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Biochemie Eine Einführung für Mediziner und Naturwissenschaftler Bearbeitet von Von: Werner Müller-Esterl. Unter Mitarbeit von Ulrich Brandt, Oliver Anderka, Stefan Kerscher, Stefan Kieß und Katrin Ridinger 3., korr. Auflage 2018. Buch. XX, 740 S. Hardcover ISBN 978 3 662 54850 9 Format (B x L): 19.7 x 26.6 cm Gewicht: 2037 g Weitere Fachgebiete > Medizin > Vorklinische Medizin: Grundlagenfächer > Biochemie (med.) Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Biochemie

Eine Einführung für Mediziner und Naturwissenschaftler

Bearbeitet vonVon: Werner Müller-Esterl. Unter Mitarbeit von Ulrich Brandt, Oliver Anderka, Stefan Kerscher, Stefan Kieß

und Katrin Ridinger

3., korr. Auflage 2018. Buch. XX, 740 S. HardcoverISBN 978 3 662 54850 9

Format (B x L): 19.7 x 26.6 cmGewicht: 2037 g

Weitere Fachgebiete > Medizin > Vorklinische Medizin: Grundlagenfächer >Biochemie (med.)

Zu Inhaltsverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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2.1 Stoffliche Zusammensetzung einer Säugetierzelle. Die Angaben erfolgen in Pro-zent des Gesamtgewichts einer lebenden Zelle. Die Zusammensetzung einer Bakteri-enzelle ist weitgehend ähnlich.

2.2 Synthese und Abbau von Polymeren durch Kondensation und Hydrolyse. a)Schematische Darstellung. b) Prototypen von Biopolymeren. Für ihre Biosynthesesind „aktivierte“ Bausteine nötig ( g Abschnitt 18.2).

2Biomoleküle –Bausteine des Lebens

Kapitelthemen: 2.1 Hauptklassen der Biomoleküle 2.2 Monosaccharide 2.3 Aldohexosen2.4 Disaccharide 2.5 Polysaccharide 2.6 Aufbau von Nucleinsäuren 2.7 Polynucleotide2.8 Genetischer Informationsfluss 2.9 Aufbau von Proteinen 2.10 Aufbau von Aminosäuren2.11 Aminosäuren als Ampholyte 2.12 Peptidbindungen 2.13 Triacylglycerine 2.14 Phos-pholipide und Glykolipide 2.15 Biomembranen

Die moderne Biochemie richtet ihr Hauptaugenmerk auf Ob-jekte, die zwischen belebter und unbelebter Welt angesiedeltsind: Biologische Makromoleküle wie Proteine, Lipide, Koh-lenhydrate und Nucleinsäuren sind ebenso Produkte biolo-gischer Aktivität wie Ausgangsmaterial für biologische Ab-und Umbauprozesse. Für sich genommen sind solche Bio-moleküle aber unbelebte Strukturen. Wir können sie daherals Bausteine des Lebens bezeichnen, die komplexe bioche-mische Vorgänge in Zellen und Organismen ermöglichen.Ebenso wie ein Bausatz mit wenigen unterschiedlichen Tei-len auskommt, die beliebig miteinander kombinierbar sind,so zeichnen sich auch Biomoleküle durch das Prinzip einervielfältigen Kombinatorik aus.

2.1Vier Klassen von Biomolekülendominieren die Biochemie

Die Chemie des Lebens spielt sich im wässrigen Milieu ab. Soverwundert es nicht, dass ca. 70% des Gewichts einer leben-den Zelle auf Wasser entfallen (Abbildung 2.1). Den Löwen-

© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018W. Müller-Esterl, ,https://doi.org/10.1007/978-3-662-54851-6_2

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2.3 Struktur von Triosen. Die beiden Kohlenhydrate sind Konstitutionsisomere. DieBezifferung der C-Kette beginnt an dem Ende, das die Aldehydgruppe trägt bzw. derKetogruppe näher ist. Das asymmetrische C-Atom von Glycerinaldehyd ermöglichtzwei Enantiomere: Neben der gezeigten D-Form gibt es die seltenere L-Form.

anteil unter den organischen Molekülen nehmen Eiweiß-stoffe oder Proteine mit ca. 18% ein; als „Werkzeuge“ derZelle nehmen sie vielfältige strukturelle und funktionelleAufgaben wahr. Die Gruppe der Fettstoffe oder Lipide machtca. 5% des Zellgewichts aus; sie sind wichtige Nährstoffeund spielen als Strukturträger biologischer Membranen eineüberragende Rolle. Kohlenhydrate, auch Saccharide oder Zu-cker genannt, sind bedeutende Energielieferanten, habenaber auch strukturelle Aufgaben; sie machen ca. 2% desZellgewichts aus. Mit 1,5% folgen Nucleinsäuren, die Infor-mationsträger der Zellen. Schließlich tragen anorganischeIonen wie Na+, K+, Ca2+, Cl–, HCO3

– und HPO42– in ihrer Ge-

samtheit ca. 1% zum Gesamtgewicht der Zelle bei.Die aufgezählten Biomoleküle gehören völlig unter-

schiedlichen Stoffklassen an. Mit Ausnahme der Lipide, dieauch ohne kovalente Bindungen größere Molekülverbändeausbilden können, entstehen große Biopolymere wie Prote-ine, Kohlenhydrate und Nucleinsäuren formal durch Konden-sation, d.h. unter Wasserabspaltung aus ihren monomerenBausteinen (Abbildung 2.2). Die Abfolge der Bausteine inden kovalent verknüpften Biopolymeren und die Ketten-länge der entstehenden Makromoleküle sind dabei extremvariabel. Hingegen ist die Zahl unterschiedlicher Grundbau-steine eng begrenzt: So kommen in den beiden Haupttypenvon Nucleinsäuren insgesamt nur fünf verschiedene Nucleo-tide vor, und Proteine greifen auf einen Satz von 20 Stan-dardaminosäuren zurück. Lediglich Kohlenhydrate weisenmit über 100 Monomertypen ein deutlich größeres Spektrumauf, wobei aber wenige Grundbausteine wie Glucose, Galac-tose, Ribose und Desoxyribose dominieren. Proteine undNucleinsäuren bilden im Allgemeinen lineare, unverzweigteKetten, während Polysaccharide oft verzweigt sind. AllenMakromolekülen gemein ist ihr Abbau durch Hydrolyse, deroft wieder zu den Grundbausteinen führt. Wir beginnen un-sere Betrachtung bei den Sacchariden

2.2Monosaccharide sind dieGrundbausteine der Kohlenhydrate

Grundeinheiten der Kohlenhydrate sind relativ kleine or-ganische Ketone und Aldehyde mit zwei oder mehr Hydro-xylgruppen, die Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoffenthalten; ihre Derivate können auch Stickstoff, Phosphoroder Schwefel aufweisen ( g Tafeln A5, A6). Je nach Po-lymerisationsgrad unterscheidet man Einfachzucker oderMonosaccharide von Mehrfachzuckern wie Di-, Oligo- oderPolysacchariden (griech. sakcharon, Zucker). Kohlenhydrategehören zu den vielseitigsten Bausteinen des Lebens: Sie die-nen als Energiewandler und –speicher, erkennen und sortie-ren zelluläre Strukturen, liefern mechanische Stütz- undSchutzstrukturen für Zellen, Gewebe oder ganze Organismen

und dienen als Signalstoffe. Beispiele hierfür sind die Mono-saccharide Glucose (Traubenzucker) und Fructose (Fruchtzu-cker), die Disaccharide Saccharose (Rohrzucker) und Lactose(Milchzucker) sowie das saure Oligosaccharid Heparin, einHemmstoff der Blutgerinnung. Die glucosehaltigen Polysac-charide Glykogen und Stärke fungieren als Energiespeicherbei Tieren bzw. Pflanzen. Das Polysaccharid Chitin bildet mitCalciumcarbonat das harte Außenskelett von Gliedertieren.Cellulose, ein Gigant unter den Polysacchariden, liefert denwichtigsten Gerüststoff für Pflanzen: Mit einer jährlichenProduktion von rund 1012 Tonnen ist Cellulose das meistsyn-thetisierte Biomolekül überhaupt!

Monosaccharide sind relativ einfach gebaut: Ihre Grund-formel ist Cn(H2O)n – daher „Kohlenhydrat“ – wobei n ø 3 ist.Monosaccharide mit drei C-Atomen werden als Triosen be-zeichnet; entsprechend enthalten Tetrosen vier, Pentosenfünf, Hexosen sechs, Heptosen sieben C-Atome. Die ein-fachsten Monosaccharide sind Glycerinaldehyd und Dihy-droxyaceton (Abbildung 2.3). Die beiden Konstitutionsiso-mere haben unterschiedliche funktionelle Gruppen: Die Al-dehydgruppe weist Glycerinaldehyd als Aldose aus, währenddie Ketogruppe Dihydroxyaceton zu einer Ketose macht. Di-hydroxyaceton ist ein symmetrisches Molekül; hingegen be-sitzt Glycerinaldehyd mit dem asymmetrischen C-Atom inPosition C2 ein chirales Zentrum. Dadurch kann das Molekülin zwei spiegelbildlichen L- bzw. D-Enantiomeren vorkom-men ( g Abschnitt 1.4). In der Natur dominieren bei Kohlen-hydraten D-Enantiomere, während bei Aminosäuren L-Enan-tiomere vorherrschen.

Unter den Monosacchariden dominieren Pentosen undHexosen. Diese liegen bevorzugt als fünf- oder sechsglied-rige Ringe vor, die durch eine intramolekulare Reaktion ent-stehen und mit ihren linearen Formen im chemischenGleichgewicht stehen (Abbildung 2.4). Potenzielle Siebener-ringe bei Hexosen sind zu instabil, sodass auch sie Ringsys-teme mit fünf oder sechs Atomen bevorzugen. Betrachtenwir die Pentose Ribose: Die Aldehydgruppe an C1 und dieHydroxylgruppe von C4 bilden unter Ringschluss ein Halb-acetal, das dem heterocyclischen Aromaten Furan ähnelt

18 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.4 Struktur wichtiger Pentosen. Die Aldose D-Ribose und die Ketose D-Ribulosesind als offene Ketten (Fischer-Projektion) sowie in der Ringform (Haworth-Projek-tion) in (a) bzw. (b) gezeigt. Zwei Ringgrößen (Furanose bzw. Pyranose) mit jeweilszwei möglichen Stellungen der glykosidischen Hydroxylgruppe (a bzw. b ) an C1sind dargestellt. Ketopentosen können nur Fünfringe schließen; sie bilden dabeiHalbketale (R: weiterer Kohlenwasserstoffrest). Zum Vergleich sind Furan und Pyrangezeigt (c). Triosen und Tetrosen liegen praktisch nur linear vor, da die Ringspannungder entsprechenden zyklischen Derivate zu groß wäre.

