C A s e s r o h a Viele Kulturen – eine Sprache · sen. Von der öffentlichen Anerkennung des...

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Viele Kulturen – eine Sprache :: Porträts der neuen Preisträger :: 25 Jahre Preisverleihung :: Adelbert von Chamisso März – Mai 2009 2 5 J a h r e A d e l b e r t - v o n - C h a m i s s o - P r e i s * * *

Transcript of C A s e s r o h a Viele Kulturen – eine Sprache · sen. Von der öffentlichen Anerkennung des...

Viele Kulturen – eine Sprache

:: Porträts der neuen Preisträger

:: 25 JahrePreisverleihung

:: Adelbert von Chamisso

März – Mai 2009

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Autorenförderung wird gelegentlich in Frage gestellt.Böse Zungen behaupten, es gäbe in Deutschland mehrLiteraturpreise als Autoren. Das stimmt sicher nicht.Dennoch sollten wir uns die Frage stellen, ob manjunge Autoren mit Stipendien ins Brot bringen oderlieber dem harten Existenzkampf aussetzen soll – weilarme Poeten angeblich besser dichten?

Nehmen wir Elias Canetti: wir wissen nicht, wie essich auf sein Werk ausgewirkt hätte, wenn er in derMitte der zwanziger Jahre wenigstens für zwei Semes-ter von seinem Chemiestudium an der Wiener Univer-sität befreit worden wäre und sich dank eines Stipen-diums oder Preisgeldes mehr Zeit zum Schreiben oderfür eine kreative Pause hätte nehmen können.

Vermutlich hätte der 1905 im damals noch türki-schen Rustschuk geborene und 76 Jahre später mitdem Nobelpreis für Literatur geehrte Autor mit Freudeund einer gewissen Erleichterung auf den Adelbert-von-Chamisso-Preis reagiert. Auch Adelbert vonChamisso selbst, so darf man annehmen, wäre einefinanzielle Unterstützung nicht unwillkommen gewe-sen. Von der öffentlichen Anerkennung des eigenenWerkes, die mit einer derartigen Auszeichnung ein-hergeht, ganz abgesehen.

Die Robert Bosch Stiftung feiert die 25. Verleihungdes Adelbert-von-Chamisso-Preises in besondererWeise und rückt dabei die über fünfzig Autorinnenund Autoren, die seit 1985 ausgezeichnet wurden, insRampenlicht. Vielen von ihnen können Sie, liebe Leser,im Laufe dieses Jahres bei Lesungen und Gesprächenbegegnen und bisweilen wird auch die Rede sein vonder Bedeutung der Würdigung samt ihrer flankieren-den Maßnahmen für die Preisträger und ihre litera-rische Arbeit.

Mit diesem ersten von drei in diesem Jahr erschei-nenden Chamisso-Magazinen lade ich Sie herzlich ein,die »Chamisso-Autoren« und ihre Werke näher kennenzulernen.

Dieter BergVorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung

Die deutsche Sprache als GeliebteArtur BeckerAdelbert-von-Chamisso-Preisträger 2009

Die WortfängerinTzveta SofronievaAdelbert-von-Chamisso-Förderpreisträgerin 2009

Mysterien einer SchneidereiMaría Cecilia BarbettaAdelbert-von-Chamisso-Förderpreisträgerin 2009

Fremde Worte – Vertraute WeltenDie deutschsprachige Literatur von Schrift-stellern anderer Herkunft und Muttersprache

Chamisso-Literatur?Chamisso-Literatur!Deutschsprachige Literatur von Autoren aus aller Welt

Der Herrschaft Zauber …Adel, Armut und Kapital bei Adelbert von Chamisso

Viele Kulturen, eine SpracheWarum fördert die Robert Bosch StiftungLiteratur?

LiteraturveranstaltungenVon März bis Mai

NeuigkeitenTermine – Autoren – Impressum

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Artur Becker ist immer am Schreiben. Er plant schonbis 2011. Oder war es 2012? Egal, was zählen schonJahre, wenn man bedenkt, dass er genug Material hätte,alle paar Monate einen Roman zu veröffentlichen. Wersein Verleger sein will, muss das einkalkulieren: diesenMann muss man nicht antreiben, diesen Mann mussman bremsen. Sein im Herbst erschienener RomanWodka und Messer. Lied vom Ertrinken hat 470 Seiten,und das ist schon der stark gekürzte Text. Nein – ArturBecker hat nicht mit geringer Produktivität zu kämp-fen oder mit mangelnden Ideen. Ist ein Buch fertig, istdas nächste schon längst in Arbeit. Redet er über einThema, sind seine Gedanken schon beim nächsten.

Wenn man Artur Becker zu Hause in dem kleinenStädtchen Verden an der Aller besucht, wird man gleichin die Küche gebeten. Erstens kann man da rauchenund zweitens ist in seinem voll gestellten Arbeitszimmersowieso kein Platz. Und drittens – es mag ein Klischeesein, aber hier trifft es zu – sind slawische Gastgeberdermaßen um das leibliche Wohl ihrer Gäste besorgt,dass sie diese lieber gleich in die Küche bitten, um dieWege zu verkürzen.

Wer mit dem Zug ankommt, kann Beckers Woh-nung gar nicht verfehlen. Aus dem Bahnhof, schrägüber den Platz, wo die Regionalbusse abfahren, undschon ist man da. Es sind vierzig Meter vom Zugabteilbis in seine Küche. Artur Becker liebt sein Provinz-städtchen, er kommt gern hier an, aber er will auchschnell weg können. Er war mit Stipendien in Rom undin New York, er ist gern an solchen Orten, er könntevermutlich überall wohnen, aber es ist seit dreiund-

zwanzig Jahren Verden an der Aller, ein paar Kilometersüdöstlich von Bremen: ein Dom, zwei Gymnasien, einPferdemuseum, Bürgersteige aus rotem Backstein, einSPD-Bürgermeister. Aufruhr gab es in Verden an derAller zum letzten Mal vor ein paar Jahren, als einArbeitsloser den Direktor des Arbeitsamtes erstach.Unerwartete Abgründe, mitten in der wohlhabendenniedersächsischen Provinz.

Plötzlich ist der Titel seines Romans wieder da:Wodka und Messer. Darin richtet ein Messer viel Un-heil an, genauso wie der Alkohol. Zum Schluss soll dasMesser endlich in einem verwunschenen masurischenSee versenkt werden, damit die Geschichte auch einEnde hat. Es ist ein Rückkehrer-Roman. Der Held hattein den 80ern Polen in Richtung Westdeutschland ver-lassen, kehrt aber nach der Wende für eine kurzeReise in die Masuren zurück. Er bleibt deutlich länger,als er wollte, seine Erinnerungen holen ihn ein – er hatdas Gefühl, noch viel von dem verstehen zu müssen,was er damals hinter sich gelassen hatte.

Artur Becker schreibt hier über sich selbst, auch erverließ 1985 Polen und »brannte alle Brücken ab«. Erwar gerade sechzehn, als er in den Westen kam, und eswar Verden. Hier, am Bahnhof warteten bereits seineEltern. Wenn man so will, ist er nach der Einwanderungnicht weit gekommen, vierzig Meter. Beckers Vaterstammt aus einer deutschen Familie und war damalsregelmäßig im Westen, eines Tages blieb er da. DieAusreise war für Polen einfacher als für DDR-Bürger,es bedurfte vor allem eines Bürgen im Westen. Der ließsich auftreiben.

4 :: Adelbert-von-Chamisso-Preisträger 2009

Die deutsche Sprache als GeliebteDer aus Polen stammende Autor Artur Becker schreibt auf Deutsch die fantastischsten Geschichten über seine alte Heimat Masuren

Von Vladimir Balzer

So stand er also da, der Schüler Artur Becker, erhatte ein paar Platten dabei, genug zu rauchen, dieBriefe seiner Freundin Magdalena, die in Polen geblie-ben war, ein paar Zeilen selbstgeschriebener polni-scher Lyrik und nur wenige Worte Deutsch. Ein paarTage später saß er schon in der Abiturklasse und holtenach, was er konnte. Etwas von der deutschen Sprachehatte ihm seine galizische Großmutter Erna beigebracht,aber im Grunde fing er bei Null an. Erna lebt heutenoch in Verden, sie sei »eine einfache Frau«, sagt ArturBecker, aber an eines kann sie sich sehr genau erin-nern, wie sie in den letzten Kriegstagen »gefühlte 120mal« von den Sowjets vergewaltigt wurde. Ihr Mann,Artur Beckers Großvater Jan, soll von einer jüdischenMutter abstammen, aber das weiß keiner so genau.Nur eins ist sicher: Er hat sich tot gesoffen, so wie eini-ge Männer in Beckers Romanen, und Jan soll ein Fotodes damals vierjährigen Artur in der Hand gehaltenhaben, als er offen im Sarg lag. Niemand aus der Trauer-gemeinde soll gewusst haben, wer dem Toten diesesFoto in die Finger geschoben hatte. Sicherheitshalberwurde es ihm wieder entrissen. Das Foto gibt es noch,und Artur Becker mag diese Art von Geschichten.

Tod kann Bitterkeit und Leiden bedeuten, er kannaber auch etwas Absurdes sein. Beckers Texte sindvoll davon, voll von schwarzem Humor. In Wodka undMesser ist der Tod der Auslöser von Geschichten zuseiner Überwindung. Der Rückkehrer trauert seinerersten Liebe nach, die auf der Flucht vor kommunisti-schen Geheimdienstlern in einen See eingebrochenund ertrunken war. Die Frau, in die er sich dann beiseiner Rückkehr verliebt, sieht ihr ähnlicher, als esihm lieb sein kann. Sie erklärt sich bereit, die Rolle derToten zu übernehmen. Eine absonderliche Wiederauf-erstehung.

Auch der Roman, an dem Artur Becker geradeschreibt, handelt von Tod und Erinnerung. Ein polni-scher Verwandter des Helden stirbt ausgerechnet aufBesuch in Deutschland, ausgerechnet zu Allerseelen.»Einwanderer kommen erst wirklich an, wenn jemandder ihren im neuen Land stirbt«, sagt Artur Becker,wenn er über seinen neuen Text spricht. »Oder jemand

der ihren wird geboren«, fügt er hinzu, denn nur derTod, das wäre wohl etwas wenig, auch wenn er diemeisten Geschichten birgt. Artur Becker braucht sie,seine Toten aus der Heimat, oder wie er es in einemEssay beschreibt, er lädt sie ein in sein deutschesArbeitszimmer, »damit wir uns unsere Geschichten zuEnde erzählen können«.

Diese und andere Geschichten – seien sie nun inBeckers Büchern oder in der Wirklichkeit passiert –sind tagtäglich bei ihm, aus ihnen schöpft er seinenächsten Ideen. Nicht nur die deutsche Familie seinesVaters, auch die polnische seiner Mutter bietet nochviel Stoff, denn Beckers Großmutter mütterlicherseitswar polnische Zwangsarbeiterin bei Hannover. DieGeschichten dieser Familie hatte er dabei, als er mitseinen sechzehn Jahren in Verden aus dem Zug stieg.

Als er den jungen Schriftsteller Ende der 80er ken-nenlernte, so erinnert sich heute sein erster VerlegerBernd Gosau, schlug er ihm zunächst vor, einen Sprach-kurs zu machen, »weil ich ihn so schlecht verstand«.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Artur Becker geradefür die Sprache des neuen Landes entschieden.

Es ist aber nicht so, dass er das Thema des Wech-sels zur deutschen Sprache wirklich mag. Der Mann,der sonst überbordet vor Erzähllust, wird bei diesemThema einsilbig, er seufzt sogar, und nennt Deutschseine Literatursprache, seine »Dienstsprache«. Aberwirklich glücklich scheint er damit nicht zu sein. Esbleiben zwei Welten – sogar in seinem Arbeitszimmer.Die Bibliothek ist zweigeteilt: rechts die deutschenBücher, links die polnischen. Kein Buch steht auf derfalschen Seite.

Geschichten über Geschichten

In Artur Beckers Bibliothek stehen rechts die deutschen, links die polnischen Bücher.

Artur Becker in seinem Arbeitszimmer in Verden an der Aller.

Der Dadajsee. Roman. Bremen: STINTVerlag, 1997Der Gesang aus dem Zauberbottich.Gedichte. Bremen: Verlag H. M. Hauschild,1998Jesus und Marx von der ESSO-Tankstelle. Gedichte. Bremen: STINTVerlag, 1998Dame mit dem Hermelin. Gedichte.Bremen: Carl Schünemann Verlag, 2000Onkel Jimmy, die Indianer und ich.Roman. Hamburg: Hoffmann und CampeVerlag, 2001 (TB München: DroemerKnaur 2003)Die Milchstrasse. Erzählungen. Hamburg:Hoffmann und Campe Verlag, 2002Kino Muza. Roman. Hamburg: Hoffmannund Campe Verlag, 2003Die Zeit der Stinte. Novelle. München:Deutscher Taschenbuchverlag, 2006.Das Herz von Chopin. Roman. Hamburg:Hoffmann und Campe Verlag, 2006 (TBMünchen: dtv 2008)Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken.Roman. Frankfurt am Main: weissbooks.w,2008Ein Kiosk mit elf Millionen Nächten.Gedichte. Bremen: STINT Verlag, 2008

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Damals, als er im deutschen Westen ankam, schrieber nur auf Polnisch, das könnte er jetzt nicht mehr.Diese Phase ist vorbei, das Polnische ist im Privatengelandet – wenn er mit seiner Frau Magdalena spricht,mit seinem 14-jährigen Sohn Philip und mit Freundenaus der alten Heimat. Seinen literarischen Ton hat erendgültig im Deutschen gefunden. Beim Lesen kämeman nicht auf die Idee, dass er nicht in Deutschlandgeboren sei. Die Sprache seiner Bücher verrät es nicht.Er sagt sogar: »Nationale Literaturen sind ein Irrsinn.«Dennoch, bei aller Grenzenlosigkeit – für ihn bleibt einRest an Fremdheit gegenüber Deutschland, den Deut-schen und ihrer Sprache. Er sagt auch: »Ich rate jedemAutor ab, nicht in seiner Muttersprache zu schreiben«.Ganz so einfach scheint es doch nicht zu sein mit demSprachwechsel. Natürlich ist Polnisch seine Mutter-sprache, natürlich legt er sie nicht einfach zur Seite. Insein syntaktisch perfektes Deutsch mischen sich dannauffällig ausgesprochene Vokale. Artur Becker sagtMusäum und Lirrick, wenn er Museum und Lyrik meint.

