Broschüre "Die Geschichte des Faschismus in Deutschland und Italien"

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Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen.

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EINLEITUNGDIE GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUM VERSTÄNDNIS DER GEGENWART

x Geschichte wie wir sie lernen...x Die Funktion von Wissenschaftx Wissenschaft und Herrschaftx Was ist Geschichtswissenschaft?x Wie aus Geschichte lernen?

FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

x Soziale Funktion im Widerspruch zur sozialen Basisx Ideologie: Führerprinzip, Nationalismus und Rassismusx Pseudorevolutionäre Rhetorik und faschistische Massenbasisx Die Absage an die Aufklärung - der faschistische Wertekatalogx Faschistische Machtergreifung und Machterhalt

GESCHICHTE DES FASCHISMUS IN DEUTSCHLAND

x Der Erste Weltkrieg und seine Vorgeschichtex Die Kriegsfolgen in Deutschlandx Die Weimarer Republikx Die Präsidialkabinettex Die NSDAPx Der Weg zur Macht und Machtübernahmex Das Versagen der Linken

DER ITALIENISCHE FASCHISMUS

x Von der italienischen Einigung bis zum Ersten Weltkriegx Der Erste Weltkriegx Die Kriegsfolgen in Italienx Das Zaudern der Linkenx Der Weg zur Machtx Die Machtübernahmex Die "Faschisierung" des Staates

DER FASCHISMUS AN DER MACHT

x Machtsicherungx Herstellung des "Nationalen Klassenfriedens"x Beginn der aggressiven Außenpolitikx Der "Totale Staat"

WAS VOM TAGE ÜBRIG BLIEB... SECHS THESEN ZUM FASCHISMUSNACHWORTIMPRESSUMWEITERFÜHRENDE LITERATUR

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INHALT

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01| DIE ANFÄNGE IN ITALIEN UND DEUTSCHLAND

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EINLEITUNGDie Auseinandersetzung mit der eigenen

Geschichte, besonders den 30er und 40erJahren des vorigen Jahrhunderts, beschränk-te sich in Österreich bis Mitte der 1980er vor

allem auf die Rolle Österreichs als "erstesOpfer des Nationalsozialismus". Des NS-

Terrors zu gedenken, hieß damit in ersterLinie, sich nicht die eigenen, sondern deut-

sche Untaten in Erinnerung zu rufen.

Inzwischen besteht weitgehend ein gesellschaftlicherKonsens darüber, dass während der NS-Ära nicht nurungeheure Verbrechen stattfanden, sondern, dasszehntausende ÖsterreicherInnen maßgeblich an ihnenbeteiligt waren. Jetzt, da die beteiligten Generationenim Aussterben begriffen sind, entwickelt sich auch end-lich eine "Gedenkkultur", die von breiten Bevöl-kerungsschichten gutgeheißen oder zumindest nichtmehr offen bekämpft wird. Diese "Gedenkkultur" kon-zentriert sich - ebenso wie die Vermittlung des Themasan Schulen und Unis - vor allem auf den menschenver-achtenden Wahnsinn, in dem der Nationalsozialismusletztlich gipfelte. "Nie wieder Auschwitz" ist eineParole, die - spät genug - fast allen PolitikerInnen ab-seits der FPÖ relativ leicht über die Lippen kommt.Gehen wir ein bisschen in die Tiefe, ist es mit denGemeinsamkeiten allerdings bald vorbei.

Wie sah die Welt aus, die faschistische Bewegungenhervorbrachte? Worin ähnelt sie der Welt, in der wirheute leben, und wo unterscheidet sie sich von ihr? Wiegelangten Organisationen wie die NSDAP zur Macht?Waren die Horden Hitlers einzigartig, oder gab esauch in anderen Ländern ähnliche Bewegungen? Vonwelchen gesellschaftlichen Gruppen wurden dieBraunen unterstützt, und von welchen bekämpft? Werwurde von den Nazis unterdrückt - und wer profitiertevon ihrem Terrorregime? Und wie sollen wir aus derVergangenheit für die Gegenwart und die Zukunft ler-nen, ohne Antworten auf diese Fragen?

Die vorliegende Broschüre stellt in Verbindung mit denbeiden anderen von uns herausgegebenen Pu-blikationen "Faschismus in Österreich" und "Faschis-mustheorien" den Versuch dar, sich theoretisch mit denSystemen hinter dem Grauen auseinander zu setzen.Nicht die faschistischen Regime und die Verbrechen,die sie nach ihrer Machtübernahme begingen, stehenim Mittelpunkt, sondern die Frage, wie die faschisti-schen Bewegungen in Deutschland und Italien über-haupt erst an die Macht gelangen konnten. Die ange-führten Dokumente betreffen dabei vor allem dendeutschen Faschismus. Einerseits, weil er am bestenerforscht ist und bis heute keine umfassenden deutsch-sprachigen Übersetzungen von Dokumenten des italie-nischen Faschismus verfügbar sind. Andererseits aberauch, weil er für die meisten LeserInnen von größeremInteresse sein wird.

Abschließend noch eine Bemerkung des Verfassers:Die Broschüre ist in geschlechtergerechter Spracheabgefasst. Dadurch soll darauf hingewiesen werden,dass Geschichte von Männern und Frauen gemachtwird, was in den herkömmlichen (rein männlichen)Formulierungen untergeht. Frauen werden dort be-stenfalls "mitgedacht", es geht aber darum, ihrenAnteil sichtbar zu machen. Aufmerksamen Leser-Innen wird dennoch nicht entgehen, dass in derBroschüre nicht geschlechtsneutral formuliert wird.Das stellt keine Achtlosigkeit dar. Es wurde bewusstdavon abgesehen, Frauen "mitzumeinen", wennGeschichte dargestellt wird, in der so gut wie aus-schließlich Männer eine aktive Rolle spielten undFrauen zur Passivität gezwungen waren: zu denMerkmalen des Faschismus zählt eine scharf antifemi-nistische Haltung. Das und der Umstand, dass Fraueninnerhalb faschistischer Bewegungen und Systeme nieSchlüsselrollen besetzten, ändert zwar nichts an denSympathien, die zweifellos auch viele Frauen für denFaschismus empfanden. Aber nachdem sie nicht aktivins Geschehen eingreifen konnten, sondern praktischnur Statistinnen abgaben, bleiben sie sprachlich aus-geklammert, wenn von faschistischen Akteuren dieRede ist.

Florian WenningerWien, im Herbst 2003

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"Fragen eines lesenden Arbeiters"Bert Brecht

Wer baute das siebentorige Theben?In den Büchern stehen die Namen von Königen.Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?Und das mehrmals zerstörte Babylon -Wer baute es so viele Male auf? In welchen HäusernDes goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?Wohin gingen an dem Abend,Wo die Chinesische Mauer fertig warDie Maurer? Das große RomIst voll von Triumphbögen.Wer errichtete sie? Über wenTriumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene ByzanzNur Paläste für seine Bewohner?Selbst in dem sagenhaften AtlantisBrüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlangDie Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte IndienEr allein?Cäsar schlug die Gallier.Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?Philipp von Spanien weinte, als seine FlotteUntergegangen war. Weinte sonst niemand?Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg.WerSiegte außer ihm?Jede Seite ein Sieg.Wer kochte den Siegesschmaus?Alle zehn Jahre ein großer Mann.Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte.So viele Fragen.

GESCHICHTE, WIE WIR SIE LERNEN...

Die Frage, warum wir uns mit Geschichte allgemeinund jener des Faschismus im Besonderen befassensollten, wird sich jede/r im Lauf der eigenen Schulzeitgestellt haben. Und tatsächlich: Warum sollen wirBescheid wissen über Feldherren und ihre Schlachten,über das pompöse Leben am Hof der Kaiser undKönige, über die Dekrete der Päpste? Was macht esaus, wer Amerika "entdeckt" hat? Welchen Sinn hatdas Auswendiglernen der endlosen Abfolgen vonJahreszahlen und Herrschernamen?Wozu sollen wir wissen, dass Ludwig XIV. angeblichstolz darauf gewesen sein soll, in seinem Leben inNichts außer Parfum gebadet zu haben? Welchen Werthat für uns die Information über das Leben auf Burgenund die stolzen Taten der Ritter? Ist das alles wirklich"unsere" Geschichte? Weshalb haben wir das Gefühl,dass die Menschheitsgeschichte, die wir in der Schulelernen, so wenig mit uns zu tun hat? Wieso bleibt beiall dem, was uns da erzählt wird, die Geschichte von99,9 Prozent der Bevölkerung ausgeklammert? ImUnterschied zur Geschichte der Herrschenden erfahrenwir über das Schicksal der Beherrschten so gut wienichts - ein Zufall?

DIE GESCHICHTE ALSSCHLÜSSEL ZUM

VERSTÄNDNIS DERGEGENWART

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01| GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUR GEGENWART

nötigten. Alles, was darüber hinaus ging, konnte nunin Vorratslagern aufbewahrt werden. Es war aber abdiesem Zeitpunkt auch möglich, sich den Überschuss,den andere produzierten, anzueignen. Diejenigen, dieüber die Macht verfügten, sich fortan den - von ande-ren geschaffenen - Überschuss anzueignen, werden inder marxistischen Theorie als herrschende Klasse be-zeichnet. Ein zentrales Element ihrer Herrschaft warund ist seitdem der Versuch, die Wissenschaften mög-lichst weitgehend zu monopolisieren. Damit war dieMasse der Menschen auf das Wissen einiger wenigerangewiesen. Solange die herrschende Klasse dieWissenschaft kontrollierte, hatte sie maßgeblichenEinfluss auf den gesellschaftlichen Fortschritt.1 Wissen-schaft erhielt nun eine ideologische Funktion. Es gingnämlich nicht mehr nur darum, Naturgesetze zu beob-achten und daraus Erkenntnisse zu gewinnen. DieWissenschaft begann auch, die Welt zu interpretieren.Das heißt, sie begann, gesellschaftliche Phänomenemit dem gleichen "objektiven" Anspruch zu erklärenwie zuvor Vorgänge in der Natur. Es war naheliegend,dass diese Analysen überwiegend den Interessen derHerrschenden entgegenkamen:

Arm und Reich wurden zu "natürlichen Zu-ständen" erklärt.HerrscherInnen waren damit "natürlich" bzw.gottgewollt.Den beherrschten Massen wurde "wissenschaft-lich" erklärt, sie seien zur Unterordnung ver-pflichtet, dies wäre zu ihrem eigenen Besten.Folgerichtig waren alle Bestrebungen, die sichgegen die Herrschenden und die ungerechtenBesitzverhältnisse richteten, "unnatürlich" bzw."sündhaft".

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Fragen wir nach dem Sinn von Geschichtswissenschaft,bekommen wir meist eine verschwommene Antwort,die in der Erklärung mündet, wir sollten "aus derGeschichte lernen". Nur: Wie soll das gehen?

DIE FUNKTION VON WISSENSCHAFT

In anderen Bereichen der Wissenschaft lässt sich dieFrage einfach beantworten: Durch die jahrhundertelan-ge Beobachtung von Naturphänomenen war es demMenschen mit der Zeit möglich, Gesetzmäßigkeiten zuerkennen. Die Menschen stellten beispielsweise fest,dass Pflanzen abhängig von Jahreszeiten undWetterlagen besser oder schlechter gedeihen. Sie leite-ten ab, wann die Saat ausgebracht werden und dieErnte vonstatten gehen sollte - der Beginn vonAstronomie und Agronomie (Landwirtschaftslehre). DieErkenntnis, dass der Verzehr bestimmter Substanzenheilende Wirkung hat, bildete den Ursprung derMedizin - die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Aufder Basis des gewonnenen Wissens begannen dieMenschen, Naturphänomene bewusst zu nützen undschließlich zu steuern. Kurz gesagt: Wissenschaft bildetezu allen Zeiten die Grundlage des technischen, somitaber auch des gesellschaftlichen Fortschritts.

WISSENSCHAFT UND HERRSCHAFT

Mit dem Anfang der Wissenschaft in den altorientali-schen Hochkulturen vor ungefähr 5000 Jahren gingdie Entwicklung der Klassengesellschaft einher. Bis da-hin hatten die Menschen mehr oder weniger von derHand in den Mund gelebt: Sie waren als NomadInnenumher gezogen und hatten von dem gelebt, was siegerade jagen bzw. sammeln konnten. Die Anhäufungvon größeren Reichtümern war kaum bzw. gar nichtmöglich gewesen, weil alle nur besaßen, was sie tra-gen konnten. Das änderte sich zunächst mit dem Beginn der Vieh-zucht und in weiterer Folge mit den Anfängen desAckerbaus und der damit verbundenen Sesshaftwer-dung. Nun waren die Menschen erstmals in der Lage,mehr zu produzieren, als sie zum täglichen Leben be-

1 Diese Tatsache ist keineswegs auf die graue Vorzeit beschränkt,Beispiele aus der Gegenwart gäbe es zuhauf - so etwa den Streit umMedikamente, die zur Bekämpfung von AIDS entwickelt wurden. Durchdie Patentierung dieser Medikamente verhindern Pharma-Konzerneseit Jahren, dass Millionen Menschen diese, für sie lebensnotwendigenErkenntnisse, nutzen können. Die Pharmaindustrie kann durch ihrWissensmonopol die Preise diktieren, zu denen die Medikamente ab-gegeben werden. Wer nicht zahlen kann, ist zum Tod verurteilt.

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WAS IST GESCHICHTE?

Wir befinden uns in der dritten Etappe derAuseinandersetzung mit dem irrationalen Weltbild.Deren Kernfrage lautet: Ist die Menschheitsgeschichteein zusammenhängender Prozess, der bestimmtenGesetzen folgt, oder besteht sie aus einer mehr oderweniger zufälligen Abfolge von einzigartigen Vor-gängen und Persönlichkeiten? Darauf gibt es zwei Antwortmöglichkeiten:

Wie vollzieht sich Geschichte?

1. Bürgerliche sagen:

Geschichte ist einmalig und wiederholt sich nicht,weil..

Geschichte keine Struktur besitzt, sondern nureine chaotische Ansammlung individueller Be-gebenheiten darstellt.Menschen einmalig sind und "große Menschen"(meist Männer) diese Geschichte machen.

Aus den oben genannten Gründen ist ein Teil derBürgerlichen folgerichtig auch der Meinung, es lassesich wissenschaftlich nichts aussagen über das Woherund Wohin der Geschichte. Eine zweite Gruppe unter ihnen ist aber der Meinung,Geschichte folge durchaus eigenen Gesetzen. DurchMenschen "gemacht" wird die Geschichte aber trotz-dem nur bedingt, weil...

... der Mensch durch Triebe und Instinkte gesteu-ert und diesen "Naturgesetzen" unterworfen ist.... der Mensch nach dem Willen Gottes handelt:"Den letzten Sinn der Geschichte als Ganzes ver-mögen wir nicht zu verstehen; den kennt Gottalleine."

Beiden Argumentationsmustern gemeinsam ist dieGrundannahme, dass Geschichte kaum bzw. gar nichtdurch rationales menschliches Handeln beeinflusstwerden könne.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieWissenschaft die Möglichkeit bietet, Gesellschaft undNatur planvoll zu gestalten und damit menschlicheBedürfnisse besser zu befriedigen. Gleichzeitig istWissenschaft aber ein Mittel der Herrschaft und derUnterdrückung. Wenn es im Interesse der Herr-schenden lag, wurden Erkenntnisse verfälscht. Durchdiese Verfälschung und deren Einbettung in ein irra-tionales Weltbild wurde der wissenschaftliche samtdem gesellschaftlichen Fortschritt gehemmt.2

Das irrationale Bild der Welt, das in den vergangenenJahrhunderten im Dienste der Herrschenden entwor-fen worden war, wurde in zwei Etappen von denNaturwissenschaften entscheidend ins Wanken ge-bracht:

Kepler, Galilei und Newton wiesen nach, dassdie Welt der toten Materie von inneren Bewe-gungsgesetzen gesteuert wird und nicht durchgöttlichen Willen.Darwin erbrachte den Beweis, dass sich alleLebewesen (und damit auch der Mensch) durchEvolution weiterentwickeln. Die menschlicheEntwicklung war damit nicht länger ein "gött-licher Schöpfungsakt", sondern ein erklärbarerProzess.

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2 Ein historisches Beispiel wäre die Verfolgung und Reglementierungvon Medizin, Physik und Astronomie durch die katholische Kirche.

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01| GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUR GEGENWART

Der Reichsverband der Deutschen Industriezur "Autorität der Persönlichkeit":"Solange man in der Geschichte zurückblicken kann,vermag man festzustellen, dass die Schicksale derVölker von großen Persönlichkeiten geformt sind. ...Diese schöpferische Kraft der Persönlichkeit, die unsleider heute auch im Staate fehlt, können wir in kei-nem Wirtschaftsbetrieb entbehren. ..."

Quelle: Veröffentlichungen des RDI, Nr. 48, 1929, Berlin 1919 - 1932.

Wie vollzieht sich Geschichte?

2. SozialistInnen sagen:

Die Menschen machen ihre Geschichte selbst. Esgibt keinen Gott, der uns lenkt, und es gibt kein"Endziel der Geschichte"!Geschichte ist nichts als die Summe mensch-lichen Handelns. Menschen tun Dinge, um be-stimmte Zwecke zu erreichen. Geschichte bestehtaus den Resultaten dieses Handelns, unabhän-gig davon, ob dabei die selbstgesteckten Zieleder Menschen letztlich erreicht werden odernicht.Trotzdem ist Geschichte kein "Zufall". Men-schen können nicht unabhängig von einanderund von ihrer Umwelt agieren, sondern siemüssen immer auf dem aufbauen, was sie vor-finden. Z. B. ist die Entwicklung neuer Medi-kamente nur möglich, weil auf bereits beste-henden Erkenntnissen aufgebaut werdenkann; Sesshaftwerdung war nur dort möglich,wo die Nutzpflanzen angebaut werden konn-ten etc.Veränderungen in der Gesellschafts- und Eigen-tumsordnung werden in der Geschichte immererkämpft gegen den Widerstand der jeweilsherrschenden Klasse. Das Grundgesetz der Geschichte ist die perma-nente Auseinandersetzung zwischen den Klassen- der "Klassenkampf".

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WIE AUS DER GESCHICHTE LERNEN?

Warum ist die Beantwortung der Frage, was Geschichteist, so wichtig? Ganz einfach - weil von der jeweiligenAntwort abhängt, ob und wie wir aus Geschichte ler-nen können. Ist alles in der Vergangenheit nur Zufall,das Werk großer Männer oder gar Gottes gewesen,folgt daraus, dass wir am Lauf der Geschichte imGrunde gar nichts ändern können.

Welchen Wert hat nun die Auseinandersetzung mitGeschichte?Eine Antwort darauf gibt uns die für Bildung undWissenschaft zuständige Sektion der VereintenNationen, die UNESCO. Sie definiert Wissenschaft als"eine planvolle Anstrengung der Menschen, durch dasobjektive Studium betrachteter Phänomene Kausal-zusammenhänge zu erkennen und zu beherrschen, umaus dem Verständnis der in der Natur und in derGesellschaft beobachteten Prozesse und PhänomeneNutzen zum Wohle der Menschheit zu ziehen".3

Bezogen auf die Geschichtswissenschaft bedeutet das,dass aus der Entwicklung der menschlichenGesellschaft Schlüsse auf deren Gegenwart undZukunft gezogen werden können. Die Geschichtswissenschaft ist gewissermaßen das"Gedächtnis der Menschheit": So wie die Erinnerungan den Schmerz ein Kind davon abhält, mehrmals aufeine heiße Herdplatte zu greifen, kann alsoGeschichtsschreibung Gesellschaften davor bewahren,Fehler zweimal zu machen. Geschichte wiederholt sichnie exakt gleich. Aber es gibt Grundtendenzen, diegleich bleiben. Und genau diese Grundtendenzenmüssen wir ausfindig machen.Dazu ist es notwendig, unsere Geschichte zu kennen.Unsere Geschichte ist nicht die der Herrschenden, son-dern die der Beherrschten. Um Lehren für unserenKampf um bessere Lebensbedingungen ziehen zu kön-nen, brauchen wir den Erfahrungsschatz der vergan-genen Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende. Denn

3 Aus der "Deklaration zur Stellung der wissenschaftlichen Forscher",verabschiedet von der Generalkonferenz der UNESCO am 23.11.1974.

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um ein besseres Leben kämpft die breite Masse derBeherrschten seit Menschheitsgedenken. Wie viel aberwissen wir über die Erfolge, wie viel über die Ursachender Niederlagen in diesem Kampf? Was wissen wirüber unsere GegnerInnen? Wie haben sie sich in derVergangenheit Reichtum und Macht gesichert, mit wel-chen Mitteln übten sie ihre Herrschaft in welchenSituationen aus? Diese Broschüre soll solche Fragen imBezug auf den Faschismus klären helfen. Es ist klar,dass es sich nur um einen Einstieg handeln kann,jede/r ist aufgerufen, sich selbst weiterzubilden.

Der Begriff "Faschismus" leitet sich ursprüng-lich von einer Bewegung ab, die in Italiennach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde,dem "fascio di combattimento" (Kampfbund).Das Wort "fasces" bezeichnet lateinisch dasHerrschaftssymbol der Liktoren (einer ArtLeibgarde der Herrscher im alten Rom), einRutenbündel mit einer Axt in der Mitte.

Schon bald wurde der Name dieser Bewegungum Mussolini, die 1922 in Italien an dieMacht gekommen war, zum (oft ungenauen)Sammelbegriff für ähnliche Bewegungen inanderen Ländern. Gemeinsam war ihnen ihrenationalistische, antisozialistische, autoritä-re und antiparlamentarische Stoßrichtung.Was nun als "faschistisch" zu gelten habe undwas nicht, darüber gibt es seit beinahe acht-zig Jahren eine rege Diskussion mit vielenverschiedenen Ansätzen. Schwierig ist dieKlärung dieser Frage auch deshalb, weilkaum eines der in Frage kommenden Regimesich selbst "faschistisch" nannte.

Große Teile der Heimwehrbewegung in Österreich bei-spielsweise machten aus ihren Sympathien fürMussolini keinen Hehl. Der "Korneuburger Eid", dendie versammelten Heimwehrführer am 18. Mai 1930schworen, diente nach den Worten des Heim-wehrführers Steidle dazu, "sich ... für das faschistischeSystem zu erklären". Was das aber, neben derAbschaffung der parlamentarischen Demokratie undder Niederschlagung der organisierten Arbeiter-Innenschaft, genau hieß, darüber herrschte auch in derHeimwehr wenig Einigkeit. Nicht wenige Re-präsentanten der Heimwehr lehnten den Faschismusals "undeutsch" ab. Ebenso sahen viele italienische

Ein Liktor mit fascis symbolisierte diekönigliche Macht im alten Rom, zuzüchtigen (Rutenbündel) und mitdem Tod zu bestrafen (Axt)

FASCHISMUS -

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02| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

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von entscheidender Bedeutung ist die Frage, wer voneiner Gesellschaftsordnung, wie sie der Faschismushervorbrachte, profitiert hat und welche sozialenSchichten unter ihr gelitten haben. Es geht kurz gesagtdarum, die verschiedenen Aspekte zu einem Gesamt-bild zusammenzufügen, aus dem sich die sozialeFunktion des Faschismus in seiner Aufstiegsphase undin der ersten Zeit an der Macht erklären lässt. Denn auch wenn ein Maschinengewehr aus vielen ver-schiedenen, für TechnikerInnen interessanten Teilenbesteht, darf doch in der Auseinandersetzung mit die-sem Sammelsurium von Schrauben, Federn und Roh-ren der eigentliche Sinn und Zweck nicht außer Achtgelassen werden: zu schießen - und zu töten.

