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BEYOND BUDGETING: MEHR AGILITÄT NICHT NUR FÜR DAS FINANZWESEN Wunder erreicht werden können. Feste Budgets verhindern daher eher Höchst- leistungen, als sie zu fördern. Beyond Budgeting sieht vor, relative Ziele zu ver- wenden und diese von Prognosen und Ressourcen zu entkoppeln (siehe Abbil- dung 1). Ehrgeizige Ziele werden z. B. relativ zu wichtigen Konkurrenten formuliert. Solch ein relatives Ziel ist beispielsweise: „Wir wollen mindestens die zweitbeste Wachs- tumsrate im Vergleich zu unseren wichtig- sten Wettbewerbern“ anstatt „wir wollen 3 % Umsatzwachstum“. Letzteres sagt wenig über die Leistung der Organisation aus. In einem positiven Marktumfeld sind 3 % einfach zu erreichen. Wenn alle ande- ren Wettbewerber negatives Wachstum haben, sind 3 % Wachstum eher unrealis- tisch. Aktuelle Prognosen erlauben es, auf Veränderungen frühzeitig zu reagieren und die Ressourcen an die aktuelle Lage anzu- passen. Die Bedeutung der Entkopplung von Zie- len, Prognosen und Ressourcen wollen wir an einem konkreten Beispiel aus der Softwareentwicklung erläutern: Viele Unternehmen sind immer schnelleren Veränderungen ausgesetzt. Agile Softwareent- wicklung stellt sich mittels inkrementeller Entwicklung und adaptiver Planung darauf ein. Beyond Budgeting adressiert die Herausforderungen einer sich schnell ändernden Umgebung in der Budgetierung, dem klassischen Führungsinstrument des Finanzwesens. Schaut man sich die Vorschläge genauer an, zeigen sich viele Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten mit Agilität. In diesem Artikel arbeiten wir anhand der im Buch „Implementing Beyond Budgeting“ von Bjarte Bogsnes dargestellten Erfahrungen bei der Einführung von Beyond Budgeting die Gemeinsamkeiten mit agilen Methoden heraus. mehr zum thema: bbrt.org/ 8 9 forcing them into endless rounds of dull mee- tings and tense negotiations. It encourages managers to lie and cheat, lowballing targets and inflating results, and it penalizes them for telling the truth” (vgl. [Jen01]). Die meisten von uns kennen Beispiele für die unerwünschten Effekte, die durch feste Budgets verursacht werden: Die Bestellung der neuen Server werden am Ende des Jahres noch schnell abgeschickt, weil noch Budget vorhanden ist, auch wenn wir sie eigentlich (noch) nicht brauchen. Ein gro- ßer Kundenauftrag wird vom Vertrieb ver- zögert, wenn die Umsatzziele für das aktuelle Jahr schon erreicht sind. Die Bindung der Zielvereinbarungen der Mitarbeiter an feste Budgets verleitet auch dazu, die Prognosen möglichst lange „ziel- konform“ zu lassen, auch wenn jedem klar ist, dass die Ziele nur noch durch ein Was hat Beyond Budgeting (BB) mit Agilität zu tun? Die Budgetierung ist eines der zentralen Führungsinstrumente im Unternehmen. Meist werden jährliche Budgets für Umsatz, Kosten und Ergebnis festgelegt, die dann in die Zielvereinbarun- gen der Mitarbeiter übernommen werden. Die traditionelle Budgetierung ähnelt daher der Softwareentwicklung nach dem Wasserfall-Prinzip: Wir machen einen Plan und führen ihn aus. Das funktioniert gut, wenn die Veränderungen für den Zeitraum der Planung überschaubar sind. Sowohl bei der Softwareentwicklung als auch beim Geschäftsverlauf ist das jedoch immer weniger der Fall. Die Kritik an der traditio- nellen Budgetierung ist deshalb nicht neu. So schreibt Jensen: „Corporate budgeting is a joke, and everyone knows it. It con- sumes a huge amount of executives' time, schwerpunkt Dr. Peter Braun ([email protected]) leitete bei Siemens Mobile Networks das erste Projekt, in dem ein agiler Entwicklungsprozess ein- geführt wurde. Derzeit arbeitet er als Coach für Lean & Agilität und unterstützt die Einführung von agilen Methoden bei NokiaSiemensNetworks. Sabine Canditt ([email protected]) ist Certified Scrum Trainerin und Certified Scrum Coach. Seit 2004 begleitet sie Einzelpersonen, Teams und Organisationseinheiten bei der Agilisierung, zunächst bei der Siemens AG und aktuell bei der Allianz Deutschland AG sowie als selbständige Beraterin. die autoren Abb. 1: Die traditionelle Budgetplanung knüpft Ziele, Prognosen und geplante Ressourcen zu einer Größe zusammen, was oft die Leistungsbereitschaft reduziert.