Wenn man ihn darauf anspricht, lacht er nur, das krie-ge er einfach nicht weg. Und dann kommt der Moment,sich über die Deutschen zu beschweren. Was ihnen oftfehle, sei der Humor, noch schlimmer: Selbstironie.Muss man immer alles ernst nehmen?, fragt sich ArturBecker. Vielleicht kommt die osteuropäische Lust amÜbertriebenen, am Absurden auch von der Lust amLachen, von der Lust, die Verhältnisse nicht allzu ernstzu nehmen. In Deutschland haben die meisten Ge-spräche ein Ziel, bedauert er, und er sagt: »Der Polekann sich meistens nicht entscheiden und wenn ihmeiner sagt: gehe geradeaus, dann wird er einen Teufeltun, dann geht er nach rechts oder nach links.«

Die Zielstrebigkeit in der Familie der Beckers kommtsowieso von Magdalena Becker, seiner Frau. Kennen-gelernt hat er sie am Dadajsee, an dem masurischenSee, der in vielen seiner Texte vorkommt, und der schonso viele Ertrunkene gefordert hat; einmal wäre er fastselber unter den Opfern gewesen, als er seine Schwimm-

flossen verlor und bemerkte, dass er ohne sie unterge-hen würde. Im letzten Moment holte ihn jemand raus.

Magdalena Becker lässt sich von solchen Geschich-ten kaum aus der Ruhe bringen. Bei ihrem selbstbe-wussten Auftritt ahnt man, wer hier die Zügel in derHand hält. Ihr Beruf verlangt Bodenständigkeit: Siebetreut geistig behinderte Kinder. Wenn es sein muss,kämpft sie bei den Behörden für bessere Bedingungen.

Nicht immer schafft sie es, Artur Beckers viele Ge-schichten zu lesen. Sie weiß aber, dass ihre Eifersuchtauf die deutsche Sprache Gründe hat: Die Sprache seiseine Geliebte, sagt ihr Mann, wenn auch eine »sehrstrenge Geliebte«. Sie habe großen Sinn für Logik undStruktur, somit sei auf sie Verlass. Andererseits brauchter generell »mehr Worte als die Deutschen selbst«.Man spürt es, manchmal traut er dem Gesagten undGeschriebenen noch nicht, es kommt immer noch eineErgänzung, eine Volte hinterher.

Sein Verleger RainerWeiss vom Verlag weissbooksdürfte kaum widersprechen,wenn Artur Becker behaup-tet: »Ich brauche mehr Seitenals Deutsche.« In der Tat, die-ser Schriftsteller ist grenzen-los, am liebsten hätte er dasDoppelte an Platz pro Buch.Es gibt noch so viel zu erzäh-len! Von seiner Kindheit inden Masuren zum Beispiel.Daran muss er oft denken,wenn er an seinem Fenstergegenüber dem VerdenerBahnhof steht: an die alten ost-preußischen Bahnhöfe, da-mals schon fast verfallen, nur

Wörter wie »Warteraum« waren noch zu erkennen.Dort saß er, damals so alt wie sein Sohn Philip heute,manchmal stundenlang, weil Züge so unpünktlich fuh-ren. Er war auf dem Weg nach Posen, zu seiner Freun-din Magdalena, seiner heutigen Frau. Wenn er dann

endlich im Zug saß, spielte er sein Spiel: Wem erzähleich die fantastischste Geschichte? Wer glaubt sie mirzuerst? Am liebsten begann er dann damit, dass seinVater ein enger Freund von Bob Dylan sei und mit ihmzusammen Platten höre. Warum auch nicht, es wäre jamöglich gewesen. Manchmal wurden Geschichtendieser Art erwidert, wenn auch mit anderem Personal.Zugfahrten in Polen waren ideal zum Geschichtensammeln. »Polen war liberaler als die DDR«, erinnertsich Artur Becker, man fühlte sich nicht ständig vonDenunzianten und Stasi-Spitzeln umgeben. SchrägeGeschichten und politisches Fluchen hatten vor allerOhren ihren Platz und die Wirklichkeit, meist über-dreht genug, wurde hier noch einmal gesteigert, sodass Geschichten herauskamen, die man zwar für ab-surd, aber dennoch für möglich hielt. Man spürt es,hier ist eine der Quellen von Beckers masurischerPhantastik.

Wie damals, als er als gerade Erwachsener eindeutscher Schriftsteller wurde, so geht auch heute einTag mit Artur Becker mit einem guten Getränk zu Ende,denn ein guter Wodka hat noch fast niemandem ge-schadet. Nichts dürfte bei solchen Gelegenheiten lang-weiliger sein als diese ewigen gepflegten Weine. Wäh-rend solcher langen Abende könnte man vergessen,dass wir in Deutschland sind, wo Stamm und Herkunftimmer noch so viel zählen, während Sprache, Kultur,Identität erst erkämpft werden müssen und man alsEinwanderer trotzdem fremd bleiben kann. Man solleihn bloß nicht »deutsch-polnischer Autor« nennen,sagt Artur Becker am Ende, »ich bin polnischer Autordeutscher Sprache«. Das ist für viele Deutsche schwerzu verstehen, aber: »Ich kann es nicht ändern.« ::

8 :: Adelbert-von-Chamisso-Preisträger 2009 Artur Becker :: 9

Wem erzähle ich die fantastischsteGeschichte? Wer glaubt sie mir zuerst?

Der Abend geht mit einem guten Getränk zu Ende, manchmal im Café Grün in Bremen.

Winterspaziergang durch den Sachsenhain bei Verden.

rung jeder wahrnehmen kann. Tzveta Sofronievagehört nämlich zu jenen Autorinnen, für die die Wort-problematik zentral ist, und zwar besonders im seman-tischen Bereich, dem der Wort-Bedeutung. So ist essicher kein Zufall, dass die Dichterin Mitte der 90erJahre das europäische Netzwerk »Verbotene Worte«gründete und es in Veranstaltungen in Sofia, Budapest,Wetzlar, Dortmund, Stuttgart, Wien, Leipzig und Berlinvorstellte. Die gleichnamige Anthologie, die sie 2005herausgab, führt direkt in den Kern ihres Projekts.

»Alles fing für mich damit an«, schreibt sie im Vor-wort, »dass mein Gedicht über die Sprache mit dembulgarischen Titel Heimat, bei der Übersetzung aufDeutsch nicht so heißen durfte. Das war 1995. Heimatwar undenkbar. Seele und sogar ein Wort wie Groß-mutter stießen auf Skepsis und Ablehnung, Gott wurdeausschließlich der christlichen Religion zugeordnet,Trost, Sehnsucht, Begabung klangen suspekt. Worte,die Übersetzungen aus dem Englischen oder Spani-schen oft larmoyant und viele Lyrikübertragungen ausden osteuropäischen Sprachen pathetisch klingen lie-ßen, trugen nicht nur die Last der Nazi-Zeit, aber auchdie Last der 68er Generation und der späterenAnything-goes-Position.«

Die Tatsache, dass man bestimmte Worte nichtbenutzen durfte, dass es Wörter gibt, die in der deut-schen Literatur mehr oder weniger verboten, zumin-dest unvorstellbar waren beziehungsweise sind, wurdefür ihre Beschäftigung mit der Sprache maßgeblich. Sokann »Heimat« fraglos Dummheit, Engstirnigkeit undBorniertheit bedeuten. Aber Worte können auch Ortesein. Deren Entzug wird bisweilen als Entzug vonFestigkeit und sicherem Grund und damit als Vereinze-lung erlebt. Diese Problematik ist auch dem Lebens-weg von Tzveta Sofronieva eingeschrieben, der sie –die 1963 in Sofia Geborene – nach Berlin führte, mitZwischenstationen in Kanada, den USA und England.

Von T. S. Eliot wird behauptet, er habe in einem Ruder-boot auf dem Genfer See viele einsame Stunden auf derSuche nach dem »schönsten Wort« verbracht. DieAnekdote mag wahr sein oder nur gut erfunden, sie be-leuchtet eindrucksvoll das geduldige und ausdauerndeFahnden nach dem einzig und allein passenden Wort,das Poeten so auffällig von Autoren anderer literari-scher Gattungen unterscheidet. Das einzelne Wort,sein Klang, seine Bedeutung, sein Metrum, sein Wider-hall, seine Strahlkraft beschäftigen den Verfasser vonPoesie stärker als andere Schriftsteller, »Konzentra-tion auf das einzelne Wort« könnte sogar eine Grund-formel der Poesie heißen.

Dass »das Wort« in besonderer Weise Baumaterialdes Gedichts ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung.Wohl aber unterscheiden sich die einzelnen Auffas-sungen von den Möglichkeiten und Grenzen des dich-terischen Wortes, seiner Macht und seiner Ohnmacht,ganz erheblich. Dem strikten Wort-Glauben standimmer schon eine ebenso ausgeprägte Wort-Skepsisgegenüber. Behauptete noch der Romantiker Novalis,dass jedes dichterische Wort eine »Beschwörung« sei,so konstatierte Nietzsche, im Nebenberuf Lyriker vonRang, jedes Wort sei ein Vorurteil. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts hat Hugo von Hofmannsthal die Sprach-und Wortkrise dann auf den Punkt gebracht mit sei-nem berühmten Prosastück, in dem Lord Chandos dieWorte »wie modrige Pilze im Mund zerfallen«. Seitdem fiktiven Chandos-Brief sind mehr als hundert Jah-re vergangen. Inzwischen mussten die europäischenSprachen, insbesondere aber die deutsche, durchenorme geschichtlich-kulturelle Brüche und Verwer-fungen hindurch.

Es schien mir angebracht, bevor ich hier über TzvetaSofronieva rede, im Vorfeld der Betrachtung gleich-sam einige Grenzpflöcke einzuschlagen, deren Markie-

10 :: Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträgerin 2009 Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträgerin 2009 :: 11

WortfängerinDie Dichterin Tzveta Sofronieva

Von Michael Speier

Für diese Autorin kann »Heimat« (auch sprachlich)»nur das land meines zufälligen umherirrens« sein, wiees in ihrem ironisch-autobiographischen Poem »Ein-bürgerung am Valentinstag« heißt. Denn wenn wir auchvon der Sprache mit Wirklichkeit und mit Daseins-möglichkeiten versorgt werden, so steckt doch bereitsein Irrtum darin, wie die Dichterin weiß:

aus versehendurch wortewurde ichdeutscher als die deutschenchinesischer als die chinesenamerikanischer als die amerikanerbulgarischer als die bulgaren

Nur im Zwischen, im gleitenden Übergang ist einZuhause, in »Räume(n), in denen das Eigene bereitsverlassen ⁄ und das Andere noch nicht betreten ist«.Daher spricht aus Tzveta Sofronievas Gedichten ein imUrquell kosmopolitischer Geist, ein immerwährenderAufbruch, der das Dasein mobil macht und zauberisch,mit leichter Hand, neue Wirklichkeiten entwirft:

Wir mieten von der Welt ein Sofa, eine Tür,ein Kissen, einen Obstbaum, Flügel und ein Boot,nennen es Zuhause, fügen mehrere Namen ein. Morgen ist die Stadt neu, die Gesichter,die Fenster, die Wellen, das Licht und die Kiesel,in denen das Wasser Widerstand findet.

(aus »Taufe«)

Die unbändig sprudelnde Energie, die man inTzveta Sofronievas Persönlichkeit ebenso wie in ihrenTexten spürt, fördert wie ein artesischer Brunnen derPoesie Bildkaskaden zu Tage. Eins der schönsten Bei-spiele aus jüngster Zeit ist ein rasch hingeschriebenerkleiner Paris-Zyklus in acht Gedichten. Hier durch-quert ein weibliches Ich unverdrossen die lange schontotgedichtete Stadt, durchquert dabei sich selbst undbegegnet allem, was in ihm ist. Die topographischenPunkte füllen sich mit Geräuschen, Bewegungen, Hand-lungen und Gesprächsfetzen teils realistischer, teilsphantastischer Art – zentriert um dieses Ich, das invielen Perspektiven gleichzeitig erscheint. So spiegeltes die Beziehung zur eigenen Mutter in der Rolle alsMutter einer Tochter, als Geliebte und zugleich als Kindoder als Kind im Geliebten, über den Fluss gebeugt,der die Seine ist und zugleich die Zeit:

Hier spricht jemand, dem naturwissenschaftlicheFakten vertraut sind (die Autorin ist studierte Physi-kerin) und der sie in die »großen Themen«, Liebe, Ehe,Sexualität, Geburt, Alter, Vergänglichkeit, zwangloseinbringt. Das Erkunden der Existenzhorizonte, derMuster im Lebensteppich gehört zu den bestimmendenliterarischen Anliegen von Tzveta Sofronieva. Da wirdeine neue Ernsthaftigkeit spürbar, die der deutschenGegenwartsliteratur – aus »östlicher« Perspektive –zurückgewinnt, was ihr durch allzu große coolnessweitgehend verloren ging. Aus der Sicht des aktuellenLiteraturdiskurses mag dies manchem Kritiker naiverscheinen, es entstammt jedoch einem schlüssigenGesamtkonzept, einem warmen und wärmendenBiotop, das sich dem heutzutage angesagten Stilgestusverweigert und »verbotene Worte« nicht scheut.

Auch wenn bei Tzveta Sofronieva mythologischeGestalten wie Penelope, Orpheus, Zeus und Dionysosoder antike Stätten wie Troja, Ephesus und Pergamonzitiert werden, hat es damit seine besondere Bewandt-nis. Zunächst: Die antiken Bezüge kommen bei ihr dis-kret und unbefangen daher, sind produktive Aneig-nungen und kein Bildungsprunk. Sie speisen sich teilsaus der Ausstrahlung der griechischen und römischenKultur in den Balkan hinein, teils aus dem Fundus ge-samteuropäischer Tradition, den die Autorin sehrwohl kennt. Sie verwendet ihn gern augenzwinkernd,

wenn etwa von »Odysseus und seiner Crew« die Redeist oder der Käptn eines sommerlichen Segeltörnsdurch die Ägäis zwischendurch ein Bier namens»Mythos« zischt. Nicht zuletzt gelten die bulgarischenRhodopen als Heimat des ältesten griechischen Sän-gers Orpheus. Insofern seit den 90er Jahren in derdeutschen Literatur neues Interesse an alten Mythenzu verzeichnen ist, trifft Tzevta Sofronievas aus einerganz anderen Richtung kommende Antikenrezeptioneinen literarischen Nerv unserer Zeit.

