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Leben mit Rissen Ingenieurbauteile werden nach den bekann- ten Regeln der Ingenieurskunst bemessen: Die Bauteile werden u.a. so ausgelegt, dass sie innerhalb einer vorgegebenen, garantier- ten Mindestnutzungsdauer nicht versagen. Die wirkliche Nutzungsdauer kann allerdings leicht um einen Faktor 2 und mehr höher lie- gen, doch steigt dabei auch zunehmend die Wahrscheinlichkeit eines kritischen Bauteil- versagens. Um einem solchen Versagen vor- zubeugen, gibt es nur zwei Wege: 1. Unbesehener Austausch des Bauteils nach Erreichen der Mindestnutzungsdau- er, unbeachtet des noch vorhandenen Le- bensdauerpotenzials und damit ‚Ver- schenken’ desselben; 2. Überwachen des Bauteils nach Über- schreiten der Mindestnutzungsdauer durch Feststellung des Schädigungszustan- des und Definition eines Zeitintervalls, in dem mit Sicherheit kein kritisches Versa- gen zu erwarten ist und nach dem dann erneut der Schädigungszustand des Bau- teils zu prüfen und zu beurteilen ist. Letzteres erfolgt mit Methoden der zerstö- rungsfreien Prüfung (auch als zfP abgekürzt), wie sie klassisch mit Ultraschall, Wirbelstrom, Thermografie, Röntgen oder anderen Ver- fahren Anwendung findet. Solche Prüfungen können allerdings mit erheblichen Aufwen- dungen und damit Kosten verbunden sein. Aus diesem Grund muss das entsprechende Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmen, d.h. bei teuren Bauteilen lohnt sich die zfP im Betrieb evtl. eher als bei billigen, leicht austauschba- ren Bauteilen. Die diesbezüglich detaillierte Entscheidung ist fallweise zu treffen. ZfP ist nicht allein ein Instrument zum Erhalt der Bauteilintegrität in der zweiten Lebens- hälfte eines Bauteils oder Bauwerks. Viel- mehr ist zfP auch ein Instrument zur Garan- tie der Qualität von Ingenieurprodukten jegli- cher Art und damit ein vorgeschriebenes In- strument der Qualitätssicherung. Die Präzisi- on mit der zfP-Methoden arbeiten ist der Maßstab für jegliche Fehlertoleranz in unse- ren Ingenieurprodukten und damit auch die Basis für jegliche Bauteilbemessung. ZfP geht somit auch einher mit den Disziplinen der Strukturbemessung wie Statik und Dynamik oder mit der Festigkeitslehre allgemein, einschließlich der Spezialdisziplinen wie z.B. Betriebsfestigkeit und Bruchmechanik. Dank all dieser Disziplinen ist es uns seit mehr als 50 Jahren möglich,Bauteile so auszulegen, dass auch ein Riss im Betrieb akzeptiert wer- den kann. Es muss dabei aber sichergestellt sein, dass der Riss kontrolliert wächst, d.h. ein Riss minimaler Länge mit zfP-Methoden gefunden, und das Wachsen dieses Risses bis zu einer kritischen Größe überwacht wer- den kann, wie es schematisch in Abbildung 1 dargestellt ist. Je kleiner der mit zfP-Metho- den sicher auffindbare Riss und je größer der bemessungsseitig zulässige Maximalriss ist, umso größer der zulässige