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BEYOND BUDGETING:

MEHR AGILITÄT NICHT NUR

FÜR DAS FINANZWESEN

Wunder erreicht werden können. FesteBudgets verhindern daher eher Höchst -leistungen, als sie zu fördern. BeyondBudgeting sieht vor, relative Ziele zu ver-wenden und diese von Prognosen undRessourcen zu entkoppeln (siehe Abbil -dung 1).

Ehrgeizige Ziele werden z. B. relativ zuwichtigen Konkurrenten formuliert. Solchein relatives Ziel ist beispielsweise: „Wirwollen mindestens die zweitbeste Wachs -tumsrate im Vergleich zu unseren wichtig-sten Wettbewerbern“ anstatt „wir wollen3 % Umsatzwachstum“. Letzteres sagtwenig über die Leistung der Organisationaus. In einem positiven Marktumfeld sind3 % einfach zu erreichen. Wenn alle ande-ren Wettbewerber negatives Wachstumhaben, sind 3 % Wachstum eher unreali s -tisch. Aktuelle Prognosen erlauben es, aufVerän derungen frühzeitig zu reagieren unddie Ressourcen an die aktuelle Lage anzu-passen.

Die Bedeutung der Entkopplung von Zie -len, Prognosen und Ressourcen wollen wiran einem konkreten Beispiel aus derSoftwareentwicklung erläutern:

Viele Unternehmen sind immer schnelleren Veränderungen ausgesetzt. Agile Softwareent -wicklung stellt sich mittels inkrementeller Entwicklung und adaptiver Planung darauf ein.Beyond Budgeting adressiert die Herausforderungen einer sich schnell ändernden Umgebungin der Budgetierung, dem klassischen Führungsinstrument des Finanzwesens. Schaut mansich die Vorschläge genauer an, zeigen sich viele Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten mitAgilität. In diesem Artikel arbeiten wir anhand der im Buch „Implementing Beyond Budgeting“von Bjarte Bogsnes dargestellten Erfahrungen bei der Einführung von Beyond Budgeting dieGemeinsamkeiten mit agilen Methoden heraus.

m e h r z u m t h e m a :bbrt.org/

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forcing them into endless rounds of dull mee-tings and tense negotiations. It encouragesmanagers to lie and cheat, lowballing targetsand inflating results, and it penalizes themfor telling the truth” (vgl. [Jen01]).

Die meisten von uns kennen Beispiele fürdie unerwünschten Effekte, die durch festeBudgets verursacht werden: Die Bestellungder neuen Server werden am Ende desJahres noch schnell abgeschickt, weil nochBudget vorhanden ist, auch wenn wir sieeigentlich (noch) nicht brauchen. Ein gro-ßer Kundenauftrag wird vom Vertrieb ver-zögert, wenn die Umsatzziele für dasaktuelle Jahr schon erreicht sind.

Die Bindung der Zielvereinbarungen derMitarbeiter an feste Budgets verleitet auchdazu, die Prognosen möglichst lange „ziel-konform“ zu lassen, auch wenn jedem klarist, dass die Ziele nur noch durch ein

Was hat Beyond Budgeting (BB) mitAgilität zu tun? Die Budgetierung ist einesder zentralen Führungsinstrumente imUnternehmen. Meist werden jährlicheBudgets für Umsatz, Kosten und Ergebnisfestgelegt, die dann in die Zielverein barun -gen der Mitarbeiter übernommen werden.Die traditionelle Budgetierung ähnelt daherder Softwareent wicklung nach demWasserfall-Prinzip: Wir machen einen Planund führen ihn aus. Das funktioniert gut,wenn die Veränderungen für den Zeitraumder Planung überschaubar sind. Sowohl beider Softwareent wicklung als auch beimGeschäftsverlauf ist das jedoch immerweniger der Fall. Die Kritik an der traditio-nellen Budgetierung ist deshalb nicht neu.So schreibt Jensen: „Corporate budgetingis a joke, and everyone knows it. It con -sumes a huge amount of executives' time,

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Dr. Peter Braun

([email protected])

leitete bei Siemens Mobile Networks das erste

Projekt, in dem ein agiler Entwicklungsprozess ein-

geführt wurde. Derzeit arbeitet er als Coach für

Lean & Agilität und unterstützt die Einführung von

agilen Methoden bei NokiaSiemensNetworks.

