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Bauwelt 9 | 2007 12 Thema Fertigungshalle in Słubice Bauwelt 9 | 2007 13 Budynek Seksmisji Fertigungshalle in Słubice: BeL Architekten Kritik: Ilka und Andreas Ruby Fotos: Marc Räder Das Produktionsgebäude für die Firma Fraba im polnischen Słubice ist der erste große Neubau des Kölner Architekturbü- ros BeL von Anne-Julchen Bernhardt und Jörg Leeser. Der Bau basiert auf einem ambitionierten Entwurfskonzept, das auch als eine Art Kampfansage an die unumstößlichen Gesetze des Gewerbebaus zu verstehen ist. Es zeigt, dass ein Industriebau sehr wohl auf die spezifischen Bedürfnisse seines Programms und auf die Bedingungen seines Kontextes zugeschnitten wer- den kann, ohne dabei den eng gesteckten ökonomischen Rah- men dieser Bauaufgabe zu überschreiten. Die Fertigungshalle bietet komplette Wärmedämmung, Klimaanlage und Tages- lichtdecke und ist dennoch mit 580 Euro pro Quadratmeter reiner Baukosten sehr kostengünstig errichtet worden. Beauftragt wurde das Projekt von der Kölner Firma Fraba, einem Hersteller von Sensoren für die Automatisierungsin- dustrie. Zum Bauherrn wurde die Firma, weil sie ihre bisherige Produktionsweise umstellen wollte. Nachdem Produktion und Produktentwicklung jahrelang am Standort in Köln angesie- delt waren, sollen sie von nun an räumlich getrennt werden und unabhängig voneinander operieren. Während die Produkt- entwicklung in Köln verbleibt, wird die Produktion in Zukunft Konkurrenz für die Fabrik von der Stange: Ein Rundbau wird zum duplizierbaren Modell für die Erweiterung, ein maßgeschneidertes Haus stapelt die Verwaltung auf der Produktion, eine Halle versteckt sich in der Landschaft, und ein Umbau legt die 50er Jahre frei. Als Standort für sein neues Produktionsgebäude hat sich der Elektrotechnikhersteller Fraba ein Gewerbegebiet knapp hinter der polnischen Grenze ausgesucht, auf der anderen Seite von Frankfurt/ Oder. Die glänzende Haut be- steht aus aluminiumkaschier- ter Bitumenfolie. Der Foto- graf Marc Räder zeigt den Bau als eine silberne Scheibe, die vom Himmel gefallen ist.

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Bauwelt 9 | 200712 Thema Fertigungshalle in Słubice Bauwelt 9 | 2007 13

Budynek SeksmisjiFertigungshalle in Słubice: BeL ArchitektenKritik: Ilka und Andreas Ruby Fotos: Marc Räder

Das Produktionsgebäude für die Firma Fraba im polnischen Słubice ist der erste große Neubau des Kölner Architekturbü-ros BeL von Anne-Julchen Bernhardt und Jörg Leeser. Der Bau basiert auf einem ambitionierten Entwurfskonzept, das auch als eine Art Kampfansage an die unumstößlichen Gesetze des Gewerbebaus zu verstehen ist. Es zeigt, dass ein Industriebau sehr wohl auf die spezifischen Bedürfnisse seines Programms und auf die Bedingungen seines Kontextes zugeschnitten wer-den kann, ohne dabei den eng gesteckten ökonomischen Rah-men dieser Bauaufgabe zu überschreiten. Die Fertigungshalle bietet komplette Wärmedämmung, Klimaanlage und Tages-lichtdecke und ist dennoch mit 580 Euro pro Quadratmeter reiner Baukosten sehr kostengünstig errichtet worden.

Beauftragt wurde das Projekt von der Kölner Firma Fraba, einem Hersteller von Sensoren für die Automatisierungsin-dustrie. Zum Bauherrn wurde die Firma, weil sie ihre bisherige Produktionsweise umstellen wollte. Nachdem Produktion und Produktentwicklung jahrelang am Standort in Köln angesie-delt waren, sollen sie von nun an räumlich getrennt werden und unabhängig voneinander operieren. Während die Produkt-entwicklung in Köln verbleibt, wird die Produktion in Zukunft

Konkurrenz für die Fabrik von der Stange: Ein Rundbau wird zum duplizierbaren Modell für die Erweiterung, ein maßgeschneidertes Haus stapelt die Verwaltung auf der Produktion, eine Halle versteckt sich in der Landschaft, und ein Umbau legt die 50er Jahre frei.

Als Standort für sein neues Produktionsgebäude hat sich der Elektrotechnikhersteller Fraba ein Gewerbegebiet knapp hinter der polnischen Grenze ausgesucht, auf der anderen Seite von Frankfurt/Oder. Die glänzende Haut be-steht aus aluminiumkaschier-ter Bitumenfolie. Der Foto-graf Marc Räder zeigt den Bau als eine silberne Scheibe, die vom Himmel gefallen ist.