Rissfortschrittsbe- reich innerhalb dessen eine Bauteilstruktur inspiziert werden muss. Diese Bemessungs- weise, die in der Fachsprache auch mit scha- denstolerantem Bauen (englisch Damage Tolerant Design) umschrieben wird, macht sich die Zivilluftfahrt nun schon seit mehr als einem halben Jahrhundert zunutze und es erscheint dem unbedarften Fluggast mehr als spektakulär, dass er mit Flugzeugen fliegt, die Risse teilweise beträchtlicher Di- mension aushalten können. Der Vorteil für die Zivilluftfahrt - und zwi- schenzeitlich auch für andere Bereiche wie Militärluftfahrt, Schiff- oder Behälterbau – liegt dabei weniger in der Verlängerung von Inspektionsintervallen als vielmehr in der Möglichkeit zum Leichtbau selbst. Trägt man nämlich das Beanspruchungsverhalten eines Bauteils als Beanspruchung über der Lebens- dauer (z.B. Zeit, Schwingspiele) auf, wie es schematisch in Abbildung 2 dargestellt ist, so kann man unter Verzicht auf die Lebensdau- erverlängerung die zulässigen Beanspruchun- gen (z.B. Spannungen) entsprechend er- höhen, was mit weniger Material bei gleicher Belastbarkeit und damit leichterem Bauen einhergeht. Die Anfänge des schadenstoleranten Bau- ens waren alles andere als reibungslos. In den frühen 50er Jahren des letzten Jahrhun- derts stürzten innerhalb von Monaten gleich mehrere Flugzeuge des Typs Comet ab. Der Grund war, vielleicht durch die technologi- schen Entwicklungen des vorangegangenen Weltkrieges getrieben, eine Implementie- rung von Technologieinnovationen in einer Vielzahl, wie man sie sich heute selbst bei Flugzeugen wie Airbus A380 oder Boeing 787 kaum vorstellen kann. Entsprechend schnell waren dann auch die Reaktionen auf die verschiedenen Comet-Unfälle. So wurde der heute für jeden Flugzeugtyp obligatori- sche Großzellenversuch eingeführt wie auch Lastüberwachungssysteme zur besseren Er- magazin forschung 1/2009 7 Leben mit Rissen und wie man zerstörungsfrei helfen kann Christian Boller Zerstörungsfreie Materialprüfung und Qualitätssicherung Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (IZFP) Alles auf dieser Welt ist der Alterung unterworfen und Zeit ist die dominierende Einfluss- und Messgröße dieses Prozesses. Was alt aber noch unverbraucht ist,ruft Erstaunen her- vor, was neu und schon verschlissen ist,eher Entsetzen. Was bei Lebewesen wie auch bei materiellen Gegenständen versucht wird, ist, Leben und Gebrauchsfähigkeit in jeder Weise vorbeugend zu konservieren. Aus der Medizin sind die verschiedenen Verfahren der Vor- beugung bekannt. An der ‚Bemessung’ des Menschen oder der Lebewesen allgemein hat der Mensch einen eher geringeren Anteil. Anders ist dies bei Bauteilen und Strukturen, die aus ‚toter’ Materie hergestellt werden, wie wir es aus den vielfältigsten Anwendungen der Ingenieurtechnik kennen und die Bemessung die Grundlage aller Aktivität ist. Hiervon soll nachstehend die Rede sein.