Sabine Canditt

([email protected])

ist  Certified Scrum Trainerin und Certified Scrum

Coach. Seit 2004 begleitet sie Einzelpersonen,

Teams und Organisationseinheiten bei der

Agilisierung, zunächst bei der Siemens AG

und aktuell bei der Allianz Deutschland AG sowie

als selbständige Beraterin.

d i e au toren

Abb. 1: Die traditionelle Budgetplanung knüpft Ziele, Prognosen und geplanteRessourcen zu einer Größe zusammen, was oft die Leistungsbereitschaft reduziert.

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■ Ein Projektleiter erhält den Auftrag(Ziel), einen bestimmten Funktion s -umfang für ein neues Produkt inner-halb einer vorgegebenen Zeit und einesvorgegebenen Budgets zu realisieren.

■ Es gibt Aufwandschätzungen (Progno -sen), anhand derer die Machbarkeitverifiziert wird.

■ Die Aufwandschätzungen sind die Basisfür die Zuweisung von Mitarbeitern(Ressourcen) an dieses Projekt.

Projektziele, Aufwandschätzungen und Res -sourcenzuteilung stehen in direktem Zusam -menhang und können vielleicht sogar durcheine gemeinsame Zahl ausgedrückt werden.Das kann zu unerwünschten Nebeneffektenführen. Je nach Interes senslage werden dieAufwandschätzungen manipuliert:

■ Der Projektleiter setzt sie möglichsthoch an, um auf der sicheren Seite zusein.

■ Der Auftraggeber versucht, die Zahlenzu drücken, aus der Annahme heraus,dass er dadurch seine Ergebnisseschneller und günstiger erhält.

Eine Entkopplung könnte so aussehen: Dasstrategische, mittelfristige Ziel bezieht sichauf den Erfolg des Produkts, z. B. auf ver-kaufte Stückzahlen. Aufwandschätzungenwerden benutzt, um den Fortschritt zu ver-folgen, und angepasst, wenn neue Infor -mationen vorliegen. Die Einhaltung derAufwandschätzungen ist jedoch nicht dasZiel des Projekts. Die Anzahl der Mitar beiter,die dem Vorhaben zugeordnet sind, richtetsich nach der strategischen Bedeutung desProjekts relativ zu anderen Vorhaben, sodassdie Mitarbeiter zum Besten der Organisationeingesetzt werden. Die Performance -management-Prinzipien (siehe Tabelle 2) desBB helfen, die Beurteilung der Mitarbeiter, indiesem Fall des Projektleiters, an dieseDenkweise anzupassen.

Wenn Agilität wirklich erfolgreich seinsoll, darf sie sich nicht nur auf dieSoftwareentwicklung beschränken, son-dern muss die gesamte Organisation einbe-ziehen. Diese Erkenntnis hat sich mittler-weile durchgesetzt und zu Vorschlägengeführt, wie man Vertragswesen, organisa-torische Veränderungsprozesse, die Zusam -menarbeit mit Zulieferern, das Personal -wesen usw. mit agilem Vorgehen inEin klang bringen kann. Kaum etwas zuhören war bisher über Abläufe inFinanzabteilungen, obwohl es offensichtli-

che Berührungspunkte gibt. BB kann hel-fen, diese Lücke zu schließen.

Die Probleme fester Budgets sind derAusgangspunkt der Beyond-Budgeting-Initiative. Letztlich stellt sich aber heraus,dass die Probleme tiefer liegen und ein neu-es Management-Modell erfordern.