Die Wörter, vor allem die Wörter, sind das Kapitaldes Poeten, mit ihnen arbeitet er, mit ihnen macht erseine Geschäfte (sofern man im Zusammenhang mitPoesie von Geschäften reden kann). Überlassen wirChristoph Meckel, einem der großen Dichter der Gegen-wart, den Tzveta Sofronieva ins Bulgarische übertra-gen hat, das Schlusswort: »Der Wortfänger legt seinenMagneten ins Universum der Sprachen – sein Magnetist ein einzelnes Wort, ein einzelner Satz –, und dieWörter kommen, allein und in Rudeln, sie sammeln sichum sein Werkzeug und setzen sich an ihm fest, Wörterjeder Tonart und jeder Herkunft, aller Verwandt-schaftsgrade und vieler Zeiten, die tatsächlichen unddie erfundenen Wörter, die lauten, die stillen und dieunzeitgemäßen, die veralteten, die neuen und ultra-neuen, die geächteten, die vermissten und die gelieb-ten.« ::

12 :: Tzveta Sofronieva

Gefangen im Licht. Gedichte, bulgarisch/deutsch. Übersetzungen: Gabi Tiemann.Marburg an der Lahn: Biblion Verlag, 1999 Verbotene Worte. Gedichte, Essays undErzählungen. Hrsg. und mit eigenenBeiträgen. München: Biblion Verlag, 2005 Eine Hand voll Wasser. Gedichte.Aschersleben: Unartig Verlag, 2008

Tzveta Sofronieva im Max Planck Institutfür Wissenschaftsgeschichte. Berlin wähltesie 1992 zu ihrem Hauptwohnsitz.

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Das Kind und die Geliebte, die uralte Freundschaft,ein Löffel aus Horn und eine Seife au miel, der

Turm von Eiffel,die alte Eiche neben dem Alten Palais konkurriert

um Höhe,das Rindenstück dieser Eiche in den Händen des

Kindes, kreideweiß,sie werfen die Rinde ins Wasser auf der schönen

Brücke, schauen ihr nach.[…]Das Kind wird andere Sprachen kennen lernen.Der Poesie bleibt eine Zunge.Die Zunge liebt zu tun, was immer sie für richtig

hält. (aus »Merci, Paris«)

Das ist mutig gesagt. Und ebenso mutig erscheintdie Autorin, wenn das lyrische Ich die patriarchaleSphäre von Macht und Vormacht reflektiert und dabeiden eigenen Ort nicht auslässt im komplizierten Ver-hältnis von Selbstbehauptung und liebend-gehassterAbhängigkeit:

Ich brauche die alten Männer, den alten noch unbenutzten Frieden brauche ich

[…]Noch mehr brauche ich ihre Mythen um sich

selbst.Ohne Hemingway hätte ich keine Anweisungen

zum Schwimmenund wäre sicher längst in meinem Meer ertrunken,

nicht nur in seinem.(ebd.)

Die selbstbewusst-weibliche Sicht, die die literari-sche Welt Tzveta Sofronievas bestimmt, vermeidet klugdie Fallen und Fehler der Gender-Klischees. Ihre neueVersion von Hemingways bekanntester Erzählung,nunmehr aus der Perspektive einer Frau, verarbeitetden Stoff nicht nur in einsinniger Geschlechterperspek-tive, sondern hebelt diese in einer überraschendenPointe mit dem Rekurs auf genetische Bedingtheitenaus:

Allmählich beginnt der alte Mann zu glauben,dass der Kampf mit dem Fisch, der Jungeund sogar die Fraukeine Aufgabe sind,sondern ein Code im Körper.

(aus »Der alte Mann, das Meer, die Frau«)

Das Kind und die Geliebte, die uralte Freu ndschaft,

ein Löffel aus Horn und eine Seife au miel, der Turm von Eiffel,

die alte Eiche neben dem Alten Palais kon kurriert um Höhe,

das Rindenstück dieser Eiche in den Händ en des Kindes, kreideweiß,

sie werfen die Rinde ins Wasser auf der sc hönen Brücke, schauen ihr nach.

[…]

Das Kind wird andere Sprachen kennen ler nen.

Der Poesie bleibt eine Zunge.

Die Zunge liebt zu tun, was immer sie für r ichtig hält. (aus »Merci, Paris«)

Als María Cecilia Barbetta im Sommer 2008 literari-sches Parkett betrat, verzauberte sie sofort: eine jungeFrau mit rapunzellangem Haar, fragil, schön, elfenhaft,klug und begabt! Eine Autorin aus Buenos Aires, dielieber in Berlin lebt! Eine Argentinierin, die auf Deutschschreibt und vom Klang der Sprache schwärmt! Wasfür ein wundersames Wesen!

Dabei hatte ihre Bekanntschaft mit dem Deutschenganz pragmatisch begonnen: als Kind in einem deut-schen Kindergarten und einer deutschen Schule un-weit des Elternhauses in Buenos Aires, die besserwaren als die staatlichen argentinischen. Dort sang siedeutsche Lieder und sah zwei Herren, die sich vor demHaus zu streiten schienen, bis die Mutter erklärte, dassei Deutsch. Studiert hat sie Deutsch nur in der Hoff-nung, es verbessere ihre Berufschancen eher als Eng-lisch. Vor siebzehn Jahren war das, da hatte sie diefremden Laute aus Kindertagen noch im Ohr und dasselbstbewusste Ziel, die Grammatik zu »beherrschen«.Die Liebe zur Sprache kam später. Mit einer Tübingen-Reise, mit dem Duft einer freien Gesellschaft undFreundinnen, die ohne Tabus von Sexualität sprachen.Mit dem DAAD-Stipendium in Berlin 1996 und einerersten Geschichte für den NachwuchswettbewerbOpen Mike, woraus der Roman ÄnderungsschneidereiLos Milagros und – zu Recht – ein großer Erfolg wurde.

Denn dieses Buch ist anders. Es ist frech, heiter,lebendig, spielerisch, theorietrunken, sinnlich undsinnsüchtig. Es hat – wie seine Autorin – doppeltenBoden und philosophische Tiefe, menschliche Reifeund sprachliche Anmut, optische Reize und Rhythmus,Magie, Zauberkraft und Aura. Es nimmt – wie sie – die

Sprache beim Wort, kokettiert mit Wörtern, inszenierteinen Staffellauf der Assoziationen, kippt ins Phantas-tische und verbindet Literatur, Kunst und Musik. Nichtumsonst heißt die Schutzheilige der Musik Cäcilia,nicht von ungefähr machte María Cecilia Barbetta ihrVolontariat in einer Galerie und ist mit einem argenti-nischen Künstler verheiratet. In Argentinien, sagt sie,wären wir uns nie begegnet.

Wer nur eine Geschichte lesen will, ist bei ihr fehlam Platz, sie trägt eine ganze Bibliothek im Kopf mitsich. Wer die Änderungsschneiderei Los Milagros zurHand nimmt, blättert in einer Collage, in Heiligenbild-chen, Kupferstichen, Kreuzworträtseln, Tarot-Karten,Comics, in «Stoffmustern«, die mehr sind als bloßeIllustration. Immer wieder wird der Text zur Konkre-ten Poesie, formt die Zeilen zu Stufen, wenn die HeldinTreppen steigt, erzählt in drei Spalten aus drei Per-spektiven und stimuliert die vierte Dimension: die Ima-gination; exzentrisch, überbordend, multimedial.Änderungsschneiderei Los Milagros ist ein Text überTextilien und Gesprächsfäden, an der Nahtstelle vonSchrift und Bild, Geometrie und Philosophie, Phantas-tik und Realität, Experiment und Konvention, kurzum:eine Wunderkammer.

»Schuld« an deren Entstehen waren BarbettasArbeitslosigkeit, die ihr Zeit zum Schreiben ließ, dazuihre Sammelleidenschaft, ihr Berliner Zimmer vollerFundstücke, Zettel, Bilder, Wörter, Objekte, die ein-fach in den Text wanderten und ein Ladenschild, dassie entdeckte, als sie wieder einmal mit dem Fahrraddurch die Stadt fuhr, genauer: zwei gleiche Schilder inzwei Schaufenstern: »Änderung von Damen, Kinder-

14 :: Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträgerin 2009

Mysterien einer SchneidereiMaría Cecilia Barbetta umgarnt mit Bildern, Stoffen, Texten und Textilien

Von Cornelia Zetzsche

und Herrenbekleidung«, Damen zum Ändern, mit undohne Bindestrich, rechts und links vom Eingang, derAuftakt zum Doppelgängermotiv in diesem Assozia-tionsstrom.

Höchste Zeit, die Geschichte zu erzählen, bevordie Sprache mit der Romanheldin davoneilt, »eins,zwei, drei, vier, fünf, an dem Kiosk vorbei, sechs, sie-ben, sie gibt acht auf das Zählen ihrer Schritte, und aufdie Zeit, die sie dabei verfliegen läßt. Mariana-Zeit-verwalterin… .«. Das war die erste Idee von Anfang an:eine junge Frau, die zählt und geht und damit eineGeschichte in Gang setzt. Vom Zählen ist es für MaríaCecilia Barbetta nur ein Schritt zum Erzählen, undschon hat uns die junge Schneiderin Mariana »im Na-men des Vaters, dreißig, und des Sohnes, einunddrei-ßig, und des Heiligen Geistes, zweiunddreißig« zurÄnderungsschneiderei Los Milagros geführt. Ein Bie-nenhaus, ein Mikrokosmos der Frauen mit all ihrenSehnsüchten. Ein mythischer Ort in dieser Geschichteaus Liebe, Verrat und Ich-Suche.

Mariana lebt allein mit ihrer Mutter in BuenosAires, eigentlich aber in ihrem eigenen Universum ausZahlen, Garnen, Tieren. Sie wird eins mit Analía, derenBrautkleid sie ändert. Sie liebt und verliert den Biolo-gie-Studenten Gerardo, der auch Analías BräutigamRoberto sein könnte, also ein anderer, für Momentesogar der gesuchte Prostituiertenmörder! Verwirrend?Natürlich! Diese Autorin umgarnt ihre Leser mit demStoff ihrer Binnengeschichten. Sie knüpft Schicksals-fäden, nimmt Maß, setzt feine Nadelstiche und knappeSchnitte, skizziert Muster, aus denen immer neueGeschichten wachsen, mustert aus. Sie unterfüttert dasSprachspiel mit Philosophie, webt Mariana als rotenFaden durch diese Geschichte aus Lügen und Schein.Dokumente, eine Busfahrkarte, ein Telefon-Protokollsimulieren Faktizität, tatsächlich aber changierenRealität und Fiktion, Traum und Alltag. Figuren führenDoppelleben, die Namen von Mariana Nalo und AnalíaMoran sind Anagramme, austauschbar. Doppeldeutigsind Moral, Sexualität, die Gebote der KatholischenKirche. Beklemmend sind die Fangarme der liebendenMutter, die den verstorbenen Vater ersetzen möchte;eine Übermutter, ein fleischfressendes Insekt. Insek-ten sind wichtig, Tiere überhaupt, Schnecken etwa.

Natürlich verweist das alles auf Julio Cortázar, denArgentinier in Frankreich, den großen zweisprachigenPhantasten Lateinamerikas; auf sein Viertel Almagroin Buenos Aires, wo auch Mariana lebt; auf seine Vor-

liebe für Stadtpläne und sein Bestiario, in dem Men-schen wie Tiere auftreten und Tiere als Metaphern.Nicht zufällig schrieb María Cecilia Barbetta ihre Ma-gister-Arbeit über Cortázar, ihre Dissertation über dasNeophantastische. Sie spielt mit den Erzählern desMagischen Realismus, aber so magisch und realistischihr Roman daherkommt, mit opulenten Familiensagashat er wenig gemein. Ihre Hauptfigur ist die Sprache.Die Atmosphäre ist wichtiger als die Geschichte, nichtdie Handlung, sondern eine Flut von Assoziationentreiben Mariana voran und – mit Lewis Carrolls Aliceim Wunderland – tief unter die Oberfläche von bunterFröhlichkeit und farbenfrohen Kleidern. Gulli-Deckelführen hinab in einen nacktschneckengrauen Keller, indie Tiefe des Textes, des Stoffes, des geheimnisvollenBrautgewandes, das sich wenden lässt, nur in der Tiefeder Seele ist Änderung möglich. Auch der Sprachwech-sel erlaubt Veränderung. Im Deutschen ist sie anders.

Gewiss ist dieser Roman bunt und heiter, vor allemaber düster, bedrohlich und fern von harmlosen Mäd-chenträumen. Kunstfertig, aber eben kein »fröhlichesWerkstück«, wie eine Kritikerin mutmaßte. Fröhlichist allenfalls die Lust am Spiel. María Cecilia Barbettahat Freude an Sprachbildern, am Klang eines Papper-lapapp und Klingeling, am Doppelsinn von Wörternwie der Acht, die Zahl ist und achtgibt; am »Läufer«,der Teppich und Schachfigur zugleich sein kann undvon einer Assoziation zur nächsten führt; ein »Polyeder«wie bei Alfred Jarry, eine geometrische Figur, einKörper, der sich außen betrachten lässt. Das, sagt sie,könne sie nur in einer fremden Sprache.

Auch wenn sie heute noch auf Spanisch zählt, aufSpanisch träumt, mit ihrer Freundin spanisch-deutscheVokabeln erfindet, längst ist die deutsche Sprache fürMaría Cecilia Barbetta zur »Geliebten« geworden, zurZuflucht im »Weder-Noch« zwischen Argentinien undDeutschland. Ein »Schutzraum«, in dem sie sich BuenosAires annähern kann. Eine Chiffre für Freiheit, freiesAtmen, frei von den Zwängen des argentinischenFrauenbilds, frei von allen Ängsten, auch den subkuta-

nen, unbewussten Ängsten einer Kindheit in derDiktatur.

»Wo ich auch bin, entbehre ich des Vaterlands,Boden und Menschen sind mir fremd, darum muß ichmich immer sehnen«, schrieb Adelbert von Chamisso,der deutsche Romantiker aus Frankreich, der jungeAdelige, der vor der Revolution floh. Auch sein Schlehmilerzählt eine Doppelgängergeschichte und sieht denTeufel als einen »der wie ein Ende des Zwirns aussieht,der einem Schneider aus der Nadel entlaufen ist«. Fund-stücke wie diese machen die scheue Autorin regel-recht ausgelassen.

