Das Abenteuer liegt um die Ecke - motzbuch.demotzbuch.de/winterfeld_finale_06.pdf · nick...

44
1 Der Winterfeldtplatz in Berlin-Schöneberg Susanne Twardawa Bilder von Horst Happatz und Susanne Twardawa mit einem Beitrag von Daniela von Raffay motzbuch edition 6 Das Abenteuer liegt um die Ecke

Transcript of Das Abenteuer liegt um die Ecke - motzbuch.demotzbuch.de/winterfeld_finale_06.pdf · nick...

1

Der Winterfeldtplatz inBerlin-Schöneberg

Susanne Twardawa

Bilder von Horst Happatz und Susanne Twardawamit einem Beitrag vonDaniela von Raffay

motzbuch edition 6

Das Abenteuer liegt um die Ecke

2 3

© dieser Ausgabe 2006

Copyright der Fotos und Texte bei den UrhebernAlle Rechte vorbehaltenIdee, Konzeption, Text: Susanne TwardawaGestaltung: Karin Schmidt-RuhlandDruck: MK-Druck BerlinPrinted in GermanyISBN: 3-935790-06-6

motzbuch edition

Dieses Buch ist allen Puppenspielerinnen und Puppenspielern dieser Welt gewidmet, besonders aber Annemi und Sebastian.

Dedicado a todos los titiriteros y marionetistas de este mundo, en especial, a Annemi y Sebastian.

4 5

„Kennt ihr das Märchen vom Goldenen Topf, erinnert ihr euch an das seltsame Äpfelweib, dem der Student Anselmus da am Anfang begegnet? Oder kennt ihr Hauffs Märchen ‚Zwerg Nase‘, das mit einem Markt beginnt, auf dem die Hexe mit spindeldürren Fingern die Waren betastet, um das Beste für sich mit nach Hause zu nehmen? Ist es euch nicht selbst schon, wenn ihr mit der Mutter den Markt betratet, spannend und festlich vorgekommen? Denn noch im einfachen Wochenmarkt steckt et- was vom Zauber der orientalischen Märkte, der Bazare von Samarkand.“

Damit beginnt eine der Rundfunkge-schichten für Kinder, die Walter Benja-min zwischen 1929 und 32 schrieb. Der Winterfeldtmarkt bietet solch eine romantische Alternative zum Supermarkt an der nächsten Ecke. Und das, obwohl der Platz einst schnurgerade auf dem Reißbrett entworfen wurde. 1890 wur- de der 290 Meter lange und 80 Meter breite Platz auf einem Feld vor den To-ren der Stadt Berlin befestigt, mit Bäumen umgeben und zum Marktplatz bestimmt. Es waren damals die Bauern aus Schöne-berg, die auf dem Winterfeldtplatz ihre Waren feilboten und die Hökerinnen aus Berlin: Frauen von niederem Stand, die nur billige Waren verkaufen durften.

Der Winterfeldtplatz

Winterfeldtplatz in Schöneberg-Wochenmarkt 1993Radierung von Eberhard Franke (1936-2004)

6 7

Das „Ratswagenhäuschen“ für die Rats- waage, auf der die Händler ihre Ware unter Aufsicht und mit geeichten Ge-wichten abwogen, kam 1900 auf die Südseite des Winterfeldtplatzes. Da es in jeder Stadt nur eine dieser sorgsam gehüteten Waagen gab, erhielt der Platz dadurch eine besondere Aufwertung. Erst irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand das Waagenhaus mit der Waage. Auch verkehrsmäßig lag der Winter- feldtplatz günstig. Bereits 1887 fuhr eine Dampfstraßenbahn von der Haupt- straße durch die Goltzstraße und Maa-ßenstraße zum Nollendorfplatz. Kurze

Zeit später wurde sie von der elektri-schen Straßenbahn abgelöst.Mit der Stadtwerdung Schönebergs am 1. April 1898 wurde der Winterfeldt-platz städtisch. Die Grenze zwischen Schöneberg und Berlin verlief durch die Gleditschstraße. Die Häuser an der Gleditschstraße gehörten zu Berlin, die an der Goltzstraße zu Schöneberg. Mit der Bildung Großberlins 1920 wurde der Platz großstädtisch. Damit konnten nun auch Händler aus Berlin auf dem Winterfeldtmarkt ihre Ware verkaufen.

Der Bau der Untergrundbahn im Jahr 1902 ermöglichte eine schnelle Verbin-dung von Berlin zu den Stadtrandgebie-

ten. Auch die Schöneberger Gaststätten waren am Wochenende gut besucht. Die Gegend um den Nollendorfplatz und um den Bülowbogen zog besonders die Boheme- und Künstlerszene des begin-nenden 20. Jahrhunderts an. Gewalt, Prostitution und Armut häuften sich besonders in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Trotzdem bezeichnete der Schriftsteller Joseph Roth den Winter-feldtplatz 1921 noch als „Dorfidyll bei der Untergrundbahn“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Platz weitgehend zerstört. Frauen räum-ten die Trümmer beiseite und sorgten für die übriggebliebenen Familien. An

die karge Nachkriegszeit gibt es aber auch schöne Erinnerungen. In den Ruinen suchten spielende Kinder ihre Abenteuer. Flirtende Teenager fanden in den unbeleuchteten Hauseingängen die nötige Dunkelheit. Die Älteren ka-men miteinander ins Gespräch, wenn sie in der Schlange standen, um mit Lebensmittelmarken einzukaufen. Bald fuhr auch wieder die Linie 3 der Stra-ßenbahn quietschend am Platz vorbei.

Nach Wiederaufbau und Teilung der Stadt blieb in Schöneberg die Zeit ste-hen: die Straßenbahnen verschwanden, Häuser verfielen. Den Nollendorf- und Winterfeldtplatz eroberte die Drogen-

Vor der Kirche rechts ist das „Ratswagenhäuschen“ zu sehen 1935

Alte Postkarte um 1900Nach dem Berliner Adressbuch 1921

8 9

und Prostituiertenszene und die Berli-ner Morgenpost bezeichnete den Win-terfeldtplatz 1978 als „Berlins hässlichs-ten Platz“.

1985 musste der Markt vorübergehend in die Gleditschstraße umziehen. Der Platz wurde mit den rötlichen Boden-platten „Marke Tauentzien“ gepflastert und von der Bezirksverwaltung zur Be- nutzung für Rollschuhläufer und Inline-skater freigegeben.

Pieke Biermann schrieb 1990 darüber in ihrem Krimi „Violetta“: „Sie trat aus der Tür und ging links die Goltzstraße hinauf in Richtung Winterfeldtplatz.

Montag ist kein Markttag, und so schlen-derte sie schräg über das Rechteck vor der Kirche, das vor ein paar Jahren mit Granitplatten belegt worden war. Mit ei-ner Billig- und Scheußlich-Version, was Marktleute, Anwohner und Stadtpla-ner bis zuletzt zu verhindern versucht hatten. Als Untergrund für lustvoll klappernde Stöckelschuhe und gut ge-schmierte Rollschuhe waren die Platten ganz brauchbar. ... Besser als das Bern-burger Kleinmosaik, das den Platz frü-her geziert hatte. Und sehr viel besser als die Asphaltschicht, die der deutsche Amtsschimmel in seinem Wahn, nach jedem Markttag den Platz flächendeck-end desinfizieren zu müssen, über die

Pflastersteine hatte gießen lassen.“Die „Neue Heimat“ übernahm in den 1980er Jahren die Sanierung des öst- lichen Blockes um Zieten- und Nollen-dorfstraße und hinterließ ein Hausen-semble im historisierenden Stil. Haus-besetzer, Hausbesitzer, Kirche, Bezirk und Städteplaner kümmerten sich um die weiteren Grundstücke. Die Sankt-Matthias-Kirche musste nach schwerer Kriegszerstörung restauriert und erneu-ert werden. Erst im Jahr 1987 begann man die zugemauerten Kirchenfenster zu öffnen.

Heute weicht der Winterfeldtplatz stark von seinem historischen Erscheinungs-

bild ab. Was sich nicht verändert hat, ist seine Nutzung als Markt; und als Markt ist er Kult.

Der Winterfeldtplatz 1898 Der Winterfeldtplatz galt als hässlichster Platz von West-Berlin (1982)

10 11

Blick auf den Winterfeldtplatz Richtung Nord-Osten 2005

Blick auf den Winterfeldtplatz Richtung Süd-Westen 2005

12 13

Der Winterfeldtmarkt

Autogeräusche der Zulieferer, Rufe und das typische Klappern beim Aufbauen der Stände hallen an den Markttagen ab 4 Uhr morgens über den Platz. Noch scheint sich die harte Arbeit zu lohnen: nachts aufstehen, anreisen, Ware bereit-stellen und bei jedem Wetter im Freien verkaufen. Einige Marktstände werden von Gene-ration zu Generation weitergegeben. Andere verschwinden mangels Nachfra-ge. So gibt es heute keine Sandwagen mehr. Mit dem feinen märkischen Sand wurden die Parkettböden gescheuert. Auch die politischen Büchertische der

1970er Jahre oder die noch älteren Bü-cherkarren sind verschwunden. Dafür gibt es im Umkreis des Platzes heute viele Antiquariate. Und es gibt weiterhin Originale, über die sich Glaßbrenner (der Schöpfer von Nante, dem Eckensteher) gefreut hätte: zwischen den Ausrufern, die Obst oder frischgepresste Säfte anbieten, hörte man früher die kräftige Stimme des „alles für ein Zehnerle“ rufenden Blumenhänd-lers. Nachdem sich Anwohner über die Lautstärke beschwerten, ruft er jetzt um einiges leiser „alles für ein Fünferle“. Der Euro hat inzwischen die DM ab-gelöst.

Zwischen türkischem Akzent und hoch- deutsch sächselt auch schon mal jemand, und die Berliner Schnauze zu hören, macht Spaß. „mir is ejal, wovon ma schlecht wird“ oder „falln se langsam, da ham se mehr Jenuss von“, sind nur einige Beispiele für den berühmt-be-rüchtigten Berliner Witz.

Auch das Fotografieren für dieses Buch wird von den Marktleuten nicht kom-mentarlos hingenommen: „jerne lächle ick ihnen an“ hören wir oder „jedes Bild macht Ein Euro fuffzich“.Aber nicht immer sind die Marktleute laut und schlagfertig. Die Ökobauern erklären oft ausführlich die Vorzüge ihrer

Ware, und der Kartoffelhändler beschreibt die Qualitäten der unterschiedlichen Kartoffelsorten. Diese Gemüsesorte war nicht immer so gut gelitten. 1720 verordnete der Sol- datenkönig Friedrich Wilhelm I. den Anbau der Kartoffel als Folge einer ver-heerenden Missernte an Getreide. Da die Bauern angeblich nicht die in der Erde liegenden Knollen aßen, sondern die ungenießbaren gelbgrünen oder -roten Beerenfrüchte, konnte anfäng-lich selbst die Androhung drakonischer Strafen das Landvolk nicht zum Anbau bewegen. Den widerspenstigen Bau-ern wurde mit dem Abschneiden von Nasen und Ohren gedroht. Preußens

14 15

Aufschwung war jedoch vom Kartof-felanbau abhängig und so lenkten die Bauern schließlich ein. Inzwischen ge-hört die ursprünglich in Südamerika heimische Kartoffel mit dem hohen Vitamin-D-Gehalt zu unseren Grund-nahrungsmitteln.Die goldgelben Honig-Bonbons oder solche, die wie Himbeeren oder Brom-beeren aussehen, gibt es wie zu Groß-mutters Zeiten beim Kräutermann.Neben der Spreewälder Gurke, die auf dem Markt aus dem Fass verkauft wird, oder dem Schusterjungen mit Schmalz, bieten sich noch viele weitere Delikates-sen zum Schnellimbiss an. Die Curry-wurst – eine Wurst mit Soße – ließ die

Berliner Imbissbudenbesitzerin Herta Heuwer 1959 patentieren. Zur „Bulette mit Mostrich“ gab es früher „Molle“ für die Großen und „Brause“ für die Klei-nen. Inzwischen werden frisch gepresste Obst- und Gemüsesäfte bevorzugt. Aus der Mark kommen frisches Obst und Gemüse und Fisch von der Ost- und Nordsee, manchmal gibt es sogar Havelzander. Und natürlich werden viele Kräuter und Gewürze angeboten, sowie regionale und internationale Be-sonderheiten z.B. bayerische Weißwurst und „Obatzda“, Beelitzer Spargel oder italienisches Tiramisu.Zwischen den verschiedenen Ständen drängen sich jeden Samstag (am Mitt-

woch besuchen weniger Touristen den Markt) gutgelaunte Menschen, denen es nichts ausmacht, in der Schlange zu stehen. „Diogenes ging auf den Markt, dort suchte er den Menschen und sein Gespräch. Urbanus tritt in die Schlan-ge“, bemerkte der Theaterkritiker Fried-rich Luft, „hier wohnt die Leidenschaft und Ungeduld der Menschen unserer Tage. Die Schlange als philosophischer Ort. Verachtet sie nicht allzu sehr.“Auch ihn, den Schöneberger Friedrich Luft, der 50 Jahre lang bis zu seinem Tod 1990 in der Maienstraße 4 wohnte, konnte man öfter auf dem Winterfeldt-markt treffen.

