Björn Bernhard Kuhse Wilhelm Haarmann auf den Spuren der...

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Björn Bernhard Kuhse Wilhelm Haarmann auf den Spuren der Vanille

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Björn Bernhard Kuhse

Wilhelm Haarmann auf den Spuren der Vanille

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-940751-57-7

Verlag Jörg Mitzkat

www.mitzkat.de

Holzminden 2012

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des

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Björn Bernhard Kuhse

Wilhelm Haarmann auf den Spuren der Vanille

Forscher, Unternehmer und Pionier der Riechstoffe

Holzminden, 2012Verlag Jörg Mitzkat

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Inhalt

Inhalt

Vorwort 5

1 Düfte und Aromen 7 2 Jugendzeit 10 3 Studienzeit 15 4 Kriegszeit 19 5 Forschungszeit 22 6 Über den Naturstoff Vanillin 29 7 Die Gewürzvanille 31 8 Gründungszeit 42 9 Aufbauzeit einer Riechstoff-Fabrikation 4810 Ausbauzeit und Wettbewerb 6211 Familienzeit 8012 Ein Lebenskreis schließt sich: Haarmanns Lebenswerk 8413 Was wurde aus Wilhelms Riechstoff-Fabrik? 90

Quellenverzeichnis 91Abbildungsverzeichnis 94Bildnachweis 96

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Vorwort

„Was man an der Natur Geheimnisvolles pries,Das wagen wir verständig zu probiren,

Und was sie sonst organisiren ließ,Das lassen wir krystallisiren.“

J. W. v. Goethe (Faust II)

VorwortEs ist sicher nicht leicht, achtzig Jahre nach seinem Tod das Bild eines Menschen nachzuzeichnen. Ich habe dennoch den Versuch unternommen, weil als Quellen sowohl ein Tagebuch von Wilhelm Haarmann vorlag, als auch reichlich wissenschaftliche Berichte über die Entdeckungen der beteiligten Chemiker überliefert sind. Hinzu kamen zahlreiche Quellen, die in dem Archiv der heutigen Firma Symrise in Holzminden gesammelt sind. Man kann die Biografie und die Lebensleistung eines großen Mannes unabhängig voneinander beschreiben oder beides miteinander verknüpft darstellen. Ich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden, da es sich hier um einen Forscher und Unternehmer handelt, dessen besondere Lebensleistung in der Kombination von wissenschaftlicher und unternehmerischer Tätigkeit besteht. Bei der Darstellung der wissenschaftlichen Untersuchungen und Ergebnisse habe ich mich darum bemüht, dass die Inhalte auch Personen, die der Chemie nicht so nahestehen, verständlich werden. Wenn man die geschichtlichen und politischen Ereignisse einer Zeit mit einbezieht, kann man das Bild einer Persönlichkeit umfassender nachzeichnen. Anhand der Feldpostbriefe aus dem Krieg Deutschland–Frankreich im Jahr 1870/71 wollte ich die anfänglich patriotische Gesinnung Wilhelm Haarmanns wiedergeben, die dann einer kritischen Betrachtung des Krieges mit seinen Grausamkeiten wich. Da die Vanille mit ihrem Haupt-Aromastoff Vanillin den Lebensweg von Wilhelm Haarmann entscheidend geprägt hat, wurde der exotischen Pflanze mit ihrer interessanten Geschichte ein besonderes Kapitel gewidmet. Bei der Zusammenstellung der Biografie habe ich von vielen Seiten Unterstützung erfahren, ohne ein intensives Quellenstudium in den Archiven der Firmen Symrise und Drago Invest wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Auch bei Heinrich Steude möchte ich mich für die Einsicht in die Familienchronik bedanken. Besonderer Dank gilt meiner Frau Ursula für ihre vielen Anregungen. Wertvolle Hinweise erhielt ich von Christa Flader, Brigitte Limburg, Dr. Margot Vogelmann, Dr. Wolfram Grohs sowie Dr. Matthias Seeliger. Sehr herzlich bedanken möchte ich mich auch bei denen, die hier nicht namentlich genannt werden. Mit Prof. Dr. Helmut Wenck konnte ich viele anregende Gespräche führen. Durch Unterstützung von Herrn Gerberding und der Firma Symrise, für die ich sehr dankbar bin, konnte dieses Buch veröffentlicht werden.

