

Diese Vorgehensweise gewährleistet, dassStimmigkeit besteht zwischen der aktuellenSituation des Kindes und der Sprachförde-rung, denn die Impulse für Sprachförderunggehen in erster Linie vom Kind aus, die soz-päd. Fachkraft greift sie auf, führt sie wei-ter. Die Rahmenbedingungen (persönlicheNähe, Zeit und Ort) sind jeweils aktuell aufdas Kind abgestimmt.

Gleichzeitig ist der Anspruch bewusster Förderung gewährleistet, denn die sozpäd.Fachkraft verknüpft die aktuelle Situationmit Methoden zur Sprachförderung, die aufdas Kind – sein Alter, seinen Entwicklungs-stand, seinen familiären Hintergrund – pas-sen. Sie überprüft ihre sprachförderndenAktivitäten mit Hilfe einer tabellarischen Do-kumentation und kann so gegebenenfallsihre Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte

Kinder lenken, um so geeignete Situationenaufzuspüren und zu nutzen.

Das Bemerkenswerte und Neue an dieserSchrittfolge ist, dass die einzelnen Schrittebewusst vollzogen und für die Sprachförde-rung eingesetzt sowie schriftlich dokumen-tiert werden. In der Realität sind die einzel-nen Schritte nicht so deutlich voneinanderabgegrenzt, wie es hier in der schriftlichenDarstellung, aus Gründen der Verdeutli-chung geschieht.

2.3 Erster Schritt: Eine Situation als geeignet für Sprachförderungerkennen

Auf die Frage, welche Kindersituationensich für eine bewusste Sprachförderung eig-nen, könnte die spontane Antwort lauten:„eigentlich alle Situationen“. Erst bei nähe-rer Betrachtung zeigt sich, dass es durchausSituationen gibt, in denen Zurückhaltungangesagt ist. Kindersituationen führen oftein starkes Eigenleben, stellen sich wie einekleine abgeschlossene Welt dar, aus der dieAkteure hin und wieder „herausgucken“oder in die sie sich wieder zurückziehenkönnen. Begegnet man im Gruppengesche-hen einem solchen „Raumschiff Enterprise“,

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Vier Schr itte zu einer bewussten Sprachförderung

spürt man förmlich, dass hier intensivsteLern- und Erfahrungsprozesse stattfinden.Es ist eine Frage des Taktes, inwieweit mandie Intimität solcher Situationen stören darf und eine Frage der Ethik, inwieweit eserlaubt ist, solche Situationen für andereZwecke zu instrumentalisieren, und seien sieaus Sicht der Erwachsenen noch so bedeut-sam. Dies gilt ebenfalls für Situationen, indenen Kinder Stille und Entspannung suchen,Situationen, in denen sie fasziniert das Spielanderer Kinder mit Aug‘ und Ohren verfol-gen und dabei „von der Seite“ lernen, Situa-tionen des Tagträumens.

Diese Überlegungenverweisen auf einenübergreifenden As-pekt der pädagogi-schen Arbeit, nämlichauf die Frage, welchesMenschenbild derpädagogischen Arbeitzugrunde liegt undwo die Schnittstellenim Praxisalltag zu fin-den sind, an denendeutlich wird, wieernst es dem Einzel-nen mit Achtung undWertschätzung kind-licher Eigenart ist.

Demgegenüber gibt es natürlich eine Füllean Situationen, die auch aus Sicht der Kin-der „Öffentlichkeitscharakter“ besitzen, indenen die Kinder auf vielfältige Weise ihreBereitschaft signalisieren, Verbindungen zuknüpfen, Kontakt zu anderen Kindern oderErwachsenen aufzunehmen, um neue inte-ressante Erfahrungen aufzutun: „Hör mal!“,„Guck mal!“, „Komm mal!“. Und es gibtSituationen des Alleinseins, der Traurigkeit,die als Bitte nach Zuwendung und Zuspruchverstanden werden können.

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Neben den „klassischen“ sprachförderndenAktivitäten, wie z.B. der Bilderbuchbetrach-tung, Fingerspielen, Reimen und Liedern,gibt es eine Vielzahl alltäglicher Anknüp-fungspunkte, die in der Praxis eher seltenzur bewussten Sprachförderung genutztwerden. Zu denken ist z.B. an die Bring- undAbholsituation, bei der auch die Eltern alsAnsprechpartner einbezogen werden kön-nen, an die vielfältigen großen und kleinenBitten oder Hilfsangebote im Rahmen derAlltagsorganisation der Einrichtung, an dieMahlzeiten, die Ruhe und Zeit zur Kommu-nikation bieten. Entscheidend ist hierbei,ein Gespür für den richtigen Augenblick zuentwickeln, „richtig“ aus Sicht der Kinder.

2.4 Zweiter Schritt: Einen „öffnen-den“ Kontakt zum Kind herstellen

„Öffnenden“ Kontakt herstellen heißt indiesem Zusammenhang, eine Verbindungzum Kind herstellen, die für das Kind stim-mig ist, gegen die es sich nicht verschließenund abschotten muss. Insofern kann „öff-nender Kontakt“ auch heißen, die Verschlos-senheit des Kindes zu akzeptieren. Das fol-gende Beispiel soll dies verdeutlichen:

Sabine hockt mit vier Kindern vor großenPapierbögen auf dem Boden. In der Mittesteht ein Korb mit dicken Buntstiften invielen verschiedenen Farben. Die Kinderwollen aus einem alten, großen Pappkar-ton ein Kaspertheater bauen. Jetzt malensie gerade die Kulissen, entwickeln dabeigleichzeitig und sehr lebhaft Ideen überden Spielverlauf. Sabine ist Erzieherin, esist ihr zweiter Tag am neuen Arbeitsplatz.Sie nutzt die Situation, um das Spiel derKinder zu beobachten und sie auf dieseWeise kennenzulernen.

Gestern hatte eine Kollegin sie in der Ein-richtung herumgeführt und ihr einige Hin-weise zu den Kindern ihrer Gruppe gege-ben: „Hier ist ein buntes Völkchen versam-melt: türkische Kinder, Kinder aus Marok-ko, aus Sri Lanka, Aussiedlerkinder ausWeißrussland und deutsche Kinder. Das ist nicht so einfach, vor allem wegen derSprache. Das hier ist Tugçe, sie ist jetzt seit zwei Monaten in der Einrichtung. Siespricht gar nicht, da hab ich schon allesversucht." Dieser Satz war bei Sabine hän-gengeblieben, das hatte so resigniert und endgültig geklungen, wie ein Urteils-spruch. Später hatte sie versucht, Tugçeanzusprechen, aber das Mädchen zog nurdie Schultern zusammen, senkte den Blickverlegen auf die Hände und wandte sichab. Sabine beschränkte sich dann darauf,

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Tugçe aufmunternd zuzunicken, wenn sich„zufällig“ ein Blickkontakt ergab.

Jetzt steht Tugçe schräg hinter ihr, schonseit einer ganzen Weile. Sabine wendetsich ihr hin und wieder mit einer freund-lichen Bemerkung zu, die keine Antworterfordert: „Na, das wird eine primaKaspervorstellung, ich freu‘ mich schon.“Tugçe rückt allmählich näher an Sabineheran, aber immer noch so, dass keinBlickkontakt entsteht, solange Sabine sichnicht umdreht. Von den anderen Kindernnimmt niemand Notiz von Tugçe. Nach 15 Minuten hockt Tugçe schließlich nebenSabine auf dem Boden. Tugçe nimmt sichden Stift, der für sie am besten zu errei-chen ist, stupst Sabine an und zeigt aufeinen Apfelbaum, den Raissa gemalt hat.„Was möchtest du, Tugçe? Kann ich dirhelfen?“ Tugçe fuchtelt mit dem Stiftdurch die Luft. „Möchtest du, dass ich direinen Apfelbaum male?“ Tugçe nickt.Sabine malt einen Apfelbaum und sagt:„So, jetzt kannst du die Äpfel reinmalen.“Tugçe schüttelt den Kopf. „Versuch esdoch mal.“ Tugçe malt einen Haken in dieBaumkrone und schüttelt ärgerlich denKopf. „Komm, versuch es noch mal!“ Jetztkriegt sie schon besser die „Kurve“. Siefreut sich, und Sabine sagt mit strahlen-dem Gesicht: „Ja, genau, ein schöner Apfel,lecker sieht der aus.“ Und dabei legt sie

kurz den Arm um Tugçes Schulter. „Gut“,bemerkt auch Markus, der auf einem klei-nen Hocker gegenüber sitzt und Eintritts-karten ausschneidet. „Wie heißt die?“„Das ist Tugçe“, antwortet Sabine, „Undwie heißt du, ich kenne ja auch noch nichtalle Namen?“ „Markus!“ Es folgt ein kur-zer, aufmerksamer Blickkontakt zwischenMarkus und Tugçe. Tugçe malt noch mehrÄpfel in die Baumkrone, sie gelingen un-terschiedlich gut, aber insgesamt immerbesser. Dann beginnt Tugçe, Stifte nach Far-ben zu sortieren. Sabine begleitet TugçesSpiel mit Worten: „Jetzt hast du schon vierblaue Stifte gefunden.“ Markus: „Hier istnoch einer.“ Tugçe nimmt den Stift vonMarkus und sagt leise: „Blau?“ „Ja, dieserStift ist auch blau.“ Das Spiel geht eineganze Weile auf diese Weise weiter, derDialog bleibt zwar auf Tugçes Seite „einsil-big“, wird aber zunehmend munterer und mutiger, was sich an der lauter unddeutlicher werdenden Stimme und ihrer Be-reitschaft, kurzen Blickkontakt zu halten,ablesen lässt.

Sabine erweitert nach einer Weile denKontext, indem sie Tugçe zeigt, wo dieFarben an ihr zu finden sind. Tugçe holtz.B. einen roten Stift aus dem Korb undsagt, wie schon zuvor mit einem kleinenFragezeichen: „Rot?“. Sabine antwortet:„Ja, rot. Guck mal, dein Pullover ist auch

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r a c h f ö r d e r u n g – a l s Te i l d e r G e s a m t k o n z e p t i o n

rot." Und dabei hält sie den Stift an TugçesPullover. Tugçe kehrt das Spiel um und suchtStifte mit Farben, die sich in Sabines Klei-dung finden. Zwischenzeitlich beteiligensich auch die anderen Kinder dieser Rundean dem Spiel, dabei belehren sie Sabine dar-über, daß es "pinkss heißt und nicht "rosa".Im Verlauf einer dreiviertel(!) Stunde – dieanderen Kinder sind inzwischen mit demAufbau des Kaspertheaters beschäftigt – hatTugçe aus eigenem Antrieb alle Stifte nachFarben und Größe sortiert und die Farbenbenannt. Durch das Gespräch mit Sabinewurde Tugçe auch für die anderen Kindersichtbar. Tugçe beendet schließlich das Spielselbständig, sie wirkt zufrieden, räumt dieStifte wieder zurück in den Korb.

Die Fähigkeit, „Beziehungen aufzubauen“,Kontakt zu Kindern herzustellen, KindernNähe zu ermöglichen, stellt eine Schlüssel-qualifikation für den Beruf der Erzieherinund des Erziehers dar, erscheint als nahezuselbstverständliche Voraussetzung. Dem-gegenüber zeigt unser Beispiel, dass dieFähigkeit, „Kontakt aufzunehmen“, keines-wegs selbstverständlich und einfach ist. Sie erfordert persönliche Reife und grundle-gende kommunikative Kompetenzen, die imRahmen der Ausbildung und im Zugeberufsbiografischer Erfahrungen erworbenund weiterentwickelt werden müssen.

Sabines Kollegin sagt, sie habe schon „allesversucht“, um Tugçe zum Sprechen zu brin-gen, aber vergeblich. Und man ahnt hinterdem „alles versucht“ viel Engagement, Ener-gie und Aktivität. Die Erzieherin hat offen-bar eine Menge Zeit und Kraft investiert,ehe sie schließlich, enttäuscht durch TugçesVerhalten, aufgab. Wie diese Aktivitäten beiTugçe angekommen sind, darüber kann hiernur spekuliert werden: Vielleicht hat Tugçedas Verhalten der Erzieherin als aufdringlichund bedrohlich erlebt, vielleicht hätte siezunächst Zeit gebraucht, um innerlich in derneuen Umgebung anzukommen, sich zu-rechtzufinden, Vertrautes zu entdecken, dasihr ein Gefühl der Sicherheit und Geborgen-heit vermittelte. Vielleicht brauchte sie auchein Signal, dass sie – so wie sie ist – ange-nommen und anerkannt wird, ohne gleichbestimmte Leistungen und Erwartungenerfüllen zu müssen.

Sabine stellt in unserem Beispiel die Bedürf-nisse von Tugçe in den Mittelpunkt, ohnedabei ihre pädagogischen Ziele – in diesemFall die Sprachförderung – aus dem Blick zuverlieren oder ad acta zu legen. Sie akzep-tiert die Nähe/Distanz, die Tugçe von sichaus anbietet, und signalisiert ihre Wert-schätzung durch freundliche, unaufdringli-che Zuwendung und Aufmerksamkeit.Dadurch entsteht ein Freiraum, der Tugçe zuneuen Schritten ermutigt: Sie traut sich,

rot.“ Und dabei hält sie den Stift an TugçesPullover. Tugçe kehrt das Spiel um undsucht Stifte mit Farben, die sich in SabinesKleidung finden. Zwischenzeitlich beteili-gen sich auch die anderen Kinder dieserRunde an dem Spiel, dabei belehren sieSabine darüber, dass es „pink“ heißt undnicht „rosa“. Im Verlauf einer dreiviertel(!)Stunde – die anderen Kinder sind inzwi-schen mit dem Aufbau des Kaspertheatersbeschäftigt – hat Tugçe aus eigenem An-trieb alle Stifte nach Farben und Größe sor-tiert und die Farben benannt. Durch dasGespräch mit Sabine wurde Tugçe auch fürdie anderen Kinder sichtbar. Tugçe been-det schließlich das Spiel selbständig, siewirkt zufrieden, räumt die Stifte wiederzurück in den Korb.

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„die Sache(n) einmal näher zu betrachten“,und sie traut sich schließlich auch, „denMund aufzumachen“.

Interessant und von großer Bedeutung fürdie pädagogische Arbeit ist das im Beispieldeutlich werdende Phänomen, dass Tugçe indem Augenblick, in dem der Kontakt zuSabine hergestellt ist, auch für die anderenKinder sichtbar wird, so als hätte sie sicheiner Tarnkappe entledigt, weil sie diesesSchutzes nicht mehr bedarf.

Verhaltensweisen, die Kontakte und damittragfähige Beziehungen unterstützen, sindalso unterschiedlich, je nachdem, um wel-ches Kind es geht und in welcher aktuellenSituation das Kind jeweils steht. Es lassensich jedoch einige allgemeine Gesichtspunk-te benennen, die grundlegend sind für denAufbau öffnender Kontakte. Sie wurden vonsozpäd. Fachkräften vor dem Hintergrundihrer Praxiserfahrung zusammengestellt:

¢ dem Kind einen freundlichen Blick schenken,

¢ sich dem Kind zuwenden,¢ eine offene Körperhaltung einnehmen,¢ Rituale der Kinder aufgreifen als

Kontaktbrücken (z.B. „Eintrittskarten“),¢ Regeln mit abweisendem Charakter

freundlich erklären; es dürfen z.B. nurdrei Kinder in der Puppenecke spielen,

¢ Körperkontakt anbieten, aber nicht aufdrängen,

¢ das Kind beachten, ¢ Blickkontakt zum Kind suchen, ¢ Ironie vermeiden,¢ nicht in Gegenwart des Kindes über das

Kind sprechen, sondern es direkt anspre-chen oder in das Gespräch einbeziehen.

Sozpäd. Fachkräfte berichten aus ihrem Praxisalltag, dass die genannten hilfreichenAspekte eigentlich eine Selbstverständlich-keit darstellen und trotzdem nicht seltenauf subtile Weise missachtet werden.

Kontakt aufzunehmen ist verbunden miteinem spezifischen Bedürfnis nach Näheoder Abstand zu einer Person. Das heißt,Kontakt hat auch zu tun mit den eigenenGrenzen, die ich ziehe und die mein Gegen-über zieht. In jeder Begegnung wird der„richtige“ Abstand ausgehandelt, in derRegel ohne dass dies den Beteiligten be-wusst ist. Herauszufinden, welche Nähe fürdas Kind die richtige ist, welches „Tempo“sein Tempo ist, ist also nur eine Seite derMedaille. Die andere ist es zu fragen, wel-che Nähe ist für die sozpäd. Fachkraft dierichtige und wieviel Zeit braucht sie, um inKontakt zu treten. Fällt ihr dies bei einigenKindern leichter als bei anderen. DieserGedanke, – es mit einigen Kindern nicht zu„können,“ – wird häufig tabuisiert.

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Die nach außen gezeigte Nähe oder Distanzmuss nicht immer mit dem inneren Bedürf-nis übereinstimmen. So verspürt die Erziehe-rin z.B. den Wunsch, ein Kind zu trösten undauf den Arm zu nehmen, belässt es aber auspädagogischen Erwägungen bei einer ver-balen Zuwendung. Oder sie nimmt ein Kindauf den Schoß, weil das Kind diesen Wunschsignalisiert, obwohl sie sich innerlich einegrößere Distanz wünscht, z.B. weil das Kindschlecht riecht oder sie es aus anderen Grün-den ablehnt.

Wichtig ist, sich über Diskrepanzen zwi-schen gezeigter und gewünschter Nähe/Distanz klar zu werden, weil diese in derBeziehung wirksam sind. Vor allem, wennder Wunsch nach Distanz größer ist als manihn vor dem Hintergrund des beruflichenSelbstverständnisses zulassen kann, bestehtdie Gefahr, dass subtile Botschaften derAblehnung gesendet werden, die das Kindverunsichern und die Beziehung belasten.

Entscheidend für die Herstellung eines öff-nenden Kontaktes ist die Bereitschaft unddie Geduld, sich immer wieder neu auf dieKinder und ihre Eigenheiten einzulassen,die eigenen Einschätzungen, (Vor-)Urteilezurückzustellen. Damit erhält das Kind dieChance zu zeigen, dass es mehr zu bietenhat, als ein – wie auch immer geartetes –

pädagogisches Raster vorgeben oder vor-hersagen kann. Entscheidungen, die auf derGrundlage dieser Haltung getroffen wer-den, werden sehr nah an den Bedürfnissender Kinder orientiert sein. Das hat zur Folge,dass Kinder sich wohl fühlen, eine elemen-tare Voraussetzung dafür, dass effektivesLernen stattfinden kann.

