Das Feature Kahlschlag in der Bukowina Der Ausverkauf der … · 2017. 7. 11. · 5 einen Verstoß...

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1 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Kahlschlag in der Bukowina Der Ausverkauf der Altwälder in den Karpaten Autorin: Andrea Rehmsmeier Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Dlf 2017 Erstsendung: Dienstag, 11.07.2017, 19.15 Uhr Mitwirkende: Autorin: Frauke Poolman Sprecherin 2 (Übersetzungen): Anja Bilabel Sprecher 1 (Mikola Petitschenko): Volker Risch Sprecher 2 (Übersetzer 2): Thomas Balou Martin Sprecher 3 (Übersetzer 3): Hans Gerd Kilbinger Sprecher 4 (Newsreel, Zitate, Ansage): Richard Hucke Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

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    Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

    Das Feature Kahlschlag in der Bukowina Der Ausverkauf der Altwälder in den Karpaten Autorin: Andrea Rehmsmeier Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Dlf 2017 Erstsendung: Dienstag, 11.07.2017, 19.15 Uhr Mitwirkende: Autorin: Frauke Poolman Sprecherin 2 (Übersetzungen): Anja Bilabel Sprecher 1 (Mikola Petitschenko): Volker Risch Sprecher 2 (Übersetzer 2): Thomas Balou Martin Sprecher 3 (Übersetzer 3): Hans Gerd Kilbinger Sprecher 4 (Newsreel, Zitate, Ansage): Richard Hucke

    Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

    © - unkorrigiertes Exemplar -

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    ATMO ANSAGEN AUF DEM BAHNHOF CHERNIVCY, ZUG FÄHRT EIN, ZUGZISCHEN

    QUATSCHEN AUF GLEIS

    AUTORIN:

    Baumstämme, soweit das Auge reicht. 14 Eisenbahnwaggons voller Kiefer

    und Tanne – gerade gewachsen und säuberlich von allem Astwerk befreit. In

    Tschernivzy ganz im Westen der Ukraine, auf den Gleisen des letzten großen

    Bahnhofs vor der Grenze zur Europäischen Union - steht ein ganzer Wald

    zum Abtransport bereit. Unzählige Bäume, gerodet für einen hungrigen

    Weltmarkt: Rohstoff für Pappen, Pellets und Parkett.

    ATMO MIKOLA – VALERA

    AUTORIN:

    „Stop Korúpzia!“ steht auf den Visitenkarten der beiden kräftigen Männer, die

    an diesem Sonntag das nüchterne Kabinett der Bahnhofsaufsicht stürmen.

    „Wer hat am Bahnhof die Aufsicht? Was ist das für Holz? Zeigen Sie uns die

    Frachtpapiere!“. Die Beamtin schaut überrascht aus ihrem Kursbuch hoch. Sie

    richtet sich gerade in ihrem Stuhl auf, und taxiert die Eindringlinge mit

    zusammengekniffenen Augen. „Was bitte soll ich tun? Machen Sie einen

    Termin, und kommen Sie morgen wieder!“ – „Morgen? Morgen sind diese

    Waggons in Europa!“. Doch die uniformierte Frau lässt sich nicht überzeugen.

    „Gar nichts werde ich Ihnen zeigen!“, schimpft sie. „Was denken Sie sich

    eigentlich?“.

    ATMO ZUGZISCHEN QUATSCHEN AUF GLEIS

    Autorin:

    Während einer der Männer die Diskussion fortsetzt, verlässt der andere das

    Büro. Draußen, auf dem Bahnsteig, wählt er die Nummer der Polizei.

    O-TON MIKOLA PETICHENKO TELEFONIERT MIT POLIZEI

    ÜBERSETZER:

    Petitschenko, Mikola ist mein Name. Hier, am Bahnhof von Tschernivzy,

    stehen – Moment: zwei, drei, vier ... - fünf Waggons mit hochwertigem

    Rundholz. Es gibt weitere Holzladungen, aber dabei soll scheint es sich um

    Brennholz zu handeln. Wir von „Stop Korupzia!“ vermuten, dass es sich um

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    hochwertiges Rundholz aus der Ukraine handelt, das falsch deklariert ist. Wir

    fordern, dass die Polizei kommt, und dass sie die Frachtpapiere überprüft und

    die Angelegenheit klärt.