Björn Kuhse, Halle/Westf., Mai 2012

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Düfte und Aromen

1 Düfte und Aromen

Von den Wohlgerüchen Arabiens über die Vanille bis zur modernen Riechstoff-Industrie

Der Bereich der Riech- und Aromastoffe hatte schon immer für den Menschen eine besondere Bedeutung. Man entdeckte sehr früh, dass Balsame und Harze beim Erhitzen ihren Duft intensiv freisetzen. „Per fumum“ (lat. durch den Rauch) war dann schließlich der Namensgeber für das Parfum (1). Schon im Altertum parfümierten sich die Menschen sowohl in Persien als auch im antiken Rom so umfassend, dass man heute nur darüber staunen kann. Man parfümierte nicht nur den Körper, sondern auch das Badewasser, das Bett und sogar Zelte und Sänften. Vom griechischen Philosoph Herodot (um 485-424 v. Chr.) wissen wir aus seinen Reiseberichten Einzelheiten über die Gewinnung von Myrrhe und Weihrauch bei den Ägyptern und ihren Nachbarn. Im Abendland wusste man die Wohlgerüche Arabiens hoch zu schätzen, man trug Kügelchen aus Ambra und Moschus an der Halskette und sie wurden in Gold aufgewogen (1). Die Handelswege aus dem Morgenland waren lang und gefährlich, erst nach der Eroberung Konstantinopels durch Venedig (1202) wurde der Seeweg übers Mittelmeer nach Osten erschlossen, sodass eine Blütezeit der Parfümerie in Europa begann. Durch die Erfindung der Destillation konnten auch beim Transport die Duftstoffvolumina deutlich reduziert werden, indem nunmehr hochkonzentrierte Essenzen in kleinen Phiolen1 zum Einsatz kamen. Zu einem Zentrum der europäischen Parfümherstellung hatte sich das Städtchen Grasse entwickelt, da dort in der Provence das Mittelmeerklima Pflanzen wie Lavendel, Rosen und Jasmin prächtig gedeihen ließ. Die duftenden ätherischen Öle wurden durch Wasserdampfdestillation gewonnen und parallel dazu die Enfleurage entwickelt, eine Methode den Blüten – z.B. der Tuberose – mit Fett die Duftstoffe zu entziehen. Der Beruf des „Parfümeur“ wurde schließlich unter Napoleon offiziell in Frankreich eingeführt.2

Auch die Wissenschaft fühlte sich herausgefordert; so erforschten bereits 1837 die Chemiker Liebig und Wöhler (2) gemeinsam das Bittermandelöl3 und isolierten dabei Benzaldehyd als einen der ersten Riechstoffe. Der Geruchssinn selbst wurde lange Zeit von der Wissenschaft vernachlässigt, ja sogar in der Frühzeit von den Griechen als unpräziser, emotionaler Sinn abqualifiziert.4

1 Kugelförmige Glasflasche mit langem Hals.2 H&R Duftstoffe, Archiv Symrise, Holzminden.3 Natürliches Bittermandelöl ist giftig und enthält min. 90% Benzaldehyd und 2-4% Blausäure. (Römpp Lexikon).4 H&R Duftstoffe, Das Riechen, Archiv Symrise, Holzminden.

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Düfte und Aromen

Inzwischen weiß man, dass wir mit dem Gehirn riechen. Duftmoleküle gelangen über die Atemluft an Rezeptoren an der Riechschleimhaut um dort „anzudocken“ und somit ein elektrisches Signal an das Gehirn zu senden. Heute untersuchen Wissenschaftler wie der Genomforscher Richard Axel5 intensiv die Reizübertragung an das Gehirn. Er konnte dabei eine Genfamilie ausfindig machen, die mit der Geruchswahrnehmung assoziiert ist. Fast jeder kennt den typischen Geruch einer Vanilleschote, wobei neben dem Hauptinhaltsstoff Vanillin verschiedene weitere Duftmoleküle ein charakteristisches Aromaprofil ergeben. Vanille ist der heute weltweit am häufigsten eingesetzte Aromastoff (3). Die Wirksamkeit entfaltet sich wie bei allen Aromastoffen im Mund-Nasen-Raum, um dort einen typischen Aromaeindruck hervorzurufen.6

Die bekannte Köchin und Kochbuch-Autorin Wildeisen (4) beschreibt den typischen Vanilleduft als „reich und schwer, würzig und balsamisch mit einer süßlichen Note, der bei genauem Hinschmecken auch leicht holzige und tabakähnliche Geschmackskomponenten verrät.“ In einer wissenschaftlichen Aromaprofilbeschreibung (5) ordnet man der Bourbon-Vanille weiche, buttrig-sahnige und sehr schwache phenolige7 und blumige Noten zu. Ganz anders dagegen fällt das Profil bei der Vanilla Tahitensis aus, deren Hauptanbaugebiete auf den Inseln Tahiti und Moorea liegen. Es überwiegen die anisigen, blumigen und cumarinigen Noten. Der Geschmackstyp wird besonders beim italienischen Speiseeis bevorzugt. Das Zusammenwirken von Geschmack und Geruch wurde einmal sehr treffend mit der Musik verglichen:8