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Leben mit Rissen

Ingenieurbauteile werden nach den bekann-ten Regeln der Ingenieurskunst bemessen:Die Bauteile werden u.a. so ausgelegt, dasssie innerhalb einer vorgegebenen, garantier-ten Mindestnutzungsdauer nicht versagen.Die wirkliche Nutzungsdauer kann allerdingsleicht um einen Faktor 2 und mehr höher lie-gen, doch steigt dabei auch zunehmend dieWahrscheinlichkeit eines kritischen Bauteil-versagens. Um einem solchen Versagen vor-zubeugen, gibt es nur zwei Wege:

1. Unbesehener Austausch des Bauteilsnach Erreichen der Mindestnutzungsdau-er, unbeachtet des noch vorhandenen Le -bensdauerpotenzials und damit ‚Ver -schen ken’ desselben;2. Überwachen des Bauteils nach Über-schreiten der Mindestnutzungsdauerdurch Feststellung des Schädigungszustan-des und Definition eines Zeitintervalls, indem mit Sicherheit kein kritisches Versa-gen zu erwarten ist und nach dem danner neut der Schädigungszustand des Bau-teils zu prüfen und zu beurteilen ist.

Letzteres erfolgt mit Methoden der zerstö -rungsfreien Prüfung (auch als zfP abgekürzt),wie sie klassisch mit Ultraschall, Wirbelstrom,Thermografie, Röntgen oder anderen Ver-fahren Anwendung findet. Solche Prüfungenkönnen allerdings mit erheblichen Aufwen-dungen und damit Kosten verbunden sein.Aus diesem Grund muss das entsprechendeKosten-Nutzen-Verhältnis stimmen, d.h. beiteuren Bauteilen lohnt sich die zfP im Betriebevtl. eher als bei billigen, leicht austauschba-ren Bauteilen. Die diesbezüglich detaillierteEntscheidung ist fallweise zu treffen.

ZfP ist nicht allein ein Instrument zum Erhaltder Bauteilintegrität in der zweiten Lebens-hälfte eines Bauteils oder Bauwerks. Viel-mehr ist zfP auch ein Instrument zur Garan-tie der Qualität von Ingenieurprodukten jegli-cher Art und damit ein vorgeschriebenes In -

strument der Qualitätssicherung. Die Präzisi-on mit der zfP-Methoden arbeiten ist derMaßstab für jegliche Fehlertoleranz in unse-ren Ingenieurprodukten und damit auch dieBasis für jegliche Bauteilbemessung. ZfP gehtsomit auch einher mit den Disziplinen derStrukturbemessung wie Statik und Dynamikoder mit der Festigkeitslehre allgemein,einschließlich der Spezialdisziplinen wie z.B.Betriebsfestigkeit und Bruchmechanik. Dankall dieser Disziplinen ist es uns seit mehr als50 Jahren möglich, Bauteile so auszulegen,dass auch ein Riss im Betrieb akzeptiert wer-den kann. Es muss dabei aber sichergestelltsein, dass der Riss kontrolliert wächst, d.h.ein Riss minimaler Länge mit zfP-Methodengefunden, und das Wachsen dieses Rissesbis zu einer kritischen Größe überwacht wer-den kann, wie es schematisch in Abbildung 1dargestellt ist. Je kleiner der mit zfP-Metho-den sicher auffindbare Riss und je größer derbemessungsseitig zulässige Maximalriss ist,umso größer der zulässige Rissfortschrittsbe-reich innerhalb dessen eine Bauteilstrukturinspiziert werden muss. Diese Bemessungs-weise, die in der Fachsprache auch mit scha-denstolerantem Bauen (englisch DamageTolerant Design) umschrieben wird, machtsich die Zivilluftfahrt nun schon seit mehr alseinem halben Jahrhundert zunutze und eserscheint dem unbedarften Fluggast mehrals spektakulär, dass er mit Flugzeugenfliegt, die Risse teilweise beträchtlicher Di -mension aushalten können.

Der Vorteil für die Zivilluftfahrt - und zwi-schenzeitlich auch für andere Bereiche wieMilitärluftfahrt, Schiff- oder Behälterbau –liegt dabei weniger in der Verlängerung vonInspektionsintervallen als vielmehr in derMöglichkeit zum Leichtbau selbst. Trägt mannämlich das Beanspruchungsverhalten einesBauteils als Beanspruchung über der Lebens-dauer (z.B. Zeit, Schwingspiele) auf, wie esschematisch in Abbildung 2 dargestellt ist, sokann man unter Verzicht auf die Lebensdau-erverlängerung die zulässigen Beanspruchun-gen (z.B. Spannungen) entsprechend er -höhen, was mit weniger Material bei gleicherBelastbarkeit und damit leichterem Baueneinhergeht.

Die Anfänge des schadenstoleranten Bau-ens waren alles andere als reibungslos. Inden frühen 50er Jahren des letzten Jahrhun-derts stürzten innerhalb von Monaten gleichmehrere Flugzeuge des Typs Comet ab. DerGrund war, vielleicht durch die technologi-schen Entwicklungen des vorangegangenenWeltkrieges getrieben, eine Implementie-rung von Technologieinnovationen in einerVielzahl, wie man sie sich heute selbst beiFlugzeugen wie Airbus A380 oder Boeing787 kaum vorstellen kann. Entsprechendschnell waren dann auch die Reaktionen aufdie verschiedenen Comet-Unfälle. So wurdeder heute für jeden Flugzeugtyp obligatori-sche Großzellenversuch eingeführt wie auchLastüberwachungssysteme zur besseren Er -