Beyond Budgeting umsetzenBB „ist eine 1998 in England initiierteForschungsinitiative und ein Management -modell für Organisationen jeder Art ‚jen-

seits von Weisung und Kontrolle‘. Es wirdals eine Alternative zum tayloristischen,bürokratisch-hierarchischen Organisa -tions modell verstanden“ (vgl. [Wik]). Ausder Literatur (z. B. [Hop03], [Dau05],[Pfl11]) haben wir für diesen Artikel„Implementing Beyond Budgeting“[Bog08] als Grundlage gewählt, weil dasBuch von Bogsnes nicht nur theoretischeGrundlagen, sondern Erfahrungen ausmehreren Unternehmen enthält. Dadurchwird das Potenzial dieses Ansatzes veran-schaulicht.

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Tabelle 1: BB-Führungsprinzipien.

Tabelle 2: BB-Prinzipien für Performancemanagement.

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ven Leistungsvergleiche sind wirksamer alsabsolute Ziele – wie bei einem Fuß ball -team, das sich nicht als Ziel setzt, 45 Torepro Saison zu schießen, sondern dieMeisterschaft zu erringen. Auch wenn esbei vielen Firmen nicht so einfach ist,Partner für interne Leistungsvergleiche zufinden, kann man sich z. B. an der eigenenLeistung in der Vergangenheit messen.

Statt einer Budgetplanung im festenJahresrhythmus arbeitet Borealis mit einem„5/4 Rolling Forecast“, also einerVoraussage, die jeweils für fünf Quartaleim Voraus erstellt und angepasst wird (sie-he Abbil dung 2).

Borealis benutzte zunächst einen relativauf die Marktbedingungen bezogenen Wertfür Return on Capital Employed (ROCE)als einzigen finanziellen Key PerformanceIndicator (KPI). Wie dieses Ziel erreichtwird, entscheiden die einzelnen Geschäfts -einheiten selbst. Diese Kenngröße wurdespäter durch andere ersetzt, verbunden mitder Erkenntnis, dass „Erwartungen, wasKPIs für uns tun können, viel zu hochgesteckt waren“.

Ambition to Action ist bei Statoil derName für einen integrierten Ansatz zurStrategie und Leistungsbeurteilung. Die ein-zelnen Organisationseinheiten setzen sichstrategische Ziele für fünf unterschiedlicheKategorien, definieren Aktionen und verfol-gen den Fortschritt mit Hilfe von entspre-chend definierten KPIs. Anstatt das Budget

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Jeder brauchtseine eigene ReiseBB ist kein Kochbuch, sondern muss unter-nehmensspezifisch umgesetzt werden. Da -her widmet Bogsnes den Hauptteil seinesBuchs der Einführung von BB in dreiOrganisationen:

■ Die schwedische Bank Svenska Han -dels banken.

■ Borealis, Europas größtes petrochemi-sches Unternehmen.

■ Statoil (vormals StatoilHydro), norwe-gisches Energieunternehmen in der Öl-und Gasproduktion und Skandinaviensgrößtes Unternehmen.

Bogsnes verfügt über die einzigartigeErfahrung, in zwei dieser Firmen – Borealisund Statoil – maßgeblich an der Einfüh -rung von BB beteiligt gewesen zu sein. Erschildert keinen Königsweg, sondern dieLektionen, die diese Firmen auf ihrem Weggelernt haben, und auch die Schwierig -keiten, die mehr oder weniger gut über-wunden werden konnten. Ein paar interes-sante Details:

Bei Handelsbanken wurde das indivi-duelle Ziel- und Bonussystem durch eininternes Benchmarking von Regionen undZweigstellen abgelöst. Jede Einheit istdadurch motiviert, besser als derDurchschnitt zu sein – als „Nebeneffekt“lernt die ganze Organisation. Solche relati-

Wir geben in diesem Artikel zunächst einekurze Zusammenfassung und teilen dannunsere Erkenntnisse, die sich aus der Lektüremit der agilen Brille auf der Nase im Ver -gleich mit agilen Methoden ergeben haben.Bogsnes geht zunächst auf einige Problememit traditionellem Management ein:

■ Der Hauptgrund für die jährlicheBudgetierung ist der Wunsch nachKontrolle bzw. das fehlende Vertrauen,dass Kosten auch ohne Zuteilung einesBudgets unter Kontrolle gehalten wer-den können. Er vergleicht die jährlichenPlanungsrunden mit einer Bank, die nureinmal im Jahr für vier Wochen geöffnethat. In dieser Zeit müssen die Kundenihre Kreditwünsche platzieren. Das führtnatürlich dazu, dass alle nur denkbarenBedürfnisse als besonders wichtig einge-bracht werden – und dazu, dass daszugeteilte Budget garantiert auch ausge-geben wird, selbst wenn es gar nichtmehr unbedingt benötigt wird.