2.5 Glucose und ihre Anomere. a) Durch Ringschluss (grau unterlegt) entsteht ausAldehyd- und Hydroxylgruppe ein intramolekulares Halbacetal, dessen asymmetri-sches C-Atom die beiden Anomere a-D-Glucose (36%) und b -D-Glucose (64%) inder Pyranoseform liefert. b) b -D-Glucopyranose bevorzugt unter den beiden Konfor-mationsisomeren die Sesselform, bei der alle größeren Substituenten in der Äquato-rialebene des Rings liegen und sich somit sterisch kaum behindern. a, axial; e, äqua-torial.

und daher Furanosering heißt (Abbildung 2.4). Dabei wirdkein Wasser abgespalten; vielmehr entsteht an C1 ein asym-metrisches C-Atom, dessen Hydroxylgruppe zwei Orientie-rungen einnehmen kann: a- bzw. b-Stellung. Die neu ent-standene glykosidische Hydroxylgruppe an C1 ist – im Unter-schied zu den übrigen Hydroxylgruppen des Moleküls – be-sonders reaktiv. Es sei darauf hingewiesen, dass die Zucker-ringe nicht planar (eben) sind, auch wenn die schematischvereinfachte Darstellung dies suggeriert. Bei Furanoseringenkönnen entweder ein Atom (envelope-Form) oder zweiAtome (twist-Form) außerhalb der Ebene liegen (nicht ge-zeigt), während Pyranoseringe in „Sessel“- oder „Wannen“-Konformation vorliegen (siehe unten).

2.3Aldohexosen sind Monosaccharide mitpyranähnlichem Ringgerüst

Die Aldohexose Glucose cyclisiert praktisch ausschließlichzu einem Pyranosering. Cyclische Monosaccharide werdenperspektivisch mithilfe der Haworth-Projektion dargestellt,bei der im Ring „vorne“ liegende Bindungen dick markiertsind. Dabei steht C1 konventionsgemäß rechts (Abbil-dung 2.5). Die glykosidische Hydroxylgruppe an C1 kannunterhalb (a-Form) oder oberhalb (b-Form) der Ringebeneliegen: Wir sprechen bei dieser speziellen Konfigurationsiso-merie von Anomerie; entsprechend bildet C1 ein anomeresZentrum. In Lösung stehen a- und b-Anomere über die li-neare Form im Gleichgewicht miteinander: Sie sind also in-terkonvertierbar. Eine Derivatisierung der glykosidischenHydroxylgruppe „friert“ eine der anomeren Formen ein: Soliegt polymerisierte D-Glucose in Glykogen und Stärke einzigin der a-Form vor, während Cellulose ausschließlich ihre b-Form nutzt.

Bei den Aldohexosen ist nicht nur C5 ein chirales Zen-trum: Alle weiteren C-Atome außer C1 und C6 sind ebenfalls„stereogen“. Kombinatorisch ergeben sich damit 24=16 ste-

2.3 Aldohexosen sind Monosaccharide mit pyranähnlichem Ringgerüst 19

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2.6 Glucose und ihre wichtigsten Epimere.

2.7 Fructose, eine Ketohexose. Durch Ringschluss (grau unterlegt) entsteht aus derKetogruppe und der Hydroxylgruppe ein intramolekulares Halbketal, das Pendantzum Halbacetal der Aldosen. Gezeigt sind die beiden Anomere der D-Fructofuranose,wobei die b -Form bei weitem überwiegt. C1 trägt zwei H-Atome und ist damit nichtchiral.

2.8 Glykosidische Bindungen. Als Beispiele sind hier das Ribonucleosid Guanosinund das Gluconucleosid Indican, eine Vorstufe des blauen Indigo-Farbstoffs, der z.B.für Blue Jeans verwendet wird, aufgeführt.

reoisomere Aldohexosen der Summenformel C6H12O6. Diewichtigsten Aldohexosen sind D-Glucose, D-Mannose und D-Galactose (Abbildung 2.6). Dabei unterscheiden sich D-Glu-cose und D-Mannose lediglich durch ihre Konfiguration anC2: Es handelt sich also um Epimere ( g Abschnitt 1.4). Einweiteres Epimerenpaar sind D-Glucose und D-Galactose, diesich durch die Stellung ihrer Substituenten an C4 unter-scheiden. Das Monosaccharid Glucose spielt als „Treibstoff“des zellulären Stoffwechsels eine zentrale Rolle ( g Abschnitt3.10).

Hexosen können sowohl als Aldehyd- wie auch als Keto-formen vorkommen. Dabei ist die Ketogruppe zumeist an C2positioniert, wodurch Ketohexosen ein asymmetrisches Zen-trum weniger haben als Aldohexosen und damit auch „nur“acht stereoisomere Formen. Die wichtigste Ketohexose ist D-Fructose (Abbildung 2.7). Freie Fructose liegt überwiegendin der Pyranoseform vor; in kovalenter Verbindung mit an-deren Zuckern findet sie sich aber praktisch ausschließlich inder Furanoseform.

2.4Disaccharide sind über glykosidischeBindungen verknüpft

Die durch den Ringschluss entstehende glykosidische Hyd-roxylgruppe an C1 geht bevorzugt Bindungen ein. Durch dieReaktion mit Aminen entstehen N-glykosidische Bindungen,die fast immer in der b-Konfiguration vorliegen (Abbil-dung 2.8). Wichtige N-glykosidische Derivate sind die Nuc-leotidbausteine der Nucleinsäuren. Glykosidische Hydroxyl-gruppen reagieren auch leicht mit anderen Hydroxylgrup-pen. Dabei entstehen O-glykosidische Bindungen, die a- oderauch b-Konfiguration haben können; sie kommen vor allemin Polysacchariden vor.

Durch O-glykosidische Bindung zwischen zwei Monosac-chariden entstehen Disaccharide wie Saccharose (Rohrzu-cker), Lactose (Milchzucker) und Maltose (Malzzucker), diesämtlich D-Glucopyranose enthalten (Abbildung 2.9). Sac-charose (engl. sucrose) , die industriell aus Zuckerrohr undZuckerrüben gewonnen wird, ist ein Disaccharid mit einera-1,2-glykosidischen Bindung zwischen C1-OH von a-D-Glucose und C2-OH von b-D-Fructofuranosid. Lactose, eineb-1,4-glykosidische Verknüpfung von b-D-Galactose mit a-D-Glucose, kommt in großen Mengen in der Milch vor; einDefekt im Abbauweg für Milchzucker führt zur Lactoseinto-leranz (Exkurs 2.1). Maltose ist ein a-1,4-D-Glucopyranosid-Dimer, das bei der Malzherstellung in großen Mengen ausStärke freigesetzt wird. Beim Bierbrauen spaltet dann dasEnzym Maltase aus gekeimter Gerste die Maltose zu Glucose,die wiederum bei der nachfolgenden alkoholischen Fermen-tation von Hefen zu Ethanol vergoren wird.

Durch Kondensation weiterer Monomere entstehen ausDisacchariden größere Einheiten, die als Oligosaccharide be-zeichnet werden; dabei ist die Grenze zu Polysaccharidenfließend. In Homoglykanen kommen nur gleichartige, in He-teroglykanen dagegen unterschiedliche Monosaccharide vor.Oligo- und Polysaccharide übernehmen als Komponentenvon Glykosaminoglykanen, Proteoglykanen, Glykoprotei-nen und Glykolipiden wichtige biologische Aufgaben. Wirwerden später darauf zurückkommen.

20 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.9 Wichtige Disaccharide. Das anomere C-Atom, das eine freie glykosidische Hyd-roxylgruppe trägt, wird als „reduzierendes Ende“ bezeichnet, weil die Carbonyl-gruppe nach Ringöffnung zur Carboxylfunktion oxidiert werden kann und dabeiselbst reduzierend wirkt ( g Abschnitt 44.1). Bei Saccharose sind beide glykosidi-schen Gruppen in der a-1,2-Bindung engagiert; daher hat sie kein reduzierendesEnde. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind hier alle ringständigen H-Atome weg-gelassen; diese vereinfachte Haworth-Darstellung wird auch für nachfolgende Abbil-dungen verwendet.

Exkurs 2.1: Lactoseintoleranz

Lactose ist ein Hauptbestandteil der Muttermilch. Säuglinge und Klein-kinder können dieses Disaccharid mithilfe des Enzyms Lactase ab-bauen und die Monosaccharide Glucose und Galactose über dasDünndarmepithel ins Blut aufnehmen. Im adulten Organismus sinktdie Lactaseproduktion. Bei den meisten Nordeuropäern ist aber immernoch genügend Lactase im Darm vorhanden, um die mit der Nahrungzugeführte Lactose zu spalten. Bei asiatischen und afrikanischen Popu-lationen hingegen kommt es zu einer drastisch verminderten Expres-sion des Lactasegens, sodass viele Erwachsene keine Milchproduktemehr vertragen. Der Genuss von Milch führt bei ihnen zu einer Akku-mulation unverdauter und nicht resorbierbarer Lactose im Dickdarm.Darmbakterien bauen die reichlich vorhandene Lactose zu toxischenProdukten ab, die zu Diarrhö und Krämpfen führen. Eine mit Lactasevorbehandelte Milch ist dagegen ohne weiteres verträglich. Die Tole-ranz bei Nordeuropäern scheint eine relativ junge evolutionäre An-

passung zu sein, die sich nach Einführung der Milchviehhaltung inEuropa positiv auswirken konnte. Weit verbreitet ist hingegen dieFructose-Malabsorption (intestinale Fructose-Intoleranz). Hier liegteine Defizienz des GLUT-5-Transporters der Darmepithelzellen vor,der auf die Aufnahme von Fructose spezialisiert ist ( g Abschnitt 31.2).