Der Versuch eine "faschistische Typologie" aufzustellenist also aus den genannten Gründen problematisch,doch ist sie unerlässlich, wenn das Thema eingehendanalysiert werden soll. Dazu sind Abgrenzungen nö-tig: Nicht jede bösartige Diktatur ist automatisch fa-schistisch. Die nachfolgende Liste übereinstimmenderMerkmale versteht sich als grober Leitfaden.

Gefolgsleute Mussolinis im "Fascismo" etwas typischItalienisches, das nur in Italien funktionieren könne.

Um heute zu einer brauchbaren Definition zu kom-men, genügt es nicht, Geschichte oberflächlich nachzu-erzählen. Es reicht nicht aus, sich in der Analyse derbetreffenden Regime nur auf einzelne Aspekte zu kon-zentrieren, z. B. auf die Art und Weise, wie geherrschtwird. Und es ist auch nicht gut möglich eine Art"Checklist" zusammenzustellen, um eine Partei oderBewegung anhand ihres Programms zweifelsfrei als"faschistisch" einstufen zu können. Ein politischesPhänomen wie der Faschismus kann nur verstandenwerden, wenn die Vorbedingungen eingehend analy-siert werden, unter denen er in der Vergangenheitgroß werden konnte. Denn eine der größten Gefahrendes Faschismus ist seine Wandlungsfähigkeit, seineTarnung, seine Eigenschaft, erst wenn er an die Machtgelangt ist, zu zeigen, was ihm wirklich innewohnt.Das heißt, ein Urteil kann und darf nicht allein darausabgeleitet werden, was ein Agitator oder eine Parteisagt bzw. in Programmen und Beschlüssen nieder-schreibt. Entscheidend ist die Tat, die real betriebenePolitik.

Wenn wir uns nun der Geschichte faschistischerBewegungen in der Vergangenheit zuwenden, nützt esrelativ wenig, nur die Schriften und Reden der"Führer" zu studieren, um das Wesen des Faschismuszu begreifen.4

Ebenso mag es zwar durchaus wichtig sein, dieGemeinsamkeiten faschistischer Bewegungen imAuftreten, hinsichtlich der (wie gesagt sehr wider-sprüchlichen) "Ideale" und der Organisationsstrukturetc. zu beleuchten. Aber eine Erklärung des Fa-schismus dürfen wir uns davon nicht erwarten. Denn

4 Es kann aber durchaus gewinnbringend sein, diese für die Öf-fentlichkeit bestimmten Gedanken von Hitler & Co. mit dem zuvergleichen, was dann in der Praxis aus ihnen wurde. So lässt sichnämlich feststellen, was davon einer vorauseilendenLegitimierung diente, etwa der Antimarxismus, der dieZerschlagung der ArbeiterInnenbewegung im Voraus zu rechtfer-tigen begonnen hatte. Darüber hinaus wird aber auch klar, waslediglich der Propaganda gedient hatte und nun, da dieMöglichkeit bestand es auch tatsächlich umzusetzen, links liegengelassen wurde.

- VERSUCH EINER DEFINITION

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IDEOLOGIE: FÜHRERPRINZIP,NATIONALISMUS UND RASSISMUS

Die Vorstellung von der prinzipiell unterschiedlichenWertigkeit von Menschen und Völkern, von der "natür-lichen Auslese", die dafür Sorge tragen würde, dassdie "von Natur aus am meisten Befähigten" dieGeschicke der Gemeinschaft leiten würden, ist vermut-lich der Kernpunkt faschistischer Ideologie. Ein Blick indie politische Landschaft der Gegenwart genügt aller-dings, um festzustellen, dass dieses hierarchischePrinzip keineswegs auf faschistische Bewegungen be-schränkt ist. Im Gegenteil: Die unterschiedlicheWertigkeit, das Prinzip der Auslese, der Konkur-renzkampf - all das sind auch die bestimmendenElemente der "freien Marktwirtschaft", wenn mittler-weile auch ohne (zumindest offen geäußerter)Ausdehnung auf "Rassen": "Der/die Tüchtige" oder"das beste Produkt" setzt sich durch - zum Wohle aller,versteht sich. Im Unterschied zu vielen anderen pro-klamierten Inhalten und Zielen waren weder Führer-Prinzip noch Rassismus bloße Propaganda. DieseInhalte dienten nicht der Maximierung des eigenenGefolges in der Aufstiegsphase der jeweiligenBewegungen. Sie sollten vielmehr geistig auf derenaggressive Außen- und Wirtschaftspolitik vorbereitenund der totalen Militarisierung der Gesellschaften inden betroffenen Ländern den Weg ebnen. Wenn näm-lich Raubkriege geführt und Völker unterjocht undausgebeutet werden sollen, dann bedarf das einerErklärung.5 Die Minderwertigkeit der anderen Völkerund die "natürliche Überlegenheit" der eigenenNation ist die nächstliegende, simpelste und wirksam-ste propagandistische Rechtfertigung. Erstens, weilAngriffskriege und das Ausplündern fremder Länderdann zu "natürlichen" Vorgängen werden. Zweitens,weil sich damit auch für sozial deklassierte Schichtenin der angeblich "höherwertigen Nation" die Möglich-

SOZIALE FUNKTION IM WIDERSPRUCHZUR SOZIALEN BASIS

Durchgehend haben sich faschistische Bewegungen inihrer Aufstiegsphase als Bewahrer des kapitalistischenPrivateigentums vor dem "marxistischen Bolsche-wismus" dargestellt. Gleichzeitig präsentierten sie sichals Retter der ArbeiterInnenschaft bzw. des "Mittel-standes" vor dem "raffgierigen Kapitalismus".

In der Realität blieb von den Ankündigungen nur derSchutz der herrschenden Schichten vor der organisier-ten ArbeiterInnenschaft übrig: Zerschlagung derLinksparteien und der Gewerkschaften, Abschaffungbisher erkämpfter ArbeiterInnen-Rechte, die Aus-stattung von Unternehmen mit militärischer Ver-fügungsgewalt über ihre ArbeiterInnen usw. Damit be-gannen die faschistischen Bewegungen, nach ihren je-weiligen "Machtergreifungen", Politik gegen einenGroßteil ihrer eigenen Gefolgschaft zu machen. DieMasse des faschistischen Fußvolks kam nämlich ausdem Mittelstand, dem Kleinbürgertum und der unor-ganisierten ArbeiterInnenschaft.

"Führer" und Gefolgschaft. Zu den wichtigsten Kennzeichen desFaschismus gehört eine Politik, die sich letztlich gegen die Masse der

eigenen AnhängerInnen richtete

5 Hier muß erwähnt werden, dass eine aggressive Aussenpolitik nichtKennzeichen aller faschistischer Bewegungen war. In kleinen Län-dern ohne entsprechendes militärisches Potential, wie z.B. Österreich,richtete sich der Faschismus "nur" gegen die Linke im eigenen Land.

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sche Rechte genötigt sich ideologisch zu öffnen und zu-mindest öffentlich zu behaupten, ihre Politik auf dieBedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit abstimmen zuwollen. Anders war der Abstieg in die politischeBedeutungslosigkeit nicht zu verhindern. Das wohlsichtbarste Zugeständnis an die neue Zeit war in die-sem Zusammenhang die Aufnahme der Adjektive "de-mokratisch" bzw. "sozial" in die verschiedenenParteinamen.

Der Horror der Schützengräben, das kriegsbedingtweiter verschlimmerte Elend breiter Schichten undschließlich die Wirtschaftskrise im Gefolge des ErstenWeltkriegs ließen die breiten Massen nach einerAlternative zum kapitalistischen System suchen, umNot und Armut endgültig zu überwinden. Diese Suchedrückte sich anfangs vor allem in Aufständen,Hungerrevolten und Revolutionsversuchen aus. Nach-dem sich die bürgerliche Demokratie als Staatsformfürs erste einigermaßen behauptet hatte, wurde derbreite Wunsch nach grundlegenden Änderungen be-sonders in den Verliererstaaten des Weltkrieges auchin Wahltriumphen der Linksparteien deutlich. Dieseschickten sich nunmehr an, so schien es vielen, dasSystem auf demokratischem Weg aus den Angeln zuheben. Guter Rat war teuer, denn keine der bis dahinexistierenden rechten Parteien verfügte über eine ak-tivierbare Massenbasis, die im Stande war den "Roten"entgegenzutreten. Und die Polizei- und Armeekräftewaren entweder - wie etwa in Österreich - selbst von"Umstürzlern" unterwandert oder ganz einfach militä-risch nicht in der Lage, eine etwaige rechte Diktaturgegen den breiten und organisierten Widerstand derBevölkerung zu erzwingen. Die Antwort der herr-schenden Schichten auf dieses Problem war dasBündnis mit dem Faschismus. Denn als einzige rechts-radikale Strömung verfügte der Faschismus über einerelativ große und radikalisierte Anhängerschaft. Undweder Mussolini noch Starhemberg oder Hitler hattenSchwierigkeiten damit, in ihrer Propaganda zwar dieAusbeutung des "kleinen Arbeiters" durch "dasGroßkapital" und "die Bonzen" zu geißeln, gleichzeitigaber Gewerkschaften und Linksparteien vehement zu

keit ergibt, sich der Schar der Auserwählten zugehörigzu fühlen. Drittens, weil vorhandene Missstände im ei-genen Land auf konstruierte "Außenfeinde" zurückge-führt werden, die es zu bekämpfen gelte.6

Über die Funktion von Außenfeinden"Es gehört zur Genialität eines großen Führers, selbstauseinanderliegende Gegner immer als nur zu einerKategorie gehörend erscheinen zu lassen ... Dahermuss eine Vielzahl von innerlich verschiedenenGegnern immer zusammengefasst werden, so dass inder Einsicht der Masse der eigenen Anhänger derKampf nur gegen einen Feind allein geführt wird."

Adolf Hitler in "Mein Kampf"

PSEUDOREVOLUTIONÄRE RHETORIK UNDFASCHISTISCHE MASSENBASIS

Eine der Kernforderungen der ArbeiterInnenbe-wegung hatte sich bis nach dem Ersten Weltkrieg inden meisten europäischen Staaten durchgesetzt - dieEinführung des allgemeinen Wahlrechts. DieseKonzession, das war auch den wildesten Gegnern einessolchen Schrittes in den Reihen der Rechten klar, warin Anbetracht eines drohenden linken "Umsturzes"nicht zu umgehen. Die Gründe für die Ablehnung desallgemeinen Wahlrechtes durch die Konservativen undRechten liegen auf der Hand: Wer dann nämlich nichtPolitik im Sinne der Mehrheit macht, läuft zwangsläu-fig Gefahr, von dieser früher oder später abgewählt zuwerden (was, wie die Geschichte zeigt, allerdings langdauern kann). Bevor die breite Masse der Bevölkerung wählen durf-te, waren die bürgerlichen Parteien elitär strukturiertgewesen. Nach der Demokratisierung ihrer Länder, alsder gehasste "Pöbel" wählen durfte, sah sich die politi-

6 Der deutsche Faschismus benannte etwa als Grund für die Wirt-schaftsmisere "jüdische Machenschaften" sowie die Tatsache, dassDeutsche und Italiener Völker "ohne Raum" seien. Der benötigte"Lebensraum" (bzw. seine Reichtümer) sei "von Minderwertigen be-setzt" und müsse "erkämpft werden".

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DIE ABSAGE AN DIE AUFKLÄRUNG - DER FASCHISTISCHE WERTEKATALOG

Eine Bewegung, die in sich derartig widersprüchlich istwie der Faschismus, muss in ihrer Propaganda gewis-sermaßen die Quadratur des Kreises schaffen, um so-wohl die reichen Gönner als auch das arbeitendeWahlvolk anzusprechen. Naturgemäß liegt es daher im Interesse faschistischerFührer, dass sich möglichst große Teile ihrerGefolgschaft nicht rational, also vernunftgeleitet, mitPolitik auseinandersetzen. Es gibt keine vernünftigeErklärung dafür, dass Besitzende und Besitzlose diegleichen Interessen haben sollen - die einen wollenmehr haben, die anderen aber möglichst wenig - ambesten nichts - von ihrem Reichtum abgeben. Es gibtkeinen vernünftigen Grund dafür, einem wie auch im-mer gearteten Führer zu folgen, ohne Rücksicht dar-auf, für wen er Politik macht. Es gibt - auch abseitsmoralischer Einwände - kein vernünftiges Argumentdafür, sich im Rahmen eines Raubkrieges, von dem diemeisten Menschen nicht profitieren, verstümmeln odergar töten zu lassen oder selbst zum Mörder zu werden.Von der Unmöglichkeit angebliche "rassische" Höher-und Minderwertigkeit rational zu belegen ganz zuschweigen.

Ganz logisch steht der Faschismus daher im Wider-spruch zu den Werten der Aufklärung, also rationalemHandeln, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Diefaschistische Ideologie schafft dementsprechend ihreeigenen Werte: An die Stelle der Vernunft und des"schnöden Verharrens im Materiellen" tritt das Idealeines organischen Volkskörpers, dessen angeblicheInteressen über den Interessen der Einzelnen stehen.Statt für die möglichst große Freiheit der Person zukämpfen, gibt der Faschismus vor "Volksfeinde zu be-kämpfen", die "nationale Demütigung" revidieren zuwollen und der Nation jene Größe zukommen zu las-sen, die ihr angeblich zustünde. Wem diese nationale"Größe" nützt - nämlich einigen wenigen - wird be-greiflicherweise nicht thematisiert. Dem Ideal derGleichwertigkeit der Menschen wird die angeblich

bekämpfen. Während auf den Straßen von einer "fa-schistischen Revolution" die Rede war, wurde denReichen signalisiert, man werde sie und ihr Eigentumvor dem "Kommunismus" retten.

Dem linken Begriff des "Klassenkampfs" setzte die fa-schistische Propaganda die Parole von der "Volks-gemeinschaft" entgegen. Das Wirtschaftssystem dieser"Volksgemeinschaft" sollte "die Interessen sowohl derArbeitenden als auch der UnternehmerInnen bündelnund damit letztlich dem Wohle aller dienen, statt sichgegenseitig unsinnig zu bekriegen."7 Dem Ruf nachder sozialistischen Revolution begegnete derFaschismus mit der Forderung nach einer "nationalenRevolution". Diese "nationale Revolution" würde"Arbeit und Brot für alle" bringen, ebenso das Endedes "volkszersetzenden Klassenkampfes". Statt dessenwürden "Ruhe und Ordnung wieder(!)hergestellt". Mit diesem in sich widersprüchlichen Mix an Ver-sprechungen und Beschuldigungen konnte derFaschismus große Teile des KleinbürgerInnentums, derBeamtInnenschaft, der Bildungseliten und der bäuer-lichen Schichten für sich gewinnen. Ihm gelangen auchnicht unbeträchtliche Einbrüche in die Arbeiter-Innenschaft,8 aber der ursprüngliche Zweck wurde ver-fehlt: Im demokratischen Wettbewerb konnte dieLinke auch vom Faschismus nicht gestoppt werden, dernicht in der Lage war, aus eigener Kraft die Macht imStaat zu übernehmen. Das vermochte er in allenLändern nur in einem breiten Bündnis mit den herr-schenden Eliten.

7 Hier wird deutlich, dass viele Vorstellungen des Faschismus wedervon ihm geboren wurden, noch mit ihm untergingen: Noch heute er-klären PolitikerInnen häufig, dass ArbeitnehmerInnen undUnternehmerInnen im selben Boot säßen. Dabei wird die Tatsache ig-noriert, dass es einen grundlegenden Interessensunterschied gibt -UnternehmerInnen wollen für möglichst viel geleistete Arbeit mög-lichst wenig zahlen, ArbeitnehmerInnen hingegen möchten für mög-lichst wenig Arbeit möglichst viel Lohn erhalten.8 Allerdings gelang es kaum, die in Gewerkschaften oder Links-parteien organisierten ArbeiterInnen anzusprechen. Sie erwiesen sichgegenüber der faschistischen Propaganda als weitgehend immun.

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02| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

Indem der Faschismus die Mechanismen einermenschlichen Gesellschaft jenen der Naturgleichsetzt, sieht er Menschen und Völker einempermanenten "Lebenskampf" ausgesetzt. Andersals viele bürgerliche TheoretikerInnen meinen,wäre etwa ein "judenreines" Herrschaftsgebietnicht der vom deutschen Faschismus angestrebte"Endzustand der Geschichte" gewesen: DieAggressivität und das Vernichtungspotential desFaschismus kann sich schon deshalb nicht er-schöpfen, weil er aus der Bekämpfung vermeint-licher "Feinde" und vorgeblicher "Bedrohungen"einen wesentlichen Teil seiner eigenen Legi-timation ableitet. Dies schließt ein friedlichesZusammenleben aus und bedarf der Verklärungvon Gewalt und Brutalität als Vorbedingungenfür eine umfassende Militarisierung der Gesell-schaft. Durch die Überhöhung dieser ("männ-lichen") Ideale ist der Faschismus seinem Wesennach scharf antifeministisch.

"wissenschaftlich bewiesene" Ungleichheit der Men-schen und Völker, der Rassismus, entgegengestellt.Rassistische Politik, Ausplünderung ganzer Länderoder systematischer Völkermord werden so zu einem"natürlichen", angeblich unausweichlichen Prozess.Der Kerngedanke des Faschismus, der Glaube an dieUngleichheit der Menschen, schließt drei Grund-gedanken mit ein:

Im Rahmen der "natürlichen Auslese" wird alles"Schwache" ausgesondert. Geschieht das nichtvon selbst, muss eben nachgeholfen werden."Schwäche", gleichgültig ob physisch, psychischoder sozial, wird "vernatürlicht". Solidarität mitden Betroffenen ist von vornherein ausgeschlos-sen - ihr "natürliches Schicksal" ist in der faschi-stischen Ideologie die "Ausmerzung".Ebenso "natürlich" wie "Schwäche" ist der faschi-stischen Ideologie zufolge auch "Stärke". Dem-zufolge sind Machtpositionen in einer Gesell-schaft nicht etwa durch Privilegien, wirtschaftli-ches Potential oder militärische Macht begründet(und somit auch wieder änderbar), sondern siesind "natürlich" und damit irreversibel ("unver-änderlich"). Der "Führer" wird von der "Natur"bzw. der "Vorsehung" für seine Funktion auser-koren, seine Befehle sind naturgewollt, wer sichwidersetzt, handelt "wider die Gesetze derNatur".9

Die Verhöhnung derWerte der Aufklärung in

einem Nazi-Schulbuch. Originalunterschrift:

"Freiheit - jeder kann tunwas er will. Gleichheit -

der Fleißige gilt nichtmehr als der Lump.Brüderlichkeit - AlleRassen sind gleich."

9 Und wieder: Etwas abgeschwächt ist dieser Gedanke weder vom Faschismus erfunden worden,noch endete er mit diesem (Kaiser und Könige führten ihre Machtbefugnisse stets auf das"Gottgewollte", mithin in gewisser Weise auch "Natürliche" zurück; der Grund, warum esReichtum und damit gleichzeitig Armut geben muss, wird auch heute noch von denApologetInnen der Marktwirtschaft damit begründet, dass dem schon immer so gewesen, es mit-hin "natürlich" sei. Der Wunsch, den gesellschaftlichen Reichtum gerecht zu verteilen, muss so-mit eine Illusion bleiben, weil "widernatürlich").

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Obwohl in den meisten Fällen säkular,11 erhebt der Fa-schismus zudem den Anspruch, eine "Gegenreligion"zu sein, in der "Gott" durch den "Führer", die "Natur"bzw. "Naturgesetze" ersetzt wird. Die faschistischenRituale (Totenehrungen, etc.) und die Inszenierungvon Auftritten der Führer hatten pseudo-religiösenCharakter. Interessant in diesem Zusammenhang sinddie Querverbindungen speziell der nationalsozialisti-schen Bewegung zu esoterischen Inhalten und Grup-pierungen, die im Versuch gipfelten, die SS zu einemquasi-religiösen Orden zu machen.

FASCHISTISCHE MACHTERGREIFUNG UND MACHT-ERHALT: DAS BÜNDNIS MIT TRADITIONELLEN ELI-

TEN, MASSENBEWEGUNG UND MASSENTERROR

Sowohl die italienischen Faschisten als auch die deut-schen Nationalsozialisten verwendeten erheblicheMühe darauf, ihre jeweiligen Machtergreifungen imNachhinein zu mystifizieren. Im einen Fall war es der"Marsch auf Rom" durch die italienischen Schwarz-hemden, im anderen die "nationale Erhebung" bzw.die "nationale Revolution". Sinn dieser Verklärung wares, über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass es wederdem deutschen noch dem italienischen Faschismus(auch keiner faschistischen Bewegung irgendwo sonst)gelungen war, die Macht im Staat aus eigener Kraft zuerobern. Es handelte sich also nirgends, wo derFaschismus an die Macht kam, um eine Macht"ergrei-fung" sondern nur um eine Macht"übernahme" imBündnis mit anderen konservativen Kräften.

Die "traditionellen Eliten", die aus verschiedenenGründen mit dem bestehenden System unzufriedenwaren oder die Gefahr eines linken Umsturzes fürchte-ten, ebneten dem Faschismus seinen Weg zur Macht.Sie taten das, weil sie aus eigener Kraft zu schwachwaren (oder sich zu schwach fühlten), die Demokratiegegen den Widerstand der linken Parteien zu stürzen.Dabei erlagen sie aber dem Trugschluss, dass es ihnengelingen werde, Hitler, Mussolini & Co. auch nach de-ren Aufrücken an die Spitze des Staates vollständig zukontrollieren.

10 Ausnahmen bildeten etwa die Ustascha-Bewegung in Kroatien undTeile der österreichischen Heimwehr, die dezidiert katholisch waren.

GESCHICHTE

DER ERSTE WELTKRIEG UND SEINEVORGESCHICHTE

Im November 1918 endete das größte bis dahin ge-kannte Massenmorden der Menschheitsgeschichte - derErste Weltkrieg war vorbei. Die Mächte, die ihn begon-nen hatten, Deutschland und Österreich-Ungarn, kapi-tulierten. Was war das für ein Krieg gewesen? Wer hat-te ihn wofür und gegen wen geführt?