2.5 Dritter Schritt: Sprache bewusstund situationsorientiert fördern

Wenn eine Situation als geeignet zurSprachförderung erkannt und aufgegriffen,ein öffnender Kontakt zum Kind hergestelltwurde, dann ist der Weg gut vorbereitet für eine gezielte und wirksame Sprachförde-rung. Diese erreicht das Kind vermutlich aufeinem hohen Motivationsniveau, denn eswird nicht mit einem „Standardprogramm“konfrontiert, sondern findet sich selbst,seine Wünsche und Bedürfnisse, im Angebotder sozpäd. Fachkraft wieder. Es erlebt, dassseine Ideen wertgeschätzt und weiterge-führt werden. Diese Erfahrung stärkt seinSelbstwertgefühl und damit auch seinenMut, sich auf Neues einzulassen, Neues aus-zuprobieren.

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An dieser Stelle mag folgender Hinweiswichtig sein: Wenn die sozpäd. Fachkraftdafür sorgt, dass Kinder sich in der Einrich-tung wohl und geborgen fühlen, dann nicht einzig mit dem Ziel, kindliches Wohlbefin-den zum Zwecke der Sprachförderung zu(be-)nutzen, sondern weil Kinder ein Rechtauf Wertschätzung und Achtung haben, ein Recht auf Wohlbefinden, an dem Ort, an dem sie einen Großteil des Tages verbrin-gen. Dieses Recht besteht unabhängig von„Sprachförderung“ oder anderen Bildungs-inhalten.

Verschiedene Gesichtspunkte, die ganz un-terschiedliche Ebenen der pädagogischenArbeit betreffen, spielen beim dritten Schritteine Rolle. Sie werden hier im Überblick vor-gestellt und an anderer Stelle ausführlicherläutert.

(Weiter-)Entwicklung der pädagogisch-konzeptionellen Ausgangsbasis

Sprachförderung erfordert auf Seiten dersozpäd. Fachkraft ein fundiertes Wissenüber den Spracherwerb als einem Teilaspektentwicklungspsychologischer Abläufe. DieAneignung/ Weiterführung von Hinter-grundwissen hierzu stellt die Basis dar füreine professionelle Gestaltung der aktuellensprachfördernden Situation.

Darüber hinaus ist es wichtig, Informatio-nen zu den Sprach- und Sprechgewohnhei-ten der Familien zu gewinnen: Welche Spra-che oder welche Sprachen werden zu Hausegesprochen, welche Sprache ist dem Kind –im Sinne einer Erstsprache – die vertrautes-te, wie gut beherrscht es diese bereits, wie-viel Erfahrung hat es im Umgang mit der(hoch-) deutschen Sprache, die im Kinder-garten „Verkehrssprache“ ist.

Solche Überlegungen mögen für Kinder mit Migrationshintergrund eine besondereBedeutung haben, sie sind jedoch auch für die deutschsprachigen Kinder hilfreichund wichtig. Ein Kind, das aus einer Regionstammt, in der der Dialekt noch selbstver-ständlich zum alltäglichen Sprachgebrauchgehört, wird sich am neuen Wohnort, indem überwiegend Hochdeutsch gesprochenwird, zunächst fremd und unsicher fühlen.Es versteht manche Wörter nicht, oder Wör-ter, die es selbst benutzt, werden nicht ver-standen, so z.B. wenn aus der Semmel plötz-lich ein „Brötchen“ oder eine „Schrippe“wird. Auch bei Kindern mit einer familiärenUmgangssprache, die von den Gewohnhei-ten der sozpäd. Fachkraft abweicht, entstehtFremdheit: So können Äußerungen von Kindern als altklug und abgehoben oder alseingeschränkt, grob, aggressiv empfundenwerden. Die Kinder erfahren dann – anders

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als sie es in ihren Familien gewohnt sind – , ironische („unser kleiner Einstein...“) oder ablehnende („Nicht in diesem Ton!“) Reaktionen auf ihre Äußerungen.

Eine Reflexion des eigenen Sprachverhal-tens kann der sozpäd. Fachkraft Hinweiseauf persönliche Entwicklungsmöglichkeitenoder -notwendigkeiten geben: Welches Ver-hältnis hat sie selbst zur „Sprache“, welcheErinnerungen aus der Schulzeit spielen hiereine unterstützende oder störende Rolle,wieviel Wert legt sie auf vielfältigen Wort-gebrauch, wie deutlich und artikuliert istihre Sprechweise, ist diese grammatikalischkorrekt, verfügt sie über Sprechfreude oderist sie eher schweigsam. Wie ist ihre Einstel-lung zu Fremdsprachen, besteht die Bereit-schaft, sich grundlegende Begriffe einer frem-den Sprache, die in der Einrichtung starkvertreten ist, anzueignen? Tonbandaufnah-men mit der eigenen Stimme können in diesem Zusammenhang sehr erhellend undanregend sein.

Sprachförderung im hier beschriebenen Sin-ne ist ein kreativer Prozess. Hierzu brauchtdie sozpäd. Fachkraft – ebenso wie die Kin-der es zur Entfaltung ihrer kreativen Poten-ziale brauchen – Spiel- und Freiräume hin-sichtlich Raum- und Zeitnutzung, einen Fun-dus anregender Materialien und die Mög-

lichkeit, flexible Absprachen mit Kollegin-nen und Kollegen zu treffen, in welchen diepotentielle Bedeutung einer aktuellen Situ-ation höher eingeschätzt wird als Routine-abläufe und -zuständigkeiten. Situationender Sprachförderung brauchen häufig Zeit,sie gelingen leichter in Räumen, in denenKind und sozpäd. Fachkraft sich wohl füh-len, in denen auch Rückzug möglich ist, undsie werden unterstützt durch Materialien,die nicht festgelegt sind auf eine bestimmteFunktion, sondern zum Fragen und Geschich-ten Erzählen auffordern.

Um Situationen bewusster Sprachförderungmit der nötigen Aufmerksamkeit durchfüh-ren zu können, bedarf es eines beruflichenSelbstverständnisses, das abrückt von derVorstellung, ständig für alle (25!) Kinder an-sprechbar und verfügbar zu sein und stattdessen ein differenziertes, situationsbezo-genes pädagogisches Handeln in den Vorder-grund stellt. Wichtig ist auch, dass man sichmit dieser Haltung einig weiß mit den Kolle-ginnen und Kollegen, die sozpäd. Fachkraftalso davon ausgehen kann, dass eine zeitlichbegrenzte Konzentration auf ein einzelnesKind oder eine kleine Gruppe im Teamakzeptiert und unterstützt wird.

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Informationen gewinnen im Praxisalltag –längerfristig

Im Austausch mit den Eltern, – zum Beispielbeim Aufnahmegespräch –, durch Beobach-tung von Spiel- oder Alltagssituationen, in die das Kind einbezogen ist, und durchkritische Reflexion der eigenen Einstellunggegenüber dem Sprachverhalten des Kin-des, erwirbt die sozpäd. Fachkraft eineHypothese über die Sprachsituation des Kin-des. Eine solche vorläufige – d.h. immer wieder neu zu überprüfende – Einschätzungder kindlichen Sprachkompetenz ist in deraktuellen Situation „abrufbar“. Sie dientder Orientierung und der Abstimmung deseigenen Förderkonzepts.

Pädagogisches Handeln in der aktuellenSituation

In der aktuellen Situation dient die Hypo-these keinesfalls ihrer eigenen Bestätigung,sondern als Folie, um (auch kleine) Verände-rungen zu bemerken und zu würdigen. Esist ja wünschenswert, dass die Hypothesenicht mehr stimmt, denn das bedeutet doch,dass Entwicklungsschritte stattgefunden haben. Wobei im Einzelfall natürlich auchStagnation oder Rückschritt sichtbar werdenkönnen, doch auch das ist wichtig zu reali-

sieren, um mit geeigneten Handlungskon-zepten darauf zu antworten.

Wichtig ist auch eine Einschätzung darüber,welches Sprechverhalten das Kind in der ak-tuellen Situation zeigt: Spricht es zögernd,langsam, leise, stockend, dann werde ich esnicht mit lauter Stimme und vielen Wortenzuschütten, sondern eher behutsam undzurückhaltend vorgehen. Hier geht es mög-licherweise erst einmal darum, dem Kindaufmerksam zuzuhören. Spricht es dagegenbereits zügig, fließend, unbefangen, passeich mich diesem Tempo und Schwung an,wirke als Modell und Bestätigung, als Part-ner seiner Sprechfreude.

2.6 Vierter Schritt: Die Situationtabellarisch dokumentieren

Dieser Schritt stellt den Abschluss einer Situation bewusster Sprachförderung dar:Die sozpäd. Fachkraft markiert den Namendes Kindes und hält Tag und Uhrzeit sowieDauer der Situation fest. Ergänzend kannsie in der Rubrik „Bemerkungen“ noch stich-wortartig eintragen, in welchem Rahmendie Situation stattfand oder was sie als beson-ders hilfreich und bemerkenswert erlebte.

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Situationen bewusster Sprachförderung

Dieser Schritt kostet nur wenige Minutenund hat doch einen weitreichenden Effekt:Die sozpäd. Fachkraft erhält einen Überblicküber die Häufigkeit von Situationen bewus-ster Sprachförderung. Sie sieht, welche Kin-der häufig in den Genuss kommen, welcheweniger oder gar nicht. Sie kann in kriti-schen Gesprächen mit Eltern den Nachweis„schwarz auf weiß“ erbringen, dass eineregelmäßige, gezielte Sprachförderung

stattfindet. Sie gewinnt eine Einschätzungdarüber, welchen Raum, im Vergleich zuanderen pädagogischen Aktivitäten, derBereich der Sprachförderung einnimmt.Wenn die Spalte „Bemerkungen“ einbezo-gen wird, entsteht ein Methodenfundus,der das eigene Handlungsspektrum zurSprachförderung erweitert, und/oder esergeben sich Hinweise auf konzeptionelleMängel, die reflektiert und verändert wer-

Zeitraum: Woche vom 13. – 17. November Sozpäd. Fachkraft: Sabine Mais

Name Erstsprache Datum / Uhrzeit Dauer Bemerkungen

Sabrina K. Deutsch 14.11. 15 Min. Geschichte zu selbstgemaltem Bild erzählt9.15 - 9.30 Uhr

Betty P. Englisch 14.11. 10 Min. Unterstützung der Muttersprache, engl. Lied10.50 -11.00 Uhr

Okran T. Türkisch 15.11. 20 Min. Gemeinsamer Einkauf11.20 -11.40 Uhr

Aysha K. Türkisch 16.11. 10 Min. Handpuppe schaffte Kontakt!14.10 -14.20 Uhr Unterbrochen durch Turnstunde

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den müssen. Hilfreich ist die Dokumentationauch zur Information neuer Kolleginnenoder Kollegen, die sich nach Krankheit oderUrlaub wieder ins Gruppengeschehen ein-finden müssen.

Wichtig ist, dass die Checkliste unmittelbargreifbar, also im Gruppenraum verfügbarist. Sozpäd. Fachkräfte berichten, dass eshilfreich sei, wenn zunächst jede Kolleginund jeder Kollege die Liste für sich führe,dies erleichtere das Vertrautwerden mitdem Schema und ermögliche ein Experimen-tieren mit der äußeren Form, bis das „Rich-tige“ gefunden sei. Ein Vergleich der Eintra-gungen unter Kolleginnen und Kollegenermöglicht es, in gegenseitiger Ergänzungund Unterstützung zu arbeiten.

Die hier vorgestellte Schrittfolge bewirkt,dass bewusste Sprachförderung nicht als„Extraaufgabe“ für sozpäd. Fachkräftedaherkommt, sondern ganz selbstverständ-lich zum Praxisalltag gehört: Sprachförde-rung wird hier nicht einseitig von außen andas Kind herangetragen, sondern entwik-kelt sich aus Kindersituationen und ist ganz-heitlich und stimmig mit dem Gesamtge-schehen verbunden. Im Idealfall wirken dieverschiedenen, hier vorgestellten Aspektezusammen und verdichten sich zu einemmaßgeschneiderten Sprachförderkonzeptfür das jeweilige Kind.

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Kinder erschließen sich ihre Umwelt han-delnd und sind immer dann besonders enga-giert, wenn sie aus einem eigenen Bedürfnisheraus handeln. Dabei zeigt sich, „dass dieWelt des Kindes nicht aus losgelösten undabstrakten Objekten besteht, sondern ausZusammenhängen, die durch das spezifischeInteresse des Kindes geknüpft sind.“ 39

Werden Kinder dagegen aus ihren (Spiel-)Zusammenhängen für eine Sprachübungherausgerissen, so besteht leicht die Gefahr,sie mit didaktisch aufbereiteten Materialienzu konfrontieren, die in der momentanenErfahrungswelt des Kindes keine Bezügefinden. Folge einer solchen Vorgehensweiseist in vielen Fällen die „Isolierung des Denkens von Wahrnehmung und emotiona-len Hintergründen. Wo Lernprozesse nicht mehr von einem leidenschaftlichenInteresse an der Wahrnehmung der Wirk-lichkeit getragen werden, müssen sie notwendig träge und flach werden. Allen-falls wird Geschicklichkeit gelernt, die aberohne wirklich existenzielle Bedeutungbleibt.“ 40

Auch in der Spracherwerbsforschung wird in diesem Zusammenhang darauf hingewie-sen, dass "das Kind (...) solche Sprachäuße-rungen aus der Umwelt (übernimmt), die eshäufig hört, und die für seine Wünsche undBedürfnisse von Bedeutung sind." 41

Für die Sprachförderung in Kindertagesein-richtungen ergibt sich daraus, Kinder mög-lichst im alltäglichen Miteinander in ihrerSprachentwicklung zu unterstützen. Es sindnämlich die alltäglichen Situationen, dieKinder aus einem eigenen Bedürfnis herausmotivieren, ihre Sprachkenntnisse voranzu-treiben. Dabei sollte der gesamte Alltag –also der Tagesablauf, die Raumgestaltung,Materialien/Spiele und auch die Öffnungzum Stadtteil hin – daraufhin überdachtwerden, wie er sprachfördernd gestaltet wer-den kann.

Sprachförderung im Alltag ist also keineweitere Extraaufgabe, die die sozpäd. Fach-kraft neben allem anderen auch noch bewäl-tigen muss. Vielmehr geht es darum, sensib-ler für sprachfördernde und sprachhemmen-de Aspekte zu werden, und die Arbeit dem-entsprechend Schritt für Schritt zu gestalten.In diesem Sinne kann sich Sprachförderung

3. Sprachförderung im pädagogischen Alltag

39 Schäfer, 1998, S. 43

40 Schäfer, 1995, S. 290

41 Grimm, a.a.O., S. 635 f

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

wie ein roter Faden durch den gesamtenAlltag der Einrichtung hindurchziehen undnicht als ein vom Alltag losgelöster Bausteinempfunden werden.

3.1 Offenheit und Orientierung im Tagesablauf

Damit Kinder motiviert sind, sich sprachlichzu äußern oder eine weitere Sprache zuerlernen, müssen sie sich wohl fühlen undein genügendes Maß an Sicherheit und Ver-trautheit entwickeln können. Vertrauens-volle Kontakte zu sozpäd. Fachkräften undKindern helfen, sprachliche Barrieren zuüberwinden.

Hierzu kann auch der Tagesablauf entschei-dend beitragen. So können immer wieder-kehrende Orientierungspunkte im Tagesab-lauf neuen Kindern und Kindern mit wenigDeutschkenntnissen Sicherheit geben, wennviel Neues und Unbekanntes auf sie ein-stürmt.

Da nicht alle Kinder gleich sind und nichtalle zum gleichen Zeitpunkt neu in die Kin-dertagesstätte kommen, sind die von dersozpäd. Fachkraft gesetzten Orientierungs-und Strukturierungshilfen immer wieder

daraufhin zu überprüfen, für welche Kindersie notwendig und sinnvoll und für welchesie wann zu verändern sind.

Mehr Offenheit und Flexibilität ist bei solchen Kindern gefragt, die bereits mehrSelbstvertrauen gewonnen haben. Damitsich diese Kinder in der Einrichtung wohlfühlen können, brauchen sie Tagesabläufe,die ihnen genügend Zeit einräumen, ihreSpiele, Entdeckungen und Erfahrungennach eigenem Rhythmus aufzubauen undabzuschließen. Starre Tagesabläufe tragenhier eher dazu bei, dass sie aus ihren Spiel-prozessen herausgerissen werden und damitauch das Engagement der Kinder bremsen,von ihren Erlebnissen zu erzählen.

In Kindergruppen ist immer wieder zu be-obachten, dass manche Kinder in Stuhlkrei-sen, an denen alle Kinder teilnehmen müs-sen und die jeden Tag zu einer bestimmtenUhrzeit stattfinden, Schwierigkeiten haben,zuzuhören und etwas zu sagen. „Mit demtraditionellen Stuhlkreis, in dem mit derganzen Gruppe gesungen, gespielt, gespro-chen oder ihr vorgelesen wird, habe ichkeine guten Erfahrungen gemacht. Sehr vie-le Kinder sind überfordert, über längere Zeit still zu sitzen und sich zu konzentrieren.Viele ausländische Kinder fühlen sich imStuhlkreis nicht wohl, weil sie wenig oder

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gar nichts verstehen können und trotzdemgezwungen sind, über einen gewissen Zeit-raum still zu sitzen. Dadurch entsteht eineUnruhe, die allen das Vergnügen am Stuhl-kreis verderben kann.“ 42

Auch sollten Angebote, die für die gesamteGruppe initiiert werden, daraufhin befragtwerden, ob tatsächlich alle Kinder daranteilnehmen müssen oder ob nicht auch hiereine flexible Handhabung möglich ist.

