Italienischer Faschismus - #06

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    IItalienischer Ftalienischer Faschismaschismusus(A(Ausgabe Nusgabe Nr. 6, 23. Jr. 6, 23. Juni 2011)uni 2011)

    wikipedia.it

    Innerhalb der Redaktion kam es zu einer einschneidenden

    Vernderung: Fritz Gde schied auf eigenem Wunsch letzte Woche

    aus der Redaktion aus. Wir sind davon schwer getroen, da Fritz

    nicht nur ein uerst eiiger Schreiber und scharfer Denker ist,

    sondern auch weil wir zuknftig auf seine profunden Beitrge bei

    der Konzeption und Nachlese der Ausgaben verzichten mssen. Wir

    wnschen Fritz politisch und persnlich von Herzen viel Kraft und

    Geduld und hoen, ihn als regelmigen freien Autor gewinnen zuknnen. Ein paar geplante Rezensionen werden die nchste Zeit noch

    folgen. Diese Ausgabe wurde noch von Fritz mit vorbereitet, was sich

    deutlich an Liste der Rezensierenden zum Schwerpunkt widerspiegelt.

    Worin liegen in der Auseinandersetzung zum italienischen Faschismus

    heute noch Potenziale fr Erkenntnisse? Whrend im NS unter Hitler

    Rassismus und Antisemitismus theoretisches Grundgerst waren,

    wurde im italienischen Faschismus (zunchst) darauf verzichtet.

    Whrend die den NS mitprgende vlkische Ideologie im italienischenFaschismus kaum zu nden ist, setzten Mussolini und Co. viel mehr

    auf den Staat und die Einbindung alter Eliten und Intellektueller. Diese

    und andere Unterschiede schlieen jedoch Gemeinsames nicht aus:

    Die Faschismen in Deutschland und Italien hatten insbesondere

    imperialistische Expansionspolitik und Antikommunismus gemein. Wir

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    halten die historische Auseinandersetzung mit der romanischen Form

    des Faschismus aus zwei Grnden fr relevant: Einerseits gehen wir

    davon aus, dass die weiten Teile der extremen Rechten in Deutschland

    sich nicht ewig auf direkten Pfaden der exakten NS-Treue benden

    und Inhalte und Formen des italienischen und auch franzsischenFaschismus an Bedeutung gewinnen werden. Andererseits appellieren

    wir anhand des Beispiels fr eine korrektere Verwendung des

    Faschismus-Begris: Nicht alle Faschismen sind deckungsgleich, nicht

    alles als reaktionr Ausgemachte ist Faschismus.

    Sebastian Friedrich und Fritz Gde untersuchen zunchst Kaminskis

    Analyse zum Fascismus in Italien aus dem Jahr 1925 und beziehen die

    nicht nur kritischen Auseinandersetzungen zu Mussolini im Umkreis

    der antifaschistischen Weltbhne in den 1920er Jahren mit ein.Anschlieend zeigt Fritz Gde am Beispiel von Der Schmied Roms

    Verwandtschaften zwischen den verschiedenen Faschismen in Italien

    und Deutschland auf. Die deutsche Propagandaschnulze feiere zwar

    den Gewaltkult Mussolinis, nicht aber ohne doch die berlegenheit

    der Deutschen gegenber Italien zu behaupten. Schlielich setzt sich

    wiederum Fritz Gde kritisch und solidarisch mit Sternhells

    Entstehung der faschistischen Ideologie auseinander. Er kritisiert

    insbesondere die Vernachlssigung der gemeinsamenimperialistischen Funktion aller Faschismen.

    Unter den aktuellen Rezensionen ndet sich diesmal zum einen Yves

    Mllers Rezension zu Ausschluss und Feindschaft, in der er dem

    Sammelband zwar das Liefern eines erhellenden Einblicks konstatiert,

    der aber wenig Brisantes zur aktuellen Antisemitismus- und

    Rechtsextremismusforschung liefere. Adi Quarti empehlt sodann die

    Lektre von Amborts Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts,

    einem persnlichen und politischen Bericht ber Erfahrungen undWiderstand unter der Militrjunta in Argentinien.

    Aus dem Archiv schten wir diesmal die Wrdigung von Sebastian

    Friedrich zu Orte der Bcherverbrennung in Deutschland 1933. Dieser

    umfangreiche Sammelband diene als neues Standardwerk zum Thema

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    http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/die-weltbuhne-und-das-faszinosum-faschismus/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/hugenbergs-schwenk-zu-mussolini/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/war-sorel-fur-die-heraufkunft-des-faschismus-wirklich-masgebend/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/neues-und-bekanntes-zu-antisemitismus-und-rechtsextremismus/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/eindruckliche-einblicke/http://www.kritisch-lesen.de/2008/10/orte-der-bucherverbrennungen-in-deutschland-1933/http://www.kritisch-lesen.de/2008/10/orte-der-bucherverbrennungen-in-deutschland-1933/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/eindruckliche-einblicke/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/neues-und-bekanntes-zu-antisemitismus-und-rechtsextremismus/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/war-sorel-fur-die-heraufkunft-des-faschismus-wirklich-masgebend/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/hugenbergs-schwenk-zu-mussolini/http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/die-weltbuhne-und-das-faszinosum-faschismus/
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    und belege, dass es sich beim Faschismus des NS um eine

    Massenbewegung handelt. Die letzte Rezension von Fritz Gde zu

    dem Jahresband 1932 der Weltbhne knpft schlielich noch einmal

    direkt an die erste Rezension an und zeigt die Diskussionen in der

    einussreichen Zeitung um den aufkommenden Faschismus auf.

    Abschlieend noch der Hinweis auf den 7.7.: Dieser Tag steht ganz im

    Zeichen von kritisch-lesen.de an dem Donnerstag erscheint nicht nur

    die nchste Ausgabe, sondern gleichzeitig nden zwei Veranstaltungen

    von bzw. mit kritisch-lesen.de statt. In Bochum werden wir bei dem

    Alternativen Medienfestival mit einem Stand vertreten sein und freuen

    uns auf interessante Gesprche und Begegnungen. Auch in Berlin

    ndet abends eine Podiumsdiskussion mit Volker Wei und dem

    kritisch-lesen.de-Redakteur Sebastian Friedrich zum Thema Sarrazinstatt. Wir freuen uns die Veranstaltung gemeinsam mit unseren

    Freund_innen vom Antifaschistischen Infoblatt und der Edition

    Assemblage prsentieren zu drfen.

    Viel Spa beim (kritischen) Lesen.

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    http://www.kritisch-lesen.de/2010/01/tappen-durchs-dunkel/http://www.medienfestival-bochum.de/Home.htmlhttp://www.edition-assemblage.de/7-juli-2011-berlin-angriff-der-elitenhttp://www.nadir.org/nadir/periodika/aibhttp://www.edition-assemblage.de/http://www.edition-assemblage.de/http://www.edition-assemblage.de/http://www.edition-assemblage.de/http://www.nadir.org/nadir/periodika/aibhttp://www.edition-assemblage.de/7-juli-2011-berlin-angriff-der-elitenhttp://www.medienfestival-bochum.de/Home.htmlhttp://www.kritisch-lesen.de/2010/01/tappen-durchs-dunkel/
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    Die WDie Weltbhne und das Feltbhne und das Faszinosum Faszinosum Faschismaschismusus

    Hans-Erich Kaminski

    Faschismus in ItalienGrundlagen, Aufstieg, Niedergang

    Von Sebastian Friedrich und Fritz Gde

    Bereits 1923 analysiert Hanns-Erich Kaminski Aufstieg und Fall des

    Faschismus. Ein erweiterter Blick auf die Diskussionen in derWeltbhne oenbart Schwankendes vor dem Bilde Mussolinis.

    Auch wenn 65 Jahre nach dem Sieg ber Nazideutschland droht, dass

    die Analyse des deutschen Faschismus zunehmend als unwichtig

    erscheint, existiert nach wie vor eine Auseinandersetzung ber

    Deutungen, Erklrungsmuster und Analysen vergangener und

    gegenwrtiger Faschismen. Dabei berufen sich einige auf die nunmehr

    75 Jahre alte Dimitro-These, nach der der Faschismus die oene,

    terroristische Diktatur der am meisten chauvinistischen,

    reaktionrsten und imperialistischen Krfte des internationalen

    Finanzkapitals sei. Andere fallen noch hinter diese zurck und

    bevorzugen Thalheimers an Marx angelehnte Bonapartismus-Theorie,

    wonach die Faschisten aus dem Gleichgewicht zwischen den Klassen

    erfolgreich die Staatsmacht bernehmen knnten. Aktuellere

    Faschismustheorien scheinen die Kriterien des Faschismus so weit

    ausgedehnt zu haben, dass von diesen ausgehend beinahe alles als

    Faschismus bezeichnet werden kann. Lange vor dieser Diskussionerschien bereits 1925 ein Buch des Journalisten Hanns-Erich Kaminski

    mit dem bemerkenswerten Titel Fascismus in Italien. Grundlage -

    Aufstieg - Niedergang. Die Arbeit oenbart einige interessante

    Erkenntnisse zu den Endungen und Wendungen des

    Faschismusbegris innerhalb der Linken in den 1920er Jahren in

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/sebastian-friedrich/http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/http://www.kritisch-lesen.de/author/sebastian-friedrich/
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    Deutschland. Kaminski schrieb fr verschiedene Zeitungen und

    Zeitschriften, unter anderem hug fr die Weltbhne, in der er auch

    einige Artikel zum Thema verentlichte. Artikel von anderen Autoren

    zum italienischen Fascismus - wie die Weltbhne konsequent schrieb

    - zeigen, dass es in der Weltbhne keineswegs so einhelligantifaschistisch zuging, wie man vielleicht vermuten knnte.

    Kaminskis BKaminskis Blick auf den ilick auf den italienischen Ftalienischen Fascismascismusus

    Kaminski, selbst zu der Zeit zwei Jahre lang in Italien, schildert als

    Augenzeuge den Aufstieg des Faschismus und seinen (zu Unrecht fr

    1925 vorausgesehenen) Fall. Die Reportagenfolge Fascismus in

    Italien entspricht weitgehend dem, was sich in der Weltbhne im

    ersten Halbjahr 1923 als Artikelreihe unter Kaminskis Pseudonym MaxTann wiederndet. Kaminski fgt seinem Bericht Auszge aus den

    Aufzeichnungen des von den Faschisten eben erschlagenen Matteotti

    an.

    Aus diesen geht die Methode hervor, wie sich die fascisti in

    Oberitalien eine lndliche Region nach der anderen zur Eroberung

    vornahmen. Treend verweist Kaminski auf die soziale Herkunft der

    Vorkmpfer, bei denen es sich wie in Deutschland etwa bei der Brigade

    Erhardt im Wesentlichen um ehemalige Soldaten handelt, die aus dem

    Krieg ohne groe Chancen zurckgekommen sind. Besonders

    hervorzutreten scheinen dabei die ehemaligen arditi, die Stotrupp-

    Vorkmpfer. In einigen Beitrgen wird mit Recht darauf aufmerksam

    gemacht, dass die Aufstellung einer stets aktiven Brgerkriegsarmee

    voraussetzt, dass dauernd verfgbare Alarmtruppen zur Verfgung

    stehen. Dem werden sich arbeitende Proletarier nie in gleichem

    Umfang entgegenstellen knnen, ohne nicht immerfort ihren

    Arbeitsplatz zu riskieren.