»Wer keine Heimat hat, dem wird wohl das Schrei-ben zum Wohnen«, wusste Adorno. Beim Schreiben istMaría Cecilia Barbetta glücklich. Im Erzählen lässt sichfesthalten, was sonst entschwindet. Im Roman ist siezu Hause. Und mitten in Mitte von Berlin, der Stadt, diesie als entspannt und inspirierend zugleich empfindet,unterwegs mit dem Fahrrad, immer aufmerksam. Diedeutsche Sprache prägt ihre Wahrnehmung.

Gleich mit dem Debüt kam der Erfolg. Auf dasAlfred-Döblin-Stipendium und andere Schreibaufent-halte folgten der aspekte-Preis und der Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Nun hat sie ein Buch und einHandy und mit 36 Jahren die erste SMS geschrieben.Ein neues Schreibprojekt ist schon im Kopf, wieder mitSchauplatz Buenos Aires, wo ihre argentinischenFiguren deutsch sprechen – was sonst?! ::

16 :: María Cecilia Barbetta

Änderungsschneiderei Los Milagros.Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt amMain 2008

María Cecilia Barbetta in Berlin: in ihrem Zimmer voller Fundstücke und imLiterarischen Colloquium am Wannsee.

Im Erzählen lässt sich festhalten, wassonst entschwindet

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»Wenn wir uns für die Zukunft wappnen wollen, soll-ten wir Grenzen als Zusammenflüsse begreifen, […], alsSpielwiesen von Mischkulturen, […]. Denn das Tren-nende ist stets nur eine momentane Differenz, eineFlüchtigkeit der Geschichte«, heißt es in einem Essayvon Ilija Trojanow, dem Deutsch schreibenden Schrift-steller bulgarischer Herkunft. Seine Wahrnehmungunserer von Uneindeutigkeiten und Widersprüchlich-keiten geplagten Welt ist bar jeder Selbsttäuschungund von jenem Wissen über den Kreislauf des Lebensgeprägt, das schon den Werken Aras Örens vor mehrals dreißig Jahren prophetische Kraft verlieh. Dochwährend Trojanow sich auf vier Kontinenten im Um-gang mit kulturellen Unterschieden übt und überallgleichermaßen fremd und heimisch ist, lernte Ören inder Enge Berlin-Kreuzbergs den anderen als Selbst-verständlichkeit zu betrachten. Er hat zu einem Zeit-punkt, als die Wirklichkeit dazu noch keinen Anlassgab, das »Ineinanderwirken der Einflüsse« gefordert,so wie sich Trojanow angesichts unseres kulturellmüden Kontinents nach mehr Bewegung, verstandenals Auflösung und Neuformung, sehnt. Diese Fähig-keit, das Gegebene anders zu sehen und zur Grundlageder schöpferischen Imagination zu machen, meintwohl auch Vladimir Vertlib, wenn er vom »Mehrwertan Erkenntnis« spricht, über den ein »zugewanderterAutor« verfügt. Oder wie es Ören selbstbewusst formu-liert: »Man wird nicht mehr vom neuen Europa spre-chen können, ohne unseren Anteil daran zu berück-sichtigen«.

Doch Aras Ören und Ilija Trojanow sind nur zweiNamen aus der unübersehbaren interkulturellen Viel-falt, die die deutschsprachige Gegenwartsliteraturkennzeichnet. Hat die Auseinandersetzung mit der

fremden Kultur in den siebziger Jahren nur vereinzeltkünstlerische Bahnen gesucht, so weckte die Sehn-sucht nach der Heimat ein Jahrzehnt später bei vielendas Bedürfnis, von den Belastungen zu erzählen, diemit den inneren und äußeren Grenzen und Brüchen inden Lebensordnungen verbunden sind. Man erkanntedie poetische Sprache als kreatives Moment, doch dieliterarischen Texte wurden, gestützt von einer Öffent-lichkeit, die sie zunehmend als Dokumente der Arbeits-migration und als Lagebericht des De-facto-Einwande-rungslandes las, auch Teil der Trauerarbeit und damitLebenshilfe. Mit dem Etikett »Gastarbeiterliteratur« –eine Lesart, gegen die sich ein Großteil der Autorenimmer verwahrte – wurden diese Formen der Rezep-tion bestätigt. Tatsächlich war der Anteil der Autoren,die im Zuge der Arbeitsmigration gekommen sind, ge-ring; die meisten Schriftsteller lebten in den deutsch-sprachigen Ländern im politischen Exil und stammtenaus Osteuropa, Lateinamerika oder aus den Länderndes Nahen Ostens. Außer Aras Ören publizierten indieser Zeit Yüksel Pazarkaya, Franco Biondi, RafikSchami, Suleiman Taufiq, Jusuf Naoum, Gino Chiellinound Ota Filip, um nur die bekanntesten Autoren zunennen.

Die Phase der Gastarbeiterliteratur kann man heuteals abgeschlossene Erfahrung betrachten. Mit dem Auf-treten einer neuen Schriftstellergeneration Ende derachtziger Jahre, die sich nicht mehr als Opfer derMigrationsphänomene sah und die deutschen gesell-schaftlichen Zusammenhänge als geistigen Horizontakzeptierte, zeichneten sich in der Migrantenliteraturneue Perspektiven ab. Zwar wurden Heimatlosigkeitund Entwurzelung schon wegen der persönlichenSituation »zwischen den Kulturen« weiterhin thema-tisiert, doch die Erinnerungen an die »heimatt undandere fossile Träume« (José F.A. Oliver) waren längstverblasst und konnten daher keine stabilisierendeKraft mehr für den Einzelnen entfalten. Man trauertedem unwiederbringlich Verlorenen nicht nach, son-dern begriff Fremdsein als natürliche Begleiterscheinungdes menschlichen Lebens. Nach der leisen Wehmutoder der kämpferischen Solidarität der frühen Texte

Fremde Worte –Vertraute WeltenDie deutschsprachige Literaturvon Schriftstellern andererHerkunft und Muttersprache

18 :: 25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preis 25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preis :: 19

Von Monika Stranáková

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Die Adelbert-von-Chamisso-PreisträgerInnen Que Du Luuund SAID als Gäste desBergwerkmuseums Bochum.

Leise Wehmut oder kämpferischeSolidarität…

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wirkte der kritisch-nüchterne Blick auf die eigeneLebenssituation fast schon befremdlich: »Man hatmanchmal den Eindruck«, schrieb Irmgard Ackermannüber die zweite Generation, »dass sie sich selbst vonaußen zusehen und sich aus der Distanz analysieren«.

Dass die Autoren in diesen Jahren von der Öffent-lichkeit mit wachsender Aufmerksamkeit bedachtworden sind, verdankt man auch dem Adelbert-von-Chamisso-Preis. Er wurde auf Harald Weinrichs An-regung von der Robert Bosch Stiftung und der Bayeri-schen Akademie der Schönen Künste eingerichtet undzeichnet dieses Jahr zum 25. Mal herausragende lite-rarische Werke von Autoren nichtdeutscher Sprach-

herkunft aus. Nicht zuletzt ehrt man mit seiner Exis-tenz das Andenken von Schriftstellern vor allem aus denmultikulturellen Regionen Mittel- und Südosteuropas,wie Franz Kafka, Elias Canetti, Paul Celan oder MiloDor, die durch ihren Kultur- und Sprachwechsel zuGrenzgängern der Literatur gehören. Louis CharlesAdélaïde de Chamisso ist dagegen mit seinen Eltern vorder französischen Revolution nach Deutschland ge-flüchtet und nach einem komplizierten Lebens- undEntwicklungsweg deutscher Dichter und Naturforschergeworden.

Die Aufarbeitung der persönlichen Vorgeschichteist auch für viele Vertreter der Migrantenliteraturlange ein Bedürfnis gewesen, doch langsam befreiensich die Autoren aus der »Umzäunung der Biographie«(Marica Bodrozic). Gesucht wird eine ästhetischeEigenständigkeit der Texte, die geistige und intellektu-

elle Praxis variiert dabei nach Zielsetzungen, künstle-rischer Affinität oder gar ideologischer Nähe. Manholt, wie Zafer Senocak, vergessenes, oft auch ver-drängtes Wissen über den Umweg der anderen Kulturin die eigene zurück oder steht, wie Emine Sevgi Özda-mar, mit prägenden Leseerfahrungen im Dialog undgenießt das Spiel mit Zitaten und Sprache(n). Man setztsich, wie Herta Müller, als Angehörige der deutschenMinderheit in Osteuropa mit der politischen Vergan-genheit des eigenen Landes oder der kulturellen Viel-schichtigkeit der Heimatregion auseinander, oderbewahrt, wie Galsan Tschinag, die Traditionen seinesturksprachigen Nomadenvolkes, in der fremden Spra-che auf. In manchen Texten erinnern einzelne Pinsel-

striche, Versatzstücke und Kulissen an so etwas wieeine Heimat. Wenn aber Vladimir Vertlib in Zwischen-stationen die jahrelange Odyssee seiner aus der Sowjet-union stammenden jüdischen Familie beschreibt,Eleonora Hummel die Geschichte einer russlanddeut-schen Familie im Norden Kasachstans zum Themaihres ersten Romans Die Fische von Berlin macht,Feridun Zaimoglu nach Jahren demonstrativ hervorge-kehrter Andersheit in Leyla plötzlich in leisen Töneneine türkische Familiengeschichte erzählt oder ZsuzsaBánk, die Tochter ungarischer Flüchtlinge, sich alsaufmerksame Nachfahrin einen für sie fremden Stoffaneignet, indem sie die Geschichten Nahestehender inihrem Debütroman Der Schwimmer verarbeitet, zeich-nen sie individuelle Schicksale nach, die jene genaudifferenzierende Wahrnehmung fördern, die allein Vor-urteilen entgegenwirken kann.

Zwar bleibt Fremdsein auch in den Veröffentli-chungen der zweiten und dritten Generation eines derzentralen Motive, es wird aber nicht mehr an gesell-schaftlichen Problemen gespiegelt, sondern durch dieDarstellung der Befindlichkeiten und Einsichten desEinzelnen erfahrbar gemacht. So verbindet zum Bei-spiel die in ihren Haltungen und Schreibstilen sehr ver-schiedenen jungen Schriftstellerinnen Marica Bodrozicund Terézia Mora – die eine in Dalmatien, die anderein Ungarn geboren – die Auseinandersetzung mit derEnge, Borniertheit und Aggressivität dörflicher Ge-sellschaften durch die Fiktionalisierung der eigenenKindheits- und Jugenderfahrungen. Den Interaktions-prozessen, in denen Andersheit bestimmt und bewer-tet wird, wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt,und gezeigt, wohin es führt, wenn die eigene (kultu-relle) Identität als unbefragter Maßstab gilt. Selim Özdo-gan oder Yadé Kara schildern im Gegensatz dazu All-

tag, Probleme und Sehnsüchte der deutsch-türkischenJugendlichen in Großstädten wie Berlin oder Köln, be-vorzugt transkulturell-hybride Lebensweisen. In ge-wisser Weise sind ihre Texte Gegenstücke zu FeridunZaimoglus aufsehenerregendem und umstrittenemDebüt Kanak Sprak, in dem er in einem unkonventio-nellen Stil, protokollartig, das Lebensgefühl türkisch-stämmiger junger Männer wiedergibt.

Die Aufzählung ließe sich mit den Werken vonYoko Tawada, Ilma Rakusa, Zsuzsanna Gahse, DimitréDinev, Ilija Trojanow oder Sasa Stanisic, die mit ihreninterkulturellen Schreibweisen jeder für sich besonde-re Akzente setzen, beliebig fortsetzen. So unterschied-

lich Alter, Herkunft und Schreibmotivation auch seinmögen, eint sie ihr grenzüberschreitendes Denken undSchaffen.

In den vergangenen dreißig Jahren hat sich dieMigrantenliteratur zu einem »vielstimmigen Neben-einander« (Gino Carmine Chiellino) entwickelt. Sie fas-ziniert durch ihre Breite an Inhalten, Blickwinkeln undsprachlichen Innovationen Leser und Wissenschaftlergleichermaßen. Wer das gegenwärtige Deutschlandverstehen will, dem sind die literarischen Werke vonAutoren fremder Herkunft Impuls und unschätzbareHilfe, um die Transformationen der deutschen Gesell-schaft zu einer multikulturellen nachvollziehen zukönnen. Insofern handelt es sich hierbei im doppeltenSinne um erlesene Kultur. ::

20 :: 25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preis 25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preis :: 21

Zehra Cırak bei einer Lesung in Dortmund. Feridun Zaimoglu im Gespräch mit Tilman Krause in Stuttgart. Vladimir Vertlib beim Signieren in Herten. Franco Biondi bei einer Schullesung in Unna.

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In Frankreich, Großbritannien, Kanada oder denUSA kennt man das Phänomen schon länger. Aber inDeutschland, Österreich und der Schweiz? Inzwischenkennt man es auch dort, und viele Literaturfreundekennen es sogar so gut, dass sie das Besondere dieserArt von Literatur kaum mehr recht wahrnehmen. Seitungefähr drei Jahrzehnten ist, aus bescheidenen An-fängen heraus, eine nicht mehr zu übersehende inter-kulturelle Vielfalt zu einem der vielleicht wichtigstenKennzeichen deutschsprachiger Gegenwartsliteraturgeworden. Die von Autoren anderer kultureller Her-kunft und meist auch anderer Muttersprache auf Deutschgeschriebene Literatur, die vor 1985 noch eher einSchattendasein führte, hat inzwischen äußerst unter-schiedliche poetische Konzepte entwickelt und damitdie deutschsprachige Literatur bereichert und interna-tionalisiert. Heute gehören einige ihrer Autoren zuden bekannten, viel gelesenen und in den Medien leb-haft präsenten Schriftstellern deutscher Sprache –Feridun Zaimoglu oder SAID, Rafik Schami oder Teré-zia Mora, Emine Sevgi Özdamar oder Ilija Trojanow,Herta Müller oder Artur Becker haben sich auf demBuchmarkt etabliert und sind mit ihren Romanen,Erzählungen, Theaterstücken und Gedichten wichtigeRepräsentanten der Gegenwartsliteratur deutscherSprache geworden. Doch selbst wenn viele Zeitgenos-sen es nicht wahrnehmen und die meisten Autoren esnicht gerne hören: Ihre Werke sind nach wie vor etwasBesonderes, etwas, das sich von der Literatur genuindeutscher, österreichischer oder deutschschweizerAutoren in manchem unterscheidet. Was macht diesesBesondere aus? Wo kommt diese Literatur her? Undwie soll man sie nennen? Letzteres ist am einfachsten

zu beantworten: Eine jede und jeden zufriedenstellen-de Bezeichnung dafür ist noch nicht gefunden, unddeshalb hat diese Literatur viele Namen. Man kann sie,denkt man an die zum immerwährenden Kanon derdeutschen Literatur zählenden Werke des aus derChampagne stammenden Berliner Dichters Adelbertvon Chamisso, auch »Chamisso-Literatur« nennen. Mandarf, schreibt Harald Weinrich, »Chamissos unsterbli-che Geschichte von Peter Schlemihl als dem Mann, derseinen Schatten verkauft hat, als eine Parabel derFremdheit lesen«. Das passt ganz gut zu der Literatur,von der wir hier sprechen.