Die Flexibilität im Tagesablauf wird durcheine differenzierte Gruppenarbeit unter-stützt, d.h. Kinder können sich – ihren jewei-ligen Bedürfnissen und Spielinteressen ent-sprechend – zu Gruppen zusammenfindenoder zurückziehen. Dabei können sie –sowohl mit als auch ohne Unterstützung dersozpäd. Fachkraft – ihren Aktivitäten undKontakten zu anderen Kindern nach eige-nem Rhythmus nachgehen. Dies trägt dazubei, dass sie sich in ihre Tätigkeiten vertie-fen können, die sie im Moment oder auchüber mehrere Tage hinweg besonders inter-essieren. Gerade diese Qualität von Engage-ment ist es, die Kinder dazu motiviert, sichauch sprachlich mitteilen zu wollen und diesie manche Hemmschwelle, sich in einerZweitsprache ausdrücken zu müssen, ver-gessen lässt.

Auch bei einem scheinbaren Fixpunkt, wie dem Mitagessen, hat es sich bewährt, ein-mal neue Möglichkeiten auszuprobieren: So hat z.B. eine Einrichtung gute Erfahrun-gen damit gemacht, den Kindern zwei Zeiten im Abstand von 45 Minuten zum Mittagessen anzubieten. Jeden Tag könnensich die Kinder entscheiden, ob sie lieberfrüher oder später essen wollen. Entschei-dungsgrundlage ist dabei sicher zum einender Hunger, aber auch, ob sich ein Kind mitten in einem wichtigen Spiel befindet. Je nach „Tagesform“ kann es auch sein, dassdas eine oder andere Kind noch Entschei-dungshilfen braucht.

Das Mittagessen wird sich viel eher als einsprachförderndes Ereignis im Alltag entpup-pen, wenn die Kinder selbst entscheidenkönnen, wann sie kommen und dabei für siewichtige Spiele abschließen oder zu einemvorläufigen Ende bringen konnten. Es istauch leicht vorstellbar, dass Kinder, die ausSpielprozessen herausgerissen wurden, ehermissmutig am Mittagstisch sitzen, ihrenÄrger kundtun, indem sie unruhig werdenund vielleicht andere stören, dass sie aufjeden Fall weniger mit Sprachfreude vonsich erzählen werden.

42 Jakubeit, 1988, S. 99

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

Sich an den Bedürfnissen von Kindern fürdie Sprachförderung zu orientieren be-deutet also, flexibel für die Gestaltung desTagesablaufs zu werden. Kontinuierlichdurchgeführte Beobachtungen und Situa-tionsanalysen helfen bei der Entscheidung,welche Unterstützung Kindern hinsicht-lich ihres Bedürfnisses nach Orientierungsowie Freiraum und Zeit für ihre Eigenakti-vitäten angeboten werden sollte.

3.2 Räume regen zum Sprechen an

„Räume sprechen eine deutliche Sprache.Sie geben Auskunft über die Gestalter, dieBenutzer, über ihre Beziehungen zueinan-der und über das Geschehen, das ein Raumzulässt oder behindert.“ 43

Es gibt Räume, die auf An-hieb einladend und gemüt-lich wirken, auch einladen,miteinander ins Gesprächzu kommen. In anderenRäumen verschlägt es unsbuchstäblich die Sprache,weil sie kalt und unpersön-lich wirken oder voll vonDingen sind, die uns fremdvorkommen, die uns auf

Distanz gehen lassen. Wiederum andereRäume, wie Kirchen oder Museen, könnenuns durch ihre Atmosphäre signalisieren,leise zu sprechen. Die Raumgestaltung wirktsich also auf die Sprache der Menschen aus,die sich darin bewegen. Sie kann Sprech-gewohnheiten verändern, zum Sprechenermuntern, aber auch Sprache behindern.

Die Raumgestaltung kann in diesem Sinnedazu beitragen, dass sich Kinder mit ihrenunterschiedlichen Bedürfnissen nach Bewe-gung, Rückzug, Orientierung, Gestaltungs-freiheit und Experimentierfreude wiederfin-den können. Eine flexible Raumgestaltungkommt dabei der Veränderung von Bedürf-nissen der Kinder entgegen: „Räume ver-ändern sich, weil sich die Menschen und wassie bewegt ändern. Räume haben eine Ge-schichte, Platz für persönliche Spuren und

43 Kazemi – Veisari, 1996, S. 37 f

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lassen Inhalte erkennen, mit denen Kinderaktuell beschäftigt sind.“ 44

Es gibt viele Möglichkeiten, damit dieRaumgestaltung „in Bewegung kommt undin Bewegung bleibt:“ 45

„Regale und Kleinmöbel auf standfestenMöbelrollen

leichte, kleine Tische, die von Kindern getragen werden können

Wohnlandschaften aus Kisten und Kartons...

bereits montierte Wäscheleinen und Klammern, mit denen Kinder selbständigVorhänge auf- und abhängen können.“ 46

Räumliches Wohlbefinden – ein Motor für die Sprechfreude

Was als wohltuend und vertraut in Räumenerlebt wird, welche Möblierung, Farbge-staltungen, Lichtintensität, Größe und FormWohlbefinden auslösen, kann sehr unter-schiedlich sein. Mit der Vielfalt an Kulturen,aber auch der Unterschiede innerhalb einerKultur nimmt die Bandbreite an Gestal-tungsmöglichkeiten von Räumen, in denenKinder heutzutage aufwachsen, zu.

Es lohnt sich, den Blick auf das familiäreLebensumfeld des einzelnen Kindes zu richten, um herauszufinden, was Kindern inihren eigenen vier Wänden lieb und ver-traut ist.

Vielleicht lässt sich bei einem Hausbesuchein geeigneter Gegenstand finden, den dieKinder mitnehmen und für eine gewisse Zeitausleihen dürfen – z.B. ein Tuch, mit demRäume geteilt oder Möbel verhangen wer-den, ein Kleidungsstück, das die Eltern nichtmehr brauchen und das nun zum Rollen-spiel zur Verfügung steht, vielleicht auch einBild oder ein typischer Gegenstand aus demHerkunftsland der Familie, zu dem ein be-sonderer emotionaler Bezug besteht. Wer-den diese Gegenstände selbstverständlich in die Raumgestaltung integriert, könnensich daraus zahlreiche Anlässe für Gesprächezwischen der sozpäd. Fachkraft und denKindern bzw. der Kinder untereinander er-geben.

Auch eine Puppenecke, die so geräumiggestaltet ist, dass Kinder mit Migrations-hintergrund darin im Rollenspiel ihren Le-bensbereich aufgreifen können, kann zumWohlbefinden der Kinder beitragen undihre Sprechfreude unterstützen.

¢

¢

¢

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44 Lipp – Peetz, 1998, S. 21

45 Demandewitz, 1999, S. 196

46 Haucke, 1998, S. 151

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

Neues entdecken – Neugierde wecken – ein Motor für das Mitteilungsbedürfnis vonKindern

Kinder haben Spaß daran, Neues zu ent-decken und zu erforschen, wenn sie sich si-cher fühlen und ein genügendes Maß anVertrauen entwickelt haben. Auch Räumekönnen so gestaltet werden, dass sie Sicher-heit geben und in ihnen immer wiederNeues erforscht werden kann, indem einzel-ne Ecken und Plätze mit den Kindern ver-ändert werden oder neue Gegenstände ausden Familien der Kinder für eine gewisseZeit der Kindertageseinrichtung ausgeliehenwerden. Was bei dem einen Kind ein Gefühlvon Vertrautheit auslöst, weil ihm dieseGegenstände bekannt vorkommen, kann beieinem anderen Kind ein Neugierverhaltenwecken. Immer dann, wenn Kinder besondersneugierig sind oder sich besonders enga-giert mit etwas befassen, werden sie sichmit ihrer neuen Entdeckung auch mitteilenwollen.

Räume selbst gestalten - Kompetenz und Sprechfreude stärken

Wenn Kinder gefragt werden oder über Bilder malen ausdrücken, wie sie sich ihreRäume gestalten würden, spiegelt dies einStück ihrer Lebenswelt und ihrer persön-

lichen Sichtweisen wider. Indem Kinderdarin unterstützt werden, ihre Vorstellungenvon Raumgestaltung gemeinsam mit Hilfeder sozpäd. Fachkraft umzusetzen, machensie sich die Räume der Einrichtung zu eigen. Sie erhalten die Möglichkeit, sich ein Stück

Zuhause zu schaffen – einen Ort zum Wohlfühlen, Vertrauen, Sicherheit und Selbst-wert finden. Auch nicht gestaltete Ecken in-nerhalb eines Raumes können Kinder dazueinladen, selbsttätig zu werden.

Selbst gestaltete Räume sind eine solideBasis, um sich auf neue, auch sprachlicheLernschritte einzulassen.

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Zwei Kinder haben im Gebüsch des Außen-geländes eine Raupe gefunden. Besonderslustig finden sie, wie sie sich bewegt. Davoninspiriert, versuchen sie, die Bewegungnachzuahmen. Es entstehen u.a. Gesprächedarüber, wie eine Raupe schläft, was sieisst und wo wohl die Eltern der Raupesind, denn die Raupe sieht noch ganz jungaus. Manche Kinder malen Bilder, mitdenen sie ihre Ideen hierzu ausdrücken. Esentstehen „Schlafhöhlen“ für Raupen aus Kissen und Tüchern, die jeden Tag weiterausgebaut werden. Als ein Kind erklärt,wie aus einer Raupe ein Schmetterlingentsteht, bauen die Kinder aus Pappkar-tons und Decken einen Ruheraum für„Schmetterlinge im Raupenbauch“. ÜberTage hinweg sind einige Kinder mit die-sem Thema beschäftigt. Ihre Werke habenihren Platz im Raum. Sie werden nicht aufgeräumt, sondern stehen den Kindernzur Verfügung, um jeden Tag aufs Neuedaran anzuknüpfen. Nach und nach müs-sen hierbei ein Regal und ein Tisch von seinem üblichen Platz entfernt werden.Andere Kinder haben Spaß daran, dasshierdurch an anderen Orten des Raumesneue Ecken entstehen. Die sozpäd. Fach-kraft unterstützt den Gestaltungseifer derKinder, indem sie in passenden Momentennachfragt und sich erklären lässt, in welcher„Bauphase“ die Kinder gerade stecken.Die Phantasie und Experimentierfreudeder Kinder geben ihr jede Menge Anknüp-

fungspunkte, um mit den Kindern insGespräch zu kommen und dabei zugleich ihresprachlichen Fähigkeiten zu unterstützen.

Sich wohl fühlen, Neugierde wecken undselbst gestalten sind somit die Schlüsselwör-ter für eine Raumgestaltung, die Kinderzum Sprechen ermuntern.

Die Raumgestaltung auf diese Aspekte hinimmer wieder neu zu befragen, bedeutet,den Kindern ein Sprachrohr für ihre Bedürf-nisse zu geben und sie dabei gleichzeitig inihrer Sprechfreude zu unterstützen.

3.3 Die Vielfalt von Materialien und Medien nutzen

Nachdem die sozpäd. Fachkraft über Beobach-tungen und schriftliche Aufzeichnungeneinen Überblick über die sprachlichen Fähig-keiten gewonnen hat, stellt sich die Frage,welche Art der Sprachanregung das einzel-ne Kind in der Gruppe braucht. SprachlicheFörderung kann z.B. für Mirko bedeuten,dass er gezielte Sprachanregungen braucht,für Elena, dass sie mehr Zeit für ihre sprach-lichen Äußerungen benötigt, weil ihre Mit-teilungen noch sehr ungeschickt sind, fürAnna, dass sie bei ihren Äußerungen weni-ger unterbrochen oder korrigiert wird, und

fungspunkte, um mit den Kindern ins Ge-spräch zu kommen und dabei zugleich ihresprachlichen Fähigkeiten zu unterstützen.

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

für Jens, dass er lernt, sich auch sprachlichauszudrücken, denn allzu oft reagierenErwachsene auf seine Mimik und Gestik,weil es dann schneller geht.

Voraussetzung für eine konkrete Unterstüt-zung der sprachlichen Fähigkeiten von Kin-dern ist, über Beobachtung herauszufinden,auf welche verbale und nonverbale MittelKinder zurückgreifen, um sich anderen mit-zuteilen.

Um ihre sprachlichen Fähigkeiten entwickelnzu können, brauchen Kinder eine Atmos-phäre, in der sie sich von der sozpäd. Fach-kraft und den anderen Kindern akzeptiertwissen und sich wohl fühlen können. Auchbrauchen sie Situationen, in denen ihreSprechfreude aufgegriffen wird, in denensie zum Sprechen ermutigt und Anlässe zumSprechen über gemeinsames Spiel und Tunhergestellt werden. Kinder können sichüber Singen, Tanzen, Bewegungsspiele undRhythmik einbringen, was ihnen helfenkann, Selbstvertrauen aufzubauen. Kim-spiele führen zu einer anschaulichen Sprach-vermittlung, weil Kinder erfahren, wie sichetwas anfühlt, wie etwas schmeckt oderriecht. Das Spiel mit Handpuppen und Mario-netten erleichtert die Kontaktaufnahme zuund zwischen Kindern. Des weiteren kön-nen Fingerspiele, Reime und einfache LiederKinder mit geringen Deutschkenntnissenzum Mitmachen motivieren.

In ihrer Arbeit findet die sozpäd. Fach-kraft also eine Vielfalt an Materialien undMedien, die in den Spielsituationen der Kinder zur Förderung der sprachlichenFähigkeiten beitragen kann.

Neben diesen sprachanregenden Situa-tionen und Gelegenheiten, die durch Bereit-stellen von Materialien, durch eine ent-sprechende Gestaltung der Räume und desTagesablaufs ermöglicht werden, kann diesozpäd. Fachkraft im Rahmen differenzier-ter Gruppenarbeit Impulse und Angebotezur sprachlichen Förderung einbringen.Diese von ihr initiierten Angebote sollten inSpiel- und Handlungssituationen eingebun-den sein und ein ganzheitliches Vorgehenerkennen lassen, bei dem unterschiedlicheSinne und Bereiche angesprochen werden,z.B. Hören und Sprechen, Sprechen und Sin-gen oder Singen und Sich-bewegen. ÜberBeobachten, Nachfragen und Handeln ler-nen Kinder die Eigenschaften von Dingenund Gegenständen kennen, nehmen Dingeund ihre Veränderungen wahr und erwei-tern ihren Wortschatz. Es ist also wichtig, im Kindergarten „ein sprachanregendes Milieu zu schaffen und die vielfältigen An-satzpunkte aufzugreifen, um die Sprach-kenntnisse der Kinder, in lebendige Hand-lungszusammenhänge eingebettet, in spie-lerischer Form, aber inhaltlich gezielt zu erweitern, zu vertiefen.“ 47 47 Akpinar, Zimmer, 1984, S. 63

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Wesentlich bei den Angeboten zur Sprach-förderung ist, dass die sozpäd. Fachkraft sol-che Bereiche auswählt, die an den Erfahrun-gen des Kindes anknüpfen und für das Kindbedeutsam sind. So ist es für die Orientie-rung im Kindergarten wichtig, dass Kindersich in den verschiedenen Räumen zurecht-finden, dass sie mit den Spielmaterialienvertraut werden und dass sie die anderenKinder in der Gruppe kennenlernen, bevorsie sich Bereiche außerhalb der Einrichtungerschließen.

Anlass zu einer sprachlichen Förderung kann jedes Spiel, jede Aktivität und Tätig-keit sein, soweit es die Situation der Kinderzulässt. Kinder entwickeln ihre sprachlichenFähigkeiten, wenn sie einerseits Sprache er-leben und Erwachsenen beim Sprechen zu-hören und wenn sie sich andererseits mittei-len, Sprache erproben können. Wie jedesLernen erfordert auch sprachliches Lerneneine bestimmte Regelmäßigkeit. Leider wer-den die vielfältigen Möglichkeiten der sprach-lichen Förderung, wie Beobachtungen zeigen, in der Praxis allzu wenig genutzt. Sowird u.a. das Gespräch mit Kindern aus„zeitlichen Gründen“ in der Regel vernach-lässigt, weil es anscheinend nicht als ein Element der Arbeit angesehen wird, son-dern als etwas, das zu dem bisher Geforder-ten noch dazu kommt. Daher ist es wenigverwunderlich, dass der Ruf nach Sprachtrai-ningsprogrammen zur Behebung von

sprachlichen Defiziten zunimmt. Dabei wirdoftmals übersehen, dass Sprachförderung im Rahmen eines isolierten Sprachtrainingseine wenig effektive Methode ist und dassKinder stärker motiviert sind, wenn sprachli-ches Lernen im Kontext von Spielsituationenstattfindet. Wenn man aber allen Kinderngleiche Chancen im Hinblick auf ihre schuli-sche und berufliche Situation eröffnen will,ist es notwendig, die sprachliche Förderungaus ihrer wenig beachteten, untergeordne-ten Rolle, die ihr in der Regel im pädagogi-schen Alltag zugewiesen wird, herauszuho-len. ULICH verweist darauf, dass Spracheund Sprachförderung immer dann zum The-ma werden, wenn Probleme auftreten. Not-wendig sei aber, sprachanregenden Aktivi-täten einen entsprechenden Stellenwert inder pädagogischen Praxis einzuräumen.Dies sei vor allem im Hinblick auf die Kinderangebracht, die zu Hause wenig sprachlicheAnregungen erfahren und daher bei derEinschulung deutlich benachteiligt seien.

Sprachförderung konkret

Im folgenden werden unterschiedlicheMöglichkeiten der Sprachförderung, die imKindergarten vorhanden sind, vorgestellt.Hierbei geht es darum, den Alltag in seinerVielfalt für eine „bewusste“ und regelmäßi-ge Sprachförderung zu nutzen. Mit Hilfe derunterschiedlichen Spiele und Aktivitäten

N O T I Z E N

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lassen sich Artikulation, Wortschatz, Wort-formen, Begriffsbildung und Satzbau an-eignen, differenzieren und erweitern. Wennabzusehen ist, dass die im pädagogischenAlltag eingesetzten Materialien für einzelneKinder nicht ausreichen, ist es die Aufgabeder Erzieherin, diesen Kindern weiteregezielte Angebote im Rahmen differenzier-ter Gruppenarbeit zu unterbreiten.