    Mit den bewhrten Mitteln - Knppel und Rizinusasche, seltener

    Pistolen - wird systematisch ein Haus nach dem anderen bedroht, in

    dem die Arbeiter sich noch nicht der faschistischen Arbeitsvermittlung

    unterworfen haben. Arbeitsvermittlung heit in diesem Fall:

    Akzeptieren der unanfechtbaren faschistischen Verfgung ber

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    mgliche Anstellungen in der Provinz - und ber die Lohnhhe. Nach

    fast einem Jahr Zwangsbelagerung erlsst die fascistische

    Organisation im August 1923, vom Staat gedeckt, einen eigenen

    Erlass. Der aus dem Matteotti-Teil entnommene Wortlaut sagt mehr als

    alle Erklrungen:

    Die fascistischen Organisationen von Molinella fordern

    alle aus allen Teilen der Provinz Bologna herbeigeeilten

    jungen Leute auf, unverzglich nach Hause

    zurckzukehren; die Kolonisten [=Halbpchter, Anm. fg/

    sf] und roten Arbeiter sollen ihren ungerechtfertigten und

    strafbaren Widerstand aufgeben. Den Organisationen, die

    noch der sozialistischen Vereinigung angehren, wird eine

    Frist von 48 Stunden gewhrt, damit sie sich unterwerfenknnen; dann wird der Kampf wieder voll aufgenommen

    werden, um einer Situation ein Ende zu machen, die

    Italien und das Ausland verwstet und Molinella, das so

    bald wie mglich wieder vollkommen dem Vaterland

    angehren mu und will, entehrt. (S. 138)

    Die dunklen Hinweise im letzten Satz sollen wohl auf die in Russland

    vollzogene Revolution hinweisen, der die Sozialisten aller Art

    zugerechnet werden, so dass Begrie der Vaterlandsverteidigung sich

    den Faschisten ohne weiteres anbieten.

    Vor diesem Hintergrund der erfolgreichen Kriegsfhrung im eigenen

    Land analysiert Kaminski nicht nur den total imaginren Marsch auf

    Rom des Duce, sondern auch die anfangs fast leeren Proklamationen

    des knftigen Vaterlandsretters. Die Person muss das Programm

    ersetzen. Im Gegensatz zur spteren Charakterisierung des

    Faschismus durch Dimitro zeigt Kaminski, dass die ersten Kmpfe vielmehr zugunsten der Landbesitzer und des kleineren Kapitals

    gefhrt wurden. Erst nach den Erklrungen Mussolinis fr das

    Privatkapital und das gewohnte Geschftsleben, ossen Spenden und

    Zustimmung auch von den Kommandohhen des Kapitals. Zwar scheint

    sich Mussolini zunchst an Sorel gehalten zu haben, jedoch in der

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    Hauptsache an den Hass der Syndikalisten auf den leerlaufenden

    parlamentarischen und brokratischen Betrieb. Der oene

    Antikommunismus Mussolinis und das Bekenntnis zum Imperialismus

    stammten ganz oenbar aus der Anlehnung an die schon bestehenden

    Machtverhltnisse und hatten mit Sorel am wenigsten zu tun.

    Kaminski charakterisiert das schon im Berichtszeitraum aullige

    Verhltnis zum Vatikan. Durch allerlei Zugestndnisse an das

    Katholische in Prunk, Erziehung und Knete bringt Mussolini den Papst

    dazu, Priestern das politische Engagement zu verbieten. So wird

    Sturzo mehr oder weniger aus dem Verkehr gezogen, einer der

    verbliebenen noch gefhrlichen Fhrer der Popolari, der oenbar

    ziemlich auf der Linie der spteren Democrazia Christiana ist.

    Innenpolitisch regiert Mussolini schon von Anfang an, ohne dasParlament zu Wort kommen zu lassen. Das Wahlrecht wird so

    abgendert, dass eine Partei mit ber 25 Prozent automatisch zwei

    Drittel der Sitze zugesprochen bekommt. Immerhin berleben in

    dieser ersten Phase von Mussolinis Regiment noch gegnerische

    Parteien und ihre Zeitungen.

    Zum Unglck der Analyse hatte Kaminski sein Buch 1924

    abgeschlossen, also vor dem Nachweis des Mordes am

    Oppositionspolitiker Matteotti. Die gesamte Restopposition zog nach

    dem Mord aus dem Parlament aus. Mussolini musste fast ein Jahr

    lang Zugestndnisse aller Art ernden, da sich moralische Emprung

    von allen Seiten regte. Aus dieser momentgebundenen Sicht entstand

    Kaminskis letztes Kapitel: Das Ende des Fascismus. Noch heftiger

    das Urteil in einem Artikel Kaminskis in der Weltbhne am 31. Juli

    1924 - wohl nach der Drucklegung des Buches. Darin heit es gegen

    Ende: der Fascismus strzt - und er strzt unaufhaltsam - nicht so

    sehr ber eine politische als ber eine moralische Frage. (WB 1924/2,S. 164)

    Tatschlich trat Mussolini zu Beginn des Jahres 1925 ins Parlament

    und bekannte oen seine moralische Verantwortung fr die Ttung

    Matteottis. Im Gegensatz zur Einschtzung Kaminskis brachte er

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    gegen allen brgerlichen Anstand eine neue Art von Ethos auf: den

    sacro egoismo der staatlichen Selbstbehauptung. Die Mehrheit der

    aus dem Parlament ausgewanderten Kritiker Mussolinis wagten es

    oenbar nicht, sich dem Staatschef oen entgegenzusetzen, weil der

    Aufruf zum Generalstreik sehr wahrscheinlich italienweit zu Kmpfengefhrt htte, gegen die immer noch aufrufbereiten faschistischen

    squadristi. Erst von diesem Augenblick an erfllte der Staat

    Mussolinis das, was herkmmlich totalitr genannt wird.

    Entgegenstehende Parteien wurden verboten, bzw. zur

    Selbstausung gedrngt, gegnerische Zeitungen gleichgeschaltet

    und restliche rechtliche Begrenzungen der Verfolgung von Personen

    geschleift. Das Merkwrdige ist, dass in der Weltbhne daraufhin die

    irrige Voraussage auf Mussolinis Ende nicht mehr diskutiert wurde.

    Ossietzky, damals noch bei Montag Morgen, stellt dort am 23. Juni

    1924 in Rathenau und Matteotti, nach einer berechtigten

    Verurteilung der Gleichgltigkeit in Folge der Ermordung Rathenaus,

    Italien als Gegenbeispiel hin: Die Phalanx der anstndigen Menschen

    erwies sich strker als der eiserne Ring der Diktatur [...] Aus einem

    politischen Mord erwchst dem Lande unverhot ein politischer

    Kurswechsel. (Ossietzky 1994/2, S. 341) Auch Ossietzky kam nie mehr

    auf seine Fehleinschtzung zurck. Erst im Juni 1929 ndet sich in der

    Weltbhne von einem Tyl (wohl Pseudonym) eine genaue Darstellungder gerichtlichen Ergebnisse der Untersuchung des Mordfalls -

    mitsamt den allergeringsten Strafen fr die mittelbaren und

    unmittelbaren Tter (WB 1929/1, S. 884-888).

    MMussolini der einzig energische Mann in Eurussolini der einzig energische Mann in Europaopa und ein und einvverwanderwandter Geistiger?ter Geistiger?

    Dagegen traten mehr oder weniger anbetende Parteignger des

    italienischen Diktators in der Weltbhne selbst auf. So sieht WolfgangGeise im April 1924 die entscheidende Umwandlung dessen, was man

    bisher entlichkeit mit moralischem Urteil genannt hat. Dieses blasst

    berall ab. Geise schwrmt beim Bericht der Siegesfeier der

    Faschisten frmlich fr Mussolini, dessen Rede sich im Lrm verliert,

    aber dessen Kopf ich sehe und irgendeinem deutschen Politiker

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    wnsche. Kein Parteihengst. Kein Pstchenjger. Kein Zuhlter des

    Glcks. Nicht irgendein Reprsentant einer Idee, sondern die Idee

    selber (WB 1924/1, S. 559). Am Ende beschwrt Geise ein Rollen und

    Donnern der Zukunft hinter dem Vorhang und fragt begeistert, welches

    Schauspiel der groe Autor, gemeint ist Mussolini, als nchstesbringen wird. Dies erinnert an das Prinzip des spectacle, wie es

    Debord spter entwickeln sollte. Die Miterlebenden messen sich nicht

    mehr die Kraft zu, auch nur urteilend einzugreifen. Sie degradieren

    sich zum Zuschauer. Geise legt im Juli noch nach und feiert - wenn auch

    nicht mehr so euphorisch - Mussolini als den einzigen energischen

    Mann in Europa nach Lenin (WB 1924/2, S. 81).

    Kaminski widerspricht einen Monat spter in einer direkten Antwort

    Geise. Er verweist auf die ihm bekannt gewordenen Urteile, die einemassenhafte Abwendung nicht nur vom Fhrer, sondern auch vom

    Fhrerkult in Italien anzukndigen scheinen. Er sollte sich getuscht

    haben, denn Mussolinis Ende schob sich um ganze zwanzig Jahre

    hinaus. Kaminski wendet sich in seiner Antwort vor allem gegen den

    ersten Satz Geises, den Mussolini-Lenin-Vergleich. Was soll die

    Haltung der Anbetung, als ginge es nicht vor allem darum, wen die

    verehrte Energie treen wird? Kaminski war zwischenzeitlich zu

    anderen Presseorganen entschwunden, als eben diese Haltung derenthemmten Anbetung sich im blut- oder mindestens ziegelroten Heft

    der Weltbhne weiter entfalten sollte. Kurt Hiller, schon unter

    Jacobsohn einer der regsten Mitarbeiter, Vertreter der Geistigen und

    daher Ablehner der Massendemokratie, uert sich in seinem Artikel

    Mussolini und unsereins im Januar 1926 folgendermaen:

    Mussolini - was ich zunchst nicht kann, ist: einstimmen

    in das Wutgeheul der Weltdemokratie ber diesen Mann,

    der, wie mir scheint, keineswegs nur der Antipode,sondern auch die lebende Widerlegung des

    Demokratismus ist. Demokratie heit: Herrschaft jeder

    empirischen Mehrheit; wer wollte bestreiten, da die

    Mehrheit des italienischen Volkes seit langem treu hinter

    Mussolini steht? Da die Begeisterung breitester Teile der

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    Massen seines Volkes diesen Kraftkerl trgt? Damit ist

    nicht die Richtigkeit seiner Politik bewiesen; aber htte

    der Demokratismus recht, wre sies damit. Wenden wir

    uns von den Illiberalismen, der Willkr, der

    Gewaltmethode Mussolinis mit Schaudern ab, so wendenwir uns implicite vom Grundaxiom des Demokratismus

    ab; denn die Mehrheit seiner Nation billigt sie. Die Fasci

    sind Volk, nicht Adelsgremien von Grogrundbesitzern,

    Professoren, Kirchenfrsten, Industriebaronen. Voll

    Proleten stecken die Fasci! (...)

    Hat der demokratische Parlamentarismus den Krieg

    verhindert? Hat er ihn auch nur um eine Minute

    abgekrzt? Hat er die Lage der Arbeiterschaft gehoben?

    In keinem Land der Welt war die Arbeiterbewegung so

    zerspalten und zerrissen und sich selbst aufhebend wie in

    Italien, in keinem der Liberalismus so seicht und verlogen

    wie in Italien; fhrte doch der Liberalismus dieses Volk in

    den Krieg; in einen reinen Eroberungskrieg. Was hatten

    sie denn, die italienischen Massen, von den modernen,

    freiheitlichen, demokratisch-sozialistischen Ideen? Nichts.

    Vielleicht, fhlten da nun Millionen, bringt das

    Rinascimento der alten Ideen, das Regime der Autoritt,die stramme rmische Tradition uns mehr Glck. So kam

    es, da der Fascio sie fascinierte. So gab der Demos sein

    Votum fr die Autokratie ab; fr die theatralische Fhrung

    durch den Einen; fr die Militrdiktatur. Schlielich ist

    der Duce selbst aus der demokratisch-sozialistischen

    Bewegung hervorgewachsen; deren Spieigkeit ihm nicht

    Genge tat. Er ist ein Kraftkerl (kein Pathet nur); und

    Kraftkerle kann die demokratisch-sozialistische -

    Bewegung? - nicht gebrauchen. (...)