■ Die Planung und anschließend dieVerfolgung der tatsächlich aufgelaufe-nen Kosten ist aufwändig und zudemineffizient, weil sie alle Beteiligten dazubringt, die Budgetplanung mit den eige-nen Zielen in Einklang zu bringen. Dasführt zu politischen Ränkespielchen,anstatt sich auf Kunden und Märkte zukonzentrieren.

■ Mit der Budgetsteuerung versucht manoft, drei Fliegen mit einer Klappe zuschlagen: sinnvolle und herausfordern-de Ziele zu setzen, verlässliche Vor -hersagen zu treffen und Ressourceneffektiv zuzuordnen. Mitarbeiter, dieihre Boni erhalten wollen, wissengenau, dass ihre Vorhersagen als Zielezu ihnen zurückkommen, und werdendie Zahlen minimieren.

Letztlich ist aber die Budgetierung nur einSymptom der Unternehmenskultur. Des -halb verlangt BB eine veränderte Manage -ment-Philosophie und geht damit über dasFinanzwesen und die Budgetierung hinaus.BB ist kein Werkzeugkasten zur Steuerungbetriebswirtschaftlicher Vorgänge, sondernvielmehr ein prinzipienorientiertes Paradig -ma für Führungsverhalten und Perfor -mance management (vgl. [Wik]):

Die 12 Prinzipien von Beyond Budgeting(siehe Tabellen 1 und 2) sind in Führungs-und Performancemanagment-Prinzipieneingeteilt. Lesen sie sich nicht wie eineErweiterung des Agilen Manifests?

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Abb. 2: Rolling-Forecast erfordert zwar häufigeres Planen. Dafür ist der Aufwand fürdie Planung geringer. Da der Plan quartalsweise aktualisiert wird, sind dieAnforderungen an die Genauigkeit für die weiter in der Zukunft liegenden Quartalenicht so groß. Das erinnert an das Zusammenspiel von Release- und Sprint-Planung,wie wir es aus Scrum kennen.

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von Organisationseinheiten zu kontrollie-ren, genehmigt das Management nun dieAmbitions to Action. Die Dezen trali sierunggibt den einzelnen Teams Hand lungs -spielraum und überträgt ihnen Ver -antwortung. Individuelle Ziele für Er geb - nisse und Verhalten werden darausabgeleitet. Bei der Leistungsbeurteilung wer-den nicht nur einzelne KPIs betrachtet, son-dern es wird ein holistischer Ansatz verfolgt.

Anstatt eines jährlichen Budgets werdenRessourcen dynamisch zugewiesen. DieFrage „Ist das die richtige Aktivität?“ tritt andie Stelle der Frage „Habe ich Budget für die-se Aktivität?“. Dabei ist die neue Frage sogarnoch schwieriger zu beantworten. Koste n -ziele werden pro Einheit angegeben undnicht als absolute Zahlen. Mechanismen, dieje nach Bedingung gewählt werden können,machen diesen Prozess dynamisch undselbstregulierend. Ein Beispiel: EineOrganisationseinheit hat Ziele, die durch die-se beiden KPIs ausgedrückt werden:

■ Kosten für das Finden neuer Ölquellen:4 US-Dollar/Barrel

■ Neue Öl-Ressourcen: 200 MillionenBarrels

Das Produkt aus beiden Werten, 800Millionen US-Dollar, ist kein festes Budget.Vielmehr kann die Einheit es überschreiten,wenn mehr Öl gefunden wird, unterEinhaltung der Kosten pro Barrel – wiesollte man auch im Voraus wissen, in wel-chem Maße neue Ölbohrungen erfolgreichsind? Es existieren jedoch auch hierKontrollen: für die Entscheidungen gibt eseinen vorgegebenen finanziellen Rahmen,klare Entscheidungskriterien und Reviewszu bestimmten Entscheidungspunkten.