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Bauwelt 9 | 200714 Thema Fertigungshalle in Słubice Bauwelt 9 | 2007 15

In einer Reihe von Entwurfs-schritten haben die Architek-ten die Anordnung der Arbeits-plätze optimiert. Ausgangs-punkt waren die Maße der Ar -beitstische und der dazuge-höri gen Regale. Die fünf Sche -mas rechts zeigen die Flexi -bilität möglicher Verteilungen. Aktuell umgesetzt wurde „ra-dial orthogonal“, wobei Ti-sche und Regale die Seiten wechselten.

ArchitektenBeL, KölnAnne-Julchen Bernhardt, Jörg Leeser

ProjektleitungEveline Jürgens

Kontaktarchitekten und IngenieureArup Poland, Pawel Sapek (Projektmanagement), Marcin Karczmarczyk (Tragwerkspla-nung), Piotr Konarzewski (Elektroinstallation), Andrzej Kociemierowski (Bautech -nik), Piotr Czapko, A.W. Polak, (Bauleitung),Anna Kalinowska, Wojciech Polak

GeneralunternehmerInterbud

BauherrFRABA AG, Köln

an verschiedene internationale Standorte ausgelagert. Das Ge-bäude in Słubice stellt einen Prototyp dar, der bei Erfolg auch andernorts gebaut werden soll. Es ist für maximal 100 Mitar-beiter ausgelegt. Wird diese Grenze überschritten, wird kein Anbau vorgenommen, sondern ein neues Gebäude desselben Typs errichtet.

Für die Architekten ging es darum, nicht nur ein ein-zelnes Gebäude zu entwerfen, sondern gleichzeitig auch die Grundlagen des architektonischen Erscheinungsbildes der Firma zu definieren. Diese Aufgabe wurde mit einer Strategie bewältigt, die für die Entwurfsauffassung des Büros charak-teristisch ist: einem unmittelbaren „Wörtlich-Nehmen“ der konkreten Rahmenbedingungen und ihrer Anforderungen. In Słubice waren das zunächst einmal die Grundprinzipien von Frabas Firmenphilosophie – Hierarchielosigkeit, Transparenz und Flexibilität, die sich direkt auf den Arbeitsalltag auswir-ken. So sind Produktion und Verwaltung nicht voneinander getrennt, Arbeitsplätze nicht personell zugeordnet, sondern frei wählbar. Entscheidungen werden nicht aufgrund abgestuf-ter Positionen, sondern auf Basis der jeweiligen Kompetenz der Mitarbeiter und deren Erfahrung getroffen. Jeder von ih-nen soll in der Lage sein, andere in Aufgaben einzuweisen und selbst wiederum neue Aufgaben zu übernehmen. Die interne Kommunikation ist dementsprechend transparent. Die Firma bietet zudem den Mitarbeitern Zugang zu allen Geschäftsin-formationen und macht jede Entscheidung sofort öffentlich.

Keine HierarchienDas Entwurfskonzept setzt diese Unternehmensprinzipien so konsequent um, dass aus der (Über-)Erfüllung der Vorgaben eine eigene Qualität entsteht. Das fängt bei der Wahl des kreis-förmigen Grundrisses an. Ohne Ecken scheint der Raum un-begrenzt zu sein, ein Eindruck, der durch das richtungslose Dachtragwerk aus 6 Zentimeter schmalen und 60 Zentimeter hohen Brettschichtholzträgern verstärkt wird. Sein dreiecki-ges Stützenraster erlaubt ein Maximum an unterschiedlichen Grundrisskonfigurationen – mehr und dichter als ein ortho-gonales Raster. Eine Versorgungsstruktur mit Lüftung, Elek-

Grundriss und Schnitt im Maß-stab 1:1000, alle Schema-zeichnungen oben im Maßstab 1:2500, außer Reihe 2 und 3 links (Mobiliar und Paletten): 1:750

8,4 x 8,4 m | sqare 2540 m2 | circle 2061 m2 triangular grid triangular grid 9,7 m and orthogonal grid 8,4 m

FRABA shelves 1,35 x 0,8 m FRABA tables 2 x 1 m Europaletts 1,35 x 0,9 m

8,4 x 8,4 m 8,4 x 8,4 m 8,4 x 9,5 m

orthogonal central orthogonal decentral radial orthogonal

radial central radial decentral

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tro- und Internetanschlüssen und Leuchten ist von der Decke abgehangen, so dass Arbeitsplätze überall im Raum aufgestellt werden können. Um den Raum möglichst gleichmäßig mit Ta-geslicht zu versorgen, haben die Architekten mit einer Aus-nahme im Sozialbereich auf Fenster in der Fassade verzichtet. Die Halle wird so über vorgefertigte Lichtkuppeln aus Polycar-bonat belichtet, die mit einem Flächenanteil von 14 Prozent gleichmäßig über das Dach verteilt sind. Der Grundriss ist an jeder Stelle flexibel und immer wieder neu konfigurierbar. Dennoch ist es weniger die klassische Vorstellung des „generic plan“ der Moderne, die für diesen Raum Pate gestanden hat, eher wird man an die endlos gerasterten Landschaften der „ar-chitettura radicale“ erinnert, die den „generic plan“ über den Maßstab der Architektur hinaus extrapolieren wollten. Eine an-dere Referenz könnte Archizooms Vorstellung von Architek-

tur als von einem richtungslosen Behältnis sein: mit einem Minimum an permanenter Infrastruktur auskommen, um ei-nem Maximum an sporadischen Nutzungen Raum zu bieten.