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Leben mit Rissen und wie man zerstörungsfrei helfen kann

Christian BollerZerstörungsfreie Materialprüfung und QualitätssicherungFraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (IZFP)

Alles auf dieser Welt ist der Alterung unterworfen und Zeit ist die dominierende Einfluss-und Messgröße dieses Prozesses. Was alt aber noch unverbraucht ist, ruft Erstaunen her-vor, was neu und schon verschlissen ist, eher Entsetzen. Was bei Lebewesen wie auch beimateriellen Gegenständen versucht wird, ist, Leben und Gebrauchsfähigkeit in jeder Weisevorbeugend zu konservieren. Aus der Medizin sind die verschiedenen Verfahren der Vor-beugung bekannt. An der ‚Bemessung’ des Menschen oder der Lebewesen allgemein hatder Mensch einen eher geringeren Anteil. Anders ist dies bei Bauteilen und Strukturen, dieaus ‚toter’ Materie hergestellt werden, wie wir es aus den vielfältigsten Anwendungen derIngenieurtechnik kennen und die Bemessung die Grundlage aller Aktivität ist. Hiervon sollnachstehend die Rede sein.

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fassung der Betriebslasten entwickelt. DesWeiteren wurden die Verfahren der schaden-stoleranten Auslegung und der zugehörigenInspektion zunehmend verbessert. Dies hatu.a. inzwischen zu den uns heute in der Zivil-luftfahrt bekannten Sicherheitsstandardsgeführt, bei denen es zu weniger als einemTotalschaden pro Million an Starts und Lan-dungen kommt.

Die Hilfe der zerstörungsfreien Prüfung

Dass zerstörungsfreie Prüfung zur Verbesse-rung der Bauteilqualität, zur Sicherheit imBetrieb und Verlängerung der Nutzungsdauervon Bauteilen beiträgt, steht außer Frage.Über Jahrzehnte haben Physiker, Mathemati-ker, Informatiker und Ingenieure an solchenVerfahren gearbeitet, diese entsprechendentwickelt und zur Serienreife gebracht. InDeutschland ging dieser Impuls stark vonSaarbrücken aus, wo 1972 das Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren(IZFP) von Prof. Paul Höller gegründet wurde.1992 kamen dann die zfP-Aktivitäten derfrüheren DDR hinzu, die zum heutigen Insti-tutsteil Dresden des IZFP ausgebaut wurden.Die beim IZFP entwickelten zfP-Methodenumfassen z.B. akustische, elektromagneti-sche, röntgenografische und thermografi-sche Verfahren, die als Verfahren zur Qua-litätskontrolle entwickelt und in Form vonPrüfsystemen in der Industrie zum Einsatzkamen und kommen. Die nachfolgendenAbbildungen zeigen Geräte, mit denen z.B.die Randhärtetiefe von gehärteten Bauteilen(Abbildung 3), das Eigenspannungsprofil imRadkranz von Eisenbahnrädern (Abbildung 4)oder das Innenleben von Werkstoffprobenhinsichtlich Fehlstellen im Mikrostrukturbe-reich (Abbildung 5) ermittelt werden können.

All diese Geräte, wie auch weitere, könnenrelativ einfach im Handbetrieb zur Qualitäts-kontrolle flexibel eingesetzt werden. Sie wur-

8 Universität des Saarlandes

Abb. 1: Prinzip der schadenstoleranten Auslegung Abb. 2: Nutzen schadenstoleranter Auslegung

Abb. 3: Ermittlung der Randhärtetiefe an gehärteten Bauteilen mit Hilfe elektromagnetscher Verfah-ren auf der Basis des Prüfgerätes 3MA.

Abb. 4: Ermittlung des Spannungszu stan des im Radkranz von Eisenbahnrädern mit Hil fe von akusti-schen Verfahren auf der Basis des Prüfgeräts UER.