2.5Polysaccharide sind wichtigeSpeicher- und Gerüststoffe

Kohlenhydrate können zu langen Polysacchariden kon-densieren, die in Pflanzen und Tieren wichtige Speicher-funktionen erfüllen. Pflanzliche Stärke, ein Hauptbestandteilunserer Nahrung, ist ein Gemisch aus zwei Glucosepolyme-ren. Sie besteht zu 20–30% aus Amylose, bei der a-D-Gluco-pyranoseeinheiten a-1,4-glykosidisch zu linearen Polyme-ren verknüpft sind, die sich schraubenförmig zu einer Helixwinden. Auch die Hauptkomponente Amylopektin (70–80%)besteht aus a-1,4-glykosidisch verknüpfter a-D-Glucopyra-nose, die sich allerdings ca. alle 25 Einheiten über eine a-1,6-Bindung verzweigt (Abbildung 2.10). Bei Tieren wirdGlucose in Form von Glykogen gespeichert: Auch hier sinddie Monomere a-1,4-glykosidisch verknüpft und die Kettenüber a-1,6-glykosidische Bindungen verzweigt. Glykogenverzweigt sich jedoch häufiger als Amylopektin: Durch-schnittlich bei jeder zehnten Einheit findet sich eine a-1,6-Verzweigung.

Polysaccharide sind auch Basis wichtiger Schutz- undStützstrukturen: Lineare Polymere aus b-1,4-verknüpftenb-D-Glucopyranoseeinheiten formieren sich zu Cellulose,dem Hauptbestandteil der Pflanzenzellwand. Etwa 150 un-verzweigte Polysaccharidketten liegen parallel in einemBündel, das durch Wasserstoffbrücken stabilisiert wird. Aus103 bis 104 Glucosebausteinen entsteht so eine stabförmigeMikrofibrille von außergewöhnlich hoher Reißfestigkeit(Abbildung 2.11). In pflanzlichen Zellwänden sind Cellulose-mikrofibrillen parallel zu einer sperrholzartigen Schich-tungstextur angeordnet, deren Stabilität durch Einlagerungvon Lignin – einem weiteren biologischen Polymer – nochbeträchtlich erhöht wird. Das Homoglykan Chitin, eine wich-tige Komponente im Exoskelett von Insekten und anderenGliedertieren, besteht aus b-1,4-verknüpften D-Glucopyra-noseeinheiten, die durch N-Acetylaminogruppen an C2 mo-difiziert sind.

Die strukturelle Vielfalt der Mono- und Polysaccharidewird noch einmal durch chemische Modifikation erhöht( g Tafel A6). Dazu zählt z.B. die Veresterung von Hydroxyl-gruppen mit Phosphorsäure wie in Mannose-6-phosphat( g Abbildung 19.22) oder durch Schwefelsäure wie im Hepa-rin ( g Abschnitt 8.6). Glykosaminoglykane sind extrem lang-kettige Polysaccharide, bei denen nichtglykosidische Hydro-xylgruppen durch (acetylierte) Aminogruppen substituiertsind – z. B. Glucosamin und N-Acetyl-D-Glucosamin – oder

2.5 Polysaccharide sind wichtige Speicher- und Gerüststoffe 21

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2.10 Stärke und Glykogen sind wichtige Speicherpolysaccharide. Stärke (a) ist ein Gemisch aus Amylose und Amylopektin; sie wird in Form cytosolischer Granula – Stärkekörn-chen – in pflanzlichen Zellen gespeichert. Glykogen (b) wird bei Mensch und Tier in Organen wie Leber und Muskel als cytosolische Granula gespeichert ( g Abbildung 44.2).

2.11 Cellulose und Chitin sind wichtige Strukturpolysaccharide. Das beim Abbauvon Cellulose (a) entstehende Disaccharid heißt Cellobiose. Lagert sich Calciumcar-bonat in die lederartige Hülle aus Chitin (b) ein, so entstehen z. B. die gehärtetenPanzer der Krebse.

endständige Hydroxyl- zu Carboxylgruppen oxidiert sind,wie z.B. in der Glucuronsäure. Glykosaminoglykane wieHyaluronsäure bilden gallertartige Substanzen mit interzellu-lärer Klebe-, Schmier- und Kittfunktion ( g Abschnitt 8.6).Der funktionellen Vielfalt von Biopolymeren liegen also diefreie Kombination und gezielte Modifikation von Komponen-ten eines relativ kleinen Repertoires an Grundbausteinen zu-grunde. Die Natur spielt diese Kombinatorik bei den Kohlen-hydraten aus, um eine reiche Vielfalt an Zuckermolekülenmit verschiedensten chemischen Eigenschaften zu generie-ren. Bei Nucleinsäuren, die wir im nächsten Abschnitt ken-nen lernen, hat die Linearisierung von Nucleotiden primärdie Aufgabe, den Bauplan des Lebens zu codieren.

2.6Nucleotide sind die Bausteinevon Nucleinsäuren

Nucleinsäuren sind die Informationsspeicher der Zellen.Als langkettige Biopolymere bestehen sie aus Nucleotid-bausteinen, deren lineare Abfolge den gesamten Bauplan ei-nes Lebewesens codiert. Diese Erbinformation befindet sichbei vielzelligen Organismen größtenteils im Kern von Zellen,daher die Benennung Nucleinsäuren (lat. nucleus, Kern). Es

22 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.12 Nucleotide bestehen aus einer Base, einem Zucker und einem Phosphatrest.Beispielhaft sind hier Adenin als Base und b -D-Ribose als Zucker gezeigt. Um dieRingatome von Base bzw. Zucker zu unterscheiden, werden die Positionen in der Ri-bose mit einem Hochstrich versehen (sprich: dreistrich, fünfstrich). Das kompletteNucleotid (grau unterlegt) ist hier symbolhaft dargestellt.

2.13 Struktur von Nucleosiden und Nucleotiden. Beim Nucleotid 2'-Desoxythymi-dintriphosphat ist die Base Thymin N-glykosidisch mit dem Monosaccharid b -D-Des-oxyribofuranose verknüpft, das wiederum über seine 5'-Hydroxylgruppe mit einemTriphosphatrest verestert ist. Nucleoside bestehen dagegen nur aus Base und Zucker(grau unterlegt).

2.14 Wichtige Nucleotide und ihre Derivate (symbolhafte Darstellung). ATP ist derbedeutendste Energielieferant der Zellen ( g Abschnitt 3.10).

gibt zwei Typen von Nucleinsäuren: die Ribonucleinsäureoder RNA (engl. ribonucleic acid), die typischerweise aus vierunterschiedlichen Ribonucleotiden aufgebaut wird, und dieDesoxyribonucleinsäure oder DNA (engl. deoxyribonucleicacid), die aus vier verschiedenen Desoxyribonucleotiden be-steht ( g Tafel A9). In der Zelle verkörpert die DNA den dauer-haften Speicher für die Erbinformation, während RNA meisteine „Arbeitskopie“ der DNA ist. Sie entspricht einer Ab-schrift von aktuell benötigten Teilinformationen der DNA.Nucleotide bestehen ihrerseits aus drei Komponenten:Monosaccharid, Base und Phosphatrest (Abbildung 2.12).Kohlenhydratanteil ist dabei immer eine Pentose, und zwarb-D-Ribofuranose bei RNA bzw. b-D-2'-Desoxyribofuranosebei der DNA. Als Basen dienen Pyrimidine und Purine, d.h.stickstoffhaltige Heterocyclen.

Die Purinbasen Adenin (A) und Guanin (G) sind bicyclischund enthalten vier N-Atome; dagegen bestehen die Pyrimi-dinbasen Cytosin (C), Thymin (T) und Uracil (U) aus einemRing mit zwei N-Atomen. Adenin, Guanin und Cytosin kom-men in beiden Nucleinsäuretypen vor, während Thymin (T)nur in DNA und Uracil (U) nur in RNA vorkommt. Durch N-glykosidische Verknüpfung einer Base mit der 1'-Position ei-nes Zuckers entsteht ein Nucleosid; durch Veresterung der 5'-terminalen Hydroxylgruppe des Zuckers mit Phosphorsäureentsteht daraus ein Nucleotid. Je nach Zahl der gebundenenPhosphatreste (maximal drei) unterscheiden wir Nucleosid-mono-, -di- bzw. -triphosphate. Für die Nucleinsäuresyn-these werden Nucleosidtriphosphate benötigt, also z.B. 2'-Desoxythymidintriphosphat (dTTP) (Abbildung 2.13). Zwi-schen den einzelnen Phosphatresten wird eine „energierei-che“ Säureanhydridbindung geknüpft ( g Abschnitt 3.10).

Nucleotide werden mit Kürzeln bezeichnet, so steht z.B.dTTP für 2'-Desoxythymidintriphosphat oder UTP für Uridin-

2.6 Nucleotide sind die Bausteine von Nucleinsäuren 23

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2.15 Polymerisation von Nucleotiden zur einsträngigen DNA-Sequenz 5'-TGCACT-3'. Die Phosphatgruppe zwischen zwei Desoxyriboseresten bildet eine Phosphodies-terbindung.

2.16 Basenpaarung beim DNA-Doppelstrang. Über Wasserstoffbrücken ( > > > ) asso-ziiert G spezifisch mit C bzw. A mit T. Der DNA-Doppelstrang bildet eine wendeltrep-penartige rechtsdrehende Doppelhelix (oben rechts). Die Orientierung der Strängeist durch Pfeile angedeutet.

triphosphat. Sie sind nicht nur Bausteine der Nucleinsäuren,sondern nehmen – oft in modifizierter Form – weitere wich-tige Aufgaben wahr: Ribonucleotide wie Adenosintriphos-phat (ATP) und Guanosintriphosphat (GTP) dienen als Phos-phatgruppenüberträger, cyclisches Adenosinmonophosphat(cAMP) als intrazellulärer Botenstoff und Nucleotide wie Ni-cotinamidadenindinucleotid (NAD+), Flavinadenindinucleo-tid (FAD) oder Coenzym A (CoA) als Cofaktoren bei enzyma-tischen Reaktionen (Abbildung 2.14).

2.7Nucleinsäuren haben eine Direktionalität

Bei der Nucleinsäuresynthese werden Nucleosidtriphosphate(NTP) zu linearen Polymeren verknüpft (Abbildung 2.15).Generell haben Nucleotide zwei Verknüpfungsstellen, näm-lich das phosphorylierte 5'-Ende sowie die freie 3'-Hydro-xylgruppe (Abbildung 2.13). Zunächst bildet die 3'-Hydro-

xylgruppe eines ersten Nucleotids mit der 5'-a-Phosphat-gruppe eines zweiten Nucleotids eine kovalente Phosphodies-terbindung unter Abspaltung von Diphosphat (Pyrophos-phat). Am 5'-Ende trägt das entstandene Dinucleotid einePhosphatgruppe und am 3'-Ende eine freie Hydroxylgruppe,an der nun die Kettenverlängerung erfolgt: Nucleinsäurenwachsen in 5'-3'-Richtung und besitzen damit eine Direktio-nalität. Man gibt konventionsgemäß die Sequenz der ferti-gen Nucleinsäurekette im Einbuchstabencode der Basen in5'-3'-Reihenfolge wieder, z.B. 5'-TGCACT-3'.

