Bolívars kühner Testamentsvollstrecker

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RotFuchs / April 2013 Seite 17 Am 27. April um 10 Uhr spricht der Buchautor Konstantin Brandt, Vorstandsmitglied des „RotFuchs“- Fördervereins, auf einer Veranstaltung der RF-Regionalgruppe Königs Wusterhausen im Hanns-Eisler-Haus, Eichenallee 12, über das Thema Ist die SPD willens und fähig, die Gesellschaft zu verändern? Zum Tode des großen venezolanischen Revolutionärs Hugo Chávez Bolívars kühner Testamentsvollstrecker A m 5. März ist Hugo Chávez, der seit etlichen Monaten schwerkranke und wiederholt von Kubas besten Chirur- gen operierte Präsident Venezuelas, in Caracas seinem Krebsleiden erlegen. Mil- lionen Venezolaner verbinden mit ihrer Trauer um diesen unerschrocke- nen Kämpfer und bedeutenden antiimperialistischen Staats- mann, der sich seit geraumer Zeit vor allem in der Klassen- frage marxistischen Positio- nen immer stärker zu nähern begann, einen Schwur: die Entschlossenheit, den nun zu erwartenden massiven Ansturm innerer wie äußerer Feinde der Bolivarianischen Revolution im Sinne von Chávez mit geball- ter Kraft zurückzuschlagen. Sie scharen sich dabei um den zur rechten Zeit mit der Führung der Staatsgeschäfte als Amtie- render Präsident beauftrag- ten Chávez-Vertrauten Nicolás Maduro. In die Steuerkunst des einstigen Busfahrers set- zen nicht allein die Anhänger der von Chávez begründeten Sozialistischen Einheitspar- tei Venezuelas (PSUV) – einer revolutio- nären Massenbewegung mit Millionen eingetragenen Anhängern – Hoffnungen und Erwartungen. Auch die traditions- reiche, seit fast einem Jahrhundert in der Arbeiterklasse des Landes verwur- zelte Kommunistische Partei Venezue- las (PCV) trauert um den verstorbenen Comandante, der zu Recht als Testa- mentsvollstrecker des Befreiers und Staatsgründers Símon Bolívar gilt und zu ihr ein zwar nicht immer konfliktfreies, jedoch von Vertrauen und Kameradschaft geprägtes Verhältnis unterhielt. Als nach der PSUV zweitstärkste politische For- mation des Lagers der Chávistas schlug die PCV seinerzeit die Einladung des Prä- sidenten aus, in der PSUV aufzugehen. Sie nahm dabei den politisch korrekten Standpunkt ein, das venezolanische Pro- letariat und mit ihm verbündete Klas- sen und Schichten bedürften generell, um so mehr aber in einem noch nicht zum Sieg geführten revolutionären Pro- zeß, einer eigenständigen marxistisch- leninistischen Vorhutpartei. Zugleich unterstützte die PCV alle antiimpe- rialistischen, zukunftsweisenden und revolutionären Maßnahmen des kühnen Präsidenten der Republik. Das betraf vor allem grandiose Fortschritte im Erzie- hungs- und Gesundheitswesen sowie auf sozialem und arbeitsrechtlichem Gebiet, wobei die Hilfe von Kuba entsandter Ärzte und Lehrer ebenso unverzichtbar war wie die Solidarität, die Caracas – beispielsweise durch Erdöllieferungen zu günstigen Konditionen – dem Land von Fidel und Raúl Castro, mit denen Chávez auf das engste befreundet war, erwiesen. Andererseits vermochte die Bolivaria- nische Revolution – wie 1974/75 Por- tugals Aprilrevolution – die Frage der politischen Macht bisher nicht zugun- sten der arbeitenden Klassen zu entschei- den, auch wenn sich parallele Strukturen herauszubilden begannen. Noch immer verfügt die vom Imperialismus instru- mentalisierte venezolanische Groß- bourgeoisie über die einflußreichsten Sender und Zeitungen des Landes, das Gros industrieller Produktionsmittel und wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft. In dieser Hinsicht konnte nach dem kla- ren Sieg von Hugo Chávez über Henrique Capriles – den Kandidaten der Oligarchie und des Imperialismus – bei den Präsi- dentschaftswahlen vom 7. Oktober 2012 am 16. Dezember, als Gouverneurs- und Regionalwahlen stattfanden, erfolgreich nachgelegt werden. Erstmals gingen 20 von 23 Gouverneursposten an die von PSUV, PCV und anderen Volkskräften unterstützten Bewerber des Chávez- Lagers. Nur drei Gouverneursposten fie- len an die Rechte. Obwohl Capriles mit deutlich verringerter Stimmenzahl in seinem Bundesstaat Miranda, östlich von Caracas, als Gouverneur wiedergewählt wurde, errang sein Klüngel im Legisla- tivrat – dem regionalen Parlament – nur 8 von 15 Mandaten. Fünf maßgebliche Bundesstaaten, die zuvor an die rechte Opposition gefallen waren, wurden von den Chávistas zurückerobert. So konnte Hugo Chávez vor Beginn seiner Behand- lung in Havanna bei der Verabschiedung von seinem Volk die Feststellung treffen: „Sie sollen sich nicht irren – wir besit- zen ein Vaterland.“ Dennoch wäre es voreilig, ginge man davon aus, daß die Würfel in Venezuela bereits endgültig gefallen seien. Noch ist die vom Imperialismus gestützte innere Reaktion stark genug, der Bolivarianischen Revo- lution unablässig Sand ins Getriebe zu streuen. Bei den durch die Chávez-Seite gewon- nenen Wahlen für die Regio- nalparlamente waren 46 % der zum Votum Berechtig- ten nicht an die Urnen getre- ten. 4 849 143 Stimmen (55 %) gingen an die als Kraft der Revolution auftretende Linke, nicht weniger als 3 831 711 Stim- men (43%) fielen an die Reak- tion. So ist damit zu rechnen, daß diese nach dem Tod des Revolutionsführers noch mehr als bisher alle Register der politischen, ideologischen und ökonomischen Aggression zie- hen wird. Andererseits könnte auch ein mit dem Schmerz der Massen um das Ableben ihres Vorbilds verbundener „Trau- erbonus“ die Linke bei der Wahl eines neuen Staatsoberhauptes begünstigen. Die revolutionären Kräfte sollten einen übersteigerten Triumphalismus able- gen, die Neigung zur Bürokratisierung zurückdrängen und eine höhere Effekti- vität beim Regieren anstreben, zitierte Kubas „Granma“ aus einer Kolumne des erfahrenen Politikers José Vicente Ran- gel in der Zeitung „El Espejo“. Nicolás Maduro, auf dem jetzt die Last der Verantwortung für die Weiterfüh- rung des Bolivarianischen Prozesses ruht, geißelte seinerseits „den schon an Wahnsinn grenzenden Hochmut“ der Gegner eines freien und unabhängigen Venezuela. „Ich glaube, sie haben gar nicht gemerkt, daß 20 Gouverneursäm- ter mehr sind als drei“, sagte er. Das Volk habe den sogenannten Tisch der Demo- kratischen Einheit – den Pakt der Gestri- gen – aufgelöst. RF, gestützt auf „Granma Internacional“, Havanna In besseren Tagen: Nicolás Maduro und Hugo Chávez als Führungsteam der Bolivarianischen Republik