Über neue Projekte und Investitionen wirdvierteljährlich entschieden. Dies geschiehtauf Basis von drei getrennten Werten:■ Möglichst realistische Kostenvor her -

sage.■ Ambitionierte Ziel-Kosten.■ Eine Schätzung für die Ressourcen-

Zuteilung. Diese ist höher als die realisti-sche Kostenvorhersage, die mit 50-%igerWahrscheinlichkeit überschritten wirdund jedes zweite Projekt dazu zwingenwürde, um Nachschlag zu bitten.

Gemeinsamkeiten von BB undAgilitätEs gibt eine Fülle von Überschneidungenund Gemeinsamkeiten zwischen BB undAgilität:

■ BB funktioniert genau wie Agilität nurdann richtig, wenn der Mindset stimmtund durch ein entsprechendes Füh -rungsverhalten getragen wird, nachdem Motto „Vertrauen und Trans pa -renz über Kontrolle“. Was der NameBB nicht suggeriert: Letztlich geht esum das zu Grunde liegende Manage -ment modell. BB auf die Abschaffungvon Budgets zu beschränken, wäre ähn-lich kurz gesprungen, wie Agilität nurdurch Einführung von Iterationen errei-chen zu wollen.

■ BB und Agilität beruhen auf Prinzipien,die viele Implementierungsdetails offen

lassen. Es wird darauf verwiesen, dassjedes Unternehmen seine eigenenRandbedingungen hat, die mit speziel-len Lösungsansätzen angegangen wer-den müssen. Das hat den Charme einerallgemeinen Anwendbarkeit, lässt aberviele Fragen offen und konkrete Hilfe -stellungen vermissen.

■ Sowohl BB als auch Agilität beruhenauf der Erkenntnis, dass in einer immerdynamischeren und nicht vorhersagba-ren Umwelt Flexibilität für eineOrganisation überlebenswichtig ist.Hohe Anpassungs- und Innovations -fähigkeit bei der Erfüllung derErwartungen von Kunden und anderenStake holdern stehen über der effizien-ten Nutzung von Ressourcen, die dasZiel von klassischer Budgetsteuerungist. Dies wird erreicht durch dynami-sche Planung und dezentralisierteKontrolle. Agiles Projektmanagementsetzt Wert und Qualität über dieErfüllung der „klassischen“ Ziele „inScope, in Time, in Budget“ (vgl.[Hig09]) und ermöglicht dies durchadaptive Planung mit Hilfe eines dyna-mischen und geordneten ProductBacklog.

■ Die klassische Budgetsteuerung ver-nachlässigt die systemische Sicht auf dieOrganisation und den menschlichenFaktor. Gerade für Flexibilität ist esaber notwendig, die Eigeninitiative von

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Tabelle 3: Beyond Budgeting: Begriffsklärung.

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Managern und Mitarbeitern zu för-dern. BB gibt einzelnen Teams bzw.Organisationseinheiten Freiraum, in -nerhalb eines gegebenen Rahmens auchfinanzielle Entscheidungen zu fällen.Das Hauptziel dabei ist, das Richtigefür Kunden und Markt zu tun undsomit die Wertschöpfung zu maximie-ren – die Minimierung von Kosten istdazu nur ein mögliches Mittel zumZweck. Genau diese unternehmerischeDenkweise ist eigentlich Aufgabe desProduct Owner (PO), dem aber, wennes um Budget-Entscheidungen geht, inder Realität oft genug die Händegebunden sind. Scrum-Teams (inklusi-ve PO) sollen sich zwar selbst organi-sieren, das Thema Budget bzw. Kostenist dabei jedoch meist ausgeklammert.

■ Relative Ziele und die Trennung vonZielen und Vorhersagen bei BB verrin-gern die Gefahr, dass Umsatzziele nachunten verhandelt werden und dieMitarbeiter nach Erreichen ihres Bonusweitere Umsätze in die nächste Periodeverschieben. Das erinnert an eine aktuel-le Diskussion in der Scrum-Gemeinde,die dadurch ausgelöst wurde, dass in derneuesten Version des Scrum-Guide (vgl.[Sch11]) der Begriff „Commitment“durch „Forecast“ ersetzt wurde. Der PObenötigt für eine gute Planung einerealis tische Vor hersage. Wenn das Teamgenötigt wird, sich dieser Vorhersage zuverpflichten, fällt sie verständlicherweisevorsichtiger aus. Darunter leidet diePerfor mance (Parkinsons Gesetz: DieArbeit dehnt sich genau in dem Maßaus, wie Zeit zur Verfügung steht). Auchfür Scrum-Teams kann es daher sinnvollsein, bewusst mit getrennten Werten fürCommitment, Forecast und Budget zuarbeiten.