Bei den Überlegungen zur sprachlichen För-derung kommt dem Gespräch mit Kinderneine besondere Bedeutung zu. Dabei meint„Gespräch“ mehr als nur ein Abfragen oder

Ansprechen bzw. etwas anzuordnen. An-lässe für Gespräche mit einzelnen Kindernoder in kleinen Gruppen können sehr viel-fältig sein und sich bei unterschiedlichenSituationen ergeben: beim Frühstück oderMittagessen, beim Waschen oder Anziehen,beim Malen oder Basteln, beim Betrachtenvon Bildern oder Bilderbüchern oder überHand- und Tierpuppen in Gang gesetzt wer-den. Gespräche geben Kindern die Chance,bekannte Sprachmuster zu verfestigen und neue zu erproben. Ein Raster kann dersozpäd. Fachkraft dabei helfen, ihre Ge-sprächskontakte mit Kindern zu reflektieren.

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

Woche vom:

Name des Kindes Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag

Zoe N.

Sabine K.

Murat A.

Umay Ö.

Holger N.

Ayse D.

!! !! !!! !!

!! ! !!! !

! !! !! !

! !! !! !

!! ! !

!! !! !! !!

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Fragen zur Auswertung:

¢ Mit welchem Kind spricht die sozpäd.Fachkraft besonders wenig?

¢ Mit welchen Kindern besonders viel?¢ Sind die Gespräche vom Kind ausgegangen

oder von der sozpäd. Fachkraft initiiert?¢ Welches Kind braucht nach Einschätzung

der sozpäd. Fachkraft eine gezielteSprachförderung?

¢ Werden diese Kinder in der alltäglichenArbeit ausreichend berücksichtigt?

¢ Bei welchen Kindern hat der Kontakt imLaufe der Woche/der letzten Wochennachgelassen?

¢ Woran kann dies liegen?

Bei einem Vergleich der Aufzeichnungender Kolleginnen und Kollegen in einerGruppe ergeben sich noch folgende Fragen:

¢ Gibt es Kinder, die von beiden zu wenigoder gar nicht angesprochen werden?

¢ Woran kann dies liegen?¢ Wer wird sich im Hinblick auf sprach-

fördernde Situationen um welches Kindgezielt bemühen?

Neben dem Sprechen erfahren Kinder überdas Zuhören, wie sie ihre Sprache weiterent-wickeln können. Über regelmäßiges Vorle-sen und Erzählen von Geschichten und Mär-

chen erhalten sie neue sprachliche Anregun-gen, bereits bekannte Wörter und Satzmu-ster werden vertieft. Während im Gesprächdas Gesagte vielfach mit Handlungen ver-bunden ist oder in bestimmten Situationenerfolgt, z.B. beim Anziehen, und Kinder oftmals ungefähr wissen, worum es geht,lernen sie beim Vorlesen und Erzählen, „sichauf eine rein sprachlich vermittelte Bot-schaft zu konzentrieren und zu entschlüs-seln.“ 48 Beim Vorlesen und Erzählen werdenInhalte vermittelt, die von den Kindern ver-standen und interpretiert werden müssen.Studien zeigen, dass regelmäßiges Vorlesenund Erzählen in Kleingruppen Kinder inihrer Sprachentwicklung deutlich fördern.49

Eine Möglichkeit mit Kindern ins Gesprächzu kommen, bieten Bilder und Bilderbücher.

Bei den Bilderbüchern kommt es beim Be-trachten und Zuhören zu einer Verknüpfungvon Gesehenem und Gehörtem. Auch wer-den die Kinder zum Sprechen, Nachfragenund zu freien Assoziationen angeregt, in-dem die sozpäd. Fachkraft die Kinder durchentsprechende Fragen anhält, die Bilder zubeschreiben, Einzelheiten zu erkennen und zu benennen.

Erfahrungsgemäß gibt es Geschichten, dieKinder immer wieder hören möchten, undzwar mit dem gleichen Text, der gleichen

48 Ulich, 1999, S. 24

49 Vgl. Ulich

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

Betonung, Mimik und Gestik. Hier könnensich Sprache und Sprachmuster über Wie-derholung einprägen. Dabei ist allerdingsanzumerken, dass Bilderbücher konkreteErfahrungen in der realen Situation nichtersetzen sollen und können und dass dieKonzentrationsfähigkeit vor allem der Kin-der mit geringen Sprachkenntnissen sehrbeansprucht wird.

Bei der Auswahl von Bilderbüchern sind die Illu-strationen, die sprachlicheAufbereitung und der In-halt zu beachten.

Die Bilder sollten realistischdargestellt sein und die we-sentlichen Merkmale derabgebildeten Gegenständeenthalten, so dass die Kin-der ohne große Mühe dieenthaltenen Informationenentschlüsseln können. Diesgilt in besonderer Weiseauch für die textfreien undtextarmen Bilderbücher. Bei einer Über-frachtung der Bilder kann das Interesse desKindes an einer genauen Beobachtung undsprachlichen Wiedergabe sinken.

Um Kinder nicht zu über- oder zu unterfor-dern, sollte sich die sprachliche Darstellungan den Sprachkenntnissen der Kinder ori-entieren. In einer multikulturellen Gruppekann den unterschiedlichen Sprachkenntnis-sen am ehesten Rechnung getragen wer-den, wenn Bilderbücher in kleinen Gruppenangesehen werden.

Zudem sollten die Inhalte an den Erfahrun-gen der Kinder anknüpfen. Dies bedeutet,dass auch Bücher aus dem Erfahrungsbe-reich der Kinder mit Migrationshintergrundin der Einrichtung vorhanden sein sollten.Diese Bücher können Kindern Vertrautheit

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in einer fremden Umwelt geben, lässt sie ein„Stück ihrer Welt“ in den Büchern wieder-finden. Dadurch haben Kinder mit geringenDeutschkenntnissen auch die Möglichkeit,ihnen bereits Bekanntes, Vertrautes in derdeutschen Sprache zu benennen.

Dieses Ziel kann auch über das Erstellen eige-ner Bilderbücher erreicht werden. Grund-lage könnten Fotos aus den Heimatländernder Kinder sein, die die Eltern sicherlich aufNachfrage zur Verfügung stellen.

Es können aber auch Bilderbücher zu ande-ren Themen erarbeitet werden, wenn dieErzieherin mit den Kindern einen Besuch imZoo macht, auf den Wochenmarkt geht.Anlässe zum Gespräch ergeben sich sowohlbeim Erstellen der Bücher als auch beim späteren Anschauen.

Auch sollten Kinder in multikulturellenGruppen zweisprachige Kinder- und Bilder-bücher, wie sie von verschiedenen Verlagenangeboten werden, im Kindergarten vor-finden.

Bei Liedern, Sing- und Tanzspielen werdenSingen und Sprechen mit Handlungen ver-bunden. Kinder können die Bedeutung vonWörtern über Augen, Ohren, Hände undBewegung des Körpers erfahren, wenn sie

singend aufeinander zugehen, sich anfassenoder etwas miteinander tun. Auch Kindermit geringen Sprachkenntnissen könnensich hier beteiligen, da sie zumindest einenTeil der Bedeutung der Wörter der Situationentnehmen können. Die Textinhalte soll-ten sich auf Handlungen oder Situationenbeziehen, die Kindern – wenn es nötig ist –über Anschauungsmaterial, Handlungenoder einfache Erklärungen deutlich ge-macht werden. Um Missverständnisse aus-zuräumen, sollten unbekannte Wörterzunächst erklärt werden.

Für sprachgehemmte Kinder bietet die Gruppe den notwendigen Schutz, ihreSprachhemmungen zu überwinden.

Über Wiederholung und Reihung von Textstellen, wie sie in Liedern, Sing- undTanzspielen vorkommen, prägen sich demKind sprachliche Strukturen ein, die es auchin anderen Zusammenhängen einsetzenkann.

„Lieder schaffen eine angstfreie Situation,verbinden Sprache mit pantomimischen undrhythmischen Bewegungen und können mitimmer neuen Handlungsvorschlägen variiertwerden.“ 50

50 Müller, Rösch, a.a.O., S. 118

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

Bei Kindern, die über geringe oder keineDeutschkenntnisse verfügen, ist der musika-lisch-rhythmische Bereich ein Zugang zurSprache, der Kindern in der Regel viel Freudebereitet. Kinder können sich hier beteiligen,ohne auf Sprache angewiesen zu sein.

Der Einsatz von Medien für Kinder, insbe-sondere von Hörspielkassetten, kann dazubeitragen, der mehrsprachigen Situation inder Kindergruppe gerecht zu werden. Da eswohl den meisten deutschen sozpäd. Fach-kräften nicht möglich ist, auch nur eine derzahlreichen Erstsprachen der Kinder zu spre-chen, kann mit Hilfe von Kassetten Kindernvermittelt werden, dass ihre Erstspracheihren Platz in der Arbeit hat. Kinderliteraturund Kinderlieder in der Erstsprache der Kinder können eine anregende Ergänzungfür alle Kinder der Gruppe sein.

Spiele unterschiedlicher Art, wie Tisch-, Kreis-und Rollenspiele, sind Bestandteil kindlicherAktivitäten. Das Spiel gibt Kindern die Mög-lichkeit, sprachliche, soziale und sachlicheErfahrungen zu machen und zu verarbeiten,neue Fertigkeiten zu erwerben. Da mit demSpiel Sprache verknüpft ist, ergeben sich hierzahlreiche Gelegenheiten zur sprachlichenFörderung.

Fingerspiele gibt es für Kinder unterschied-licher Altersstufen als auch mit unterschied-lichen Sprachkenntnissen. Bei Fingerspielenwird Sprache über symbolische Mittel ver-deutlicht. So wird z.B. bei „Himpelchen undPimpelchen“ das Klettern über das Krabbelnder Finger angedeutet. Dies erleichtert Kindern mit geringen oder keinen Sprach-kenntnissen den Zugang zur Sprache bzw.ermöglicht die Teilnahme am Spiel.

Bei Kreis- und Singspielen sind es die Wieder-holung von Textstellen, das gemeinsameSingen und Sprechen, Spieldialoge, der Ein-satz akustischer Mittel, wie laut und leiseSprechen, der Einsatz von Mimik und Gestik,das Umsetzen in Bewegung, die zu einerVerbindung von Sprache und konkreten Er-fahrungen führen und Kindern damit dasVerstehen erleichtern.

Kimspiele führen zu einer anschaulichenSprachvermittlung. Die Kinder können füh-len, ob etwas hart oder weich, rauh oderglatt ist, wie etwas riecht oder ob etwas süßoder salzig schmeckt. Mit Hilfe von Kimspie-len werden die verschiedenen Sinne vonKindern angeregt. Die Ausbildung und Dif-ferenzierung der sinnlichen Wahrnehmungwiederum ist von Bedeutung für die geisti-ge Entwicklung von Kindern.

N O T I Z E N

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Wenn sich Kinder zunächst nicht am Erratenvon verschwundenen Gegenständen oderverdeckt vorgeführten Geräuschen beteili-gen können, weil ihnen noch die jeweiligenBegriffe fehlen, kann ihnen die sozpäd.Fachkraft helfen, indem sie die Gegenstän-de vorstellt, die Geräusche vorführt undjeweils benennt.

Eine Erweiterung des Wortschatzes erreichtdie sozpäd. Fachkraft über Ratespiele, dienach dem Namen (Ich heiße...und wie heißtdu?), nach Kleidung und Farben (Mein Rockist gelb...und was ist rot?) (Ich sehe was, wasdu nicht siehst und das ist blau), nach Kör-perteilen (Das ist mein Kopf...Name des Kin-des: Wo ist deine Nase?) oder auch nachgrammatikalischen Elementen fragen (Wositzt der Teddybär? ...auf dem Stuhl, unterder Bank, neben dem Tisch) oder (Ist diePuppe in diesem Raum? ...unter dem Tisch,auf dem Schrank).

Sprachspiele zeigen immer wieder, wie spielerisch Kinder mit der Sprache umgehen,wenn sie Worte verdrehen, wenn sie versu-chen herauszufinden, welche Wörter sichreimen, bzw. über welches kreative Poten-tial Kinder verfügen, wenn sie sie entspre-chend der eigenen Situation abändern. Mitsolchen Sprachspielen, seien es Abzählverseoder Reime, üben Kinder ihre sprachlichenFertigkeiten. Bei Reimen sollte die sozpäd.

Fachkraft nur solche auswählen, die von den Kindern verstanden werden und die siesprachlich bewältigen können. Nur solcheReime machen Kindern Spaß.

Tischspiele, wie Domino- und Memoryspie-le, Bilderlotto oder Puzzles, werden von Kin-dern gerne gespielt. Diese Spiele müssen in der Regel schrittweise eingeführt und inmultikulturellen Gruppen oftmals zunächstvereinfacht werden. Wenn sie zur Sprach-förderung genutzt werden sollen, ist daraufzu achten, dass die Kinder beim Zusammen-suchen von Bildkarten, beim Paare legenauch sprechen. Die Kinder benennen, z.B.beim Memoryspiel, was sie auf der aufge-deckten Karte sehen.

Eine andere Möglichkeit ist, dass die sozpäd.Fachkraft bei der Einführung eines Spiels die Bilder mit den Kindern bespricht und an-fangs auch die „Sprecherin“ im Spiel ist undbenennt, was die Kinder aufgedeckt undzusammengelegt haben.

Wichtig erscheint hierbei, dass die Kinder –soweit es möglich ist – zunächst konkreteErfahrungen mit den auf den Karten abge-bildeten Gegenständen machen konntenund das Memoryspiel eher zur Verfestigungvon Begriffen eingesetzt wird. D.h. das

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

Kind erfährt zunächst, wie sich eine Apfel-sine anfühlt, wie man sie schält, wie sieriecht, wie sie schmeckt, erst danach solltees das Bild einer Apfelsine auf der Memory-karte wiedererkennen und benennen.

Rollenspiele erfreuen sich im allgemeinengroßer Beliebtheit bei Kindern. Rollenspielein der Puppen- und Bauecke oder am Kauf-laden führen zu einer Erweiterung der sprach-lichen Fähigkeiten von Kindern, wenn siez.B. beim Kaufladenspiel die einzelnen Wa-ren benennen und Sätze bilden, um ihreWünsche auszudrücken. Im Rollenspiel lerntdas Kind, eine Situation zu erfassen, sich aufden Spielpartner einzustellen, dem Spiel-partner zuzuhören und sich der Situationangemessen sprachlich auszudrücken.

Die Spielaktivitäten der Kinder bei Rollen-spielen kann die Erzieherin erweitern, indemsie weiteres Spielmaterial zur Verfügungstellt oder Spielideen anbietet, z.B. Kartonsals Ofen für eine Bäckerei, Lockenwicklerfür ein Friseurspiel bereitstellt, in die Verklei-dungskiste einzelne Kleidungsstücke ausden Heimatländern der Kinder aus zugewan-derten Familien hineinlegt oder einen offe-nen Kleiderschrank einrichtet, indem die ein-zelnen Kleidungsstücke für die Kinder sicht-bar auf Kleiderbügeln aufgehängt werden.

Bei der Erweiterung des Rollenspielmate-rials ist auch das Bereitstellen von zwei Telefonen empfehlenswert, weil die Kinder hierdurch angeregt werden, miteinander zusprechen. Hierbei kann es anfangs hilfreichsein, wenn die sozpäd. Fachkraft zunächstTelefonpartner für die Kinder ist. Mikrofonekönnen Kinder dazu anregen, „Reporter“ zuspielen und sich dabei gegenseitig zu inter-viewen. Werden diese Interviews auf Ton-band aufgenommen, können sie evtl. fürSprachstandsanalysen verwendet werden.

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Das Spiel mit Handpuppen und Marionet-ten, eine Möglichkeit miteinander zu spre-chen, erleichtert gerade zur Anfangszeit dieKontaktaufnahme zu Kindern. Für das Kindist die Puppe der Ansprechpartner, und diesozpäd. Fachkraft tritt hinter der Puppezurück.

Die Handpuppe oder Marionette begrüßtdie Kinder morgens, fragt nach ihrem Namen, stellt sich und die Kinder vor bzw.die Kinder stellen sich selbst vor, die Hand-puppe telefoniert mit einem Kind und fragt nach, was es gemacht, womit es sichbeschäftigt hat.

Manchmal scheuen sich Kinder auch, diesozpäd. Fachkraft oder andere Kinder direktanzusprechen, weil sie sich unsicher fühlenoder evtl. Angst haben, ausgelacht und nichtverstanden zu werden. Ein Gespräch mitHandpuppen oder Marionetten gibt Kinderndie Möglichkeit, über diese „Vermittler“ihre Ängste, Wünsche und Erlebnisse zu er-zählen. Dieser indirekte Weg baut Hemmun-gen ab, und das Kind kann sich sicherer fühlen.

Handpuppen und Marionetten eignen sichebenfalls dazu, Spielsituationen anzuregen,in denen sich Kinder ohne Zwang artiku-lieren können.

Um die sprachlichen Fähigkeiten von Kin-dern über den Kindergartenalltag hinaus zuerweitern und damit Kindern die Umwelt zu erschließen, sind Besuche, z.B. in der Post,auf dem Wochenmarkt, im Zoo, im Schwimm-bad, in kleinen Handwerksbetrieben undAusflüge, z.B. in einen nahegelegenen Parkoder Wald, zu einem Bauernhof, zu empfeh-len. Die Kinder erleben, z.B. welches Obst,Gemüse ... auf dem Wochenmarkt angebo-ten wird, dürfen vielleicht Obst für einenObstsalat einkaufen, den sie später im Kin-dergarten anrichten und essen. Hierbei er-geben sich vielfältige Möglichkeiten, Kindermit verschiedenen Obstsorten sprachlichbekannt zu machen.

In einem nächsten Schritt lassen sich dieseEindrücke der Kinder über Malen, z.B. einesBildes vom Wochenmarkt, über Basteln fürden Kaufladen sprachlich verfestigen undvertiefen.

Die von Kindern gemalten Bilder könnenzum Sprechanlass werden, wenn die sozpäd.Fachkraft sich das Bild vom Kind erklärenlässt. Auch beim Basteln gibt sie wertvolleSprachanregungen, wenn sie den Kindernnicht nur die einzelnen Arbeitsschritte zeigtund vormacht, sondern sprachliche Anlei-tungen gibt oder die Kinder danach befragt,was sie gerade machen.