Im Interesse der Hierarchielosigkeit, Transparenz und Flexibilität sind alle Bestandteile des Programms in ein und demselben Großraum verteilt, der so überschaubar wie mög-lich ist. Die einzigen Räume, die abgetrennt sein müssen – Du-schen, WCs, Stillraum –, sind als kleine Zylinder in den großen Zylinder der Halle eingestellt. Die Küche des Sozialbereichs sowie die Umkleidespinde und Schließfächer sind in die Au-ßenwände dieser runden Räume integriert, was angesichts der polnischen Arbeitsstättenverordnung schwierig umzusetzen war. Diese erlaubt Umkleidebereiche prinzipiell nur in ge-schlossenen Räumen, was sich offensichtlich noch auf die Zeit zurückführen lässt, in der gewerbliche Arbeit per se schmut-

Das Tragwerk im Dreiecksras-ter besteht aus 60 Zentime-ter hohen Brettschichtholzträ-gern. In der Halle ruhen sie auf Stahlträgern, am Rand auf Vollholzstützen. Der innere Stützenabstand beträgt 9,70

zig war und deshalb geschlossene Hygieneschleusen erfor-derte, ganz nach dem Vorbild der Waschkaue: Die Arbeiter kommen schmutzig aus der Fabrik, hängen ihre Kluft an den Haken, ziehen sie hoch, duschen sich, während der Raum aus-gespritzt wird, und verlassen die Kaue in sauberem Zustand.

Bei der Fertigung der Sensoren der Firma Fraba ist es na-hezu umgekehrt: Umkleiden heißt, seine Jacke in ein Spind hängen, ein blaues Sweatshirt überziehen und das normale Schuhwerk durch leitende Spezialschuhe austauschen, die den Körperstrom in den graphithaltigen Epoxydboden ablei-ten, damit die hochempfindlichen Produkte nicht beschä-digt werden. Die Fraba-Produktion verlangt nach einer unbe-dingten Sauberkeit, so dass der ursprüngliche Wunsch der Ar-chitekten nach einer natürlichen Belüftung nicht realisierbar war, weil über die normale Außenluft zu viel Schmutzpartikel in den Produktionsbereich gekommen wären. Eine Klimaan-lage war unvermeidlich; die Halle ist zwar kein Reinraum, aber sie ist staubfrei. Allein aus diesem Grund musste auch der Bereich Verpackung von der Produktion getrennt werden, da Papier und Karton Staub mit sich führen. Die notwendige Trennung wurde so minimal wie möglich gestaltet, indem man einen transparenten PVC-Vorhang frei unter die Decke hängte.

Farbe WeißDie funktionelle Notwendigkeit der Sauberkeit wurde von den Architekten durch die einheitliche Farbgebung noch überhöht. Es ist wirklich alles weiß, selbst der Fußboden, was einerseits die Sauberkeit repräsentiert, sie andererseits aber auch einfordert. Den vorhersehbaren Einwand, der Boden sei doch zu schmutzanfällig, begegnen die Architekten mit dem konträren Argument: der Boden ist weiß, damit man den Dreck sieht, weil man ihn dann auch entfernen kann.

Die Verfremdung im Vergleich zu herkömmlichen Pro-duktionshallen ist unübersehbar, der Raum hat eine feder-leichte, fast festlich zu bezeichnende Aura. Auch von außen wurde alles getan, die ästhetischen Insignien des Gewerbe-baus zu unterlaufen. Statt mit dem üblichen Trapezblech ist die Fassade mit aluminiumkaschierten Bitumenbahnen ver-kleidet. Vor allem bei Nacht, wenn das Gebäude von den rundum platzierten Bodenscheinwerfern gleißend hell ange-strahlt wird, verwandelt sich Fraba in ein rätselhaftes Gebilde, dem man seine Funktion nicht ansieht. Das Licht ist so stark, dass die Reflexion an der metallenen Haut ausreicht, um den Parkplatz zu beleuchten.

Die Mitarbeiter identifizieren sich mit der besonderen Architektur. In Anspielung auf die durchgehend weißen In-terieurs des 1983 gedrehten polnischen Science-Fiction-Kult-films „Seksmisja“ (Sex Mission) von Juliusz Machulski kursiert längst ein Spitzname: Sex Mission building. Der Bauherr be-schreibt den Innenraum – und das dürfte für einen Indus-triebau erstaunlich sein – als den entscheidenden Mehrwert der Architektur für das Unternehmen. Die Corporate Colour ist inzwischen ein reines Weiß.

Meter. Alles ist weiß gestri-chen. Die Fassade aus Holz-werkstoffplatten wurde außen mit einer Folie verkleidet. Die reinen Baukosten der hy-briden Konstruktion betrugen 580 Euro pro Quadratmeter.