■ Transparenz ist bei BB so wichtig wiebei Agile, damit alle Beteiligten sinnvol-le Entscheidungen im Einklang mit derStrategie und im Sinne einer globalenOptimierung treffen können. Trans -parenz, gepaart mit Verantwortung,verhindert Verschwendung auch ohneMikromanagement.

■ Der Umgang mit Zielen und Leis -tungsbeurteilung ist ein Thema, beidem Organisationen beweisen müssen,wie ernst sie es mit agilen Vor gehens -weisen meinen. Individuelle Ziele undfinanzielle Anreize passen nicht zu einerteamorientierten Denkweise – und sindauch sonst kontraproduktiv für die

Motivation (vgl. [Koh00]). BB setztstattdessen konsequent auf relativeZiele und die Belohnung von gemein-sam erreichten Erfolgen.

Ein agiler Portfolio-BacklogDie adaptive Planung kommt sehr schnellan ihre Grenzen, wenn sich herausstellt,dass ein Projekt mehr Budget benötigt, alsim Jahresbudget vorgesehen ist, oder wennim Laufe eines Jahres ein nicht eingeplantesneues Projekt initiiert werden soll – wennsich also ganze Projekte so „verhalten“ wieAnforderungen im Product Backlog. BBermöglicht eine Flexibilisierung des Port -folio-Backlogs und damit ein agilesManagement des Projekt- bzw. Produkt-Portfolios (siehe Abbildung 3).

Wir greifen hier das Beispiel, das wir inder Einführung zur Entkopplung vonZielen, Prognosen und Ressourcen ge -bracht haben, wieder auf. Ein Portfolio-Backlog priorisiert die Investment-Themen(die Ziele) einer Organisation (Projekteoder Produkte). Die Themen sollten aufkleinere Einheiten herunter gebrochen wer-den, die einzeln oder in Gruppen ausgelie-fert werden können („kleinstes vermarkt-bares Feature-Set“). Die Budgetzuweisung(Res sourcen) erfolgt stufenweise und kannregelmäßig angepasst werden, z. B. alle dreiMonate. So erhält man eine rollierendePlanung mit einer Vorschau auf die näch-sten Quartale (Prognose). Der Reihenfolgeim Portfolio-Backlog kann kontinuierlichaktualisiert werden, um neue Anforderun -

gen von Kunden oder Feedback aus denlaufenden Themen zu berücksichtigen. DieTeamzuteilung zu Themen wird so ange-passt, dass die Themen mit dem höchstenNutzen bzw. Gewinn zuerst realisiert wer-den können. Gegebenenfalls kann auch dieKapazität (Budget) der Organisation ange-passt werden, wobei eine Konstanz derGesamtkapazität und der Teamzusam -mensetzung wegen hohem Einarbeitungs -aufwand und drohendem Motivations -verlust der Mitarbeiter wünschenswert ist.Im Beispiel in Abbildung 3 wurden zweiQuartale abgearbeitet und dabei die erstendrei Investment-Themen fertiggestellt. Imdritten Quartal werden die nächsten dreiThemen gestartet (1, 2, 3).

Dean Leffingwell betont die Bedeutungdieser obersten Planungsebene, um voneiner Teamagilität zu einer Unterneh mens -agilität zu gelangen (vgl. [Lef10]): Orga -nisa tionseinheiten müssen die Verwendungdes Jahresbudgets rechtfertigen. Dazu müs-sen sie detaillierte Pläne und Schätzungenüber die Arbeitsaufgaben abgeben. Das istgenau das Gegenteil von dem, was wir mitagiler Planung erreichen wollen. Leffing -well verweist auf BB mit der Begründung:„The traditional budgeting process in notreally up to the challenge of agile portfolioplanning“.

Flexibles BudgetWas bedeutet BB für die Budgetierung vonSoftwareentwicklungsprojekten?

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Abb. 3: Agiler Portfolio-Backlog und kontinuierliche Entwicklung.