    - der Fascismus ist fr Sttzung der Kapitalsordnung und

    injiziert ihr systematisch Sozialismus-Dosen, wie sie sie

    nicht gewhnt war. Es fehlt dem Fascismus eines: die

    Heuchelei. Er ist so ehrlich wie brutal. Und hat Schwung,

    Eleganz, Vitalitt. Mussolini, man sehe ihn sich an, ist kein

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    Kaer, kein Mucker, kein Sauertopf, wie die Prominenten

    der linksbrgerlichen und brgerlich-sozialistischen

    Parteien Frankreichs und Deutschlands und andrer Lnder

    Europas es in der Mehrzahl der Flle sind; er hat Kultur. Er

    sieht aus, wie jemand der Kraft hat, aber etwas von Kunstversteht und Philosophen gelesen hat [...] Die Posen, die

    man ihm vorwirft (etwa, da er sich mit jungen Lwen

    photographieren lt), nde ich entzckend. Er pfeift auf

    ledernen Ernst; die frische Frhlichkeit der Macht

    exhibiert er. Er ist kein Triebverdrnger. Darum gestattet

    er auch seinen Freunden so viel Exzesse des Machttriebs.

    Bis zum politischen Mord. Mu man eigens aussprechen,

    da man den Mord verdammt? Aber die Demokraten, die

    sich so sehr entrsten, ttigten selber Mord an Millionen

    Schuldloser - 1914 bis 18, Wenn ich mich genau prfe, ist

    mir Mussolini, dessen Politik ich weder als Deutscher noch

    als Pazist noch als Sozialist ihrem Inhalte nach billigen

    kann, als formaler Typus des Staatsmannes deshalb so

    sympathisch, weil er das Gegenteil eines Verdrngers ist.

    Ein weltfroh eleganter Energiekerl, Sportskerl, Mordskerl,

    Renaissancekerl, intellektuell, doch mit gemigt-

    reaktionren Inhalten, ist mir lieber, ich leugne es nicht,als ein gemigt-linker Leichenbitter, der im Endeekt

    auch nichts hervorbringt, was den Mchten der Beharrung

    irgend Abbruch tut. (WB 1926/1, S. 45-48)

    Hier zeigt sich die sthetisierung der Politik, von der Benjamin

    als einer der ersten gesprochen hatte. Hiller operiert das moralische

    Urteil einfach heraus, um sich unbegrenzt der Bewunderung hingeben

    zu knnen, der Bewunderung dessen, der wie er Philosophen gelesen

    hatte, entzckend mit Lwenjungen spielte und den Mordgelstenseiner Kameraden mehr oder weniger freien Lauf lie. Dass eine

    solche Haltung im Endeekt auf Billigung der Regierung und der

    Regierungstechnik des Diktators hinauslief, ist kaum zu bestreiten.

    Es folgte ein kleiner bescheidener Gegenartikel von Gehrke in der

    nchsten Nummer, der immerhin an eines erinnerte: Alle

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    Gewaltsysteme sttzen sich notwendig auf Teile der Massen, weshalb

    sich bei allen genau so demagogisch der proletarische Charakter ihrer

    Gewaltherrschaft nachweisen liee (WB 1926/1, 85f).

    Der Grundgedanke Hillers - Herrschaft der Geistigen - lsst dieZulassung zur Debatte nur vom Abitur aufwrts zu. Er war bis zum

    Ende 1933 derjenige, der sich einer wirklichen Versenkung in Eigenart

    und Gefahr des Faschismus deutscher Prgung widersetzte. Insofern

    ein Hemmschuh untersuchenden Denkens. Er wurde wohl geschtzt

    als kmpferischer Pazist, aber - leider - verkannt in seiner

    Gefhrlichkeit als anbetender sthet. Dies scheint noch heute der Fall

    zu sein, ndet sich in einem Artikel von Beutin zu Hiller in Ossietzky

    14/15/2010 kein Wort zu Hillers Mussolini-Umarmung dazu.

    FFaziazitt

    So scharfsinnig in den letzten Heften von Weltbhne 1932/1933 die

    parlamentarischen Wege und Umschwnge der Nazis erkannt und

    beobachtet wurden, so wenig drangen smtliche Schreiber ein in die

    ungeheure Wucht der Massenbewegung des Faschismus, der alle

    Mitarbeiter - auch Hiller - dann in KZ oder Exil zum Opfer fallen

    sollten.

    Kaminski immerhin blieb es vorbehalten, ganz am Ende, der gngigen

    Deutung nach Thalheimer zu widersprechen, die faschistische Diktatur

    entspreche der Stellung Napoleons III. in Frankreich als dem, der zur

    Herrschaft kommen konnte, weil Bourgeoisie genau so wenig wie das

    Proletariat fr sich allein auf einen Sieg hoen konnten. So verweist

    Kaminski gelegentlich darauf, dass in Italien das Proletariat schon

    die furchtbarsten Niederlagen erlitten hatte, bevor Mussolini seinen

    Marsch nach Rom antrat. Als berwinder der Gefahr von Links - so

    gern er sich dafr umschmeicheln lie - war er gar nicht mehr ntig.

    Das gleiche gilt fr das deutsche Proletariat 1933, war es doch schon

    in der Zeit von Papen gefesselt und handlungsunfhig.

    Ossietzky rezensiert in einem seiner Artikel aus dem Gefngnis 1932

    die verhllenden Interviews mit Mussolini von Emil Ludwig. Er arbeitet

    Seite 12 von 56

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    in dem Text unter der berschrift Benito Ludovico unter dem

    Pseudonym Thomas Murner heraus, dass aus den

    Erscheinungsvielfalten des Diktators nichts ber das Wesen seiner

    Herrschaft herauszubekommen ist (Ossietzky 1994/7, S. 417).

    Insofern bleibt das Rtselraten ber den Fascismus weiterhin oen.

    Ganz am Ende der Weltbhne, als es freilich nicht mehr viel ntzte,

    zeichnete sich eine genauere Erkenntnis des deutschen wie des

    italienischen Faschismus ab: Sie waren keineswegs nur Abwehr der

    Linken, ihrer Grundabsicht nach dienten beide Bewegungen dem

    Anschluss an die 1918 vorlug besiegten Tendenzen zur

    imperialistischen Ausweitung der jeweiligen Reiche.

    ZZustzlich vustzlich verwerwendete Liendete Literaturteratur

    Ossietzky, Carl v.: Smtliche Schriften. (Hg. Von Werner Boldt u.a.) 8

    Bnde. Reinbek 1994.

    Weltbhne-Bnde 14-29 (1918-1933). Knigstein/Ts. 1978. Davon

    insbesondere:

    WB 1923/1 - Die Weltbhne (WB), 1923. 19. Jahrgang. I. Halbjahr 1923.

    Knigstein/Ts. 1978.

    WB 1924/2 - Die Weltbhne (WB), 1924. 20. Jahrgang. II. Halbjahr

    1924. Knigstein/Ts. 1978.WB 1926/1 - Die Weltbhne (WB), 1923. 22. Jahrgang. I. Halbjahr 1926.

    Knigstein/Ts. 1978.

    WB 1929/1 - Die Weltbhne (WB), 1924. 20. Jahrgang. I. Halbjahr 1929.

    Knigstein/Ts. 1978.

    Hans-Erich Kaminski 1925: Faschismus in Italien. Grundlagen,

    Aufstieg, Niedergang. Verlag f. Sozialwissenschaft, Berlin.

    141 Seiten.

    [Link zum Artikel]

    Seite 13 von 56

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2627http://www.kritisch-lesen.de/?p=2627
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    HHugenbergs Schugenbergs Schwwenk zu Menk zu Mussoliniussolini

    Adolf Stein

    Der Schmied RomsRumpelstilzchen

    Von Fritz Gde

    In letzter Zeit wurde oft auf die grundstzliche Verschiedenheit desitalienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus

    hingewiesen. Dass es trotzdem propagandistisch auszubauende

    Verwandtschaften gab, zeigt schon 1929 die kleine

    Propagandaschnulze des Vorzugsschreibers Rumpelstilzchen aus dem

    Hugenberg-Konzern.

    Rumpelstilzchen war der Markenname eines ehemaligen Majors in

    Berlin, der mindestens zwanzig Provinzbltter des Hugenberg-

    Konzerns mit dem Zauber Berlins vertraut machte, sittlich gereinigt, versteht sich, garniert mit Nachrichten aus dem Leben des

    untergegangenen Hofadels. Sein Trick: Er gab sich als der unpolitische

    Weltmann, streute in die Feuilletons allenfalls einige kleine

    antisemitische Winke ein und lie durchblicken, dass unter den

    Hohenzollern doch alles besser gelaufen war. In diesem

    Zusammenhang steht das Bchlein ber Mussolini in seinem brutalen

    Bekenntnis zum Faschismus einsam da. Wegen seiner Oenheit. Es

    muss wohl gesehen werden im Rahmen einer Gesamtpropaganda desHugenberg-Konzerns in dieser Zeit. Seine Filmrma UFA brachte 1931

    gleich noch einen Mussolini-Film heraus, in der der neue Caesar in

    seinen vielen Rollen nacheinander auftreten durfte.

    Das Buch setzt plaudernd ein, wie man es vom Feuilletonisten gewohnt

    war. In einem rmischen Hotel wird ihm eine bernachtung zu viel

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/
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    aufgebrummt. Er plustert sich auf, droht damit, Mussolini selbst

    anzurufen - und sofort geht die Sache in Ordnung. Gleich zu Beginn

    Rumpelstilzchen im Dienst des Mythos: dass in Italien die Zge

    pnktlich fahren und dass Bestechungen und Betrgereien nie mehr

    vorkommen. Dinge, die ich schon als Kind staunend gehrt habe(allerdings von Soldaten, die nach 1943 Oberitalien besetzt hatten,

    die Korrektur mitgekriegt, dass bei der Bestechlichkeit im Lauf von

    Mussolinis zwanzig Jahren etwas dazwischen gekommen sein musste.

    Man war gemtlich korrupt wie eh und je). Spter gibt Major Stein

    seiner Quengelsucht nach und zhlt eine Seite lang auf, dass die

    ererbten Sitten der Italiener auch in Mussolinis Frhzeit nicht

    ausgestorben waren. Mussolini aber kmmert sich wenigstens.

    Was lobt Rumpelstilzchen am meisten? Kurz gesagt: Die konsequenteAnwendung brutaler Gewalt. Gesttzt freilich auf die ausgebreitetste

    Rhetorik an jedem Ort, wo sie gut ankommt.

    Selbstverstndlich tut Rumpelstilzchen so, als htte es Mussolinis

    Marsch auf Rom als Eroberungszug wirklich gegeben. Dabei rckte

    er in persona erst ein, als er vom Knig die Bestallung zum

    Ministerprsidenten in der Hand hatte. Major Stein phantasiert sich

    sogar entschlossene Gegenmanahmen zusammen. Dass nmlich der

    Knig, der vorher und nachher nichts zu sagen hatte, im letztenAugenblick die Unterschrift unter den Mobilmachungsbefehl gegen

    den Heranstrmenden verweigert htte. Selbstmrderisch verherrlicht

    der deutsche Feuilletonist das neue Pressegesetz in Italien. Ein

    schiefes Wort gegen den Faschismus: Verwarnung. Bei Rckflligkeit:

    Verbot der Zeitung fr immer. Verlagsdirektor und Schriftleiter

    haben ihr Dasein verwirkt - wie der Autor sadistisch zufgt. Sie

    drfen nirgend wo mehr verentlichen. Nach diesem Rezept htte in

    Deutschland Rumpelstilzchen gar nicht erst anfangen drfen. Er aber

    rechnet selbstverstndlich damit, dass solche Gesetze immer nur frdie anderen gelten.

    Gerechtfertigt ist, was den Sieg bringt. Du oder ich. Auge

    um Auge, Zahn um Zahn.

    Die sittliche Rechtfertigung einer solchen Verherrlichung

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    der Gewalt liegt fr Mussolini in der Staatsidee. Wer fr

    sich selber das Schwert nimmt, soll auch durch das

    Schwert umkommen. Wer aber dem Landsmann nur

    deshalb an die Gurgel fhrt, weil des Vaterlandes Wohl es

    erheischt, dessen Tun ist geheiligt.(S. 37)

    In vielen Varianten wird der Gewaltkult immer neu gefeiert.