Werden nur einige Nucleotide verknüpft, so entstehen Oli-gonucleotide; längere Polymere heißen dagegen Polynucleo-tide. Oligonucleotide, die im Reagenzglas (lat. in vitro) her-

24 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.17 Semikonservative Replikation. Zur Vereinfachung ist hier nur ein kurzes DNA-Stück mit neun Basenpaaren gezeigt. Die Synthese entlang der „Schienen“ der beiden ent-wundenen DNA-Einzelstränge führt zu zwei identischen DNA-Doppelsträngen. Diese bestehen aus je einem Elternstrang (grün) und einem neu synthetisierten Tochterstrang(orange) – daher „semikonservative“ Replikation (lat. semi, halb).

gestellt werden, spielen eine überragende Rolle in der For-schung sowie in der medizinischen und forensischen Dia-gnostik (Exkurs 2.2). Polynucleotide können extrem langsein: Ein einziges DNA-Molekül in einem Chromosom kannmehr als 100 Millionen kontinuierlich verknüpfte Nucleotidetragen! Zwei DNA-Stränge, die gegensinnige Orientierungenaufweisen, können sich über Wasserstoffbrücken zwischenihren Basen zu einem stabilen Doppelstrang zusammenla-gern (Abbildung 2.16). Dabei assoziiert G spezifisch mit Cbzw. A mit T: Wir sprechen von Paaren komplementärer Ba-sen oder – nach den Entdeckern – Watson-Crick-Basenpaa-ren, die miteinander wechselwirken.

Exkurs 2.2: Oligonucleotide in derForensik

Die kriminalistische Diagnostik (Forensik) nutzt molekularbiologi-sche Methoden, um Verbrechen aufzuklären. So können z.B. kleinsteMengen an menschlichem Erbmaterial aus Blut, Haaren oder Sperma,die am Tatort gefunden wurden, mit hoher Sicherheit einem Indivi-duum zugeordnet werden. Dazu werden Sätze von Oligonucleotidensynthetisiert, die als Versatzstücke menschlicher DNA ein „Raster“vorgeben, innerhalb dessen die gefundene DNA analysiert werdenkann ( g Abschnitt 22.6). Dazu werden in vitro Kopien der gefundenenDNA im vorgegebenen Raster hergestellt, mit molekularen „Scheren“– Nucleasen – zerlegt und dann elektrophoretisch analysiert. Die da-bei entstehenden charakteristischen Muster von DNA-Bruchstückenliefern einen genetischen „Fingerabdruck“ (engl. fingerprint) ,der praktisch für jeden Menschen anders ausfällt und damit individu-ell kennzeichnend ist ( g Exkurs 22.4). Der Vergleich mit DNA-Mustern,die aus biologischen Proben der Verdächtigen gewonnen wurden, er-laubt die Identifizierung des Täters mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Vor einer Zellteilung muss das Erbmaterial identisch verdop-pelt, also repliziert werden. Die Komplementarität der beidenDNA-Stränge lässt dabei eine semikonservative Replikation

zu: Mit der Auftrennung des Doppelstrangs und derschrittweisen Synthese von neuen Strängen entlang der bei-den vorhandenen „Matrizenstränge“ entstehen zwei identi-sche DNA-Moleküle, die auf die beiden Tochterzellen verteiltwerden (Abbildung 2.17).

2.8Der genetische Informationsfluss läuftvon der DNA über RNA zum Protein

Im zellulären „Archiv“ der DNA sind sämtliche Bauanleitun-gen für Proteine als die ausführenden Werkzeuge der Zelleniedergelegt. Eine solche Bauanleitung wird als Gen be-zeichnet, die Grundeinheit der Erbinformation: Ein Gen co-diert im einfachsten Fall die Sequenz eines Proteins. Eine di-rekte Übersetzung der Information von der DNA in Proteineist allerdings nicht möglich; vielmehr treten hier Ribonuc-leinsäuren als Informationsübermittler in Form von Boten-RNA, kurz mRNA (engl. messenger-RNA), auf den Plan. Die-ser Prozess der Umschrift oder Transkription überträgt denDNA-Code getreu in einen RNA-Code, wobei Uracil anstellevon Thymin als komplementäre Base zu Adenin verwendetwird (Abbildung 2.18). Ergebnis dieser Transkription sindmRNAs als relativ kurze Abschriften von aktuell benötigtenInformationen, die gezielt aus dem riesigen Datenfundus derDNA herausgelesen werden. Bei der nachfolgenden Transla-tion wird der genetische Code, der in der mRNA-Sequenzverschlüsselt ist, in die Aminosäuresequenz des gewünsch-ten Proteins „übersetzt“. Dabei codieren jeweils drei aufein-ander folgende mRNA-„Buchstaben“ als Basentriplett oderCodon für eine der 20 verfügbaren Aminosäuren. Zwei wei-tere RNA-Typen assistieren bei der Proteinbiosynthese: DieTransfer-RNAs, kurz tRNAs, binden jeweils eine Aminosäure,assoziieren mit ihren Anticodons aus drei Basen an die ent-

2.8 Der genetische Informationsfluss läuft von der DNA über RNA zum Protein 25

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2.18 Fluss der genetischen Information von DNA über RNA zu den Proteinen. Einige Viren nutzen als Erbträger RNA, die erst in DNA umgeschrieben werden muss, bevorder „normale“ Weg via mRNA beschritten werden kann ( g Abschnitt 23.9).

sprechenden Codons der mRNA und reihen so die Bausteineder Proteine nach den Instruktionen der mRNA auf. Die Ver-knüpfung der Aminosäuren und damit die Montage der Pro-teine erfolgt an Ribosomen, deren Struktur- und Funktions-träger ribosomale RNAs oder rRNAs sind.

Der Weg von der DNA über mRNA-Transkripte bis zu denfertigen Proteinen findet in Säugetierzellen an verschiede-nen Stationen statt (Abbildung 2.19). DNA liegt stark kon-densiert in Form von Chromosomen im Zellkern vor. Dortfindet sowohl die Replikation als auch die Transkriptionstatt. Bei der Transkription entsteht zunächst eine kompletteAbschrift des betreffenden Gens, die als prä-mRNA – alsoVorstufe einer mRNA – bezeichnet wird und noch einer „Rei-fung“ bedarf. Bei dieser Prozessierung werden Zwischense-quenzen, kurz Introns (engl. intervening sequences) genannt,welche die proteincodierenden Abschnitte – Exons (expres-sed sequences) – in der prä-mRNA unterbrechen, durchSpleißen entfernt . Ebenso werden die 5'- und 3'-Endender prä-mRNA modifiziert und damit die mRNA transportfä-hig gemacht ( g Abschnitt 17.6). Nach dem Export aus demZellkern ins Cytoplasma wird die „gereifte“ mRNA nun anden Ribosomen übersetzt. Das dabei entstehende lineare Po-lymer aus Aminosäuren – die Polypeptidkette – nimmt imProzess der Proteinfaltung eine kompakte dreidimensionaleStruktur an, wird anschließend oft noch chemisch modifi-ziert und an den Bestimmungsort des fertigen Proteins in-ner- oder außerhalb der Zelle verschickt.

2.9Der Bausatz der Proteine umfasst20 Aminosäuren

Der komplette Bauplan eines Menschen ist in 46 riesigenDNA-Molekülen niedergelegt, die mit einem Mini-Alphabetvon lediglich vier „Buchstaben“ auskommen. Das Alphabetder Proteine (griech. proteios, erstrangig) ist dagegen vielkomplexer und enthält 20 Standardbuchstaben (Aminosäu-ren), die – anders als die relativ einförmige DNA – eine Viel-

falt unterschiedlichster Proteine hervorbringen. Das humaneGenom – also die Gesamtheit der Erbinformation desMenschen – enthält ca. 21 000 Gene, die für ebenso viele un-terschiedliche Proteine codieren. Durch diverse Tricks gehtdaraus eine noch viel größere Zahl an Proteinvarianten her-vor. Die Gesamtheit dieser exprimierten Proteine heißt Pro-teom und umfasst nach (groben) Schätzungen mehrerehunderttausend verschiedene Proteine. Als polymere Makro-moleküle entstehen die Proteine durch lineare Verknüpfungder 20 verschiedenen Aminosäuren in präzise vorgegebenerAbfolge ( g Tafeln A7, A8). Meist nehmen die fertigen Poly-peptidketten durch Proteinfaltung ( g Abschnitt 5.11) eine de-finierte dreidimensionale Raumstruktur an. Die Proteinviel-falt ergibt sich aus der schier unbegrenzten Kombinatorik,mit der die 20 Buchstaben des Proteinalphabets zu „Wör-tern“ zusammengesetzt werden können. Das gemeinsameStrukturmerkmal aller proteinogenen Aminosäuren ist einzentrales C-Atom (Ca), um das sich vier Substituenten grup-pieren: ein H-Atom, eine Aminogruppe (-NH2), eine Carb-oxylgruppe (-COOH) sowie eine variable Seitenkette (-R), diefür jede Aminosäure charakteristisch ist (Abbildung 2.20).

Mit Ausnahme der kleinsten a-Aminosäure, Glycin, diestatt einer Seitenkette ein weiteres H-Atom trägt, haben alleproteinogenen Aminosäuren vier unterschiedliche Substitu-enten an Ca: Sie besitzen damit ein chirales Zentrum undkommen in enantiomeren D- und L-Formen vor (Abbil-dung 2.21). Biologische Syntheseprozesse sind hochgradigenantioselektiv und liefern Proteine, die ausschließlich ausL-a-Aminosäuren bestehen. Im Folgenden beziehen wir unsdaher immer – wenn nicht ausdrücklich anders gesagt – aufdie L-Form der Aminosäuren. Warum L-Aminosäuren gegen-über ihren D-Enantiomeren in der Evolution von Proteinenbevorzugt wurden, ist bislang nicht geklärt.