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der ErsteWeltkrieg keinesfalls wegen eines erschossenenErzherzogs in Sarajewo begonnen wurde, sondern einschlichter Verteilungskampf war. Im Gegensatz zu al-ten Industrienationen wie Großbritannien, war inDeutschland der Kapitalismus erst relativ spät dazugekommen, sich zu entwickeln. Das hing vor allem mitder Tatsache zusammen, dass vor 1871 kein einheitli-ches Deutschland existiert hatte, sondern das spätereStaatsgebiet ein Sammelsurium kleinerer, teils kon-kurrierender Fürstentümer gewesen war. Mit einerVielzahl von Zoll- und Steuerschranken hatten dieseMinistaaten die Entwicklung einer gemeinsamenWirtschaft massiv gehemmt. Der erste Schritt zu einemgesamtdeutschen Wirtschaftsgebiet war der DeutscheZollverein von 1833 gewesen, der die Zollschrankenzwischen vielen deutschen Staaten beseitigt hatte.Abgeschlossen wurde diese Entwicklung, die auch ein

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Gegensatz zu den etablierten europäischen Mächtenverfügte Deutschland über keine nennenswertenKolonien, die auszuplündern waren, in denen inve-stiert werden konnte und aus denen billige Ar-beitskräfte rekrutiert werden konnten. Der Drang nachweiterer wirtschaftlicher Ausdehnung geriet in Konfliktmit der Tatsache, dass die Welt damals eben schon inKolonien und Einflusssphären aufgeteilt war. DieseAufteilung galt es nun zu ändern. Und für alleBeteiligten war klar: Eine solche "Neuordnung" derWelt konnte nur auf Kosten der alten Kolonialmächte,besonders Großbritanniens und Frankreichs, gehen. Da Deutschland immer vehementer seinen "Platz ander Sonne" verlangte, waren sich alle Beteiligten be-wusst, dass früher oder später ein Krieg unausweich-lich sein würde. Auf diese kommende Auseinan-dersetzung bereiteten sich beide Seiten intensiv vor,denn England und Frankreich hatten natürlich dieGefahr erkannt, die ihren Interessen von Deutschlanddrohte. Sie hofften darüber hinaus aber auch, eigeneExpansionsziele durchsetzen zu können.12 Militärischwurde gerüstet, was das Zeug hielt, aber auch ideolo-gisch wurde nationaler Chauvinismus in den Massenbewusst verankert und immer weiter geschürt.

einheitliches Steuerwesen und eine einheitlicheGesetzgebung einschloss, durch den deutschen Siegüber Frankreich 1870/71. Der preußische König ließsich damals in Versailles zum deutschen Kaiser krönen.Damit war das Zweite Deutsche Reich geboren und dieZeit für die deutsche Wirtschaft gekommen, durchzu-starten: Innerhalb von nur 30 Jahren wurde Deutsch-land zum wirtschaftlich mächtigsten IndustriestaatEuropas.Solange die Interessen an Ressourcen, Arbeitskräftenund Absatzmärkten nur mit den Anliegen derMenschen in Deutschland selbst kollidierten, wandtesich die Macht der deutschen Unternehmen auch prak-tisch nur gegen diese. Außenpolitisch blieb Deutsch-land in der Aufstiegsphase zur dominierenden euro-päischen Macht relativ ruhig. Im Inneren aber wurdegegen alles, was das "nationale Aufbauwerk" gefähr-dete, scharf vorgegangen. Militär, Kirche und Justizwurden intensiv genutzt, um die sich zunehmend or-ganisierende ArbeiterInnenschaft niederzuhalten.11

Etwa um die Jahrhundertwende stieß die wirtschaftli-che Entwicklung in Deutschland aber an Grenzen: Im

DES FASCHISMUS IN DEUTSCHLAND

Das Grauen des Ersten Weltkrieges - zwei deutsche Soldaten mit ihrem MG während eines Giftgasangriffs an der Westfront

11In der offiziellen Geschichtsschreibung wird immer wieder auf dieangeblich vorbildhafte Sozialgesetzgebung des Bismarckschen Kai-serreiches hingewiesen. Dass diese einherging mit einer in West-europa beispiellosen Unterdrückung von SozialdemokratInnen undanderen Oppositionellen wird dabei meist übergangen.

12Im Zentrum des Interesses lag dabei der zu dieser Zeit von derschwächelnden Türkei beherrschte Nahe Osten, einerseits wegen desSuez-Kanals, anderseits wegen der reichen Erdölvorkommen.

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Eine Wende im europäischen Patt brachte erst 1917der Kriegseintritt der USA. Kaum ein Jahr später, imHerbst 1918, waren die "Mittelmächte" Deutschland,Österreich-Ungarn und die Türkei, obwohl die Frontteils tief im Feindesland verlief, am Rande desZusammenbruches. Um der Katastrophe zuvor zukommen, boten beide Staaten einen Waffenstillstandan, der in Kapitulationsverhandlungen mit denAlliierten mündete. Auch das deutsche Armeeober-kommando hatte auf diesen Waffenstillstand ge-drängt, um der Schmach zu entgehen, für ein völligesZusammenbrechen der Front verantwortlich zu sein.

DIE KRIEGSFOLGEN IN DEUTSCHLAND

Aus den als erniedrigend empfundenen Friedensver-handlungen hielten sich die Militärs aber nobel he-raus. Später setzten sie die Mär von der "im Felde un-besiegten Fronttruppe" in die Welt, die gerade vonmanchen ehemaligen Frontsoldaten dankbar ange-nommen wurde.

Für viele von ihnen folgte auf das militärischeDesaster, den Horror der Schützengräben und dieGefangenschaft nun die persönliche Katastrophe. AmEnde des Krieges, in der nachfolgenden Wirtschafts-krise, fanden sie nur schwer und viele gar nicht ins zi-vile Leben zurück und standen wirtschaftlich oft vordem Nichts. Für die Eliten der Verliererstaaten bedeu-tete das Kriegsende, dass sämtliche Bestrebungen, dieauf eine Vormachtstellung unter den kapitalistischenMächten gerichtet gewesen waren, vorläufig ruhenmussten. Deutschland war zu umfangreichen Ge-bietsabtretungen gezwungen, die österreichisch-unga-rische Monarchie hörte völlig auf zu bestehen.Darüber hinaus wurden von den Alliierten relativ hoheReparationszahlungen und Rüstungsverbote verfügt.Praktisch alle deutschen Parteien sprachen in ihrerPropaganda nach dem Krieg von einem "Schand-frieden", der das deutsche Volk "entwürdige" und"knechte". Großzügig übergangen wurden dabei aller-dings die Bedingungen des Friedensvertrages, derdem revolutionären Russland nach dessen Zusam-

Das Wettrüsten eskalierte letzten Endes aber nicht zwi-schen Deutschland und den Westmächten. Der Welt-krieg brach aus, als das aufstrebende Serbien zu ei-nem Gefahrenpotential für die bisherige Vorherrschaftder österreichisch-ungarischen Monarchie auf demBalkan wurde. Als in diesem schwelenden Konflikt derösterreichische Thronfolger samt Gemahlin in Sara-jewo von einem serbischen Nationalisten erschossenwurde, war der willkommene Anlass für den großenKrieg da. Weil sich in einen Krieg mit Serbien unwei-gerlich auch das Russische Zarenreich13 einmischenwürde, stellte Österreich-Ungarn auf deutsches Drän-gen Serbien ein Ultimatum. Die darin erhobenenForderungen waren absichtlich so überzogen, dasskein Staat, der auch nur ein Fünkchen Eigenstän-digkeit besaß, sie hätte annehmen können.

Die nächsten vier Jahre entsprachen allerdings inkeinster Weise den Erwartungen irgendeiner der euro-päischen Kriegsparteien. Die Kämpfe fuhren sich imStellungskrieg fest, bei den vielen Versuchen, die zer-mürbenden Materialschlachten mit einem schnellenSieg zu beenden, wurden Millionen Soldaten völligsinnlos verheizt. Die europäische ArbeiterInnen-bewegung war in ihrem ursprünglichen Vorhaben, dasgroße Gemetzel im Fall eines Kriegsausbruches durchGeneralstreiks zu verhindern, kläglich gescheitert.

Militarisierung und Aufrüstung als nationales Projekt: Propaganda für die deutsche Flottenrüstung um 1900

13 Russland war seinerseits wiederum mit Frankreich undGroßbritannien verbündet.

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03| GESCHICHTE DES FASCHISMUS IN DEUTSCHLAND

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Krieg aber abseits der enttäuschten Profithoffnungender Konzerne noch eine andere tiefgreifende Folge:Sie holten eine Entwicklung nach, die in den meistenanderen kapitalistischen Staaten bereits lange zuvorvonstatten gegangen war. Dort hatten im 17., 18. und19. Jahrhundert bürgerliche Revolutionen gesiegt unddas Gedankengut der Aufklärung hatte breite Schich-ten des BürgerInnentums erfasst. Die feudalistischenStrukturen waren überwunden und mitsamt den abso-lutistischen Regenten hinweggefegt worden. Statt des-sen hatten bürgerliche, liberale und demokratischeVorstellungen Einzug gehalten. Nicht so im deutschenund österreichisch-ungarischen Kaiserstaat, wo sichdas erst jetzt - angesichts der gewaltigen Niederlage -vollzog. Den alten Eliten aus Militär, Politik undWirtschaft konnte diese Entwicklung weder willkom-men noch gleichgültig sein. Zunächst sahen sie sichaber einer noch viel ernsteren Bedrohung ihrer bishe-rigen Macht gegenüber. Nach dem Wegfall derMonarchie als idealem Rahmen ihrer Politik hatte ih-nen die Russische Revolution recht eindrucksvoll vorAugen geführt, dass durchaus die reale Gefahr be-stand, die politischen Umwälzungen könnten mit demalten kaiserlichen System auch gleich die bisherigeEigentumsordnung beseitigen.

menbruch 1917 von Deutschland und Österreich-Ungarn aufgezwungen worden war ("Friede von Brest-Litowsk").14 Ein Vertreter des deutschen AuswärtigenAmtes schrieb damals: "Das russische Verkehrswesen,die Industrie und die ganze Volkswirtschaft müssen inunsere Hände kommen. Es muß gelingen, den Ostenauszubeuten. Dort sind die Zinsen für unsere Kriegs-anleihen zu holen." Die Expansion nach Osten zähltealso bereits lange vor Hitler zu den zentralenInteressen der herrschenden Schichten Deutschlands.Für die Gesellschaften der Verliererstaaten hatte der

Die Lüge vom "Dolchstoß" als Wahlkampfpropaganda derRechten: "Sozialdemokraten in Gemeinschaft mit den

Demokraten wollen uns zu Sklaven der Entente machen"

14Die sich nun als Opfer gerierenden Kriegsverlierer hatten Russlandeinen Frieden diktiert, an dem gemessen der Vertrag von Versaillesein großzügiges Entgegenkommen der Sieger darstellte: Russlandmusste demnach auf 26 % seines Territoriums verzichten. Es verlordamit 27% des anbaufähigen Landes, 26% des Eisenbahnnetzes,33% der Textil- und 73% der Eisenindustrie sowie 73% derKohlengruben.

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jener, die sie schon unter der Monarchie innegehabthatten. Dass diese Kreise nicht die geringsten Sym-pathien für Demokratie, Mitbestimmungsrechte und li-berales, geschweige denn sozialistisches Denken heg-ten, liegt auf der Hand. Trotzdem beherrschten sienach wie vor Deutschland. Und dieses Deutschland warzwar von Krieg, Reparationszahlungen, Gebiets-abtretungen, der Einziehung seiner Auslandsguthabenund dem Verlust eines erklecklichen Teils der Export-märkte geschwächt. Seine wirtschaftliche Potenz waraber nach wie vor enorm.

DIE WEIMARER REPUBLIK

Wenn im folgenden von der "herrschenden Schicht"(bzw. "Klasse") die Rede ist, sind damit vor allem zweiGruppen gemeint: Einerseits die Eigner des Groß-kapitals (Banken und Industrie) und des Großgrund-besitzes (die sogenannten "Junker") und anderseitsdie alten Eliten des Kaiserreiches, das Militär, dieJustiz und die Beamtenschaft.Diese Gruppen richteten ihr Bemühen in den Nach-kriegsjahren darauf, ihre angekratzte Macht abzusi-chern und sie nach Möglichkeit wieder auszubauen. Zudiesem Zweck mussten auch ideologische Anstren-gungen unternommen werden. Denn die alten "Werte"wie Militarismus, Obrigkeitshörigkeit, Rassismus (bzw.Antisemitismus) und selbstverständlich Antisozialis-mus hatten einen erheblichen Imageverlust bei weitenTeilen der Bevölkerung erfahren. Für den Fortbestandund Ausbau der eigenen Macht war es aber unerläss-lich, dass eben jene "Werte", mit denen schon dasKaiserreich seine Untertanen kriegsbereit gemachthatte, wieder Allgemeingut wurden. Diese Saat gingim Faschismus auf. Sie wurde bereits wieder ausge-bracht, als die politische Leiche des Kaiserreichs nochnicht kalt war und die faschistische Bewegung in denWindeln lag.

Doch sie bekamen unerwartete Hilfe: Auch die deut-sche Sozialdemokratie hielt nicht allzu viel von einerRevolution. Als sich vereinzelt Ansätze dazu zeigten,15

waren es sozialdemokratisch geführte Regierungen,die diese Aufstände mit Hilfe der reaktionären Armeeund rechtsradikaler Freiwilligenverbände (den soge-nannten "Freikorps") blutig niedermachen ließen.

Während also die gesellschaftlichen Verhältnisse neugeordnet wurden, blieben die Besitzverhältnisse unddamit auch der wesentlichste Teil der alten Macht-strukturen unangetastet. Um das zu erreichen, hattendie alten Eliten zwar Kompromisse eingehen müssen16,aber alles in allem waren sie trotzdem relativ glimpf-lich davongekommen. Die Armee der jungen Wei-marer Republik, ihre Justiz, ihre Verwaltung, ihrBildungsbetrieb und vor allem ihre Wirtschaft - alldiese Schlüsselpositionen verblieben in den Händen

Revolution in Deutschland - im Bild eine Machtdemonstration linker Soldaten, die sich in der "RotenArmee" zusammengeschlossen hatten und in München 1919 die bayrische Räterepublik ausriefen

Die linken Aufstände werden im Blut erstickt - Das rechtsradika-le "Freikorps Oberland" rückt in München ein und massakriert

Angehörige der "Roten Armee"

15 In Bayern 1919, im Ruhrgebiet 1920, in Thüringen 1921, in Sachsenund in Hamburg 1923.

16 So wurden alte Forderungen der ArbeiterInnenbewegung erfüllt,etwa die Einführung des Achtstundentages, die Abschaffung derpreußischen Gesindeordnung von 1810, Sozialer Wohnbau und eineArbeitslosenunterstützung, die diesen Namen auch verdiente.

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03| GESCHICHTE DES FASCHISMUS IN DEUTSCHLAND

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Die - relative - innenpolitische Ruhe endete mit demwirtschaftlichen Einbruch Ende des Jahres 1929, alsdie Weltwirtschaftskrise auch Deutschland mit vollerWucht traf. Unter dem Eindruck des Elends radikali-sierten sich die beiden politischen Lager zusehends:Die einen, weil sie bereits hungerten, die anderen,weil sie Angst davor bekamen, entweder selbst zu ver-elenden oder zumindest von ihrem Reichtum etwasabgeben zu müssen. Während für die Besitzenden injeder wirtschaftlichen Krise zwar grundsätzlich eineGefährdung ihres Reichtums und ihrer Macht besteht,eröffnen sich ihnen aber gleichzeitig auch neue Hand-lungsspielräume. Gelingt es nämlich in einer solchenSituation, Wut und Ängste breiter Schichten zu kanali-sieren und sich dabei selbst aus dem Schussfeld zu hal-ten, dann besteht die reale Möglichkeit, den Wunschnach starken Führungsfiguren zu wecken, die den Wegaus dem Elend weisen sollen. Die Bedingungen, diesich aus der Krise für demokratische Parteien und dieArbeiterInnenbewegung ableiten, sind gleichzeitigwesentlich weniger günstig: In den Augen vielerscheint es so, als würde die wichtigste Kampforgani-sation der ArbeiterInnen, die Gewerkschaft, bei einer

Innerhalb der herrschenden Klasse gab es durchausInteressensgegensätze und Meinungsunterschiede.Aber es existierte ein grober Grundkonsens, wohindie Reise gehen sollte: weg von der parlamentari-schen Demokratie, der "Herrschaft des Pöbels", hinzu einer autoritären Staatsform. Um langfristig dieeigene Macht zu gewährleisten, hart gegen sozialisti-sche Bestrebungen vorgehen zu können und letztlichdas gescheiterte Expansionsprojekt des Ersten Welt-krieges doch noch umzusetzen, musste dem "Miss-stand" Demokratie abgeholfen werden. Ein Teil der herrschenden Klasse hielt bereits 1920die Zeit für gekommen, die Macht an sich zu reißen.Unter der Führung des rechtsradikalen PolitikersKapp versuchte sie einen Putsch ("Kapp-Putsch"), deraber von den damals noch starken Gewerkschafts-organisationen durch einen Generalstreik abgewehrtwerden konnte und bereits nach 100 Stunden zusam-menbrach.

Aus diesem Scheitern wurden Lehren gezogen. DieHauptschwäche der autoritären Bestrebungen, sowurde gefolgert, bestand offensichtlich darin, dasssie über keine wie immer geartete Massenbasis ver-fügte, die sie jener der Linken hätte entgegenstellenkönnen. Wollte die Rechte das nächste Mal nicht wie-der mit wehenden Fahnen untergehen, musste siedas ändern. Parallel dazu kam es zu einem gewalti-gen Konzentrationsprozess innerhalb der deutschenWirtschaft. Um international wieder mitspielen zukönnen, entstanden gigantische Gebilde wie die"Interessengemeinschaft Farben", ein Zusammen-schluss aus Konzernen der Chemieindustrie, oder die"Vereinigten Stahlwerke", ein mächtiger Verband derSchwerindustrie. Solange dieses "nationale Aufbau-werk der Wirtschaft" bis Ende der 20er Jahre weitge-hend ungehindert vorangetrieben werden konnteund die wirtschaftliche Lage relativ stabil blieb, wur-den keine offensiven Versuche mehr unternommen,das parlamentarische System zu beseitigen. Etwa1926 war Deutschland wirtschaftlich wieder die unbe-strittene Nummer Eins in Europa.

Kapp-Putsch 1920 - Die Einheiten des reaktionären Offiziers Kapp sperren Berliner Straßen mitStacheldrahtverhauen ab. Durch einen Generalstreik der deutschen ArbeiterInnen bricht der Putsch

nach nur hundert Stunden zusammen

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Die Reichswehrführung arbeitet Mitte der20er Jahre wieder an Weltmachtplänen:

"Nächste Ziele der allgemeinen deutschen Politik.... Die obenstehenden Ausführungen über die politi-schen Ziele Deutschlands und die sich daraus ergeben-den Abrüstungsforderungen für Deutschland ergebenklar, dass es sich für Deutschland in den nächstenStadien seiner politischen Entwicklung nur um dieWiedergewinnung seiner europäischen Stellung undviel später erst um das Wiedererkämpfen seinerWeltstellung handeln wird ... Es ist ohne weiteres an-zunehmen, dass ein wiedererstandenes Deutschlandbei seinem späteren Kampfe um die Rohprodukte undAbsatzmärkte in Gegensatz zum amerikanisch-engli-schen Machtkreise kommen ... wird müssen."

(Quelle: Geheime Denkschrift des Truppenamtes des Reichswehrmi-nisteriums "Die Abrüstungsfrage nach realpolitischen

Gesichtspunkten", März 1926)

DIE PRÄSIDIALKABINETTE

Unter demokratischen Vorzeichen war nicht damit zurechnen, dass die Bevölkerung sich so einfach derarti-ge Lasten aufbürden lassen würde, im Gegenteil: siewürde sich aller Voraussicht nach wehren. Die logischeKonsequenz war, dass es eben zu einer Änderung derpolitischen Vorzeichen kommen musste. Zunächst wur-de - besonders auf Drängen der Schwerindustrie - dieletzte demokratische Regierung 1930 gestürzt unddurch insgesamt drei Präsidialregime ersetzt, die rela-tiv unbehelligt von Parteien und Parlament mitNotstandsverordnungen aus dem Ersten Weltkrieg re-gierten. Aus mehreren Gründen verscherzte es sich daserste dieser Präsidialregime unter Heinrich Brüningrelativ rasch mit zwei einflussreichen Gruppen, näm-lich mit den Großgrundbesitzern und der Armee.

schnellen Lösung der Krise versagen. Der Rechten wirdviel eher als sonst ihre Argumentation geglaubt, diedemokratische Politik hätte das Elend verursacht. Ihredauernden Kompromisse wären schuld am gegenwär-tigen Desaster. Eine Lösung könne nur durch rascheund radikale Schritte herbeigeführt werden. Und dafürbrauche es harte, entschlossene Führer. Während sich die Rechte in der Krise also im Vor-marsch befindet, muss sich die Linke ihrer Haut weh-ren.

Im Krisenjahr 1929 forcierten die herrschendenSchichten in Deutschland noch nicht definitiv ein fa-schistisches Regime. Ihr Hauptinteresse war die Durch-setzung einer Politik, die der Bevölkerung in ohnehinschon schweren Zeiten weitere Opfer abverlangte. Wiedas bewerkstelligt wurde, war vorderhand egal.Irgendjemand musste die Lasten der Weltwirtschafts-krise tragen, und die Unternehmer waren sich einig,dass das nicht sie sein wollten. Statt dessen sollten dieArbeitnehmerInnen die Zeche zahlen. Besonders dievon der Krise stark in Mitleidenschaft gezogeneSchwerindustrie drängte auf eine Sanierung durchstaatliche Investitionen - was nichts anderes bedeute-te, als den Staatshaushalt nicht mit Sozialausgaben zubelasten, sondern statt dessen Rüstungsaufträge zuvergeben.

Nachdem Deutschland sich wirtschaftlich wieder gefestigt hat, wird von der Rechten wie vor demErsten Weltkrieg der Ruf nach Weltmachtstellung und Kolonien laut. Im Bild eine gemeinsame

Kundgebung von Nazis und Deutschnationaler Volkspartei, etwa 1928

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03| GESCHICHTE DES FASCHISMUS IN DEUTSCHLAND

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Durch einen verfassungswidrigen Schritt wurde dieletzte SPD-Landesregierung in Preußen liquidiert("Preußenschlag"), dazu verfolgte Papen einen scharfantigewerkschaftlichen Kurs. Aber auch er begingFehler: Die Rechte kritisierte seine "allzu großeNachgiebigkeit" in den Verhandlungen um Repara-tionszahlungen an Frankreich. Besonders innerhalbder Reichswehr wurde nun der Ruf immer stärker, dieNSDAP an die Macht zu bringen. Dies umso mehr, alsdie Nazis, die bei den Reichstagswahlen am 6.November 1932, nach einem beispiellosen Aufstieg dieerste schwere Niederlage einstecken mussten. Es be-stand daher die nicht unbegründete Sorge, es könntebald zu spät sein, und Hitler werde wieder in derBedeutungslosigkeit versinken. Nach Papens Rücktrittkonnten sich jene Kräfte, die für eine sofortigeMachtübertragung an die NSDAP plädierten, zunächstnicht durchsetzen. Es wurde ein letztes Präsidial-kabinett unter dem General v. Schleicher eingesetzt.Der wusste, was von ihm erwartet wurde, und formu-lierte seine politische Zielrichtung so: "Der Staat musszu einem aktiven Träger des Wehrgedankens werden.Der Wehrgedanke muss Kitt einer neuen Staats-gesinnung werden. Er muss zum heilenden Serumwerden, gegen die volkszersetzenden Giftstoffe eines

Diese kritisierten vor allem das laxe VorgehenBrünings gegen "die Roten" und brachten ihn schließ-lich zu Fall. Sein Nachfolger, Franz von Papen, ent-sprach schon eher den diesbezüglichen Vorstellungen,er war der "Prototyp eines antisozialen und reaktionä-ren Staatsmannes", wie sein Kabinettskollege Schwe-rin von Krosigk versicherte. Dementsprechend sahauch seine Politik aus: Die Lasten der Deflations-politik, die zur Überwindung der Wirtschaftskrise be-trieben wurde, hatten die Arbeitenden zu tragen.

Deflationspolitikverschärft Massenarmut

Das Ziel der Deflationspolitik ist die Sanierung derStaatsfinanzen. Dazu werden in erster Linie Massen-steuern angehoben. Gleichzeitig werden staatlicheLeistungen gekürzt und der Staat "verschlankt", d. h.öffentlich Bedienstete entlassen. Die Staatsschuldenwerden somit auf die arbeitenden Menschen überge-wälzt. Der Preis für die von der Deflationspolitik be-wirkte Erhöhung der Geldwertstabilität bzw. für diekurzfristige (!) Sanierung der Staatsfinanzen ist dieVerarmung breiter Massen, und die Ingangsetzung ei-ner gefährlichen Abwärtsspirale:

Die sprunghafte Zunahme der Arbeitslosigkeitund das daraus resultierende Überangebot anArbeitskräften führt zu Lohndumping.Die Kaufkraft der Arbeitenden sinkt durchLohnkürzungen, jene der Arbeitslosen geht ge-gen null.Weil infolge dessen erheblich weniger MenschenProdukte kaufen können ("Rückgang desMassenkonsums") schlittern immer mehrUnternehmen in die Krise - und entlassen weite-re ArbeitnehmerInnen.Das Staatsbudget ist nun doppelt belastet. DieAusgaben steigen, denn wenn Arbeitslose nichtverhungern sollen, müssen sie staatlich unter-stützt werden. Gleichzeitig sinken die Staats-einnahmen, weil die mit Steuern belegtenProdukte immer weniger nachgefragt werden.