Die Hauptursache ihres Entstehens ist natürlichder mit den Migrationsbewegungen der zweiten Hälftedes 20. Jahrhunderts einhergehende Kulturwechselvieler Literaten, der ihre Themen und Sprachbilder oftnachhaltig prägte und vielen von ihnen, wenn auch ausganz unterschiedlichen Gründen, die Wahl des Deut-schen als Literatursprache nahe legte. Und von sprach-lichen Kunstwerken sprechen wir hier – nicht vonPolitik und auch nicht von anderen Bereichen der Ge-sellschaft. Die Texte dieser Schriftsteller konstituierensich, literaturwissenschaftlich gesprochen, erst inihrer Schreibweise, und das heißt: Sie sind per se nichtan Zuschreibungen von Sprache und Herkunft derAutoren gebunden. Charakteristisch für diese Schreib-weise ist zuallererst ihre kulturelle Vielschichtigkeit –

was insofern nicht ganz neu ist, als es die deutschspra-chige Literatur, man denke nur an Adelbert von Cha-misso, Franz Kafka, Elias Canetti oder Jurek Becker,als reine »Monokultur« (Gino Carmine Chiellino) wohlniemals gegeben hat. Die allermeisten der «Chamisso-Literatur» zuzurechnenden Autoren verfassen ihreWerke in deutscher Sprache; manche, zum Beispielfast alle rumäniendeutschen Schriftsteller, haben dasschon immer getan. Andere Autoren halten an ihrerHerkunftssprache fest, obwohl sie seit langer Zeit imdeutschsprachigen Raum leben – von den Formen,Themen und Motiven ihrer Texte her müssen auch siezur »Chamisso-Literatur« gerechnet werden. Und nochetwas mag nicht ganz unwichtig sein: Folgt man dernicht nur auf Deutschland bezogenen Forschung, dannist diese Art von Literatur «nicht nur ein trans-natio-naler, sondern ebenso ein post-nationaler Diskurs»(Klaus Schenk).

Erst Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhun-derts wurden literarische Äußerungen von Arbeits-migranten, damals oft unter dem Etikett »Gastarbeiter-literatur«, von der Deutsch sprechenden Öffentlichkeitintensiver wahrgenommen – wenn auch immer nochvereinzelt und recht zögerlich. Wichtig für die erstePhase dieser Literatur waren die Bücher von Aras Örenund Yüksel Pazarkaya, die Texte aus dem Umkreis des

Chamisso-Literatur?Chamisso-Literatur!

»Ohne Migration wäre die Menschheit unvorstellbar ärmer,

in jeder Hinsicht.«Ilija Trojanow

Von Klaus Hübner

22 :: 25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preis 25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preis :: 23

Aus dem Vortrag »Um eine deutsche Literatur von außen bittend« von Harald Weinrich.

Auf die Idee von Harald Weinrich geht die Einrichtung desAdelbert-von-Chamisso-Preises zurück.

Die deutsche Sprache hat es alsMonokultur nie gegeben

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»PoLiKunst«-Vereins (von Franco Biondi, Jusuf Naoum,Suleman Taufiq, Habib Bektas, Rafik Schami, GinoCarmine Chiellino und anderen) sowie die von IrmgardAckermann herausgegebenen Anthologien. Diesewaren meist aus Preisausschreiben des »Instituts fürDeutsch als Fremdsprache« an der Ludwig-Maximi-lians-Universität München hervorgegangen, das, vomrenommierten Sprachwissenschaftler und RomanistenHarald Weinrich gegründet und lange Jahre hindurchgeleitet, im Jahr 1978 seine Arbeit aufnehmen konnte.Dieses Institut war auch maßgeblich an der Einrich-tung des 1985 erstmals vergebenen Adelbert-von-Chamisso-Preises beteiligt, der bekanntlich herausra-gende Werke dieser vielen Lesern und Literaturinter-essierten damals noch fremden Literatur prämierensollte. Weinrich, dem es gelang, die Robert BoschStiftung für sein Vorhaben zu begeistern, gilt völlig zuRecht als Initiator und Begründer dieses Preises, derheute zu den renommiertesten Literaturpreisen desLandes zählt. Die meisten Texte aus der ersten, überdie Mitte der achtziger Jahre hinaus anhaltenden lite-raturgeschichtlichen Phase hatten die Dialektik vonHeimat und Fremde, den migrationsbedingten Sprach-und Kulturwechsel und die Probleme der sich dem»Multikulturellen« nur zögernd öffnenden deutschenGesellschaft zum Thema.

Die nicht nur durch die erfolgreichen Bücher vonEmine Sevgi Özdamar immer stärker beachtete »Aus-länderliteratur«, wie sie seit etwa 1985 meist genanntwurde, erweiterte rasch ihr Spektrum. Dante AndreaFranzetti und Francesco Micieli bereicherten die Lite-ratursprache Deutsch, indem sie ihre Themen undFiguren, Stoffe und Motive ganz selbstverständlich inItalien und der deutschsprachigen Schweiz zugleichansiedelten. Autoren aus Asien, Afrika und Latein-amerika, etwa der schon seit den fünfziger Jahren inDeutschland schreibende persische Lyriker CyrusAtabay oder die seit 1982 in Deutschland lebende Japa-nerin Yoko Tawada, fanden ebenso Beachtung wie,nach 1990, auf Deutsch schreibende »Chamisso-Auto-ren« aus der DDR, etwa der mongolische Tuwine Gal-san Tschinag oder der aus Syrien stammende LeipzigerLyriker und Essayist Adel Karasholi. Schriftsteller, dieoft aus politischen Gründen ihre Heimatländer inMittel-, Ost- und Südosteuropa hatten verlassen müs-sen, gerieten schon vor der »Wende« von 1989/90 ver-stärkt in den Blick. Sprachlich und stilistisch oft neu-

artige, manchmal hoch komplexe und bisweilen anTraditionen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieganschließende Werke, etwa von Ota Filip, Libuse Moní-ková, Zsuzsanna Gahse, György Dalos, Herta Mülleroder Richard Wagner, bereicherten die literarischeWelt und nebenbei auch oft den damaligen Mittel-europa-Diskurs. Die politischen Umbrüche von 1989/90 haben sich naturgemäß auf die »Chamisso-Literatur«ausgewirkt und noch im 21. Jahrhundert in bedeuten-den Texten wie den Prosawerken von Dimitré Dinevoder Catalin Dorian Florescu ihren künstlerischen Nie-derschlag gefunden – als eine Art Initialzündung odergar als ihre Ursache können sie nicht gelten. Das Phäno-men gab es schon lange vorher. Was einmal mehr zeigt,dass die politische und die literarhistorische Entwick-lung nicht unbedingt zeitgleich verlaufen müssen.

Mit dem Auftauchen von Schriftstellern, die derzweiten oder dritten Einwanderergeneration angehö-ren und sich immer häufiger dem »Konflikt zwischenVereinnahmung und Ausgrenzung« (Karl Esselborn)zu entziehen suchen, scheint die »Chamisso-Literatur«allmählich in der deutschsprachigen Literatur aufzu-gehen. In Deutschland aufgewachsene Autoren wieZafer Senocak oder Zehra Çırak, deren familiäre Wur-zeln in der Türkei liegen, wollen sich seit langemweder der türkischen noch der deutschen Seite zurech-nen lassen. Feridun Zaimoglu lieferte mit Kanak Sprakdas Stichwort für eine ganze Generation deutsch-türkischer Großstadt-Jugendlicher und versteht sich,ähnlich wie Yadé Kara, Selim Özdogan oder ImranAyata, ganz selbstverständlich als literarischer Ver-treter einer postkolonialen, hybriden Mischkultur. Beizahlreichen jüngeren Autoren haben sich vielfältigeinterkulturelle Schreibweisen herausgebildet. Kom-plex strukturierte, durch häufige Perspektivenwechselund polyphones Sprechen die gewohnten »eurozentris-tischen« Schreibweisen aufsprengende Kunstwerkewie Ilija Trojanows Der Weltensammler stehen nebenexplizit sprachexperimenteller Prosa wie der des aus

Tschechien stammenden Wieners Michael Stavaric,post-postmodernen Ver- und Entwirrungsgeschichtenwie dem ersten Roman der in Buenos Aires aufge-wachsenen María Cecilia Barbetta oder humoristisch-burlesken, aber doch autobiografisch geprägten Wer-ken wie dem Debütroman des 1978 in Bosnien ge-borenen Sasa Stanisic. Eher traditionelle, ästhetischganz eigenständige Schreibweisen wie zum Beispieldie des 1966 in Leningrad geborenen Vladimir Vertliboder die des 1969 in Siebenbürgen zur Welt gekomme-nen Claudiu M. Florian behalten dennoch ihre Berech-tigung. Migrationsbilder im engeren Sinne, wie sie zumBeispiel in Texten der 1970 in Kasachstan geborenenEleonora Hummel oder der 1973 in Dalmatien gebore-nen Marica Bodrozic gezeichnet werden, tragen heutenur noch vereinzelt zur »Chamisso-Literatur« derGegenwart bei. Dennoch bleibt sie etwas Besonderes,bis in kleinste Verästelungen hinein: Viele Sprach-bilder in den Gedichten von Tzveta Sofronieva, LaszlóCsiba oder José F.A. Oliver sind ohne anderen kultu-rellen Hintergrund nicht vorstellbar. Dennoch sind die»Chamisso-Autoren« keineswegs Teil einer Gruppe,wie Uwe Pörksen betont, der in seiner Einleitung zumjüngsten, sehr lesenswerten »Valerio«-Heft der Deut-schen Akademie für Sprache und Dichtung schreibt:»Sie haben keine Gruppenseele wie die Vogelschwärme,die scheinbar unbewusst ihre Flugrichtung ändern,wohl auch kaum ein Gruppenbewusstsein, kein ge-meinsames literarisches Konzept, weder einen Kopfund Organisator noch Jahrestreffen, wo auf einemelektrischen Stuhl vorgelesen und vor ihm geurteiltund gerichtet wird. Keine marktorientierte Außen-politik«.

Fazit: Es gibt, 36 Jahre nach dem damals ganz undgar außergewöhnlichen Poem Was will Niyazi in derNaunynstraße von Aras Ören, eine reichhaltige, viel-fältige und beachtliche Literatur in deutscher Sprache,deren Bezugs- und Echoraum nicht dort liegt, wo diedeutsche Sprache zu Hause ist – ganz unabhängig da-von, wie unterschiedlich diese deutschsprachige Lite-ratur aus aller Welt im Einzelnen auch sein mag undwohin sie sich in den kommenden Jahren entwickelnwird. Sie hat, wie gesagt, keinen allseits akzeptiertenNamen. »Chamisso-Literatur«?

Klingt doch ganz gut. ::

24 :: 25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preis 25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preis :: 25

Handschriftliches Zitat von Alev Tekinay, der Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträgerin 1990. Sie wurde in Izmir geboren, studierteGermanistik in Deutschland und unterrichtet heute Türkisch undDeutsch als Fremdsprache in Bayern.

Stilistisch oft neuartige, manchmalhoch komplexe Werke …

Eine ganze Generation deutsch-türkischer Großstadt-Jugendlicher»infiziert« und identifiziert sich mitden Texten

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Große Umbrüche in der Gesellschaft verändern dieLektüre. Vertraute Werke liest man dann auf einmalanders, sie setzen neue Assoziationsketten frei. Sokann es einem dieser Tage mit Schriften Adelbert vonChamissos gehen. Vor allem als erfolgreicher Einwan-derer in die deutsche Kulturgeschichte wurde er inden letzten Jahren wahrgenommen, sein Weg vom poli-tischen Flüchtling aus Frankreich zum anerkanntendeutschen Dichter, Übersetzer und Naturforscherbleibt eine Orientierung für viele, die mit den ThemenEinwanderung und Kulturaustausch zu tun haben. Seitdem Herbst 2008 drängt sich mit der weltweiten Kriseder Geldwirtschaft ein anderes Motiv in den Vorder-grund, etwa bei der neuerlichen Lektüre von Chamissosberühmtester Erzählung.

In Peter Schlehmihls wundersamer Geschichte gehtes um einen Mann, der seinen Schatten verkauft, undaus diesem Grund lehnt seine Mitwelt ihn ab. In derAußenseiterrolle Schlemihls verarbeitete Chamisso

seine Erfahrung als Ausländer, seine Schwierigkeiten,als gebürtiger Franzose in der deutschen Gesellschaftum 1800 anerkannt zu werden. Dieser Tage allerdingsinteressiert mehr der Umstand, wie und warum Schlemihlseinen Schatten los wird. Er verliert ihn ja nicht ein-fach oder wird beraubt, sondern tauscht ihn gegen einGeldsäckel. Er opfert einen Teil von sich, also seinepersönliche Integrität, um an eine Geldquelle zu kom-men, die nie zu versiegen scheint.

Eine mysteriöse Kapitalvermehrung findet in demSäckel statt, wie zuletzt in den Bilanzen der großenBanken. Schlemihl ist geblendet von der Möglichkeit,mehr Geld zu haben, als er jemals ausgeben kann. Inähnlicher Lage befand sich die Mehrheit der Finanz-manager, deren Verantwortungslosigkeit die akuteWeltwirtschaftskrise ins Rollen brachte. Chamissoszeitloses Märchen warnt vor den verheerenden Folgenmaßloser Geldgier: Wer denkt, er könne unendlicheReichtümer anhäufen, ohne dafür einen hohen Preisentrichten zu müssen, unterliegt einem teuflischenIrrtum.

Ein freier Mensch wird Schlemihl erst wieder, alser das fatale Geldsäckel in einen Abgrund wirft. SeinenSchatten bekommt er dadurch nicht zurück, aber eineneue Chance. Ausgerüstet mit Siebenmeilenstiefelnbeginnt er ein neues Leben als Naturforscher. Sein Die-ner Bendel nutzt das hinterlassene Kapital, um einewohltätige Stiftung für Kranke und Hilfsbedürftige auf-zubauen, das Schemihlium.