    Eingewickelt in die pichtmigen Anekdoten aus dem privaten und

    entlichen Leben des bermenschen. Die propagandistisch damals

    schon hartgebackenen Lwenjungen um den Duce drfen nicht fehlen.

    Ergnzt hier um eine Lwenmutter im Zoo, die der Herrscher von Zeit

    zu Zeit zu stiller Zwiesprache hinterm Gitter besucht.

    Die konomischen Wunder glaubt der Major dem Duce als einzigeraufs Wort: immerhin zwei Milliarden berschuss im Jahr. Um die

    wirklich brutale Behandlung von Sdtirol muss der deutsche

    Feuilletonist sich geqult herumreden. Sie war bei seiner

    deutschnationalen Leserschaft mit Recht verrufen. Angeblich kam

    alles aus Hass nur gegen sterreich. Gegen Deutschland nmlich -

    Major Steins Trostwort - hatte der Duce nichts. Zum Ende die

    Nutzanwendung frs deutsche Vaterland.

    Mussolini wei, dass beide Staaten - Italien wieDeutschland - ein Volk ohne Raum beherbergen; und

    dass beide Staaten die einzigen in Europa sind, die noch

    eine groe Irredenta haben, Millionen unerlster

    Landsleute unter Fremdherrschaft. (S. 94)

    Nach wahrscheinlich mehr oder weniger bertriebenen stories ber

    Mussolinis Hilfsbereitschaft fr Hitlers Marsch auf Berlin 1923 oder

    1925 mit einem Aufruf, gemeinsam gegen Frankreich vorzugehen,

    kommt Major Stein zum eigentlich gemeinten:

    Manchmal denke ich, auch uns knnte keiner von den

    Hhen her helfen. Diese Leute haben zu viele

    Hemmungen. Sie denken immer an ihre weie Weste, sind

    viel zu rechtlich fr unsere Zeit. Vielleicht muss auch uns

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    ein Gewaltttiger kommen, der von links nach rechts

    umgelernt hat.(S. 105)

    Rhrenderweise fllt Rumpelstilzchen auch auf die gelegentlich

    vorgebrachten Lobsprche auf Preuen und seine Tugenden herein.So mssen wieder einmal die Beamten herhalten, die vom Staat die

    Federn samt Tintenmenge vorgerechnet bekommen. Ebenso die

    Methoden des Soldatenknigs, der mit seinen anerkannten Methoden

    den eigenen Sohn zum Knigtum niedergeknppelt hatte.

    Merkwrdigerweise erwhnt dieser sptere Halleluja-Brller fr Hitler

    dessen Namen hier an keiner Stelle. Der geplante Putsch in Mnchen

    wird einem allzu schwchlichen Kahr zugeschrieben.

    Insgesamt dient das dargebotene Schmalz der Werbung fr Brutalittund gegen Parlamentarismus. Wenn Hugenberg in diesem Augenblick

    auch noch nicht gewusst haben sollte, wer das Wesen von unten sein

    wrde, das vorbrechen sollte um alle andern zu unterwerfen.

    Auf der allerletzten Seite erst gibt Rumpelstilzchen dem bisher

    sorgfltig verborgenen Rassismus nach:

    Auch darf man durchaus nicht vergessen, dass die

    Italiener keine reinen Rmer, sondern ein Mischvolk sind.

    Wer bei vielen von ihnen das wehende Kruselhaar sieht,der wei, wie sehr von der anderen Seite des Mittelmeeres

    her arabisches und Negerblut hinzugestrmt ist. Setzt

    man diesen Leuten einen Fez auf, so sind sie von einem

    tunesischen Fremdennepper nicht zu unterscheiden. Sie

    sind wortreich und unzuverlssig. Sie sind welsch, sie sind

    falsch.(S. 109)

    Das lsst sich doppelt verstehen. Einmal, wie Rumpelstilzchen

    vordergrndig andeutet, als letztes Merkmal der Gre eines

    Mussolini, der selbst aus solchen Kreaturen noch so viel herausholte.

    Aber nherliegend: Wie wrden Mussolinis Methoden bei reinerer

    menschlicher Grundlage - sagen wir es oen: einem gediegen

    rassischen Fundament - sich erst in Deutschland auswirken, wenn

    wir erst wieder Mnner geworden sein werden. Damit verweist der

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    deutsche Prophet des Nazismus ganz am Ende auf den Vorrang, den er

    dem angeblichen Lehrer voraus zu haben glaubt.

    **

    ber das umfassende Wirken des Majors Stein als Journalist whrend

    der Weimarer Zeit und zu Beginn der faschistischen Herrschaft vgl. Die

    Geburt des Faschismus im Feuilleton (Konrad Veegd auf stattweb.de)

    Adolf Stein 1929: Der Schmied Roms. Rumpelstilzchen. Brunnen-

    Verlag K. Winckler, Berlin.

    110 Seiten.

    [Link zum Artikel]

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    http://var/www/farbdev.org/pdf2/buffer/%E2%80%9Chttp:/www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1164%E2%80%9Chttp://var/www/farbdev.org/pdf2/buffer/%E2%80%9Chttp:/www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1164%E2%80%9Chttp://www.kritisch-lesen.de/?p=2633http://www.kritisch-lesen.de/?p=2633http://var/www/farbdev.org/pdf2/buffer/%E2%80%9Chttp:/www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1164%E2%80%9Chttp://var/www/farbdev.org/pdf2/buffer/%E2%80%9Chttp:/www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1164%E2%80%9C
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    WWar Soar Sorrel fr die Hel fr die Heraufkunft des Feraufkunft des Faschismaschismususwirklich magebend?wirklich magebend?

    Zeev Sternhell

    Die Entstehung der faschistischen Ideologie

    Von Sorel zu Mussolini

    Von Fritz Gde

    Sternhell beweist richtig, dass Mussolini mit Sorel den Abscheu vor

    dem linken Parlamentarismus teilte. Er vernachlssigt aber Mussolinis

    Parteinahme fr den Imperialismus von Anfang an.

    1999 kam in deutscher bersetzung ein Buch heraus, das einiges

    Aufsehen erregte. Zeev Sternhell unternahm in Die Entstehung der

    faschistischen Ideologie den Versuch, den italienischen Faschismus

    unmittelbar aus dem Einuss Sorels und seiner Nachfolger abzuleiten.

    Die zugrundeliegende Erstfassung war schon 1989 auf Franzsischherausgekommen. Sorel, so Sternhell, ging aus von einer scharfen

    Ablehnung des gesamten parlamentarischen Sozialismus. Dieser

    wrde, liee man ihn gewhren, die Grenzen gegenber dem

    Proletariat so verhllen, dass am Ende keinerlei Kampfgeist mehr

    brigbleibe. Klassenkampf bei nicht mehr sichtbarer Gegnerschaft:

    unmglich! Daher die Lobpreisung der Gewalt - die damals noch

    einen przisen Begrisinhalt hatte. Sorel unterschied den politischen

    Generalstreik und den proletarischen - beide diejenigen Formen des

    Angris auf das verbrgerlichte Sozialistentum im Parlament, die imPrinzip ohne das Blutvergieen der uns bekannten Revolutionen

    auskommen sollen. Den politischen Generalstreik, den bei uns

    Lafontaine immer wieder fordert und verehrt, verabscheute der

    franzsische Denker. Nach dem Erfolg eines solchen sen doch immer

    wieder die gleichen Bonzen oben wie vorher auch. Dagegen sollte

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/
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    der proletarische Generalstreik wirklichen Umsturz herbeifhren.

    Kurzgesagt: Der Klasse der Bourgeoisie sollte der Angri der

    Proletarier gelten, nicht aber ihrer Wirtschaftsweise. Dieser schrieb

    Sorel hchste Wirksamkeit zu und damit die Kraft, einen Reichtum zu

    schaen, den das siegreiche Proletariat sich am Ende aneignen knne.

    Diese beiden Eckpunkte der Lehre hat Mussolini zweifellos von Sorel

    bernommen, wie er auch ausdrcklich bezeugt. Reicht das aber aus,

    die Gesamterscheinung des italienischen Faschismus ausreichend zu

    erklren?

    Einige EinEinige Einwndewnde

    1. Zunchst, was Sternhell auch oen zugibt, kann die Herleitung

    faschistischen Denkens aus Sorel nur und ausschlielich fr Italien und

    Frankreich gelten. In Deutschland wurde Sorels ber die Gewalt erst

    1926 vollstndig bersetzt, wenn Carl Schmidt und Walter Benjamin

    sich auch schon vorher darauf bezogen. Von einem Einuss auf

    breitere Lesermassen kann keine Rede sein. Ebenso wenig von

    deutschen Faschisten, die zu Beginn ihrer politischen Karriere - wie

    Mussolini selbst und einige der Mitgrnder des Fascio - ursprnglich

    Mitglieder sozialistischer Organisationen gewesen wren. Folgten wir

    Sternhell konsequent, htten Begrie wie Antifa undantifaschistischer Kampf weltweit ihren Sinn verloren. Es gbe dann

    in verschiedenen Lndern verschiedene Einzelausprgungen mehr

    oder weniger diktatorischer Herrschaft, die jeweils einzeln zu

    bekmpfen wren. Das widersprche allen Theorien seit Zetkin und

    Thalheimer, die samt und sonders Faschismus als gesetzmig

    auftretende Erscheinung in smtlichen kapitalistischen Lndern

    ansahen. Was zu einer Widerlegung Sternhells natrlich nicht

    ausreicht.

    2. Bei Sternhell erkennt Mussolini im Ersten Weltkrieg, dass das

    Proletariat fr sich allein zu schwach ist, um den Krieg abzuwehren.

    Geschweige denn, um im Abwehrkampf zu siegen. Nach Sternhell

    htte er in dieser Lage vor allem darauf achten mssen, den Gegensatz

    von Proletariat und anderen Schichten abgrenzend zu schrfen. Was

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    die parlamentarische Linke angeht, tut er das auch. Nur die

    Hilfstruppen, auf die er sich dann auerparlamentarisch sttzt, sind

    einmal kriegsentlassene Soldaten ohne beruiche Aussichten.

    Insbesondere die Arditi, ehemalige Stotruppanhnger, denen sich

    ehemalige Deserteure und sonstige Deklassierte anschlieen. MitRecht nennt der deutsche Pr-Faschist Stein die Gruppe - um sich

    im Vaterland verstndlich zu machen - Baltikumer. Mit diesen

    Hilfstruppen geht Mussolini zunchst gegen Fabrikbesetzer vor, dann

    in ganzen Gemeinden gegen sozialistische Gewerkschaftsfhrer, auch

    Brgermeister, Parteiangehrige. Das heit, er wendet sich oen und

    brutal gegen Streiks - ob politisch oder proletarisch - mit roher und

    blutiger Gewalt. Die Prgel und die Rizinusaschen dieses Kampfes

    sind sprichwrtlich bekannt geworden. An dieser Stelle ist selbst der

    nominelle Bezug auf die Arbeiterklasse aufgegeben worden. Damit

    auch Sorels begriicher Ausgangspunkt.

    3. Mussolini in seinem Krieg im Innern untersttzt zwar zunchst

    eigenstndige Grundbesitzer und Fabrikunternehmer, das Gro-

    Kapital - die Monopole der marxistischen Faschismustheorie - folgen

    erst etwas spter, als Mussolini seine Truppen zusammen hat.

    Trotzdem bleibt die Ausrichtung auf einen imperialistischen Vorsto

    Italiens eine der ersten Wendungen Mussolinis nach der Abkehr vomSozialismus. Er drngt ab 1914 auf Teilnahme am europischen Kampf.