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

Weitere Anregungen

Hier werden einige Themenbereiche mitAnregungen vorgestellt, die im Alltag derKinder von Bedeutung sind. Beobachtungenvon Kindern und schriftliche Aufzeichnun-gen zum Sprachverhalten geben Aufschlussdarüber, welche Materialien, wie Lieder,Spiele, Bücher, bei welchen Kindern wanneingesetzt werden sollten. Die im folgendenaufgeführten Anregungen wurden vonErzieherinnen in der Arbeit mit Kindern ein-gesetzt:

Das bin ich und das bist du

Die Kinder sitzen im Kreis auf dem Boden.Die sozpäd. Fachkraft rollt einem Kind einenBall zu: „Ich heiße Jutta, und wie heißt du?“Das Kind nimmt den Ball und rollt ihn einemanderen Kind zu: „Ich heiße Maria, und wieheißt du?“

Die Kinder sitzen im Kreis. Ein Kind geht aus dem Kreis heraus und stellt sich mit demGesicht zur Wand.Die sozpäd. Fachkraft fragt dieses Kind: „Wieheiße ich?“ Das Kind rät: „Du heißt Jutta.“Ein anderes Kind darf aus dem Kreis heraus-treten. Ein im Kreis sitzendes Kind fragt:„Wie heiße ich?“, das Kind rät: „Du heißtMirko.“

Unser Körper

Die sozpäd. Fachkraft zeigt auf ihren Armund sagt: „Das ist mein Arm“. Sie wendetsich an das neben ihr sitzende Kind: „Anna,wo ist dein Mund?“ Anna zeigt auf ihrenMund. Anna zeigt auf ihren Fuss: „Das istmein Fuß“. Sie wendet sich an das neben ihrsitzende Kind: „Pedro, wo ist deine Nase?“

Spiel: „Was tun wir denn so gerne hier imKreis?“ nicken, lachen, hüpfen, gehen, win-ken....

Fingerspiel: Zehn kleine Zappelmänner

Bilderbuch: Von Kopf bis Fuß, von E. Carle

Kleidung

„Ich sehe ein Kind, das ihr nicht seht, dasträgt einen blauen Rock.“ Wer es zuerst er-raten hat, darf weitermachen.

Spiel: Koffer packen

Kleidungsstücke werden aus einem Katalogausgeschnitten und in die Mitte des Tischesgelegt. Die sozpäd. Fachkraft nimmt eine

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Mütze und fragt ein Kind: „Was ist das?“Das Kind, das das Kleidungsstück richtigbenennt, erhält es und darf weiterfragen.Das Spiel wird solange fortgesetzt, bis alleKleidungsstücke verteilt sind.

Farben

„Mein Rock ist gelb, und was ist blau?“ Diesozpäd. Fachkraft beginnt, das Kind, das dasrichtige Kleidungsstück genannt hat, darfdie nächste Frage stellen: „Meine Hose istrot, und was ist grün?“....

Buch: Das kleine Gelb und das kleine Blau,von L. Lionni

Essen und Trinken

„Was hast du im Mund?“ Obst und /oder Ge-müse werden in kleine Stücke geschnitten.Die Kinder sitzen im Kreis. Zunächst prüfensie, wie die einzelnen Stücke schmecken:süß, salzig, sauer. Dabei wird vorher benannt,um welches Obst oder Gemüse es sich han-delt. Danach schließen sie die Augen. Sieerhalten ein Stück Obst oder Gemüse undsollen erraten, was es ist.

"Wir machen einen Obstsalat". Obst ge-meinsam einkaufen und einen Obstsalat zu-bereiten.

Buch: Die kleine Raupe nimmersatt, von E.Carle

Die Familie

Familienfotos ansehen und erzählen: „Das ist....“

Familienbilder malen

Räumliche Orientierung

„Wo ist die Puppe?“ Sie ist ...im Regal, unterdem Stuhl, auf dem Tisch, im Puppenwagen.Die sozpäd. Fachkraft setzt die Puppe irgend-wohin und fragt ein Kind. Wenn das Kindrichtig geantwortet hat, darf es sie irgend-wohin setzen und ein anderes Kind befragen.

„Mit geschlossenen Augen hören“. Die Kin-der sitzen im Kreis und schließen die Augen.Die sozpäd. Fachkraft benennt leise, wohindie Kinder zeigen sollen: auf die Füße, aufdie Nase, auf den Fußboden....

Spiel: „Mein rechter Platz ist frei, ich wün-sche mir ....herbei.“

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

3.4 Durch Öffnung zum Stadtteilneue Sprachräume erschließen

Indem sich die Einrichtung zum Stadtteil hinöffnet, erweitert sie den Erfahrungsraumund damit den Kontakt der Kinder zu unter-schiedlichen Sprachen, was für ihre Sprach-förderung eine nicht zu unterschätzendeFunktion haben kann. Neue Lebens- undSprachräume können entdeckt werden: Aus-flüge in den Stadtteil macht Kinder mitGeschäften, mit Museen, mit Kirchen, Mo-scheen, Spielplätzen, Märkten und vielemmehr bekannt, die sie allein durch den All-tag im Kindergarten oder in den Familienvielleicht nicht kennengelernt hätten.

Menschen im Stadtteil zu besuchen oder indie Einrichtung einzuladen, die die gleicheErstsprache sprechen wie eines oder mehre-re der Kinder, bedeutet den Selbstwert die-ser Kinder zu stärken. Für die anderen Kin-der eröffnen sich durch Ausflüge neue Orteund neue Erfahrungen. Solche Erlebnissekönnen die Kinder in ihrer Entdeckerfreudestärken und die Sprechfreude der Kinderanregen.

Lebensräume sind Sprachräume

Lebensräume haben eine Wirkung auf dieSprachgewohnheit der Menschen, die sichdarin bewegen. Sei es, dass unterschiedlicheSprachen gesprochen werden, sei es, dassdort auf unterschiedliche Art und Weise ge-redet wird. Auf der Kirmes unterhalten sichmanche Menschen wegen der Geräusch-kulisse fast schon brüllend. In Kirchen oderKathedralen wird eher leise gesprochenoder geflüstert. Auf Märkten werden oftlaut die verschiedenen Waren angepriesen.Kinder können Marktfrauen erleben, die jenach Region ihre Ware ganz selbstverständ-lich sowohl auf Deutsch als auch z.B. aufTürkisch anbieten. Damit erleben sie beideSprachen als einen selbstverständlichen Teildes Alltagslebens.

Durch die Öffnung nach außen erfahrenKinder eine Bandbreite von unterschied-lichen Sprachen und Sprechweisen. DieseErlebnisse können in der Tageseinrichtungin Rollenspielen aufgegriffen werden. In-dem die sozpäd. Fachkräfte nachfragen, obsich die Kinder erinnern, wie die Menschenauf den verschiedenen Plätzen miteinandergesprochen haben, kann bei Kindern einGefühl für die unterschiedlichen Sprechwei-sen entstehen. Sprache und Sprechen wer-den so zum wichtigen Bestandteil im Alltagder Kindertageseinrichtung.

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Öffnung zum Stadtteil: Ressourcen nutzenfür die Arbeit als Erzieherin und Erzieher

Auch die sozpäd. Fachkraft kann für ihreArbeit aus den Ressourcen des Stadtteilsschöpfen. Öffnung nach außen bedeutet fürsie, den Blick zu öffnen für neue Möglich-keiten der Unterstützung bei ihrer alltäg-lichen Sprachförderung der Kinder.

In vielen Kindertageseinrichtungen gibt eskeine oder nur eine sozpäd. Fachkraft, dieeine Erstsprache der Kinder spricht. Durchdie Öffnung zum Stadtteil hin ermöglichtsie den Kindern, mit ihrer Erstsprache inKontakt zu kommen und signalisiert damitKindern und Eltern, dass sie mit ihren Erst-sprachen akzeptiert und ernst genommenwerden. Allein diese Erfahrung kann schonmanches Tor zur Zusammenar-beit mit den Eltern und zur Lern-freude bei den Kindern öffnen.

Öffnung zum Stadtteil: NeueLieder und Spiele kennenlernen

Weiterhin kann die sozpäd.Fachkraft Kontakte zu Menschenaus dem Stadtteil knüpfen, dieeine der Erstsprachen der Kindersprechen und sie in die Kinderta-

geseinrichtung einladen, um den Kindernz.B. ein Bilderbuch vorzulesen oder mitihnen Lieder in ihrer Erstsprache zu singen.

Vielleicht gibt es Eltern oder Verwandte von ihnen, die ein Restaurant besitzen, dasdie Kinder mit ihrer sozpäd. Fachkraft besu-chen können, die den Kindern etwas ausihrer Kindheit erzählen, vielleicht fällt ihnennoch ein Lied ein, das sie früher immergesungen haben oder das sie heute ihrenKindern vorsingen? Bei einem solchenBesuch werden die Kinder u.U. mit kulturellunterschiedlichen Raumgestaltungen undSpeisen vertraut gemacht, was zum Nachfra-gen oder Nachahmen anregt.

Menschen mit verschiedenem kulturellenHintergrund aus dem Stadtteil können auch

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

gefragt werden, ob sie noch Bilderbücher in ihrer Sprache haben, die sich der Kinder-garten ausleihen kann. Eltern können gebe-ten werden, bei der nächsten Reise in ihrHerkunftsland oder in ein Urlaubsland einBilderbuch mitzubringen.

Auch ist es für die Kinder eine spannendeSache, einmal selbst in einen Laden zu ge-hen, in dem Speisen und Gegenstände auseiner anderen Kultur verkauft werden. Fürmanche wird es ein völlig neues Erlebnissein; anderen Kindern ist dieser Laden auf-grund des gleichen kulturellen Hintergrun-des bekannt. Sie können dann vielleichtsogar das eine oder andere erklären, undfühlen sich dabei ernst und wichtig genom-men, was ihnen Mut und Selbstvertrauengeben kann.

Öffnung zum Stadtteil: Anregungen für die Raumgestaltung

Bei den Besuchen von Geschäften mit ver-schiedenem kulturellen Hintergrund kanndie Erzieherin auch Anregungen für dieRaumgestaltung erhalten. Vielleicht hat dieKinder ein bestimmter Gegenstand beson-ders fasziniert, der nicht allzu teuer ist undim Raum aufgestellt werden kann. DieserGegenstand ist ein ständiges Erinnerungs-stück an den Besuch im Geschäft und kann

manches Kind dazu motivieren, von seinenErlebnissen zu erzählen.

Auch haben sozpäd. Fachkräfte gute Erfah-rungen damit gemacht, die „Reise in denStadtteil“ fotografisch zu dokumentieren.Kinder schauen sich immer wieder gerndiese Fotos an und erzählen sich und densozpäd. Fachkräften, was sie erlebt haben.

Öffnung zum Stadtteil: Sprachkompetenzender Eltern stärken

Öffnung zum Stadtteil bedeutet zum einen,neue Lebensräume für Kinder und sozpäd.Fachkräfte der Kindertageseinrichtung zuerschließen, zum anderen, die eigenenRäume für Gruppen aus dem Stadtteil zurVerfügung zu stellen.

So können z.B. Räume angeboten werden,in denen Sprachkurse für Eltern stattfinden.Erfahrungsgemäß wird für viele Eltern derEinrichtung die Hemmschwelle, einen Kurszu besuchen, dadurch geringer. Sie kennendie Räume, sie kennen auch manche Eltern.Viele Unsicherheitsfaktoren fallen damitgegenüber fremden Institutionen und frem-den Kursteilnehmern weg. Dies kommt auchder Lernfreude und Motivation der Erwach-senen zugute.

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Sprachkurse können sowohl für die deut-sche Sprache als auch für die Erstsprache derEltern angeboten werden. Manche Elternmit Migrationshintergrund beherrschen ihreErstsprache nicht mehr vollständig. Elternkönnen ihre Kinder in der Sprachentwik-klung unterstützen, wenn auch sie sich inihrer Erstsprache weiterbilden. Dabei kannder Kurs in der Kindertageseinrichtung auchdazu dienen, die Eltern für ihre Aufgabe bei der Sprachförderung zu sensibilisieren.Und ganz nebenbei können auch neue Kon-takte und Freundschaften unter den Elternentstehen.

Öffnung zum Stadtteil: Generationsüber-greifendes Lernen für die Sprachförderungnutzen

Wie Erfahrungen zeigen, lohnt es sich, Kon-takte zu Seniorenwohnheimen aufzuneh-men. Bei gegenseitigen Besuchen lassen sichoftmals Seniorinnen oder Senioren finden,die gerne ab und zu in die Einrichtung kom-men, um den Kindern Bilderbücher vorzule-sen oder mit ihnen Lieder zu singen. Auchgibt es mittlerweile bei manchen Migra-tionsberatungsstellen Seniorentreffs. Auchdiese Arbeitskreise sind Anlaufstellen, umsich Unterstützung bei der Anerkennungund Förderung der Erstsprachen der Kinderzu holen.

Öffnung zum Stadtteil: Honorarkräfte für die Sprachförderung

In manchen Einrichtungen übernehmenHonorarkräfte die Sprachförderung der Kin-der. Da die Lernfreude und Aufnahmebe-reitschaft der Kinder sehr viel mit ihren Be-dürfnissen und Interessen zusammenhän-gen, bedarf es bei solchen Angeboten vielerAbsprachen mit den sozpäd. Fachkräftenaus der Einrichtung, da nur sie die einzelnenKinder über den Tag erlebt haben und ein-schätzen können, wie es dem Kind geradegeht, welche Bedürfnisse und Stimmungs-lagen es berühren.

Eine am Kind orientierte Sprachförderungbedarf also einer intensiven Zusammenar-beit zwischen den sozpäd. Fachkräften undder Honorarkraft, damit diese ihre Arbeits-weise flexibel auf die Kinder einstellenkann. Dies bedeutet, sich vor den verschie-denen Angeboten Zeit zu nehmen, um sichmit den sozpäd. Fachkräften abzusprechenund um die Kinder im alltäglichen Spielge-schehen in der Gruppe zu beobachten.Damit kann den Kindern ein sanfterer Über-gang zwischen ihrem Alltag in der Einrich-tung und dem Angebot der Honorarkraftermöglicht werden. Indem sie hospitiert,können die Kinder bereits Kontakt aufneh-men und Vertrauen gewinnen.

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Sprachförderung im pädagogischen Al ltag

Wesentlich ist hierbei eine kindgerechteVorgehensweise. Eine kindgerechte Sprach-förderung kann jedoch nicht allein durchdie Gestaltung und Aufbereitung von Mate-rialien und Spielen legitimiert werden.„Lernprozesse können nicht mehr einfachvor dem Hintergrund vorgegebener didakti-scher Zielperspektiven inszeniert werden.“ 51

Kindgerecht heißt vielmehr, von der indivi-duellen Lebenssituation des Kindes auszu-gehen, seine Bedürfnisse und Interessenwahrzunehmen und diese als Ausgangs-punkte für die Lernfreude und Wissbegierdefür Kinder, auch bei ihrer Sprachförderung,verstehen zu lernen.

Auch stellt sich die Frage, wie die Sprach-förderung in die Aktivitäten innerhalb desGruppen- oder Nebenraums integriert wer-den kann. So werden die Kinder nicht ausihren Spielzusammenhängen herausgerissenund von den anderen Kindern aus der Grup-pe getrennt. Ein echtes Hand in Hand arbei-ten zwischen den sozpäd. Fachkräften undder Honorarkraft ist also von Nöten, wenndie Kinder orientiert an ihren Bedürfnissen,mit Engagement, Lernfreude und Selbst-tätigkeit in ihrer Sprachentwicklung unter-stützt werden sollen.

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51 Schäfer, 1995, S. 265

Bei dem Einsatz von Honorarkräften ist auchfolgender Weg denkbar: Statt Honorarkräf-te für die Sprachförderung einzusetzen,könnte durch deren Einsatz die Arbeit sogestaltet werden, dass die sozpäd. Fachkraftder Einrichtung selbst die gezielte Sprach-förderung übernehmen kann.

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4.1 Beobachtung als Voraussetzungfür Sprachförderung

Beobachten stellt im Rahmen der hier vor-gestellten Konzeption keine Sonderaufgabedar, sondern ist integrierter Bestandteil der pädagogischen Arbeit. Die sozpäd. Fach-kraft muss die Kinder gut kennen, ihre Stärken und Schwächen, ihre Eigenarten,ihre Lebenssituation etc., um allgemeinepädagogische Ziele zu konkretisieren undMethoden, Angebote und Aktivitäten aufdie unterschiedlichen Bedürfnisse abzustim-men. Um eine effektive Sprachförderungleisten zu können, muss sie wissen, wo dasKind gerade steht. Und dies betrifft ineinem ganzheitlichen Verständnis nicht nurdas Wissen über seine Sprachkenntnisse und seine Sprechfreude, sondern seineGesamtbefindlichkeit. Dies erfordert einekontinuierliche Beobachtung von Spiel- undAlltagssituationen der Kinder und eineregelmäßige Dokumentation der Beobach-tungsdaten.

Beispiel für eine Beobachtung

Eine sozpäd. Fachkraft ist immer auch Beob-achterin: Ob sie ein Kind morgens begrüßt,ob sie mit einer kleinen Gruppe ein Bewe-gungsspiel durchführt oder in ein Rollenspieleinbezogen ist, stets wird sie neben der „ei-gentlichen“ Spielhandlung Verhaltenswei-sen, sprachliche Äußerungen, Mimik undGestik der Kinder registrieren und bewusstoder unbewusst mit fachlichen Ansprüchenund Fragestellungen in Verbindung bringen.

Daneben spielen systematische Beobach-tungen zur Klärung bestimmter Fragestel-lungen eine wichtige Rolle. SystematischeBeobachtungen können mit Hilfe vonChecklisten oder mittels frei formulierterSchilderungen erfolgen.52

Im Folgenden soll anhand eines Beispielseine frei formulierte Schilderung 53 vorge-stellt werden:

Corinna, die Gruppenleiterin, hat sich vor-genommen, das Spielgeschehen unter derFragestellung zu beobachten, wie intensivdie verschiedenen Raumbereiche von den

4. Die Rolle der sozpäd. Fachkraft

52 Strätz, 1990, S. 28

53 Strätz, a.a.O., S. 51 ff

54 Militzer, Demandewitz,

Solbach, 1999, S.168

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Die Rol le der sozpäd. Fachkraft

Kindern genutzt werden. Mit Hilfe einerStrichliste, die über mehrere Tage geführtwurde, hatte sich bereits die Vermutung der Erzieherinnen bestätigt, dass der Rollen-spielbereich, trotz seiner relativ großenGrundfläche im Raum, wenig genutzt wur-de.54 Heute wollte Corinna genauer schau-en, was in den verschiedenen Bereichengeschieht: Wie intensiv stellen sich die Spiel-situationen dar, gibt es interessante Hin-weise zur Veränderung der Raumkonzep-tion? Es stellte sich heraus, dass die Beob-achtung auch interessante Hinweise zumThema „Sprachförderung“ lieferte.