16 17

endlich samstag!

in unserem kiez unterteilt sich die woche in zwei hälften, zwischen samstag und mittwoch.meine verabredungen und erledigungen hangeln sich an diesen beiden eckpfeilern entlang.da is was los. da fließt ein strom richtung winterfeldtplatz rechts und links der maa-ßenstrasse entlang. für mich als münchnerin in der „diaspo-ra“ kommt fast wies’nfeeling auf.der strom fließt natürlich ständig. täglich, tagaus, tagein, aber mittwoch und vor allem samstag sind besondere tage, denn da ist winterfeldtmarkt!

ich werde an allen marktständen entlang-rollen. im lauf der zeit hab ich natürlich meine lieblingsstände ausgeknattert (von nick knatterton, dem meisterdetektiv).viele marktleute kenne ich mittlerweile persönlich und genieße den luxus, samstag vormittags auszuschlafen und meine ein-käufe erstmal per telefon vorzubestellen. eier und obst und gemüse und blumen bei gisela.brot, käse, wurst und die laugenbrezeln fürs sonntagsfrühstück bei kerstin und katrin, den aufgebürsteten schwägerinnen aus birkenwerder.gisela lieben alle. gisela liebt nicht alle, das merkt man, wenn sie ihr langes all-zweckmesser fast beiläufig fester umgreift.

dann nämlich, wenn besonders aggressive bettler oder siebenmalgescheite hausfrauen bei ihr andocken wollen.unser giselchen würzt uns den tag mit liebeserklärungen: „na, meine sonne, was darfs denn heut sein?“ und „nimm noch’n bund mairübchen. dünne scheiben in olivenöl kurz heiss dünsten, bisschen salz und pfeffer drüber, mmh“ und für ein-geweihte: „aber nicht die mit dem jelben jummi rum“.

alle leiden mit, wenns wetter nicht mit-spielt und unsre lieblingsdamen bei nacht und nebel, im schwülen hochsommer oder klirrender winterskälte rausmüssen. mittlerweile lernten wir gegenseitig all

unsre zipperlein, haustiere und vorlieben kennen. berlinbesucher werden sofort auf den markt geschleppt und alle geburtstags-geschenke und mitbringsel werden dort gesucht und gefunden. die seidenschals von majid aus kaschmir umhüllen mich ganzjährig, egal ob als stola an kühlen maiabenden oder wind-schutz im nieseligen novemberwetter. meine filzhauspuschen mit reißverschluss vorne, trage ich als kaltfüßlerin ganzjäh-rig, herrlich, wie in omas zeiten.ich bin quasi von kopf bis fuß „auf win-terfeldt eingestellt“.brauch ich für unsren chorauftritt noch fix ein schwarzes gewand, werde ich ga-

18 19

rantiert auf unsrem markt noch ne chice leinenhose und ein passendes oberteil dazu finden. schmuck für beringte damen gibt’s in hülle und fülle. halbeldelsteine, silber – sogar reparaturen von gerissenen halsketten werden im handumdrehn erledigt. ich muss nur meine marktrunde mit dem obligaten cappuccino im puppentheater bei „hans wurst nachfahren“ abrunden, dann kann ich nochmal bei den freund-lichen jungs von „südsinn“ vorbeirollen und die kette oder das armband wieder anlegen.

bei „wurst‘ns“, wie wir sie nennen, ist alles vereint. ich kann dort mühelos aufs

wc rollen, da dort alles barrierefrei ohne stufen ist. oft sitzen meine freundinnen und ich bis zum letzten sonnenstrahl auf der terrasse, schwätzen, treffen leute. irgendeine nette nachbarin oder bekannte kommt garan-tiert vorbei.

bei lust und laune könnten wir auch um 16 uhr in eine der entzückenden pup-pentheateraufführungen gehen. der kleine muck oder der teufel mit den 3 goldenen haaren holt uns auch persönlich vor der türe ab.

mitgebrachtes kann hochoffiziell verzehrt werden. so bleibt bei uns samstags oft die

küche kalt, weil wir uns durch die markt-stände gefuttert haben. göttliche moussaka oder köstliche zwiebelquiche bei angelikas griechischem stand. oder mal ein teller vegetarisches mit meeresfrüchten.am frühen abend wird ein hefeweizen gezischt und die zeitung vom wochenende gelesen.wer lust hat, kann hier abends auch in eine der aufführungen oder lesungen für erwachsene gehen.

rund um den winterfeldtplatz gibt’s na-türlich noch ’zig läden und lokale kennenzulernen.aber kommen sie und schaun sie selber! wir sehen uns bestimmt.

rabuglberlin, nollendorfstraße im august 2005

20 21

Vom Hobrecht-Plan zum Baller-Plan

„Ach – wie scheen is draußen jewesen...da trillern de Lerchen, und det blieht und jrient uff die Wiesen,“ lässt Erd-mann Graeser Tante Marie in seinem Roman „Lemkes sel. Witwe“ vom Dorf Schöneberg schwärmen. Erdmann Graeser (1870-1937) wuchs um den Winterfeldtplatz herum auf und spielte noch im Gras zwischen den alten Weidenbäumen. Er wohnte zeitweise in der Winterfeldtstraße 24 (heute 33), in der Luitpoldstraße 6 und in der Mün-chener Straße 36.

Die Straßenführung in Schöneberg ori-entierte sich 1890 noch an den Feldwe-gen entlang den Schöneberger Wiesen. Regierungsbaumeister James Hobrecht hatte 1862 einen Bebauungsplan entwi-ckelt, wonach der äußere Stadtring nach allen Richtungen in rechtwinklige Bau-blöcke aufgeteilt wurde. Der Bebauungs-plan war von Anfang an umstritten, weil er durch die großen Blöcke eine intensive Bebauung ermöglichte, was wiederum Grundstücksspekulationen unterstützte. Als Ergebnis dieser Planung konnte Ende 1900 ein so großer zusammenhängender Häuserblock wie der zwischen Gleditsch-straße, Winterfeldtstraße, Potsdamer Straße und Pallasstraße entstehen.

Das Areal bestand ursprünglich jedoch nicht nur aus Wiese. Der „Hopfengar-ten“, ein Teil des Königlichen Botani-schen Gartens war hierher ausgelagert. Als dieser Gartenteil wegen der Stra-ßenziehung und Bebauungsplanung aufgegeben werden musste, reservierte sich Grundstücksbesitzer Koch einen Teil dieser gärtnerischen Anlage. Er bau-te sich hier eine Villa mit großem Gar-ten. Nachdem an den Straßen entlang Wohn- und Geschäftshäuser entstan-den, lag nun innerhalb der Mietshäuser eine uneinsehbare grüne Oase. Koch bewohnte sie bis zu seinem Tode 1921. Die Erben verkauften das Grundstück und 1928 wurde das Fernmeldeamt

darauf gebaut. Dabei wurde die Bauflä-che so intensiv genutzt, dass einige Be-wohner der umliegenden Häuser heute auf eine rote Backsteinmauer sehen, wenn sie zum Hinterhoffenster hinaus-schauen. Auch in der Höhe überragt das Gebäude des Fernmeldeamtes die 5 bis 6-geschossigen Wohnhäuser.

1884 entstand hinter der Häuserfront eine Hinterhofschule mit Sportplatz, die 1. und 2. Volksschule, die heutige Spreewald-Grundschule. Sie ist von der Pallasstraße 15 und vom Winterfeldt-platz aus zu erreichen. Stolz sind Lehrer und Kinder heute auf ihr vom Archi-tektenbüro Baller entworfenes „futu-

Blick auf die Ostseite des Winterfeldtplatzes, begrenzt durch die Gleditschstraße 2005

Drogerie, Gleditschstraße 3-5 (am Winterfeldtplatz) 1911

22 23

ristisches Freizeithaus“ mit Sporthalle, filigranem Gitter und vielen Pflanzen. „Unser Schulhof ist einzigartig in Ber-lin: viel Grün, tolle Spiel- und Sportge-räte“, steht auf der Schulwebseite. Die Sporthalle hat Wendeltreppen, run-de Zimmer mit Glasbausteinen und Schächte, die Sonnenlicht in das Haus lassen. Das Dach wirkt mit den Steinen und Pflanzen wie ein Gebirge. Ein Teil des Daches funktioniert als Kinderta-gesstätte und Spielfläche für Kinder. Auf dem Schulgelände gehen die Kin-der auf geschwungenen Wegen, vorbei an Weißdorn- und Rosenbüschen. Der Bodenbelag ist mit Mosaiken ausgelegt. Unter einem mit Felsen verkleideten

Berg verbirgt sich das Heizkraftwerk.Seit dem Richtfest 1994 geriet die un-gewöhnliche Anlage wiederholt in die Schlagzeilen. Berichte über Baustopps, Fehlkalkulationen, ein undichtes Dach, falsche Planung und eine überforderte Behörde begleiteten den schleppenden Bauverlauf. Der Bau verschlang immer-hin 61 Millionen Mark. 10 Jahre wurde an der Sporthalle ge-baut, die nun den Namen der Berliner Sportlerin Lilli Henoch trägt. Henoch (1899 – 1942) war eine erfolgreiche Leichtathletin und eine Vorkämpferin des Frauensports. 1933 als Jüdin aus dem Berliner Sport-Club (BSC) aus-geschlossen, arbeitete sie bis 1941 als

Sportlehrerin an jüdischen Schulen. 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter nach Riga deportiert und dort ermordet.

Eigentlich sollte im Rahmen der Inter-nationalen Bauausstellung an der Ost-seite des Winterfeldtplatzes eine Block-bebauung durchgeführt werden.In den 1980er Jahren gelang es der Al-ternativen Liste und der extra gegründe-ten „Bürgerinitiative Winterfeldtplatz“, dies zu verhindern und die Architekten Inken und Hinrich Baller mit der Pla-nung zu beauftragen. Der durch Bom-ben entstandene offene Raum wurde im Sinne der Architekten als Chance

begriffen, in der dicht bebauten Schö-neberger Innenstadt Licht und Bäume zu erhalten und nur die Ecken zu be-bauen. Ein Plan, der sich langfristig auszahlt und zur Urbanität des Platzes, wie er sich heute darstellt, beiträgt. Im August 1999 wurde das postmoderne Wohn- und Geschäftshaus in der Gle-ditschstraße 1 zum Erstbezug freigege-ben. Der 6-stöckige geschwungene Bau leuchtet in den Farben rosa und blau. Die großzügigen Balkone zeigen alle zur Süd- und Ostseite. Im Dachgeschoss befinden sich zwei Maisonette-Woh-nungen mit Wendeltreppe, Dachter-rasse und Blick über Schöneberg. Vom Bad in einer dieser Wohnungen führt

Die Sporthalle Lilli Henoch, die zur Spreewaldschule gehört (2005)

Blick nach obenWohn- und Geschäftshaus in der Gleditschstraße 1, entworfen von Inken und Hinrich Baller (2005)

24 25

eine Tür direkt auf die uneinsehbare Süd-Terrasse, eine der ungewöhnlichen Ideen in diesem Haus. Bei entsprechender natürlicher Beleuch-tung wirken die Balkonabschirmungen wie Segel. Solche Details haben dem Architekten Baller den Spitznamen “Der mit den Segeln tanzt“ eingebracht.

Die „Ruine“

In der Gleditschstraße 9 stand bis 1997 die „Ruine“, ein kriegszerstörtes Haus mit Gastwirtschaft, die seit 1957 die Schankerlaubnis hatte. Über den Kiez hinaus erlangte die „Ruine“ in den

1970er Jahren ihren Ruf als Kneipe für Hausbesetzer, Trebegänger und Kiffer, die nicht nur aus den besetzten Häu-sern der Winterfeldtstraße und Goltz-straße kamen. Die „Ruine“ gehörte als fester Bestandteil zum „Schöneberger Trampelpfad“, einer Kette von Knei-pen, die zu Fuß erreichbar waren. Stän-dige Prügeleien und fliegende Biergläser sind einige der Legenden, die sich um die „Ruine“ ranken. Trotzdem die Besu-cher in Bierlachen standen und es dort fürchterlich stank, erinnert sich noch jeder ehemalige Kneipenbesucher mit Rührung an das Lokal, egal ob Bohemi-en oder Penner.