Abb. 5: Röntgenografische dreidimensionale Analyse und Darstellung der Poren in einem Gussbauteilmit Hilfe des Computertomografen CT Mikro.

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den vielfach in Zusammenarbeit mit Institu-ten der Universität des Saarlandes ent-wickelt, hier insbesondere mit Gruppen ausden Bereichen der angewandten Mathema-tik, Informatik, der künstlichen Intelligenzund den Werkstoffwissenschaften.

Schwieriger wird es mit der zfP wenn großeBauteile im Betrieb während der Nutzungs-dauer zu prüfen sind. Ein Beispiel hierfür sindz.B. Pipelines, die über hunderte und tausen-de von Kilometern der jeweiligen Gelände-form angepasst verlaufen, und deren Versa-gen zu katastrophalen Schäden führen kann.Aus diesem Grund werden Pipelines regel-mäßig inspiziert, was u.a. mit sog. in Abbil-dung 6 dargestellten Molchen erfolgt, wie siebeim IZFP in Zusammenarbeit mit der FirmaNDT Systems & Services realisiert wurdenund derzeit auch noch für weiterführendeAnwendungen realisiert werden. Bei einerGeschwindigkeit von bis zu 15 km/h werdenPipelines von Durchmessern bis zu 140 cmauf Oberflächenschäden von ca. 1 mm Tiefeund 3 mm Länge in einem Zug über Pipeli-

nelängen von bis zu 800 km überprüft. Dazumuss der Molch über die gesamte Streckeenergieautark arbeiten und gleichzeitigUnmengen an Messdaten speichern, die erstnach Ausschleusen des Molches ausgelesenwerden können. Neben der sicheren Erfas-sung der Messdaten muss auch ein sichererBetrieb des Molches gewährleistet sein. DasSteckenbleiben eines Prüfmolches in einerPipeline ist der Alptraum eines jeden Pipeli-neprüfers.

Ein anderes interessantes Feld ist die Prüfungvon Eisenbahnrädern. Dabei muss unter-schieden werden, ob es sich um die Prüfungvon ausgebauten Rädern oder Rädern undRadsätzen im Betrieb handelt. Abbildung 7zeigt zwei Beispiele, wie Räder ausgebautund im Betrieb in einer Wartungshalle auto-matisiert geprüft werden können. Eine wei-terführende Entwicklung zeigt Abbildung 8,bei der die Laufflächen von Eisenbahnrädernim langsamen Überfahrbetrieb bei Geschwin-digkeiten von bis zu 15 km/h geprüft werdenkönnen. Dabei wird mit einem elektromagne-

tischen Wandler an einer ersten Stelle eineakustische Oberflächenwelle in die Lauf-fläche des Rades eingeschallt und an derzweiten Stelle das Signal wieder abgegriffen.

Dies sind nur einige Beispiele einer Vielzahlvon Prüfmöglichkeiten und Geräten, wie sieam IZFP realisiert wurden oder werden. DieErforschung von zfP-Technologien und dasEntwickeln und Realisieren derselben in Formvon Geräten genügt allerdings nicht. Die Tech-nologie muss auch zu den Menschengebracht werden, die sie anwenden und nut-zen sollen. Dazu hat das IZFP generell einakkreditiertes Dienstleistungszentrum unddarüber hinaus speziell ein Zentrum für dieAutomobilindustrie und hier besonders fürdie Automobilzulieferindustrie eingerichtet,das unter dem Namen Automotive QualitySaar (AQS) firmiert. Hier können Industrieund öffentliche Institutionen mit allen Fragenund Problemstellungen der zfP ankommenund Antworten hinsichtlich der bestmögli-chen Lösungen ihrer Fragestellung bzw. ihresProblems erhalten. Sind diese Antworten ineinem ersten Ansatz gegeben, kann gemein-sam die Weiterentwicklung zu einem Verfah-ren und Prüfsystem angegangen werden.Dazu müssen Menschen aus- und weiterge-bildet werden. Auch dieser Aufgabe widmensich diese Zentren, und zwar nicht nur inForm von klassischen Schulungen für dieIndustrie, sondern auf breitester Front mitBezug auf Ausbildung von Ingenieuren, Tech-nikern und Meistern zu zertifizierten zfP-Prü-fern oder zur Erreichung von akademischenGraden auf Bachelor-, Master- und Promoti-onsebene in Zusammenarbeit mit den ver-schiedenen akademischen Institutionen, zudenen das IZFP enge Beziehungen unterhält(Universität des Saarlandes, HTW Saarland,TU Dresden, Dresden International Universi-ty, The University of Sheffield/GB und Uni-versity of Dayton/USA).