11.00 Uhr

1. Bereich vor dem Fenster mit Frühstücks-tisch und Sofa:Ruven, Marek, Dirk, Alexander und Andibauen mit Klappsofa „Meer", dabei lautstarke Unterhaltung, Geschrei, Ge-kreische, Tierstimmen etc.

2. BauteppichUte und Janosch haben mit Stühlen ihren Spielbereich zusätzlich abgegrenztvom Gruppenraum. Bereden miteinander,was sie bauen wollen, womit sie anfan-gen etc.

3. Maltisch / SpieletischHülya, Nazmiye und Gülsüm am Spiele-regal. Gülsüm holt ein Puzzle, fängt an,es zu legen, die anderen schauen zu, Gülsüm legt das Puzzle unvollendet wie-der zurück.

4. Rollenspielbereich leer

11.15 Uhr

1. Zum Meer ist eine Insel mit Hütte (Frühstückstisch mit Decken verhängt)hinzugekommen. Weiterhin lautstarkesSpiel, lebhafte Unterhaltung zwischenPiraten und Seeungeheuern, die hin undwieder durch den ganzen Gruppenraumjagen.

2. Auf dem Bauteppich entsteht ein Schloss,Ute und Janosch treffen Absprachen, waswohin soll, was noch fehlt usw.

3. Hülya, Nazmiye und Gülsüm haben sich„Spitz pass auf“ geholt. Hülya und Naz-miye spielen, Gülsüm schaut zu. Nach kur-zer Zeit wird das Spiel wieder wegge-räumt.

4. Rollenspielbereich leer.

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11.30 Uhr

1. Streit und Klopperei, ich erinnere an die Spielregeln, dann geht es weiter wieoben.

2. Ute und Janosch haben sich Playmobil-figuren aus der anderen Gruppe geholt,Rollenspiel mit Zauberer, Prinz und Prinzessin und Zwergen.

3. Spieletisch leer. Hülya, Nazmiye und Gülsüm schauen den Jungen zu. Nehmensich auf meine Anregung hin Papier undBuntstifte und kleine Stempel an denMaltisch.

4. Rollenspielbereich leer.

11.45 Uhr

1. Die Jungen sind nach draußen gegangen.Hülya, Nazmiye und Gülsüm sitzen jetztin der Hütte. Lebhafte Unterhaltung undGekicher. Abwechselnd kommen sie her-aus, um Kochutensilien, Kissen undTücher in die Hütte zu holen.

2. Ute und Janosch wie oben

3. Spieletisch leer

4. Rollenspielbereich leer

Im Rahmen der Teambesprechung stelltCorinna ihr Beobachtungsprotokoll vor. Eszeigt sich, dass die Schilderung zahlreicheAnsatzpunkte bietet zur Entwicklung vonHypothesen und Ideen für die pädagogischeArbeit.

Corinna war z.B. aufgefallen, dass dort, wointensives Spiel zwischen mehreren Kinderstattfand, auch lebhafte Unterhaltung zubeobachten war. Auch die zunächst schweig-samen türkischen Mädchen kamen ins Ge-spräch, als sie endlich ihren „Raum im Raum“gefunden hatten. Corinna wurde auch deut-lich, dass Hülya, Nazmiye und Gülsüm zurZeit besondere Unterstützung brauchen,ihren Platz zu finden. Möglicherweise fühl-ten sie sich durch den hohen Lärmpegelbeim Spiel der Jungen eingeschüchtert undeingeschränkt. Der Rollenspielbereich in sei-ner jetzigen Gestalt ist als Rückzugsbereichzu offen. Mit Hilfe eines Wandschirms könn-te man ihn stärker abtrennen. Leise Musikkönnte darüber hinaus eine akustischeGrenze zwischen „innen“ und „außen“ her-stellen. Mit Blick auf die drei Mädchen willCorinna anregen, Alltagsgegenstände ausdem familiären Bereich der Kinder stärkerzu berücksichtigen. Vielleicht hätten Hülya,Nazmiye und Gülsüm dann eher in ihr Spielgefunden.

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Die Rol le der sozpäd. Fachkraft

Möglichkeiten der Dokumentation

Die Dokumentation systematischer Beobach-tungen mit Checklisten oder frei formulier-ten Schilderungen entsteht simultan zumBeobachtungsprozess. Bei den Checklistenstellt der ausgefüllte Beobachtungsbogengleichzeitig die Dokumentation dar. Bei denfrei formulierten Schilderungen sind es dieNotizen, die während der Beobachtung ge-führt werden. Hier kann ein zu hoher An-spruch an „druckreife“ sprachliche Formu-lierung ein Hindernis darstellen. Hierübersollte im Team gesprochen und Standardsentwickelt werden, die angesichts knapperZeitbudgets realistisch sind.

Schwieriger stellt sich die Dokumentationnichtgezielter Beobachtungen dar. Die Fülleder Erscheinungen eines Tages festzuhalten,erscheint unmöglich, und so wird es häufigganz unterlassen. Im folgenden soll das„Logbuch“ 55 als Möglichkeit vorgestellt wer-den, Ereignisse aus dem alltäglichen Grup-pengeschehen beispielhaft festzuhalten.Die Niederschrift im Logbuch erfolgt täglichund soll nicht mehr als fünf Minuten Zeit inAnspruch nehmen. Notiert wird das, was dersozpäd. Fachkraft vom Tagesverlauf in Erin-nerung geblieben ist, seien dies kleine All-tagssituationen, besondere Ereignisse oderauch persönliche Anmerkungen. Die zeitli-che Begrenzung ist wichtig, um den Arbeits-

aufwand strikt zu begrenzen, um Sponta-neität bei der Auswahl von Situationen zuerreichen und um eine Form der Nieder-schrift zu unterstützen, die beschreibt undnicht bewertet.

Es hat sich in der Praxis bewährt, wennjede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter„ihr/sein“ eigenes Logbuch führen kann,anstelle eines Logbuches für die Gruppe.Wichtig ist es, im Team zu klären, inwieweitdie Logbücher ausschließlich der persön-lichen Reflexion dienen oder auch den Kol-leginnen zur Einsicht zur Verfügung stehen.

Beispiel für eine Logbuchseite:

Tim hat sich aus Pappröhren ein Roboter-kostüm gebaut, andere Kinder haben es ihmnachgemacht.Einige Kinder spielen „Tornadoangriff“ – ich glaube, die Kriegsberichte im Fernsehenmachen sich bemerkbar.Sarah hat Tim getröstet: „Du musst nichtweinen, die Mama kommt doch wieder.“ Sie erinnert sich wohl daran, wie schwer ihrselbst der Abschied vor kurzem noch gefal-len ist.Katja und Ismail Arm in Arm mit dem Pup-penwagen unterwegs. Sie erzählen sichgegenseitig, was ihre kleinen Geschwisteralles noch nicht können.

55 Der Begriff stammt aus dem

Seewesen. Ein Logbuch ist ein

Schiffstagebuch; es enthält

Angaben zur Wetterlage, zum

Kurs, zu den Menschen ‚an

Bord‘ und zu besonderen Vor-

kommnissen. Vgl Militzer,

Demandewitz, Solbach, 1999,

S. 109 ff

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Die regelmäßige Führung eines Logbuchesbringt vielfältigen Nutzen:

Die sozpäd. Fachkraft sammelt im Laufe derZeit einen „Pool“ an Situationen und Ereig-nissen, welche die Grundlage für weiterfüh-rende systematische Beobachtungen im Rah-men der Situationsanalyse sein können.

Die eigene Wahrnehmung wird geschult:Welche Kinder tauchen wiederholt auf, wel-che gar nicht? Überwiegen problematischeSituationen gegenüber erfreulichen Beispie-len? Tauchen Situationen auf, in denen Spra-che eine Rolle spielt? Interessant ist auchder Vergleich zwischen den Logbüchern: Werhat welche Situationen festgehalten, wur-den gleiche Situationen unterschiedlich ein-geschätzt etc.

Zudem ist das Logbuch, indem es zur le-bendigen Beschreibung anregt, ein gutesÜbungsfeld für frei formulierte Schilderun-gen im Zusammenhang mit gezielten Beobachtungen.

Anhaltspunkte für eine gezielte Beobach-tung der sprachlichen Entwicklung von Kin-dern, die ihren Platz im Rahmen der Situa-tionsanalyse hat, ergeben sich aus:

1. dem Sprach- und Kommunikationsverhal-ten der Kinder, z.B.

¢ ist das Kind sprachfreudig?¢ ist es eher zurückhaltend?¢ spricht es nur bei Einzelgesprächen?¢ versteht es viel, spricht aber wenig?¢ versteht es, worüber gesprochen wird?¢ spricht nicht oder wenig, beobachtet

aber das Gruppengeschehen mit Interesse?

¢ spricht nicht oder wenig, zeigt wenigInteresse am Gruppengeschehen?

2. dem Verhältnis zwischen Erstsprache und Zweitsprache, z.B.

¢ spricht und antwortet es in der Erstsprache?

¢ spricht und antwortet es je nach Situation in der Erstsprache bzw. in derdeutschen Sprache?

¢ ersetzt es fehlende Begriffe in der deutschen Sprache durch solche aus derErstsprache?

¢ vermischt es beide Sprachen?

3. der Mitteilungsfähigkeit der Kinder, z.B.

¢ verständigt es sich vorwiegend überMimik und Gestik?

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Die Rol le der sozpäd. Fachkraft

¢ verständigt es sich mit Hilfe einzelnerWörter?

¢ versucht es, in einzelnen Sätzen zu sprechen?

¢ kann es Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken?

¢ kann es von Erlebnissen berichten?

4. aus dem Spielverhalten der Kinder, z.B.

¢ spielt es vorwiegend allein?

¢ spielt es meist mit Kindern gleicher Erstsprache?

¢ spielt es vorwiegend mit den gleichenKindern unterschiedlicher Erstsprachen?

5. aus der Beziehung zwischen der sozpäd. Fachkraft und den Kindern, z.B.

¢ in welchen Situationen nimmt das KindKontakt zur sozpäd. Fachkraft auf?

¢ mit welchen Anliegen und Bedürfnissenwendet es sich an die sozpäd. Fachkraft?

¢ was will es mit seinen non-verbalenÄußerungen ausdrücken? welche Wün-sche, Gefühle, Mitteilungen?

¢ durch welche Verhaltensweisenfördert /hemmt die sozpäd. Fachkraftseine Sprechbereitschaft?

Das Kind als Subjekt der Beobachtung

Beobachtungen brauchen nicht allein einefachliche Legitimation, sondern auch einenbestimmten Rahmen, der sicherstellt, dassKinder nicht zu Beobachtungsobjekten wer-den und dass ihre Würde beachtet wird. Diesozpäd. Fachkraft findet im situationsbezo-genen Ansatz Hinweise, aus dem heraus sieeine Beobachtungshaltung entwickelnkann, die Kinder nicht irritiert oder verletzt,sondern vielmehr Achtung und Wertschät-zung gegenüber kindlicher Eigenart aus-drückt:

Sie wird Beobachtung dann nicht einseitigals Technik anwenden, sondern ihren pro-fessionellen Blick mit Nähe und Anteilnah-me am beobachteten Geschehen verbinden– eine Beziehungsbasis von Vertrauen undVerlässlichkeit ist hierfür Voraussetzung.

Sie wird den Blick stärker auf Spiel-Situatio-nen als auf Merkmale bestimmter Kinderrichten. Dies hat zur Folge, dass die Chance,Entwicklungsprozesse wahrzunehmen, sichvergrößert und die Gefahr, (Vor-)Urteilebestätigt zu finden, sich verkleinert. Geradekleine Fortschritte erschließen sich eher imZusammenhang einer Spielhandlung undweniger, wenn das Augenmerk auf demDefizit des Kindes liegt, also darauf, was esnoch nicht kann.

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Sie wird sich bemühen, Situationen auch ausder Perspektive der Kinder wahrzunehmen,die Kinder als Experten zu verstehen undkindliche Deutungsmuster einbeziehen. Siewird Kindern auf kindgerechte Weise er-klären, was und warum sie beobachtet. Siewird die Ergebnisse der Beobachtung –soweit dies pädagogisch sinnvoll ist – denKindern mitteilen und ihre Meinung dazuhören wollen.

Sie wird den Wunsch der Kinder, ungestörtund unbeobachtet zu spielen, respektieren,dabei beachtet sie nicht allein den ausdrück-lich geäußerten Wunsch, sondern achtetauch auf non-verbale Signale, die auf denWunsch nach Rückzug hinweisen. Sie kanndie Kinder auch fragen, ob sie es als störendempfinden, wenn sie für eine bestimmteZeit beobachtet werden.

Sie wird ihren Respekt gegenüber demBeobachtungssubjekt „Kind“ auch dadurchausdrücken, dass sie ihre Beobachtungennicht verabsolutiert, sondern als Moment-aufnahmen ansieht, die einen Ausschnittaus kindlicher Wirklichkeit wiedergebenund nicht das „ganze Kind“ erfassen.

Ein neues Rollenverständnis

Dass eine sozpäd. Fachkraft mit den Kindernspielt, ein Bilderbuch betrachtet, einenKuchen backt, ist auch für Außenstehendeleicht als Aktivität zu erkennen. Dass siebeobachtet, kann von außen betrachtet –also von anderen Kolleginnen oder vonEltern – leicht so aussehen, als tue sie „nichts“.

Diese Sorge hält manche sozpäd. Fachkraftdavon ab, sich von Zeit zu Zeit aus dem Ge-schehen herauszuziehen, um Spielsituatio-nen zu beobachten. Eine wichtige Voraus-setzung zur erfolgreichen Beobachtung istein berufliches Rollenverständnis, in demBeobachtung als selbstverständliches undunverzichtbares Element der Arbeit angese-hen wird, und zwar nicht nur von einzelnenKolleginnen und Kollegen, sondern vomgesamten Team. Nur so erhält die sozpäd.Fachkraft die notwendige Sicherheit, sichselbst und anderen gegenüber ihr Beobach-tungs-Handeln zu vertreten und zu be-gründen.

Im Rahmen einer situationsbezogenen Ar-beitsweise geht es nicht mehr darum, dassdie sozpäd. Fachkraft ständig und überallpräsent und aktiv ist, alles „im Blick“ undunter Kontrolle hat. Vielmehr spielen diffe-renzierte Gruppenprozesse eine entschei-dende Rolle: kleine Spiel- und Gesellungs-

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Die Rol le der sozpäd. Fachkraft

gruppen bestehen nebeneinander. Die Eigen-aktivität der Kinder steht im Mittelpunktdes Geschehens. Durch diese veränderteForm der Arbeitsorganisation entstehen Frei-räume, die der Beobachtung dienen können.

Die eigene Rolle neu zu sehen, neu zu entwerfen, ist kein einfaches Unterfangen,denn es ist verbunden mit einer Verände-rung der inneren Haltung. Dies ist ein Pro-zess, der Zeit braucht sowie gegenseitigeUnterstützung im Team und seitens derFachberatung. Wichtig ist auch eine Verän-derung im Rahmen der Ausbildung, indemReflexionsprozessen der gleiche Stellenwerteingeräumt wird wie der pädagogischenArbeit mit dem Kind.

4.2 Die sozpäd. Fachkraft als Sprach-vorbild – eine Orientierungshilfe fürdie Sprachentwicklung des Kindes

Kinder orientieren sich bei ihrer Sprach-entwicklung an ihren Bezugspersonen. IhrSprachverhalten bietet den Kindern Orien-tierungspunkte, wie sie ihre eigenen Sprach-fähigkeiten erweitern und ausbauen kön-nen. Der Sprachalltag, in dem sich die Kin-der bewegen, ist also für ihre Sprachent-wicklung von besonderer Bedeutung unddie sozpäd. Fachkraft damit ein wichtigesSprachvorbild. Dies gilt u.a. für den gram-matikalisch richtigen Gebrauch einer Spra-che. Das Kind baut im Zuge seiner Sprach-entwicklung zunächst ein eigenes Sprachsys-tem auf. Dieses vergleicht es mit dem seinesUmfeldes und passt es Schritt für Schritt andie zu erlernende Zielsprache an.

Zum anderen kann die sozpäd. Fachkraftauch mit der Art und Weise, wie sie mitSprache umgeht – z.B. ob sie Freude amSprechen hat, gerne anderen zuhört, anderenicht übertönt – ein wichtiges Verhaltens-vorbild und damit Unterstützung für dieSprach- und Kommunikationskultur der Kinder sein.

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Die folgenden Aspekte sind als Anhalts-punkte zu verstehen, wie sozpäd. Fachkräftedurch ihr Sprachvorbild das Kind in seinerSprachentwicklung unterstützen können.

In vollständigen, grammatikalisch richtigenund je nach Sprachniveau des Kindes kurzenSätzen sprechen

Eine verkürzte Sprache, die sich nur auf die zur Verständigung vermeintlich wichti-gen Inhaltswörter stützt, z.B. „Du ... Milchhaben?“, gibt den Kindern ein grammatika-lisch falsches Sprachvorbild und bietet ihnenkeine Sprachmuster an, an denen sie sichorientieren können. Besser ist es in einfachen,aber vollständigen und grammatikalischrichtigen Sätzen zu sprechen: „Möchtest duMilch haben?“ Kinder werden sich aus denvollständigen Sätzen die Wörter „heraus-spicken“, die sie zur Verständigung benöti-gen.

Einfache Wörter auswählen

Den Kindern kann es dann leichter fallen,Wörter wiederzuerkennen und in einemzweiten Schritt anzuwenden, z.B. Ecke (stattWinkel oder Knick), Haus (statt Gebäudeoder Bungalow).

Je nach Sprachstand ist der Wortschatz imGespräch weiter zu differenzieren.