Am 3. Dezember 1930 legt Brüning dem Reichstag seine Notgesetze vor, die ausder Republik faktisch eine Diktatur machen. Nachdem mit Widerstand durch die

Linke gerechnet wird, riegelt berittene Polizei den Reichstag ab

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Reichswehr-Stellungnahme zu einereventuellen Militärdiktatur 1932

" Angesichts der ständigen Verschärfung der innenpo-litischen Lage im Reiche hatte die Führung derWehrmacht zu prüfen, ob die Wehrmacht einem zu-künftigen Ausnahmezustand gewachsen sein würde ...Als Ergebnis unserer Studie habe ich dem Reichs-wehrminister [General Kurt von Schleicher] gemeldet,dass alle Vorbereitungen getroffen seien, um einenetwa befohlenen Ausnahmezustand unverzüglich inGang zu setzen. Es habe sich aber bei sorgfältigerAbwägung gezeigt, dass die Ordnungskräfte desReiches und der Länder in keiner Weise ausreichten,um die verfassungsmäßige Ordnung ... aufrechtzuer-halten und die Grenzen zu schützen. Es sei daher diePflicht des Reichswehrministers, die Zuflucht derReichsregierung zum militärischen Ausnahmezustandzu verhindern.

(Aus der Aufzeichnung des Botschafters a. D. Ott, eines engenMitarbeiters von General Schleicher, über die Studie der

Reichswehrführung von Ende November 1932)

Schleicher selbst erkannte das Problem der fehlendenMassenbasis für eine etwaige Militärdiktatur und woll-te dem damit begegnen, eine Gemeinschaft ausWehrverbänden, Teilen der NSDAP, dem rechten Flügelder SPD und der Gewerkschaften zu schaffen. Diese"Querfrontkonzeption" musste aber schon relativ baldaufgrund des Widerstands von rechts als gescheitertangesehen werden.

selbstmörderischen Pazifismus, der Staatsverleum-dung und des Klassenkampfes. Opferbereitschaft,Disziplin, Kameradschaft im Dienste des Vaterlandesmüssen wieder nationale Tugenden werden".Trotzdem sich Schleicher redlich Mühe gab, gewannschließlich jener Flügel innerhalb der herrschendenSchicht die Oberhand, der schon seit 1929/30 derAnsicht gewesen war, autoritäre Präsidialregime reich-ten nicht, es würde eine "effektivere Staatsform" brau-chen, um die eigenen Ziele durchzusetzen. DiePräsidialregime hätten ihre wesentlichsten Aufgabendemnach nicht zufriedenstellend erfüllt. Die Be-zwingung der Krise, vor allem durch eine ausreichendeAnkurbelung der Rüstung bei gleichzeitigem Sozial-abbau, war nicht gelungen, ebenso wenig war dieKnebelung der ArbeiterInnenorganisationen im ge-wünschten Maß erfolgt. Außerdem fehlte in der Be-völkerung nach wie vor ein gefestigtes, für die geplan-te Expansionspolitik unabdingbares Wertebild.

Zunächst wurde daher erwogen eine Militärdiktatur zuerrichten, allerdings stellte die Reichswehr fest, dasshierfür die eigenen Kräfte zu schwach bzw. zu unzu-verlässig waren. Genauer gesagt: Gegen einen Feind"von oben" ohne Rückhalt im Volk sahen die Chancender ArbeiterInnenbewegung, wenn es hart auf hartging, nicht so schlecht aus, das hatte sich schon beimerwähnten Kapp-Putsch gezeigt. Die Reichswehr-führung hielt es zudem durchaus für möglich, dass imFall einer Konfrontation zwischen Militär und linkenKräften ein erheblicher Teil der faschistischen Massen-basis zur Linken überlaufen könnte.

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DIE NSDAP

An einem Septemberabend 1919 wurde ein Soldat17

zu einer Parteiversammlung im Hinterzimmer einesMünchner Gasthauses geschickt. Dort tagte eine derunzähligen rechtsradikalen Splittergruppen, die da-mals überall in Deutschland aus dem Boden schossen.In ihnen versammelten sich Zivilisten und Militärs,Kleinbürger ebenso wie Industrielle. Von Krieg undUntergang der Monarchie aus der Bahn geworfen, ein-te sie vor allem eines: der Hass auf die junge Wei-marer Republik. Die empfanden sie als Diktat derSieger, ihre Grundwerte waren ihnen fremd, und vielesahen sich durch sie ihrer bisherigen Privilegien undihres sozialen Prestiges beraubt. Die Gruppe, derenTreffen der Soldat an jenem Abend besuchte, nanntesich "Deutsche Arbeiterpartei". Ihr Programm warschwammig, wirr, hass- und vorurteilsbeladen: "DieDAP will die Adelung des deutschen Arbeiters" ... "Diegelernten und ansässigen Arbeiter haben ein Recht,zum Mittelstand gerechnet zu werden" ... "Das Groß-kapital ist als Arbeit- und Brotgeber zu schützen" ..."Gegen Wucher und Preistreiberei" .... "Religions-lehren, die mit den in Deutschland herrschendenGesetzen von Moral und Ethik in unvereinbaremGegensatz stehen, können nicht staatlich unterstützt,solche, die den Bestand des deutschen Volkes bedro-hen, überhaupt nicht geduldet werden". Später be-merkte der Soldat in seinem Buch, ihm sei der ganzeHaufen von "Vereinsmeiern", der sich großspurig"Partei" nannte, "lächerlich" vorgekommen. Der Sol-dat hieß Adolf Hitler, das Buch, in dem er über seineSicht des Abends berichtete, sollte er einige Jahre spä-ter im Gefängnis schreiben und auf Anraten seinerParteistrategen "Mein Kampf" nennen.

Der schlechte Eindruck, den der "Haufen Wichtigtuer"beim ersten Treffen auf ihn gemacht hatte, hinderteHitler jedoch nicht daran, der DAP beizutreten.

Immerhin, so schrieb er "konnte man (hier) noch ar-beiten, und je kleiner die Bewegung war, umso eherwar sie noch in die richtige Form zu bringen". Ermachte sich als Redner auf den Veranstaltungen derPartei bald einen Namen, der Zulauf wurde größer.1920 wurde ein neues Programm beschlossen, dessenHauptforderungen in einem "Zusammenschluss allerDeutschen in einem Großdeutschland", der "Auf-hebung der Friedensverträge", der "Ausschaltung derJuden" und der "Schaffung einer starken Zentral-gewalt" bestanden. Gleichzeitig benannte sich diePartei um, sie hieß fortan "NationalsozialistischeDeutsche Arbeiterpartei". Mit Hilfe der Reichswehr unddes Bayrischen Establishments wurde ihr Aufbau zügigvorangetrieben, ein Jahr später schließlich ließ sichHitler zu ihrem "Führer" krönen. Mithilfe einerVielzahl von Veranstaltungen, einer Parteimiliz, der"Sturmabteilung" (SA), die durch ihre Brutalität im-mer wieder für Aufsehen sorgte, und unterstützt vonihrer Propagandazeitung, dem "Völkischen Beo-bachter", erreichte die NSDAP einen bemerkenswertenZulauf. Allerdings kam sie vorläufig nicht über diebayrischen Grenzen hinaus und konnte auch innerhalbBayerns nur deshalb eine relative Größe erreichen,weil sie durch einflussreiche Kreise der bayrischenLandesregierung, der Reichswehr und des Beamten-apparates (und hier speziell der Justiz), massiv unter-stützt wurde. Mit deren Hilfe gelang es den Nazisschließlich auch, in anderen Teilen Deutschlands Fußzu fassen. Die Machtergreifung der Faschisten inItalien mit dem "Marsch auf Rom", Ende 1922, ließauch die Nazis glauben, ihre Zeit wäre gekommen. Siewähnten sich bereits derart stark, dass sie damit be-gannen, auch in München einen Putsch vorzubereiten.Als ein Jahr später, im Spätsommer 1923, die gesamteLage in Deutschland durch separatistische Tendenzenim Rheinland und brodelnde Unruheherde in Mittel-deutschland instabil zu werden drohte, schien Hitlerund den Seinen die Stunde zum Losschlagen gekom-men.

17 Angehöriger des Bayrischen Reichswehrkommandos 4, dem neben mi-litärischen Aufgaben auch die "politische Betreuung" im Raum Münchenzukam.

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sen. Trotz dieser durchaus plausiblen Rechtfertigunghat damit Eingang in die großdeutschen Regale gefun-den, was später angeblich niemand gewusst habenwollte: Radikaler Antisemitismus, die Vorstellung ei-ner mörderischen "Lebensraum-im-Osten"-Politik undein Expansionsdrang, der einen Krieg unausweichlichmachte.Nachdem die Naziführer ihre Haftzeit verbüßt hatten,änderten sie ihre politische Konzeption: Nicht mehrein Putsch sollte sie nun an die Macht bringen, son-dern innerhalb des demokratischen Rahmens wolltensie die Macht im Staat erringen. "Wenn es auch längerdauert, sie (die Demokraten, Anm.) zu überstimmenals sie zu erschießen, so wird uns ihre eigene Ver-fassung den Erfolg garantieren", hielt Hitler damalsfest. Allerdings schien es vorerst nicht so, als sollte erdamit rechtbehalten, ganz im Gegenteil. Bei denReichspräsidenten-Wahlen 1925 erhielt der NSDAP-Kandidat, der Weltkriegsgeneral Ludendorff, knappüber ein Prozent der abgegebenen Stimmen. Auchsonst waren die folgenden Jahre für die Nazis keinerosige Zeit. Von den Gönnern mehrheitlich im Stich ge-lassen und von einem großen Teil der Gefolgschaftwieder verlassen, fristete die NSDAP ein kümmerlichesDasein. Trotz ihrer immer noch regen Propaganda-tätigkeit wollte sich ein größerer Erfolg nicht und nichteinstellen: Im sächsischen und im thüringischen Land-tag war die NSDAP mit je zwei Abgeordneten vertre-ten, im braunschweigischen Landtag und in der Ham-burger Bürgervertretung mit je einem. Bei denReichstagswahlen 1928 lag die Partei mit mageren 2,6Prozent nur an 10. Stelle und büßte zwei ihrer sech-zehn Mandate ein. Hinzu kamen innerparteilicheQuerelen: Die Partei"linke" um Gregor und OttoStrasser verlangte eine stärkere Betonung der "sozia-listischen Parteiinhalte". Sie hatte nicht begriffen, dassantikapitalistische Parolen nur als Lockmittel für dieangestrebte Massenbasis dienen sollten. Die Gruppeum Hitler wusste genau, dass man keinesfalls die oh-nehin spärlichen Gönner, etwa den IndustriellenHugenberg, mit allzu "roten" Forderungen verstim-men durfte. Sie bekämpfte daher alle "linken"Bestrebungen innerhalb der NSDAP vehement.

Doch man hatte sich in der Einschätzung der Loyalitätder Reichswehr einstweilen geirrt: Der Putsch endetejämmerlich im Kugelhagel der bayrischen Polizei. Die Niederlage brachte den erfolgsverwöhnten Hitlerzunächst völlig aus der Fassung, er dachte an Selbst-mord. Doch bald war er, nicht zuletzt durch denZuspruch hochgestellter Persönlichkeiten und dieNachricht von regierungsfeindlichen Regungen inner-halb der Bevölkerung, wieder obenauf. Den Prozessgegen ihn und die anderen Putschisten, der mit einemlächerlich geringen Strafmaß und richterlichem Lobfür den "rein vaterländischen Geist" der Tat endete,nutzten die Nazis zur Selbstdarstellung bis zumExzess. Während Hitler seine, wie der Richter es nann-te, "Ehrenhaft" absaß, schrieb er den ersten Teil seinesBuches "Mein Kampf", das als Parteiprogramm und of-fizielle Parteigeschichte dienen sollte. Das Werk istAusdruck der zusammengeklaubten Hitlerischen Welt-anschauung, verbunden mit Selbstbeweihräucherungund rührseligen Geschichten aus Hitlers ach so kargerJugend. Das Buch fand sich später in beinahe jedemdeutschen und österreichischen Bücherschrank. Nach1945 hieß es allgemein, es wäre von letztklassigerQualität gewesen und deshalb hätte es niemand gele-

Nazi-Putsch 1923 - Straßensperre in München,im Vordergrund der spätere SS-Chef Heinrich Himmler

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weiten Kreisen der Bevölkerung konnten die Nazis für sichnutzen. Ihre Propaganda vermied sorgsam allzu konkreteLösungsvorschläge18, ihr Kampf war gegen, nicht aufirgendetwas gerichtet.

In bis dahin ungekannten, perfekt inszenierten Groß-veranstaltungen boten die Nazis ihrem Fußvolk Unter-haltung und Gruppenerlebnis. Das geschah in Dimen-sionen, die sich die demokratischen Parteien schlicht undeinfach nicht leisten konnten. Die NSDAP aber schwammnach der Anti-Young-Plan-Kampagne in den Geldern derIndustrie.19

Das Geheimnis, das die Nazis ursprünglich von der Linkenübernommen hatten und nun weiter verfeinerten, bestandnicht einfach im Spektakel, sondern auch in der Akti-vierung der Massen. Während andere bürgerliche Parteienpolitische Arbeit vor allem von bezahlten Funktionären er-ledigen ließen, vermittelten die Nazis den Menschen, durch

Programmatische Änderungen, um reicheGeldgeber nicht zu verschrecken

Hitler verlautbarte zum NSDAP-Programm von 1920im Jahr 1928 folgende Erläuterung: "Gegenüber denverlogenen Auslegungen des Punktes 17 des Pro-gramms der NSDAP von seiten unserer Gegner ist fol-gende Feststellung notwendig. Da die NSDAP auf demBoden des Privateigentums steht, ergibt sich vonselbst, dass der Passus "unentgeltliche Enteignung"nur auf die Schaffung gesetzlicher MöglichkeitenBezug hat, Boden, der auf unrechtmäßige Weise er-worben wurde oder nicht nach den Gesichtspunktendes Volkswohls verwaltet wird, wenn nötig, zu enteig-nen. Dies richtet sich demgemäß in erster Linie gegendas jüdische Grundspekulationsgeschäft."

Ende des Jahres 1928 bot sich nach langer Durst-strecke für die Nazis die Möglichkeit, sich ins Zentrumder öffentlichen Aufmerksamkeit zu katapultieren.Anlass war der sogenannte "Young-Plan", ein Über-einkommen zwischen Deutschland und den Alliiertenüber die Reparationszahlungen, wogegen Hitler & Co.nun gemeinsam mit anderen rechten Gruppen zuFelde zogen. Unter großem Propagandagetöse wurdeein Volksbegehren veranstaltet, dem letztlich geringerErfolg beschieden war. Seinen Zweck für die Re-publikfeinde erfüllte es aber auf ganzer Linie: Mit ei-ner ungeheuren Hetze war es gelungen, Stimmung ge-gen das demokratische System zu machen.Gleichzeitig stand die NSDAP wochenlang imMittelpunkt des öffentlichen Interesses. Das schlug sichauch in den darauffolgenden Wahlen nieder: InThüringen stellte die NSDAP mit Frick als Innen- undVolksbildungsminister fortan erstmals ein Regierungs-mitglied. Zwei Jahre später schließlich, 1930, erreich-ten die Nazis bei den Reichstagswahlen sensationelle18,3 Prozent und wurden zur zweitstärksten Parteihinter der SPD. Dazu trug besonders die Wirtschafts-krise bei, die 1929 Deutschland voll erfasst hatte. DieArbeitslosenzahl explodierte, AnlegerInnen und vorallem SparerInnen wurden stark in Mitleidenschaft ge-zogen. Die daraus resultierende Panikstimmung in

Die SA und ihr Terror in denArbeiterInnenvierteln deut-scher Städte werden von derrepublikanischen Exikutivemeist nicht bekämpft sondernsogar gefördert: NachdemNazis im August 1932 das roteHamburger "Gängeviertel"überfallen haben, setzt diePolizei mit einer Waffenrazzianach. Um "die linke Gewalt zubekämpfen", wie es heißt

18 In der Praxis äußerte sich das dann in Wahlslogans wie: "Wer will, dass esanders wird, wählt Adolf Hitler"19 Zur Illustration einige Zahlen: Alleine im Bundesland Baden führte dieNSDAP im März 1930 sage und schreibe 900 Veranstaltungen durch. Vonden 4.135 Veranstaltungen in Hessen-Nassau zwischen 1. April und 30.August 1931 entfielen satte 1.910 auf die NSDAP, wohingegen die SPD imgleichen Zeitraum auf 447 Veranstaltungen verweisen konnte.

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In der bürgerlichen Geschichtsschreibung ist oft dieRede davon, dass der Rechtsruck bei den Wahlen von1930 wie auch die gesamte NS-Bewegung vor allemein Produkt der Arbeitslosigkeit und des durch dieWirtschaftskrise bedingten Elends gewesen sei. An-hand der beschriebenen sozialen Zusammensetzungder NSDAP wird aber deutlich, dass es sich bei diesenDarstellungen zumindest um Geschichtsverdrehung,wenn nicht überhaupt um bewusste Lügen handelt.Nicht "die Arbeitslosigkeit" und "das Elend" warenHauptmotivation, bei den Wahlen die extreme Rechtezu unterstützen, sondern die Angst vor der Armut.Diese Angst vor dem sozialen Abstieg packte be-sonders den von der Wirtschaftskrise arg gebeuteltenMittelstand.

Obwohl der Einbruch in das wichtigste WählerInnen-segment, das zur Erreichung der absoluten Mehrheitunbedingt nötig war, vorläufig noch nicht so recht ge-glückt war, war sich Hitler nach seinem Triumph am24. September 1930 sicher, die politische Macht auf le-galem Weg an sich reißen zu können. Die Nazis woll-ten deshalb keinesfalls Gefahr laufen, mit Hilfe derNotverordnungen, auf deren Grundlage der damaligeReichskanzler Brüning regierte, womöglich verbotenzu werden.20 Um kein unnötiges Risiko einzugehen, er-ließ die NS-Parteispitze den Befehl, bestehendeGesetze unbedingt zu respektieren, andernfalls wurdemit dem Parteiausschluss gedroht. Doch diese zwangs-weise "Anpassung" war nur relativ. Nach wie vor stan-den Aufmärsche und Terror gegen die Linksparteien,wenn auch in kurzfristig abgemilderter Form, auf derTagesordnung. Ein besonderes Bestreben der Naziswar es außerdem, die Arbeit des Parlamentes bei jedersich bietenden Gelegenheit zu sabotieren. Langfristig

eigenes Engagement im Rahmen der NSDAP und ihrerVorfeldorganisationen das eigene Schicksal verändernzu können. Gefordert wurden totale, uneingeschränk-te Treue und Verfügbarkeit. Dem Verlangen nachKampf und Opfer wurde durch aufsehenerregende,blutige Straßenschlachten entsprochen, die sich SA, SSund Hitlerjugend vornehmlich mit linken Verbändenlieferten.Die NSDAP war somit in gewisser Weise eine "poten-zierte Partei", die ein Maß an Bereitschaft von ihrenAnhängerInnen forderte, das bei den übrigen Parteiender Weimarer Republik nicht üblich war.Der enorme Aufwand, die endlosen Hetztiraden, hun-derte Straßenschlachten (aus denen der NS-"Bewe-gung" durch die wohlmeinende Milde der Richter zu-meist kein ernstlicher Nachteil entstand) und letztenEndes die bewusst geschürte Panikstimmung infolgeder Wirtschaftskrise lohnten sich schließlich: Was füreinen Sprung bedeuteten die 18,3% im Jahr 1930 fürdie Nazis, angesichts der 2,6% bei den vorangegange-nen Reichstagswahlen von 1928! Damit einhergehendwuchs auch die Zahl der Mitglieder enorm an, die sichzwischen 1930 und der endgültigen Machtübernahme1933 versechsfachte.Interessant im Zusammenhang mit dem Stimmen- undMitgliederzuwachs ist vor allem das soziale Milieu,dem dieser Anhang mehrheitlich entstammte. Die so-ziale Zusammensetzung des NS-Wahlvolkes entsprachnämlich keineswegs den Vorstellungen Hitlers und sei-ner Mannen: Der Wahlerfolg unter den Werktätigenwurde zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd derenAnteil an der Gesamtbevölkerung gerecht, sondernblieb im Gegenteil weit hinter diesem zurück. Stattdessen waren Selbstständige und Beamte krass über-repräsentiert.

Berufsgruppe Anteil der jew.Berufsgruppe anden Mitgliedernder NSDAP

Anteil der jew.Berufsgruppe ander Gesamtge-sellschaft

Repräsentanz der jew. Be-rufsgruppe in der NSDAP,ausgehend von ihrem Anteilan der Gesamtgesellschaft

Arbeiter 28,1 % 45,9 % 61,2 %

Angestellte 25,6 % 12 % 213,5 %

Selbstständige 20,7 % 9 % 230 %

Beamte 8,3 % 5,1 % 162,7 %

Bauern 14 % 10,6 % 132

Sonstige (männliche Pers.) 3,3 % 17,4 % 18,9 %

Die Sozialstruktur der NSDAP 1930 Die NSDAP hatte nicht in allenGesellschaftsgruppen den gleichenErfolg: Während nur 28 Prozentder NSDAP-Mitglieder Arbeiter-Innen waren, betrug deren Anteilan der Gesamtbevölkerung 45,9Prozent. Bei Angestellten undSelbstständigen war das Verhältnisumgekehrt: Beide waren doppeltso stark in der NSDAP vertreten alses ihrem Anteil an der Gesamt-bevölkerung entsprach

Quelle: Deutsches Historisches Museum

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Wahlergebnisse 1928 - 1933

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4. Reichtagswahl20.5.1928

5. Reichtagswahl14.9.1930

6. Reichtagswahl31.7.1932

7. Reichtagswahl6.11.1932

8. Reichtagswahl5.3.1933

Parteien % Mandate % Mandate % Mandate % Mandate % Mandate

NSDAP 2,6 12 18,30 107 37,4 230 33,1 196 43,9 288

DNVP 14,2 73 7,00 41 5,9 37 8,8 52 8 52

Kons. Volkspartei n.a. n.a. 0,80 4 n.v. n.v n.a. n.v. n.a. n.v.

Christl. Soz. VD n.a. n.a. 2,50 14 0,9 3 1,2 5 1 4

Landbund 0,7 3 0,60 3 0,3 2 0,3 2 0,2 1

Landvolkpartei 1,9 10 3,20 19 0,2 1 0,1 n.v. n.a. n.v.

Bauernpartei 1,6 8 1.00 6 0,4 2 0,4 3 0,3 2

Volksrechtspartei 1,6 2 0,80 n.v 0,1 1 n.a n.v. n.a. n.v.

DVP 8,7 45 4.50 30 0,2 7 1,9 11 1,1 2

Wirtschaftspartei 4,5 23 3,90 23 0,4 2 0,3 1 n.a. n.v.

Deutsch-Hann.P 0,6 3 0.50 3 0,1 n.v 0,2 1 0,1 n.v.

BVP 3,1 16 3,00 19 3,2 22 3,1 20 2,7 18

Zentrum 12,1 62 11,80 68 12,5 75 11,9 70 11,2 74

DDP 4,9 25 3,80 20 1 4 1 2 0,9 5

SPD 29,8 153 24,50 143 21,6 133 20,4 121 18,3 120

USPD 0,1 n.v. n.a. n.v. n.a. n.v. n.a. n.v. n.a. n.v.