    Kaum war Italien 1915 in den Krieg eingetreten, schreibt Lenin in Der

    Kommunist ber Imperialismus und Sozialismus in Italien:

    Die Frage ist kategorisch gestellt, und man kann nicht

    umhin, anzuerkennen, dass der europische Krieg der

    Menschheit einen ungeheuren Nutzen gebracht hat,

    indem er viele Millionen Menschen vor die Frage gestellt

    hat: entweder mit dem Gewehr oder der Feder, direktoder indirekt, in irgendeiner Form, die souvernen und

    berhaupt nationalen Interessen oder Forderungen oder

    Ansprche der einheimischen Bourgeoisie verteidigen,

    und dann heit es ihr Anhnger und Lakai zu sein;

    Oder:

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    Jeglichen und insbesondere den bewaneten Kampf um

    die Privilegien ausnutzen zur Entlarvung und zum Sturz

    jeder und vor allem der eigenen Regierung mit Hilfe

    revolutionrer Aktionen des international-solidarischen

    Proletariats. Eine Mitte gibt es dabei nicht, oder mitanderen Worten: der Versuch, dabei eine mittlere Stellung

    einzunehmen, bedeutet in Wirklichkeit den verkappten

    bergang auf Seiten der imperialistischen Bourgeoisie

    (berliefert in der Sammelschrift Gegen den Strom S.

    268f)

    Mussolini wird an dieser Stelle nicht namentlich erwhnt, aber es ist

    klar, dass er mitgedacht - hier schon recht genau charakterisiert

    wird. Von diesem gesamteuropischen Gesichtspunkt aus bildetMussolinis Drngen zum Kriegseintritt nur eine Besonderheit

    innerhalb all der Parteien, die Lenin im Auge hat - vor allem der

    ursprnglich sozialistischen - zum Imperialismus.

    4. Sternhell betreibt einen ungeheuren Aufwand, um nachzuweisen,

    welchen Einuss Sorel auf italienische Journalisten und Gelehrte

    ausbte. Nur entsteht darber oft der Eindruck, Bcher erzeugten

    Bcher - und diese bei Gelegenheit (aber mehr zwischendurch) auch

    Handlungen. Es fehlt an der Gewichtung der herangezogenen Autoren.

    So wird als einer der Gefolgsleute Sorels auch ein Professor Achille

    Loria herangezogen. Er verbreitet sich ber die Unangreifbarkeit der

    kapitalistisch organisierten Wirtschaft. Dabei handelt es sich um den

    Loria, den Gramsci in seinen Gefngnisheften zum Ahnherrn des

    Lorianismus erhoben hat, einer vollkommen blutleeren Gelehrtenprosa

    ohne jeden Anwendungswert. Gramsci konnte oenbar damit rechnen,

    dass dieser Name auch auerhalb seiner Zelle groes Ghnen

    hervorrief. Wenn das aber so ist, wie sollte gerade ein solcher LoriaEinuss auf das Anschwellen des Faschismus bekommen, unter einer

    Menge junger Leute, von denen sicher nicht wenige viel lieber hauten

    als dass sie sich lesend erbauten.

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    5. Sternhell zeigt, wie Sorel mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs den

    Krieg selbst zur revolutionren Potenz erklrt. Unbestreitbar, dass

    Mussolini sich von daher ermutigt fhlte, diese Position fr Italien zu

    bernehmen. Nietzsche musste dafr herhalten, ein heroisches Leben

    zu verherrlichen. Ganz klassenunabhngig - oder ber den Begriganzer proletarischer Nationen in perverser Umstlpung einer Idee

    vom Klassenkampf innerhalb einer bestehenden Nation. Dass man

    zu dieser Wendung ganz ohne Sorel kommen konnte, zeigen aber

    deutsche Stimmen aus dem Ersten Weltkrieg. Ein Professor

    Zimmermann brachte gleich 1916 eine Broschre heraus, in der breite

    Zustimmung innerhalb der Arbeiterschaft zum deutschen Krieg

    gesammelt wurde. Mgen auch viele in den folgenden Jahren des

    Schtzengrabens zu tieferer Erkenntnis gekommen sein, die

    Anknpfung an die Kriegsbegeisterung von 1815 und 1870 fhrte

    zu ganz hnlichen Zusammenschluss-Phantasien ber alle Klassen

    hinweg wie in Italien. Erschreckend und oenbar nachhaltig die

    uerungen eines Konrad Haenisch von 1916. Dieser war innerhalb

    der SPD bis 1914 Anhnger Rosa Luxemburgs und Liebknechts

    gewesen, schwenkte aber mit Kriegsbeginn zur Verherrlichung des

    Kriegs an sich ber:

    Das zweite Gesicht des Kriegs (neben demerschreckenden) weist aus der grsslichen Gegenwart in

    eine bessere Zukunft; es zeigt uns den Krieg als einen

    gewaltigen Revolutionr wider Willen, als einen

    machtvollen Hebel des sozialistischen Fortschritts, als die

    ungeheure Lokomotive der Weltgeschichte" (Haenisch

    1916, S. 880)

    Der sogenannte Kriegssozialismus sollte also - ganz ohne

    Klassenkampf im Innern - die Notwendigkeit des organisiertenWirtschaftens durchsetzen. Haenisch wurde spter wieder der

    angepasste SPD-Funktionr; in einer Art bersprung gri die

    Verehrung des Kriegs an sich von den Linken, die ihn hier entwickelt

    hatten, auf die Rechte ber, vor allem auf die jngeren ehemaligen

    Kriegsteilnehmer. Der Unterschied zu den italienischen arditi ist also

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    viel geringer, als Sternhell zugeben will. Als Harry Pross nach dem

    zweiten Weltkrieg eine illustrierte Auswahlausgabe der Zeitschrift Das

    Reich herausgab, da gipfelte seine Zusammenfassung der Tendenz

    aller Artikel in dem einen Satz: Der Krieg ist ein Gott. Also lassen

    sich - aus verschiedenen Quellen herrhrend - doch mehr gemeinsameZge der verschiedenen Faschismen erkennen, als Sternhell zugeben

    will.

    6. Wenig geht Sternhell auf den ungeheuren Einuss dAnnunzios ein,

    des Fliegers und Dichters, der erfolgreich einen Feldzug ernete

    zur Eroberung der jugoslawischen Stadt Fiume. Er, einer der ersten

    und grten Technikfreaks, verstand es, genau die gleichen Arditi wie

    spter Mussolini um sich zu versammeln - und mit Sprechchren und

    Choralen vom besetzten Rathaus Fiumes aus die Massenstimmung zuerzeugen, die spter fr die Faschismen aller Lnder typisch werden

    sollte. Wem gehrt Fiume, fragte er etwa. Antwort massenhaft: A

    noi (uns). Was inzwischen zum Open-Air-Brauch herabgesunken ist,

    entwickelte damals noch ungeheure Bindekraft. Der Dichter Marinetti

    schloss sich mit seinem Fanatismus der Flugkunst und des

    Bombenwerfens an. Mussolini bernahm das alles in seine Feiern des

    wiedererwachten Rom und eines Imperium, das zugleich das der

    Gegenwart sein sollte und jenes der Antike bei weitem bertrumpfenwrde. Insgesamt gelang es Mussolini der jeunesse dore das Gefhl

    des Erwachens kurzfristig immer neu zu verschaen, des Erwachens

    aus einer Haltung des ewigen Zuschauertums. Voyeure strzten sich

    fanatisch (das Wort um 1923 herum erstmalig positiv verwendet) in

    Aktionen, die unverzglich in Fest und Feier wieder Gegenstand der

    kollektiven Selbstanbetung werden sollten. So hielt sich die Bewegung

    in der dauernden Erwartung des Nahens eines Aufbruchs - um mich

    der Worte d`Annunzios zu bedienen.

    hnlichkhnlichkeieit und Vt und Verschiedenheierschiedenheit der eurt der europischen Fopischen Faschismenaschismen

    Sternhell hat das Verdienst, uns einen Faschismus vorzufhren, der

    im Augenblick seiner Entstehung ohne Biologismus, Rassismus und

    Antisemitismus auskommt. Elemente, die uns beim

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    Nationalsozialismus als erste einfallen. In Mussolinis Kohorten

    marschierten nicht wenige Juden an fhrender Stelle mit und staunten

    wahrscheinlich betreten, als - wohl erst unter Nazi- Einuss - die

    deutschen Rassengesetze 1938 bernommen wurden.

    Was Zeev Sternhell allerdings vernachlssigt: Die gemeinsameFunktion aller Faschismen, der imperialistischen Ausdehnung der

    eigenen Territorien zu dienen - bis zum Untergang. Diese

    Haupteigenschaft darf bei allen Unterscheidungen niemals bersehen

    werden.

    ZZustzlich vustzlich verwerwendete Liendete Literaturteratur

    Lenin, N. und G. Sinowjew: Gegen den Strom. Aufstze aus den Jahren

    1914-1916. Hamburg, (Hoym) Verlag der KommunistischenInternationale.

    Gramsci, Antonio: Gefngnishefte. Quaderni del carcere:

    Gefngnishefte, in 10 Bnden. Argument-Verlag.

    Haenisch, Konrad: Zur Lage der Partei. Hamburg 1916. In:

    Friedemann, Peter 1977: Materialien zum politischen Richtungsstreit

    in der deutschen Sozialdemokratie 1890-1917. Zwei Bnde. Ullstein. S.

    879-886.

    Zimmermann, Walter 1915: Der Krieg und die deutsche Arbeiterschaft.

    Bekenntnisse und Betrachtungen aus der organisierten Arbeiterwelt.

    Verlag Gustav Fischer, Jena.

    Zeev Sternhell 1999: Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von

    Sorel zu Mussolini. Hamburger Edition, Hamburg.

    ISBN: 978-3-930908-53-0. 411 Seiten. 35.00 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 25 von 56

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2638http://www.kritisch-lesen.de/?p=2638
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    NNeues und Bekanneues und Bekanntes zu Antes zu Antisemitisemitismtismus undus undRechRechtsextrtsextremismemismusus

    Michael Kohlstruck, Andreas Klrner (Hrsg.)

    Ausschluss und Feindschaft

    Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus

    Von Yves Mller

    Ein Sammelband, der Einblick in aktuelle Forschungen zu

    Antisemitismus und Rechtsextremismus verschat, dabei aber nicht

    viel Neues prsentiert.

    Fest steht: Der Antisemitismus, enthalten im Anti-

    Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der

    Wolke, ist wiederum ehrbar. Er kann ordinr reden, dann

    heit das 'Verbrecherstaat Israel'. Er kann es auf

    manierlichere Art machen und vom 'Brckenkopf desImperialismus' sprechen, dabei nebstbei allenfalls in

    bedauerndem Tonfall hinweisen auf die miverstandene

    Solidaritt, die so ziemlich alle Juden, von einigen

    lblichen Ausnahmen abgesehen, an den Zwergstaat

    bindet, und kann es emprend nden, da der Pariser

    Baron Rothschild die Israel-Spenden der jdischen

    Bevlkerung Frankreichs als eine Steuer einfordert.

    (Amry 2001, 7)

    So schrieb es 1969 Jean Amry im Angesicht einer Debatte ber

    Antisemitismus in der bundesrepublikanischen Linken. Gendert hat

    sich seitdem vieles, aber doch nicht viel. Der Antisemitismus kann

    heute auf eine jahrhundertealte Tradition zurck blicken. Den

    Antisemitismus hat es dabei wohl nie gegeben. Die Feindschaft

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    gegenber Jdinnen und Juden entstand stets aus ihrer Zeit heraus,

    speiste sich zwar aus Traditionsbestnden, aktualisierte und

    modernisierte sich indes immer wieder und erfand sich aufs Neue.

    Der Sammelband Ausschluss und Feindschaft. Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus. Rainer Erb zum 65.

    Geburtstag fokussiert neue Erkenntnisse der Antisemitismus-

    Forschung und ergrndet Zusammenhnge von Antisemitismus und

    Rechtsextremismus. Jubilar Rainer Erb, zu dessen Ehrung Michael

    Kohlstruck und Andreas Klrner den Band herausgegeben haben,

    befasst sich seit Grndung des Zentrums fr Antisemitismusforschung

    (ZfA) an der Technischen Universitt Berlin 1982 mit der Geschichte

    von Antisemitismus und Rechtsextremismus und stellte in seiner

    vielfltigen Arbeit nicht zuletzt die Frage, ob das Konzept der SozialenBewegung geeignet sei, auch die auf Exklusion und bewusst

    gewhlten Partikularismus geeichte rechtsextreme Bewegung zu

    erfassen (S. 8), so Kohlstruck und Klrner in ihrer Festschrift. Erb

    sei der unentwegte, leidenschaftliche Feldforscher und theoretisch

    interessierte Materialsammler (S. 7), fr ein Gesprch unter Gleichen

    stets oen. So ist ein Sammelband, der die verschiedenen Facetten

    des Antisemitismus und des Rechtsextremismus beleuchtet, sicherlich

    eine angemessene Anerkennung. Kein Muss fr jede_n, aber: Wer sicheingehend mit den Fachdebatten um Antisemitismus und

    Rechtsextremismus befasst, sollte ber eine Lektre des Bandes nicht

    hinweg gehen. Einige Beitrge des umfangreichen Bandes sollen daher

    an dieser Stelle erwhnt werden.