Natürlich gab es in dem Haus außer der Kneipe auch noch Wohnungen, die aller-dings leer standen. Nach und nach eig-neten sich Menschen ohne Wohnraum diese Wohnungen an. Einige bekamen Mietverträge, andere Duldungsverträge. Gemeinsam war den Bewohnern, dass sie alle jeweils sozialen Randgruppen angehörten. Also bildeten sie einen Ver-ein, in dem der Einzelne lernen sollte, Verantwortung für sich und die Grup-pe zu tragen. Sowohl das Hausprojekt als auch die Kneipenkarriere endeten 1986, als die Brandwand abgerissen wurde und das Haus noch mehr ver-gammelte. Es gab Initiativen, die dieses Grundstück als Baudenkmal in Erinne-

rung an den Zweiten Weltkrieg erhalten wollten. Auch die Einrichtung eines Museums war angedacht. 1989 zog die Gärtnerei „Hofgrün“ in das Vorderhaus ein. Ihr wurde 1996 gekündigt. Nun stand das Gelände unbeaufsichtigt nur noch Pennern offen. Als die „Ruine“ 1997 brannte, unternahm die Feuer-wehr keine übermäßigen Anstrengun-gen, das Haus zu retten. Danach wurde es endgültig abgerissen. Fünf Jahre später entstand dort ein Spiel-platz. Terrassenförmige Rasenflächen, Sitzecken, Skulpturen aus Stein und Holz ziehen nicht nur die Kinder an. Das Spielplatz-Konzept entwickelte das Planungsbüro Dietzen & Teichmann

Die „Ruine“ 1997 Spielplatz am ehemaligen Standort der „Ruine“ mit mehrköpfiger Steinskulptur (2005)

Die „Ruine“ brannte 1997 ab

26 27

gemeinsam mit dem Quartiermanage-ment, Kindern und Anwohnern. Unter dem Motto „Grün macht Schu-le“ bauten und gestalteten Schüler und Schülerinnen der Spreewald-Grund-schule und der Sophie-Scholl-Ober-schule die Mäuerchen um die Spielflä-chen mit Mosaiken, Zwiebeltürmchen und Fabelwesen. Zwölf Oberschülerin-nen schufen gemeinsam mit dem Bild-hauer Christoph Glamm eine Stein-skulptur mit mehreren Gesichtern.

Das Theater am Winterfeldtplatz „Hans-Wurst-Nachfahren“

Im Haus daneben, Gleditschstraße 5, hat seit 1993 das Theater „Hans-Wurst-Nachfahren“ sein Domizil. Der Abriss der ehemaligen Tischlerei konnte durch das Engagement der Theaterleute, einer aktiven Bürgerinitiative sowie Politi-kern aus mehreren Parteien (AL/ SPD/CDU) verhindert werden. Der zwei-stöckige freistehende Bau wird heute in zwei Theaterräumen bespielt. Der Name „Hans-Wurst-Nachfahren“ weist zurück auf die Figur des Spaß-machers in den Theaterstücken der

Das Theater am Winterfeldtplatz „Hans-Wurst-Nachfahren“

28 29

Wandertruppen Deutschlands des 17. und 18. Jahrhunderts. Hans Wurst verkörperte dort den pfiffigen Spaß-macher, den derben Zotenreißer, den anarchistischen Clown. In der dama-ligen Zeit hatte der Hans Wurst die Aufgabe – und das Vergnügen – in Zwi-schenspielen und Pausen die gezeigten Szenen, losgelöst von der gekünstelten und verbrämten Welt der Aristokratie und des Bürgertums, frech und direkt zu persiflieren und sie auf den Boden seiner Welt, der Welt des „einfachen Volkes“ herunterzuholen. Er steht für eine Dramaturgie für Kleine und Gro-ße, ohne elitäres Gehabe, klar, deutlich, direkt, aber dennoch kunstvoll und vor

allem nicht ohne Witz und gute Laune zu verbreiten. Siegfried Heinzmann und Barbara Kilian gründeten das Theater „Hans-Wurst-Nachfahren“ im Januar 1981. Unter ihrer künstlerischen Leitung wird in einem ganzjährigen Spielbetrieb Ensemblearbeit gezeigt, eine Seltenheit im Genre Puppentheater. Das Projekt dieses selbstverwalteten Freien Theaters ist in Berlin einzigartig. Selbst Ilona Zarypow vom legendären Zan-Pollo-Theater gastiert hier immer wieder mit einer jungen Truppe unter dem Namen „Der grüne Hund“. Inzwischen machen die Puppenspieler auch Theaterarbeit mit Schülern.

Das Angebot des Theaters umfasst mehr als zwanzig Stücke für alle Altersgrup-pen. Gespielt wird auch in englischer und französischer Sprache. Das Programm des Theaters führt den Zuschauer einerseits in eine wundersame Phantasiewelt – be- sonders beeindruckend: „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff, in dem der Schatzhauser einem Sonntagskind dazu verhilft, das leichtsinnig gegen einen kalten Stein getauschte Herz zurück-zuerhalten. Unter den Stücken für Er-wachsene gibt es groteske Einakter von Anton Tschechow oder Bearbeitungen von Geschichten zeitgenössischer Auto-ren wie Michael Kleebergs „Der Kom-munist vom Montmartre“.

Mit Musikkompositionen auf höchstem Niveau, wunderschönen Bühnenbildern und kunstvoll gefertigten Puppen aus der Werkstatt von Siegfried Heinzmann ziehen die Theaterleute das große und kleine Publikum in ihren Bann.So kann es vorkommen, dass der hässli-che Riese fragt: „Als ich dich hier noch schlafend fand, fand, fand... was reimt sich auf fand?“ Und die Kinder antwor-ten begeistert: „Fanta!!!“. Oder ein Kind ruft während der Vorführung zu „Ala-din und die Wunderlampe“ aus: „Besser als Fernsehen!“ Was will man mehr?

Szene aus Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ (2005) Emblem des Theaters „Hans-Wurst-Nachfahren“

30 31

Rebellion am Winterfeldtplatz

Der Gang ins Café gehört in dieser Ge- gend zum Ritual mancher Alt-68er. Sie sitzen am Samstag nach dem Markt oder Sonntag morgens in einem der vielen Cafés und lesen Zeitungen oder disku-tieren. Sie können sagen, sie waren da-bei gewesen, damals, als es am Winter-feldtplatz noch knisterte. Aber sie sagen es nicht oft, denn viele Träume haben sich nicht verwirklicht. Der Kiez um Winterfeldt- und Nollen- dorfplatz im damaligen Postbezirk Schöneberg 30 war einmal ein rebelli-scher Bezirk. Es waren vor allem Stu-denten aus der westdeutschen Provinz,

die sich in den 1960er Jahren in Berlin zum Zweck des Andersseins versammel-ten und neue Lebensmuster ausprobier-ten. Pazifistische junge Männer zogen nach Berlin, denn der dortige Vier-Mächte-Status sah vor, dass West-Ber-liner nicht zur Bundeswehr eingezogen werden durften. Wegen des großen Altbaubestandes und des damals noch gültigen „schwarzen Kreises“ (Mietpreisbindung auf Altbau-ten) konnten sich viele junge Leute zu Wohngemeinschaften zusammen-schließen – oft ohne dass die Vermieter Bescheid wussten. Angebliche Foto-grafinnen, Psychologen oder Juristin-nen mieteten große Wohnungen mit

Untermietserlaubnis an. Irgendwann merkten die Vermieter natürlich, dass die vielen Leute, die sich in der Woh-nung angemeldet hatten, eine Wohn-gemeinschaft bildeten und kein Atelier oder eine Gemeinschaftspraxis. Jedoch gab es auch tatsächliche Rechtsanwälte, die gewitzt genug waren, einen Hinaus-wurf zu verhindern. Viele WGs waren untereinander vernetzt und zogen oft geschlossen zu Protestaktionen gegen Konsumterror, gegen den Vietnam-krieg, amerikanischen Imperialismus, Ausbeutung der Arbeitskraft und Mei-nungsverBILDung. Ein Knistern im Telefon wurde mit einem Gruß an den Verfassungsschutz beantwortet. Manche

68er erkannten im Pflasterstein wieder seine Bedeutung als Waffe. Barbara Klemm, ehemalige Redaktions-fotografin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ verfolgte die Ereignisse mit der Kamera: „Das Foto entstand am Win-terfeldtplatz in Berlin, als US-Präsident Ronald Reagan zu Besuch war. Zwei Studenten hatten mich freundlich mit in ihre Wohngemeinschaft genommen; ich stand auf dem Balkon. Vorher war ich unten auf der Straße gewesen, es flogen dicke Wackersteine, die Polizei hat Tränengas geschossen und man sah nichts mehr. So hatte ich Glück, dass ich von oben herunterfotografieren konnte. Trotzdem hatte ich maßlose Angst.“

Blick in die östliche Winterfeldtstraße 1905 Schlacht auf Winterfeldtplatz, fotografiert von der ehem. Redaktionsfotografin der FAZ Barbara Klemm 11.06.1982

32 33

Ende der 1970er Jahre begannen junge Leute Häuser zu besetzen. Leer stehende Häuser verfielen oder wurden zu teuer saniert, so dass die Bewohner abwan-derten. „Berlin stirbt abrißweise“ stand 1981 auf dem besetzten Haus Winter-feldtstraße 37. Das einstige Haus auf dem Grundstück Maaßenstraße 15, Ecke Winterfeldt-straße 40, fiel einem „warmen Abriss“ zum Opfer. Seit 1881 stand hier ein re-präsentatives dreistöckiges Eckhaus. Im Zweiten Weltkrieg beschädigt, wurde es nach dem Krieg wieder aufgebaut. Eine 1972 durchgeführte Substanzuntersu-chung ergab, dass das Haus erhaltens-wert sei. Die Grundstückseigentümer

planten jedoch einen sechsgeschossigen Neubau. 1980 lag die Abrissgenehmi-gung vor und das Haus wurde entmie-tet. Noch während die Mieter auszogen, ordneten die Grundstücksbesitzer die Zerstörung der Wohnungen an, unter Polizeischutz, da einige Mietparteien nicht freiwillig auszogen. Im Oktober 1981 brannte der Dachboden. Die ver-bliebenen Mieter konnten sich noch retten, die Wohnungen aber waren un- bewohnbar geworden. Der endgültige Abriss konnte nun beginnen. Auf dem leerstehenden und bis auf die Grund- mauern abgebrannten Gebäude war lange Zeit zu lesen: „Das Haus war be- wohnt. Entmietung durch Brandstif-

tung“. Der heutige 6-geschossige Neu- bau wird durch Balkone, Erker und Fens-ter zur Sonnenseite hin aufgelockert. Einem Vergleich mit einem gediegenen Altbau hält das Gebäude jedoch nicht stand.

1980/81 kam es zu Straßenkämpfen wegen des Abrisses der Gebäude in der Goltzstraße und der Winterfeldtstraße. Das plötzliche Einziehen und „Instand-besetzen“ von vorwiegend Jugendlichen beantworteten die Eigentümer in der Regel mit Zwangsräumungen durch die Polizei, in deren Verlauf es zu „flam-menden“ Auseinandersetzungen und Straßenschlachten kam. Sie erreichten

ihren traurigen Höhepunkt im Herbst 1981 als Innensenator Heinrich Lum-mer die Räumung von acht besetzten Häusern veranlasste. Auf die daraufhin stattfindende Protestdemonstration ant- wortete die Polizei mit Wasserwerfern und Hetzjagden. Bei der dadurch ent-standenen Panik geriet der Demons-trant Jürgen Rattay in der Potsdamer Straße unter einen Autobus, der ihn zu Tode schleifte. Zu einer Eskalation führten auch die Krawalle auf dem Nollendorf- und dem Winterfeldtplatz 1981 und 1982. Zur nicht genehmigten Anti-Reagan-Demonstration gegen die US-Politik in Zentralamerika und gegen die Nato

Aus dem Comic „Wo soll das alles enden“ von Seyfried 1978Eckhaus Maaßenstraße 15, Winterfeldtstraße 40 (2005)

Eckhaus Maaßenstraße 15, Winterfeldtstraße 40 nach dem Brand 1981

34 35

versammelten sich 1982 ungefähr 5000 Menschen am Nollendorfplatz. Den Stacheldraht, der sie einkesselte, konnten sie durchbrechen und abends glich der Kiez zwischen Nollendorfplatz und Winterfeldtplatz einem einzigen Schlachtfeld. Die Straßen waren übersät mit unzähligen Steinen und Scherben, Tränengaskartuschen und verbrannten Gegenständen.