Wörter langsam und deutlich aussprechen –nicht „nuscheln“

Ein Kind, das gerade eine neue Sprache er-wirbt, empfindet wahrscheinlich die gespro-chenen Wörter so, als ob es sich in einemdichten Laut- und Geräuschedschungel be-findet. Einzelne Wörter, die es erkennt, sinddabei wie Lichtblicke oder Wegweiser durchdas Dickicht der Sprache. Um dem Kind zuermöglichen, einzelne ihm bekannte Wörterwahrzunehmen, ist es wichtig, langsam unddeutlich zu sprechen und dabei trotzdemmöglichst authentisch im Sprachgebrauchzu bleiben.

Das eigene Handeln mit Sprechen begleiten

Kinder können so besser erfassen, wovondie sozpäd. Fachkraft spricht. Indem sie z.B.beim Basteln nicht nur die einzelnen Schrittevormacht, sondern auch sprachlich beschreibt,haben Kinder die Möglichkeit, weitere Sprach-muster kennenzulernen. Darüber hinauskann das sprachliche Begleiten von Handelnden Kindern signalisieren, dass auch die sozpäd. Fachkräfte Freude am Sprechenhaben.

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Die Rol le der sozpäd. Fachkraft

Beim Sprechen immer wieder kleine Pausenlassen, damit die Kinder nachfragen können

Gerade Kinder, die eine zweite Spracheerlernen, brauchen manchmal noch etwasZeit und auch Mut, ihre Bedürfnisse zu formulieren. Aber auch unsichere Kinderbenötigen eine Atmosphäre des aufmerk-samen Zuhörens, damit sie sich trauen,etwas zu sagen.

Kinder nicht auf sprachliche Fehler aufmerksam machen

Da Kinder eigenen Regeln folgen, die sichnach und nach an die zu erlernende Spracheangleichen, können sich direkte Korrektu-ren bei „sprachlichen“ Fehlern und unvoll-ständigen Sätzen negativ auf die Lernmoti-vation der Kinder auswirken. Hilfreich ist es,das vom Kind Gesagte in korrekter Formaufzugreifen, ohne zum Nachsprechen auf-zufordern.

Inhalt ist wichtiger als Form

Kinder wollen sich mitteilen und könnensehr sensibel reagieren, wenn ihr Gesprächs-partner mehr auf die grammatisch richtigeForm und weniger auf den Inhalt der Mittei-lung achtet.

Kinder nicht übertönen, wenn der Geräuschpegel steigt

Auch hierin sind sozpäd. Fachkräfte ein Vorbild, denn Kinder, die dieses Verhaltenim Gruppenalltag beobachten, werden sichin vielen Fällen ähnlich verhalten. Dabeischränken sie andere Kinder darin ein zusprechen und nehmen sich selbst die Chancegenau zuzuhören, was ein anderes Kindoder die sozpäd. Fachkraft zu sagen hat.

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Den Kindern aktiv und intensiv zuhören

Eine Sprache zu erlernen heißt auch, genauzuzuhören. Die sozpäd. Fachkraft kann darinein gutes Vorbild sein, wenn sie Kindern aktiv,intensiv und mit einem echten Interessezuhört.

Geduld und Gelassenheit sind sprachför-dernde Faktoren, wenn Kinder noch etwasZeit brauchen, um ihre Anliegen zu formu-lieren. Die sozpäd. Fachkraft sollte den Kin-dern nicht die Antworten auf ihre Fragen inden Mund legen. Um eine Sprache zu erler-nen bzw. zu erweitern, ist es wichtig, dassdie Kinder selbst sprechen. Die sozpäd. Fach-kraft ist dafür verantwortlich, immer wie-der Situationen zu schaffen, die das Kindermutigen zu sprechen, aber auch solche, indenen die Kinder sich gegenseitig zuhören.

Offene Fragen stellen

Offene Fragen sind solche, auf die Kindernicht mit „Ja“ oder „Nein“ bzw. einemKopfnicken oder Kopfschütteln reagierenkönnen. Durch offene Fragen werden siemotiviert zu sprechen. Allerdings solltenKinder nicht gezwungen werden, auf Fra-gen zu antworten. Dies kann nämlich dazu

führen, dass sie sich immer weniger zutrau-en zu sprechen. Da der passive Wortschatzder Kinder dadurch wächst, dass mit ihnenimmer wieder das Gespräch gesucht wird, ist es gut, „am Ball zu bleiben“, ohne dieKinder zu einer Antwort zu drängen.

Mit offenen Fragen kann die sozpäd. Fach-kraft auch herausfinden, ob die Kinder ihreFrage überhaupt verstanden haben. MancheKinder (und auch Erwachsene) reagieren aufFragen mit einem Kopfnicken, obwohl sieden Sinn der Wörter nicht nachvollziehenkönnen. Vielleicht meint das Kind, die Frageverstanden zu haben, weil es auf ein Wort,eine Gestik oder Mimik reagiert, die es ausanderen Zusammenhängen kennt. Vielleichtist es auch zu beschämend zugeben zu müs-sen, etwas nicht verstanden zu haben. Diesozpäd. Fachkraft kann in solchen Situatio-nen versuchen, ihr Anliegen mit anderenWorten zu umschreiben.

Reflexion des eigenen Sprachverhaltens

Es hat sich in der Praxis bewährt, zur Kon-trolle des eigenen Sprachverhaltens ein Tonband mitlaufen zu lassen. Die hier auf-geführten Aspekte können genutzt werden,um herauszufinden, welches sprachfördern-de Verhalten im Alltag mit den Kindernschon umgesetzt ist und was noch stärker

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Die Rol le der sozpäd. Fachkraft

berücksichtigt werden sollte. Viele sozpäd.Fachkräfte zeigten sich erstaunt, wie vieleder Vorsätze doch im Alltagstrubel unterge-hen, obwohl sie der Meinung waren, schonvieles berücksichtigt zu haben. Es brauchtallerdings Überwindung, die eigene Stimmeauf dem Tonband zu hören. Die sozpäd. Fach-kräfte berichteten, dass der hörbare Erfolgdieser Reflexionsmethode sie dafür entschä-digt. Der eigene Lernerfolg wird am deut-lichsten sichtbar, wenn in regelmäßigenZeitabständen immer wieder ein Tonbandaufgenommen und ausgewertet wird.

Darüber hinaus können sich auch die Kolle-ginnenund Kollegen gegenseitig auf ihrSprachverhalten aufmerksam machen undsich damit Erinnerungshilfen für ihren All-tag schaffen.

4.3 Die muttersprachliche sozpäd.Fachkraft im pädagogischen Alltag

Bei der zweisprachigen Erziehung nimmtdie sozpäd. Fachkraft, die mit einer der Erst-sprachen der Kinder aufgewachsen ist, einewichtige Rolle ein. Sie hat nicht nur einewichtige Funktion bei der Förderung derErstsprache der Kinder, auch ihre Haltunggegenüber ihrer Erstsprache und der deut-

schen Sprache kann die Kinder entscheidendin ihrer Einstellung gegenüber ihrer Zwei-sprachigkeit beeinflussen.

Die muttersprachliche sozpäd. Fachkraft hat eine Vielfalt von Kompetenzen, die siefür die Sprachförderung der Kinder einset-zen kann:

Indem sie mit den Kindern in ihrer Erst-sprache spricht, ist sie ein wichtiges Sprach-vorbild. Dies gilt in besonderem Maße fürdie Kinder, in deren Familien die Erstsprachenicht mehr vollständig gesprochen wird.Aufgrund ihrer Sprachkompetenzen kannsie herausfinden, über welche sprachlichenFähigkeiten das Kind in seiner Erstspracheverfügt, und beurteilen, welches Kind einegezielte Förderung in dieser Sprachebraucht.

Sie kann des weiteren feststellen, ob einKind mit gleicher Nationalität auch die glei-che Sprache oder aber eine Regionalsprachebzw. einen Dialekt spricht. Sie trägt damitentscheidend zur Analyse der sprachlichenFamiliensituation bei. Sie ist auch diejenige,die entscheiden kann, ob sie die richtigePerson ist, das Kind in seiner Erstsprache zufördern oder ob über eine Öffnung zumStadtteil andere muttersprachliche Perso-nen hinzugezogen werden sollten.

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Im Rahmen differenzierter Gruppenarbeitkann sie die sprachlichen Fähigkeiten derKinder mit gleicher Erstsprache über gemein-sames Tun unterstützen. An solchen Klein-gruppen können bei Interesse auch andereKinder teilnehmen und erste Begriffe ineiner anderen Sprache erwerben. Die soz-päd. Fachkraft hat die Möglichkeit, eineVerbindung zwischen den Sprachen herzu-stellen, wenn sie den Kindern vermittelt,dass es für ein- und dieselbe Sache verschie-dene Begriffe gibt und dass es spannendsein kann, die jeweiligen Begriffe zu kennen.

Indem sie selbstbewusst zu ihrer Erstsprachesteht, vermittelt sie den Kindern eine Wert-schätzung ihrer eigenen Erstsprache.

Die muttersprachliche sozpäd. Fachkraft istauch mit ihrer Kompetenz, die deutscheSprache zu beherrschen, den Kindern einVorbild. Sie signalisiert den Kindern, wiehilfreich es sein kann, eine zweite Sprachezu erlernen, welche Vorteile sie in ihrem All-tag davon hat, deutsch sprechen zu können.Kinder sind meist sehr aufmerksam, wennErwachsene authentisch und ohne den mo-ralischen Zeigefinger zu erheben, davon er-zählen, was ihnen wichtig und wertvoll ist.

Darüber hinaus ist sie eine wichtige undernst zunehmende Ansprechpartnerin fürdie Eltern der Kinder, die die gleiche Erst-sprache sprechen. So kann sie ihnen vermit-teln, warum es für die Identitätsentwick-lung und den Erwerb der deutschen Sprachebedeutsam ist, die Erstsprache der Kinder zu fördern.

Die muttersprachliche sozpäd. Fachkraft im gemeinsamen Alltag mit den Kindern

Kinder werden in ihrer zweisprachigen Ent-wicklung unterstützt, indem sie einzelnenPersonen jeweils eine Sprache zuordnenkönnen. Für die muttersprachliche sozpäd.Fachkraft bedeutet dies, mit den Kindernkonsequent in ihrer Erstsprache zu sprechen– soweit es der Alltag zulässt. „Eine Sprache –eine Person“ 56 ist hier das Prinzip. Dies giltauch, wenn den sozpäd. Fachkräften geradenicht das passende Wort einfällt. In solchenSituationen ist es besser, Umschreibungenzu wählen. Die sozpäd. Fachkraft ist denKindern ein gutes Vorbild darin, möglichstinnerhalb eines Satzes die Sprachen nicht zu wechseln, sondern sie konsequent von-einander zu trennen.

Ist der Sprachwechsel doch einmal nötig, so sollte sie diesen durch den Tonfall, durch56 Heuchert, 1989, S.100

57 Vgl. Heuchert

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Die Rol le der sozpäd. Fachkraft

eine Pause oder durch einen Nebensatzdeutlich machen.57

Oft wird die Frage gestellt, welche Spracheeine muttersprachliche sozpäd. Fachkraftbei Anwesenheit deutscher Kinder sprechensollte. In einer Gruppe von Kindern mitunterschiedlichen Erstsprachen sollte sieDeutsch sprechen.

Spricht sie dagegen mit Kindern, die überdie gleiche Erstsprache wie sie verfügen,dann muss die bloße Anwesenheit von ander Situation unbeteiligten deutschsprachi-gen Kindern oder sozpäd. Fachkräften nichtzur Konsequenz haben, zur deutschen Sprache zu wechseln. Erst wenn die Gefahrbesteht, dass Kinder oder auch Kolleginnenund Kollegen von einer Situation ausge-schlossen werden, an der sie sich beteiligenwollen, ist ein Wechsel zur deutschen Spra-che angebracht.

Je nach Sprachvermögen und Situation desKindes hat die muttersprachliche sozpäd.Fachkraft unterschiedliche Aufgaben: Gera-de in den ersten Tagen kann es für das Kindbesonders wichtig sein, in seiner Erstspracheangesprochen zu werden. Dies hilft übermanche verunsichernde Situation hinweg.Die individuelle Zuwendung in der Erstspra-che kann besonders in Krisensituationenund zu Beginn des Kindergartenbesuchs von

besonderer Bedeutung sein, wenn sich Kin-der neu orientieren müssen. Auch bei derKontaktaufnahme zu anderen Kindern kanndie muttersprachliche sozpäd. Fachkraftbehilflich sein. Die Erstsprache mit ihr zusprechen, hat für das Kind eine Brücken-funktion beim Übergang von der Familie indie Kindertageseinrichtung.

Klärung im Team

Manchmal kann es zu Verstimmungen inner-halb des Teams kommen, wenn deutsch-sprachige Kolleginnen und Kollegen denEindruck gewinnen, manche Kinder undauch Eltern reden nur noch mit der Kolleginoder dem Kollegen, die ihre Erstsprachebeherrscht. „Ich habe dann Angst, dass ichwichtige Dinge gar nicht mehr mitbekom-me“ ist eine wohlbekannte Äußerung inmehrsprachigen Teams. Die Verantwortungdafür, solche Situationen zu klären, liegt inder Hand der sozpäd. Fachkräfte in der Ein-richtung. Die muttersprachliche sozpäd.Fachkraft sollte ihren Kolleginnen und Kolle-gen diejenigen Informationen mitteilen, diesie aufgrund der unterschiedlichen Sprachennicht mitbekommen können. Die deutsch-sprachige sozpäd. Fachkraft hat die Verant-wortung, nach den Informationen zu fragen, die ihr fehlen, um eine bestimmte

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Situation, das Verhalten der Eltern oder der Kinder besser verstehen zu können. Of-fenheit und Vertrauen im Team ist für dieZusammenarbeit eine unerlässliche Grund-lage.

Auch sollte sich das Team darüber einigen,wer mit den Kindern in welcher Sprachespricht. Wichtig für die muttersprachlichesozpäd. Fachkraft ist es, nicht nur mit ihrenSprachkompetenzen im Team Beachtung zu finden. Sie hat viele weitere Fähigkeiten,die sie in die Arbeit mit den Kindern ein-bringen kann.

Teams, in denen ausschließlich Deutschgesprochen wird, können sich zum einen inArbeitsteilung nach und nach einige wich-tige Wörter in den Erstsprachen der Kinderaneignen. Zum anderen können sie sichGedanken machen, wie sie die Erstsprachender Kinder in die Einrichtung „hineinholen“können, z.B. indem sie die Eltern stärkereinbeziehen.

Wenn die Eltern nach der sprachlichen Situ-ation in der Familie befragt werden, wissendie sozpäd. Fachkräfte mit größerer Sicher-heit, welche die identitätsstützende Spracheder Kinder ist, für die keine muttersprach-liche sozpäd. Fachkraft zur Verfügung steht.Mit Hilfe der Eltern können sie sich arbeits-teilig wichtige Wörter in den Erstsprachenaneignen. Dies kann gerade in den erstenTagen über manche verunsichernde Situati-on hinweg trösten und dabei helfen, einerstes vertrauensvolles Beziehungsband zursozpäd. Fachkraft zu knüpfen.

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In der Arbeit sind die Eltern wichtige Bünd-nispartner, wenn die Erzieherin Lern- undErfahrungsprozesse von Kindern fördernwill. Eltern können der sozpäd. Fachkraft In-formationen zur familiären Situation geben,ihr mitteilen, was ihnen in der Erziehungihrer Kinder wichtig ist, wie das Sprachum-feld ihres Kindes aussieht. Zudem gibt es inder Arbeit immer wieder Momente undSituationen, in denen sozpäd. Fachkräfteohne Mitwirken der Eltern ratlos und Elternauf helfende Hinweise der sozpäd. Fach-kräfte angewiesen sind.

5.1 Die Sprachwelt der Kinder kennenlernen

Das Kind hat in den ersten Lebensjahren das sprachliche Verhalten seiner familiärenUmgebung übernommen. Obwohl viele dergrundlegenden sprachlichen Fähigkeiten in der Familie erworben werden, kann diesozpäd. Fachkraft über eine Zusammenarbeitmit Eltern Kindern vielfältige Anregungengeben. Dies setzt aber eine genaue Kenntnisder Sprachsituation des Kindes voraus. In

Gesprächen mit Eltern, z.B. bei Aufnahme-gesprächen und/oder Hausbesuchen kannsie erfahren, ob das Kind in einer Familieaufwächst, in der das Gespräch mit demKind selbstverständlich ist oder ob es ineinem spracharmen Umfeld aufwächst, wermit dem Kind in welcher Sprache sprichtund welche Sprache die gemeinsame Fami-liensprache ist. Bei solchen Gelegenheitengewinnt die sozpäd. Fachkraft erste An-haltspunkte und Hinweise, die ihr bei ihrerArbeit von Nutzen sein können. Dabei ist es wichtig, Eltern darzulegen, warum mansich für sie und ihre Sprachgewohnheiteninteressiert. Sie sollten sich nicht ausge-horcht fühlen. Vielmehr geht es darum, ein Verständnis für die Wertschätzung derErstsprache und deren Bedeutung für dieEntwicklung des Kindes zu vermitteln.

Folgende Fragen können der sozpäd. Fach-kraft helfen, sich die Sprachwelt der Kinderin ihrer Gruppe zu erschließen:

¢ Wer spricht mit dem Kind welche Sprache?

¢ Wer verfügt über welche Sprach-kompetenzen?

5. Zusammenarbeit mit Eltern

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Zusammenarbeit mit E ltern

¢ Gibt es eine Sprache, die hauptsächlich in der Familie gesprochen wird?

¢ Gibt es bestimmte Situationen, in denennur die eine oder die andere Sprachegesprochen wird?

¢ Wird in der Familie gern und viel mit-einander gesprochen?

¢ Gibt es für das Kind neben den Elternandere wichtige Bezugspersonen in derVerwandtschaft?

¢ Gibt es wichtige Freunde oder Nachbarn,die mit dem Kind eine andere Sprache als die Familiensprache sprechen?

¢ Welche Sprachen werden hauptsächlichin der Nachbarschaft und in dem Stadt-teil, in dem die Familie wohnt, gespro-chen?

¢ Erleben Kinder, dass sie mit ihrem jewei-ligen Sprachniveau positiv unterstütztwerden?

¢ Erleben sie bereits früh einen Lerndruck,der ihnen möglicherweise die Freude anneuen (sprachlichen) Lernerfahrungennehmen kann?