KPD 10,6 54 13,10 77 14,6 89 16,9 100 12,3 81

Sonstige 3 2 0,70 n.v. 0,2 n.v 0,4 n.v. n.a. n.v.

Summe 100 491 100,00 577 100 608 100 584 100 647

20 Die Notverordnungen hatten unter anderem eine "Bekämpfung politi-scher Ausschreitungen" zum Ziel.21 Mit besonderer Vorliebe nutzten die Nazis Misstrauensanträge dazu,GegnerInnen zu denunzieren und ihnen ihre politische Glaubwürdigkeit zunehmen. Im Versuch, das deutsche Parlament, den Reichstag, vor den Augenaller der Lächerlichkeit preiszugeben, kam es zu skurril anmutendenBündnissen: So konnten sich die Nazis bei fast allen Störaktionen auf dieUnterstützung ihres Hauptfeinds, der KPD, verlassen, die damit - freilich mitanderen Hintergedanken - zeitweise indirekt zur Partnerin der Faschistenmutierte. Umso absurder erscheint das in Anbetracht des Umstandes, dassdie Kooperation im Reichstag keine der beiden Seiten davon abhielt, sichzur selben Zeit blutige Kämpfe in allen Teilen Deutschlands zu liefern.22 Die NSDAP wurde mit 37,4% der abgegebenen Stimmen zur stärkstenPartei.23 In Schleswig-Holstein erreichten die Nazis 51%.

sollte damit erreicht werden, dass die Republik denBürgerInnen als handlungsunfähiger Bürokratiekolosserschien.21 Tatkräftig unterstützt wurden die Nazis da-bei von den anderen Rechtsparteien, die bereitwilligdas Ihre beitrugen, der Republik ihr Grab zu schau-feln.

Im Superwahljahr 1932 machte sich diese Taktik fürdie Feinde der Republik, besonders für die Nazis, be-zahlt - allerdings nicht genug. Hitler und seinem An-hang wurde trotz des Wahltriumphs bei den Reichs-tagswahlen am 31. Juli 193222 deutlich vor Augen ge-führt, dass die erträumte absolute Mehrheit nach wievor in weiter Ferne war - der Sprung über die 50-%-Marke war nur in Teilen Norddeutschlands geglückt.23

Quelle: Hofer (Hrsg.): Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933 - 1945, Frankfurt/ Main 1957, S 23

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militärischen Grades stets abschätzig "böhmischenGefreiten"24 nannte, die "alten Werte" an der SpitzeDeutschlands repräsentieren sollte. Als Hitler in dieser Situation bei seiner Forderungblieb und das Angebot ausschlug, stellvertretenderReichskanzler zu werden, folgte ihm seine Partei nochgeschlossen in die Opposition.25

DER WEG ZUR MACHT UND MACHTÜBERNAHME

Nachdem Hitler das Angebot, Vizekanzler zu werden,zurückgewiesen hatte, beschritt die NSDAP zunächstden bewährten Weg der Fundamentalopposition.Wütend wurde das Kabinett Papen als "kapitalistisch"verunglimpft und gegen "das alte System der altenHerrschaften" gewettert. Als aber bei den neuerlichenReichstagswahlen im November des selben Jahres imBundesdurchschnitt 4,1% der Stimmen verloren gin-gen, brach auf dem braunen Kahn Panik aus: Hitlerdachte wieder einmal an Selbstmord, Goebbels notier-te verdrießlich in sein Tagebuch "wir siegen uns nochzu Tode" und auch die aus dem ganzen Reich in derParteizentrale einlaufenden Meldungen beunruhigterlokaler Parteichefs, die von einem immer stärker wer-denden Meinungsumschwung und damit Mitglie-derschwund berichteten, waren nicht dazu angetan,den "Führer" und seine Vertrauten aus ihrer Depres-sion zu holen. Zusätzlich verzeichnete die NSDAP, be-dingt durch ihre aufwändige Propaganda, einen histo-rischen Tiefststand in der Parteikasse, und das trotzgroßzügiger Unterstützung durch Industrielle - esmusste also etwas passieren, und zwar schnell. Dennnoch eine Entwicklung bedrohte nun die Ziele derNazis: Es zeichnete sich allmählich ein Ende derWirtschaftskrise ab. Folgerichtig hieß es auch in den"Deutschen Führerbriefen"26 vom 4. November 1932:"Der Sinn der Krise müsste für das Unternehmertumsein, dies System, auch mit vorübergehenden Un-

Guter Rat war teuer. Denn obwohl das Ziel klar war -die Macht im Staat - ergaben sich angesichts der feh-lenden absoluten Mehrheit massive Schwierigkeiten.Das Hauptproblem der NSDAP bestand nämlich darin,dass eine Koalition mit anderen Parteien de facto nichtin Frage kam. Man hatte sich zwar die grundsätzlicheUnterstützung der wichtigsten reaktionären Gruppen(Deutschnationale Volkspartei und Stahlhelm) durchden Abschluss einer Übereinkunft, theatralisch "Harz-burger Front" genannt, gesichert. Aber zum Leidwesender Nazis war dieses Abkommen keineswegs gleichbe-deutend mit einer Selbstaufgabe von DNVP undStahlhelm: Die verfolgten nämlich durchaus Eigen-interessen und waren mitnichten willens, als bloßeSteigbügelhalter für Hitlers absoluten Führungs-anspruch herzuhalten. Ebenso ausgeschlossen war esfür die Nazis, eines der sich seit 1930 mehrendenKoalitionsangebote demokratischer Parteien anzuneh-men. In diesem Fall wären Hitler und seine Mannen jagezwungen gewesen, zu zeigen, dass sie nicht nur gro-ße Reden gegen "das System der Altparteien" schwin-gen konnten. Sie hätten innerhalb des verhassten de-mokratischen Systems Politik machen müssen - undbei den nächsten Wahlen die Rechnung präsentiert be-kommen. Was also tun? Eine Schlüsselrolle kam in die-ser Situation dem Reichspräsidenten Hindenburg zu.Ihm oblag es, Parteienvertreter mit der Regierungs-bildung zu beauftragen. Doch der greise Erzreaktionärsträubte sich: Als Hitler am 13. August 1932 von ihmkategorisch gefordert hatte, zum Reichskanzler er-nannt zu werden, zog Hindenburg ein Präsidialregimeunter Papen vor. Grund dafür war nicht die Ver-teidigung demokratischer Werte, mit denen auchHindenburg herzlich wenig am Hut hatte. Vielmehrdürften Standesdünkel des alten Aristokraten eineRolle gespielt haben. Ihn schmerzte offensichtlich derGedanke, dass ausgerechnet der Kleinbürger Hitler,den er wegen seiner Herkunft und seines niedrigen

24 Grund für diese Bezeichnung war die Verwechslung von Hitlers oberösterreichischer Geburtsstadt Braunau/ Inn mit der gleichnamigen Stadt inBöhmen.25 Das änderte sich mit der Wahlniederlage im November 1932. Unter Gregor Strasser formierte sich eine Strömung, die ihre Chancen den Bachhinuntergehen sah und wenigstens auf einen Teil der Macht nicht verzichten wollte.

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Entwicklung dem Zufall überlassen: Bereits am 19.November richteten sie gemeinsam mit anderenFührern von Großindustrie, Bankwesen und Groß-agrariern eine Petition an Hindenburg. In demSchreiben hieß es, man erachte es als "Gewissens-pflicht, Eure Exzellenz ehrerbietigst zu bitten, dass zurErreichung des von uns allen unterstützten ZielesEurer Exzellenz die Umgestaltung des Reichskabinettsin einer Weise erfolgen möge, die die größtmöglicheVolkskraft hinter das Kabinett bringt". Und weiter:"Die Übertragung der verantwortlichen Leitung einesmit den besten sachlichen und persönlichen Kräftenausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer dergrößten nationalen Gruppe (gemeint waren Hitler unddie NSDAP, Anm.) wird die Schlacken und Fehler, diejeder Massenbewegung notgedrungen anhaften, aus-merzen und Millionen Menschen, die heute abseits ste-hen, zu bejahender Kraft mitreißen."27 Hindenburg,der aristokratische preußische Militär, gab dem massi-ven Drängen von Bankiers, Großgrundbesitzern,Industriellen und Reichswehrgenerälen schließlichnach. Er überwand seinen Widerwillen gegenüber dem"Plebejer Hitler" und ernannte ihn am 30. Jänner1933 zum Reichskanzler. Dies geschah zwar unter derBedingung, dass Papen das Amt des Vizekanzlers be-kleiden sollte, aber den Nazis bereitete das wenig

bequemlichkeiten, los zu werden (...) In der Kon-junkturzeit wird man es nie mehr los werden." Die Gönner Hitlers aus Banken und Industrie warenschon im Wahlkampf vom Verhalten der Nazis nichtbesonders erbaut gewesen. Nach den starken Ver-lusten der NSDAP versuchten sie diese zu beruhigenund sorgten sich offensichtlich, die Nazis könnten jetztendgültig die Nerven verlieren. Am 12. Novemberwandte sich Hjalmar Schacht, der deutsche Reichs-bankpräsident, in einem Brief an Hitler und ersuchteihn, von allzu harscher antikapitalistischer Agitationdoch abzusehen. Schacht bat - trotz Verständnis fürdiese "kleinen Unebenheiten" in der Propaganda - umMäßigung, "weil das ganze gegenwärtige System sichmit Sicherheit totläuft."

Anderen fehlte diese Zuversicht offensichtlich: "Als dieNSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlagerlitt und somit also ihren Höhepunkt überschrittenhatte, wurde eine Unterstützung durch die deutscheWirtschaft besonders dringend", fasste der BankierKurt von Schröder während des NürnbergerKriegsverbrecherprozesses die damalige Situation ausder Sicht des Großkapitals zusammen. Auch derIndustrielle Fritz Thyssen, Aufsichtsrat der VereinigtenStahlwerke, beurteilte die Lage in einem Schreiben anMax Schlenker, den Geschäftsführer des "Vereins zurWahrung der gemeinsamen Interessen in Rheinlandund Westfalen", am 11. November 1932 ähnlich: "Esist meiner Ansicht nach ganz unverantwortlich, dassman eine solche Bewegung solchen Gefährnissen [ge-meint ist die Weigerung Hindenburgs, Hitler zumReichskanzler zu ernennen, Anm.] aussetzt, die da-durch nur, wie es bei der Reformation geschah, aus ih-rem geraden, eindeutigen Weg herausgedrängt wer-den kann." Thyssen und von Schröder wären keine gu-ten Geschäftsleute gewesen, hätten sie die kommende

26 Die "Führerbriefe" waren streng vertrauliche Privatkorrespon-denzen für die Führungskräfte der Wirtschaft, der (rechten) Politikund des Militärs. Sie standen unter dem Einfluß der IG-Farben, derrheinisch-westfälischen Schwerindustrie und des Braunkohleindus-triellen Paul Silverberg.

27 Die Eingabe wurde unterzeichnet von Hjalmar Schacht (Reichsbankpräsident), Kurt Freiherr vonSchroeder (Mitinhaber des Kölner Bankhauses Stein), Fritz Thyssen (Schwerindustrieller), EberhardGraf von Kalckreuth (Großgrundbesitzer), Friedrich Reinhart (Direktor der Commerz- und Privatbank),Kurt Woermann (Großreeder und Großkaufmann), Fritz Beindorff (Großreeder), Kurt von Eichborn(Bankier), Emil Helfferich (Vorstandsmitglied der Großreederei Hapag), Ewald Hecker (Vorsitzenderdes Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller), Carl Vincent Krogmann (Großreeder), Dr. ErwinLübbert (Industrieller, Stahlhelmwirtschaftsrat), Erwin Merck, Joachim von Oppen (Großgrundbesitzer),Rudolf Ventzky, Franz Heinrich Witthoefft (Großkaufmann), August Rosterg (Vorstandsmitglied desKali-Konzern Wintershall), Robert Graf von Keyserlingk (Großgrundbesitzer), Kurt G. E. von Rohr-Manze (Großgrundbesitzer), Engelbert Beckman (Vorstandsmitglied der Rhein. Landesbank); AlbertVögler (Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke), Paul Reusch (Generaldirektor derGutehoffnungshütte Oberhausen) und Fritz Springorum (Stahlkonzern Hoesch) erklärten ihrEinverständnis mit der Eingabe, unterschrieben aber nicht das Original,um sich politisch nicht zu exponieren; Während der Nürnberger Kriegs-verbrecherprozesse diente die Eingabe als Belastungsbeweis,Beweisdokument PS 3901.

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Obwohl untereinander zer-stritten, verfügt die Linke im-mer noch über eine Macht, dieWirtschaft und Militär bis zumSchluss Sorgen bereitet - Hierein Aufmarsch der "EisernenFront", einer gemeinsamenantifaschistischen Wehrforma-tion von SPD und Gewerk-schaft, in Berlin, März 1932

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DAS VERSAGEN DER LINKEN

An dieser Stelle soll aber auch darauf hingewiesenwerden, dass es keine "Vorsehung", kein "Schicksal"gab, das die Machtübernahme durch die Nazis unaus-weichlich gemacht hätte. Auch wenn keineswegs mitSicherheit zu sagen ist, dass ein geeintes Vorgehen derArbeiterInnenparteien und ihrer Organisationen ge-gen die Nazis Anfang der 30er wie bei der Nieder-schlagung des Kapp-Putsches 1920 von Erfolg gekröntgewesen wäre, lässt sich mit Bestimmtheit feststellen,dass es nur unter dieser Voraussetzung überhaupt ersteine reale Chance gegeben hätte, die Machtüber-nahme durch die NSDAP zu verhindern.

SPD und KPD kamen sich im Kampf gegen den Fa-schismus aber erst nahe, als es bereits viel zu spät war,eine Einheitsfront zu bilden um gemeinsam die Naziswirksam bekämpfen zu können. Die Aktivitäten der KPD in den Jahren des faschisti-schen Aufstieges konzentrierten sich vor allem darauf,die Fehler und den "Verrat der SPD an der Revolution"anzuprangern. In der Sozialdemokratie, nicht im Fa-schismus, sahen die KommunistInnen den eigentlichenHauptfeind.

Kopfzerbrechen - solange er einwilligte, ihnen dieMacht zu übertragen, hatten sie nichts dagegen, "fürden alten Herren" eine "gewisse Beruhigung ... zuschaffen", wie sich Wilhelm Keppler, wirtschaftspoliti-scher Berater Hitlers, ausdrückte.

Denn mit der Ernennung Hitlers war zwar noch nichtdirekt die faschistische Diktatur aufgerichtet, aber derFuß war in der Tür. Nun konnten die Nazis und ihreBündnispartner daran gehen, ihre Macht zu festigen,ihre Gegner auszuschalten und die Vorbereitungen fürden großen Raubkrieg zu treffen.

Das Bündnis von Nazis und alten Eliten ist am Ziel: Hitler wirdReichskanzler, Franz von Papen Vizekanzler, im Bild mit dem nun-

mehrigen Reichswehrminister, dem aristokratischen General Werner von Blomberg

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Aktivierung der Massen, etwa im Rahmen von Streiks,wurde (außer in Wahlkampfzeiten) lediglich als stö-rend empfunden.

Je stärker die Sozialdemokratie sich am bürgerlichenSystem beteiligte, umso stärker rutschte sie auch selbstim politischen Spektrum nach rechts und war bereit,Maßnahmen in Kauf zu nehmen und mitzutragen, diein erster Linie auf Kosten der eigenen Klientel gingen.Durch die Nicht-Aktivierung und die ständige Kom-promisspolitik28 einerseits und eine völlig fehlende po-litische Perspektive andererseits wurden die eigenenAnhängerInnen über Jahre hinweg demoralisiert undzermürbt. Als die Rechte schließlich zum Sturm blies,hatte die Sozialdemokratie ihr nicht mehr viel ent-gegenzusetzen.

Auch wurde völlig verkannt, dass eine bürgerlicheDemokratie, so wenig sie auch dazu angetan seinmag, soziale Gerechtigkeit zu schaffen, trotz allemwertvolle Rechte und Freiheiten garantiert. Mit demsystematischen Aushöhlen der Weimarer Republik tru-gen die KommunistInnen letztlich dazu bei, sich selbsteiner besseren Ausgangsbasis für den Kampf gegenden Faschismus zu berauben.Die SPD agierte nicht viel besser: Während in den frü-hen Nachkriegsjahren sämtliche Revolutionsversuchein Zusammenarbeit mit dem monarchistischen Offi-zierskorps äußerst blutig niedergemacht wurden, fühl-ten sich die SPD und der an ihr orientierteGewerkschaftsbund ADGB die gesamten 20er Jahrehindurch bemüßigt, ausgerechnet der bürgerlichenOrdnung und damit der Machtstruktur der alten, anti-demokratischen Eliten das Wort zu reden. Die SPDglaubte noch 1927, als die Weltwirtschaftskrise sichbereits allgemein abzeichnete, dass mit größerenKrisen generell nicht mehr zu rechnen sei. Der "wilde"Kapitalismus, der zum Ausbruch des Ersten Welt-krieges geführt hatte, sei einem "organisierten" Kapi-talismus gewichen, begründeten führende Theoreti-kerInnen der SPD diese Erkenntnis. Folgerichtig be-gann die SPD, sich nahezu ausschließlich auf parla-mentarischem Weg um Reformen zu bemühen. Die

28Das dauernde Zurückweichen der SPD vor der Rechten gipfelte dar-in, dass sie als stärkste Partei die Präsidialkabinette und derenPolitik, die offenen Verfassungsbruch bedeuteten, widerstandslosmittrug.

Statt den Faschismus zu bekäpfen zerfleischen sich die Linksparteiengegenseitig. KPD-Propagandaslogan gegen die "sozialfaschistische"

SPD an einer Berliner Hauswand.Die Einigkeit gegen den Faschismus kommt zu spät:

Gemeinsamer Aufmarsch von KPD und SPD in Berlin vor den Reichstagswahlen im Juli 1932

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derte, war es schließlich egal, wer die Ausbeuter wa-ren. Die fehlende Unterstützung im Volk war dannauch der Hauptgrund für die lange, schleppende Eini-gung Italiens. Ab 1871 vereinigte das KönigreichItalien schließlich die meisten Regionen der Apen-ninenhalbinsel einschließlich des vormaligen Kirchen-staats.29

Unerfüllt blieb der italienische Wunsch nach derAngliederung Südtirols, des Trentinos und Triests, dieweiterhin zum Habsburgerreich gehörten. Ebenso wardem Versuch des jungen Italien, Kolonien zu erwer-ben, wenig Erfolg beschieden. Das Königreich kam -wie Deutschland - einfach zu spät, die Welt war groß-teils schon verteilt. Einige Versuche, wenigstens inRandzonen Fuß zu fassen, endeten in militärischenFiaskos, so etwa in Abessinien (dem heutigen Äthio-pien). Im Inneren war die Atmosphäre im Italien desausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahr-hunderts geprägt von Revolten und Aufständen derverarmten Landbevölkerung und der ArbeiterInnen inden Fabriken30.Am Vorabend des Weltkrieges eskalierte die innenpo-litische Situation schließlich. In allen Teilen des Landesbrachen revolutionäre Massenstreiks los, in mehrerenGroßstädten kam es zur Besetzung von Ämtern und öf-fentlichen Gebäuden, vielerorts wurde die Republikausgerufen. Die Aufstände konnten schließlich nurdurch den Einsatz von Truppen niedergeschlagen wer-den, die ein Blutbad anrichteten. Die "Roten Wochen"erschütterten trotzdem die italienische Monarchie inihren Grundfesten.

VON DER ITALIENISCHEN EINIGUNG BIS ZUMERSTEN WELTKRIEG

Ähnlich wie in Deutschland erfolgte das Ende des ita-lienischen nationalen Einigungsprozesses erst relativspät. Auch die Gründe für die Schaffung eines einheit-lichen Nationalstaates statt vieler kleiner Herzog-tümer waren ähnlich: Das Besitzbürgertum verlangtenach einem einheitlichen Wirtschafts- und Ver-waltungsgebiet. Unterschiedliche Zölle und Handels-bestimmungen sollten nicht länger die ökonomischeExpansion erschweren. Zusätzlich hatten große Teiledes Adels die Fremdherrschaft satt (weite GebieteItaliens wurden bis dahin von österreichischen undfranzösischen Fürsten beherrscht). Um diese los zuwerden, waren die einzelnen kleinen Staaten aber zuschwach, deshalb erstarkte auch in der italienischenAristokratie die nationale Idee. Sowohl Aristokratie als auch Bürgertum beabsichtig-ten allerdings nicht, an den feudalen Besitzver-hältnissen etwas zu ändern. Genau diese Besitz-verhältnisse waren aber für die Not der völlig verarm-ten Masse der - zum überwiegenden Teil ländlichen -italienischen Bevölkerung verantwortlich. Somit fehlteallen, die nicht den traditionellen Eliten oder dem auf-strebenden Besitzbürgertum angehörten, jeglicheMotivation, sich am Kampf für ein einheitliches Italienzu beteiligen. Wenn sich an der Ausbeutung nichts än-

DER ITALIENISCHE FASCHISMUS

29 Der Kirchenstaat durchzog ursprünglich etwa auf der Höhe Romsdie gesamte italienische Halbinsel. Seine Beseitigung hatte klarer-weise nicht gerade Freudenstürme im Vatikan entfacht. Der damitentstehende Konflikt (die "römische Frage") war einer derHauptgründe für die spätere positive Haltung der Kirche gegenüberdem Faschismus, der eine für beide Seiten befriedigende Lösung ver-sprach.

30 Traurige Berühmtheit erreichte der Aufstand der sizilianischenLandarbeiter 1892-93, der von der Obrigkeit blutig niedergeschlagenwurde.

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Während die italienischen SozialistInnen (im Unter-schied zu ihren Schwesterparteien in Deutschland,Österreich, Großbritannien und Frankreich) einescharf ablehnende Haltung gegenüber einem etwai-gen Kriegseintritt ihres Landes einnahmen, drängtendie Nationalisten großteils auf eine Teilnahme an derSeite Englands und Frankreichs. Deshalb wurde vonrechts eine gewaltige Kampagne gestartet, um die pa-zifistische Haltung der Sozialistischen Partei zu diskre-ditieren. Gleichzeitig wurde mit einer vorderhand "lin-ken" Agitation versucht, der sozialistischen Basis eineTeilnahme am "anti-monarchistischen Kampf" gegen"die Habsburger und Hohenzollern" schmackhaft zumachen. Doch obwohl die italienische Öffentlichkeitdurch diese Propagandakampagne in ihrer Anti-Kriegs-Haltung mehr und mehr zu schwanken begann,blieben die SozialistInnen vorläufig bei ihrer For-derung nach Neutralität. Ausgerechnet der Exponentder Parteilinken, Mussolini, begann dann aber plötz-lich zu lavieren. Überraschend betonte er, auch dieSozialistInnen könnten sich der "nationalen Frage"und der Problematik der "unerlösten Gebiete"31 nichtentziehen.

Der "Linksinterventionist", wie er sich fortan bezeich-nete, vertrat die Auffassung, durch einen Kriegseintrittauf Seiten der demokratischen Westmächte solle inItalien die bürgerlich-demokratische Revolutiondurchgesetzt werden. Damit würde, so Mussolini wei-ter, die sozialistische Revolution vorbereitet werden.Als ihm die Sozialistische Partei (PSI) bei seinerKehrtwende nicht folgen wollte, legte Mussolini alleParteiämter zurück und begann eine öffentlicheAgitation für den Kriegseintritt. Innerhalb kürzesterZeit konnte er dazu auch eine eigene Zeitung heraus-geben. Sie wurde von Industriellenkreisen finanziert,in deren besonderem Interesse der Kriegseintritt an-gesichts der zu erwartenden Rüstungsaufträge lag.32

DER ERSTE WELTKRIEG

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, erklärte Italien - dasursprünglich mit Deutschland und Österreich-Ungarnverbündet gewesen war - sofort seine Neutralität. DerChefredakteur des sozialistischen Zentralorgans "Avan-ti" schrieb dazu: "Italien kann und darf nichts zurAusbreitung des Brandes in Europa tun. Für dieseParole sind das Proletariat und die SozialistischePartei bereit, mit allen Mitteln einzutreten". DerChefredakteur der Zeitung und Autor dieser Zeilenwar Benito Mussolini. Er gehörte damals dem linkenFlügel der Sozialistischen Partei Italiens (PSI) an undwar einer ihrer einflussreichsten Wortführer.