    Musik „Moliendo Café“

    Ansage:

    Kahlschlag in der Bukowina

    Der Ausverkauf der Altwälder in den Karpaten

    Ein Feature von Andrea Rehmsmeier

    Musik „Moliendo Café“

    ATMO VÖGEL FLÜSSCHEN WALD

    O-TON ALEKSANDR KISELJUK IM URWALD

    ÜBERSETZER:

    Hier sehen wir das, was vom Ökosystem Urwald übrig ist. Es gibt Totholz und

    sehr alte Bäume. Der da drüben muss gerade vor kurzem umgefallen sein. Es

    handelt sich um einen Fichtenwald in seiner ursprünglichen Form, ein paar

    Buchen gibt es auch. Die ältesten Bäume sind zwischen 250 und 300 Jahre

    alt. Wie konnte dieser Wald überleben, obwohl direkt hinter dem Hügel das

    nächste Dorf liegt? Nun, die Anhöhe hier ist so steil, dass man die Bäume

    schon aus physischen Gründen nicht roden konnte.

    ATMO VÖGEL FLÜSSCHEN WALD SCHRITTE

    AUTORIN:

    Der Nationalpark Karpaten, nahe der rumänischen Grenze, ist einer von 13

    Waldschutzgebieten in der Ukraine. Aleksándr Kiseljúk atmet die harzige Luft.

    Dann lässt er seinen Blick einen majestätischen Fichtenstamm hochwandern.

    Schnurgerade und ebenmäßig ist der Baum aufgeschossen, jetzt wiegt er in

    der schwindelnden Höhe seine Krone in der Brise. Der Blick des Parkdirektors

    wird finster.

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    O-TON ALEKSANDR KISELJUK IM URWALD

    ÜBERSETZER:

    Seit zehn Jahren verkaufen wir unseren Wald nun schon nach Europa. Wir

    sind zum Rohstofflager geworden, weil unser Holz so schön billig ist. Ich spüre

    jetzt schon, wie alle auf unsere Altwälder schielen, weil da Geld drinsteckt.

    ATMO EINSTEIGEN, FAHRT IM REGEN & STARKREGEN IM AUTO

    AUTORIN:

    Der Wolkenbruch kommt plötzlich. Der Himmel vor der Windschutzscheibe ist

    nachtdüster, die Scheibenwischer kommen kaum gegen die herabstürzenden

    Regenmassen an. Kiseljúk biegt von der Waldstraße ab: Hier endet das

    Territorium des Nationalparks, signalisiert ein Straßenschild. Die Bäume, die

    hier die Straßen säumen, gehörten zu einem staatlichen Forstbetrieb.

    O-TON ALEKSANDR KISELJUK IM AUTO

    ÜBERSETZER:

    Diese Straße hier, die die Anhöhe heraufführt, ist für den normalen Verkehr

    gesperrt. Gerade vor ein paar Jahren wurde sie gebaut – und, schwupps,

    schon ist der ganze Berg kahlgeschlagen. Ich verstehe ja, dass Holz

    gebraucht wird. Aber man muss dem Wald doch eine Chance zum

    Nachwachsen geben! Einfach so alles kahlschlagen...

    MUSIK „Besh O Drom“

    AUTORIN:

    Wälder, die sich in kahle Flächen verwandeln, Züge mit ukrainischen Bäumen,

    die in Richtung Europäische Union davon fahren – solche Bilder bewegen

    viele Ukrainer, wie sonst nur die Annexion der Krim und der Krieg im Osten.

    Aus diesem Grund hat Kiew im Jahr 2015 einen Exportstopp für hochwertiges

    Rundholz erlassen - zunächst für bestimmte Holzarten, seit Anfang 2017 in

    vollem Umfang. Eine Maßnahme, die die ukrainischen Wälder vor

    Übernutzung, und die holzverarbeitenden Betriebe vor übermächtiger

    Konkurrenz aus dem Ausland schützen soll. Die EU-Kommission aber sah

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    einen Verstoß gegen die geltenden Freihandelsvereinbarungen, und drohte,

    Finanzhilfen nicht auszuzahlen.

    MUSIK „Besh O Drom“

    AUTORIN:

    Nirgendwo wird das Thema so heiß diskutiert wie in der Búkowina. In dem

    Karpaten-Landstrich zwischen der Ukraine und Rumänien sind die Wälder

    dicht, und das reiche Ausland ist nah. Búkowina: „von Rotbuchen bewachsen“,

    lautet die wörtliche Übersetzung. In der Búkowina der Gegenwart sind die

    meisten Buchen den schnell wachsenden Tannen gewichen, und das lang

    gestreckte Karpatengebirge ist der Länge nach durchschnitten von einer

    Grenze, die angeblich zu den bestgesicherten der Neuzeit gehört: der

    Außengrenze der Europäischen Union.