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RotFuchs / April 2013 Seite 17

Am 27. April um 10 Uhr spricht der Buchautor Konstantin Brandt, Vorstandsmitglied des „RotFuchs“-Fördervereins, auf einer Veranstaltung der RF-Regionalgruppe Königs Wusterhausen im Hanns-Eisler-Haus, Eichenallee 12, über das Thema

Ist die SPD willens und fähig, die Gesellschaft zu verändern?

Zum Tode des großen venezolanischen Revolutionärs Hugo Chávez

Bolívars kühner Testamentsvollstrecker

Am 5. März ist Hugo Chávez, der seit etlichen Monaten schwerkranke und

wiederholt von Kubas besten Chirur-gen operierte Präsident Venezuelas, in Caracas seinem Krebsleiden erlegen. Mil-lionen Venezolaner verbinden mit ihrer Trauer um diesen unerschrocke-nen Kämpfer und bedeutenden antiimperialistischen Staats-mann, der sich seit geraumer Zeit vor allem in der Klassen-frage marxistischen Positio-nen immer stärker zu nähern begann, einen Schwur: die Entschlossenheit, den nun zu erwartenden massiven Ansturm innerer wie äußerer Feinde der Bolivarianischen Revolution im Sinne von Chávez mit geball-ter Kraft zurückzuschlagen. Sie scharen sich dabei um den zur rechten Zeit mit der Führung der Staatsgeschäfte als Amtie-render Präsident beauftrag-ten Chávez-Vertrauten Nicolás Maduro. In die Steuerkunst des einstigen Busfahrers set-zen nicht allein die Anhänger der von Chávez begründeten Sozialistischen Einheitspar-tei Venezuelas (PSUV) – einer revolutio-nären Massenbewegung mit Millionen eingetragenen Anhängern – Hoffnungen und Erwartungen. Auch die traditions-reiche, seit fast einem Jahrhundert in der Arbeiterklasse des Landes verwur-zelte Kommunistische Partei Venezue-las (PCV) trauert um den verstorbenen Comandante, der zu Recht als Testa-mentsvollstrecker des Befreiers und Staatsgründers Símon Bolívar gilt und zu ihr ein zwar nicht immer konfliktfreies, jedoch von Vertrauen und Kameradschaft geprägtes Verhältnis unterhielt. Als nach der PSUV zweitstärkste politische For-mation des Lagers der Chávistas schlug die PCV seinerzeit die Einladung des Prä-sidenten aus, in der PSUV aufzugehen. Sie nahm dabei den politisch korrekten Standpunkt ein, das venezolanische Pro-letariat und mit ihm verbündete Klas-sen und Schichten bedürften generell, um so mehr aber in einem noch nicht zum Sieg geführten revolutionären Pro-zeß, einer eigenständigen marxistisch-leninistischen Vorhutpartei. Zugleich unterstützte die PCV alle antiimpe-rialistischen, zukunftsweisenden und revolutionären Maßnahmen des kühnen Präsidenten der Republik. Das betraf vor allem grandiose Fortschritte im Erzie-hungs- und Gesundheitswesen sowie auf sozialem und arbeitsrechtlichem Gebiet, wobei die Hilfe von Kuba entsandter Ärzte und Lehrer ebenso unverzichtbar war wie die Solidarität, die Caracas – beispielsweise durch Erdöllieferungen