Die märchenhafte Einkleidung der Fabel täuschtnicht darüber hinweg, dass der Autor tief von den Idea-len der Aufklärung durchdrungen war. Für Chamisso

gab es kein Zurück in einen paradiesischen Zustandvor dem Sündenfall. Statt dessen skizzierte er zweisehr vernünftige und bescheidene Optionen, die Weltein wenig bewohnbarer zu machen.

So schreibt ein Mann, dessen Vertrauen in mate-rielle Werte, in Geld und angeborene Vorrechte bereitsfrüh erschüttert wurde. 1781 kam Chamisso auf SchlossBoncourt in der Champagne als Sohn eines Grafen zur

Welt. Mit der Französischen Revolution verlor dieFamilie ihren ganzen Besitz und musste ins Auslandfliehen. In einem Schulaufsatz Chamissos heißt es überseine Jugend: »Von Stadt zu Stadt, von Land zu Landirrend, ohne Bindungen, ohne Vaterland, fast ohneHoffnung, habe ich das Unglück kennengelernt; kaumwar es mir vergönnt, den Erzeugern meiner Tage nütz-lich zu sein. An ihr Schicksal gebunden und ihrenSchritten folgend, habe ich Brabant, Holland, das Reich

26 :: Adelbert von Chamisso Adelbert von Chamisso :: 27

»Der Herrschaft Zauberaber ist das Geld«Adel, Armut und Kapital bei Adelbert von Chamisso

Von Michael Bienert

Adelbert von Chamisso als junger Mann. Gemälde eines unbekannten Künstlers.

Schlemihl verkauft seinen Schatten. Kupferstich von GeorgeCruikshank für eine illustrierte Ausgabe, 1835.

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Ich habe nicht Geld, ich habe nicht Brot,Ich lebe ja nur von Hunger und Not,

So beginnt Chamissos Gedicht »Der Bettler undsein Hund«. Ein alter Mann soll seinen treuen Gefähr-ten ersäufen, weil er die Hundesteuer nicht bezahlenkann. Lieber bindet er sich selber einen Stein um denHals und stürzt sich selbst in einen Brunnen. Das Endevom Lied:

Er ward verscharret in stiller Stund,Es folgt’ ihm winselnd nur der Hund,Der hat, wo den Leib die Erde deckt,Sich hingestreckt und ist da verreckt.

In einem anderen Gedicht lässt Chamisso eineböse Giftmischerin sagen: »Der Herrschaft Zauber istdas Geld.« Er selbst war gegen diesen Zauber immun,wusste indes sparsam und klug zu wirtschaften. Erlegte sogar etwas Kapital in Eisenbahnaktien an, da-mals eine Zukunftstechnologie. »Wenn ich mich selbstnicht reich schreiben kann, so kann ich doch Andrereich machen«, bilanzierte Chamisso 1838, in seinemTodesjahr. Einmal gelang es ihm, sein poetischesVermögen ganz direkt in Geld für einen guten Zweckumzumünzen. Chamisso schrieb zwei einfühlsameGedichte über eine greise Berliner Waschfrau, die ihreKinder weitgehend alleine großgezogen hatte und nunohne Altersversorgung war. Chamisso ließ die Gedich-te auf Loseblätter drucken und zu Gunsten der Frauverkaufen. 150 Taler kamen so zusammen, eine statt-liche Summe.

Kein Zweifel, jeder Hartz-IV-Empfängerin, die sichabrackert, um ihre Kinder nicht verkommen zu lassen,brächte Chamisso heutzutage größeren Respekt ent-gegen, als den scheinbar allmächtigen grauen Männernaus der Welt des Kapitals. Bei ihm klang das so:

Und ich, an meinem Abend, wollte,Ich hätte diesem Weibe gleich,Erfüllt, was ich erfüllen sollteIn meinen Grenzen und Bereich;Ich wollt, ich hätte so gewußt,Am Kelch des Lebens mich zu laben,Und könnt am Ende gleiche LustAn meinem Sterbehemde haben.

durchmessen; überall bot sich ein Bild des Unglücks inmeinen Augen; überall fand ich Landsleute von aller-höchstem Rang ins Elend gestürzt.«

Vier Jahre irrte Chamissos Familie durch Europa,ehe sie in 1796 in Berlin eine Zuflucht fand. Seine älte-ren Brüder verdienten etwas Geld als Miniaturmaler,der jüngste musste Mutter und Schwester als »wohl-dressierter Blumenverfertiger und Verkäufer« zur Handgehen. Adelbert, der damals noch Adélaïde gerufenwurde, begann eine Lehre als Maler an der BerlinerPorzellanmanufaktur, durfte dann Page im Haushalt derpreußischen Königin werden und zwei Jahre das Fran-zösische Gymnasium besuchen. Mit 17 Jahren trat er indie preußische Armee ein, als Adliger stand ihm eineOffizierslaufbahn offen. Widerwillig zog der geboreneFranzose 1806 in den Krieg gegen Napoleon, nach derpreußischen Niederlage quittierte er den Dienst. Esfolgten unruhige Wanderjahre zwischen Deutschlandund Frankreich, in denen er vom Geld seiner Verwand-ten lebte und sich weigerte, eine arrangierte Ehe miteiner reichen Französin einzugehen.

»Ich bin ein Franzose in Deutschland und Deutscherin Frankreich, Katholik bei den Protestanten, Protes-tant bei den Katholiken, Jakobiner bei den Aristokratenund bei den Demokraten ein Adliger«, beklagte sichChamisso bei der befreundeten Schriftstellerin Germainede Staël. Immerhin eine geistige Heimat gab es: diemoderne europäische Literatur um 1800, deren Hori-zont weit gespannt war. Seit der Schulzeit las ChamissoVoltaire und Rousseau, Goethe und Schiller. In Berlinverkehrte er im Salon von Rahel Varnhagen und hattejüdische Freunde. Um Standesunterschiede beküm-merte sich Chamisso wenig, auch in seinem eigenen Auf-treten. Zeitgenossen beschreiben ihn als einen Mann,der in seinem abgeschabten Mantel – einer Kurtka, wiesie auch Peter Schlemihl trägt – auf viele wie ein Ob-dachloser wirkte, aber mit großer Herzlichkeit aufFremde zuging.

Nachdem 1810 in Berlin eine Universität gegründetworden war, entschloss sich Chamisso, dort Naturwis-senschaften zu studieren und eine Laufbahn als Botani-ker anzustreben. Er musste seine Studien unterbrechen,als 1813 der Aufstand gegen Napoleon ganz Preußenin einen nationalen Taumel versetzte. Freunde brach-ten ihn auf dem märkischen Gut Kunersdorf in Sicher-heit, dort schrieb er zur Unterhaltung der Gastgeber-familie das Märchen von Peter Schlemihl. Es scheint

paradox und hatdoch seine Logik,dass Chamisso einWerk der Weltlitera-tur genau in demAugenblick gelang,als er sich entschlos-sen hatte, die Schrift-stellerei zugunsteneiner wissenschaftli-chen Laufbahn anden Nagel zu hängen.

Bei einer dreijährigen Weltumsegelung auf demrussischen Forschungsschiff »Rurik« in den Jahren1815 bis 1818 sammelte Chamisso das Kapital ein, vondem er bis zum Ende seiner Tage zehren sollte: großeSammlungen getrockneter Pflanzen, Mineralien, Kul-turzeugnisse, eigene Notizen und Zeichnungen. Fürseine Entdeckung des Generationswechsels einer Ko-rallenart, der Salpen, verlieh ihm die Berliner Univer-sität den Ehrendoktortitel. Er bekam eine Anstellungam Botanischen Garten, wurde Mitglied zahlreicherwissenschaftlicher Gesellschaften und im Jahr 1835 aufVorschlag Wilhelm von Humboldts in die Berliner Aka-demie der Wissenschaften gewählt. Die wissenschaftli-che Reputation sicherte ihm ein bescheidenes Einkom-men, das es ihm erlaubte, eine Familie zu gründen.

Dem Dicher hat dieser Eintritt in eine bürgerlicheExistenz nicht geschadet. Zwar ist sein literarischesWerk schmal geblieben. Aber Chamisso stand nichtunter dem Zwang, seinen Lebensunterhalt mit Schrei-ben verdienen zu müssen. Er war frei, in seiner Lyrikganz verschiedene Töne anzuschlagen. Neben populä-rer Liebeslyrik und Balladen finden sich Versuche,Poesie aus dem Isländischen oder der Tonga-Spracheeinzudeutschen. Chamisso gelangen auch sozialkriti-sche Gedichte von großer Härte und Schärfe, die ihnzu einem Wegbereiter der kämpferischen Vormärz-literatur machten:

Drei Taler erlegen für meinen Hund!So schlage das Wetter mich gleich in den Grund!Was denken die Herrn von der Polizei?Was soll nun wieder die Schinderei?

Ich bin ein alter, ein kranker Mann,Der keinen Groschen verdienen kann;

28 :: Adelbert von Chamisso Adelbert von Chamisso :: 29

Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihlswundersame Geschichte.Illustrierte Ausgaben im Insel Verlag (KarlG. Hirsch. Insel-Bücherei; Emil Preetorius,Insel-Taschenbuch) und in der EditionSignum (mit einem malerischen Zyklus vonUllrich Wannhoff)Kommentierte Ausgaben in den VerlagenSuhrkamp, Reclam, DTV, KlettAls Hörbuch bei Naxos, Griot undHörbuchproduktionenAdelbert von Chamisso, Die Gauner.Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2007Beatrix Langner, Der wilde Europäer.Matthes & Seitz Verlag Berlin 2008

Einige Kritiker waren geradezu begeistert von dembisher unbekannten Buch Adelbert von Chamissos, das der Berliner Matthes & Seitz-Verlag im Jahr 2007veröffentlichte. Die Gauner. Galerie der pfiffigstenSchliche und Kniffe berüchtigter Menschen erschien zu-erst 1836 zum Preis von einem Taler „in Commissionbei F.A. Eupel in Sondershausen. Es handelt sich umeine Sammlung von Kriminalgeschichten »nach ge-druckten und handschriftlichen Quellen herausgege-ben von A. von Chammisso«, also mit falsch geschrie-benem Namen. Der Editor der Neuausgabe ordnete inseinem Nachwort dieses Werk plausibel in ChamissosGesamtwerk ein, denn fraglos hatte der Dichter einHerz für die Spitzbuben und Randfiguren der Gesell-schaft. Allein warum das Buch von 1836 so jämmerlichschlecht gemacht war und vor Druckfehlern undorthografischen Ungereimtheiten strotzte, konnte sichder Herausgeber Gerd Schäfer nicht erklären.

Den Schlüssel dazu liefert ein Brief Chamissos vom18. September 1836 an seinen Bruder Hippolyte: »EinBuchhändler-Verleger, der übrigens in schlechtem Rufsteht, findet meinen Namen bekannt genug, um ihn aufden Titel fabrizierter Bücher zu setzen, die er in Um-lauf gebracht«, heißt es da. Offenbar ungefragt hatteein Buchhändler in Thüringen die Sammlung vonGaunergeschichten unter dem Namen des seinerzeitpopulären Dichters herausgegeben. Chamisso vermiedjedoch eine öffentliche Richtigstellung, um dem Mach-werk nicht noch mehr Publizität zu verschaffen.

Peinlich für den Verlag, der es nun erneut alsChamissos Werk auf den Markt brachte. Doch mittler-weile kann Matthes & Seitz als rehabilitiert gelten. Imvergangenen Jahr erschien dort eine BiografieChamissos von Beatrix Langner, die den Irrtum auf-klärt. Sehr nah an den Quellen, dabei äußerst flüssigund anschaulich erzählt sie das Leben des deutschenDichters aus französischem Adel, des Naturforschersund Weltreisenden.

Chamissos Modernität liegt für die Biografin nichtnur in seiner multikulturellen Ruhelosigkeit begrün-det, sondern vor allem in seiner Fähigkeit »keinerBestimmung zu folgen und selbst Autor seines Lebenszu werden«. Der Aristokratensohn hat sich so radikalneu erfunden, seine wahre Bestimmung gesucht unddanach gelebt, wie es nur wenigen gelingt. Dies sei,bilanziert seine Biografin, »höchste Lebenskunst«. ::

Gaunertricks & Lebenskunst

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als Fremdsprache der Universität München unterHarald Weinrich und von der Bayerischen Akademieder Schönen Künste unter ihrem Präsidenten HeinzFriedrich aus der Taufe gehoben.

»Deutschland ist ein Land, aus Sprache undGeschichte gemacht, und alle Personen, die von dieserSprache Gebrauch machen, dass sie diese Geschichteweiterschreiben, sind unsere natürlichen Landsleute,sie mögen von innen kommen oder von außen«.

Harald Weinrich

Der Adelbert-von-Chamisso-Preis ist ein Literatur-preis, der im deutschsprachigen Raum in seiner Aus-richtung einzigartig ist: Er honoriert herausragendeliterarische Qualität verbunden mit dem spezifischenkulturellen Hintergrund der Autoren. Die Preisträgerhaben unterschiedliche kulturelle Hintergründe, einesaber verbindet sie: die deutsche Sprache, in die sie ein-gewandert sind und die sie zu ihrer eigenen und wich-tigsten Ausdrucksform gemacht haben. Dieser Wechselgeht weit über den Alltagsgebrauch hinaus. Er voll-zieht sich in künstlerischer und literarischer Aneignungund macht das Werk der Adelbert-von-Chamisso-Preisträger zu einem eigenen, gleichwertigen Teil derdeutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

Der Preis dokumentiert, dass Literatur und Spra-che der Verständigung zwischen den Kulturen dient –in Deutschland, in Europa und darüber hinaus. DieChamisso-Preisträger, die wie Elazar Benyoëtz undGalsan Tschinag nicht in Deutschland leben und wir-ken, fördern mit ihren Werken den internationalenGebrauch des Deutschen als Bildungssprache. Die imdeutschen Sprachraum tätigen Preisträger zeigen, wiedie Kultur derjenigen, die hier eine neue oder zweite

Heimat gefunden haben, mit der hiesigen zusammen-geht und gleichzeitig notwendige neue Impulse setzt,die es ohne sie nicht gegeben hätte. Die Chamisso-Preisträger können im Idealfall noch mehr – sie könnenzu Vorbildern werden, insbesondere für Jugendlichemit Migrationshintergrund. Wir wissen, welche zen-trale Rolle die Sprache für gelingende Integration spielt.Ohne ausreichende Sprachbeherrschung ist ein Lebenund Arbeiten in der Gesellschaft nicht möglich. Dievon der Robert Bosch Stiftung angeregten und unter-stützten Lesungen und Workshops der Preisträger anSchulen, Büchereien und Theatern in Deutschland undEuropa eröffnen vielen jungen Menschen erstmalseinen Zugang zur Literatur. Es macht auch dies den be-sonderen Charakter des Preises aus, dass er nichtallein in einer Prämierung besteht, sondern durch dieBegleitförderung zusätzliche gesellschaftlicheAkzente setzt.