Im nahezu neutralen pH-Milieu der Zellen sind Carboxyl-und Aminogruppe(n) von Aminosäuren ionisiert: Die Carb-oxylgruppe ist deprotoniert und liegt in der Carboxylatform(COO–) vor, während die Aminogruppe ein Proton zur Am-moniumform (-NH3

+) aufnimmt (Abbildung 2.22). Die La-dungen dieser zwitterionischen Form verleihen „freien“ Ami-nosäuren im Allgemeinen eine gute Wasserlöslichkeit. Im

26 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.19 Weg von der DNA zum Protein. Im Nucleus wird die DNA in prä-mRNA tran-skribiert, die dann zur fertigen mRNA reift. Nach ihrem Export ins Cytosol wird diemRNA an den Ribosomen in die zugehörige Aminosäuresequenz translatiert. Dabeisorgen aminosäurebeladene tRNAs für die Decodierung der RNA-Sequenz. [AN]

2.20 Struktur proteinogener Aminosäuren. Allgemein (a): Das zentrale Kohlenstoff-atom wird mit Ca bezeichnet; R (Rest) steht für eine variable Seitenkette. Z.B. wer-den bei der Aminosäure Lysin (b) die C-Atome der Seitenketten mit Cb, Cg etc. be-nannt.

Polymerverbund des Proteins gehen Amino- und Carboxyl-gruppen unter Wasserabspaltung Peptidbindungen ein, diekeine Ladung mehr tragen (Abschnitt 2.12). Der verblei-bende Teil wird als Aminosäurerest oder einfach nur als„Rest“ bezeichnet; er verkörpert die Seitenkette. Im Polymerbestimmen die Eigenschaften dieser Seitenketten, ob ein Pro-tein gut oder schlecht wasserlöslich ist.

2.21 Enantiomere Formen von a-Aminosäuren. Die L- bzw. D-Form sind durchbloße Drehung nicht zur Deckung zu bringen ( g Abbildung 1.10). Das chirale Zen-trum ist jeweils das Ca-Atom. Einige bakterielle Peptide enthalten auch D-Aminosäu-ren, die allerdings nicht während der Translation eingebaut werden, sondern erstdurch nachträgliche Umwandlung entstehen.

2.22 Aminosäuren als Zwitterionen. Bei physiologischem pH hat die Aminogruppedurch Aufnahme eines Protons die positiv geladene Ammoniumform angenommen,während die Carbonsäuregruppe als negativ geladenes Carboxylat vorliegt.

2.10Aminosäuren unterscheiden sichin ihren Seitenketten

Proteinogene Aminosäuren werden auch als Standardamino-säuren bezeichnet. Ihre Trivialnamen leiten sich mituntervon der Quelle ab, aus der sie erstmals isoliert wurden, soz.B. Asparagin aus Spargel (Asparagus officinalis). Häufigwerden Aminosäuren durch Kürzel repräsentiert. Beim sogenannten Dreibuchstabencode werden in der Regel die ers-ten drei Buchstaben des Trivialnamens angegeben, z.B.„Gly“ für Glycin. Für lange Abfolgen von Aminosäuren wirdder Einbuchstabencode bevorzugt, z.B. „G“ für Glycin. Auf-grund ihrer Seitenketten unterscheiden sich Aminosäuren inGröße, Form, elektrischer Polarität bzw. Ladung und chemi-

2.10 Aminosäuren unterscheiden sich in ihren Seitenketten 27

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2.23 Aminosäuren mit unpolaren Seitenketten. Glycin trägt ein Wasserstoffatom in der Position der Seitenkette. Sechs Aminosäuren besitzen aliphatische Seitenketten unter-schiedlicher Größe und Geometrie; drei Aminosäuren haben aromatische Seitenketten. In Klammern: Drei- bzw. Einbuchstabencode.

2.24 Aminosäuren mit polaren Seitenketten. a) Serin und Threonin tragen eine alkoholische Gruppe, Cystein eine Thiolgruppe, Asparagin und Glutamin eine Carboxamid-gruppe. b) Die Thiolgruppen zweier Cysteine können zur Disulfidbrücke oxidiert werden; das entstehende Dimer wird auch Cystin genannt.

scher Reaktivität. Diese Vielfalt auf der Ebene der Bausteineträgt entscheidend zur Proteindiversität bei. Anhand der Po-larität ihrer Seitenkette werden Aminosäuren in drei großeGruppen unterteilt. Die Hälfte aller Standardaminosäurenträgt eine unpolare Seitenkette (Abbildung 2.23). Diese un-polaren Aminosäuren lösen sich nur schlecht in Wasser undneigen aufgrund des hydrophoben Effekts ( g Abschnitt 1.6)

zur Aggregation, was wiederum für die Proteinfaltungvon erheblicher Bedeutung ist.

Glycin kommt eine Sonderstellung zu: „Engpässe“ in ei-ner Proteinstruktur lassen oft nur diesen kleinsten Amino-säurerest (H) zu. Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin, Methioninund Prolin besitzen unpolare aliphatische Seitenketten. Dabeiunterscheiden sich Alanin, Valin und Leucin lediglich durchdie Anzahl der C-Atome in ihren Seitenketten. Leucin undIsoleucin sind Konstitutionsisomere. Die fein abgestuftenGrößen der hydrophoben Seitenketten erlauben ein passge-rechtes Ausfüllen des kompakten Innenraums von Proteinen( g Abbildung 5.23). Methionin trägt eine unpolare Thio-ethergruppe (-S-CH3) in der Seitenkette. Prolin besitzt alseinzige Aminosäure eine sekundäre a-Aminogruppe (-NH-),an der sich die Seitenkette zu einem Pyrrolidin-Heterocyclusschließt. Dies schränkt die Konformationsfreiheit von Prolinein, was wiederum Auswirkungen auf die Proteinfaltung hat

( g Abschnitt 5.11). Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophantragen große, „sperrige“ aromatische Seitenketten (Abbil-dung 2.23). Aufgrund der Hydroxylgruppe bzw. des Stick-stoffatoms sind Tyrosin und Trytophan aber deutlich weni-ger hydrophob als Phenylalanin. Die aromatischen p-Sys-teme dieser Aminosäuren absorbieren UV-Licht im Bereichum 280 nm, was für den Nachweis von Proteinen bei Trenn-verfahren nützlich ist.

Das Quintett Serin, Threonin, Cystein, Asparagin und Glu-tamin hat polare, hydrophile Seitenketten: Ihre funktionellenGruppen bilden H-Brücken zum umgebenden Wasser. Serinund Threonin tragen eine Hydroxylgruppe an Seitenkettenunterschiedlicher Länge (Abbildung 2.24a). Die Hydroxyl-gruppen sind chemisch reaktiv und spielen oft wichtige me-chanistische Rollen, etwa bei der Enzymkatalyse. Asparaginund Glutamin leiten sich von Asparaginsäure bzw. Glutamin-säure ab und besitzen unterschiedlich lange Seitenketten mitje einer ungeladenen Carboxamidgruppe (-CONH2). Die Thiol-gruppe (-SH) verleiht Cystein eine polare Natur. Zwei Cysteinekönnen unter Oxidation ihrer Thiole eine kovalente Disulfid-brücke (-C-S-S-C-) ausbilden (Abbildung 2.24b). Disulfidbrü-cken sind von großer Bedeutung für die Proteinstruktur, weilsie zusätzliche kovalente Bindungen innerhalb eines Proteins,aber auch zwischen Proteinen ermöglichen.

28 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.25 Aminosäuren mit geladenen Seitenketten. a) Asparaginsäure und Glutaminsäure unterscheiden sich durch eine Methylengruppe. Lysin trägt als einzige Aminosäurezwei primäre Aminogruppen in a- bzw. e-Position. Die protonierte Guanidinogruppe von Arginin wird durch die Resonanz zwischen Doppelbindung und freiem Elektronen-paar des Aminstickstoffs stabilisiert. b) Der pK-Wert der Histidinseitenkette liegt nahe am Neutralpunkt.

Exkurs 2.3: NichtproteinogeneAminosäuren

Die nichtproteinogenen Aminosäuren leiten sich häufig von Stan-dardaminosäuren ab. Einige sind Synthesevorstufen oder Abbaupro-dukte von proteinogenen Aminosäuren; andere haben eigenständigeAufgaben. Durch Abspaltung der a-Carboxylgruppe von Aspartatentsteht I -Alanin, ein Baustein von Coenzym A (Abbildung 2.26).Der inhibitorische Neurotransmitter q -Aminobuttersäure (engl. g-amino butyric acid; GABA) wird durch Decarboxylierung von Gluta-mat gebildet. Anders als bei der „konventionellen“ a-Aminosäurebefindet sich hier die Aminogruppe am Cg-Atom. Das jodhaltige

Schilddrüsenhormon Thyroxin leitet sich von der Aminosäure Tyrosinher ( g Abbildung 48.9). Homoserin ist Zwischenstufe bei der Argi-ninsynthese, und Citrullin, ein Intermediat im Harnstoffcyclus, stammtwiederum von Arginin ab. Eine große Vielfalt nichtproteinogener Ami-nosäuren findet sich in Pflanzen, wo sie möglicherweise als Abwehr-stoffe fungieren; ihre präzisen Funktionen sind oft noch unklar. Einigenichtproteinogene Aminosäuren besitzen die D-Konfiguration: D-Ala-nin und D-Glutamat sind Bausteine der bakteriellen Zellwand ( g Ex-kurs 3.1). Diese ungewöhnlichen Enantiomere schützen die Bakteri-enhülle vor den attackierenden Wirtsenzymen, die nur L-Aminosäurenerkennen.

2.26 Struktur ausgewählter nichtproteinogener Amino-säuren. Nicht aufgeführt ist Sarkosin (N-Methylglycin), einZwischenprodukt bei der Aminosäuresynthese.

Am hydrophilsten sind Aminosäuren mit geladenenSeitenketten (Abbildung 2.25a). Die Carboxylgruppen in denSeitenketten der sauren Aminosäuren Asparaginsäure undGlutaminsäure sind im physiologischen pH-Bereich de-protoniert und damit negativ geladen. Die ionisiertenFormen werden als Aspartat bzw. Glutamat bezeichnet; oftwerden diese Namen auch ungeachtet des Ionisierungszu-stands verwendet. Die Seitenketten basischer Aminosäurensind bei physiologischem pH meist positiv geladen. Lysinträgt eine Amino-, Arginin eine Guanidino- und Histidineine Imidazolgruppe in der Seitenkette. Die funktionellenGruppen von Lysin und Arginin sind stark basisch und da-her bei neutralem pH immer protoniert. Histidin hat als ein-zige Aminosäure eine Seitenkette, deren pK-Wert nahe amNeutralpunkt liegt: Bei pH 6 sind 50% der Imidazolgruppenvon freiem Histidin positiv geladen (Abbildung 2.25b).Innerhalb eines Proteins vermag die Mikroumgebung den

effektiven pK-Wert verändern und die Imidazolgruppe sau-rer oder basischer zumachen; daher kann Histidin in kataly-tischen Reaktionen als Donor bzw. Akzeptor von Protonendienen.