31 Gemeint waren vor allem Triest, Südtirol und Trentino, aber auchIstrien und Teile Dalmatiens.32 Als Helfer in der Kontaktaufnahme mit diesen künftigen Finanziersstand Mussolini der Herausgeber eines nationalistischen Blattes,Filippo Naldi, zur Seite.

Die schweizer Polizeiakte des jun-gen Umstürzlers Mussolini, 1903

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seiner Propaganda die "nationale", die "rassische"Revolution. In seinem ersten faschistischen "Manifest"1915 schrieb Mussolini: "Der Klassenkampf ist eineleere Phrase, kraftlos und fruchtlos, solange ein Volknicht in seinen eigenen, natürlichen Sprach- undRassengrenzen lebt und die Nationalitätenfrage nichtgelöst ist". Ihm und seinen Anhängern, behaupteteMussolini, ginge es nicht einfach nur um "vulgäre wirt-schaftliche Interessen". Er und seine Bewegung stün-den für "Ideale, die über den Klassen stehen". In relativ kurzer Zeit konnten die "Fasci d´AzioneRevoluzionaria" beachtlichen Zulauf verbuchen. Undimmer wilder wurden die Ausritte gegen die Linke unddas Parlament, das nach wie vor mehrheitlich eineneutrale Haltung Italiens favorisierte. Mussolini for-derte, "Pazifisten vor das Kriegsgericht" zu stellen undschwadronierte, das "Heil Italiens" mache "dieErschießung einiger Dutzend Parlamentarier" notwen-dig. Bemerkenswert dabei war der Umstand, dassMussolini bald nicht mehr nur gegen die Abgeor-dneten bestimmter Parteien Stellung bezog. Er gingeinen entscheidenden Schritt weiter und griff dasParlament als solches an, das er als "Eiterbeule" be-zeichnete, die "ausgebrannt werden" müsse, um eine"neue Ordnung aufzurichten". Mitte April 1915 wurden in mehreren Städten ItaliensGroßdemonstrationen für den Kriegseintritt inszeniert.Damit sollte der italienischen Regierung, die mittler-weile Geheimverhandlungen mit Frankreich, Rußlandund England aufgenommen hatte, der Rücken gestärktwerden. Im Rahmen dieser Geheimverhandlungenwurden den italienischen Vertretern für den Fall einesSieges über die Mittelmächte Südtirol, Istrien und wei-tere Kolonien in Afrika zugesichert. Unter dem Ein-druck dieser erhofften Kriegsbeute und der Massen-veranstaltungen der Faschisten kündigte Italienschließlich Anfang Mai 1915 den "Dreibund" mitDeutschland und Österreich-Ungarn auf. Drei Wochenspäter wurde der Krieg erklärt.

In der Folge wurde Mussolini aus der PSI ausgeschlos-sen. Bei von ihm organisierten Kundgebungen vonKriegsbefürworterInnen betonte er daraufhin vorläu-fig noch, er wolle keine eigene Partei gründen, son-dern lediglich einen "Bund" ("fascio"), um sich für ei-nen Kriegseintritt parteiübergreifend stark machen zukönnen. "Wir sind für den nationalen Krieg, der aberauch aus sozialen Gründen geführt werden muss", er-klärte er, und führte aus, dass es nun gelte, an derSeite der westlichen Demokratien den Absolutismus zubekämpfen. Die Neuheit dieser Argumentation lagdarin, dass als Kriegsgrund nicht primär künftige na-tionale Größe genannt wurde. Stattdessen wurde be-hauptet, der Krieg läge auch im Interesse der arbei-tenden Schichten. Damit sollte es gelingen, nicht mehrnur bürgerliche Kreise anzusprechen, sondern versuchtwerden, die Masse der Arbeitenden für einen Kriegs-eintritt zu begeistern. Wer, wenn nicht der ehemaligeSozialist Mussolini, wäre besser imstande gewesen, ei-nen derartigen Standpunkt glaubhaft zu vertreten?Gerade weil es durch ihn erstmals möglich schien, diedem Krieg ablehnend gegenüberstehende Arbeiter-Innenschaft zu spalten, war er für Kriegsbefürworter-Innen ein wertvoller Verbündeter.In seiner Propaganda begann Mussolini auch schnell,nicht nur für den Krieg sondern auch gegen die"Vaterlandsverräter der Sozialistischen Partei" Stim-mung zu machen. Er bediente sich dabei einer (zu-nächst nur verbalen) Radikalität, die in der politischenAuseinandersetzung neu war: Offen sprach er von derNotwendigkeit, die politischen Gegner zu "töten", siezu "liquidieren" und appellierte dabei immer an "dieJugend", die sich gegen die "fetten Alten" auflehnenmüsse. Obwohl sein Programm reaktionär, aggressivund nationalistisch war, versuchte er, die Rolle desRevoluzzers, der er in früheren Tagen gewesen war,beizubehalten. Er stellte sich dar als von Bürgertum,Aristokratie und Militär unabhängiger Rebell gegen"das System". Zur sozialen Revolution gesellte sich in

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öffentlich, dies sei der endgültige Beweis für seineThese, nur der Krieg werde zum Sozialismus führen.Deshalb müsse der Kampf gegen Österreich-Ungarnunter allen Umständen fortgeführt werden. DieUnruhen im Land denunzierte er als "konterrevolutio-när", ihre FührerInnen als "Agenten des Feindes". Umsie zu unterdrücken, forderte er "die Anwendung derhärtesten Maßnahmen".

Der Ruf nach Frieden war aber zu Beginn des Jahres1918 in allen kriegführenden Ländern unüberhörbargeworden. Aufstände in Italien, der Jännerstreik inÖsterreich-Ungarn, Meutereien im französischen Mili-tär und schließlich Aufstände in der deutschen undfranzösischen Marine machten deutlich: Der Wille,diesen Krieg fortzusetzen, war am Ende.

DIE KRIEGSFOLGEN IN ITALIEN

Obwohl Italien eigentlich zu den Siegern des Welt-krieges gehörte, war die Bilanz katastrophal: fast800.000 Kriegstote, mehr als eine Million Verwundete,außerdem der volkswirtschaftliche Ruin. Erschwerendkam hinzu, dass Italien von seinen Verbündeten,England und Frankreich, um den versprochenen Anteil

Für die italienischen Kriegsherren verlief das Unter-nehmen aber von Beginn an nicht nach Plan: Obwohldie österreichisch-ungarischen Verbände relativschwach waren, gelang es der italienischen Armeenicht, sie aus ihren Gebirgsstellungen zu werfen undeinen entscheidenden Durchbruch zu erzielen. Wie ander Westfront zeichnete sich auch in Norditalien derBeginn eines jahrelangen, mörderischen Stellungs-krieges ab. Die anfängliche Kriegsbegeisterung ver-flog entsprechend schnell. Mehr und mehr formiertesich Widerstand gegen das sinnlose Verheizen Zehn-tausender, gegen Lebensmittelknappheit und Zensur.Im Jahr 1917 erreichte Italien die Nachricht von derersten Welle der Russischen Revolution. Vielen schienes unglaublich, dass so etwas möglich sein sollte - einVolk in diesem europäischen Gemetzel hatte seinenobersten Kriegsherrn zum Teufel gejagt! Das war derTropfen, der das Fass der Wut zum Überlaufen brachte.Es kam zu Unruhen, Aufständen und Massenstreiks imganzen Land, die ein gemeinsames Ziel hatten: dieBeendigung des Krieges. Zur Niederschlagung mus-sten schwer bewaffnete Polizei- und Armeeeinheiteneingesetzt werden, es gab hunderte Tote und tausendeVerletzte. Den Unruhen im Inneren folgte das militärischeDesaster an der Front: Nachdem den Österreichern inder letzten von insgesamt zwölf Schlachten am Isonzodurch deutsche Unterstützung und den Einsatz von Gasder Durchbruch gelungen war, brach die italienischeFront zusammen. Nur mit knapper Not und Dankmassiver britischer und französischer Unterstützungkonnten die vordringenden österreichischen Truppenaufgehalten werden. Daraufhin musste die italienischeRegierung im Oktober 1917 zurücktreten. Aber wederdie Unruhen noch das Versagen der Armee konntenMussolini und die Seinen von ihrer Kriegseuphorie ab-bringen. Im Gegenteil: Als die bolschewistischeRevolution in Russland im Herbst 1917 gelang, bekun-dete Mussolini seine ganze Sympathie und behauptete

Der Kriegswillen in Europa ist gebrochen. Verbrüderung deutscher und russischer Soldaten an der Ostfront 1917

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die Linke einen beispiellosen Aufschwung. Nicht um-sonst gingen jene Jahre als die "beiden roten Jahre"("biennio rosso") in die Geschichte ein.

Doch die Reaktion der Rechten auf diese Ent-wicklungen blieb nicht aus: Im ganzen Land kam es zubürgerkriegsartigen Zusammenstößen zwischen derLinken auf der einen sowie der Rechten und derStaatsmacht auf der anderen Seite. Die Linke erwiessich dabei aber als so stark, dass die bürgerlicheRegierung unter Giovanni Giolitti sich letzten Endesfür den Verhandlungsweg entschied, um der Krise Herrzu werden. Das Ergebnis dieser Verhandlungen wareine Reihe wichtiger sozialer Reformen und günstige-rer Kollektivverträge als irgendwo sonst in Europa.Dieser Kompromiss war zwar bedeutend weniger, alssich der linke Flügel innerhalb der PSI und derGewerkschaften erhofft hatte. Er war aber definitivmehr, als die Unternehmer, allen voran der mächtigeVerband der metallverarbeitenden Industrie, zu ak-zeptieren bereit war.

Die bunte Ansammlung von "Linksinterventionisten",die sich während des Krieges um Mussolini gescharthatte, blieb ihm auch nachher treu ergeben. Die Grup-pe versuchte während der revolutionären Phase, diesozialistische Propaganda links zu überholen, freilichstets verbunden mit dem selben nationalistischen

am Sieg geprellt wurde. Abgesehen von Südtirol, demTrentino, Istrien und Triest blieben alle italienischenAnsprüche in der östlichen Adria, der Türkei und inAfrika unberücksichtigt. Ebenso abgelehnt wurde vonden Alliierten der italienische Wunsch, das mehrheit-lich von ItalienerInnen bewohnte Fiume (das heutigeRijeka) dem Königreich Italien anzugliedern. Dieinnenpolitische Folge war eine tiefe Legitimations-krise für die herrschenden Eliten: Von den Arbeiter-Innen wurden sie für das soziale Elend im Lande ver-antwortlich gemacht und die Rechte, mit ihr die"Linksinterventionisten" um Mussolini, bezichtigten siewegen des schlechten Abschneidens bei den Friedens-verhandlungen des Verrats. Deshalb wurde versucht,dem Schicksal der Herrschenden in Deutschland undÖsterreich durch Kompromisse zu entgehen. So wurdeetwa ein neues Wahlrecht eingeführt, das vor allemdie Sozialistische Partei als einzige wirkliche Massen-partei begünstigte. Doch die Hoffnung, die innenpoli-tischen Spannungen damit entschärfen zu können, er-füllten sich nicht. 1919/20 erschütterten mehr als drei-tausend Streiks das Land.

In den Industrieregionen im Norden kam es massen-haft zu Betriebsbesetzungen. Im Süden begannen dielandlosen Bauern im großen Stil, das Land, das bishereinigen wenigen Großgrundbesitzern gehört hatte, zubesetzen und unter sich aufzuteilen. Insgesamt erlebte

Soziale Unruhen im Nachkriegsitalien: Streikende Eisenbahner kön-nen nicht mehr - wie zuvor üblich - einfach mit Polizeigewalt zurWiederaufnahme der Arbeit gezwungen werden

In den Augen der Besitzenden eine unerhörte Gefahr, die so schnellwie möglich gebannt werden muss:

Bewaffnete Arbeiter, hier in Lancia (bei Turin)

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ren rechten Gruppierungen aufzuweisen hatten, wardie Stärke weit unter den Erwartungen Mussolinis ge-blieben. Bei den Parlamentswahlen im November1919 scheiterten die Faschisten völlig. Die Niederlagebrachte die Truppe an den Rand der Auflösung. Es waren vor allem zwei Faktoren, die es der faschisti-schen Bewegung trotzdem ermöglichten, wieder Fußzu fassen:

Ende 1919 eskalierte der Streit zwischen Italienund Jugoslawien in der Frage Fiumes undDalmatiens. In einem Handstreich besetztenehemalige und aktive Angehörige der Streit-kräfte mit Duldung weiter Teile des italienischenOffizierskorps Fiume und in Italien entbrannteeine heftige Diskussion um die Rechtmäßigkeitdieses Vorgehens. Die Faschisten entfalteten mitfinanzieller Unterstützung rechter Unternehmereine enorme Propaganda, mit der es gelang,viele der nationalistisch orientierten Kriegs-heimkehrer zu gewinnen und sie in neu gegrün-deten "Fasci" zu organisieren.

Geheul wie zuvor. Diese Sozialdemagogie ging soweit, dass Mussolinis Anhänger im März 1919 eine derersten Betriebsbesetzungen organisierten. Die An-sprache, die Mussolini bei seinem Auftritt in der be-treffenden Fabrik in Dalmine (Provinz Bergamo) hielt,war bezeichnend für das, was er fortan als "nationalenSozialismus" propagierte: "Ihr steht auf dem Bodeneurer Klasse, habt aber die Nation nicht vergessen (...)Ihr belehrt gewisse Industrielle, besonders jene, diealles ignorieren, was sich in diesen letzten vier Jahrenin der Welt ereignet hat, dass die Figur des alten, gie-rigen und ausbeuterischen Industriellen dem Indus-triekapitän weichen muss, der das Notwendige für sichverlangen kann, aber den anderen Schöpfern desReichtums nicht Elend aufzwingen darf." Drei Tagenach dieser Rede gründeten Mussolini und seineAnhänger in Mailand den "Fascio Italiano diCombattimento" (Kampfbund). In dessen Grundsatz-programm wurden die Forderungen der Linkspar-teien, die damals von den Faschisten auf der Straßeschon bekämpft wurden, weitgehend übernommen:Republik, allgemeines Wahlrecht, Beseitigung der po-litischen Polizei, Abschaffung der Adelstitel, allgemei-ne Abrüstung, Gedanken-, Gewissens-, Religions- undPressefreiheit. Gleichzeitig wurde betont: "Wir verab-scheuen die theoretischen und philosophischen Sys-teme, denn unsere Mentalität ist gegen jede vorgefas-ste Doktrin." Der Forderungskatalog war unzusam-menhängend und widersprüchlich33, ein Merkmal allerspäteren faschistischen "Manifeste" in anderen Län-dern.

Im Oktober 1919 umfasste die faschistische Bewegung17.000 Mitglieder, die in 56 Kampfbünden organisiertwaren. Auch wenn das mehr war, als die meisten ande-

33 So wurden etwa einerseits pazifistische Forderungen wie das Verbotder nationalen Waffenproduktion erhoben, andererseits aber dieAnnexion Dalmatiens gefordert. Auch der "sozialistische Charakter",der dem Programm von bürgerlichen HistorikerInnen oft attestiertwird, war mehr als zweifelhaft: Mit der Formulierung sozialerAnliegen war die Forderung nach Freihandel verknüpft worden.

1.

Der Faschistische Terror geschieht mit stiller Duldung der Behörden:Stürmung einer Arbeiterkammer durch Faschisten, Unterlagen und Möbel

werden auf die Straße geworfen und verbrannt

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sie hatten die WählerInnen in den "roten Hoch-burgen", vor allem in den ländlichen Regionen, so ein-geschüchtert, dass viele SympathisantInnen der Linkengar nicht erst zur Wahl gegangen waren. Das Ergebniswaren schwere Verluste für die SozialistInnen und einWahlsieg der Rechten. Diese revanchierte sich bei denSchlägertrupps durch erhöhte finanzielle Zuwen-dungen, und von da an gab es kein Halten mehr:Alleine von Jänner bis Juni 1921 zerstörten dieFaschisten nach eigenen Angaben 17 Druckereien, 59Volkshäuser, 119 ArbeiterInnenkammern, 107 Genos-senschaften, 83 Verbandslokale der LandarbeiterInnenund 141 Lokale der Sozialistischen Partei. Gleichzeitigwuchs die faschistische Bewegung trotz einigerRückschläge weiter an, im November 1921 waren ausden ursprünglichen 56 Kampfbünden 2.200 geworden.Zu ihren 249.000 Mitgliedern zählten neben demSammelsurium der "Linksinterventionisten" vor allementtäuschte Kriegsheimkehrer. Die vertraten einen ra-dikal nationalistischen Standpunkt und sozialistische,demokratische Tendenzen waren ihnen völlig fremd.Trotzdem schaffte es der Faschismus, beiden Gruppenim bereits erwähnten widersprüchlichen Programmausreichend Lockfutter hinzustreuen, um sie an sichbinden zu können. Dies ist umso bemerkenswerter, alsnach dem Ersten Weltkrieg neben den Faschisten nochein anderer ultranationalistischer Verband entstandenwar, die Associazione Nazionalista. Sie verfolgte einstrikt antiliberales, antisozialistisches, und diktatori-sches Programm und wäre demnach für vieleRechtsstehende eine viel glaubwürdigere politischeHeimat gewesen. Im Unterschied zu den Faschisten ge-lang es den Nationalisten aber trotzdem nie, tatsäch-lich breitere Massen zu organisieren.

Mehr und mehr verschwanden nun aus der faschisti-schen Propaganda die sozialistischen Elemente. Übrigblieb vor allem fanatischer Nationalismus. Das deutetdarauf hin, dass die Erfolge unter ArbeiterInnen unddamit der erhoffte Einbruch in das WählerInnen-segment der Linken ausgeblieben war und deshalb zu-nehmend versucht wurde, vor allem die Mittelschichtenanzusprechen.

Nicht nur die Industriellenvereinigung, sondernvor allem auch Großgrundbesitzer fühlten sichdurch die "Roten Jahre" bedroht, deren Folgeein enormer Machtzuwachs für die Gewerk-schaften und die Sozialistische Partei war. Alssich die Lage Ende 1919 wieder einigermaßenberuhigt hatte, waren sie nicht länger bereit,Landbesetzungen, Lohnerhöhungen und Mit-spracherecht für die arbeitende Bevölkerung zuakzeptieren. Sie finanzierten daher lokale"Fasci", vornehmlich bestehend aus Kriegs-heimkehrern34, die in ihrem Auftrag "Straf-expeditionen" gegen rote Ortschaften, Gemein-deverwaltungen, Organisationszentren undStreiks durchführten. Um den daraus resultie-renden "permanenten Bürgerkrieg" in den länd-lichen Regionen führen zu können, bedurftendie Faschisten aber nicht nur der großzügigen fi-nanziellen Zuwendungen durch die Groß-agrarier. Mussolinis Horden waren darüber hin-aus auch auf die wohlwollende Duldung ihresTerrors gegen die Linke durch Militär, Ver-waltung und Justiz angewiesen. Und wie inDeutschland fanden die Faschisten auch hier invielen der um ihre Positionen bangendenBeamten willige Verbündete. Die Obrigkeit sahin den meisten Fällen tatenlos zu, wie von denFaschisten Landlose massakriert, Gewerk-schafts- und Parteibüros gestürmt und zerstörtund lokale linke Führungskräfte ermordet wur-den. Mehr noch: Nicht selten gingen dieFaschisten als "Hilfskräfte" gemeinsam mitPolizei- und Armeeeinheiten gegen "die Roten"vor.

Der faschistische Terror trug bereits 1920 ersteFrüchte. Die Faschisten hatten im Vorfeld der in die-sem Jahr stattfindenden Gemeinderatswahlen syste-matisch linke Kundgebungen gesprengt. Sie hatten so-zialistische KandidatInnen bedroht und ermordet. Und

2.

34 In ihrer Struktur und sozialen Zusammensetzung waren dieseTrupps vergleichbar mit den deutschen "Freikorps".

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So war es möglich, ein Dorf oder eine Institution zuüberfallen, in Brand zu stecken, lokale FührerInnender Linken zu misshandeln oder zu töten. Bevor ein et-waiger Gegenangriff hätte erfolgen können, zerstreu-te sich die "Kampfgruppe" wieder. Dieser Zermür-bungskrieg hatte zur Folge, dass die eigene An-hängerInnenschaft den linken Organisationen zuneh-mend demoralisiert fernblieb.

Der zweite Hauptgrund für das Versagen der Linkenwar die Spaltung der Sozialistischen Partei, deren lin-ker Flügel im Jänner 1921 eine eigene kommunisti-sche Partei gründete. Von nun an widmeten die beidenlinken Lager einander mehr Aufmerksamkeit als derTatsache, dass der Faschismus zur selben Zeit auf demLand die Rolle der Staatsmacht praktisch ersetzt hatteund ungehindert die linken Strukturen aufrieb. Zwarwurde eine - etwa mit dem österreichischen "Repu-blikanischen Schutzbund" vergleichbare - sozialisti-sche Miliz, die "Arditi del Popolo", geschaffen. Sie waraber schlecht ausgerüstet und konnte den Faschisten,von einigen wenigen Erfolgen abgesehen, kaum ernst-haft Widerstand leisten.

DER WEG ZUR MACHT

Am 7. April 1921 löste König Vittorio Emanuele III. aufErsuchen des bürgerlichen Ministerpräsidenten Giolittidas Parlament auf und setzte Neuwahlen an. Giolittierhoffte sich von diesem Manöver eine deutlicherebürgerliche Mehrheit als jene, die es bis dahin gege-ben hatte. Sein Wunsch erfüllte sich nicht. Die Sozia-listInnen mussten zwar Verluste hinnehmen, bliebenaber stärkste Partei und die neugegründete KP konnteeinen Achtungserfolg verbuchen.35 Die schwache bür-gerliche Mehrheit im Parlament war zersplittert undbot keine geeignete Basis für eine stabile Rechts-regierung. Giolitti trat daraufhin zurück, das neue

DAS ZAUDERN DER LINKEN

Begünstigt wurde der faschistische Aufstieg aber auchdurch die hilflosen Reaktionen der Linken. DieSozialistische Partei und die Gewerkschaften verfügten1922 noch immer über einen fast fünfmal so großenMitgliederstand wie die Faschisten, trotzdem wichensie Schritt für Schritt vor deren Aggression zurück. EineHauptursache dafür war die Struktur der linkenOrganisationen. Durch starke Dezentralisierung warenPSI und Gewerkschaft zwar flächendeckend vorhan-den, ihre Entscheidungsstrukturen blieben aber relativstarr und schwerfällig. Sie waren deshalb meist nichtfähig, den äußerst flexibel agierenden Faschisten dieStirn zu bieten. Die "Fasci" hatten das sehr rasch verstanden und per-fektionierten ihre Taktik binnen kürzester Zeit: Für"Aktionen" wurden aus der ganzen jeweiligen RegionMänner und Waffen zusammengezogen und dadurcheine kurzfristige Übermacht geschaffen.

35 Obwohl die KPI deutlich von einer politisch dominanten Rolle ent-fernt war, löste ihr bescheidener Wahlerfolg im BürgerInnentum er-hebliche Unruhe aus.