    Der in fnf thematische Schwerpunkte untergliederte Band stellt

    zunchst Historische Darstellungen vor: Johannes Heil befasst sich

    mit Judenfeindschaft, Frmmigkeit und Gewalt im Mittelalter, so

    der Titel, und fragt, ob die bisherige Beschftigung mit Antijudaismusim Mittelalter ausreicht, um die mittelalterliche Judenfeindschaft in

    all ihren komplexen uerungen zu erfassen (S. 18). Gewalt gegen

    Juden und Jdinnen musste keineswegs legitimiert werden, sondern

    war mit Ausnahmen Konsens der mittelalterlichen Gesellschaft.

    Mittelalterliche Chroniken berichten recht freimtig ber Pogrome

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    und zeugen so von der unbefangenen Judenfeindschaft damaliger Zeit,

    die sich nicht selten ber Ritualmord-Legenden artikulierte.

    Der zweite Abschnitt fokussiert auf Motivtradierungen: In einem

    Artikel richtet Mona Krte die Aufmerksamkeit auf die Nase alsphysiognomisches Identikationssymbol und seine Nutzung zur

    Identikation des Jdischen, whrend sich der inzwischen

    ausgeschiedene Leiter des ZfA Wolfgang Benz der Blut-und-Boden-

    Belletristik des Dritten Reiches widmet. Denn: Was nachtrglich nur

    als Kitsch und Provinzialismus erscheint und lngst der Lcherlichkeit

    anheimgefallen ist, war damals wirkungsvoll zur Selbststilisierung

    eigener Art und zur Ausgrenzung von feindlich-unerwnschter

    Fremdheit. (S. 126) So appellierte die vlkische Literatur ebenso wie

    der NS-Durchhaltelm Kolberg an Erdverbundenheit, Mnnlichkeitund Opfersinn, und verband Bauernkult mit Grostadtfeindlichkeit.

    Mit der Metapher Heimat verknpften die Nazis eine angeblich

    spezisch deutsche Art mit Traditionsbestnden und Ahnenkult, so

    dass Geschichte als Vehikel fr den Transport von Weltanschauung

    (S. 128) missbraucht wurde. Heute wiederum greifen rechte Parteien

    wie NPD, Die Republikaner (REP) und die sterreichische FP den

    Heimatbegri auf und gerieren sich jeweils als soziale Heimatpartei.

    Wie ein ursprnglich in der Tradition der deutschen Demokratie-

    Bewegung des Vormrz stehendes Lied sich zur antisemitischen

    Hymne wandelt, zeigen Michael Kohlstruck und Simone Scheer am

    Beispiel des Heckerliedes.

    Dass sich der Antisemitismus aus dem Rassismus ableiten liee,

    bezweifelt Armin Steil, ist doch die Rasse-Semantik ein Phnomen des

    19. Jahrhunderts. Der Autor arbeitet in seinem Text, der im dritten

    Abschnitt zu Theoretischen Analysen Platz fand, anhand desBerliner Antisemitismusstreits und der Rassetheorie Houston

    Chamberlains Unterschiede zwischen einem ethnischen und einem

    rassischen Konzept des Volkes (S. 165) heraus. So trete bei Heinrich

    von Treitschke ein Widerspruch zwischen dem ethnisierend-

    ontologischen Fremdbild und der Assimilationsperspektive (S. 169)

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    zutage, der bei Chamberlain bereits eingeebnet sei. Schlielich

    verurteilte Letzterer die Juden nicht fr ihre angeblichen Taten,

    sondern einzig fr ihr Dasein als zusammengeschraubte Bastarde

    (zit. nach S. 182).

    Vom Begri des 'Fremden' aus versucht sich Sigrun Anselm der

    Problematik des Antisemitismus zu nhern: Das hegemoniale Denken,

    ob religis oder nicht, bedurfte und bedarf des Fremden. (S. 197)

    Fremde bten immer schon eine Faszination aus, sie wurden aber auch

    stets als Bedrohung wahrgenommen. An dem Umgang mit Fremden

    kann man die innere Verfasstheit einer Gesellschaft studieren. (S.

    200), so die Autorin, die sich der Frage stellt, was passiere, wenn der

    'Fremde' bleibt, sich niederlsst. Bleibe der 'Fremde' im Sinne eines

    Nationalismus isoliert, bedeute dies den gesellschaftlichen Ausschluss.Da dieses Problem noch heute Aktualitt besitze, versucht Anselm das

    Konzept des 'Fremden' auf die Exklusion von Muslimen anzuwenden.

    Dies erscheint fragwrdig, wird hier doch unterstellt, antisemitische

    und antimuslimisch-rassistische Exklusionsmechanismen

    funktionieren nach dem selben Muster und dies ist mitnichten der Fall.

    Helmut Thome pldiert hingegen dafr, Emile Durkheims Soziologie

    fr die Erfassung des Rechtsextremismus nutzbar zu machen. Der

    regressive Kollektivismus des Rechtsextremismus knne als

    Abweichung vom kooperativen Individualismus moderner westlicher

    Gesellschaften verstanden werden. Dem Universalismus, dem

    Wertepluralismus und der Gleichwertigkeit der Demokratien wird die

    Volksgemeinschaft gegenber gestellt. So gebe es in neonazistischen

    Gruppen eine kollektive Ehre, die Ein- und Ausschluss produziere

    und damit konstitutiv sei. Thome versteht unter Rechtsextremismus

    aber in erster Linie Kameradschaften und Jugendcliquen und zeichnet

    ein dichotomes Bild zwischen antidemokratischem Kollektivismus unddemokratischem Individualismus, wobei Nuancen, berschneidungen

    verwischen. Zudem zeichnet er einseitig das Bild des rechtsextremen

    Modernisierungsverlierers, der die durch die konomisierung der

    Gesellschaft verursachten Anerkennungsverluste durch das Treten

    nach den noch Schwcheren zu kompensieren versucht (S. 219).

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    In der Rubrik Aktuelle Phnomene beschreibt Dirk Wilking anhand

    der politischen Kurzbiographien verschiedener Rechtsextremer die

    Professionalisierung des Rechtsextremismus im sdlichen

    Brandenburg. Zunchst skizziert der Autor verschiedene Generationen

    rechtsextremer Kader, von denen einige wie Frank Hbner bereitsin der DDR der 1980er Jahre aktiv waren. Die zweite Generation

    rekrutiert sich aus Rechtsextremen wie dem Ehepaar Jrg und Stella

    Hhnel, die in der Hauptsache rechtsextrem ttig sind. Als dritte

    Generation fasst Wilking junge Rechtsextreme, die keine eigenen

    Erinnerungen mehr an die DDR haben, aber als Produkte der

    rechtsextremen Aufbauarbeit (S. 237) anzusehen seien: ber zwei

    Jahrzehnte hinweg wurden hier vielfltige rechtsextreme

    Erlebniswelten geschaen. (S. 237) Trotzdem knne die Szene nicht

    allzu viele Rechtsextreme ernhren, weswegen der

    Professionalisierung des Rechtsextremismus enge Grenzen gesetzt

    seien.

    Mit dem Antizionismus bzw. antizionistischen Antisemitismus im

    deutschen Rechtsextremismus befasst sich Mitherausgeber Andreas

    Klrner. Anhand verschiedener Fallbeispiele beleuchtet er die

    Spielarten des rechtsextremen Antizionismus: So habe sich Horst

    Mahler vom antizionistischen Linksterroristen zumholocaustleugnenden Rechtsextremen entwickelt, ohne dabei weite

    Teile seines antisemitischen Denkens revidieren zu mssen. An einem

    weiteren Beispiel zeigt sich, wie ein gegen Israel gerichteter

    Antisemitismus und ein sich antiimperialistisch gerierender

    Antiamerikanismus der Rechtsextremen am Fluchtpunkt Nahost-

    Konikt immer wieder verbnden, ja zwei Seiten der selben Medaille

    sind. Gleichwohl unterscheide sich dieser vorsichtige, fast verdeckte

    Antisemitismus der neonazistischen Freien Krfte von der oenen

    Judenfeindschaft Mahlers. Der dritte Typus behandelt dieantiisraelische Agitation auf der Internetseite eines NPD-

    Ortsverbandes, die nur unterschwellig antisemitische Ressentiments

    bedient. Hier wird suggeriert, man drfe Israel nicht kritisieren. Man

    geriert sich als 'Tabubrecher'. Doch die NPD verzichtet aus taktischen

    Grnden auf die oene Artikulation von Antisemitismus und begngt

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    sich mit Anspielungen. Mit seinen Beispielen zu Ausprgungen des

    Antisemitismus in verschiedenen Spektren des Rechtsextremismus

    unterscheidet Klrner zwischen einem fundamentalistischen und

    einem realpolitischen Flgel der rechtsextremen Bewegung (S. 283).

    Das scheint jedoch schematisch, haben Vertreter der NPD in derVergangenheit doch immer wieder mit antisemitischen Aussprchen

    und verharmlosenden Vergleichen auf sich aufmerksam gemacht und

    zwar, weil sie diese Provokation brauchen und weil sie gerade auch

    der Antisemitismus fr einen Teil der Bevlkerung whlbar macht.

    Spannender wre sicherlich die Frage nach Antisemitismus und

    Philosemitismus innerhalb der in Europa aufkeimenden

    rechtspopulistischen Parteien. So schliet der Autor seinen bebilderten

    Beitrag selbst mit der Frage nach der gesellschaftlichen

    Anschlussfhigkeit der verschiedenen Spielarten des rechtsextremen

    Antisemitismus.

    Auf eben jene Frage geht Werner Bergmann ein: Rechtsextremer,

    linker, islamischer Antisemitismus, gar ein Antisemitismus der Mitte

    werde konstatiert. Das Bild vom Antisemitismus sei diuser geworden,

    so Bergmann. Heute nimmt der Antisemitismus jedweder Couleur

    hauptschlich im Bezugspunkt Israel Formen an, kommt in oener

    Ablehnung des Existenzrechts Israels daher, aber auch als Israelkritik verpackt, wobei der Autor vor einer vorschnellen Verurteilung von

    Kritik an der Politik des israelischen Staates und vor vereinfachenden

    Korrelierungen zwischen Antisemitismus und Israelkritik warnt. In

    seiner Zusammenschau diverser empirischer Untersuchungen zu

    antisemitischen Einstellungen in der bundesrepublikanischen

    Bevlkerung stellt Bergmann grundlegende Tendenzen fest. So seien in

    gebildeten Schichten antisemitische Einstellungen weniger verbreitet,

    Westdeutsche allgemein antisemitischer als Ostdeutsche.

    Die sozialpdagogische Perspektive ernet Ulrich Dovermann, der

    den Verein Manne e.V. vorstellt, der im Land Brandenburg

    Sozialarbeiter zu Jungenarbeitern ausgebildet hat und den Anspruch

    einer genderorientierten Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jungen,

    den kleinen Mnner[n] (S. 309), verfolgt. Dabei geht es Manne e.V.

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    nicht um die Dekonstruktion von Mnnlichkeit als sozialer Kategorie,

    sondern darum, aufzuzeigen wie man erfolgreich Mann sein kann

    (S. 310). Ob das reicht, darf zumindest hinterfragt werden, sind doch

    weite Teile der geschlechterreektierenden Jungenarbeit schon weiter.

    Und diese Erkenntnisse mssten in der Tat fr dieRechtsextremismusprvention und die Arbeit mit rechtsextrem

    orientierten Jugendlichen nutzbar gemacht werden.