Die Barrikadenkämpfe sind inzwischen Geschichte. Wohngemeinschaften sind heute eine akzeptierte Lebensform für jede Altersstufe. Kritik an herrschen-den Verhältnissen und Systemen wird heute differenzierter ausgeübt und die

damaligen Revoluzzer sind in die Jahre gekommen. Viele Häuser entkamen der Abrissbirne nicht; einige konnten je-doch gerettet werden und stehen heute unter Denkmalschutz. Das Haus Winterfeldtstraße 37 besetz-ten und retteten vorwiegend Frauen. Das Frauencafé, das dort eingerichtet war, ist inzwischen verschwunden und jeder Hinweis auf die Rettungsaktion fehlt.

Die Bewohner des Hauses Winterfeldt-straße 25 wehren sich heute noch gegen die „feindliche Übernahme“ durch den jeweiligen Hausbesitzer. Mit ihrem Internetauftritt unter www.w25.de

haben sich die dort noch wohnenden Mieter ein neues Agitationsmedium erschlossen.

Der Zukunftsforscher Robert Jungk schrieb 1978 im Geleitwort zum „1. West- Berliner Stattbuch“: „...wir lassen uns nicht anpassen und stumm machen. Unter der steinernen Oberfläche aus Kommerz und Repression regt sich vielfältig neues Leben, das eine andere Zukunft verheißt.“ – und Jungk erhoff-te sich von der alternativen Bewegung auch „eine Stadt des Lachens, der Feste und des guten Essens“.

Im Bermuda-Dreieck über die „Maaßen“ in die „Nolle“

Das Eingangstor zur Maaßenstraße bilden zwei rosa gestrichene Häuser, als wären sie ein Symbol für das schwul-lesbische Leben, das sich nördlich des Winterfeldtplatzes abpielt. Ein berühm-ter Homosexueller war der Schriftsteller Christopher Isherwood. Er wohnte in der Nollendorfstraße 17 als Untermie-ter. 1935 und 1939 erschienen seine Romane „Mr. Norris steigt um“ und „Lebwohl, Berlin“, in denen er seine Erlebnisse in der Pension von „Fräulein Schröder“ schildert. Wegen seiner sexu-ellen Vorliebe für junge Männer suchte

Protestveranstaltung auf dem Winterfeldtplatz Blick auf die Nordseite des Winterfeldtplatzes und in die Maaßenstraße 1905

36 37

Isherwood besonders gerne das „Bermu-da-Dreieck“ von Schöneberg auf. Die Gegend um die Motzstraße wird von der schwulen Szene als „Bermuda-Dreieck“ bezeichnet. Isherwoods Bücher dienten später als Vorlage für das Musical „Ca-baret“. Die Schwulen hatten sich in den 1920er Jahren den Kiez erobert und heute wieder. Hier treffen sie sich, hier feiern sie ihre Parties. Manche tragen Le-derkleidung, einen Ohrring im rechten Ohr und Silberschmuck an der Haut. Lesben betreiben keinen so auffallenden Kleiderkult mehr wie in den „Roaring Twenties“ des 20. Jahrhunderts. Das Monokel im Auge und der elegante Hosenanzug sind nicht mehr in Mode.

Eine damals berühmte, modisch auf-fallende Schöneberger Lesbe war die Bildhauerin Renée Sintenis, auf die sich folgende Scherzfrage bezog: „Wer ist das größere Kunstwerk: die Person Re-née Sintenis oder ihre Kunstwerke?“ Sie entwarf die Vorlage des Berliner Bären, die Symbolfigur Berlins, wie sie uns seit 1953 im Stadtbild immer wieder begeg-net. (siehe Abb. Seite 43).Moderne Varianten wie der Buddy-Bär zieren heute die Stadt. Die Schriftstellerin Anna Elisabet Wei- rauch (1887 –1970) aus der Zieten-straße 16 schrieb 1919 den dreibän-digen Roman „Der Skorpion“, einen Skandal-Roman, der zur damaligen

Zeit berühmt war: die Liebesbeziehung zwischen der schönen Olga und Mette beginnt in Schöneberg. Ständig bedroht von der bürgerlichen Umwelt emanzi-piert sich Mette doch noch zu einer selbstbewussten Lesbe. Olga dagegen zerbricht an den Zugeständnissen, die sie an die spießbürgerliche Wohlanstän-digkeit macht und erschießt sich.Seit Mitte der 1920er Jahre bis zu ihrem Tod lebten die Autorin und ihre Freun-din zusammen. In den 1930er Jahren siedelten sie von Berlin-Schöneberg nach Oberbayern über. 1961 kehrten sie nach Berlin zurück, wo sie bis zu ihrem Tod im Käte-Dorsch-Heim für ehemalige Schauspielerinnen wohnten.

In der Zietenstraße 20 wohnte der Sprach-forscher Georg Büchmann (1822 – 1884), der mit seiner Sammlung „Geflügelte Wor-te“ berühmt wurde.

In den Cafés und auf den Gehwegen wird gemütlich entspannt, auch wenn das Am-biente eher steinern ist. Nicht nur Häuser und Gehwege, auch Pflanzenkübel sind aus Stein. Die Bewohner lassen sich jedoch nicht einbetonieren. Trotz digitalem Zeit-alter mit der Möglichkeit zur virtuellen Kommunikation nutzen sie die öffentli-chen Plätze als Treffpunkt und manchmal kommt der Leierkastenmann vorbei und spielt alte Berliner Gassenhauer.

Buddy-Bär“, eine moderne Version des Berliner Bären(Initiative von Eva und Klaus Herlitz, Entwurf von Roman Strobl)

Die Schriftstellerin Anna Elisabet Weirauch (1887-1970)

38 39

Von der Gründerzeit bis zum Wiederaufbauplan

Das Eckhaus Goltzstraße 24/Winter-feldtstraße 45 ist ein typisches Haus der Gründerzeit. Grundstücksbesitzer Ernst Janensch begann1887 mit dem Hausbau. Er beauftragte dafür den Ber-liner Architekten Otto Sohre, der auch das Haus in der Winterfeldtstraße 31 entwarf. Durch die offenen Balkone und die ein- ladenden Erker wirkt das 6-stöckige Haus freundlich und aufgelockert. Wie zur wil- helminischen Zeit üblich, ist es zur Stra- ßenseite hin aufwändig verziert. Die stei- len Eingänge werden von Säulen flan-

kiert, die in einem Blumenkapitel en-den. Neben den tatsächlich tragenden Säulen verteilt sich das Säulenmotiv über das ganze Haus. Teilweise sind sie nur angedeutet, aufgemalt oder mit Stuck halb an das Haus gemauert.

Der Innenhof entspricht der 1853 er-lassenen Baupolizeiordnung. Er musste mindestens 5,34 mal 5,34 Meter mes-sen, um der Feuerspritze Raum zum Drehen zu geben. Die – inzwischen ge-schlossenen – Toiletten im Treppenhaus sind Zeugnis einer revolutionären Neu-erung Ende des 19. Jahrhunderts. Bis dahin gab es noch keine Toiletten im städtischen Haus und die stinkenden

Unrateimer entleerten die Frauen in Wassergräben oder auf Wiesen. Wenn diese Eimer tragbares Gas genannt wur-den, lachten alle und die Berliner wit-zelten „Berlin is dufte“. Berlin war aber nicht nur dufte, sondern lebensgefähr-lich. Immer wieder brach aufgrund des Drecks auf der Straße und in der Spree die Cholera aus. Um sie einzudämmen, entwarf der damalige Oberbürgermeis-ter von Berlin und spätere Abgeordnete Arthur Hobrecht mit öffentlicher Un-terstützung des Arztes Rudolf Virchow und dem technischen Wissen seines Bru-ders James Hobrecht ein Kanalisations-projekt. Der Architekt und Ingenieur James Hobrecht sah vor, die Abwässer

nicht mehr in die fließenden Gewässer zu schütten, sondern durch Drucklei-tungen auf weit außerhalb der Stadt ge- legene Rieselfelder zu transportieren. In Schöneberg durfte der Dung nicht mehr auf die bisher dafür vorgesehenen Niederungswiesen beim Nollendorf-platz geschüttet werden. Mit dem zwi-schen 1875 und 1892 fertiggestellten Hobrechtschen Kanal- und Rieselfel-dersystem entwickelte sich Berlin zur damals weltweit saubersten Stadt.1899 komponierte Paul Lincke deshalb für die Operette „Frau Luna“ den be- rühmten Marsch „Berliner Luft“, wel-cher als heimliche Hymne Berlins be-zeichnet wird.

Goltzstraße 24/Winterfeldtstraße 45 im Jahr 2005 Eingang zur Goltzstraße 24

Mädel: Guck doch, Mutter, die schöne Säule!

Maurermeister: Ja, auf die Säule bild ich mir was ein. Mitten mang zwischens Hauptportal so ne Säule bis untern Balkon vom vierten Stock. Das hat mir wenigstens noch keiner vorgemacht.

Der Junge: Is das chorrintisch?

Der Meister: Na, so alles durchein-ander. Man wird sonst leicht zu langweilig.

„Das herrschaftliche Haus“ von Christian Morgenstern (1871-1914)

40 41

Auch die Geschäfte im Haus passten sich der Zeit an, wie man aus den alten Adressbüchern entnehmen kann. So gab es dort eine Kolonialwarenhand-lung, denn auch Deutschland beteiligte sich an der Kolonialisierung ferner Län-der. Die „Posamentenwarenhändlerin“ verkaufte Bandgeflechte zum Schmü-cken der Kleidung, der „Zahnkünstler“ stellte künstliche Gebisse und Zähne her, und die Bezeichnung Bierverleger stand für eine Biergroßhandlung. Im Jahr 2005 gibt es dort einen Frisör, ein Stehcafé, einen Kakaoladen, einen Sus-hi-Imbiss, einen Falafel-Laden und das Lokal „Slumberland“.

Treppenhaus in der Goltzstraße 24 mit Außentoiletten (2005)

Hof der Goltzstraße 24 (2005)

„Berliner Luft“ von Paul Lincke, der Text stammt von Heinz Bol-ten-Baeckers (1899):

„Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft, so mit ihrem holden Duft, Duft, Duft, wo nur selten was verpufft, pufft, pufft in dem Duft, Duft, Duft dieser Luft, Luft, Luft Ja, ja, ja, das ist die Berliner Luft, Luft, Luft, so mit ihrem holden Duft, Duft, Duft, wo nur selten was verpufft, pufft, pufft, das macht die Berliner Luft.“

42 43

Das Eckhaus hat zwei Eingänge. Der Eingang an der Goltzstraße, ursprüng-lich eine Viehtrift, bekam von Anfang an die Nummer 24. Die Winterfeldt-straße, ein ehemaliger Feldweg, bekam 1885 die Bezeichnung Winterfeldtstra-ße. Sie führt von der Potsdamer Straße bis zum Winterfeldtplatz. Vier Jahre später wurde die Straße bis zum Vikto-ria-Luise-Platz verlängert und hieß in diesem Abschnitt Neue Winterfeldtstra-ße. Mit der Vereinheitlichung des Stra-ßennamens 1962 erhielt das Haus die heutige Adresse Winterfeldtstraße 45.

Die Ehrung von Persönlichkeiten durch Straßennamen war und ist heute noch

so wichtig wie eine Denkmalaufstel-lung. Hans Karl von Winterfeldt, ein enger Vertauter König Friedrichs II., durchlief die militärische Laufbahn und fiel 1757 fünfzigjährig in einer Schlacht bei Görlitz. Ihm wurden der Platz und die Straße gewidmet. Die Goltzstraße bekam ihren Namen von Friedrich Goltz (1825–1888), ei- nem preußischen Politiker, der die Ge-meinde Schöneberg in kommunalpoliti-schen Fragen beriet. Karl Georg Maaßen (1769–1834), nach dem die Maaßenstra-ße benannt ist, arbeitete als preußischer Finanzminister und begründete mit Frie- drich Christ Adolf von Motz den deut-schen Zollverein (1834), der erste wirt-

schaftliche Zusammenschluss deutscher Staaten unter preußischer Führung. Ein Gang in die westliche Winterfeldt-straße führt an repräsentativen Häusern vorbei zu schlichten Hausreihen. Die einfache aber durchaus solide und an-sprechende moderne Bauweise ergab sich zwangsläufig aus der Finanzmittel-knappheit und den einschränkenden Vorschriften des staatlichen Wohnungs-baus in der zerstörten Stadt. Nach 1945 war die Unterbringung der Menschen vorrangige Aufgabe. Mit zu den damals am schwersten zerstörten Gebieten zähl- te das Bayerische Viertel in Schöneberg. Der Berliner Wiederaufbauplan in West- Berlin wurde von 1952 bis 1961 zu

über 50 Prozent aus öffentlichen Mit-teln finanziert. Eine Plakette mit dem Bild des Berliner Bären hängt neben den Eingängen. Der Berliner Bär ist das Erkennungszeichen für die staatlich geförderten Häuser im Wiederaufbau-plan.