Seit der ersten Preisverleihung 1985 an Aras Örenund Rafik Schami sind insgesamt 56 Schriftsteller ausüber zwanzig Herkunftsländern ausgezeichnet worden.Die seit 1997 verliehene »Ehrengabe zum Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung« wurdebisher an drei Persönlichkeiten vergeben, die durchihr Lebenswerk in besonderer Weise im Sinne desPreises gewirkt haben: Jirí Grusa, Imre Kertész undHarald Weinrich. Die Robert Bosch Stiftung hat in un-regelmäßigen Abständen Chamisso-Tage veranstaltet,zu denen die Preisträger zu Lesungen und Schreib-werkstätten eingeladen wurden, zuerst in Stuttgart,dann in Basel und im Ruhrgebiet. Sie vergibt darüberhinaus Arbeitsstipendien an die Preisträger und förderteine Chamisso-Poetikdozentur an der TechnischenUniversität Dresden. Ein Katalog begleitet eine Foto-ausstellung der Preisträger, die in Zusammenarbeit mitdem Goethe Institut im deutschsprachigen Raum undbereits in weiten Teilen Europas präsentiert wurde. ::

Theodor Heuss sagte einmal, dass man mit Politikkeine Kultur machen könne, vielleicht aber mit KulturPolitik. Die Robert Bosch Stiftung setzt in diesem Sinnimmer wieder Kultur als Instrument ein, um ihre zen-tralen Themen wie Völkerverständigung, Bildung oderauch Wissenschaft voranzubringen. Beispiel Völker-verständigung: Wir sind überzeugt, dass die künstleri-sche Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicherkultureller und sprachlicher Herkunft ein geeigneterWeg zur Verständigung ist. Verständigung gelingt nurdurch Dialog und Begegnung. Ein Dialog, der auch dannfunktionieren sollte, wenn beispielsweise Politikernicht mehr oder noch nicht miteinander sprechen,etwa auf dem Balkan. Die Kenntnis von Geschichte undKultur anderer Länder bildet die Grundlage für Ver-ständigung.

Die Literatur schafft noch mehr: Neugier erzeugen,das Verstehen des anderen erleichtern. Literatur kanndas, ebenso wie sie auch Gegenstand des gemeinsamenGesprächs ist – ein Anlass zur unvoreingenommenenBegegnung. Teilhabe an Gemeinschaft entsteht durchMitreden. Wer schreibt, hat eine Stimme. Literatur er-möglicht den Zugang zu anderen Kulturen jenseitsoberflächlicher Stereotypen und Klischees. Für Lesersind unbekannte Literaturen eine Bereicherung, für dieAutoren und ihr Land ist das Interesse an ihrer Litera-tur ein Zeichen von Wertschätzung. Die Robert BoschStiftung hat mit der »Polnischen Bibliothek«, der »Tsche-chischen Bibliothek« und der »Türkischen Bibliothek«gezeigt, dass es noch viele dem deutschen Leser un-bekannte literarischen Schätze gibt. Damit dies gelingt,braucht es einfühlsame und hochprofessionelle Über-setzer. Auch hier setzt die Robert Bosch StiftungZeichen durch zahlreiche internationale Programme.

Ein literarischer »Leuchtturm« ist seit vielen Jah-ren der Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch

Stiftung. Hier findet der Dialog der Kulturen statt, her-untergebrochen auf den einzelnen Autor, der mit sei-nem persönlichen, fremdem Hintergrund und seinemWerk einen herausragenden Beitrag zu unserer ge-meinsamen Kultur leistet.

Warum ein Preis für die Literatur derer, derenMuttersprache nicht Deutsch ist?

»Wer das Fremde nur duldet, dem bleibt es fremd.Nur der Dialog öffnet die Türen zum Anderen und zuden Anderen. Das gilt für beide Seiten. Denn auch derEinheimische ist dem Fremden ein Fremder. […] DasGespräch [aber] bedarf der Sprache, um in Gang zukommen. […] Deshalb ist es so wichtig, dass Ausländerdie Sprache des Landes, das ihnen auf Zeit oder fürimmer Wohnstatt bietet, kennen und sprechen. Dennmit der Kenntnis der Sprache lassen sie sich auch mitder Kultur ein, die diese Sprache repräsentiert. Undnur auf diese Weise kann der Dialog der Kulturenstattfinden.«

So beschreibt Heinz Friedrich, ehemaliger Präsi-dent der Bayerischen Akademie der Schönen Künste,den Kern des Adelbert-von-Chamisso-Preises. Die Ideefür einen solchen Literaturpreis stammt von HaraldWeinrich, der sie in einem 1983 im Merkur erschiene-nen Aufsatz unter dem Titel »Um eine Literatur vonaußen bittend« veröffentlicht hat. Ein Preis, der sich anjene deutsch schreibenden Autorinnen und Autorenrichtet, die – geboren und aufgewachsen in einer ande-ren Kultur –, durch Arbeitsmigration, Asyl, Exil, Studi-um oder bewusste Wahl ihrer geistigen Heimat zurdeutschen Sprache und Literatur gekommen sind.

Die Idee des Preises fand Anklang und rasch ihreVerwirklichung. Der Adelbert-von-Chamisso-Preiswurde 1985 von der Robert Bosch Stiftung als Förde-rer und Trägerin des Preises, vom Institut für Deutsch

30 :: Die Robert Bosch Stiftung Die Robert Bosch Stiftung :: 31

Viele Kulturen, eine Sprache –der Adelbert-von-Chamisso-PreisWarum fördert die Robert Bosch Stiftung Literatur?

Von Michael Schwarz

Sommerliche Lesung des Chamisso-Preisträgers 2008 Sasa Stanisic aus seinem Bestseller Wie der Soldat das Grammofonrepariert und Gespräch mit Lerke von Saalfeld im Park vor der Robert Bosch Villa, Stuttgart im Juli 2008.

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María Cecilia Barbetta

6. 3. 20 UhrLiteraturhaus MünchenSalvatorplatz 1www.literaturhaus-muenchen.de

Artur Becker

6. 3. 20 UhrLiteraturhaus MünchenSalvatorplatz 1www.literaturhaus-muenchen.de

Tzveta Sofronieva

6. 3. 20 UhrLiteraturhaus MünchenSalvatorplatz 1www.literaturhaus-muenchen.de

Galsan Tschinag

9. 3.Literaturhaus BerlinFasanenstraße 23www.literaturhaus-berlin.de

Sasa Stanisic

15. 4.Literaturhaus SalzburgStrubergasse 23/H.C. Artmann-Platzwww.literaturhaus-salzburg.at

Der Roman ÄnderungsschneidereiLos Milagros von María CeciliaBarbetta spielt formal originell mitden großen lateinamerikanischenTraditionen phantastischen Erzäh-lens und der Telenovela und führtdie Leser in eine Wunderkammer,die zu vielen Überraschungen ein-lädt.

In seinem jüngsten Buch Wodkaund Messer. Lied vom Ertrinkenerzählt Artur Becker spannend,kraftvoll und vielschichtig von derReise seines Protagonisten in des-sen frühere Heimat am masuri-schen Dadajsee, die dieser zwanzigJahre lang nicht gesehen hatte.

Tzveta Sofronieva ist fasziniertvon der Vielfalt und Verschieden-heit der Sprache. Sie reflektiertüber die Herkunft von Wörtern,über die Schwierigkeit, Wörter zutransferieren, wenn man sie ihresZusammenhangs beraubt. SolchesNachdenken ist der Motor ihresDichtens.

In seinem neuesten Buch Die Rück-kehr schildert Galsan Tschinagdie abenteuerliche Geschichte, wieer als Oberhaupt seines Stammesim Jahr 1995 die in die Mongoleiumgesiedelten Tuwa mit einerKarawane von 2000 Menschen indie Heimat am hohen Altai zurück-führte.

Michael Stavaric

15. 4.Literaturhaus SalzburgStrubergasse 23/H.C. Artmann-Platzwww.literaturhaus-salzburg.at

Catalin Dorian Florescu

15. 4.Literaturhaus SalzburgStrubergasse 23/H.C. Artmann-Platzwww.literaturhaus-salzburg.at

Marica Bodrozic

22. 4. 20 UhrLiteraturhaus MünchenSalvatorplatz 1www.literaturhaus-muenchen.de

Eleonora Hummel

22. 4. 20 UhrLiteraturhaus MünchenSalvatorplatz 1www.literaturhaus-muenchen.de

Artur Becker

30. 4.Literaturhaus Leipzigim Haus des BuchesGerichtsweg 28www.haus-des-buches-leipzig.de

Michael Stavaric stammt aus demtschechischen Brünn und lebt alsSchriftsteller und Übersetzer inWien. Er schreibt Gedichte, Kin-derbücher und Romane, zuletztTerminifera, Magma und BöseSpiele, in denen es um Einzelgängerin einer befremdlichen Welt geht.

In seinem neuen Roman erzähltder in Rumänien geborene, heutein Zürich lebende Schriftstellerund Therapeut Catalin DorianFlorescu die Geschichte von Zairaund einer Reise von Osteuropanach Amerika; er erzählt auch voneiner unmöglichen Liebe, dieJahrzehnte überdauert.

Das Deutsche, ein »Gewirk aus Be-wegungen, Tönen, Gerüchen, Kopf-und Körperhaltungen, aus Augen-blicken, Augenfarben, Mundregio-nen und Wangenleuchten«: sosinnlich hat es sich dem Kind, dasMarica Bodrozic einmal war, nachdem Umzug aus Jugoslawien dar-gestellt.

Ein von barocker Opulenz undFarbigkeit überbordender Romanist Wodka und Messer. Lied vomErtrinken. Artur Becker errichtetder Heimat seiner Kindheit, dermasurischen Landschaft und ihrenMenschen ein eindrucksvollesSprachdenkmal.

Die Fische von Berlin, der Debüt-roman von Eleonora Hummel, han-delt von einer russlanddeutschenFamilie, die nach jahrelangem War-ten aus Kasachstan nach Deutsch-land ausreisen darf. Die Perspek-tive des jungen Mädchens AlinaSchmidt macht ihn fesselnd und inseinen Absurditäten reizvoll.

Chamisso-Preisträger unterwegs

Sasa Stanisic war 2008 mit gerade30 Jahren der jüngste Chamisso-Preisträger und ist mit 24 Überset-zungen seines ersten, burleskenRomans über einen bosnischenJungen im Krieg –Wie der Soldatdas Grammofon repariert – auchinternational einer der erfolgreich-sten.

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María Cecilia Barbetta

30. 4.Literaturhaus Leipzigim Haus des BuchesGerichtsweg 28www.haus-des-buches-leipzig.de

SAID

30. 4.Literaturhaus SalzburgStrubergasse 23/H.C. Artmann-Platzwww.literaturhaus-salzburg.at

Sudabeh Mohafez

30. 4.Literaturhaus SalzburgStrubergasse 23/H.C. Artmann-Platzwww.literaturhaus-salzburg.at

Artur Becker

5. 5.Literaturhaus GrazElisabethstraße 30www.literaturhaus-graz.at

Radek Knapp

5. 5.Literaturhaus GrazElisabethstraße 30www.literaturhaus-graz.at

Der erfolgreiche DebütromanÄnderungsschneiderei Los Milagrosvon María Cecilia Barbetta er-zählt am Beispiel zweier sehr unter-schiedlicher junger Frauen undprägnanter Nebenfiguren inBuenos Aires von Liebe, Sehnsucht,Verzweiflung und enttäuschtenHoffnungen.

»Dass diese liedhaften Gebete ineiner einfachen, dennoch viel-schichtigen Sprache formuliertsind, die in ihrer poetischen Schön-heit den Leser tief ergreifen, betö-ren, bis zur eigenen Sprachlosig-keit berauschen, das verdanken wirdem unvergleichlichen, wunder-baren Lyriker SAID«. (SWR)

Die Erzählungen von SudabehMohafez – Wüstenhimmel, Sternen-land – sind poetisch wie Märchenund realistisch wie das Leben; auchihr erster Roman Gespräch inMeersnähe fasziniert durch seinebildmächtige poetische Spracheund lässt die Leser nicht mehr los.

Was fängt man an, wenn man dieersten zwei Jahrzehnte seinesLebens sorglos zugebracht hat?Der tragikomische, zutiefst sympa-thische Held Walerian – in demRoman Papiertiger von RadekKnapp – folgt seiner Intuition, dieihm dringend vom eingeschlagenenAstronomiestudium abrät.

Die magische Macht der Erinne-rung beherrscht in seinem neuestenRoman Wodka und Messer. Lied vomErtrinken die lebenspralle Gegen-wart – zudem bekräftigt ArturBecker darin poetisch eindrucks-voll die enge Verbundenheit vonpolnischem und deutschemSprachraum.

Zehra Çırak

7. 5.Literaturhaus SalzburgStrubergasse 23/H.C. Artmann-Platzwww.literaturhaus-salzburg.at

Selim Özdogan

7. 5.Literaturhaus SalzburgStrubergasse 23/H.C. Artmann-Platzwww.literaturhaus-salzburg.at

Yüksel Pazarkaya

7. 5.Literaturhaus SalzburgStrubergasse 23/H.C. Artmann-Platzwww.literaturhaus-salzburg.at

SAID

12. 5.Literaturhaus GrazElisabethstraße 30www.literaturhaus-graz.at

Sudabeh Mohafez

12. 5.Literaturhaus GrazElisabethstraße 30www.literaturhaus-graz.at

Zehra Çırak ist in Istanbul geborenund in Deutschland aufgewachsen.Seit langem arbeitet sie als Lyrike-rin mit dem Objektkünstler JürgenWalter zusammen und gemeinsamentstehen beeindruckende Perfor-mances zu poetischen Themen wie»Ich und Ich«, »Erdenweg« oder»Höhenflug«.