Durch großzügige Zuwendungen von Großgrundbesitzern undIndustriellen sind die Faschisten wesentlich besser ausgerüstet und

können flexibler agieren als die Linken. Hier ein motorisierterfaschistischer Stoßtrupp nach seiner Rückkehr von einer"Strafexpedition" gegen streikende LandarbeiterInnen

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Zusammenhang mit dem Zusammenbruch einer Bank,der Banco di Sconto, verscherzte es sich die Regierungmit den SparerInnen, indem sie der Bank gestattete,sämtliche Auszahlungen einzustellen und so die klei-nen SparerInnen um ihr Geld zu bringen. Gleichzeitigweigerte sich Bonomi, dem Druck von Industrie- undBankkreisen stattzugeben und die Banca di Scontodurch staatliche Finanzspritzen zu retten. Schließlichzerbrach die bürgerliche Koalition im Parlament andieser Frage. Auch die Nachfolgeregierung unter LuigiFacta, die nur auf dem Papier von einem breiterenParteienspektrum getragen wurde37, erwies sich schonbald als zu schwach und musste nach kaum vierMonaten zurücktreten. Die Faschisten intensiviertenim Frühjahr 1922 ihre öffentlichen Aktivitäten enorm.Am 1. Mai überfielen sie in dutzenden Orten sozialisti-sche Feiern und Umzüge. Ende Mai besetzten faschisti-sche Milizen das "rote" Bologna und setzten ungehin-dert vom Militär die gewählte Stadtregierung ab. Esfolgte die gewaltsame faschistische Besetzung von teilsgroßen Städten wie Viterbo, Novara, Ravenna, Riminiund Pavia. Nach dem Rücktritt des MinisterpräsidentenFacta erklärte Mussolini, der zwar im Parlament nachwie vor relativ schwach vertreten war, sich aber derUnterstützung durch weite Teile von Unternehmernund Militär sowie des Königshauses sicher sein konnte,er werde nun keine wie immer geartete antifaschisti-sche Regierung dulden. Die Folge war eine monate-lange Regierungskrise. Der wachsende faschistischeDruck brachte die Linke schließlich dazu, sich endlichgeeint gegen den Faschismus zu stellen.

Am 31. Juli 1922 riefen die beiden linken Parteien,PSI und KPI, gemeinsam den Generalstreik aus. DieAntwort ließ nicht auf sich warten - zwei Tage späterbegann die faschistische Gegenoffensive und es kamzu bisher beispiellos blutigen Straßenschlachten. Voneinigen Ausnahmen abgesehen errangen die Faschis-ten fast überall den Sieg. Das war zwar zu erwartengewesen, allerdings hatten auch die Faschisten selbstnicht auf eine so eindeutige Unterstützung durch dieBehörden und die bürgerliche Presse zu hoffen ge-wagt, wie sie nun erfolgte. Zeitungen wie der Corriere

Kabinett unter Bonomi war aber noch wesentlich wak-kliger. Bei dieser Wahl hatten die Faschisten erstmalsin einer bürgerlichen Einheitsliste kandidiert, dem"Nationalen Block". Dadurch gewannen sie in bürger-lichen Kreisen zwar erheblich an Ansehen, gleichzeitigsorgte das Anbiedern an die traditionellen Parteienaber innerparteilich für schwere Turbulenzen.

Im Bemühen, sich den Bürgerlichen als verlässlicherBündnispartner zu präsentieren, der seine Organi-sation fest im Griff habe, rief Mussolini seine Gefolg-schaft zur Mäßigung auf und versuchte, den im länd-lichen Raum tobenden Bürgerkrieg zu beenden, indemer weitere "Aktionen" verbot. Ihm wurde deshalb vom"linken" Teil seiner Bewegung36 vorgeworfen, als"Steigbügelhalter der Kapitalisten" zu fungieren.Unter diesem Druck musste der "Duce" (Führer) sogarkurzfristig aus dem faschistischen Exekutivkomitee(dem höchsten Gremium der faschistischen Bewegung)ausscheiden. Um seine Autorität wieder herzustellen,ging Mussolini einen Kompromiss mit seinen Unter-führern ein. Er ließ ihnen vorläufig praktisch freieHand, dafür tolerierten sie seine mittlerweile offenkonservative, bürgerliche Propaganda und stimmteneiner "Reorganisation" der faschistischen Bewegungzu: Mit der Gründung einer Partei, dem PartitoNazionale Fascista" (PNF), wurde eine zentrale, hie-rarchische Führung geschaffen, an deren SpitzeMussolini stand. Die Strategie der PNF bestand darin,sich einerseits den traditionellen Machtgruppen alstreue Verbündete anzudienen, gleichzeitig aber dafürzu sorgen, dass im Land keine Ruhe einkehrte. So soll-te der Ruf nach dem "starken Staat" provoziert wer-den, den "nur ein starker Mann mit einer großen, dis-ziplinierten Bewegung hinter sich" führen könne, wieMussolini ausführte.

Zum Jahreswechsel 1921/22 kam es zu einer untypi-schen Koalition gegen die Regierung Bonomi: Im

36 In erster Linie von den kleinbürgerlichen Milizführern.37 Außer SozialistInnen und KommunistInnen gehörten der Koalitionvon Facta offiziell alle im Parlament vertretenen Parteien an.

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DIE MACHTÜBERNAHME

In der bürgerlichen Geschichtsschreibung wird der"Marsch auf Rom" oft als putschartige Machtergreifungdurch die Faschisten beschrieben: Die legale Staats-macht sei angesichts der faschistischen Übermachtohnmächtig gewesen. Das Gegenteil ist wahr. Die Behörden hätten Mö-glichkeiten genug gehabt, bereits die Zusammen-ziehung der faschistischen Milizen in jenen Orten zuverhindern, von denen aus der eigentliche "Marsch aufRom" begann. Sie unternahmen nichts. Aber auchnachdem die Faschisten unbehindert ihre Vorbe-reitungen abgeschlossen hatten und nun tatsächlichauf Rom marschierten, wäre es ein leichtes gewesen,dem Spuk ein jähes Ende zu machen. Denn die relativschwachen Verbände der "Schwarzhemden" (so wur-den die Faschisten wegen ihrer Uniform genannt) wa-ren dem Militär, das zu der Zeit in Rom stationiert war,wie bereits erwähnt, hoffnungslos unterlegen.Die Nationalisten, die sich an den Vorbereitungen desMarsches ebenfalls beteiligt hatten, waren sich dessenauch bewusst. Als es in letzter Minute wider Erwartenso schien, als ob die Regierung doch nicht freiwilligdas Feld räumen würde, sondern ernsthaft Anstaltenmachte, das Militär einzusetzen, schwenkte die natio-nalistische Führung kurzfristig um. Weil sie keine Lusthatte, gemeinsam mit dem "Duce" unterzugehen, un-terstellte sie ihre 4.000 "Blauhemden", die bis dahin

della Sera bejubelten die "Retter des Vaterlandes", diesich "dem Bolschewismus aus tief empfundenem Patri-otismus entgegengeworfen" hätten. Die mailändischeRichterschaft erklärte einstimmig, die Erstürmung derStadt und ihre Besetzung durch die faschistischen Mi-lizen sei weder illegal noch unangemessen gewesen.

Und die neue bürgerliche Regierung mit demselbenMinisterpräsidenten wie die vorige, Luigi Facta, sahtatenlos zu. Durch ihren Sieg bestärkt, verlangten dieFaschisten Neuwahlen. Schon vorab machten sie aberklar, dass sie in der neuen Regierung eine zentraleRolle beanspruchten, andernfalls würden sie einenAufstand vom Zaun brechen. Was die realen Kräfte-verhältnisse betraf, hätte sich die Regierung keinerleiSorgen zu machen brauchen. Im Ernstfall konnten esdie faschistischen Milizen nicht mit der Polizei undschon gar nicht mit dem Militär aufnehmen.

Aber das war auch gar nicht das Ziel Mussolinis undseiner Anhänger: Ihnen ging es vorläufig nur darum,den bürgerlichen Parteien klar zu machen, dass derFaschismus inzwischen einen Machtfaktor darstellte,mit dem sie nicht mehr tun und lassen konnten, wassie wollten. Diese Strategie, "Zuckerbrot und Peitsche",das Umwerben von Unternehmern und Monarchisteneinerseits und der fortgesetzte Terror auf den Straßenandererseits, zeigte letztlich Wirkung.

Gegen sie wären Mussolinis Schwarzhemden im Ernstfall chancenlos -Militär in Rom, das auf Weisung des Königs den Faschisten die Stadt

widerstandslos übergibtVon Polizei und Armee alleine gelassen: Mailändische ArbeiterInnen errichten zur

Verteidigung der Stadt gegen die Faschisten Barrikaden

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DIE "FASCHISIERUNG"DES STAATES

Die Faschisten, wiederum unterstützt von derIndustriellenvereinigung und hohen Militärs, beab-sichtigten nun, da ihr Plan aufgegangen war, nichtmehr, sich nur mit einem Teil der Macht zu begnügen.Das Angebot, in einem neugebildeten Kabinett vierMinister zu stellen, schlug Mussolini aus. Stattdessenbestand er erfolgreich auf seiner Ernennung zumRegierungschef. Als solcher schaltete er allerdings -anders als später die Nazis in Deutschland - dasParlament nicht binnen weniger Monate aus. Zunächst begnügten sich die Faschisten damit, auf derBasis von Sondervollmachten zu regieren, ohne denParlamentarismus offen abzuschaffen. Gleichzeitigwurde, quasi auf "demokratischem Weg", die RepublikSchritt für Schritt in eine faschistische Diktatur umge-modelt. Während der Terror gegen die Linke unver-mindert weiterging, wurde bereits im Jänner 1923 diefaschistische Miliz, die "Squadre", zur offiziellenSicherheitspolizei gemacht. Zum eigentlichen politi-schen Entscheidungsgremium wurde, ebenfalls Anfang

mit den Faschisten marschiert waren, kurzfristig derPolizei. Auch Mussolini selbst war sich sehr wohl be-wusst, dass seine 20.000 Milizionäre im Ernstfall keineChance gegen die 28.000 Mann starke Militärmachthatten, die in der Hauptstadt auf sie wartete. Er zog esdeshalb vor, im fernen Mailand die kommende Ent-wicklung aus sicherer Distanz zu beobachten.

Es sollte sich jedoch zeigen, dass seine Vorsicht unbe-gründet und die Nervosität der Nationalisten verfrühtgewesen war. Nicht zuletzt durch die Lobbyarbeit derIndustriellenvereinigung im Vorfeld des Marsches wei-gerte sich König Vittorio Emanuele III. in letzterMinute, dem Militär den Befehl zum Losschlagen ge-gen die Faschisten zu geben. Als daraufhin dieRegierung zurücktrat, war der Weg für Mussolini frei.

Von "Putsch" keine Rede - Nach getanerArbeit verlassen Mussolini und KönigVittorio Emanuele III. nach derAngelobung Mussolinis zum Staatschefden Königspalast, 29. 10. 1922

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Für die Unternehmerkreise schließlich machte sich dieUnterstützung Mussolinis in den vorangegangenenJahren nun ebenfalls bezahlt: Die Löhne wurden ge-drückt, die Mietpreise freigegeben, staatliche Unter-nehmen privatisiert, die Besteuerung der Kriegs-gewinne des Industrie- und Bankkapitals wurde abge-schafft und die Erbschaftssteuer aufgehoben.

Als vorläufiger Höhepunkt des Ausbaus der faschisti-schen Vormachtstellung wurde ein neues Wahlrecht er-lassen. Es sah vor, dass jener Partei, die landesweit dierelative Mehrheit errang, im Parlament zwei Drittelder Sitze zukommen sollten. Gleichzeitig machten dieFaschisten dem gesamten rechten Spektrum das Ange-bot, eine "Nationale Einheitsliste" zu bilden. Damitwollten sie das bürgerliche Lager so weit wie möglichhinter sich bringen und die übrigen Parteien imParlament endgültig entmachten. Bei den darauffol-genden Wahlen vom 6. April 1924 sah das Ergebnis(auch dank massiver Repressionen gegen die Linkewährend des Wahlkampfes) entsprechend aus: DieOpposition war marginalisiert. Als der Chef der sozia-listischen Abgeordneten im Parlament, Giacomo

1923, der "Große Faschistische Rat", dem die Regie-rung künftig verantwortlich war. In beiden Fällen wur-den ursprüngliche Parteiorganisationen bzw. Partei-gremien in den Rang staatlicher Institutionen erho-ben.Es zeigte sich bald, in wessen Sinn Mussolini Politikmachte: Neben der fortgesetzten Unterdrückung vonStreiks und dem Terror gegen Institutionen der Linkenwar eines der ersten großen politischen Vorhaben dieNeuordnung des Schulwesens. Hier wurde das Leis-tungsprinzip eingeschränkt und stattdessen die sozialeHerkunft der Schüler wieder höher bewertet. DieSchulgelder wurden drastisch erhöht und dem klassi-schen Gymnasium, das schon bis dahin die Kader-schmiede der konservativen Eliten gewesen war, kameine noch viel wesentlichere Rolle zu als vorher.Gleichzeitig wurden katholische Privatschulen den öf-fentlichen gleichgestellt. Darüber hinaus bemühtensich die Faschisten, dem Vatikan entgegenzukommen:Der verpflichtende Religionsunterricht wurde wiedereingeführt, die Militärkapläne ins Heer zurückgeholtund Kruzifixe in öffentlichen Räumen angebracht.

Die marode vatikaneigene Bank, "Banco di Roma",wurde mit staatlicher Hilfe saniert und eine rascheLösung der bereits erwähnten "römischen Frage" inAussicht gestellt. Mussolini und seine Leute taten alldas mit der Überlegung, dass es vor allem die even-tuellen Widerstände des Vatikans waren, die sie daranhindern könnten, mit dem widerspenstigen Teil dermächtigen katholischen Volkspartei aufzuräumen (de-ren rechter Flügel war inzwischen ohnehin offen fa-schistisch). Angesichts der Kirchengeschichte in den1600 Jahren zuvor ist es kaum verwunderlich, dass esden Faschisten letztlich auch gelang, die Duldung desVatikans für die Verfolgung katholischer Oppositio-neller zu erkaufen.

Um den Beamtenapparat ganz in die Hand zu bekom-men, verfügten die Faschisten eine Verwaltungsre-form. Damit war es ihnen möglich, unliebsame Bea-mte ohne große Probleme zu entlassen bzw. eigeneGefolgsleute zu installieren.

Wütender Antimarxismus und Dankbarkeit für die Zugeständ-nisse Mussolinis an den Vatikan lassen den Klerus zu einer wich-tigen Stütze des Faschismus werden

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1. MACHTSICHERUNG

Die Zeitdauer, die der Faschismus benötigte, um seineMacht zu konsolidieren, war unterschiedlich. Währendin Deutschland schon nach eineinhalb Jahren dieOpposition zerschlagen, die Demokratie endgültig ab-geschafft und interne Rivalitäten mit Waffengewalt"beigelegt" worden waren, dauerte diese Phase inItalien mehr als doppelt so lange. Charakteristisch fürdieses Stadium der faschistischen Machterrichtung warneben dem nunmehr staatlich organisierten Terror ge-gen die Linke ein massiver Konflikt innerhalb der fa-schistischen Bewegung.

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In den vorangegangenen Kapiteln wurdeuntersucht, wie es den beiden erfolgreichstenfaschistischen Bewegungen gelingen konnte,an die Macht zu kommen. Dabei wurde deut-lich, dass dies den Faschisten weder inDeutschland noch in Italien aus eigener Kraftgelang, sondern dass sie dazu Bündnisse mitanderen gesellschaftlichen Gruppen einge-hen mussten. Erst mit Hilfe dieser Bündnisse,denen neben den Faschisten vor allem maß-gebliche Unternehmer, Beamte und Militärsangehörten, ließ sich die "Machtergreifung"bzw. der "Marsch auf Rom" bewerkstelligen.

Was in letzter Konsequenz aus dem faschisti-schen Projekt wurde, ist bekannt: Weltkrieg,Massenmord, unsagbares Leid und giganti-sche Zerstörung. Aber was geschah bis zumKriegsbeginn, mit dem eine neue Qualität fa-schistischer Totalität einherging?38 Aus Platz-gründen können die Entwicklungsschritte desFaschismus an der Macht hier nur skizziertwerden. Der Vollständigkeit halber soll aberzumindest das versucht werden.

Matteotti, die Regierung nach den Wahlen der Ille-galität bezichtigte und Neuwahlen forderte, wurde erkurzerhand von Handlangern Mussolinis entführt undermordet.

Die vorsichtig kritische Berichterstattung über diesenVorfall war schließlich der Anlass, die Pressefreiheitendgültig abzuschaffen.

Die entscheidende Phase der "Faschisierung des Staa-tes" wurde 1926 abgeschlossen, als alle dem Regimenicht genehmen Parteien und Organisationen aufge-löst und ihre RepräsentantInnen verhaftet wurden.Das große Rüsten konnte beginnen.

Nach einer Rede gegen den Faschismus wird der SozialistGiacomo Matteotti (Mitte) ermordet. Dieses Ereignis markiert

das Ende der ohnehin nur mehr formalen Demokratie - derFaschismus betreibt seinen Terror nunmehr ganz offiziell DER FASCHI S

38 Diese "neue Qualität" bestand im Versuch des Faschismus, sich vonseinen Bündnispartnern zu emanzipieren. Während das den Nazis inDeutschland weitgehend gelang, schlug der entsprechende Versuchder faschistischen Heimwehr in Österreich völlig fehl. Auch Mussolinis"Schwarzhemden" in Italien waren in letzter Konsequenz nicht fähig,gegen Militär, Aristokratie und Beamtenschaft Politik zu machen.

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Sowohl in Deutschland als auch in Italien forderte einTeil der faschistischen Basis nach dem Abschluss der"nationalen Revolution" (der Machtübernahme) dieversprochene "soziale Revolution" ein. Dieser Wunschgeriet begreiflicherweise in massiven Widerspruch zuden Interessen der anderen Bündnispartner, die des-halb von der faschistischen Führung eine Ausschaltungder betreffenden Kräfte innerhalb der Bewegung ver-langten. Diesem Wunsch wurde entsprochen - so wur-den in Deutschland auf Geheiß der Führung mehrerehundert SA-Führer nicht nur abgesetzt, sondern zumTeil auch gleich physisch liquidiert.

I SMUS AN DER MACHT

2. HERSTELLUNG DES "NATIONALENKLASSENFRIEDENS"

Einhergehend mit der Entmachtung der "linken"Kräfte im Inneren der Bewegung setzte die letzteEtappe der politischen Entmündigung der arbeitendenBevölkerung ein. Nachdem dieser alle kollektivenMöglichkeiten zur Wahrnehmung eigener Interessen(Gewerkschaft, Parteien) bereits genommen wordenwaren, wurde nun auch Vorsorge gegen individuellenWiderstand getroffen.

Durch den Erlass entsprechender Gesetze39 wurdenUnternehmer zu "Betriebsführern" erhoben, denen dieBelegschaft (nunmehr "Gefolgschaft") militärischenGehorsam schuldete. Arbeitsverweigerung, "unge-

Der Faschismus zeigt sich nach der Machtübernahme gegenüber seinen Förderern erkenntlich - Mussolinispricht vor einer Versammlung der italienischen Industriellenvereinigung

39 Die "carta del lavoro" von 1927 in Italien bzw. das "Gesetz zurOrdnung der nationalen Arbeit" von 1934 in Deutschland.

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4. DER "TOTALE STAAT"

Mit dem Krieg erreichte die Macht der Faschisten ihrenZenit, in Deutschland deutlicher als in Italien. Dieantijüdische Politik, die sich in Deutschland zumProjekt der Ausrottung auswuchs, lag nicht im direktenInteresse der Bündnispartner. Im Gegenteil: Mit derzunehmend kritischen militärischen Lage hätte die ge-waltige Bindung von Ressourcen zum Zweck des indu-striellen Massenmordes diametral ihrem Hauptinte-resse - den Krieg zu gewinnen - widersprechen müs-sen.Allerdings kooperierten die Verantwortlichen inMilitär, Staatsapparat und Wirtschaft zum Großteilwillig mit den Mörderbanden. Auch die Chance auf dieRealisierung zusätzlicher Profite im Rahmen desHolocaust wurde dankbar wahrgenommen.

Der Holocaust, der angesichts des sich abzeichnendenDesasters an den Fronten noch intensiviert wurde, istzweifellos ein Beispiel dafür, dass es in der letztenPhase des Faschismus in Deutschland eher zu einem"Primat der Politik"41 kam. Daraus aber abzuleiten, diese Totalität des faschisti-schen Staates hätte es von Anfang an gegeben, istgrundfalsch. Die relativ umfassende Herrschaft derNazis konnte überhaupt nur durch die aktive Mithilfeder vielzitierten traditionellen Eliten erreicht werden.Unhaltbar ist die These vom Faschismus als gänzlichselbstständigem Regime auch im Bezug auf seineübrigen Bündnispartner. Um Militär und Beamten-schaft von ihrer Mitschuld freizusprechen, werden siebis heute oft als "unpolitisch" oder als "der Führung[also Hitler bzw. Mussolini] völlig ausgeliefert" be-zeichnet. Ignoriert wird dabei, dass sowohl der reak-tionäre Beamtenapparat als auch die Armee bei derMachtübernahme des Faschismus von entscheidenderBedeutung waren. Sie hatten den Diktatoren darüberhinaus die Treue gehalten, als diese zuerst die eigenen

bührliches Verhalten gegenüber dem Betriebsführer"oder der nicht genehmigte Wechsel des Arbeitsplatzeswurden unter Strafe gestellt. Frauen wurden systema-tisch aus dem Arbeitsprozess gedrängt, um fortan ih-rer Bestimmung als entmündigte Gebärmaschinen ge-recht zu werden.

3. BEGINN DER AGGRESSIVEN AUßENPOLITIK, ERSTE EMANZIPATIONSVERSUCHE VON

PARTNERN

Nachdem im Inneren die Gesellschaft nach den Vor-stellungen der Bündnispartner geformt worden war,die Aufrüstung begonnen hatte und eine immer stär-kere Militarisierung der Gesellschaft betrieben wurde,begann der Faschismus, sich in jenen Ländern, dieüber ein entsprechendes militärisches und industriellesPotential verfügten, außenpolitisch offensiver zu betä-tigen.

Der Faschismus hatte nun auch eine Stärke erreicht,die ihm eine erste Kraftprobe mit Teilen seinerBündnispartner erlaubte. Konkret wurde nun vor al-lem versucht, nach dem Beamtenapparat auch dasMilitär gleichzuschalten. Unliebsame Offiziere wurdennach Möglichkeit ausgewechselt, der jeweilige "Füh-rer" wurde zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte,und eine zweite militärische Säule, eine Art Prätori-anergarde, wurde geschaffen.40

40 Das war in Deutschland die ursprüngliche Intention beim Ausbauder SS - sie sollte ein strikt loyales, bewaffnetes Gegengewicht zurWehrmacht bilden.

Nachdem die Opposition im eigenen Land blutig niedergerungen wurde, bekommen auch andere,angeblich "rassisch minderwertige" Völker die Knute zu spüren: Äthiopier werden gezwungen, ein

riesiges Transparent mit Mussolinis Konterfei demütig zu grüßen

41 Das heißt zu einer Vormachtstellung politischer Entscheidungs-träger vor allem gegenüber der Wirtschaft, aber auch gegenüberdem Militär.

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05| DER FASCHISMUS AN DER MACHT

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Lust, auch mit ihm unterzugehen. Nachdem klar war,dass der Krieg verloren war, wurde Mussolini 1943einfach abgesetzt und verhaftet - allerdings nicht vonlinken PartisanInnen, sondern durch seine altenFreunde aus Aristokratie, Beamtenschaft und Militär.