Haus aus dem Wiederaufbauplan West-Berlins zwischen 1952 und 1961 (2005)

Der Berliner Bär ist ein Erkennungszeichen für staatlich geförderte Häuser im Wiederaufbauplan

Die Form des Bären stammt von der Bildhauerin Renèe Sintenis

44 45

Seniorenwohnhaus und Schulen

Gegen den Abriss des Altbaubestandes in der Goltzstraße westlich des Winterfeldt-platzes formierten sich in den 1970er Jahren Bürgerinitiativen, politische Or- ganisationen und Hausbesetzer. Die ka- tholische Kirche, Besitzerin der Grund-stücke Goltzstraße 26-31, blieb jedoch bei ihrem Plan, die ganze Seite abzurei-ßen und durchgängig Neubauten zu er- richten. Der von ihr beauftragte Archi-tekt G. Maiwald entwarf eine gleich-förmige 6-8-geschossige Bebauung, die 1982 umgesetzt wurde. Das Seniorenwohnhaus „Kardinal von Galen“ belegt nun mit 115 Woh-

nungen die Grundstücke Goltzstraße 26-28. Der schlichte Neubau umfasst einen großem Innenhof und schließt die Habsburger Straße 13 mit ein. Die Balkone werden von den Bewohnern geschmückt und die abgeschlossenen Wohnungen mit eigener Küche sind ge-mütlich und hell. Aus den Fenstern des Seniorenheimes gibt es den besten Blick auf Schöneberg. Das Gemeindehaus Sankt-Matthias ist ein weiterer Neubau in der Goltzstraße 29. Der Hof wird für Veranstaltungen genutzt, wie den Mar-tinsumzug am 11. November. Der Um-zug mit Reiter und Pferd endet hier mit einem Martinsfeuer. Nicht nur Kinder, die dabei singend ihre Laternen tragen,

freuen sich auf dieses alljährliche Fest.Auf den Grundstücken Goltzstraße 30 und 31 steht ein Erweiterungsbau der Sankt-Franziskus-Schule. Die Wand des Schulbaus aus den 1960er Jahren in der Hohenstaufenstraße, Ecke Goltzstraße hat eine interessante abstrakte Wandbe-malung. Die Architektin Zech-Wey-mann war an dem Entwurf beteiligt. Das Gebäude steht unter Denkmal-schutz.

Die Vorläuferin der Schule war die ka-tholische höhere Privat-Mädchenschule, zu der auch eine private Lehrerinnen-Bildungsanstalt gehörte. Heute unter-richtet die katholische Gesamtschule

Kinder bis zur 10. Klasse. In einem Klassenzug wird nach Montessori ge-arbeitet. Die Schule arbeitet mit dem Malteser Hilfsprojekt zusammen, das über den Lehrplan hinausgehende Pro-jekte anbietet.

Auf gleicher Höhe steht seit 1884 auf der Ostseite des Platzes, Ecke Pallasstra-ße 15, die heutige Spreewald-Grund-schule, die früher verdeckt durch eine Häuserfront, eine Hinterhofschule war. Ein von den Schülern geschmückter Eingang führt in ein lichtdurchflutetes Gebäude. Bilder und Projektarbeiten schmücken die Schulflure. Kinder spie-len in den Pausen und unterhalten sich

Blick auf das „Seniorenwohnhaus Kardinal von Galen“ (2005) Sommerlicher Schmuck Hinterhof des Seniorenwohnhauses

46 47

– nicht nur auf deutsch –, denn die Muttersprache ist häufig eine andere.Auf die Förderung der Zweisprachigkeit legt die Schule einen besonderer Schwer-punkt. Die theaterbetonte Grundschule kooperiert mit dem benachbarten Pup-pentheater „Hans-Wurst-Nachfahren“. Und auch die Interessen der Schüler und Schülerinnen werden berücksich-tigt: es gibt ein eigenes Schülerparla-ment.

Die Sankt-Matthias-Kirche

Auf der Südseite des Platzes steht seit 1895 die katholische Sankt-Matthias-Kirche. Sie gehört mit ihren 50 Metern Länge und 25 Metern Breite zu den größten Kirchen Berlins. Der Architekt Engelbert Seibertz entwarf die dreischif-fige neugotische Kirche. Der Turm und die nach oben strebenden Fenster lassen den Blick in die Höhe schweifen. Der 93 Meter hohe Turm war in Schö-neberg weithin sichtbar eine Landmar-ke. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, ist er heute entschieden kürzer. Die Uhr am Kirchturm ist ein Zeitmesser nicht nur für die Gläubigen.

Eingang zur Sankt-Franziskus-Schule in der Goltzstraße/Ecke Hohenstaufenstraße

Wandbemalung an der Fassade der Sankt-Franziskus-Schule

Schulhof der Spreewald-Grundschule, Pallasstraße 15

48 49

Der Stifter der ersten Sankt-Matthias-Kirche in der Potsdamer Straße (heute St. Ludgerus), Matthias Aulike, hatte den besonderen Wunsch, dass Priester aus seiner Heimatdiözese Münster die Seelsorge übernehmen sollten. So kam Clemens August Graf von Galen als Pfarrer von 1919 – 29 an die Kirche. Als späterer Bischof von Münster trat er während des Nationalsozialismus uner-schrocken für die Rechte der Menschen ein. Eine Tafel zu seinem Andenken hängt links neben dem Haupteingang. Er wurde am 9. Oktober 2005 durch Papst Benedikt XVI. selig gesprochen. Von Professor Gailis stammt das Ab-schlussgitter am Hauptportal, darin

ein Löwenkopf eingearbeitet ist. Dieses Gitter ehrt ebenfalls den Bischof von Galen. Seine Münsteraner Gemeinde nannte ihn den „Löwen von Münster“. Im Kirchenfenster am Ostaltar befindet sich ein dritter Hinweis auf ihn: dort ist der Bischof abgebildet.

Ab 1929 hatte die Pfarrerstelle Albert Coppenrath inne, der „Dickkopf vom Winterfeldtplatz“. Auch er bezog leiden-schaftlich Stellung gegen die Hetze und die Lügen der Nazis. Leider gibt es in der Kirche keinen Hinweis auf ihn.

Seit 1977 ist es der gebürtige Münste-raner Pfarrer Edgar Kotzur, der in der

Hauptportal und Turm der Sankt-Matthias-Kirche (2005)

50 51

Sankt-Matthias-Kirche eine lebendige Gemeinde aufgebaut hat. Pfarrer Kot-zur hat auch den Wiederaufbau der Kirche sachverständig unterstützt.1952 begann die erste Aufbauphase. 15 von 26 Kirchenfenstern blieben aus Geldmangel zugemauert. Erst zwischen 1987 und 1993 konnte die Kirche von Grund auf restauriert werden. Bis auf drei wurden alle Fenster geöffnet und vom Kirchenmaler Hermann Gottfried bearbeitet.

Vor dem Hauptportal stehen drei Stein-figuren. Die linke Figur stellt den hei-ligen Ludgerus dar, den ersten Bischof von Münster. Die Steinfigur in der Mit-

te bildet den heiligen Matthias ab, den Namensgeber der Kirche. Rechts steht das Abbild von Johannes dem Täufer, dem Patron des Erz-Bistums Breslau. Die Rosette über dem Hauptportal ist nachts meistens beleuchtet und strahlt in die Stadt hinaus. Die Sandalen des Moses in der Fenstermalerei über der Eingangstür weisen den Kirchenbesu-cher darauf hin, dass dieser Ort „heilig“ ist.

Ein Rundgang durch die Kirche führt an den Kreuzstationen vorbei. Sie sind Originale des Münchener Künstlers Phillipp Schuhmacher aus den Jahren 1907 bis 1915. Es gibt verschiedene

kleine Altäre und Marienbilder. Eine Reliquie vom heiligen Matthias, wird in einem sichtbaren Schrein im östlichen Seitenchor aufbewahrt. Reliquien wa-ren zwar schon im Altertum bekannt, jedoch erst das Christentum hat sie zu einem Teil des Heiligenkultes gemacht.

Am Ostausgang der Kirche hat der Wet-terhahn seinen Platz gefunden. Er fiel 1934 in einer stürmischen Nacht von der Kirchturmspitze. Ein origineller Text zu seinen Ehren ist unter dem Wetterhahn angebracht.

Der Kirchenmaler Hermann Gottfried erläutert nach welchen Kriterien er die

Die gemalten Sandalen des Moses im Kirchenfenster über dem Hauptportal weisen darauf hin, dass die Kirche „heilig“ ist

Der Wetterhahn hat über dem Osteingang einen neuen Platz gefunden. Das Gedicht unterhalb des Wetter-hahns beschreibt sein Schicksal

Das Löwenmedaillon ehrt den Bischof von Münster, Clemens August von Galen

52 53

Fensterbemalung entworfen hat. „Alle figürlichen Darstellungen sind bewusst in weiß bis silbergrauen Tonwerten ge- halten, also in den Farbwerten des ge- samten Fond, um zu einer Entmateri-alisierung der figürlichen Themen zu kommen, womit gleichzeitig die Mög-lichkeit bestand, dem Umfeld Farbe zu geben.“ In der Taufkapelle ist die Rückkehr des „verlorenen Sohnes“ dar-gestellt, umgeben von einem farbigen Re-genbogen. In der Totenkapelle erscheint Joseph ein Engel, um ihn und Maria zur Flucht aus Ägypten aufzufordern. So ent-geht Jesus als Neugeborener dem Tod.Auch die unmittelbare Geschichte wur- de vom Künstler dargestellt: Flücht-

lingsströme, brennende Kleider, zer-störte Städte, ein in der Menschheits-geschichte nie enden wollendes Thema der Zerstörung und eine Aufforderung zur Barmherzigkeit.

Auch eine Art Wunder vollzog sich in der Kirche: in einer Kirchenbroschüre wird die Geschichte des von Wilhelm Polders jun. geschaffenen Altarkreu-zes beschrieben: „Die Geschichte des Kreuzes beginnt 1985. Polders kam in jenem Jahr nach Berlin und besuchte auch den Ostteil der Stadt. Auf dem Rückweg musste er sich stundenlangen Verhören unterziehen. Unter den Ein-druck dieser Erlebnisse kam ihm die

Idee zu einem Kreuz. Sein Leitgedan-ke war: Die Mauer muß weg. Mit der Gestaltung des Kreuzes nahm er diesen Gedanken auf. Er fertigte ein Kreuz mit zerbrochenen Mauern an den vier En-den. Den Corpus bildet ein vergoldeter Bronzeabguß eines von seinem Vater aus Silber getriebenen Christus. 1986 kam das Kreuz nach Berlin. Eine Kirche in Berlin (Ost) kam aus politischen Grün-den nicht infrage. So hing es bis 1989 in der Totengedächtnis-Kapelle. In diesem Jahr wurden die Apsisfenster eingesetzt und das große Hängekreuz von Egino Weinert musste weichen. Am 19. Au-gust 1989 kam das „Mauerkreuz“ in den Altarraum. Es war der Tag, an dem

Reliquie des heiligen Matthias im Ostaltar Der Zug der Vertriebenen, dargestellt in einem der Kirchenfenster

Marienaltar

54 55

die Mauer an der österreichisch-unga-rischen Grenze aufzubrechen begann.“ Pfarrer Kotzur brachte das Mauerkreuz im Altarraum an und erst am Abend erfuhr er in den Nachrichten, dass sich die Mauer geöffnet hatte. Rechts vom Altar steht die Tabernakel-säule, eine Arbeit von Egino Weinert. Das kunstvoll gearbeitete Gehäuse dient als Aufbewahrungsort für die Hostien.

Die Seifert-Orgel mit 74 Registern ist eine der größten Kirchenorgeln Berlins. Sie wurde 1958/1974 von der Firma Seifert & Sohn erbaut. Es finden regel-mäßig Konzerte mit namhaften Künst-lern statt. Die Messen sind gut besucht.

Die Weihnachtsmesse wird nach tradi-tionellem katholischem Brauch gefeiert und die Stimmung ist weihnachtlich, wenn die Gemeinde bei Kerzenschein „Stille Nacht, heilige Nacht“ singt.

Am letzten Tag des Jahres wird vor der Kirche auf dem Winterfeldtplatz mit großem Feuerwerk das alte Jahr verab-schiedet und das neue begrüßt.