Wohin die Entwicklung weiter geht

Mit den zuvor beschriebenen Entwicklungenist die Kunst der zfP noch bei weitem nichtam Ende. Da Prüfen im Sinne gesteigerterQualitätsanforderungen, erweiterter Nut-zung bestehender Infrastruktur und die Prü-fung neuer Werkstoffe und Bauteile einezunehmende Nachfrage erfährt, die Ressour-ce Mensch für solche Aufgaben jedochbeschränkt bleiben wird, besteht eine ent-scheidende Herausforderung in der Automa-tisierung von Prüfprozessen und in der bes-seren Nutzung der Ressource Mensch alsPrüfer. In vielen der zu prüfenden Bereicheist die Antwort der Prüfer in mehr als 99%

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Abb. 6: Molch mit Batterie-, Signalverarbeitungsmodul und Sensorträger zur Prüfung von Ölpipelines

Abb. 7: Automatisierte Radprüfanlagen am ausgebauten Rad-satz (links) und als Unterflurprüfanlage (rechts).

Abb. 8: Automatisierte Anlage AUROPA zur Fehlerprüfung an Laufflächen von Eisenbahnrädern im Über-rollbetrieb.

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der Fälle immer dieselbe: ‚Keinen Fehlergefunden’. Liegt es da nicht nahe nachMethoden der Automatisierung zu suchen,besonders dann, wenn die zu prüfendenVolumina überproportional steigen?

Dieser Frage hat sich das IZFP ebenfallsgestellt. In Zusammenarbeit mit der Bundes-anstalt für Materialprüfung (BAM) in Berlinunterhält das IZFP ein gemeinsames Labor,in dem u.a. Robotersysteme zur Überprüfungvon Betonkonstruktionen wie Gebäude-decken und Brücken hinsichtlich des Beweh-rungszustandes konzipiert und realisiert wer-den. Abbildung 9 zeigt diesbezügliche Robo-tersysteme, wie sie sich derzeit im Rahmenvon Forschungsvorhaben in der Erprobungbefinden. Ein System kann komplette Gebäu-dedecken abfahren und mit einem Radarsen-sor den Bewehrungszustand von Betonkon-struktionen erfassen. Das andere Systemarbeitet ähnlich auf der Basis von Ultraschall,wobei es sich mit Saugnäpfen an Bauwerkenfestsaugen und diese dann in einem Scan-verfahren abprüfen kann. Beide Systemekönnen mit weiteren Sensoren zur Prüfungvon Bauwerken ausgestattet werden. Sowird derzeit auch an scannenden Prüfsyste-men gearbeitet, mit denen der Zustand desUnterbaus von Straßen und Gleisanlagen,z.B. als Folge von Frostschäden, zerstörungs-frei ermittelt werden kann.

Der Welt der Robotik und damit auch derMechatronik sind beim Prüfen fast keineGrenzen gesetzt. Denkt man zum Beispiel anSchäden an hohen, schwer zugänglichenBauwerken, wie z.B. Türmen, Schornsteinen,Wolkenkratzern, Masten, oder auch an Fel-sen, Erdrutschen, Erdbeben oder an konta-minierte Bereiche als Folge von Umweltschä-den, so sind fliegende Inspektionsrobotereine interessante Alternative, um Prüferngefährliche Prüfaufgaben zu ersparen. Der-zeit findet im Bereich der Verteidigungstech-nik eine stürmische Entwicklung auf demGebiet der unbemannten Mikroflugzeugestatt, die auch für Inspektionszweckegenutzt werden können. Abbildung 10 zeigtdas Konzept eines modular aufgebautenMikroflugzeuges, das derzeit, ergänzt umVarianten auf der Basis Drehflügler (Hub-schrauber), am Lehrstuhl für zerstörungsfreieMaterialprüfung und Qualitätssicherung derUniversität des Saarlandes weiterentwickeltwird. Die Mikroflugzeuge, auch MAV (fürMicro Aerial Vehicle) abgekürzt, haben eineSpannweite von weniger als 1 Meter, eineAbflugmasse < 200 Gramm und können biszu ca. 50 Minuten in der Luft bleiben. Derzeitwerden die MAV mit einem Flugführungssy-

