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82 Marie-Curie-Gymnasium in Dallgo w-Döberitz Grüntuch Er nst von Benedikt Hotze

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Marie-Curie-Gymnasium in Dallgow-DöberitzGrüntuch Ernstvon Benedikt Hotze

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Längst ist er nicht mehr ganz so fett, der Speckgürtel Berlins.Doch wie man hört, stehen die Gemeinden in Konkurrenz, mit vorzeigbarenSchulen um bauwillige Familien zu buhlen. Dieses neue Gymnasiumam westlichen Stadtrand ist das Ergebnis eines Wettbewerbs.

4aDer Clou des Raumkonzepts dieser Schule ist dieDachterrasse im ersten Stock – bei den Schülern istsie sehr beliebt. Die über 550 Gymnasiasten vertei-len sich in der Pause auf diesem Deck, rund um dasGebäude und im Hof im Erdgeschoss. Die Umgren-zung mit der farbig bedruckten Glasfassade lässtauch Lücken für den Blick in die Umgebung.

Lageplan M 1:10 000

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Die Schule betritt man durch den relativunspektakulären Haupteingang in der Mitte der großen Gebäudefront zur Seiten-straße. Der Eingang liegt eingezogen unter dem Vordach, das gleichzeitig denAbschluss des Pausendecks bildet. Hierstehen die schon angekommenen Schülerwie auf der Kommandobrücke, sehen ihreMitschüler eintreffen und legen dann abauf große Fahrt ins Klassenzimmer.Dieses Pausendeck auf dem Niveau desersten Obergeschosses ist der organisato-rische Clou dieser Schule: Eine zusätzli-che, holzbeplankte Fläche, in keinemRaumprogramm gefordert, bindet die bei-den L-förmigen Klassentrakte zusammenund bietet den Schülern hohe Aufenthalts-qualität – hier oben ist es jedenfalls vielinteressanter als auf dem regulären Schul-hof im Erdgeschoss.

Nach dem Durchschreiten des Eingangssteht man gleich in der offenen Cafeteria.Weiter geht es durch die Hauptachse derSchule, hier öffnen sich links der Blickdurch die großen, gläsernen Schiebetürenauf den rechteckigen Schulhof; rechts lie-gen hintereinander die – ebenfalls seitlichzu öffnende – Aula und dann, um einGeschoss abgesenkt, das große Volumender Turnhalle. Das Rückgrat der Schulebeginnt im Südosten und geht in RichtungNordwesten in eine Freiluft-Rampe zu denSportplätzen über; doch noch vor der Türnach draußen zweigen nach links undrechts die innenliegenden Klassenflure ab.Diese sind im Erdgeschoss, im Gegensatzzu fast allen anderen Verkehrsflächen desBaus, etwas düster geraten – insbesonderedort, wo sie an die Turnhalle grenzen. Auf der anderen Seite haben die Architek-ten wenigstens mit einer „Periskopinstal-lation“ eine irritierende Spiegelkonstruk-tion geschaffen, mit deren Hilfe nicht nurLicht in den unteren Flur geholt wird, sondern auch die Bewegungen auf demPausendeck ausspioniert werden können.

Die Architekten wussten bei der Bearbei-tung des Wettbewerbs noch nicht, wasgegenüber der Schule gebaut werdenwürde. Wer aber über das – soeben inBetrieb genommene – neue Marie-Curie-Gymnasium reden will, kommt nichtumhin, den Neubau im Kontrast zur un-mittelbaren Nachbarschaft zu sehen: Ein Wildschweinpark kleiner, frei stehenderEinfamilienhäuser ist dort mittlerweile ent-standen, alle mit Sattel- oder Krüppel-walmdach. Mittig auf viel zu kleinen Grund-stücken stehen sie da wie Spielzeuge – mitihren ganzen aufgeklebten Plastikspros-sen, ihren Barocktüren aus dem Baumarktund ihren so individuellen Applikationenwie US-Mail-Briefkästen, schmiedeeiser-nen Lampenhaltern und Regenablauf-ketten. Wenn man irgendwo dran klopft,klingt es hohl.

Hauptsächlich Berliner Familien versenkenhier an einem Ort, der kein Zentrum hat,sondern nur den Regional-Express nachBerlin, ihre 30 Jahre laufenden Hypothe-kenkredite im märkischen Sand. Damitschaffen sie den Bedarf an Schulen. Undoffenbar wollen die Gemeinden rundumBerlin mit vorzeigbaren Schulen bauwilligeFamilien anlocken. So erklärt sich jeden-falls der ehrgeizige Plan, ausgerechnet hierein „Leistungs-Gymnasium“ mit naturwis-senschaftlichem Schwerpunkt neu zuerrichten. Dazu gab es 2001 einen Wettbe-werb, den Grüntuch Ernst gewonnenhaben. Vorgaben waren das Grundstück,das Raumprogramm und eine Höhenbe-schränkung auf zwei Geschosse.

Moderne am Wildschweinpark

Entstanden ist eine kompakte, differenzier-te, durchaus urbane Großform, die sich ineinen deutlichen, ja krassen Kontrast zumGegenüber setzt. Hier ein klar gezeichneterBau in der guten Tradition der architekto-nischen Moderne, mit freundlichen Kon-zepten für Wege und Aufenthaltsflächen,für natürliche Belichtung und Belüftung, für Material und Konstruktion – und dortdie klein-klein zusammengewürfelten Retro-Sehnsüchte aus dem Katalog.