Zum Ernte-Dank-Fest geschmückter Altar. Im Altarraum hängt das Mauerkreuz

Die Sankt-Matthias-Kirche an Silvester

56 57

Der Berliner Bierboykott und die Kultur des Essens und Trinkens

Arbeiten, helfen, feiern, diese Lebens-maxime wollten sich auch die Arbeiter nicht nehmen lassen, als sie 1894 zum Berliner Bierboykott aufriefen. Damals sperrten Berliner Brauereien die Bött-cher (Fassbauer) aus, weil sie am 1. Mai die Arbeit niederlegten. Auch der sozialdemokratische Partei-vorsitzende und Reichstagsabgeordnete August Bebel, der um 1900 in der Habs-burger Straße 5 in Schöneberg wohnte, unterzeichnete den Boykott-Aufruf ge-

gen die Brauerein. Nach mehreren ge- scheiterten Verhandlungsversuchen kam es zu einer Einigung mit den Gewerk-schaften. Die Parteizeitung der SPD, der „Vorwärts“, konnte am 29. Dezember 1894 das Ende des Boykotts bekannt geben. Zum Glück dauerte diese bier-ernste Geschichte der sozialen Klas-senkämpfe nur einige Monate und die Gastwirte schenkten bald wieder jede Form von Alkohol aus. Am Winterfeldtplatz gab es seit jeher Lokale, die früher die Kirchgänger zum Frühschoppen einluden, die Spaziergän-gerinnen zum Nachmittagskaffee und die Arbeiter zum Feierabendumtrunk. Die typischen Berliner Eckkneipen mit

rustikalem folkloristischem Ambiente und die Konditoreien mit Häkeldeck-chen sind allerdings verschwunden. Auch die Künstlercafés und Verbrecher-lokale, die Christopher Isherwood in den 1920er Jahren beschrieb, gibt es nicht mehr, die Studentencafés und Hausbesetzer-Treffs gehören ebenfalls der Vergangenheit an. Auch heute ist der Platz gesäumt von Lokalen und Cafés, die gleichzeitig als Gaststätte, Bühne und als Wohnzimmer genutzt werden. Zwischen Autoabgasen und Fußgängern stehen Stühle, Liege-stühle oder einfache Holzbänke und deutsches, indisches, vietnamesisches, oder persisches Essen wird serviert.

Manchmal gesellt sich auch ein Spatz dazu. Das Ambiente der Lokale reicht von weiß gedeckten Tischen über Bi-belzitaten an den Wänden bis hin zu minimalistischer Einrichtung.

Das „Slumberland“ im Eckhaus Goltz-straße 24 / Winterfeldtstraße 45 lädt mit feinem weißem Sand als Bodenbe-lag unter Kunstpalmen oder auf dem Bürgersteig unter echten Linden zum Entspannen ein. Manchmal ist es die letzte Station einer bereits geschrumpf-ten geselligen Gruppe, die durch die Kneipen gezogen ist. Einige haben hier auch schon manche Nacht durchge-schlafen. Als das Szenelokal in den

Alte PostkarteCollage aus „der Berliner Bierboykott von 1894“, Berlin 1980

58 59

1970er Jahren noch „Dschungel“ hieß, trafen sich Studenten und auch Arbei-ter zu hitzigen Diskussionen. Nacht-schwärmer führten ihren westdeutschen Besuch dorthin, weil es seit dem Mau-erbau in West-Berlin keine Sperrstunde mehr gab und die Kneipen bis morgens geöffnet hatten. Seit der Wiedervereini-gung müssen Lokale in der Hauptstadt zwar zwischen 5 und 6 Uhr morgens schließen. Diese Regelung wird den meisten Kneipengängern jedoch kaum auffallen.

Hans Fallada, der seine Kindheit in der Luitpoldstraße 11 verbrachte ( heute steht dort die Werbellinsee-Schule), be- schreibt in seinem Buch „Damals bei uns daheim“ wie eine Abendgesellschaft um 1900 standesgemäß zuhause vorbe-reitet wurde: „Oh, diese wichtige Frage: Koch oder Köchin? Jeder Koch war nach einem alten Glaubenssatz wich-tiger als jede Köchin, aber er war auch teurer und ließ sich nie etwas sagen. ... Was die Speisenfolge anging, zeigte sich der Vater uninteressiert. ... Dafür hatte aber der Vater als rein männliches Geschäft den Wein zu besorgen. An sich wäre auch meine Mutter dafür die Richtige gewesen, denn sie trank we-

nigstens ab und zu ein Glas Wein. Aber die Zeiten waren nun einmal so, dass das Weibliche unter keinen Umstän-den in männliche Vorrechte eingreifen durfte: Männer tranchierten den Bra-ten, rauchten und kauften den Wein, Frauen waren für Küche, Kinder und Dienstboten zuständig.“

Ob wir nicht auch was trinken gehen wollen? – im „Café m“ in der Goltzstra-ße? Es war die erste Berliner Neon-Bar der 1980er Jahre und ist immer noch ein Anziehungspunkt für die Berliner Szene. Daran, dass es einmal „Café Mitropa“ hieß, wie die Bahn-Gastronomiegesell-schaft der ehemaligen DDR, können

sich allerdings nur noch die Älteren erinnern. Auf dem Weg durch die Goltzstraße lohnt sich ein Blick in die Schaufenster der Geschäfte.

„Café m“ (2005)Das Lokal „Slumberland“ im Haus Goltzstraße 24 (2005)

60 61

Freimaurer, Neorenaissance und Moderne

Maurische Terrakotta-Gesichter beob-achten lächelnd die Spaziergänger, wel- che durch die Goltzstraße gehen. Sie schmücken den Sims des Eckhauses Goltzstraße 32/Hohenstaufenstraße 69. Muster und Formen an der Klinkerfas- sade des Hauses ähneln einem Teppich- muster. Das ungewöhnliche Haus wurde 1895 nach einem Entwurf von Richard Landé erbaut und 1951 instandgesetzt.Die Hausfassade trägt viele Freimau-rermotive. Die Freimaurer waren um 1900 wichtig für die Architektur Ber-lins, da sie zu Experimenten bereit wa-

ren und ungewöhnliche, repräsentative Hauskonstruktionen entwarfen. Die große Länderloge der Freimaurer von Deutschland befand sich in der Eisen-acher Straße 11-12, unweit des Winter-feldtplatzes.

Die Balkone des 5-geschosssigen Hau-ses werden von offenen Stahlträgern ge- halten. Die Kacheln sind unterschied-lich angeordnet und glasiert. Dazwi-schen ragen unbehandelte Ziegelsteine hervor. Im unbehauenen Stein sieht sich der Freimaurer selbst, dessen Lebenssinn ein lebenslanges Lernen beinhaltet. Den Mittelpunkt des Türschmucks über dem Eingang Goltzstraße 32 bildet ein

Goltzstraße 32 (2005) Den Dachsims krönt eine Rosette (2005)Figur am Haus Goltzstraße 32 (2005)

62 63

typisches Jugendstilmotiv: ein liegender Mann betrachtet die Sonne. Blätter der mehrfach gefiederten Raute verzieren das Bild, das von einer Pflanzenkette umrankt ist. Die Blätter der gefiederten Raute symbolisieren die mathematische Raute, das Zeichen der Freimaurer. Die Kette bedeutet Verbundenheit und die Strahlen der Gestirne durchdringen die Dunkelheit mit geistigem Licht.

Um das Haus herum ziehen sich Ketten mit runden Bällen. Verschiedene Meri-diane durchziehen die Halbkugeln, wo-bei das Winkelmaß für Aufrichtigkeit, Geradheit und richtiges Handeln steht. Die 32, die Hausnummer, gilt als Zahl

des Herzens und das Herzmotiv findet sich im Deckenstuck der Salons wieder.

Den Dachsims schmückt ein steinerner Rosenkranz. Die Rose ist als Zeichen der Liebe zur Schöpfung das höchste Symbol der Freimaurer. Das Haus erfuhr mehrere bauliche Ver- änderungen. Der Inhaber eines Wäsche-geschäftes verband das Erdgeschoss mit dem ersten Stockwerk und unternahm entsprechende Umbauten. Die Trep-penaufgänge wurden verändert und in neuerer Zeit erhielten einige Fenster Kunststoffrahmen. Geblieben sind die mit einem Eisenrost geschützten Lüf-

tungsschächte der Kellerfenster. Ausge-rechnet in diese Schächte fällt einem mit Vorliebe der Schlüssel oder das Geld aus der Hand. Eine Stange mit einem Haken daran war ein beliebtes Acces-soire der Nachkriegskinder, die damit auf dem Bauch liegend Schätze aus den Schächten fischten. In den repräsentativen Neubau zogen Ärzte, Offiziere und Kaufleute ein. Ein Blick in alte Adressbücher zeigt die Männerknappheit und die veränderte Stellung der Frau nach dem Ersten Weltkrieg. Nun gab es unter den Haus-haltsvorständen der Goltzstraße 32 die Verwalterin, die Ärztin, die Witwe oder ganz einfach die „Frau“.

Aber auch der Nationalsozialismus hin-terließ im Haus seine Spuren: ein Mit-bewohner aus dem Haus Goltzstraße 32 wurde deportiert und 1941 im KZ Lodz ermordet. Das unscheinbare Eckhaus gegenüber, Goltzstraße 23, hat sein einst prächtiges Aussehen eingebüßt. In den 1960er Jah-ren führten staatliche finanzielle Anreize dazu, dass die Hausbesitzer den Stuck an den Häusern abklopfen ließen. Und doch bewahrt das Haus einen Schatz: die Pallas-Apotheke. Von außen un-scheinbar, besitzt sie eine vollständig erhaltene originale Apotheken-Ausstat-tung der Jahrhundertwende.

Ketten von Halbkugeln mit Meridianen und Blumen-motiven umgeben das Haus (2005)

Der Salon im 1. Stock der Goltzstraße 32 ist mit Herz-symbolen verziert (2005)

64 65

1892 ließ der Apotheker Albert Porsch die Apotheke im Stil der Neorenaissance für sich ausbauen. In den nummerier-ten und mit Buchstaben versehenen Nussbaum-Schränken und -Regalen stehen stilechte Porzellangefäße und Fläschchen für Salben und Tinkturen. Schlanke, gedrechselte Holzsäulen mit ionischen Kapitellen unterteilen die Regale. Verglaste Flügeltüren und eine marmorne Ablage vollenden die schöne Handwerksarbeit. In einem Relief über dem Regal ist das Monogramm des er- sten Apothekenbesitzers Albert Porsch „AP“ zu sehen, geschmückt von Füll-hörnern mit Granatäpfeln und anderen Früchten. Ein weiteres Relief zeigt das

Gründungsjahr 1892. Es gibt einiges zu entdecken und zu bestaunen: zum Bei-spiel Mädchenköpfe, welche den Helm der Pallas Athene tragen, der Schirm-herrin der Heilkunst.Werner Liebheit, der jetzige Besitzer, ist zu Recht stolz auf seine kunstvoll ausge-stattete Apotheke.

Apothekeneinrichtung von 1892 (2005)

Oben die Pallas Athene, Schirmherrin der Heilkunst

Emblem über dem Eingang Goltzstraße 32. Die Blätter der Pflanze „Raute“ umranken das Bild. Die Strahlen der Gestirne durchdringen die Dunkelheit

66 67

Der moderne Stil der 1960er Jahre zeigt sich im anschließendem Hauskomplex in der Pallasstraße. In Beton gegossene Glaskugeln verzieren die Hauseingänge und die Treppenhäuser. Das dicke mit Luftblasen versetzte Glas erinnert an mittelalterliche Butzenscheiben.

Ebenfalls aus den 1960er Jahren stammt das gegenüberliegende Gebäude der AOK, Pallas-, Ecke Elßholzstraße. Auch dessen Verzierung besteht aus Glas und Beton. Bügel am Dach unterbrechen die ansonsten klassisch einheitliche Fas-sade. Als durchgezogene Linie geben Glasfenster der Fassade ein elegantes Aussehen.

Auf Glas, Beton und Stahl waren die Bauherren und Architekten in den 1960er Jahren besonders stolz. Mit dem neuen Baumaterial konnte fast jede Form gegossen werden und Glas erhielt durch Zusätze von Farbe und Materia-lien besondere Effekte.

Das AOK-Gebäude in der Pallasstraße 23-24/Ecke Elßholtzstraße 31-32. Das Dach wir durch Betonbügel betont (2005)

Modernes Haus in der Pallasstraße 22-23/Ecke Elßholzstraße 26. Die Hausaufgänge sind mit runden Glassteinen verziert (2005)

68 69

Von der Frauenunterdrückung zur Frauenbildung

„Nicht mehr dienen! Sich einmal nicht mehr schinden, sich nicht hin- und her-jagen lassen, sich nicht mehr ducken um das bisschen täglich Brot“, lässt Clara Viebig (1860-1952) ihre Roman-figur Emma nicht sagen, aber denken. 1900 veröffentlichte Clara Viebig den Berlin-Roman „Das tägliche Brot“. Mine kommt mit einer Freundin aus ihrem Dorf zur Verwandtschaft nach Berlin-Schöneberg, um sich hier als Dienstmädchen zu verdingen. Sie wird erniedrigt und ausgenutzt. Als sie voller Heimweh in ihr Dorf zurückkommt,

ist sie auch dort nicht mehr zu Hause, weil sie nicht den Vorstellungen einer reichen Städterin entspricht. Sie steht müde, arbeitslos und mit einem unehe-lichen Kind vor ihren verständnislosen Eltern. Der Roman endet mit einem Happy End: Mine erhält eine Haus-wartstelle in einem der neu errichteten Häuser in der Neuen Winterfeldtstraße und bezieht mit ihrer Familie eine ganz neue Wohnung, „Trockenwohnen“ in- begriffen. Bevor eine Wohnung bezugsfertig war, wurde sie für einige Zeit unentgeltlich vermietet. Durch die ständige Nutzung trockneten Mörtel und Steine. Die Fol-ge waren Krankheiten bei den Bewoh-

nern, was von Obdachlosigkeit bedroh-te Familien in Kauf nahmen.