Während Pflanzen und Mikroorganismen meist imstandesind, alle proteinogenen Aminosäuren zu synthetisieren,haben der Mensch und andere Säugetiere dies zum Teil„verlernt“: Elf nichtessenzielle Aminosäuren können vom er-wachsenen Menschen selbst hergestellt werden, währendneun essenzielle Aminosäuren mit der Nahrung aufgenom-men werden müssen ( g Tafeln A7, A8). Neben den Standard-aminosäuren sind noch zwei weitere seltene proteinogeneAminosäuren bekannt: Einige Spezies verwenden die Ami-nosäuren Selenocystein bzw. Pyrrolysin zur Synthese be-stimmter Proteine. Darüber hinaus sind Hunderte von Ami-nosäuren biologischen Ursprungs bekannt, die nicht zu denproteinogenen Bausteinen zählen (Exkurs 2.3).

2.10 Aminosäuren unterscheiden sich in ihren Seitenketten 29

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2.27 Aminosäuren als Ampholyte. Die Säure steht mit ihrer konjugierten Base(–COO−) bzw. die Base mit ihrer konjugierten Säure (–NH3

+) im Gleichgewicht.

2.28 Titrationskurve von Glycin. Abszisse: Zahl der Protonen pro Glycinmolekül, diedurch NaOH-Zugabe dissoziiert wurden. Ordinate: pH-Wert der sauren (rot) bzw. al-kalischen (blau) Lösung. Oben: schrittweise Deprotonierung von Glycin (von links).

2.11Aminosäuren wirken als Säurenund Basen

Aminosäuren können gleichzeitig als Säuren und als Basenwirken (Abbildung 2.27). Moleküle mit dieser dualen Funk-tion sind amphoter und werden als Ampholyte bezeichnet.Dabei wirkt die Aminogruppe als Protonenakzeptor und dieCarboxylgruppe als Protonendonor. Sind beide funktionel-len Gruppen geladen, spricht man von einem Zwitterion.

Anhand der Titrationskurve von Glycin wollen wirAmphoterie genauer studieren (Abbildung 2.28). Beiniedrigen pH-Werten sind Amino- und Carboxylgruppevoll protoniert: Glycin liegt in seiner kationischen Form(NH3

+CH2COOH) vor. Die Titration mit einer starken Base wieNatriumhydroxid (NaOH) liefert eine Kurve mit drei Wende-punkten: Am Wendepunkt bei pH=2,3 liegen 50% der Mole-küle in der kationischen, die anderen 50% in der zwitterio-nischen Form (NH3

+CH2COO–) mit einer deprotonierten Carb-oxylgruppe vor. Der Wendepunkt bei pH=9,6 markiert dieDeprotonierung der Aminogruppe: Die Hälfte aller Glycin-moleküle ist von der zwitterionischen in die anionischeForm (NH2CH2COO–) gewechselt. Definitionsgemäß entspre-chen diese beiden Punkte den pK-Werten von Carboxyl- bzw.Aminogruppe. Am mittleren Wendepunkt (pH=6,0) ist dieerste Deprotonierung weitgehend abgeschlossen, die zweitefängt gerade erst an: Glycin trägt an diesem isoelektrischenPunkt (pI) keine Nettoladung (NH3

+CH2COO–). Eine Amino-säure tritt in wässriger Lösung also nie in ungeladener Formauf. Der pI ist eine Kenngröße von Aminosäuren; im Fall vonGlycin liegt er beim arithmetischen Mittel der beiden pK-Werte, also bei ca. 6,0.

Besitzt die Seitenkette einer Aminosäure eine zusätzlichesaure oder basische Gruppe, so weist ihre Titrationskurve ei-nen weiteren Wendepunkt auf. In einem Protein sind – abge-sehen von den endständigen Aminosäuren – nur die gelade-nen Gruppen der Seitenketten titrierbar, da a-Amino- unda-Carboxylgruppen miteinander Bindungen eingegangensind (Abschnitt 2.12). Allerdings sind bei Proteinen kaumnoch individuelle Wendepunkte auszumachen, da es fünfTypen ionisierbarer Seitenketten sowie die endständigen

Amino- und Carboxylgruppen gibt. Darüber hinaus kann dieProteinumgebung den effektiven pK-Wert einzelner Seiten-ketten, etwa durch elektrostatische Wechselwirkungen oderWasserstoffbrücken, verändern. Dagegen ist der isoelektri-sche Punkt von Proteinen, an dem die gegensätzlichen La-dungen aller sauren bzw. basischen Gruppen ausgeglichensind, im Allgemeinen gut zu messen. Der pI-Bereich von Pro-teinen ist groß: So haben die stark positiv geladenen DNA-bindenden Histone einen pI G 10, das stark negativ geladeneVerdauungsenzym Pepsin hingegen einen pI X 1. Unter-schiede in pI-Werten und damit in Nettoladungen bilden diephysikochemische Basis für Verfahren zur Trennung vonProteingemischen ( g Abschnitt 6.3 ff).

2.12Aminosäuren sind Glieder einerPolypeptidkette

Die Verknüpfung von Aminosäuren zu polymeren Kettensetzt eine Aktivierung dieser Bausteine unter ATP-Verbrauchvoraus ( g Abschnitt 18.2). Vereinfachend können wir die Re-aktion zwischen zwei Aminosäuren als Kondensation be-schreiben, wobei die a-Carboxylgruppe einer ersten Amino-säure an die a-Aminogruppe einer zweiten Aminosäure un-ter Wasserabspaltung bindet. Die resultierende kovalente–CO–NH-Verknüpfung ist von der chemischen Nomenklaturher eine Säureamidbindung und wird hier als Peptidbindung

bezeichnet (Abbildung 2.29). Das entstandene Dipeptidhat einen Amino- und einen Carboxyterminus, an den nun

30 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.29 Verknüpfung von Aminosäuren zu einem Polymer. Die Peptidbindungen bildendas „Rückgrat“ eines Polypeptids, von dem die Seitenketten R1, R2 etc. wie Rippenabstehen.

2.30 Raumstruktur eines Proteins. a) Ein lineares Polypeptid faltet sich zu einer glo-bulären Proteinstruktur. b) Oberflächenkontur des fertig gefalteten Proteins Cyto-chrom c. Negative (rot) bzw. positive Ladungen (blau) befinden sich auf der Oberflä-che der äußerst kompakten, annähernd kugelförmigen Struktur.

2.31 Größe von Proteinen. Hämoglobin besteht aus je zwei a- bzw. b -Untereinhei-ten mit insgesamt 574 Aminosäureresten (65 kd).

eine dritte Aminosäure angefügt werden kann: Die Biosyn-these von Proteinen schreitet immer vom Amino- zum Carb-oxyterminus fort, sodass der entstehende Polypeptidstrangeine Direktionalität erhält. Entsprechend werden Aminosäu-resequenzen auch immer in dieser Richtung angegeben:NH3

+-Lys-Val-Asp-Ser-COO– (KVDS) ist von seinen moleku-laren Eigenschaften her etwas völlig anderes als NH3

+-Ser-Asp-Val-Lys-COO– (SDVK). Die Aminosäuresequenz einesProteins wird auch als seine Primärstruktur bezeichnet.

Ein Polymer aus einigen wenigen Aminosäuren heißt Oli-gopeptid. Typische Vertreter sind das gefäßerweiternde Hor-mon Bradykinin mit neun Aminosäureresten oder das etwaslängere Glucagon – ein Gegenspieler des Insulins – mit 29Resten. Ab ca. 50 Resten spricht man von Polypeptiden oderProteinen; allerdings ist der Übergang zwischen Oligo- undPolypeptiden eher fließend. Polypeptide sind zunächst lange„Fäden“, aus denen die Zelle dann „kunstvolles Garnspinnt“: Nach Vorgabe ihrer Aminosäuresequenz und unterder Assistenz von Chaperonproteinen – molekularen „Gou-vernanten“ – falten sich Polypeptide zu einer dreidimensio-nalen Struktur. Am häufigsten sind kugelförmige, globuläreProteine (Abbildung 2.30). Die Kugelform ist Konsequenzdes hydrophoben Effekts: Im Inneren des Proteins kapselnsich die hydrophoben Seitenketten von der wässrigen Umge-bung ab, während polare und vor allem geladene Seitenketten

meist an der Oberfläche liegen. Daneben sind auch elektro-statische Wechselwirkungen, Wasserstoffbrücken und van-der-Waals-Kräfte bei der Proteinfaltung von Bedeutung. Fib-rilläre Proteine wie das Kollagen , denen mechanischeStütz- und Haltefunktionen in Zellen und Geweben zukom-men, besitzen hingegen eine langgestreckte Struktur.

Die Länge von Polypeptiden und damit die Größe vonProteinen ist extrem variabel. Ein kleines Protein wie Lyso-zym aus Hühner-Eiklar, das die Zellwand von Bakterien auf-lösen kann, besteht aus 129 Resten und hat eine Molekül-masse von 14 000 Dalton (14 kd) (Abbildung 2.31). Titin ausmenschlichem Muskel hat hingegen die wahrhaft „titani-sche“ Größe von rund 26 900 Aminosäuren mit einer Massevon 3 × 106 Dalton (3 Md). Es besteht aus einem einzigenPolypeptid, das sich zu ca. 300 globulären Abschnitten oderDomänen faltet, die perlschnurartig aneinandergereiht sind(Exkurs 9.1). Die Molekülmasse eines Proteins lässt sich ausder Anzahl der Reste des Polypeptids multipliziert mit 110Dalton, der durchschnittlichen Masse eines Aminosäure-rests, abschätzen. Das Gros der Proteine hat eine Molekül-masse zwischen 5 und 250 kd. Proteine bestehen oft auseinem einzigen Polypeptidstrang. Sie können aber auchMultimere (griech. meros, Teil) aus mehreren gleichen (Ho-momultimere) oder unterschiedlichen Polypeptiden (Hetero-multimere) sein. So ist Hämoglobin , der Sauerstofftrans-porter in roten Blutkörperchen, ein Heterotetramer, d.h. ein„Vierteiler“ mit je zwei Paaren unterschiedlicher Polypeptide(Abbildung 2.31). Die Untereinheiten von Hämoglobin sindnicht über Peptidbindungen oder Disulfidbrücken, sondernvornehmlich über ionische Interaktionen und Wasserstoff-brücken miteinander verbunden.