    Besonders verwundert der Beitrag von Friedel Gromotka, seines

    Zeichens Polizeihauptkommissar und Leiter der Berliner Polizeieinheit

    Mobiles Einsatzkommando Aufklrung/ Operative Dienste

    Bekmpfung Politischer Motivierter Straftaten/ Straengewalt rechts,

    kurz PMS. Sein Aufsatz gibt freilich in teils ermdendem

    Amtsdeutsch gehalten Einblicke in die polizeilicheInterventionsarbeit gegen rechtsextreme Straf- und Gewalttaten.

    Unter dem Gesichtspunkt der Unabhngigkeit zivilgesellschaftlichen

    Engagements gegen Rechtsextremismus, Rassismus und

    Antisemitismus muss allerdings kritisch betrachtet werden, dass PMS

    auch in der Prventionsarbeit ttig ist. Auch die Bemerkung, dass

    sich die Kooperation zwischen dem Landeskriminalamt, bei dem die

    Spezialeinheit angesiedelt ist, und der Verfassungsschutzbehrde auf

    reinen Informationsaustausch (S. 313) beschrnke, kann kritischhinterfragt werden. Und berhaupt: Wie ist die oenbare

    Zusammenarbeit von ZfA und Polizei zu werten? Welches Licht wirft

    diese Tatsache auf eine unabhngig sich gerierende Wissenschaft? So

    lsst der Beitrag oen, inwiefern das LKA in Berlin eben nicht nur

    reine Polizeiarbeit leistet, sondern darber hinaus geht. So bleibt der

    Rezensent verrgert und mit seinen Fragen allein.

    Der vorgestellte Sammelband bietet Einblick in aktuelle Forschungen

    zu Antisemitismus und Rechtsextremismus. Neben Bekanntem wartenviele der vertretenen Autor_innen mit erhellenden Erkenntnissen auf.

    Viele Beitrge mgen fr den unbedarften Leser jedoch schwere Kost

    sein. So bleiben die Inhalte einer breiteren Leser_innenschaft

    verborgen. Das ist nicht weiter tragisch, fehlt es dem Band doch

    sowieso an Brisanz. So bieten die meisten Aufstze nur wenig

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    Kontroverses und Fragwrdiges, eher Spezisches einer

    Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung, derer der

    Jubliums-Band nur einen kleinen Teil widerzuspiegeln vermag.

    ZZustzlich vustzlich verwerwendete Liendete LiteraturteraturAmry, Jean 2001: Der ehrbare Antisemitismus. In: Gremliza Hermann

    L. (Hg.): Hat Israel noch eine Chance? Palstina in der neuen

    Weltordnung. Konkret Verlag, Hamburg.

    Michael Kohlstruck, Andreas Klrner (Hrsg.) 2011: Ausschluss und

    Feindschaft. Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus.

    Metropol-Verlag, Berlin.

    ISBN: 978-3-86331-002-8. 340 Seiten. 24.00 Euro.

    [Link zum Artikel]

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    Eindrckliche EinbEindrckliche Einblicklickee

    Gladys Ambort

    Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts

    Von Adi Quarti

    Detailliert und eindringlich schildert Gladys Ambort die Erfahrungen

    in der Haft unter der Militrjunta in Argentinien.

    Die durchaus ambitionierte Reihe der Bibliothek des Widerstands des

    Laika Verlags, herausgegeben von Willi Bear und Karl-Heinz Dellwo,

    verentlicht in lockerer Folge Texte der internationalen Linken seit

    1968. Eine ganz besonders lesenswerte Verentlichung ist Wenn die

    anderen verschwinden sind wir nichts von Gladys Ambort.

    Gladys Ambort wurde als 17-Jhrige im Mai 1975 von der damals in

    Argentinien nach einem Putsch regierenden Militrjunta wegen ihrer

    politischen berzeugungen inhaftiert, zum Teil unter

    Isolationshaftbedingungen. Dreiig Jahre spter, nun im Exil in

    Frankreich, verarbeitet sie ihre persnlichen und politischen

    Erfahrungen in komprimierter Form, deren juristische Aufarbeitung in

    ihrem Heimatland erst begonnen hat. ber 30 000 Menschen wurden

    von den Militrs und Todesschwadronen ermordet, unzhlige von

    ihnen gefoltert, bevor sie auf unterschiedlichste Weise

    verschwanden.

    Das extrem Bse, wie der argentinische Schriftsteller Osvaldo Bayer

    in einem Vorwort zu erklren versucht, hat durchaus unterschiedliche

    Gesichter und ist nicht immer eindeutig einem Lager zu zuordnen.

    Der Gefngnisalltag, unterbrochen allenfalls von der Willkr der

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/adi-quarti/http://www.kritisch-lesen.de/author/adi-quarti/
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    Gefngnisverwaltung abhngigen seltenen Besuchen der Angehrigen

    und Freunden, ist darber hinaus durch Zwistigkeiten innerhalb der

    unterschiedlichen Gruppierungen der politischen Gefangenen und

    familiren Problemen geprgt (die Autorin selbst gehrte vor ihrer

    Festnahme einer minoritren Organisation der Linken an). Dennoch,hier erweist sich der lange Zeitraum bis zur Niederschrift als echter

    Gewinn, liest sich das Buch nicht als bitterbser Blick zurck im Zorn,

    sondern liefert ein sehr dierenziertes Bild der damaligen

    Verhltnisse. Auslser fr die Anordnung einer absoluten Isolation

    konnten Kleinigkeiten, wie etwa das zerkratzen einer Tischplatte

    werden. Ursache ihrer Verhaftung war brigens die Denunziation einer

    Lehrerin ber eine Bemerkung welche sie zum Vietnamkrieg gemacht

    hatte. Sie und ihr Mann wurden daraufhin festgenommen, er allerdings

    bald wegen fehlender Haftgrnde auf Bewhrung freigelassen. Seine

    Besuche in der Haftanstalt werden immer seltener, bis er schlielich

    Gladys Ambort gesteht, ein Verhltnis mit deren Schwester

    eingegangen zu sein.

    Die einzige juristische Mglichkeit die noch blieb, ein Bittgesuch auf

    politisches Asyl im europischen Ausland wurde schlielich nach drei

    Jahren auf Vermittlung des Internationalen Roten Kreuz stattgegeben.

    Kurz nach ihrer Ankunft in Paris im Februar 1978 sa Ambord neben

    Simone de Beauvoir und einer Gruppe von engagierten Anwlt_innen,die fr Menschenrechte kmpften, auf einer Pressekonferenz und

    sprach ber ihre Haftbedingungen in den argentinischen

    Gefngnissen. Das Buch wurde in der Schweiz zurecht mit dem Preis

    Femme Exile, Femme Engage ausgezeichnet.

    Gladys Ambort 2011: Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts.

    Laika Verlag, Hamburg.

    ISBN: 978-3-942281-94-2. 224 Seiten. 19.90 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 35 von 56

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    Orte der BOrte der Bcherchervverberbrrennennungen in Deuungen in Deutschlandtschland19331933

    Julius H. Schoeps/ Werner Tre (Hg.)

    Orte der Bcherverbrennungen in Deutschland 1933

    Sammelband

    Von Sebastian Friedrich

    Der ausfhrliche Sammelband ermglicht tiefe und erkenntnisreicheEinblicke, wie es den Nazis mglich war, systematisch oppositionelle

    Krfte zu vernichten.

    Deutschland vor ziemlich genau 75 Jahren: Von Mrz bis Oktober 1933

    strmen in verschiedenen Kontexten Massen - oder manchmal auch

    nur kleine Gruppen - auf die Straen und Pltze, um dem Spektakel der

    Bcherverbrennungen beizuwohnen. Vielleicht erinnerte sich damals

    schon die eine oder andere Person an Heinrich Heine, der bzgl. der

    Verbrennungen des Korans um 1500 in Granada anmerkte: Das war

    ein Vorspiel nur, dort wo man Bcher verbrennt, verbrennt man auch

    am Ende Menschen.

    Zu diesem Kapitel deutscher Geschichte erschienen seit 1947 einige

    Arbeiten. Die Autoren gingen in diesen berwiegend der Frage auf

    den Grund, wer die Initiatoren der nationalsozialistischen

    Bcherverbrennungen waren. Bis in die 1970er hielt sich dabei in

    der Regel die Annahme, sie seien eine wohlberlegte und sorgfltigorganisierte Veranstaltung nationalsozialistischer Staatsraison (S. 9)

    oder ein Kalkl Goebbels gewesen. Aufgrund neuer Erkenntnisse

    gingen die Wissenschaftler vor allem ab 1983 von der Haupttterschaft

    der Deutschen Studentenschaft (DSt) aus.

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    Neue Ergebnisse zu den Drahtziehern liefert der von den Historikern

    Julius H. Schoeps und Werner Tre herausgegebene monumentale

    Band Orte der Bcherverbrennungen in Deutschland 1933, der vor

    einigen Monaten beim Olms-Verlag erschien. Auf 848 Seiten berichten

    insgesamt 60 Autorinnen und Autoren ber 94 nachgewieseneAutodafs in 62 Stdten. Diesem ausfhrlichen Band wurde bisher nur

    wenig Beachtung geschenkt und er verdient daher eine Wrdigung,

    denn neben den neuen Erkenntnissen liefern die Arbeiten einen

    exemplarischen Einblick in die Machtdurchsetzung der Nazis in den

    Stdten und Provinzen zu Beginn ihrer Herrschaft in Deutschland.

    Entscheidend bei der dierenzierten Betrachtung ist es, nicht die

    berchtigte Bcherverbrennung am 10. Mai auf dem Opernplatz in

    Berlin alleinig zu fokussieren, sondern die nicht-studentischen Aktionen davor und danach mit einzubeziehen. Dabei bietet die

    Einteilung der Aktionen in drei Phasen eine Hilfestellung, die vom

    Mitherausgeber Werner Tre vorgenommen wurde.

    Die erste PhaseDie erste Phase

    Die erste Phase umfasst jene Bcherverbrennungen, die sich vor dem

    10. Mai abspielten und nicht Teil der studentischen Aktion wider den

    undeutschen Geist waren.

    Diese Bcherverbrennungen waren mehrheitlich nicht geplant,

    sondern spontane Begleiterscheinungen im Kontext des politischen

    Terrors der SA und der SS, der sich vorwiegend gegen SPD, KPD

    und Gewerkschaften richtete. So wie am 11. Mrz Trupps der SA

    und der SS in Heidelberg das Gewerkschaftshaus strmten und neben

    Symbolen und Akten auch Literatur verbrannten, spielten sich

    hnliche Szenen in zwlf anderen Stdten ab. Dies geschah im Falle

    Heidelbergs relativ geruschlos, denn die zum Staat gewordene

    nationalsozialistische Bewegung wollte Souvernitt ausstrahlen fr

    Recht und Ordnung sorgen. Geruschvoller hingegen waren die

    Aktionen in Berlin, als im gleichen Monat die Knstlerkolonie und das

    Anti-Krieg-Museum regelrecht geplndert wurden. Zwar existierten in

    dieser Phase noch keine schwarzen Listen, es wurden also nicht gezielt

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    bestimmte Werke verbrannt, aber der Feind war klar. So lie der

    rtliche NSDAP-Kreisleiter bei der Bcherverbrennung in Wrzburg

    verlauten: Wir wollen ausmisten mit dem jdischen Geist, dem Geist

    des Eigennutzes, des Liberalismus und des Marxismus. (S. 776)

    Neben derartigen SA- und SS-Aktionen organisierte zu diesem

    Zeitpunkt die Hitlerjugend (HJ) etwa eine Handvoll

    Bcherverbrennungen. Diese waren nicht Beiwerk zu Terroraktionen,

    sondern dienten schlicht dem Zweck, speziell Schulbibliotheken zu

    subern. Dabei wurde jedoch bereits genauer selektiert

    insbesondere hatte es die HJ auf die Schriften von Erich Maria

    Remarque (Im Westen nichts Neues) abgesehen.