Eine Hauswartstelle zu erhalten, gelang im 19. Jahrhundert einer Frau fast nur im Roman. Clara Viebig beschreibt in ihrem Buch auch den ständigen Gang zur Arbeitsvermittlung. Auf dem Win-terfeldtplatz stand seit 1904 eine städ-tische Baracke, die der Arbeitsvermitt-lung von weiblichem Personal diente. Wenn überhaupt eine Stelle ergattert wurde, dann als ungelernte Arbeiterin, Dienstmädchen oder Näherin. Vor der Baracke lockten die Anwerber, bis manche Frau die angebotene Stelle als Damentänzerin annahm.

Der Zugang zu Schulen und Ausbil-dungseinrichtungen war für mittellose Frauen schwierig.

So war die Gründung der „Sozialen Frauenschule“ in Schöneberg unter der Leitung von Alice Salomon im Jahr 1908 ein herausragendes Projekt der bürgerlichen Frauenbewegung. Die Philosophin, Ökonomin und Frau-enrechtlerin Dr. Alice Salomon fand Unterstützung bei der Gründerin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, Henriette Schrader, der Frau des damaligen Schö-neberger Bürgermeisters. 1925 konnte Alice Salomon auf dem Gelände des Pe-stalozzi-Fröbel-Hauses ein Schulgebäu-

Gedenktafel im Hof des Pestalozzi-Fröbel-Hauses Buchumschlag von 1950

70 71

de errichten. Sie setzte ihre Vorstellung um, für die Schülerinnen und Lehre-rinnen einen sonnigen Dachgarten auf dem Haus errichten zu lassen. Als im Zweiten Weltkrieg die Bomben fielen, blieben einige Geschosse in diesem Garten stecken. Der ganze Flügel, der zum Dachgarten führt, ist deshalb noch erhalten. Nach dem Krieg wurde die Schule in „Alice-Salomon-Fachhoch-schule für Sozialarbeit und Sozialpäda-gogik Berlin“ umbenannt. Der Eingang lag im Erweiterungsbau Goltzstraße 44. Im Jahr 1998 zog die Schule nach Berlin-Hellersdorf um. Im historischen Flügel ist jetzt noch das Alice-Salomon-Archiv untergebracht.

Alice Salomon trat 1914 vom Juden-tum zur evangelischen Kirche über. Geehrt für ihre vielfältigen Verdienste durch das preußische Staatsministerium wurde sie dennoch ab 1933 von den Na- tionalsozialisten aus allen öffentlichen Ämtern gedrängt und 1937 im Alter von 65 Jahren zur Emigration gezwun-gen. 1939 wurden ihr die deutsche Staatsbürgerschaft und beide Doktor-titel aberkannt. 1948 starb Alice Salo-mon hochgeehrt in Amerika.In der Hohenstaufenstraße 64 konn-ten Frauen ab 1975 bei „Labrys“, dem ersten West-Berliner Frauenbuchladen einkaufen. Männer hatten keinen Zu-tritt.

Verfolgung und Widerstand unter den Nationalsozialisten

In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen gehörte Schöneberg zu den Bezirken, in denen die Nationalsozia-listen nicht Fuß fassen konnten. Kaum ein Viertel der Schöneberger stimmte 1932 für die NSDAP.Auch die Sankt-Matthias-Gemeinde am Winterfeldtplatz nahm eine kritische Haltung ein.Von 1919 bis 1929 bekleidete Clemens August Graf von Galen (1878 – 1946) das dortige Pfarramt. Anschließend wurde er als Bischof nach Münster berufen, wo er im Namen der katholi-

schen Kirche öffentlich Anklage gegen das Terrorregime des „Dritten Reiches“, gegen die staatliche Kirchenpolitik und das Euthanasieprogramm erhob. Ab 1929 übte der zunächst national ge-sinnte Pfarrer Alfred Coppenrath (1883 -1960) das Pfarramt in der Kirche aus. Als die Hitlerjugend auf dem Winter-feldtplatz Mitglieder der katholischen Jungschar verprügelte und grölend und singend die Messe störte, schimpfte er anfangs nur auf deren „bolschewisti-sches Benehmen“. Erst als Hitler-Scher- gen 1934, im Zusammenhang mit dem Röhm-Putsch, Dr. Erich Klausener, Ministerialdirektor im Reichsverkehrs-ministerium und Vorsitzender der Ka-

„Wenn einmal zugegeben wird, dass Men-schen das Recht haben, ‚unproduktive‘ Mit-menschen zu töten – und wenn es jetzt auch nur arme, wehrlose Geisteskranke trifft –, dann ist grundsätzlich der Mord an allen unproduktiven Menschen, also den unheil-bar Kranken, den Invaliden der Arbeit und des Krieges, dann ist der Mord an uns allen, wenn wir alt und altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben! ... Dann ist keiner von uns seines Lebens mehr sicher: Irgendeine Kommission kann ihn auf die Liste der ‚Unproduktiven’ setzen, die nach ihrem Urteil ‚lebensunwert’ geworden sind! Und kei-ne Polizei wird ihn schützen und kein Gericht seine Ermordung ahnden.“

Auszug aus der Predigt des Bischofs Clemens August Graf von Galen am 3. August 1941 in der Lambertikirche zu Münster

72 73

tholischen Aktion in Berlin, ermorde-ten, bezog Pfarrer Coppenrath offen Stellung gegen den Nationalsozialismus. Er widersprach von der Kanzel herab der amtlich verbreiteten Lüge vom Selbstmord Klauseners und prangerte die Unterdrückung der katholischen Vereine und Orden an. Pfarrer Coppen-rath rechnete ständig damit, von der Gestapo überwacht zu werden. Deshalb bot er den anwesenden Spitzeln der Gestapo von der Kanzel aus an, nach dem Gottesdienst einen Durchschlag mit den aktuellen Kanzelvermeldungen in der Sakristei zu erstehen. Er verlang-te für die Kanzelvermeldungen eine Reichsmark als Spende an die Caritas.

Pfarrer Coppenrath erhielt den Beina-men „westfälischer Dickkopf vom Win-terfeldtplatz“. Er lebte bis 1960.

Der ehemalige Landgerichtsrat Michael Hirschberg wohnte in der Winterfeldt-Straße 8. Er war bis 1933 SPD-Vor- sitzender der Abteilung 8, die den Bü- lowbogen und die Potsdamer Straße umfasste. Nach dem SPD-Verbot im Juni 1933 arbeitete er für die illegale SPD um Alfred Markwitz in der „Gruppe Westen“ und lagerte und verteilte Un-tergrundmaterial. Am 17. Mai 1935 verhaftete ihn die politische Polizei we- gen illegaler Arbeit. Der Mitangeklag-te Walter Löffler erinnerte sich: „Zu

bemerken ist besonders die Haltung des Genossen Hirschberg, eines ’Voll-juden’, der vor Gericht sagte: „Ich war stolz darauf, dass die Arbeiter, die stets mit Misstrauen gegen uns Akademiker erfüllt waren, mir die Aufgaben anver-trauten, illegal die 8. Abteilung weiter-zuführen und in der Widerstandsbewe-gung mitzuarbeiten. Ich habe getan, was ich konnte, um mich dieses Vertrauens würdig zu erweisen und bereue nichts, als dass es mir nicht vergönnt ist, weiter-hin zu kämpfen.“Obwohl schwer misshandelt, bekannte Hirschberg sich zu seiner Arbeit und klagte die Richter des Rechtsbruchs an. Am 20. März 1937 erlag er im Zucht-

haus Brandenburg einem Herzschlag.Die jüdische Schriftstellerin Nelly (eig. Leonie) Sachs, die 1891 im der Maa-ßenstraße 15 (heute12) zur Welt kam, lebte mit ihrer kranken Mutter trotz Berufsverbotes bis 1940 in Berlin. Als experimentelle Schriftstellerin schrieb sie auch skurrile Texte fürs Puppenthea-ter. Noch im letzten Augenblick gelang beiden mit Unterstützung der Freun-din Gudrun Harlan, der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf und des schwedischen Prinzen Eugen die Flucht nach Schweden. Unter Depressionen leidend, widmete sie fortan ihre Texte den sechs Millionen Opfern des Terrors im Dritten Reich. Nelly Sachs erhielt

Pfarrer Albert Coppenrath (1883-1960) Gedenktafel für Michael Hirschberg in der Winterfeldtstraße 8

Dass meine Kanzelvermeldungen zuweilen ‚gefährlich’ sind, weiß ich. Dennoch halte ich mich im Gewissen dazu verpflichtet. Ich sehne mich zwar keineswegs nach dem Martyri-um, aber ich meine, wenn unser Volk die Angstpsychose – vielfach auch noch im Schlaf – überwinden soll, dann müssen wir zunächst erst mal beweisen, dass wir selber k e i n e Angst haben und n i c h t schlafen.

(Brief von Pfarrer Albert Coppen-rath an einen Geistlichen in Müns-ter vom 18. September 1934)

74 75

1966 den Nobelpreis für Literatur und 1970 die Ehrenbürgerwürde von Berlin. Sie starb 1970 in Stockholm.

Die vom Kunstamt Schöneberg veran-staltete Ausstellung „Wir waren Nach-barn“, die im Jahr 2005 im Rathaus zu besichtigen war, führt die vielen Bewohner um den Winterfeldtplatz, die im „Dritten Reich“ aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde deportiert wurden, namentlich auf. Es ist im Gespräch, für diese wichtige Sammlung einen festen Ausstellungs-platz zu schaffen.

Den ehemaligen Sportpalast in der Pal- lasstraße, Ecke Potsdamer Straße 72, nutzten in der Zeit der Weimarer Re- publik alle Parteien als Versammlungs-stätte. Im Anschluss an die letzte SPD-Versammlung am 27. Februar 1933 stand die SA bereits gewaltbereit am Ausgang und verfolgte die Teilnehmer bis nach Kreuzberg. In derselben Nacht brannte der Reichstag. Von nun an hielt ausschließlich die NSDAP im Sportpa-last politische Versammlungen ab und bezeichnete ihn als „Heimstätte ihrer Bewegung“. Am 18. Februar 1943 hielt Josef Goebbels dort vor 15 000 ausge-wählten Anhängern seine berüchtigte Rede, die über Rundfunk ins ganze

Reich übertragen wurde. Auf seine rhe-torische Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“ antworteten die geladenen Teil-nehmer mit Zustimmung und Jubel. Nach der Rede soll Goebbels gesagt ha-ben: „Diese Stunde der Idiotie! Wenn ich den Leuten gesagt hätte, springt aus dem dritten Stock des Columbushauses, sie hätten es auch getan.“ Anfang der 1950er Jahre wurde der kriegs-zerstörte Sportpalast in vereinfachter Form wieder aufgebaut.Das legendäre Sechstagerennen, Karne-valsfeten und Rockkonzerte fanden dort statt. 1958 sorgten die „Halbstarken“ für Schlagzeilen. Ein Rock’n Roll-Kon-zert des Sängers Bill Haley wurde von

der Polizei abgebrochen, nachdem die Zuschauer das Podium gestürmt hatten. Jugendliche, die als „gefährlich, desillu-sioniert und frustriert“ eingestuft wur-den, hinterließen zerschlagene Schein-werfer und kaputtes Mobiliar.