10 Universität des Saarlandes

Abb. 9: Inspektionsroboter zur Prüfung von Bauwerken: fahrend zur Prüfung von Gebäudedecken (links), scannend zur Prüfung von Wänden (rechts).

Abb. 10: Modulares System für Mikroflugzeuge

Abb. 11: Piezoelektrische Sensorik zur Überwachung der Rotorblätter von Windenergieanlagen

Abb. 12: Telemetrisches System zur akustischen Überwachung von Eisenbahnrädern im Betrieb

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stem ausgestattet, das GPS-gesteuert, vor-programmiertes und damit autonomes Flie-gen ermöglicht. In einem weiteren Schritt sol-len die MAV mit Miniaturkameras ausgestat-tet werden, mit denen dann in Echtzeit Bilderan eine Bodenstation übertragen werdenkönnen. Damit können mehrere MAV auch alsGruppe ein Bauwerk ‚umschwärmen’, Bilderdes Bauwerkes aus verschiedener Perspekti-ve aufnehmen, die dann am Boden zu einemmöglichst plastischen Bild des Bauwerkszu-standes zusammengesetzt werden.

Ein weiterer Bereich, in dem zfP-Entwicklun-gen nutzbringend wirken können, sind Sicher-heitstechnik und Personenschutz. Derzeitwird unter Anwendung von Techniken aus derMikrowellenphysik und unter Einbindung vonbildgebenden Auswertealgorithmen an derErstellung eines in Echtzeit arbeitenden,berührungslosen Personenscanners gearbei-tet, bei dem gefährliche Gegenstände auf-grund des Werkstoffes und der Geometrie,unter Ausblendung jeglicher anderer irrele-vanter Gegenstände, detektiert werden kön-nen.

Darüber hinaus gibt es große Herausforde-rungen im Bereich der Elektronik und Mikro-elektronik, denen sich schwerpunktmäßigder Institutsteil Dresden des IZFP widmet.Hier muss mit konventionellen und weiter-entwickelten Methoden der zfP bis tief inden Bereich der Mikrostruktur analysiert wer-den, um die Qualität in den mikrostrukturel-len Dimensionen neuartiger Elektronikbau-teile zu garantieren.

Schließlich wird im Institutsteil Dresden undauch am Lehrstuhl für zerstörungsfreie Mate-rialprüfung und Qualitätssicherung der Uni-versität des Saarlandes schwerpunktmäßigauf dem Gebiet der Zustandsüberwachung,im Englischen auch vielfach mit StructuralHealth Monitoring (SHM) umschrieben,geforscht. Mit der zunehmenden Miniaturi-sierung und dem Kostenverfall von Sensor-technologie wird es in zunehmendem Maßemöglich, diese Sensorik durch Integrationund Adaption zum integralen Bestandteileines Bauteils, Werkstoffverbundes und imExtremfall auch des Werkstoffes selbst zu

machen. Schnelle und leistungsfähige Signal-verarbeitung sorgt zusätzlich dafür, dassgemessene Signale quasi in Echtzeit verarbei-tet werden. So sind z.B. Rotorblätter von Win-denergieanlagen mit piezoelektrischenWandlern bestückt worden, um die durchSchädigung des Rotorblattes aufgetretenenÄnderungen des Schwingungsverhaltens zuerfassen, wie dies beispielhaft in Abbildung11 dargestellt ist.