    Doch diese Aktionen waren nur ein Vorlufer fr die beispielsloseVernichtung zahlreicher vermeintlich Volks-zersetzender Schriften.

    Die zwDie zweieite Phasete Phase

    Sowohl die Aktionen von SA und SS als auch der Judenboykott um

    den 1. April wirkten inspirierend fr die Deutschen Studentenschaft

    (DSt). Ihre Aktion wider den undeutschen Geist, in der die Ereignisse

    vom 10. Mai den Hhepunkt bildeten, sind in die zweite Phase

    einzuordnen.

    Tre arbeitet im Kapitel zu Berlin welches nicht nur wegen dem

    fast 100-seitigen Umfang das aufschlussreichste ist zwei zentrale

    Motive fr die vierwchige Aktion heraus. Einerseits wollte die DSt

    einen Beitrag zur nationalsozialistischen Revolution leisten und somit

    ihre Handlungsfhigkeit beweisen, andererseits sich als loyale Kraft

    erweisen, um sich in das neue System einzugliedern. Die DSt befand

    sich nmlich in einer misslichen Lage: Seit 1927 war der Verband

    staatlich nicht anerkannt. Was whrend der Weimarer Republik einenVorteil darstellte, da keine Rcksicht auf Loyalitt gegenber dem

    Staat genommen werden musste, wurde nun zum Problem. Ohne

    staatliche Anerkennung sah sich die seit 1931 NSDStB-Mehrheit der

    Gefahr ausgesetzt, von der bei den Asta-Wahlen 1932/33 strker

    gewordenen Nazi-skeptischen Hochschulpolitischen

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    Arbeitsgemeinschaft studentischer Verbnde (Hopoag) unterjocht zu

    werden.

    Um als loyale Kraft einen Beitrag fr den Nazi-Staat zu leisten und

    weil die DSt nicht in der Lage war, eine solch aufwendige Aktionalleine zu bewerkstelligen wurde nach Bndnispartnern gesucht.

    Die Suche blieb nicht lange erfolglos: Der Kampfbund fr deutsche

    Kultur, die vlkischen Schriftsteller, die Hitlerjugend, SA, Stahlhelm,

    das Reichsministerium fr Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung

    boten willig Hilfe an. Einen weiteren wichtigen Verbndeten fand die

    DSt jedoch im Reichsministerium fr Volksaufklrung und Propaganda.

    Dieses zeigte sich sehr erfreut ber die geplante Aktion, musste doch

    der Judenboykott nach auenpolitischem und somit wirtschaftlichem

    Druck eingestellt werden. In der Aktion wider den undeutschen Geistsah das Ministerium nun die Mglichkeit, mit einer abgeschwchten

    Variante weiterhin systematisch die Volksfeinde auszuschalten.

    Zunchst wurden ab dem 13. April chendeckend an allen

    Hochschulen und Universitten die zwlf Thesen der Aktion verteilt

    (der Bezug zu den 95 Thesen Luther war dabei durchaus gewollt).

    Das Hauptaugenmerk lag dabei klar auf dem verhassten roten Berlin.

    Dort hangen ber die Hlfte der Plakate anders als an den meisten

    anderen Orten auch auerhalb der Hochschulen.

    Um den universitren Betrieb zu reinigen, reichte diese Aktion jedoch

    nicht aus. Mit der ersten Manahme des Gesetzes zur

    Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurden am 13.04. dem

    gleichen Tag des Beginns der Plakataktion 16 Hochschullehrer

    beurlaubt. Etliche weitere Beurlaubungen folgten in zwei weiteren

    Schben am 25. April und am 2. Mai. Bernhard Rust, kommissarischer

    preuischer Kultusminister, begrndete die Boykottmanahmen damit,dass sie ntig seien, um studentische Unruhen zu verhindern. Im

    Umkehrschluss bedeute dies: Je mehr Druck von unten kam, desto

    legitimierter waren solche Anordnungen von oben. Wie sehr

    studentische Gruppen in diese Manahmen verwickelt waren, belegen

    nicht nur die Schandpfhle, die zur Diamierung einiger Professoren

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    von den Studierenden selbst aufgestellt wurden, sondern auch

    gemeinsame Treen von Studierendenfhrern und Ministerium.

    Den Hhepunkt der studentischen Aktion wider den undeutschen

    Geist stellte nach der Plakataktion und den Schben desProfessorenboykotts die Bcherverbrennungen um den 10. Mai dar.

    Dafr wurden von Experten (Ausschuss zur Neuordnung der Berliner

    Stadt- und Volksbchereien) schwarze Listen angefertigt, die ein Tag

    vor den geplanten Autodafs zusammen mit den Feuersprchen in

    einem Rundschreiben an die anderen Hochschulorte ausgegeben

    wurden.

    Insgesamt brannten am 10. Mai an 22 Hochschulorten Bcher aufden Scheiterhaufen (wieder mit einem gewollten historischen Bezug:

    Die Bcherverbrennungen auf der Wartburg 1817). Bemerkenswert

    auch die Personen, die die Feuerreden hielten. So sprach in Bonn der

    Germanist Hans Naumann, der nicht nur Anpassungsfhigkeit bewies,

    sondern sich in vorderster Riege platzierte und nun als Brandstifter

    fungierte. Der einussreichste Redner sprach jedoch bei der dubiosen

    Bcherverbrennung in Berlin: Joseph Goebbels. Lange hielt sich die

    Legende, er bzw. das ihm unterstehende Propaganda-Ministerium

    seien die Initiatoren der Aktionen gewesen. Dies war nicht der Fall Goebbels gab dem Akt vielmehr Stimme und Gesicht und somit die

    historische Bedeutung (was durch von Goebbels beorderte Kameras

    und Mikrofone verstrkt wurde).

    Die studentischen Bcherverbrennungen vom 10. Mai, im Speziellen

    die in Berlin, blieben den Menschen im Gedchtnis und Jahrestage

    fallen oft auf dieses Datum. Wie es aber schon vor der Aktion wider

    den undeutschen Geist eher spontan zum Verfemen von Bchern kam,

    geschah teilweise inspiriert durch die studentische Aktion dies auch

    in der Folge.

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    Die driDie dritte Phasette Phase

    Die dritte Phase erstreckt sich von Mai bis Oktober 1933. Am 19. Mai

    brannten auf behrdliche Anordnung an mehreren Schulhfen in der

    preuischen Rheinprovinz die Bcher. Neben dieser Aktion fand eine

    weitere mit landesweiter Koordinierung statt: Die Kampfwoche gegen

    Schmutz und Schund in Baden, ebenfalls Mitte Mai, wurde, inspiriert

    durch die studentische Aktion wider den undeutschen Geist, von der

    Hitlerjugend magebend organisiert.

    Die restlichen Aktionen wurden nach momentanem Kenntnisstand

    nicht ortsbergreifend und berwiegend nicht von studentischen

    Gruppen organisiert. Vielmehr gingen sie auf das Konto des

    Kampfbundes fr deutsche Kultur, des Deutschen Handlungsgehilfen- Verbandes, einzelnen NSDAP-Ortsgruppen und der

    Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO). Letztere in

    Teilen nationalbolschewistisch-orientierte Gruppierung versuchte

    vergebens sich auch im NS-Staat zu prolieren, verlor aber neben

    der ebenfalls 1933 gegrndeten Deutschen Arbeiterfront (DAF)

    zunehmend an Einuss.

    TTerrerroor vr voon oben und vn oben und voon unn untenten

    Die ausfhrlichen Berichte ber die bisher nachweisbaren Autodafs

    im vorliegenden Sammelband zeigen, dass bisherige Annahmen ber

    die Initiatoren zu kurz greifen. Tatschlich kann von einer

    Schlsselrolle des Reichsministeriums fr Propaganda und

    Volksaufklrung keine Rede sein gleiches gilt fr die alleinige

    Tterschaft der DSt. Denn die Bcherverbrennungen bedeuteten viel

    mehr als die Ausschaltung NS-kritischer Bildungselite: Es ging um

    die chendeckende und systematische Vernichtung oppositioneller

    Krfte. Durchfhrbar zum einen durch eine breite Massenbasis, dieInszenierung der Bcherverbrennungen selbst und dem symbolischen

    Kampf von Jung gegen Alt. Mit den alten Werten wie Freiheit,

    Demokratie und Gleichheit wurde aufgerumt, um Platz fr das

    tausend-jhrige Reich zu schaen, das nur mit einer einheitlich

    geschlossenen Volksgemeinschaft mglich schien.

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    Zum anderen liefert der Sammelband Einsichten in die Art und Weise

    des deutschen Faschismus. Es zeigt sich, dass der Faschismus in seiner

    Aufstiegsphase von zwei entscheidenden Grundpfeilern gesttzt

    wurde: einem aktionistischem und einem institutionalisierenden Part.

    Der brokratische Terror sttzt sich also anders wie bonapartistischeMilitr-Diktaturen auf eine breite Massenbasis. Besonders deutlich

    wurde dies whrend der Aktion wider den undeutschen Geist. NS-

    Studenten agierten vor Ort und konnten sich gleichzeitig auf die Hilfe

    entsprechender staatlicher Stellen verlassen. Diese wiederum

    begrndeten ihre Ministerialerlasse mit genau dieser Bewegung der

    Massen und legitimierten sie somit nachtrglich oder im Voraus,

    je nach Situation. Deshalb konnte die Vernichtung oppositioneller

    Akteure berhaupt so erfolgreich sein, andernfalls wre

    mglicherweise nur eine temporre Unterwerfung mglich gewesen.

    Neben den tiefen Einblicken in die Anfnge der Machtdurchsetzung

    des deutschen Faschismus ist Orte der Bcherverbrennungen in

    Deutschland 1933 aufgrund weiterer Vorzge besonders

    empfehlenswert. Einerseits bietet jede Arbeit fr sich tiefe Einblicke in

    die damaligen nationalsozialistischen Strukturen der jeweiligen Orte,

    benennt also die lokalen Tter und geht auf rtliche Charakteristika

    sowie auf die Opfer ein. Andererseits grndet die groe Mehrheit derArbeiten auf eine kenntnisreiche und umfassende Recherche, was den

    Sammelband zu dem Standardwerk fr die Bcherverbrennungen in

    Deutschland erhebt.

    Abschlieend sei noch darauf hingewiesen, dass der Olms-Verlag

    parallel zu Orte der Bcherverbrennungen in Deutschland 1933 in

    diesem Jahr die ersten zehn Bnde der Bibliothek Verbrannter

    Bcher herausgegeben hat.

    **

    Die Rezension erschien zuerst im Oktober 2008 auf stattweb.de

    (Update: kritisch-lesen.de, ast, 12/2010)

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    http://www.stattweb.de/baseportal/Buecher&zeigen=110http://www.stattweb.de/baseportal/Buecher&zeigen=110
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    Julius H. Schoeps/ Werner Tre (Hg.) 2008: Orte der

    Bcherverbrennungen in Deutschland 1933. Sammelband. Georg Olms

    Verlag, Hildesheim.

    ISBN: 978-3-487-13660-8. 848 Seiten. 29.80 Euro.

    [Link zum Artikel]

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    http://www.kritisch-lesen.de/?p=213http://www.kritisch-lesen.de/?p=213
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    TTappen dappen dururchs Dunkchs Dunkelel

    Siegfried Jacobsohn/ Kurt Tucholsky/ Carl von

    Ossietzky (Hg.)Die Weltbhne

    Vollstndiger Nachdruck der Ausgaben 1918 bis 1933: 16 Bnde

    Von Fritz Gde

    Das Jahr 1932 in der Weltbhne und der aufkommende Geist desFaschismus.

    1800 Seiten durchwandert. 1800 Seiten des letzten vollstndigen

    Bandes der WELTBHNE. Mit zwei Fragen im Hinterkopf:

    Einmal mit der, wie sich das Woche fr Woche abzeichnete, ansah,

    was wir aus der Geschichte kennen. Was sich aber den damals

    Schreibenden und Agierenden Woche fr Woche immer neu und

    schrecklich erst erschloss. Zugleich mit der Freude, ber etwas

    Erstaunliches und Schreckliches schreiben zu knnen - die Angst.Wann werden wir dran