Nachdem die Klingbeil-Gruppe 1973 das Grundstück und einen Teil des um-liegenden Geländes übernommen hatte, wurde der Sportpalast abgerissen und der „Sozialpalast“ mit über 500 Woh-nungen errichtet. „Eines der schönsten Wohnprojekte Berlins“, wie einst an-gekündigt, wurde der Betonklotz mit Sicherheit nicht. Heute nennt sich die Wohnanlage „Pallasseum“. Diesen Na-

Ein Teil des „Pallasseums“ wurde um den Bunker gebautGedenktafel für Nelly Sachs in der Maaßenstraße 12

76 77

men erfand ein dort wohnendes Mäd-chen bei einem Wettbewerb. Das Pallasseum besitzt eine Kuriosität: der große Gebäudekomplex überbrückt nicht nur die Pallasstraße sondern um- schließt auch einen Hochbunker. Der Bunker wurde 1943 für das Fernmelde- amt in der Winterfeldtstraße vorwie-gend von russischen Zwangsarbeitern gebaut. Versuche, ihn in der Nachkriegs-zeit zu sprengen, scheiterten. Trotz der intensiven Bebauung sprießen durch den Asphalt Wiesenblumen: Brennnes-sel, Löwenzahn und Gräser. Sie sind die ursprünglichen Bewohner dieses Areals. Als die Straßen im südlichen Teil des Platzes zwischen 1891 und 1893 ihre

Namen erhielten, befand sich noch der königliche Botanische Garten auf dem Gelände des heutigen Kleistparks.Johann Sigismund Elßholz (1623-1688), Hofmedikus des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, war einer der be-deutendsten Botaniker seiner Zeit. Johann Gottlieb Gleditsch (1714-1786) leitete 40 Jahre lang den Botanischen Garten. Der Berliner Mediziner und Naturforscher Peter Simon Pallas (1741 -1811) bereiste große Teile Russlands und Sibiriens, über die er anschließend mehrbändige Reiseberichte veröffent-lichte. 1910 zog der Botanische Garten nach Steglitz um, die Straßen behielten ihre Bezeichnung.

Der Himmel über dem Winter-feldtplatz

Straßenlaternen unterschiedlichster Art stehen auf und um den Platz vor der Kirche. Die Berliner Aufbruchstimmung um die Jahrhundertwende findet sich in der Form der dekorativen Jugendstil-lampen wieder. Die Vision der autoge-rechten Stadt in den 1950er und 1960er Jahren zeigt sich in den lichtintensiven Peitschenmasten.Hydranten mit Brauchwasser und der Marktbrunnen mit Trinkwasser stehen etwas unbeachtet am Rande des Platzes. Aber sie haben ja auch eigentlich keine de-korative, sondern eine nützliche Funktion.

Der Spielplatz neben der Kirche mit dem hübschen Namen „Paradiesgärtchen“ mit filigranen Zäunen und dem spinnenar-tigen Baldachin verrottet seit 1995. Die kalten Metallbänke werden für kurze Erholungspausen genutzt. Die Kinder lassen den dunklen Platz links liegen, nur einige Jugendliche treffen sich dort. Es gibt genügend Platz zwischen Markt-brunnen, Hydranten und Jugendstil-lampen. Inline-Skater, Rollschuh- und Fahrradfahrer geben dem Platz die sport-liche Note wie es das Bezirksamt 1990 geplant hatte, als er zum Roll-, Ball- und Lauffeld freigegeben wurde. Auch wenn an den restlichen 5 Tagen kein Markt stattfindet, umgeben die

Einer von mehreren Kommentaren, die in einem Zaun am Bunker eingeritzt sind

Beleuchtung auf dem Platz vor dem Theater „Hans-Wurst-Nachfahren“

Doppelarmige Jugendstillampe

78 79

abgestellten Marktstände und -wagen den Platz immer mit einer Marktat-mosphäre. Um den Platz herum fahren Autos und Fahrräder.Im Sommer locken die Linden an den Straßen mit ihrem süßen Duft und Himmel und Wolken verbreiten eine besondere Stimmung von Weite und Leichtigkeit. Der Winterfeldtplatz ist so frei und offen, dass die Sonne ungestört alles beleuchten kann und sich ein me-diterranes Gefühl einstellt. An manchen Tagen leuchtet der Himmel über Schö-neberg golden.

Einarmige Jugenstillampe Moderner Peitschenmast

80 81

Susanne Twardawa, geboren 1952 in Nürnberg, Soziologin und Buchhändle-rin, Kaffeehaus-Literatin mit Liebe zum Spaziergang.

Horst Happatz, geboren 1950 in Wies-baden. Lebt seit 1972 in Berlin, arbeitet als Lehrer und hat sein Interesse an der Fotografie Mitte der 1980er Jahre in den VHS-Kursen der Photowerkstatt Kreuzberg entdeckt und seitdem nicht mehr verloren.

rabugl (eig Daniela von Raffay) Soziologin und Autorin, geboren 1951 in München und seit den frühen 1970er Jahren Wahlberlinerin, konnte im Lauf der Jahre einige Einzelhändler davon überzeugen, sich eine Rampe anzuschaf-fen, um Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen als Kunden zu gewinnen.

Ich bedanke mich bei meinem Freund Wilfried Hepperle, der mir laufend Denkanstöße gibt, bei Esther Distel-dorf, die mir spontan für Recherchen ihre Diplomarbeit anbot, bei Barbara Kilian vom Theater „Hans-Wurst-Nach-fahren“, die mich in kürzester Zeit mit Material versorgte, bei Daniela von Raf-fay, die sofort bereit war, einen Beitrag zu schreiben, bei Horst Happatz, mit dem es Vergnügen macht, auf Bildersu-che zu gehen, bei den Marktleuten, die wir fotografieren durften, bei Pfarrer

Kotzur, der so mitreißend erzählen kann, bei dem Literaturwissenschaftler Alwin Müller-Arnke, der das Manus-kript intensiv gegengelesen hat, bei den Hauswartsleuten und der Leiterin des Senioren-Wohnhauses (Kardinal von Galen), bei allen Freunden und Freun-dinnen, Kunden und Mitarbeiterinnen von Archiven, die uns unterstützt ha-ben.

Susanne Twardawa 2005

Literatur

Walter Benjamin: Berliner Chronik, Nachträge und Rundfunkgeschichten für Kinder 1929-32

Der Berliner Bierboykott von 1894, Sonderdruck 1980 der Berliner Hand-presse

Pieke Biermann: Violetta, Erstveröffentlichung 1990

Hans Fallada: Damals bei uns daheim, Erinnerungen. Erstveröffentlichung 1942

Erdmann Graeser: Lemkes sel. Witwe, Erstveröffentlichung 1907

Christopher Isherwood: Mr. Norris steigt um und Lebwohl Berlin, im Original 1935 bzw. 1939

Orte des Erinnerns. Herausgegeben vom Kunstamt Schöneberg 1995

Gerhard Seyfried: Wo soll das alles enden. Kleiner Leitfaden durch die Geschichte der APO, Erstveröffentlichung 1978

Clara Viebig: Das tägliche Brot, Erstausgabe 1901

Anna E. Weirauch: Der Skorpion. 3 Bände, Erstveröffentlichung 1919

Heinrich Wilhelm Wörmann: Wider-stand in Schöneberg und Tempelhof. Herausgegeben von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand 2002

Bildnachweise:

Happatz, Horst: Titelbild hinten, S. 10 (o.),12 (li. u. re.), 15 (li. o. u. re. u.), 20, 22, 23 (li.), 25, 26 (u.), 27, 37, 38, 39 (li.), 45 (re.), 46 (re.), 47, 48, 50, 51 (re), 52, 53 (o.), 54, 59, 61, 66 (o.), 67 (o.), 77 (re.), 78 (li.), 81 (m.)Karin Schmidt-Ruhland: Titelbild vor-ne, S. 14, 17 (re. o., re. u., li. u.), 19, 49 (re)Galerie Taube, Berlin: S. 5Museen Tempelhof-Schöneberg: S. 6 (re.), 8, 9, 21, 30, 35Dr. Gudrun Schwarz: S. 16 (li. u. re.), 81 (u.)Esther Disteldorf: S. 24 (li. u. re.)Hans-Wurst-Nachfahren: S. 28Barbara Klemm: S. 31Helix GmbH, Marina Krolik: S. 44Kai Vöckle S. 55Dr. Weiss: S. 63Bez.-Amt Tempelhof-Schöneberg. Amt für Geoinformation und Vermessung, Ausschnitt aus der Karte Berlin 1:5000 Blatt Nr. 413A: S. 82Aus dem Buch „Das Dritte Reich“, München 1964: S. 71, 72

82 83

14 1

10

13

1516

2

12

11

95 6

7 843

23

22

21

20

19

1726

24

25

27

18

Adressen

1 Kirche und ehemaliger Standort der Marktwaage

2 Spreewald-Grundschule mit der Lilli Henoch Sporthalle, entworfen von den Architekten Inken und Hinrich Baller

3 Standort der ehemaligen Ruine bis 1997

4 Puppentheater Hans-Wurst-Nachfahren

5 Wohn- und Geschäftshaus in der Gleditschstraße 1, entworfen von den Architekten Inken und Hinrich Baller

6 Winterfeldtstraße 37, eines der ehe-mals besetzten Häuser

7 Winterfeldtstraße 33, hier lebte der Schriftsteller Erdmann Graeser als Kind am Ende des 19. Jahrhunderts (damali-ge Nr. 24)

8 Winterfeldtstraße 25, in diesem Haus wehren sich Mieter heute noch aktiv gegen die Vorgehensweise ihrer Haus-besitzer

9 Winterfeldtstraße 40/Ecke Maaßen-straße, das Vorgängerhaus fiel einem „warmen Abriss“ zum Opfer, heute steht hier ein Neubau

10 Maaßenstraße 12, Geburtshaus der Schriftstellerin Nelly Sachs (eig. Leonie) (1891-1970), heute ein Neubau (Ge-denktafel am Haus)

11 Goltzstraße 24/Ecke Winterfeldt-straße 45, von Otto Sohre entworfenes Gründerzeithaus. Es steht unter Denk-malschutz. In dem Haus befindet sich das Lokal „Slumberland“

12 Häuser der Kirche, entworfen vom Architekten G. Maiwald

13 Goltzstraße 31/Ecke Hohenstau-fenstraße, Sankt-Franziskus-Schule mit abstrakter Hausbemalung, das Haus steht unter Denkmalschutz

14 Toilettenhäuschen (WALL AG), entworfen vom Architektenbüro Klei-hues

15 Goltzstraße 32/Ecke Hohenstaufen-straße, Kachelhaus mit Freimaurersym-bolen, entworfen von Richard Landé. Es steht unter Denkmalschutz

16 Goltzstraße 23, Pallas-Apotheke mit einer Laden-Ausstattung im Stil der Neorenaissance. Sie steht unter Denk-malschutz

84 85

17 Fernmeldeamt (unter Denkmal-schutz), der Eingang ist in der Win-terfeldtstraße. Hier war der „Hop-fengarten“, ein ehemaliger Teil des Botanischen Gartens, der auf dem Areal des heutigen Heinrich-von-Kleist-Parkes lag

18 Hochbunker in der Pallasstraße

19 Pallasstraße/ Ecke Potsdamer Straße 72, Wohnkomplex „Pallasseum“. Auf einem Teil des Grundstücks stand der ehemalige „Sportpalast“

20 Winterfeldtstraße 8, Wohnort des Widerstandskämpfers Michael Hirsch-berg (1889-1937), heute ein Neubau (Gedenktafel am Haus)

21 Zietenstraße 20, Wohnhaus des Sprachforschers Georg Büchmann (1822-1884)

22 Zietenstraße 16, Wohnhaus der Schriftstellerin Anna Elisabet Weirauch (1887-1970)

23 Nollendorfplatz 17, Wohnort des Schriftstellers Christopher Isherwood (1906-1986) (Gedenktafel am Haus)

24 Häuser aus dem Berliner Wiederauf-bauplan von 1952 bis 1961

25 Habsburger Straße 5, Wohnhaus des sozialdemokratischen Politikers August Bebel (1840-1930) und auch eines Stammkunden

26 Luitpoldstraße 11, Wohnhaus des Schriftstellers Hans Fallada (eig. Rudolf Dietzen) (1893-1947). Heute steht dort eine Schule

27 Goltzstraße 44, ehemaliges Gebäude der Alice-Salomon-Fachhochschule, be-gründet von Alice Salomon (1872-1948) (Gedenktafel am Gebäude im Innenhof )

86

Inhalt

Susanne Twardawa

Die gibt es in Buchhandlungen oder direkt im

motzbuchMotzstraße 32 10777 Berlin Fon/Fax: 030 - 2115958 www.motzbuch.de

motzbuch edition

Der Winterfeldtplatz 5

Der Winterfeldtmarkt 12

„endlich samstag!“ 16

Vom Hobrecht-Plan zum Baller-Plan 20

Die „Ruine“ 24

Das Theater am Winterfeldtplatz „Hans-Wurst-Nachfahren“ 27

Rebellion am Winterfeldtplatz 30

Im Bermuda-Dreieck über die „Maaßen“ in die „Nolle“ 35

Von der Gründerzeit bis zum Wiederaufbauplan 38

Seniorenwohnhaus und Schulen 44

Die Sankt-Matthias-Kirche 47

Der Berliner Bierboykott und die Kultur des Essens und Trinkens 56

Freimaurer, Neorenaissance und Moderne 60

Von der Frauenunterdrückung zur Frauenbildung 68

Verfolgung und Widerstand unter den Nationalsozialisten 71

Der Himmel über dem Winterfeldtplatz 77

Literatur 80Plan 82