Im Bereich der Luftfahrt ist SHM derzeit einvielfach diskutiertes Technologiethema. Inver schiedenen Fallstudien ist gezeigt wor-den, dass mit SHM Schäden von der gleichenGrößenordnung detektiert werden können,wie sie aus der konventionellen zfP bekanntsind. Nun gilt es, die für ein Flugzeug schädi-gungsrelevanten Komponenten zu identifi-zieren, die dem Flugzeugbetreiber mit demEinsatz von SHM Kostenvorteile im Betriebverschafft. Dazu läuft derzeit eine Studie imBereich der Flugzeugwartung, bei der derkomplette Wartungsprozess eines Flugzeugsabgebildet, simuliert und optimiert wird.Identifiziert werden dabei die sich auf demkritischen Pfad des Wartungsprozesses be -findlichen Strukturkomponenten, für diedann eine SHM-Lösung entworfen und ansch-ließend der Nutzen über eine erneute Simula-tion des Wartungsprozesses bestimmt wird.Mit der Einführung von SHM erwartet man imBereich der Luftfahrt eine Verbesserung desWartungsprozesses durch Automation undeine damit einhergehende Erhöhung der Ein-satzbereitschaft von Flugzeugen unter Wah-rung gleichbleibender Sicherheit und Zuver-lässigkeit. Längerfristig kann SHM auch zumLeichtbau beitragen, weil durch die Erweite-rung des Prinzips des schadenstolerantenBauens weitere Leichtbaupotenziale ge -weckt werden.

Das Feld des SHM geht weit über den Bereichder Luftfahrt hinaus. Die zuvor geschildertenLösungen aus dem Bereich der Eisenbahn-technik werden derzeit als stationäre im Zugbefindliche Systeme entwickelt, wie dies inAbbuldung 12 am Beispiel eines Hohlwellen-prüfsystems gezeigt ist. Dort sollen die imFahrbetrieb gemessenen Signale direkt tele-metrisch an eine Kontrollstation übertragenwerden. Ähnliche Überlegungen gibt es fürden Schwermaschinenbau, die Energietech-nik oder für Bauwerke ganz allgemein, umnur einige weitere Beispiele zu nennen.

Zerstörungsfreie Prüfung bleibt auch weiter-hin für die Zukunft ein besonders spannen-des Thema. In der Kombination mit neuenfunktionalen Werkstoffen muss es z.B. durchBeschichtungstechnik möglich werden, Werk-stoffe und damit Bauteile zu entwerfen, dieselbst ihren Schädigungszustand erkennenkön nen. Fehlerredundante Elektroniksystemekombiniert mit drahtloser Kommunikations-technik werden helfen, die entsprechendeDatenkommunikation zu ermöglichen, sodass dann von zentraler Stelle her das Le -bensdauermanagement unserer Ingenieurs-kunst mit Hilfe von Superrechnern durchge-führt wird. Dies ist sicher derzeit noch eineVision, die es von Ingenieuren, Physikern,Informatikern und Mathematikern unsererZeit, seien es Männer oder Frauen, zu erfor-schen gilt. Das Tor dafür ist beim IZFP offen,sei es als Schüler, Student, Absolvent odererfahrener Berufstätiger. Es kann sein, dasswir für diese Aufgaben in Zukunft weit mehrMenschen brauchen, als wir ursprünglich ge -dacht haben. Beim IZFP kann man sich dies-bezüglich schon mal umschauen und die vie-len Disziplinen an der Universität des Saar-landes können dort wertschöpfend beitra-gen.

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Christian Boller ist seit August 2008 Universitätsprofessor an derUniversität des Saarlandes im FB 8.4 Materialwissenschaft undWerkstofftechnik, Inhaber des Lehrstuhls für zerstörungsfreieMaterialprüfung und Qualitätssicherung sowie Leiter des Fraunho-fer-Instituts für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (IZFP) in Saar-brücken und Dresden. Er ist außerdem Visiting Professor an der Uni-versity of Sheffield/GB, wo er zuvor seit 2003 einen Lehrstuhl für‚Smart Structural Design’ im Fachbereich Maschinenbau innehatte.