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Diese stattliche Nordwestansicht ist die den Sport-plätzen zugewandte Rückseite der Schule. Die Ein-gangsfront an der Straße dagegen (rechte Seiteunten) muss sich im Maßstab an den gegenüber-liegenden Einfamilienhäusern orientieren. Unten:Das „Periskop“ reflektiert Szenen vom Pausendecknach unten in den Flur und umgekehrt (siehe Detailschnitt Seite 89).

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Zwei Gesichter

Von der nordwestlichen Sportplatzseiteaus, die an einen Wald grenzt, wirkt dieSchule wesentlich wuchtiger als von derStraße. Gibt sie sich am Eingang ange-sichts des Gegenübers harmlos ein- biszweigeschossig, wirkt sie von hier wie einein die abfallende Topografie hineinmodel-lierte zweigeschossige Wissensburg mitSteinsockel. Eine große Freitreppe mitSitzstufen führt hinauf zum Pausendeck.Die Anmutung der Bauten mit ihren sicht-baren Aggregaten auf dem Dach ist dortoben die eines Wissenschaftsparks oderHochschul-Campus’. Tatsächlich ist auchim Inneren, mit konsequent von obengeführten Medien, der technische Aus-baustandard von zeitgemäßen Laborge-bäuden erreicht worden.

Die Fassaden der Schule bestehen aus teilweise bedruckten Glaspaneelen, Loch-blechen und Stahlprofilen. Immer wiederanders kombiniert und im Spektrum vongelb bis grün lackiert, wird hier ein dyna-misches Patchwork-Muster aus Flächenund Licht erzeugt, das vor allem im Inne-ren an fast jedem Ort für Helligkeit undOrientierung sorgt – auch im Hinblick aufdie Tageszeit: Die Architekten hoffen, dass das Licht im Haus wie eine Sonnen-uhr empfunden wird, die jeder Uhrzeit bestimmte Farb- und Lichtstimmungenzuordnet.

In den Klassen und Fachräumen selbstgeht es schlicht und funktionell zu, dieOberflächen sind aus Sichtbeton oderGipskarton. Statisch handelt es sich umeine ökonomische Schottenkonstruktionaus Stahlbeton. Somit blieb, im Gegen-satz zu so manchem der benachbartenKitsch-Eigenheime, die Schule strikt imKostenrahmen von 14,5 Millionen Euro.

Die Inszenierung des Lichts mit durchsichtigen,durchscheinenden Glasflächen und geschickt plat-zierten Leuchten wird noch gesteigert durch dieGelb- und Grüntöne aller Schattierungen. Sie tragen auch an grauen Tagen zu einer freundlichenAtmosphäre im Foyer (oben die Cafeteria) und inden Fluren bei.

Das Gebäude liegt an der Schwelle vom Siedlungs-zum Landschaftsraum. Ein geschosshoher Gelände-sprung rückt die Verkehrswege in den Mittelpunktdes Entwurfs: Drei Niveaus werden abwechslungs-reich durch breite Flure und Treppen, schmale Kor-ridore, kleine Stiegenhäuser und eine innere Straßemiteinander verbunden. Rechte Seite oben: imFoyer

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Bauherr: Landkreis Havelland, Der LandratArchitekten: Grüntuch Ernst, Berlinwww.gruentuchernst.deProjektteam: Florian Fels (Projektleitung), Erik Behrends, Olaf Menk, Jacob van Ommen, Volker RaatzTragwerksplaner: GTB – Berlin Gesellschaft für technische Bauplanung mbHHaustechnik: Brendel Ingenieure AGWettbwerb: 2001, 1. PreisBaubeginn: 3/2003Fertigstellung: 1/2005Standort: Marie-Curie-Straße 1, Dallgow-Döberitz

Anstrich: www.caparol.deMetallfassade: www.schueco.deLeuchten: www.selux.de, www.sill-lighting.comSchulmöbel: www.marlower-moebel.deSanitär: Duravit Keramik www.duravit.de; RotterArmaturen www.aquarotter.deHeizung: Joco-Stepline, Joco-Cityline www.joco-waermeinform.de

Fotos: Werner Huthmacher, Berlin

Farblich neutral, hauptsächlich in Weiß gehaltensind dagegen die Aula (oben) und die Unterrichts-räume (unten). Die Architekten konzentrieren diegroßen Gemeinschaftsräume wie Pausenhof, Aulaund Turnhalle in der Mitte, während die in Winkel-form aufgereihten Fachklassen und Klassenzimmerdie Gebäudekanten bilden.

Fassadenschnitt M 1:10

1 Blendschutz2 Anschlusswinkel an die Sichtbetondecke3 Blendschutz Seilführung4 Profilverbreiterung Brüstungsriegel5 Wärmefläche mit integriertem Elektrokanal6 Pfosten akustisch entkoppelt7 Tropfkante8 Betonfertigteil

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Grundrisse M 1:1000Längsschnitt ca.M1:500Detailschnitt Periskop M 1:100

1 Haupteingang2 Cafeteria3 Aula4 Lehrerzimmer5 Klassenzimmer Sekundarstufe I6 Klassenzimmer Sekundarstufe II7 Fachräume8 Bibliothek9 Hausmeister

10 Umkleide, Duschen11 Sporthalle12 Pausenhof13 Pausendeck14 Periskop

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