Mit den letztgenannten Fragen wird aufden Stellenwert, den die Sprachpflege inder Familie hat, verwiesen. Vor diesemHintergrund kann es notwendig sein, auchmit den Eltern über die Bedeutung derSprachpflege in der Familie ins Gespräch zukommen.

5.2 Auf Eltern kann nicht verzichtet werden

Eltern informieren

Zur Aufgabe der sozpäd. Fachkraft gehörtes, Eltern über die Arbeit in der Tagesein-richtung zu informieren. In vielen Kinder-gärten wird Eltern angeboten, über Hospi-tationen in den Kin-dergruppen den pä-dagogischen Alltagkennenzulernen. An-dere Kindergärtenempfehlen, dass El-tern ihre neu aufge-nommenen Kindereine Woche lang imKindergarten beglei-ten. Vorstellungenvom und Erwartun-gen an den Kinder-garten lassen sich inEinzelgesprächenoder auf Gruppenebene klären, pädagogi-sche Themen beim Elternabend diskutieren.Dabei spielt das Thema „Sprachentwicklungund Sprachförderung im Kindergarten“ bis-her nur selten eine Rolle, obwohl es hierfür– vor allem in bi- und multikulturellen Grup-pen – zahlreiche Ansatzpunkte gibt.

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In der Regel haben Eltern aus zugewander-ten Familien ein großes Interesse daran,dass ihre Kinder die deutsche Sprache ler-nen. Sie schicken ihre Kinder in den Kindergartenin der Hoffnung, dass sie hier die deutscheSprache erwerben und gut auf die Schule vor-bereitet werden.

Mit wenigen Ausnahmen sind sie aber auchdaran interessiert, dass ihre Kinder ihre Erstsprache beibehalten, d.h. sie wünschensich eine zweisprachige Erziehung.

Aber die fehlende Anerkennung ihrer Erst-sprache hat Eltern oftmals verunsichert unddazu geführt, dass sie mit ihren Kindern inder deutschen Sprache sprechen, obwohl siediese Sprache weniger gut beherrschen unddamit kein gutes Sprachvorbild für ihre Kinder sind.

Seit einiger Zeit vertritt zudem ein Teil derEltern die hierzulande verbreitete Auffas-sung, die Förderung der Erstsprache behin-dere den Erwerb der deutschen Sprache.Ihnen ist meist nicht bewusst, welche Bedeu-tung die Erstsprache für die Entwicklung des Kindes und für den Erwerb der zweitenSprache hat. Daher fordern viele von dersozpäd. Fachkraft, ihrem Kind den Umgangmit Kindern gleicher Nationalität zu unter-sagen und dafür Sorge zu tragen, dass ihrKind in der Kindergruppe deutsch spricht.

Manche Eltern reagieren in der Tat sehrzurückhaltend, wenn ein Kindergarten ver-sucht, die Erstsprache im Kindergarten überdie muttersprachliche sozpäd. Fachkraft zuunterstützen.

Aber auch viele sozpäd. Fachkräfte sind nochder Meinung, dass Eltern im Hinblick auf die bevorstehende Einschulung und auf eineIntegration zu Hause mit ihren KindernDeutsch sprechen sollten, weil sie sich hier-von eine Unterstützung ihrer Arbeit ver-sprechen. Und in der Praxis ist vielfach zubeobachten, dass manche sozpäd. Fachkräf-te aus Sorge, die Kinder würden die deut-sche Sprache nur unzureichend erwerben,wenn sie untereinander in der Erstsprachesprechen, das Gespräch in der Erstspracheverbieten und darauf bestehen, dass in derKindergruppe nur deutsch gesprochen wird.

Darüber hinaus sind in den Tageseinrich-tungen zunehmend Kinder anzutreffen,deren Eltern über unterschiedliche Erstspra-chen verfügen und die ihre Kinder bilingualerziehen.

Von seiten der deutschen Eltern werden inverschiedenen Kindergärten Befürchtungenlaut, dass es ihren Kindern aufgrund eineshohen Anteils an Kindern aus zugewander-ten Familien an entsprechender Förderungfehle und dass ihren Kindern die mehrspra-chige Situation in den Gruppen schade.

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Zusammenarbeit mit E ltern

Ferner berichten einige sozpäd. Fachkräfte,dass bei einem Teil der Kinder das Sprachver-mögen geringer werde und eine „bewusste“Unterstützung der sprachlichen Fähigkeitendeutscher Kinder notwendiger werde.GRÜNDLER schreibt hierzu, dass im Kinder-garten immer häufiger Kinder angemeldetwerden, „von denen die Eltern sagen, sieverstünden sie, die sich aber sonst nieman-dem verbal verständlich machen“ könnten.58

In anderen Tageseinrichtungen wiederumwünschen sich deutsche Eltern, dass ihre Kin-der bereits im Kindergarten mit einer erstenFremdsprache bekannt gemacht werden.

Anlässe, dem Thema „Sprachentwicklungund Sprachförderung“ einen entsprechen-den Stellenwert in der Zusammenarbeit mit Eltern einzuräumen, gibt es also genug,wenn man die Vielfalt an Erwartungen,Wünschen und Meinungen betrachtet.

Ziele einer solchen Zusammenarbeit könnten sein:

¢ Wissen und Erfahrungen über die Sprach-entwicklung von Kindern auszutauschen,

¢ den Eltern die eigene Arbeit im Bereich„Sprachförderung“ vorzustellen,

¢ Eltern – wenn sie dies wünschen – kon-krete Anregungen für eine sprachlicheFörderung mitzugeben,

¢ Eltern aus zugewanderten Familienbewusst zu machen, dass sie die Haupt-verantwortung für den Erhalt der Erstsprache ihres Kindes tragen, dass siees sind, die ihre Kinder hierin in beson-derer Weise unterstützen können,

¢ Eltern das Gefühl geben, dass der Kin-dergarten ihnen bei der Förderung derErstsprache behilflich sein möchte,

¢ die Chancen einer Mehrsprachigkeit füralle Kinder mit den Eltern diskutieren.

In Aufnahmegesprächen oder bei Veran-staltungen zur Information der Eltern überdie Arbeit in der Einrichtung lassen sicherste Fragen zur Spracherziehung an dieEltern richten oder Vorstellungen der soz-päd. Fachkräfte vermitteln.

Darüber hinaus können diese Informatio-nen dazu beitragen, die Bezugspersonen inihren Kompetenzen für die Sprachförde-rung der Kinder zu unterstützen. MancheEltern und Großeltern sind verunsichert, obes denn nun richtig sei, mit den Kindern inihrer Erstsprache zu sprechen:

Mehmet spricht mit seinen Eltern sowohldeutsch als auch türkisch. Besonders gerneverbringt er seine Zeit beim Großvater. Er erzählt viele spannende Geschichten ausder Türkei. Mit ihm spricht Mehmet nur tür-kisch. Das ist manchmal gar nicht so einfach. 58 Gründler, 1998, S. 30

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Manche Wörter des Großvaters kennt ernicht. Dann muss er nachfragen, um die Ge-schichte zu verstehen. Und der Großvaterhilft Mehmet, wenn ihm ein Wort auf tür-kisch nicht einfällt. Die Eltern von Mehmetsind verunsichert, ob es für ihren Sohn gutist, so viel Zeit beim Großvater zu verbringen.Es erleichtert sie, von der sozpäd. Fachkraftzu hören, dass es Mehmet in seiner zwei-sprachigen Entwicklung unterstützt, wenner mit dem Großvater nur türkisch spricht.

Veranstaltungen für Eltern

Bevor sozpäd. Fachkräfte überlegen, Elternzu einem Thema „Sprachliche Entwicklungund/oder sprachliche Förderung im Kinder-garten“ einzuladen, ist es für sie hilfreich,Informationen zusammenzustellen und sichim Team eine Position zum Thema zu erar-beiten. Auch eine klare Zielvorstellung fürdas Gespräch mit den Eltern „Was wollen wirerreichen?“ und „Was wollen wir bei denEltern ansprechen?“ kann bei der Vorberei-tung förderlich sein.

Als Einstieg in die Gesprächsrunde mit Elternist eine Klärung der Wünsche und Vorstel-lungen von Eltern und sozpäd. Fachkräftenzum Thema denkbar.

Mit einem Impulsreferat lassen sich Aspekteder Sprachentwicklung bzw. der Zweispra-chigkeit darstellen. Auch über Filme, die z.B.bei den Landesbildstellen ausgeliehen wer-den können, über eine in der Einrichtungerstellte Dia – Reihe mit Alltagssituationenaus dem Gruppengeschehen oder mit Hilfedes „Sprachbaums“ lässt sich das Thema mit den Eltern erörtern.

Um eine Diskussion zu ermöglichen, ist beiAnwesenheit von zugewanderten Eltern zu bedenken, ob eine Übersetzung notwen-dig ist und wer diese Aufgabe wahrnehmenkann, ob jemand von den Eltern angespro-chen werden kann oder ob es sinnvoller ist,jemandem von außen die Aufgabe zu über-tragen.

Nach einer Einführung in das Thema solltenEltern Gelegenheit haben, ihre Eindrücke,Meinungen und Erwartungen auszutau-schen. Erfahrungsgemäß sind solche Diskus-sionen lebhafter und intensiver, wenn sichEltern mit gleicher Sprache bei Sachthemenin kleinen Gruppen zusammenfinden kön-nen. In diesen Gruppen können Eltern mit

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ähnlichen Erfahrungen, z.B. in der Sprach-erziehung, ihre Fragen und Wünsche mit-einander diskutieren. In diesem vertraute-ren Kreis sind sie eher bereit, offener – auchüber ihre Befürchtungen und Schwierigkei-ten – zu sprechen. Hierbei könnten folgendeFragen für die Diskussion leitend sein:

für zugewanderte Eltern

„Sind Sie der Meinung, dass Ihr Kind in der deutschen Sprache genügend gefördertwird?“„Wie finden Sie es, dass Ihr Kind im Kinder-garten seine Erstsprache spricht, dass wir IhrKind dabei unterstützen möchten?“

und für deutsche Eltern

„Wie denken Sie darüber, dass Ihr Kind imKindergarten zweisprachige Kinderantrifft?“„Meinen Sie, dass Ihr Kind genügend in derdeutschen Sprache unterstützt wird?“„Sollte die zweisprachige Situation der Kinder aus zugewanderten Familien für IhrKind genutzt werden?“

Kompetenzen der Eltern nutzen

Darüber hinaus sollte im Team erörtert wer-den, ob und wie Eltern mit ihren lebens-praktischen und sprachlichen Kompetenzenin die Arbeit einbezogen werden können.Über die Mitarbeit von Eltern können Ange-bote und Aktivitäten eingebracht werden,die zu einer Erweiterung der Lern- undErfahrungsmöglichkeiten der Kinder führen.Auch lassen sich z.B. Lieder, Spiele, Geschich-ten und Märchen aus dem kulturellen Um-feld der Kinder aus zugewanderten Familienmit Hilfe der Eltern in die Arbeit einbezie-hen. Hier sind Eltern oft bereit, sozpäd. Fach-kräfte zu unterstützen und entsprechendeMaterialien zur Verfügung zu stellen oderihnen bei der Suche nach Materialien zu hel-fen, in einer kleinen Kindergruppe Geschich-ten vorzulesen, mit Kindern zu singen odereine Speise zuzubereiten.

Heute steht es wieder an: das Gespräch mitden türkischen Müttern, deren Kinder denKindergarten „Am Römerpark“ besuchen.Seitdem Frau Akkaya, eine türkische Erzie-herin, im Kindergarten tätig ist, treffen sichdie türkischen Mütter auf Einladung derErzieherinnen in der Einrichtung zum Ge-spräch. Heute wollen die Erzieherinnen mitden Müttern überlegen, wie sie die sprach-

Heute steht es wieder an: das Gespräch mitden türkischen Müttern, deren Kinder denKindergarten „Am Römerpark“ besuchen.Seitdem Frau Akkaya, eine türkische Erzie-herin, im Kindergarten tätig ist, treffen sichdie türkischen Mütter auf Einladung dersozpäd. Fachkräfte in der Einrichtung zumGespräch. Heute wollen die sozpäd. Fach-kräfte mit den Müttern überlegen, wie sie

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die sprachlichen Fähigkeiten ihrer Kinderzu Hause unterstützen können. Obwohlsich die sozpäd. Fachkräfte lange mit demThema der zweisprachigen Erziehung vonKindern auseinandergesetzt haben, obwohlsie auch genau wissen, was sie mit denMüttern besprechen wollen, sind sie dochetwas aufgeregt: „Wie werden die Müt-ter wohl reagieren“?

Die Mütter hatten eine Einladung in türki-scher Sprache erhalten, Frau Akkaya hattesie noch einmal persönlich angesprochenund eingeladen und dabei die Bedeutungdes Themas für die Kinder herausgestellt.

Gegen 14.00 Uhr ist es soweit. Die türki-schen Mütter bringen – wie sie es bei frü-heren Gesprächen auch schon gemachthaben – Selbstgebackenes mit. In der ge-räumigen Küche, in der sich die Müttertreffen, ist der Tisch gedeckt, Tee und Kaf-fee zubereitet.

Nachdem sich alle begrüßt und miteinan-der ausgetauscht haben, unterhalten sichdie Mütter darüber, womit sich ihre Kin-der nachmittags oder am Wochenende be-schäftigen. Sie berichten, dass ihre Kindergern fernsehen oder vor dem Video sitzenund einige sich für Game-Boy interessie-

ren. Im weiteren Gespräch wird ihnendeutlich, dass bei diesen Aktivitäten kaumgesprochen wird, dass sie von sich ausauch nicht das Gespräch mit ihren Kindernsuchen, dass sie eigentlich wenig mit ihrenKindern sprechen.

Frau Akkaya erkärt, warum es für die Kin-der wichtig ist, dass in der Familie mit denKindern gesprochen wird, dass sie ihreKinder in ihrer Entwicklung unterstützen,wenn sie zu Hause mit ihnen in der Fami-liensprache sprechen und dass ihre Kinderdie deutsche Sprache nicht besser oderschneller lernen, wenn die türkische Spra-che ausgeschaltet wird. Zunächst war esganz ruhig, doch bald setzt ein lebhaftesGespräch ein. Für die Mütter ist diese In-formation neu. Bisher hat noch niemandmit ihnen über dieses Thema gesprochen.Gemeinsam überlegen sie dann, wie sieihren Kindern helfen können:¢ die Kinder fragen, was sie

im Kindergarten gemacht haben,¢ beim Einkaufen mitnehmen und sie

dabei einbeziehen,¢ die Fragen der Kinder beantworten.

Zudem wollen sie ihre Männer infor-mieren und mit ihnen über das heutigeGespräch reden.

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Sie verabreden, die nächsten Gespräche imKindergarten zu nutzen, um sich gegensei-tig über ihre Erfahrungen zu unterrichtenund gemeinsam nach weiteren Schritten zusuchen.

Frau Akkaya teilt mit, daß die Erzieherinnenfür jedeä Kind ein Tagebuch anlegen wol-len, in dem sie u.a. auch Äußerungen derKinder festhalten, die sie mit den Mütternbesprechen wollen, um ihnen zu zeigen, wiesich ihre Kinder sprachlich entwickeln.

5.3 Voraussetzungen zur Zusammenarbeit: Wertschätzungund Anerkennung

Grundlegende Voraussetzungen für einevertrauensvolle Zusammenarbeit mit Elternsind gegenseitige Wertschätzung und Aner-kennung. Eine vertrauensvolle Zusammen-arbeit ist allerdings nur dort möglich, wosozpäd. Fachkräfte und Eltern bereit sind,offen aufeinander zuzugehen.

Anerkennung und Beachtung von Elternkönnen in der Einrichtung deutlich werden,wenn wichtige Informationen, wie Einla-dungen, Ankündigungen, Elternbriefe,

Merkblätter, die Konzeption der Einrich-tung, für die Eltern in den verschiedenenSprachen vorliegen.

Ein „Willkommen“ im Eingangsbereich inden Sprachen, die in der Einrichtung ver-treten sind, oder aus Papier erstellte Hände,die von der Decke herabhängen und dieEltern in ihren Sprachen begrüßen, könnenEltern signalisieren, dass sie gerne gesehensind.

Ihre wertschätzende Haltung können soz-päd. Fachkräfte auch dadurch zum Ausdruckbringen, dass sie sich bemühen, die Fami-liennamen der Eltern korrekt auszusprechenund die Eltern mit ihrem Namen zu begrü-ßen.

Ferner sollten sozpäd. Fachkräfte Elterndazu ermutigen, in der Sprache mit ihrenKindern zu sprechen, zu der sie eine engereBeziehung haben, die ihnen näher ist. Dieswird bei zugewanderten Familien vielfachnoch die Erstsprache sein. Da Eltern inbezug auf die sprachliche Erziehung ihrerKinder vielfach verunsichert sind, brauchensie hier Unterstützung und Einfühlungsver-mögen. Es kann ihnen helfen, von der soz-päd. Fachkraft zu erfahren, wie wichtig dieErstsprache für die Entwicklung und zumWohle ihres Kindes ist und dass sie die im

Sie verabreden, die nächsten Gesprächeim Kindergarten zu nutzen, um sich gegen-seitig über ihre Erfahrungen zu unterrich-ten und gemeinsam nach weiteren Schrit-ten zu suchen.

Frau Akkaya teilt mit, dass die sozpäd.Fachkräfte für jedes Kind ein Tagebuchanlegen wollen, in dem sie u.a. auch Äu-ßerungen der Kinder festhalten, die siemit den Müttern besprechen wollen, umihnen zu zeigen, wie sich ihre Kindersprachlich entwickeln.

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familiären Bereich vorhandenen Möglich-keiten zum Gespräch mit ihren Kindern nut-zen sollten, auch im Hinblick auf den Erhaltder Erstsprache.

Die Sorge deutscher Eltern sollten sozpäd.Fachkräfte aufgreifen und ihnen aufzeigen,wie Kinder über die Auseinandersetzung mitanderen Sprachen wichtige Fähigkeitenerwerben können.

Regelmäßige Gespräche mit den Eltern können zudem dazu beitragen, die gegen-seitigen Erwartungen zu klären und dieMöglichkeiten zur Förderung von Kinderntransparent machen.

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