Das Verhalten der Wegbereiter des Faschismus in des-sen Endphase war also durchaus unterschiedlich. Ihrespätere Behauptung, es hätte keine Alternative gege-ben als ihn zu unterstützen, ist aber in jedem Fall eineschlichte Lüge.

Länder und dann ganz Europa mit Terror überzogen.Nicht weil sie mussten, sondern weil sie von dieserPolitik überzeugt waren - unabhängig vom Faschis-mus.

Der von der Wehrmacht geführte Angriffskrieg und diedeutschen Beamten, welche die unterjochten Länderadministrierten, machten den NS-Massenmord erstmöglich. In vielen Fällen waren beide auch aktiv dar-an beteiligt - ohne, dass dazu "Führerbefehle" nötiggewesen wären. Rassismus, Antimarxismus undHerrenmenschentum waren eben schon vor demFaschismus fixe ideologische Bestandteile der deut-schen Eliten gewesen. Erst als die Niederlage endgül-tig feststand, versuchten einige wenige42, das Rudernoch herumzureißen und ihre Schäfchen ins Trockenezu bringen. Die Totalität des deutschen Regimes waralso großteils auf die freiwillige Loyalität der wichtig-sten Säulen des Staates zurückzuführen.

In Italien verhielt sich die Sache etwas anders, dortwar die Identifikation mit dem Regime nicht so weitgediehen. Die honorigen Herrschaften, die dem Fa-schismus zur Macht verholfen hatten, verspürten wenig

42 Die heutige Forschung geht davon aus, dass dem Kreis derWiderständler des 20. Juli 1944 und ihren Sympathisanten nicht ein-mal 0,5 % des Offizierskorps angehörten.

Der Holocaust war ursprünglich nicht ihr Projekt gewesen, doch dieMöglichkeit am Massenmord kräftig zu verdienen lässt man sich nicht

entgehen - Vertreter der IG-Farben besuchen Auschwitz

Die erzkonservativen Militärs sind auch nach der Machtübernahme treue Verbündete desFaschismus - bis zum bitteren Ende. Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht unter-zeichnen 1945 die bedingungslose Kapitulation

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Wertigkeit gäbe; das Prinzip des Stärkeren, der sichim "Lebenskampf" gegen das "Schwache" behauptet(der allumfassende "Wettbewerb"); das Kosten-Nutzen-Prinzip auf allen Ebenen - all das hat derFaschismus nicht erfunden. Aber er unternahm denVersuch, diese bürgerlichen Auffassungen, die das ide-ologische Grundgerüst des Kapitalismus bilden, bis indie letzte Konsequenz durchzusetzen. Im faschistischen"Lebenskampf" wurde das "Schwache" "lebensunwert"und folgerichtig "ausgemerzt".

4. Auch wenn sich mit dem Zusammenbruch derfaschistischen Regime manches geändert ha-

ben mag - viele der Grundbedingungen, die in derVergangenheit für ihren Aufstieg verantwortlich wa-ren, finden sich auch heute noch. Wir leben nach wievor in einem System, dessen wirtschaftliche Grundlagenicht nur enorm krisenanfällig ist, sondern Krisen not-wendigerweise bedingt. Unsere Gesellschaft ist nochimmer von einer massiven materiellen Unge-rechtigkeit gekennzeichnet, was einen permanentenVerteilungskampf zur Folge hat. Es gibt kein Gesetzdafür, wie dieser Verteilungskampf aussehen muss.Wie er aussehen kann, hat der Faschismus uns aber inall seiner Scheußlichkeit vor Augen geführt. Geschichte

1. Faschistische Regime waren überall dasProdukt einer Koalition verschiedener gesell-

schaftlicher Gruppen. Deren gemeinsames Ziel be-stand darin, ihre bedroht (geglaubte) Macht zu si-chern, die Demokratie zu beseitigen, Arbeitenden dieerkämpften Rechte wieder zu nehmen und eine expan-sive Außenpolitik zu betreiben.

2. Das Bündnis, das die faschistischen Bewe-gungen an die Macht brachte, war eine

Reaktion der herrschenden Eliten auf eine schwere Krisedes bürgerlich-kapitalistischen Systems im Gefolge desErsten Weltkrieges - auf eine Systemkrise also, die vomSystem selbst hervorgebracht worden war.

3. Der Faschismus war nicht bis in die letzteKonsequenz ein bloßer Handlanger kapitalis-

tischer Interessensgruppen. Er verfolgte durchaus ei-genständige politische Ziele, die ursprünglich nichtvon seinen Gönnern verfolgt wurden. Der Faschismuspeilte langfristig völlige Unabhängigkeit von seinenBündnispartnern an, was ihm in Italien gar nicht, inDeutschland jedoch beschränkt gelang. Dennoch wardie faschistische Politik eine radikale Weiterführungbürgerlicher, kapitalistischer Ideologie und Politik mitterroristischen Methoden. Die grundsätzlicheVorstellung, dass es Menschen unterschiedlicher

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06| THESEN ZUM FASCHISMUS

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6. Erich Fried hat geschrieben, "ein Antifaschist,der nur Antifaschist ist, ist kein Antifaschist".

Die Gefahr des Faschismus zu bannen heißt, ihm dieGrundlage zu entziehen. Diese Grundlage ist nicht nurdie bürgerliche Ideologie, sondern auch deren ökono-misches Fundament. Wirtschaftskrisen, Armut und Angstvor einer Zukunft, die uns von einem Tag auf den ande-ren alles, was wir haben, nehmen kann, sind keine "na-türlichen" Zustände. Konsequenter Antifaschismuskommt nicht umhin, für eine Welt ohne Angst zu kämp-fen, eine Welt, in der Reichtum gerecht verteilt ist und inder niemand mit der dauernden Gefahr leben muss,plötzlich wertlos zu sein. Wer deshalb vom Kapitalismusnicht reden mag, soll auch vom Faschismus schweigen.Die anderen aber sollen kämpfen!

wiederholt sich nie exakt gleich. Aber solange ihreSpielregeln über weite Strecken die selben bleiben,können auch Tendenzen, Allianzen und Herr-schaftsmethoden wiederkehren.

5. Die grundlegende Ideologie des Faschismuskehrt nicht wieder, sie war immer da. Was be-

deutet die Allerweltsweisheit "Der Bessere setzt sichdurch" im Umkehrschluss? Was folgt aus der gebets-mühlenartig wiederholten Beteuerung der Wirtschaft,UnternehmerInnen und Arbeitende säßen "in einemBoot"? Teile der bürgerlichen Presse stellen dieserTage das Streikrecht offen in Frage - wer garantiertuns denn, dass die Forderung, "die Wirtschaft muss vordem Klassenkampf der Gewerkschaften in Schutz ge-nommen werden", nicht wieder mit anderen Methodendurchgesetzt werden könnte? Der Kapitalismus produ-ziert notwendigerweise Wirtschaftskrisen; diese Krisenmüssen bezahlt werden und bringen so immer wiederLegitimationskrisen für die herrschenden Schichtenmit sich; welche Sicherheit haben wir, dass dieHerrschenden sich beim Versuch, diese Krisen unterWahrung ihrer Interessen zu meistern, immer nur aufdie Überzeugungskraft von verbalen Argumenten ver-lassen werden?

Z U M FA S C H I S M U S

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Alle in dieser Broschüre angeführten Fakten sind nichtneu. Aber weil an Schulen und Universitäten vor allemeinzelne Aspekte behandelt werden, scheint dasGesamtphänomen des Faschismus vielen unerklärlichund verschwommen. Entweder gibt es in ihrem Bilddann nur Täter - womit Faschismus gewissermaßen ge-netisch veranlagt wäre. Oder es gibt nur Opfer, als ein-zige Schuldige bleiben dann die "Führer" übrig, die alleanderen verhext und ins Verderben geführt haben. Umzu verhindern, dass vor lauter Bäumen der sprichwörtli-che Wald nicht mehr gesehen wird, ist es deshalb not-wendig, die Grundmuster des Faschismus und derBedingungen, auf denen er aufbauen kann, wieder undwieder in Erinnerung zu rufen. Wenn es nämlich "fa-schistische Gene" gibt, können wir dagegen genausowenig tun wie gegen Hexer, die im Bedarfsfall ganzeVölker verzaubern. Wenn wir aber zum Schluss kom-men, dass konkrete gesellschaftliche und wirtschaftlicheBedingungen damals wie heute faschistische Ström-ungen begünstigen, dann können wir sehr wohl etwasgegen die Gefahr von rechts in der Gegenwart unter-nehmen.

Die Musikgruppe "Schmetterlinge" haben in ihrer be-rühmten "Proletenpassion" gesungen: "Was haben wirdavon, bescheid zu wissen, wenn wir nicht sehen, dasswir was ändern müssen?" Anders formuliert: Was nüt-zen die vielen Sonntagsreden und mahnenden An-sprachen an Gedenktagen, wenn ihnen keine Taten fol-gen? Denn uns allen muss klar sein: Faschismus lässtsich am ehesten in seiner Anfangsphase bekämpfen - istder Schneeball erst zur Lawine geworden, hält ihn nie-mand mehr auf. Aber auch so ist echter Antifaschismusschwer genug. Er bedingt nämlich die Einsicht, dass esdas Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist, in dem wirleben, das wir in Frage stellen müssen, wenn wir nichtsehenden Auges den selben Fehler ein zweites Mal ma-chen wollen. Den Mut, diese Wahrheit laut und offenauszusprechen braucht jede/r Einzelne von uns. DieMöglichkeit, auch wirklich etwas zu tun haben wir hin-gegen nur, wenn wir gemeinsam handeln.

Andreas Kollross|Verbandsvorsitzender

"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in klei-nen Dosen durchgesetzt - man hat immer ein bisschengewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosisvertrug." Mit diesen Worten kommentierte der Schrift-steller Stefan Zweig den Aufstieg des National-sozialismus. Auf dessen immer radikaleres Auftreten,auf sein immer breiteres Wirken, hinein in alle Kreiseder Bevölkerung, mag das zutreffen. Aber insgesamtgreift Zweigs Erklärung für die faschistische Macht-übernahme zu kurz. Denn bei seinem Aufstieg zurMacht profitierte der Faschismus überall von einerschweren gesellschaftlichen und ökonomischen Krise.Damit aber nicht genug: um an die Macht zu kommenbrauchte er darüber hinaus noch die tatkräftigeUnterstützung einflussreicher Kreise.Hier möchten wir mit dieser Broschüre ansetzen. Wirwollen darstellen, wie sich der Faschismus entwickelte,wer ihm half, weshalb es seinen GegnerInnen nicht ge-lang ihn zu verhindern und (sehr kurz gefasst) wie er,einmal an die Macht gekommen, agierte. Heraus-gearbeitet werden soll, dass diejenigen, die denFaschismus in die Schaltstellen des Staates hievten, diegleichen gewesen sind, die schon zuvor - und auch da-nach - die "Herrscher der Welt" waren. Es waren jeneKapitalisten, denen zur Unterdrückung der arbeiten-den Menschen die in der bürgerlichen Demokratie vor-handenen reaktionären Parteien nicht mehr schlag-kräftig genug erschienen. Es waren jene Spießbürger,die sich vor der ArbeiterInnenbewegung und vor dervon ihr erkämpften Demokratie fürchteten und umihre alten Privilegien bangten. Es waren jene Militärs,deren Weltmachtträume sich kurz zuvor zerschlagenhatten, und die nun auf dem Rücken der Arbeitendenerneut zum Krieg rüsten wollten - Für "nationaleGröße". Und für klingende Münze. Wie wahr ist dieAussage Max Horkheimers, wonach jene, die vomKapitalismus nicht reden wollen, auch vom Faschismusschweigen sollen!

NACHWORT

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IMPRESSUM

Medieninhaber: Trotzdem Verlag GmbHSondernummer I/2004Verlagspostamt: 1050 Wien, Erscheinungsort WienZulassungsnummer: GZ02Z032957SHerausgeberin: Sozialistische Jugend Österreich,alle Amtshausgasse 4, 1050 Wien3. AuflageErscheinungsjahr: 2004Autor: Florian WenningerHerzlichen Dank für alle Hilfestellungen, besondersan: Prof. Hugo Pepper, Fabian Steinschaden, MartinaPunz, Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung -Mag. Christian Stadelmann, Dokumentationsarchivdes Österreichischen Widerstands, Klaus Kienesberger,Devrim Gerekly, Jakob Feinig und Torsten EngelageLayout: [email protected] by BMSG, gem. §7 Abs. 2 B-JVG

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Konrad, Helmut, Schmidlechner, Karin M. 1991:Revolutionäres Potential in Europa am Ende desErsten Weltkrieges, Wien - Köln Anschauliche Darstellung gesellschaftlicher Brüche undUmstürze (bzw. Umsturzversuche) während und unmittelbarnach dem Ersten Weltkrieg.

Kühnl, Reinhard 1993: Die Weimarer Republik.Errichtung, Machtstruktur und Zerstörung einerDemokratie. Ein Lehrstück, HeilbronnGut lesbare Darstellung der Weimarer Republik mit vieleninteressanten Details.

Manstein, Peter 1989: Die Mitglieder undWähler der NSDAP 1919-1933. Untersuchungenzu ihrer schichtmäßigen Zusammensetzung, 2.überarbeitete Auflage, Frankfurt/ MainWer folgte dem "Führer"? Waren manche gesellschaftlichenSchichten anfälliger für den Faschismus als andere?Mansteins Buch gilt nicht umsonst als Standardwerk zurBeantwortung dieser Fragen.

Messerschmidt, Manfred 1988: Militärgeschicht-liche Aspekte der Entwicklung des deutschenNationalstaats, DüsseldorfDas Buch beschäftigt sich mit dem Verhältnis des deutschenMilitärs und der NS-Bewegung. Im einzelnen weist Messer-schmidt - ein bürgerlicher Historiker - nach, dass es zwischenkonservativen Militärs und braunen Machthabern nicht nur star-ke gemeinsame Interessen hinsichtlich der politischen Ziele (Auf-rüstung, aggressive Aussenpolitik) sondern auch eine weitgehen-de Übereinstimmung in der Grundanschauung gab (Antiparla-mentarismus, Antimarxismus, Antisemitismus, "Starker Staat").

Pätzold, Kurt, Weißbecker, Manfred 2002: Ge-schichte der NSDAP. 1920 bis 1945, KölnUmfassende Darstellung der politischen, ideologischen undorganisatorischen Entwicklung der NSDAP, Untersuchungen zurfaschistischen Massenbasis und Interessen der Bündnispartner.

DER DEUTSCHE FASCHISMUS

Quellen & Dokumente:

Hörster-Philipps, Ulrike (Hgin.) 1978: Groß-kapital und Faschismus 1918-1945. Dokumente,KölnEine breite Auswahl von Dokumenten und -Auszügen zu denBündnispartnern des deutschen Faschismus.

Kühnl, Reinhard (Hg.) 2000: Der deutscheFaschismus in Quellen und Dokumenten, Köln350 Dokumente und entsprechende Erörterungen ermög-lichen ein fundiertes Bild der Diktatur, ihrer gesellschaft-lichen Grundlagen und Voraussetzungen. Als Arbeitsmittelfür Schule, Studium und politische Bildung hervorragend ge-eignet.

Michaelis, Hermann u. Schraepler, Ernst (Hg.)1964ff: Ursachen und Folgen. Vom deutschenZusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staat-lichen Neuordnung Deutschlands in der Gegen-wart. Eine Urkunden- und Dokumentensamm-lung zur Zeitgeschichte, BerlinEine 26 Bände umfassende Quellenedition, ideal bei derSuche nach ungekürzten Quellentexten.

Nachschlagewerke

Benz, Wolfgang (Hg.) 1990: Legenden - Lügen -Vorurteile. Ein Lexikon zur Zeitgeschichte, Mün-chenExzellentes Nachschlagewerk, um Legenden und revisionisti-schen Lügen Paroli bieten zu können.

Gutman, Israel u. a. (HgIn.) 1993: Enzyklopädiedes Holocaust, BerlinIn über 1.000 Stichwörtern werden Hintergründe, Abläufe undAuswirkungen des Holocaust im von den Nazis beherrschtenEuropa dargestellt.

Monografien

Klee, Ernst 1989: "Euthanasie" im NS-Staat. Die"Vernichtung lebensunwerten Lebens", 3. Auf-lage, Frankfurt/ MainDas Standardwerk zur Verfolgung und Ermordung behinder-ter Menschen im Nationalsozialismus.

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WEITERFÜHRENDE

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09| WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Scheuer, Georg 1996: Mussolinis langer Schat-ten. Marsch auf Rom im Nadelstreif, KölnDer österreichische Sozialist und Widerstandskämpfer behan-delt im Unterschied zu Mantelli neben einem Abriss über denFaschismus 1922 - 1945 auch die neofaschistische Proble-matik nach dem Zweiten Weltkrieg.

Tasca, Angelo 1986: Glauben, gehorchen, kämp-fen. Aufstieg des Faschismus in Italien, Wien Eines der bekanntesten Bücher über die faschistischeBewegung Italiens. Der Autor war Sozialist und im Wider-stand gegen den Faschismus. Das Buch verfasste er ursprüng-lich 1922, seine Analyse ist trotzdem in vielen Punkten zu-treffend. Interessant ist das Buch auch deshalb, weil es sichaus zeitgenössischer Sicht mit möglichen Gegenstrategien be-fasst.

Feldbauer, Gerhard 2002: Marsch auf Rom.Faschismus und Antifaschismus in Italien - VonMussolini bis Berlusconi und Fini, KölnWie schon am Titel zu erkennen, arbeitet Feldbauer mit ei-nem ziemlich diffusen Faschismus-Begriff. Interessant andem Buch sind allerdings die faschistischen Kontinuitätennach 1945, die relativ detailliert geschildert werden.

DER ITALIENISCHE FASCHISMUS

Leider sind relativ wenig umfassende Veröffentlichungen, etwaQuellensammlungen, zum italienischen Faschismus in deutscherSprache im Handel erhältlich. Daher wird hier vor allem aufEinstiegsliteratur verwiesen, manche der unten angeführten Werkesind dennoch ausschließlich über Antiquariate bzw. Bibliotheken be-ziehbar.

Überblickswerke

Mantelli, Bruno 1998: Kurze Geschichte des ita-lienischen Faschismus, BerlinLeicht zu lesender Einstiegstext.

Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte(Hgin) 1982: Faschismus in Österreich undinternational. Jahrbuch für Zeitgeschichte1980/81, WienLiefert einen guten Überblick zu faschistischen Bewegungenund Regimen im Europa der Zwischenkriegszeit. Wieder-gegeben werden außerdem Auszüge von Diskussionen unterhochrangigen WissenschaftlerInnen.

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L ITERATUR

Sozialistische Jugend ÖsterreichAmtshausgasse 4

1050 Wien

BESTELLMÖGLICHKEITEN:

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Sammelbände

Petersen, Jens, Schieder, Wolfgang (Hg.) 1997:Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat,Wirtschaft, Kultur, Vierow bei GreifswaldEiner der umfassendsten Sammelbände in deutscher Sprache

Schieder, Wolfgang (Hg.) 1983: Faschismus alssoziale Bewegung. Deutschland und Italien imVergleich, GöttingenDer Sammelband mit Beiträgen bürgerlicher Historiker be-schäftigt sich vergleichend mit der faschistischen Basis inDeutschland und Italien, insbesondere auch mit der Frage,welche Schichten von der faschistischen Politik profitiertenbzw. welchen Gruppen eine eigenständige Rolle innerhalbdes faschistischen Bündnisses zukam.

Monografien

Kuß, Stephan 1995: Römische Kurie, italieni-scher Staat und faschistische Bewegung. DerVatikan und Italien in der Zeit nach dem ErstenWeltkrieg bis zur totalitären "Wende" desMussolini-Regimes (1919 - 1925), Frankfurt/MainÜber das Verhältnis der katholischen Kirche zur faschistischenBewegung. Interessant, aber in der Bewertung desFaschismus einigermaßen problematisch.

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Woller, Hans 1996: Die Abrechnung mit demFaschismus in Italien 1943 bis 1948, MünchenIn keinem anderen Land wurde an den FaschistInnen so blutigRache genommen wie in Italien. Allerdings wurde in Italienauch die erste Nachkriegsamnestie für faschistische Verbrechererlassen und blieb der Faschismus länger als in Deutschland ge-sellschaftliches Tabu. Die Aufarbeitung des bürgerlichenHistorikers Woller ist interessant zu lesen und enthält vieleDetails, bleibt eingehendere Analysen aber schuldig.

Petersen, Jens 1976: Faschismus und Industriein Italien 1918 - 1929. In: Gesellschaft. Beiträgezur Marxschen Theorie, Heft Nr. 7, Frankfurt/Main, S. 133 - 189

Autobiographisches

Lussu, Emilio 1991: Marsch auf Rom und Um-gebung, Wien/ ZürichAutobiografischer Essay des bekannten sardischenSchriftstellers ("Ein Jahr auf der Hochebene"), der dieNachkriegszeit in Italien und die Machtübernahme Mussolinisschildert. Sehr empfehlenswert.

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[ SOZIALISTISCHE JUGEND ]www.sjoe.at

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10| ADRESSEN

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Jusos SalzburgWartelsteinstrasse 15020 SalzburgTel.: 0662/ 42 45 00 21Fax: 0662/ 42 45 00 [email protected]

SJ SteiermarkHans Resel Gasse 68020 GrazTel.: 0316/ 702 632Fax: 0316/ 702 [email protected]

Jusos TirolSalurnerstrasse 26020 InnsbruckTel.: 0512/ 53 66 15Fax: 0512/ 53 66 [email protected]

SJ VorarlbergMutterstrasse 65 a6800 FeldkirchTel.: 05572/ 23 26 30Fax: 05572/ 23 26 3 [email protected]

SJ WienLandstrasser Hauptstrasse 96/21030 WienTel.: 01/ 713 8 713Fax: 01/ 713 8 713 [email protected]

Sozialistische Jugend ÖsterreichAmtshausgasse 41050 WienTel.: 01/523 41 23Fax: 01/523 41 23 [email protected]

Sozialistische Jugend BurgenlandPermayerstrasse 27000 EisenstadtTel.: 02682/ 775 292Fax: 02682/ 775 [email protected]

SJG Kärnten10. Oktober Strasse 289020 KlagenfurtTel.: 0463/ 57 9 87Fax: 0463/ 57 9 87 [email protected]

SJ NiederösterreichKastelicgasse 23100 St. PöltenTel.: 02742/ 22 55 222Fax: 02742/ 22 55 [email protected]

SJ OberösterreichLandstrasse 36/34020 LinzTel.: 0732/ 77 26 34Fax: 0732/ 77 26 34 [email protected]

HIER KANNST DU UNS ERREICHEN

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LOB DES LERNENSBertolt Brecht

Lerne das Einfachste!Für die,

Deren Zeit gekommen ist,Ist es nie zu spät!

Lerne das ABC, es genügt nicht, aber Lerne es! Laß es dich nicht verdrießen!

Fang an! Du mußt alles wissen!Du mußt die Führung übernehmen.

Lerne, Mann im Asyl!Lerne, Mann im Gefängnis!

Lerne, Frau in der Küche!Lerne, Sechzigjährige!

Du mußt die Führung übernehmen.Suche die Schule auf, Obdachloser!

Verschaffe dir Wissen, Frierender!Hungriger, greif nach dem Buch:

es ist eine Waffe.

Du mußt die Führung übernehmen.

Scheue dich nicht, zu fragen, Genosse! Laß dir nichts einreden,

Sieh selber nach! Was du nicht selber weißt,

Weißt du nicht. Prüfe die Rechnung,

Du mußt sie bezahlen. Lege den Finger auf jeden Posten,

Frage: wie kommt er hierher?Du mußt die Führung übernehmen.

[ SOZIALISTISCHE JUGEND ]www.sjoe.at

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