zu günstigen Konditionen – dem Land von Fidel und Raúl Castro, mit denen Chávez auf das engste befreundet war, erwiesen.Andererseits vermochte die Bolivaria-nische Revolution – wie 1974/75 Por-

tugals Aprilrevolution – die Frage der politischen Macht bisher nicht zugun-sten der arbeitenden Klassen zu entschei-den, auch wenn sich parallele Strukturen herauszubilden begannen. Noch immer verfügt die vom Imperialismus instru-mentalisierte venezolanische Groß-bourgeoisie über die einflußreichsten Sender und Zeitungen des Landes, das Gros industrieller Produktionsmittel und wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft.In dieser Hinsicht konnte nach dem kla-ren Sieg von Hugo Chávez über Henrique Capriles – den Kandidaten der Oligarchie und des Imperialismus – bei den Präsi-dentschaftswahlen vom 7. Oktober 2012 am 16. Dezember, als Gouverneurs- und Regionalwahlen stattfanden, erfolgreich nachgelegt werden. Erstmals gingen 20 von 23 Gouverneursposten an die von PSUV, PCV und anderen Volkskräften unterstützten Bewerber des Chávez-Lagers. Nur drei Gouverneursposten fie-len an die Rechte. Obwohl Capriles mit deutlich verringerter Stimmenzahl in seinem Bundesstaat Miranda, östlich von Caracas, als Gouverneur wiedergewählt wurde, errang sein Klüngel im Legisla-tivrat – dem regionalen Parlament – nur 8 von 15 Mandaten. Fünf maßgebliche Bundesstaaten, die zuvor an die rechte Opposition gefallen waren, wurden von den Chávistas zurückerobert. So konnte Hugo Chávez vor Beginn seiner Behand-lung in Havanna bei der Verabschiedung von seinem Volk die Feststellung treffen:

„Sie sollen sich nicht irren – wir besit-zen ein Vaterland.“Dennoch wäre es voreilig, ginge man davon aus, daß die Würfel in Venezuela bereits endgültig gefallen seien. Noch ist die vom Imperialismus gestützte

innere Reaktion stark genug, der Bolivarianischen Revo-lution unablässig Sand ins Getriebe zu streuen. Bei den durch die Chávez-Seite gewon-nenen Wahlen für die Regio-nalparlamente waren 46 % der zum Votum Berechtig-ten nicht an die Urnen getre-ten. 4 849 143 Stimmen (55 %) gingen an die als Kraft der Revolution auftretende Linke, nicht weniger als 3 831 711 Stim-men (43%) fielen an die Reak-tion. So ist damit zu rechnen, daß diese nach dem Tod des Revolutionsführers noch mehr als bisher alle Register der politischen, ideologischen und ökonomischen Aggression zie-hen wird. Andererseits könnte auch ein mit dem Schmerz der Massen um das Ableben ihres Vorbilds verbundener „Trau-

erbonus“ die Linke bei der Wahl eines neuen Staatsoberhauptes begünstigen. Die revolutionären Kräfte sollten einen übersteigerten Triumphalismus able-gen, die Neigung zur Bürokratisierung zurückdrängen und eine höhere Effekti-vität beim Regieren anstreben, zitierte Kubas „Granma“ aus einer Kolumne des erfahrenen Politikers José Vicente Ran-gel in der Zeitung „El Espejo“. Nicolás Maduro, auf dem jetzt die Last der Verantwortung für die Weiterfüh-rung des Bolivarianischen Prozesses ruht, geißelte seinerseits „den schon an Wahnsinn grenzenden Hochmut“ der Gegner eines freien und unabhängigen Venezuela. „Ich glaube, sie haben gar nicht gemerkt, daß 20 Gouverneursäm-ter mehr sind als drei“, sagte er. Das Volk habe den sogenannten Tisch der Demo-kratischen Einheit – den Pakt der Gestri-gen – aufgelöst.

RF, gestützt auf „Granma Internacional“, Havanna

In besseren Tagen: Nicolás Maduro und Hugo Chávez als Führungsteam der Bolivarianischen Republik