Die ungeheure Vielfalt der Proteine (vgl. Abschnitt 2.9)macht es schwierig, verallgemeinernde Aussagen über ihreFunktionen und Aufgaben zu treffen. Ein übergreifendesCharakteristikum der meisten Proteine ist, dass sie spezifischandere Moleküle erkennen und vorübergehend binden können(Abbildung 2.32). Diese Liganden können Proteine, DNA, Po-lysaccharide, kleinere organische Moleküle, aber auch gas-förmige Moleküle oder Metallionen sein. Die spezifische

2.12 Aminosäuren sind Glieder einer Polypeptidkette 31

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2.32 Molekulare Erkennung durch Proteine. Auf ihrer Oberfläche bieten Proteinedem richtigen Liganden eine optimale Passform an und binden ihn spezifisch und re-versibel. Auch van-der-Waals-Kräfte tragen zur Ligandenbindung bei. Exemplarischsind nachgeschaltete Effekte der Ligandenbindung angegeben.

2.33 Struktur einer Fettsäure. Stearinsäure besitzt 18 C-Atome. Strukturformel(links), Kalottenmodell (Mitte) und vereinfachte Darstellung (rechts). Im Kreis: Sym-bol für Fettsäure.

Bindungsstärke zwischen Protein und Ligand nennt man Af-finität. Die Erkennung des „richtigen“ Liganden beruht aufseiner strukturellen Komplementarität zum Protein: Er kann– im Gegensatz zu „falschen“ Liganden – die vorhandeneBindungsstelle passgenau ausfüllen. Dabei können Ligandund Protein über Wasserstoff- und Salzbrücken oder hydro-phobe Interaktion reversible Bindungen miteinander einge-hen. Enzyme können ihre Liganden – hier meist Substrategenannt – vorübergehend sogar auch kovalent binden.

Was nach der Ligandenbindung passiert, hängt vom Typdes erkennenden Proteins ab: Transportproteine wie Hämo-globin bringen ihren Liganden O2 an entfernte Orte. Enzymewie das Lysozym katalysieren chemische Reaktionen undverändern dabei den gebundenen Liganden. Rezeptorprote-ine wie z.B. der Rezeptor für den Neurotransmitter Dopamin

geben nach Ligandenbindung ein „Signal“ an Zielprote-ine im Zellinnern weiter. Andere Rezeptorproteine wie derLDL-Rezeptor sorgen für die Aufnahme ihres Liganden in dieZielzelle. Im Fall von LDL (engl. low density lipoprotein)werden dabei vor allem Lipide in die Zelle importiert; diesenBiomolekülen wenden wir uns nun zu.

2.13Triacylglycerine sind Prototypenvon Lipiden

Die vierte Klasse biologischer Bausteine besteht aus einerheterogenen Gruppe von Molekülen, den Lipiden (griech. li-pos, Fett) . Lipide erfüllen wichtige Aufgaben als Kompo-nenten biologischer Membranen, als Energiespeicher vonReservedepots und als Botenstoffe in der zellulären Kommu-nikation. Anders als Kohlenhydrate, Nucleotide und Amino-säuren bilden Lipide keine polymeren, kovalent verknüpftenMakromoleküle. Ein weiteres übergreifendes Merkmal dieserStoffklasse ist die schlechte Löslichkeit in Wasser und diegute Löslichkeit in organischen Lösungsmitteln; daher wer-

den so unterschiedliche Substanzen wie Fette, Wachse, Öle,Steroide und Isoprenoide unter der Gruppe der Lipide sub-sumiert ( g Tafeln A3, A4). Lipidmoleküle sind oft amphiphil(synonym: amphipathisch; griech. amphi, zweiteilig), d.h.sie bestehen aus einem polaren, hydrophilen Teil und einemunpolaren, hydrophoben Teil. Diese Amphiphilie ermöglichtLipiden, im wässrigen Milieu zu hochmolekularen Verbän-den wie Membranen oder Micellen zu assoziieren. Um dieseswichtige Phänomen verstehen zu können, befassen wir unszunächst einmal mit Fettsäuren.

Fettsäuren sind Bestandteile von Speicher- und Mem-branlipiden. Sie besitzen einen hydrophoben Kohlenwasser-stoffkörper und eine hydrophile Carboxyl-Kopfgruppe (Ab-bildung 2.33). Natürlich vorkommende, unverzweigte Fett-säuren haben typischerweise eine gerade Zahl an C-Atomen(C16, C18, usw.). Sind sie gesättigt, tragen sie keine Doppelbin-dungen in ihrer Kohlenstoffkette. Die ungesättigten Fettsäu-ren besitzen dagegen eine oder mehrere C=C-Doppelbindun-gen ( g Nomenklatur: Exkurs 45.1). Die Doppelbindungensind gewöhnlich durch mindestens eine Methylengruppe(-CH2-) getrennt und damit nicht konjugiert. Sie liegen imAllgemeinen in der cis-Konfiguration vor, d.h. die angrenzen-den C-Atome sind gleichseitig orientiert und erzeugen damiteinen Knick in der Kohlenwasserstoffkette (siehe unten).

Durch Veresterung dreier Fettsäuremoleküle (Acylreste)mit dem dreiwertigen Alkohol Glycerin entstehen Fette oderTriacylglycerine (Abbildung 2.34). Viele Triacylglycerine tra-gen drei identische Acylreste; es gibt aber auch „gemischte“Typen mit zwei oder drei unterschiedlichen Acylresten. DieCarbonsäuren der Fette haben meist eine Länge zwischen 14und 24 C-Atomen, wobei C16 (Palmitinsäure) und C18 (Stea-rinsäure) beim Menschen dominieren. Der Sättigungsgradund die Kettenlänge der Acylreste bestimmen wesentlich die

32 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.34 Struktur eines Fettmoleküls. Tripalmitoylglycerin im Kalottenmodell (Mitte)und in vereinfachter Darstellung (rechts); zum Vergleich die Strukturformel von„freier“ Palmitinsäure (links).

2.35 Struktur eines Phosphoglycerids. Die Strukturkomponenten von Phosphatidyl-cholin sind farblich hervorgehoben; eine symbolische Darstellung ist rechts gezeigt.Die dargestellten Acylreste sind Palmitat (links) und Oleat (rechts). Die Acylrestekönnen 14 bis 24 C-Atome haben und bis zu 6 Doppelbindungen – typischerweisein cis-Konformation – tragen.

2.36 Phosphatidylserin und Phosphatidylethanolamin. Zur Vereinfachung sind hiernur gesättigte Acylreste mit 16 C-Atomen (Palmitat) dargestellt; zugehörige Symbolesind eingekreist.

Eigenschaften der Fette: je kurzkettiger und ungesättigterdie Acylreste, desto flüssiger und flüchtiger die Fette.Pflanzliche Fette sind stark ungesättigt und bei Raumtempe-ratur oft flüssig: Sie werden dann als Öle bezeichnet. Durchchemische Hydrierung werden ihre Doppelbindungen zuEinfachbindungen umgewandelt; damit lassen sich Fettekünstlich „härten“. Erdnussbutter und Margarine werden soaus Pflanzenölen gewonnen. Im Innern von Fettzellen – denAdipocyten – bilden Triacylglycerine kugelförmige Tröpf-chen (engl. lipid droplets) von bis zu 1 mm Durchmesser.

2.14Phospholipide und Glykolipide sindKomponenten von Biomembranen

Biologische Membranen sind aus amphiphilen Molekülenaufgebaut, die sich in drei Hauptklassen einteilen lassen:Phospholipide, Glykolipide und Cholesterine. Dabei gliedernsich Phospholipide in zwei Untergruppen, nämlich Glycero-phospholipide und Sphingophospholipide. Die Glycerophos-pholipide, meist Phosphoglyceride genannt, besitzen ebensowie Triacylglycerine einen Glycerinrest. Zwei benachbarteHydroxylgruppen sind wie bei Triglyceriden mit langketti-gen, gesättigten oder ungesättigten Fettsäuren verestert.Häufige Acylreste sind wiederum Palmitinsäure (C16) sowieÖlsäure (C18), eine einfach ungesättigte Fettsäure. Die dritteHydroxylgruppe des Glycerinrests ist hingegen über einePhosphodiesterbindung mit einem Aminoalkohol – Cholin,Serin, Ethanolamin – oder mit einem Polyalkohol wie z.B.Inositol verknüpft. Der hydrophile Phosphat„kopf“ und diehydrophoben Acyl„schwänze“ machen Phospholipide zu Pro-totypen amphiphiler Verbindungen.

2.14 Phospholipide und Glykolipide sind Komponenten von Biomembranen 33

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2.37 Chemische Struktur eines Sphingomyelins. An dem Sphingosingerüst (rot) sindeine Phosphocholingruppe (grün) sowie ein Fettsäurerest (Palmitat; blau) via Säure-amidbindung fixiert. Im Kreis: Symbol für Sphingomyelin ( g Tafel A3).

2.38 Struktur der Glykolipide. Von Ceramid leiten sich die einfach bzw. mehrfachglykosylierten Sphingoglykolipide vom Typ der Cerebroside und Ganglioside ab. Gal,Galactose; GalNAc, N-Acetylgalactosamin; Glc, Glucose; NANA, Sialinsäure. ImKreis: Symbol für Glykolipide.

Wichtige Phosphoglyceride sind Phosphatidylcholin (Ab-bildung 2.35) und Phosphatidylethanolamin (Abbildung2.36). Die positiv geladene Aminogruppe der Aminoalkoholekompensiert dabei die negative Ladung des Phosphatrests:Wir haben es mit zwitterionischen Verbindungen zu tun. ImPhosphatidylserin trägt der Serinrest neben Amino- undHydroxylgruppe auch einen Carboxylatrest, die dem Phos-phoglycerid eine negative Nettoladung verleiht. Das eben-falls negativ geladene Phosphatidylinositol ( g Tafel A3)kommt nur in kleinen Mengen in Biomembranen vor. Esspielt aber wichtige Rollen als Anker für Membranproteine( g Abschnitt 25.2) und als Vorstufe für biologische Boten-stoffe ( g Abschnitt 28.7).