»Über den Rhythmus seiner Spra-che, die Dynamik seiner Worte,über mal poetische, mal hart-reali-stische Momente bringt SelimÖzdogan seine Geschichte Zwischenzwei Träumen so zum Pulsieren,dass man sich fast im Reich einesder Träume wähnt, um die es in derStory geht.« (WDR)

Nach Jahrzehnten des Fernbleibensund der Entfremdung reist Orhan,ein in Deutschland ausgebildeterIT-Pionier, in sein Heimatland, dieTürkei. Diese Reise – im Roman Ichund die Rose von Yüksel Pazarkaya –geht einher mit dem Abstieg inseigene Ich, der Suche nach sichselbst.

Sudabeh Mohafez – ihr Namekönnte kaum poetischer und be-deutungsvoller sein. Der Vornameist der einer arabischen Prinzessinaus dem iranischen Nationalepos,dem Königsbuch, und ihr Nach-name erinnert an Hafez, den größ-ten persischen Dichter.

»SAID sucht dem in menschlicherSprache zur Lüge werdenden WortGottes zu entkommen, um sich ineinen wortlosen Raum der Nähe zuGott zu begeben. Wer SAIDs Psal-men aus der Hand legt, wird sienicht wieder vergessen.« (NZZ)

Chamisso-Preisträger unterwegs

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Feridun Zaimoglu

12. 5.Literaturhaus Leipzigim Haus des BuchesGerichtsweg 28www.haus-des-buches-leipzig.de

Michael Stavaric

12. 5.Literaturhaus Leipzigim Haus des BuchesGerichtsweg 28www.haus-des-buches-leipzig.de

Galsan Tschinag

18. 5.Literaturhaus Museums-gesellschaft ZürichLimmatquai 62www.literaturhaus.ch

Luo Lingyuan

19. 5.Literaturhaus GrazElisabethstraße 30www.literaturhaus-graz.at

Que Du Luu

19. 5.Literaturhaus GrazElisabethstraße 30www.literaturhaus-graz.at

Seine Karriere als deutscher Schrift-steller nahm einen aufregendenWeg von dem provozierendenKultautor der Kanak Sprak zu dem»Romantiker« Feridun Zaimoglu,dessen bislang letzter RomanLiebesbrand als »traumsicher undpoetisch«, als »pure Leidenschaft«gelobt wurde.

Michael Stavaric gilt als einer derinteressanten jungen Autoren inÖsterreich. Mit seinen Büchern ge-lingt es ihm mit bewunderns-wertem Wissen und raffiniertemErzählen, die Leser in einen Stru-del der Geschichte und Geschich-ten hineinzuziehen.

»Schamane wird man nicht, das istman«, schreibt Galsan Tschinag.»Es geht um ein besonderes Talent,um die Fähigkeit, mehr hören,mehr sehen, mehr wahrnehmen zukönnen als andere. Aber Begabungist nur ein Teil, der Rest ist harteArbeit, Bildung, Lernen und noch-mals Lernen.«

Que Du Luu erzählt in ihremersten Roman Totalschaden rasantund bisweilen grotesk die Ge-schichte des menschenscheuen,unbeholfenen Jungen Patrick.Dabei beweist sie eine außerge-wöhnliche Begabung für gute,knappe und immer wieder komi-sche Dialoge.

Luo Lingyuan wurde in China ge-boren, wo sie Computerwissen-schaft und Journalismus studierteSeit 1990 lebt sie in Berlin und be-schreibt in ihren Erzählungen undRomanen eindrucksvoll den Alltaghier wie dort mit seinen Grausam-keiten und seinen Träumen.

Chamisso-Preisträger unterwegs

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1985Aras Ören Rafik Schami (Förderpreis)

1986Ota Filip

1987Franco Biondi Gino Chiellino

1988Elazar BenyoëtzZafer Senocak (Förderpreis)

1989Yüksel PazarkayaZehra Çırak (Förderpreis)

1990Cyrus Atabay †Alev Tekinay (Förderpreis)

1991Libuse Moníková †SAID (Förderpreis)

1992Adel KarasholiGalsan Tschinag

1993Rafik Schami Ismet Elçi (Förderpreis)

1994Dante Andrea FranzettiDragica Rajcic (Förderpreis)

1995György DalosLászló Csiba (Förderpreis)

1996Yoko TawadaMarian Nakitsch (Förderpreis)

1997Güney DalJosé F. A. OliverJirí Grusa (Ehrengabe)

1998Natascha WodinAbdellatif Belfellah (Förderpreis)

1999Emine Sevgi ÖzdamarSelim Özdogan (Förderpreis)

25 Jahre56 Autoren

Adelbert-von-Chamisso-Preisträgerinnen und Preisträger 1985 — 2009 :: 37

Mehr über sämtliche Chamisso-Preisträger können Sie unter www.bosch-stiftung.de erfahren.

2000Ilija TrojanowTerézia Mora (Förderpreis)Aglaja Veteranyi (Förderpreis) †

2001Zehra Çırak Radek Knapp (Förderpreis)Vladimir Vertlib (Förderpreis)Imre Kertész (Ehrengabe)

2002SAIDCatalin Dorian Florescu(Förderpreis)Francesco Micieli (Förderpreis)Harald Weinrich (Ehrengabe)

2003Ilma RakusaHussain Al-Mozany (Förderpreis)Marica Bodrozic (Förderpreis)

2004Asfa-Wossen AsserateZsuzsa BánkYadé Kara (Förderpreis)

2005Feridun ZaimogluDimitré Dinev (Förderpreis)

2006Zsuzsanna GahseSudabeh Mohafez (Förderpreis)Eleonora Hummel (Förderpreis)

2007Magdalena SadlonLuo Lingyuan (Förderpreis)Que Du Luu (Förderpreis)

2008Sasa StanisicLéda Forgó (Förderpreis)Michael Stavaric (Förderpreis)

2009Artur BeckerTzveta Sofronieva (Förderpreis)María Cecilia Barbetta(Förderpreis)

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38 :: Neuigkeiten, Auszeichnungen, Termine … :: 39

Impressum

Herausgegeben von der Robert Bosch Stiftung GmbH

RedaktionIrene Ferchl, Frank W.Albers

FotosYves Noir

Gestaltungröger & röttenbacher, Büro fürGestaltung, Leonberg

DruckGulde Druck, Tübingen

© 2009 bei den Autoren, Fotografen und dem Herausgeber

Alle Rechte vorbehalten

www.bosch-stiftung.de

Zeit schreibt er als Kulturbericht-erstatter über Berliner Ereignissefür die Stuttgarter Zeitung undEssays für andere namhafte Zeitun-gen und Zeitschriften. Seine Bücherthematisieren die Berliner Litera-tur- und Kulturgeschichte, zuletzterschienen das Reiselesebuch Berlinund Stille Winkel in Potsdam.

Klaus Hübner arbeitete nach sei-nem Germanistikstudium und derPromotion als Dozent an in- undausländischen Universitäten undfür Verlage. Er lebt in München alsAutor, Publizist und Literaturkriti-ker, ist Redakteur der ZeitschriftFachdienst Germanistik und Sekre-tär des Adelbert-von-Chamisso-Preises der Robert Bosch Stiftung.

Yves Noir wurde 1967 in Frank-reich geboren. Er studierte Medien-design mit Schwerpunkt Fotografieund arbeitet als freier Fotograf undDozent für Fotografie im In- undAusland.

Michael Schwarz, Jahrgang 1977,absolvierte sein Studium der Ver-waltungswissenschaft in Konstanzund in den USA. Er arbeitete beieiner international tätigen Kommu-nikationsberatung in München undBerlin, ist seit 2005 bei der RobertBosch Stiftung in Stuttgart tätigund leitet jetzt die Kommunikations-abteilung.

Michael Speier, Jahrgang 1950,lebt als Autor, Übersetzer und Lite-raturwissenschaftler in Berlin. Erveröffentlichte Gedichtbände,Lyrik-Anthologien und Überset-

zungen, 2007 erhielt er den Litera-turpreis der Deutschen Schillerstif-tung Weimar. Nach Lehrtätigkeitenan verschiedenen Universitäten inDeutschland und in den USA ist erseit 1997 Honorarprofessur an derUniversity of Cincinnati, außer-dem Gründer und Herausgeber derLiteraturzeitschrift Park und desPaul-Celan-Jahrbuchs.

Monika Stranáková, Jahrgang1972, studierte in Bratislava Ger-manistik und Hungaristik. Sie war2002-2004 Stipendiatin des inter-disziplinären DFG-Graduierten-kollegs »Europäische Integrationund gesellschaftlicher Strukturwan-del« an der Universität Osnabrückund promovierte über »LiterarischeGrenzüberschreitungen. Fremd-heits- und Europa-Diskurs in denWerken von Barbara Frischmuth,Dzevad Karahasan und ZaferSenocak«. Zur Zeit ist sie wissen-schaftliche Mitarbeiterin am Ger-manistik-Lehrstuhl der Konstantin-Universität in Nitra/Slowakei.

Cornelia Zetzsche wurde inLeipzig geboren, studierte Germa-nistik, Geschichte, Politik undJournalismus in Tübingen. Sie warMitarbeiterin bei Printmedien,Fernsehen und Radio, Kuratorinvon Festivals und Lehrbeauftragtean der Universität. Heute arbeitetsie in München als Literaturredak-teurin und Moderatorin für Sen-dungen wie »Das offene Buch«,»radioTexte« und im Bücher-Maga-zin »Diwan«, das gelegentlich auchOff Air auf Buchmessen, Festivalsund anderswo gastiert.

Der Kunstpreis Berlin 2009 – in derSparte Literatur »Fontane-Preis«genannt – wird am 18. März in derBerliner Akademie der Künste andie Schriftstellerin, Regisseurinund Schauspielerin Emine SevgiÖzdamar (Chamisso-Preisträgerin1999) verliehen. Die in der Türkeigeborene und seit 1976 in Berlinlebende Autorin wird für ein Werkausgezeichnet, das – so die Begrün-dung der Jury – ein Beispiel dafürist, »dass beim Aufeinandertreffenvon Unterschieden nicht Nivellie-rung die Folge sein muss, sonderndass durch die Vermischung unter-schiedlicher Denk-, Sprech- undGefühlsweisen etwas Neues entste-hen kann, das für beide SeitenGewinn ist. Gerade der Kontrasthat sie zur Dichterin gemacht.«

Der Chamisso-Förderpreisträgerdes Jahres 2008, Michael Stavaric,erhält (zusammen mit AgnieszkaPiwowarska) den Hohenemser Lite-raturpreis 2009, der zum erstenMal ausgeschrieben wurde und imJuni im Rahmen einer Veranstal-tung in der vorarlbergischen StadtHohenems verliehen wird. Ausge-zeichnet werden damit »deutsch-sprachige AutorInnen nichtdeut-scher Muttersprache«, die unver-öffentlichte Prosatext bei freierThemenwahl anonym einreichenkonnten. In der Jury sind unter an-derem auch die früheren Chamisso-PreisträgerInnen Zsuzsanna Gahseund Zafer Senocak.

Die Autoren dieser Chamisso-Ausgabe

Vladimir Balzer, Jahrgang 1973, istmit Russisch und Deutsch groß ge-worden. Er studierte in Leipzig,Dublin und Venedig. Jetzt lebt er inBerlin als Journalist, Kritiker undModerator beim DeutschlandradioKultur und beim MDR Hörfunk.

Michael Bienert, Jahrgang 1964,lebt seit 1977 in Berlin. Seit demGermanistik- und Philosophie-studium arbeitet er als Autor undJournalist, konzipierte Ausstellun-gen und Stadtspaziergänge. Zur

Der Chamisso-Preis imFernsehen

Übertragung der Preisverleihungin »Denkzeit« am Samstag, den 14. März um 22.30 Uhr in BR alpha.

Gespräch mit Artur Becker in BR alpha forum extra am 4. Märzum 20.15 Uhr, Wh. am 5. März um13.00 Uhr.

Gespräch mit María Cecilia Barbettaund Tzveta Sofronieva in BR alphaforum extra am 5. März um 20.15Uhr, Wh. am 6. März um 13.00 Uhr.

Ausblick

Geplant sind weitere Lesungen vonChamisso-Preisträgerinnen undPreisträgern in den LiteraturhäusernFrankfurt im Juni mit Zsuzsa Bánk,Marica Bodrozic, Léda Forgó undIlma Rakusa; Hamburg im Juni mitMaría Cecilia Barbetta, ArturBecker, Catalin Dorian Florescuund Yoko Tawada; Rostock vonSeptember bis November unteranderem mit Terézia Mora undLéda Forgó; außerdem in Berlin,Köln, München und Stuttgart.

Chamisso – wohin? Über die deutschsprachige Lite-ratur von Autoren aus aller WeltSymposium der Robert Bosch Stif-tung, Stuttgart, und des DeutschenLiteraturarchivs in Marbach amNeckar vom 25. bis 27. November.

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Zur 25. Adelbert-von-Chamisso-Preisverleihung am 5. März in derAllerheiligen-Hofkirche der Münch-ner Residenz haben sich zahlreicheehemalige Preisträgerinnen undPreisträger angekündigt, darunterAsfa-Wossen Asserate, FrancoBiondi, Gino Chiellino, Zehra Çırak,György Dalos, Ota Filip, DanteAndrea Franzetti, Zsuzsanna Gahse,Adel Karasholi, Yüksel Pazarkayaund Ilma Rakusa.Als deren Vertreter wird SAID alsGrußwort »einen Brief an Chamisso«vorlesen.

Eingezogen in die Sprache, ange-kommen in der Literatur lautet derTitel der Nummer 8/2008 vonValerio, der Heftreihe der DeutschenAkademie für Sprache und Dich-tung. Herausgegeben von UwePörksen und Bernd Busch werdendarin »Positionen des Schreibensin unserem Einwanderungsland«thematisiert, unter anderem vonden Chamisso-PreisträgerInnenIlija Trojanow, Adel Karasholi, JoséF.A. Oliver, Ilma Rakusa, YokoTawada und Sasa Stanisic. Erschie-nen ist Valerio im Wallstein Verlag,hat 116 Seiten und kostet 10 Euro.

Auf der Leipziger Buchmesse2009 werden die drei diesjährigenPreisträgerInnen Artur Becker,María Cecilia Barbetta und TzvetaSofronieva am 12., 13. und 14. Märzum 15 Uhr am ARTE-Stand ausihren Werken lesen und mit Lerkevon Saalfeld Gespräche führen.

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25 Jahre Adelbert-von-Chamisso-Preisder Robert Bosch Stiftung