    ATMO EINSTEIGEN, AUTOFAHRT MIT MUSIK

    AUTORIN:

    Mikóla Petitschénko, der Aktivist, ist in der Bukowina berühmt und berüchtigt,

    sein Gesicht ist bekannt aus vielen Fernsehinterviews. Für die einen ist er ein

    unerschrockener Gerechtigkeits-Kämpfer, für die anderen Persona-non-grata.

    Wer ihn kennt, der weiß: Mikóla ist Lebenskünstler - ohne Mittel, aber mit einer

    unüberschaubaren Zahl an Kumpels, die ihm ihre Autos leihen und seinen

    Kreuzzug gegen die Korruption nach Kräften unterstützten. Recherchen über

    Schmiergeld und Schmuggel, das weiß Mikola aus eigener, leidvoller

    Erfahrung, sind in dieser Gegend ein waghalsiges Geschäft.

    O-TON MIKOLA PETICHENKOS

    ÜBERSETZER:

    Es gab einmal eine Zeit, da dachte ich, in der Ukraine sei alles besser

    geworden. Das war im Jahr 2010. Und tatsächlich: All die Leute, die heute

    nicht einmal die Nebenkosten für ihre Wohnungen bezahlen können,

    verdienten damals gar nicht so schlecht. Alle schwärmten von Veränderungen.

    Darum bin damals ich aus den USA zurückgekehrt, wo ich ein paar Jahre in

    der Behindertenbetreuung gearbeitet habe. Ja und dann ... ach, das ist eine

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    lange Geschichte ... dann hatte ich hier meinen Zusammenstoß mit den

    Schmugglern.

    ATMO AUTO

    AUTORIN:

    Kurz geschorene Haare, tiefbraune Augen, bärenhafte Statur – alles an dem

    43-Jährigen scheint groß und rund. Die Bewegungen seiner Hände aber sind

    zackig und rastlos.

    O-TON MIKOLA PETICHENKO IM AUTO

    ÜBERSETZER:

    Damals habe ich Land gekauft, ich wollte ein Freizeitheim für Touristen

    aufmachen. Und ich wollte eine Familie gründen – tja, und das war das

    Problem. Denn meine Zukünftige – ich dachte wirklich, das wäre sie – war im

    „System“.

    ATMO AUTO

    AUTORIN:

    Das „System“: Mikolas Codewort für die Netzwerke, die im ukrainisch-

    rumänischen Grenzgebiet vom Zigarettenschmuggel leben - ein

    engmaschiges Beziehungsgeflecht aus Funktionären, Forstangestellten und

    Financies, Grenzgängern und Grenzschützern, Zertifikatsfälschern und

    Zollbeamten.

    O-TON MIKOLA PETICHENKO IM AUTO

    ÜBERSETZER:

    Während ich mit dem Papierkram beschäftigt war, hat sie mein Geld still und

    heimlich in den Zigarettenschmuggel investiert. Als ich endlich – viel zu spät –

    dahinter kam, sagte ich ihr: „Gib mir mein Geld zurück und scher dich zum

    Teufel!“ Da hat sie ihre Kumpanen beauftragt, mich umzubringen – das

    glauben Sie nicht? Ich kann Ihnen die Dokumente vom Gerichtsprozess

    zeigen! Sie lauerten mir auf, sie haben mich zwei Stunden lang verprügelt, mit

    der Pistole am Kopf. Und sie drohten mir: „Sei bloß vorsichtig, wir sind im

    System! Wir haben allerbeste Beziehungen nach Kiew. Versuche ruhig, etwas

    gegen uns zu unternehmen!“.

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    ATMO AUTO

    AUTORIN:

    Der Überfall ereignete sich im Jahr 2012. Mikola erkannte die Schläger, und

    zeigte sie an. So wie er bislang jeden anzeigt hat, den er als Mitglied des

    „Systems“ identifizieren konnte. Seitdem lebt er gefährlich. Sein PKW ging in

    Flammen auf, Mikola selbst aber ist bislang immer irgendwie davon-

    gekommen.

    MUSIK „007 (JAMES BOND THEME)“

    AUTORIN:

    Das Geschäft mit illegalem Holz ist eine Boombranche der organisierten

    Kriminalität: Interpol schätzt den weltweiten Jahresumsatz auf mindestens 11

    Milliarden US-Dollar.

    MUSIK „007 (JAMES BOND THEME)“

    ATMO QUAKEN, KIESSCHRITTE, GATTERTOR

    AUTORIN:

    Die Bergwelt ist sattgrün, ein vorbeifließender Bach speist unzählige Tümpel.

    Wäsche flattert in der Brise, und in den Gewächshäusern kann man Gestalten

    entdecken, die sich über Pflanzenstauden beugen. Auf einem umzäunten

    Gelände leuchtet eine frisch lackierte Gewerbehalle in Rot und Beige, deren

    Tore weit geöffnet sind.