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Projekte mit festem Budget sind wieFestpreisprojekte, unabhängig davon, obAuftragnehmer und Auftraggeber einergemeinsamen Organisation angehören odernicht. Wenn mit dem Budget frühzeitigbereits der genaue Funktionsumfang fest-gelegt wird, verringert das die Flexibilitätund verhindert oft den maximalen Nutzenfür den Auftraggeber des Projekts, da dasgenaue Verständnis, was dieser wirklichbraucht, häufig erst im Laufe der Ent -wicklung entsteht. Ein flexiblerer Budget -rahmen und eine inkrementelle Ent -wicklung erlauben es, das Feedback derNutzer besser zu berücksichtigen. Daskann zu einer Verkürzung der Projekt lauf -zeit und zu Einsparungen führen, fallsschneller genügend Funktionen vorhandensind, als ursprünglich geplant – oder zueiner Verlängerung, falls sich noch weitereFunktionen mit hohem Kundennutzen her-auskristallisieren. Agile Vertragsmodelleberücksichtigen diese Möglichkeiten undsichern die Risiken für Auftragnehmer und-geber ab (vgl. z. B. „Money for nothing,change for free“, [Sut08]).

FazitBB gehört – im Gegensatz zu agilen Vor -gehensweisen – sicher noch nicht zumMain stream und ist selbst bei vielenControllern noch nicht bekannt. BB kannjedoch bei der Diskussion von agilen Teamsmit ihren Kaufleuten dabei helfen, gemein-same Prinzipien zu entdecken, die Auswir -kungen der traditionellen Budgetierung fürdie Entwicklung bewusst zu machen und

für Veränderung im Managementstil zuwerben. Neben den oben erwähntenBeispielen wenden Pioniere aus unter-schiedlichsten Bereichen wie Ikea, dm-dro-gerie markt, Aldi, Southwest Airlines,Toyota, Google und andere BB erfolgreichan. Der „Beyond Budgeting Round Table“(vgl. [BBRT]) ist ein Netzwerk aus mehr als150 Firmen, das diese Fallbeispiele unter-

sucht und allgemeine Prinzipien darausabgeleitet hat, um weiteren Unternehmenden Übergang zu BB zu erleichtern – ähn-lich wie sich vor zehn Jahren das AgileManifest aus einer Reihe verwandter agilerAnsätze herauskristallisiert hat und mittler-weile einen bewährten Grundstock anPrinzipien darstellt, an dem Unternehmensich orientieren können. ■

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Literatur & Links

[BBRT] BBRT, Beyound Budgeting Roundtable, siehe: www.bbrt.org/

[Bog08] B. Bogsnes, Implementing Beyond Budgeting: Unlocking the Performance Potential,

Wiley & Sons 2008

[Dau05] J.H. Daum, Beyond Budgeting, Meidenbauer 2005

[Hig09] J. Highsmith, Agile Project Management: Creating Innovative Products, Addison-Wesley

Professional 2009

[Hop03] J. Hope, R. Fraser, P. Horváth, R. Sauter, Beyond Budgeting: Wie sich Manager aus der

jährlichen Budgetierungsfalle befreien können, Schäffer-Poeschel 2003

[Jen01] M.C. Jensen, Why Corporate Budgeting Needs To Be Fixed, 2001, siehe:

http://hbswk.hbs.edu/item/2647.html

[Koh00] A. Kohn, Punished by Rewards: The Trouble with Gold Stars, Incentive Plans, A'S,

Praise, and Other Bribes, Houghton Mifflin 2000

[Lef10] D. Leffingwell, Agile Software Requirements, Lean Requirement Practices for Teams,

Programs, and the Enterprise, Addison-Wesley 2010

[Pfl11] N. Pfläging, Beyond Budgeting, Better Budgeting: Ohne feste Budgets zielorientiert führen

und erfolgreich steuern, Books on Demand GmbH 2011

[Sch11] K. Schwaber, J. Sutherland: The Scrum Guide, 2011, siehe:

scruminc.com/tl_files/scrum_inc/documents/Scrum%20Guide%20Scrum%20Inc.%20Oct%202011.pdf

[Sut08] J. Sutherland, Agile Contracts: Money for Nothing and Your Change for Free, 2008, siehe:

jeffsutherland.com/Agile2008MoneyforNothing.pdf

[Wik] Wikipedia, Beyond Budgetings, siehe: de.wikipedia.org/wiki/Beyond_Budgeting