Neben den Phosphoglyceriden umfasst die Klasse derPhospholipide als zweite große Gruppe die Sphingophos-pholipide, meist Sphingomyeline genannt. Sie tragen anStelle von Glycerin ein C18-Sphingosinmolekül. Der Kopfteilvon Sphingosin, der zwei Hydroxylgruppen und eine Amino-gruppe trägt, geht in einen langkettigen, einfach ungesättig-ten Alkylrest über (Abbildung 2.37). Damit ähnelt Sphingo-sin strukturell einem Monoacylglycerin mit einem ungesät-tigten Fettsäurerest, wobei dieser aber in trans-Konfigura-tion vorliegt. Durch Acylierung der freien Aminogruppe undVeresterung der endständigen Hydroxylgruppe mit Phos-phocholin entsteht Sphingomyelin. Trotz struktureller Un-terschiede weisen Sphingomyeline und Phosphoglyceride inihren physikalisch-chemischen Eigenschaften eine verblüf-fende Ähnlichkeit auf.

Sphingoglykolipide, kurz Glykolipide genannt, verkör-pern die dritte wichtige Komponente biologischer Membra-nen. Grundkörper ist hier das Ceramid, das – ähnlich wieSphingomyelin – ein Sphingosingerüst besitzt, jedoch keinePhosphocholingruppe. Durch Glykosylierung von Ceramidentstehen Glykolipide, die einen oder mehrere Zuckerrestetragen (Abbildung 2.38). Die einfachsten Derivate sind dieCerebroside mit einem einzelnen Zuckerrest, meist Glucoseoder Galactose. Cerebroside, die besonders häufig in denMembranen des Nervensystems vorkommen, sind ungela-den. Durch Addition weiterer, z.T. modifizierter Zuckerrestewie N-Acetylgalactosamin (GalNac) und Sialinsäure (engl. N-acetylneuraminic acid: NANA), das eine freie Carboxylat-gruppe trägt, entsteht das komplexe Gangliosid GM1 (Abbil-dung 2.38). Ganglioside sind durch einen oder mehrere Sia-linsäurereste negativ geladen; sie kommen gehäuft in derPlasmamembran von Nervenzellen des Gehirns vor und die-nen als Vorstufen wichtiger Signalmoleküle.

34 2. Biomoleküle – Bausteine des Lebens

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2.39 Struktur einer Zellmembran. Die Plasmamembran besteht aus einer ca. 5–8nm dicken kontinuierlichen Phospholipiddoppelschicht, die auch Glykolipide undCholesterin enthält. Membranständige Proteine wie z.B. Enzyme, Pumpen, Kanäle,Träger oder Rezeptoren sind in der Membran verankert.

2.40 Struktur von Cholesterin. Der Steroidgrundkörper ist in rot gezeigt. Zur Verein-fachung ist er hier flach dargestellt ( g Exkurs 46.4). Im Kreis: symbolische Darstel-lung.

2.15Lipide organisieren sich spontanzu Membranen

Anders als die zuvor besprochenen Bausteine – Nucleotide,Aminosäuren, Zucker – können sich Lipide zu hochmoleku-laren Verbänden zusammenlagern, ohne dabei kovalenteBindungen einzugehen. Aufgrund der amphiphilen Strukturhaben ihre hydrophilen Kopfgruppen Kontakt mit Wasser-molekülen, während ihre hydrophoben Schwanzteile – be-dingt durch den hydrophoben Effekt ( g Abschnitt 1.6) – mit-einander unter Wasserausschluss aggregieren. Dabei bildendie keilförmigen Fettsäuremoleküle sphärische Micellen( g Abbildung 24.2), während sich die röhrenförmigen Phos-pho- und Glykolipide zu planaren Doppelschichten, den Bio-membranen , formieren (Abbildung 2.39). Die lipophilenReste interagieren auf der wasserabgewandten Seite undhalten den Molekülverband vor allem über hydrophobe Ef-fekte und van-der-Waals-Kräfte zusammen. Die Kopfgrup-pen an den Oberflächen der Membranschichten bilden Was-serstoffbrücken und gegebenenfalls ionische Bindungen mitdem wässrigen Medium aus. Biomembranen sind die

„Häute“ der Zellen; sie trennen das Innere vom Äußeren, dasCytoplasma vom Extrazellulärraum.

Ein wesentliches Merkmal biologischer Membranen sindihre assoziierten Proteine. Diese Membranproteine (Abbil-dung 2.39) können einseitig angelagert und mit Lipidankernin der Membran gehalten werden oder als integrale Mem-branproteine die Lipiddoppelschicht komplett durchspan-nen. Biomembranen sind keine starren Gebilde, sondern dy-namische und flexible Systeme mit mobilen Komponentenund werden daher modellhaft als flüssiges Mosaik (engl. fluidmosaic) beschrieben ( g Abschnitt 24.6).

Die Lipiddoppelschichten biologischer Membranen sindsemipermeabel und wirken für polare und geladene Mole-küle als Barrieren. Dadurch separieren sie wässrige Milieusmit ganz unterschiedlichen Molekül- und Ionenkonzentrati-onen. Dies gilt auch für den Binnenraum von eukaryoti-schen Zellen, wo Membranen abgetrennte Reaktionsräumeschaffen. Die dabei entstehenden Zellkompartimente ermög-lichen eine effiziente intrazelluläre Arbeitsteilung ( g Ab-schnitt 3.3). Zelluläre Membranen können Einstülpungenoder Abschnürungen ausbilden, was Grundlage des Vesikel-transports ist ( g Abschnitt 19.10 ). Als „Kleber“ fungiert da-bei das Lipidmolekül Cholesterin (Abbildung 2.40). Mitseinem Steroidgerüst hat es eine völlig andere Grundstrukturals Phospho- oder Glykolipide, teilt aber mit ihnen die Am-phiphilie. Cholesterin erfüllt noch weitere Aufgaben: So istes Ausgangspunkt bei der Synthese von Steroidhormonen,Gallensäuren und Vitamin D ( g Abschnitt 46.7).

Damit haben wir einen ersten Überblick über die kom-plexe Welt der Biomoleküle gewonnen; in späteren Kapitelnwerden wir dieses Wissen vertiefen. Zunächst einmal wollenwir der Frage nachgehen, wie aus diesen relativ einfachenBausteinen eine biologische Zelle als kleinste lebende Funk-tionseinheit entstehen kann. Dazu machen wir erst einenkurzen Abstecher in die Frühphase des Lebens und dann ei-nen Rundgang durch die Zelle.

2.15 Lipide organisieren sich spontan zu Membranen 35

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Zusammenfassung> Als „Bausteine des Lebens“ fungieren vier Hauptklassen

von Biomolekülen: Kohlenhydrate, Nucleinsäuren, Pro-teine und Lipide.> Kohlenhydrate dienen als Nährstoffe und Energieträger.

Ihre Grundbaustoffe, die Monosaccharide, enthaltenneben mehreren Hydroxylgruppen entweder eine Al-dehydgruppe (Aldosen) oder eine Ketogruppe (Ketosen).Nach ihrer Konfiguration werden Monosaccharide in D-

und L-Enantiomere unterschieden, wobei die D-Form vor-herrscht. Pentosen (mit fünf C-Atomen, z.B. Ribose) undHexosen (sechs C-Atome, z.B. Glucose und Fructose)sind die dominierenden Monosaccharide. Sie können inlinearer Form vorliegen oder einen Ringschluss voll-ziehen, bei dem eine glykosidische Hydroxylgruppeentsteht. Diese kann mit einer Hydroxylgruppe eineszweiten Monosaccharids eine O-glykosidische Bindungeingehen. Prominente Disaccharide sind Saccharose undLactose. Durch lineare, z.T. auch verzweigte Verkettungmehrerer Monosaccaride entstehen Oligo- bzw. Polysac-charide.> Nucleinsäuren sind die Informationsträger der Zelle. Man

unterscheidet Ribonucleinsäuren (RNA) aus Ribonucleo-tiden und Desoxyribonucleinsäure (DNA) mit Desoxyri-bonucleotiden als Einzelbausteinen. Nucleotide sind auseinem Monosaccharid, einer Purin- oder Pyrimidinbaseund einem Phosphatrest aufgebaut. Durch Kondensationder 5'-Phosphatgruppe eines Nucleotids mit der 3'-OH-Gruppe eines weiteren Nucleotids entsteht ein Dinucleo-tid. Die weitere Inkorporation von Nucleotiden erfolgtimmer in 5'-3'Richtung und liefert Oligo- und Polynuc-leotide.> Zwei DNA-Stränge können zu einer Doppelhelix assozi-

ieren. Komplementäre Basen sind dabei Adenin (A) undThymin (T) sowie Guanin (G) und Cytosin (C); bei RNA

ist Thymin durch die Base Uracil ersetzt. Bei der semi-konservativen Replikation der DNA dient jeweils einerder beiden Stränge als Vorlage zur Synthese eines neuenDNA-Strangs.> Bei der Transkription wird von der Erbinformation der

DNA im Zellkern eine „Arbeitskopie“ in Form vonmRNA erstellt. In der Translation am Ribosom wird diemRNA in ein Polypeptid übersetzt.> Die Proteine als Werkzeuge der Zelle entstehen durch li-

neare Verknüpfung aus einem Bausatz von zwanzig ver-schiedenen Standardaminosäuren. Diese bilden durchKondensation eine Peptidbindung; dabei erfolgt die Ver-knüpfung immer vom Amino- zum Carboxyterminus.Die Abfolge der Aminosäuren in der Peptidsequenz wirdals Primärstruktur bezeichnet. Oligopeptide sind z.B.Hormone. Längere Polypeptide werden als Proteine be-zeichnet und bilden durch Faltung typischerweise globu-läre Strukturen aus.> Lipide dienen als Energiespeicher (Fett) und als Bau-

steine biologischer Membranen. Ihr amphiphiler Cha-rakter erlaubt ihnen eine Selbstorganisation in Formvon Membranen oder Micellen.> Fettsäuren bestehen aus einer Kohlenwasserstoffkette

und einer Carboxyl-Kopfgruppe. Gesättigte Fettsäurenhaben keine, ungesättigte Fettsäuren hingegen eine odermehrere Doppelbindungen. Durch Veresterung von Fett-säuren mit Glycerin entstehen Triacylglycerine, die alsFette gespeichert werden.> Phospholipide sind Bausteine von Membranen mit einer

hydrophilen Phosphorsäure-Kopfgruppe. Man unter-scheidet Phosphoglyceride, Sphingophospholipide undSphingoglykolipide, die zusammen mit Cholesterindurch nichtkovalente Aggregation zu doppelschichtigenbiologischen Membranen assoziieren.

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http://www.springer.com/978-3-662-54850-9