„Man kann den Geschmacksprozess mit einem Lied vergleichen, in dem der Geschmack die Singstimme und der Geruch die Pianobegleitung darstellt. Beide sind derart verwoben, dass die Singstimme ohne das Piano nicht nur dünn und leer sondern geradezu verwaist erklingt.“ Vanille ist enthalten in Pudding, Speiseeis, Schokolade, Coca Cola, Arzneimitteln, Tabakwaren und Parfums neben vielen weiteren Einsatzgebieten. Sie zählt heute neben Piment und Chillis zu den drei hervorragenden Gewürzen, die Europa der Entdeckung Amerikas zu verdanken hat. Der betörende Duft der Vanille, der Schwarzen Königin, war also den Europäern unbekannt, sie lernten ihn erst vor 500 Jahren kennen und schätzen. Es war ein bahnbrechender Erfolg für die Wissenschaft, dass es im 19. Jahrhundert den Chemikern gelang, den Naturstoff Vanillin von der Struktur her aufzuklären und eine chemische Synthese durchzuführen.

5 Richard Axel erhielt 2004 gemeinsam mit Linda B. Buck für die Erforschung des Riechsystems den Nobelpreis für Medizin u. Physiologie.

6 H&R Auf den Geschmack gekommen, Archiv Symrise, Holzminden.7 Reines Phenol hat einen durchdringenden Geruch u. scharf brennenden Geschmack (Römpp Lexikon).8 Festschrift zum 100jährigen Bestehen von H&R. 1984, Archiv Symrise,Holzminden.

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Düfte und Aromen

Der Chemiker Wilhelm Haarmann hat zusammen mit seinem Freund Ferdinand Tiemann im Labor die Vanillin-Synthese entdeckt und anschließend 1874 in Holzminden seine Entdeckung in die Praxis umgesetzt und die erste Riechstoff-Fabrik der Welt gegründet (6). Es folgten weitere Synthesen wie die von Cumarin9 und die der Ionone (Veilchenriechstoff), wodurch die Palette für die Parfümeure ungleich erweitert wurde. Damit wurden die Grundlagen gelegt für einen neuen Industriezweig, der sich in diesem Fall zu einem Global Player entwickelte und große Bedeutung auch regional erlangt hat. Das lässt sich daran erkennen, dass sich eine ganze Stadt mit den Produkten identifiziert und sich „Stadt der Düfte und Aromen“ nennt. Dass Wilhelm Haarmann als gebürtiger Holzmindener als Rohstoffbasis für seine Synthese Holz und später Nelkenöl verwendete, ist nur noch wenigen bekannt. Vanillin wird auch heute noch in Holzminden produziert, allerdings nach einem modernen biologischen Verfahren. Die Chemiker waren ständig herausgefordert, die Produktionsverfahren den aktuellen Erfordernissen anzupassen. Darüber hinaus war Vanillin Leitsubstanz für die Entwicklung vieler ähnlicher Substanzen, die den Grundstein für die gesamte Riechstoff-Industrie bildeten.

9 Cumarin kommt teilw. in glykosid. Form u.a. im Waldmeister vor.

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Jugendzeit

2 Jugendzeit

Wilhelm Haarmanns Geburtsstadt Holzminden an der Weser Herkunft der Familie Haarmann Schulzeit

In der Tageszeitung „Holzmindener Landzeitung“ erscheint am 31. August 1847 unter Geburtsanzeigen: „Geborene Mai 24: Des hiesigen Oberkommissairs Heinrich Wilhelm Haarmann: Sohn, Gustav Ludewig Friedrich Wilhelm.“ (7) In dem Weserstädtchen fand das Ereignis durchaus Beachtung, handelte es sich doch bei dem Vater um eine der besonderen Persönlichkeiten in der Stadt Holzminden. Wilhelm war das erste Kind des Oberkommissairs und Administrators der Sollinger Steinbrüche. Als ehemaliger herzoglich-braunschweigischer Zollinspektor wohnte er noch in dem alten Zollhaus10 direkt an der Weser. Dieses Geburtshaus von Wilhelm Haarmann ist heute noch im Kern erhalten. Das historische Fachwerkhaus, dessen Giebel im 19. Jahrhundert mit typischen Sollinger Sandsteinplatten verkleidet war, ist inzwischen renoviert worden und zählt zu den ältesten Gebäuden der Stadt (8).

10 Gegen Ende des 17. Jh. wohnte hier der Abt Toppius, deshalb entstand die Bezeichnung „altes Abtshaus bzw. Pfarrhaus.“ Wegen der Lage an der Weser glaubte man früher, dass hier der Zolleinnehmer wohne, so entstand die Bezeichnung „Altes Zollhaus“, die auch heute noch verwendet wird. Ebenso gebräuchlich war die Bezeichnung „Fährhaus“. Bevor 1884/85 an dieser Stelle die erste Weserbrücke gebaut wurde, überquerte bei Bedarf ein flacher Kahn die Weser.

Abb. 1: Geburtshaus Wilhelm Haarmann