    ATMO SÄGE EINSCHRAUBEN, SCHLEIFEN

    AUTORIN:

    Eine Gruppe Männer hat sich um eine Werkbank versammelt. Evgénij

    Mándrik, der Chef des Holzbetriebs, ist ein zierlicher Mann mit auffallend

    blauen Augen, die hell aus seinem wettergegerbten Gesicht leuchten. In der

    Holzbranche ist er ein Quereinsteiger. Gut zehn Jahre ist es her, seit sich der

    ausgebildete Automechaniker überlegt hat, ob ein gut geführter Betrieb in

    einem krisengeschüttelten Staat wie der Ukraine wohl eine Chance hat:

    nachhaltig, ökologisch, mit angemessenen Gehältern und sozialer

    Absicherung für die Angestellten. Heute ist Mándrik der Chef eines

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    Vorzeigeunternehmens, das schon viele seiner Wettbewerber überlebt hat.

    Allerdings hat auch er oft zu kämpfen.

    O-TON EVGENIJ MANDRIK

    ÜBERSETZER:

    Meine größte Sorge ist der Nachschub an Rohstoff. Auf einer staatlichen

    Holzauktion kann man vielleicht 120 Kubikmeter ergattern – so viel kann man

    innerhalb einer Woche verarbeiten. Wir aber müssen damit drei Monate

    auskommen, denn die Auktionen finden nur viermal im Jahr statt. Was das

    soll, das verstehe mal einer...

    ATMO WERKSTATT

    AUTORIN:

    Mangel an Holz? Mit einem Unternehmenssitz mitten in der Búkowina, wo sich

    der Wald nach allen vier Himmelsrichtungen erstreckt? – Tatsächlich.

    Mandriks Kollegen machen die gleiche Erfahrung. Denn die Staatliche

    Forstagentur, die die Holzauktionen organisiert, ist der Monopolist auf dem

    ukrainischen Markt für Rundholz. Und die versorgt nicht nur Staatsbetriebe

    unter dem eigenen Dach, sie verdient auch mit an dem Verkauf des begehrten

    Rohstoffs an das kaufkräftige Ausland. Darum hat sich Evgénij Mándrik, wie

    viele andere Unternehmer auch, dafür eingesetzt, den Holzexport per Gesetz

    verbieten lassen. Am Ende, zu seiner eigenen Überraschung, hat es geklappt.

    O-TON EVGENIJ MANDRIK

    ÜBERSETZER:

    Vor dem Moratorium haben wir gedacht, dass es für uns vorbei ist mit dem

    Holz. Jetzt ist unsere Seele beruhigt, dass der Nachschub gesichert ist. Die

    Europäer zahlen schließlich in harten Euro und Dollar. Aber wir können nur in

    Grivna zahlen. Darum würden unsere Funktionäre den Wald am liebsten an

    wen auch immer verschachern, nur nicht an uns. Und wir? Sollen wir etwa

    Steine säen?

    Musikakzent „Tu Romnie“

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    AUTORIN:

    Nicht nur die Europäer, sondern auch die Staatliche Forstagentur steht in der

    öffentlichen Kritik. In ihren Aufgabenbereich fällt alles, was auch nur entfernt

    mit Waldpflege und Holzwirtschaft zu tun hat: Umwelt- und Artenschutz,

    Rodung und Wiederaufforstung, Holzverkauf und Holzverarbeitung. Die

    Behörde, die ihren Angestellten Monatsgehälter von durchschnittlich 230 Euro

    auszahlt, hat ein Korruptionsproblem: Allein im Jahr 2016 wurden 744

    Angestellte zur disziplinarischen Verantwortung gezogen, weil sie illegale

    Rodungen veranlasst oder gedeckt hatten. 79 von ihnen wurden entlassen.

    Gegen den Vorwurf der kommerziell betriebenen Kahlschlagpolitik aber

    verwahrt sich die Forstagentur. Sie begründet die vielen Rodungen mit dem

    Klimawandel: 2016 seien in den untypischen Dürreperioden der vergangenen

    Sommer 36.000 Hektar Wald vertrocknet.

    ATMO LOSFAHREN & DURCHS DORF FAHREN

    AUTORIN:

    Vadím Jakovyschyn hat einen Job, in dem er viel unterwegs ist: Als

    Beauftragter für Wiederaufforstung managt der Forstbeamte die

    Baumschulen, er legt Samenbanken an und begutachtet die Rodungsplätze.

    Auch in seinem Zuständigkeitsgebiet blieb mancherorts nur der Kahlschlag als

    Schutz vor einer drohenden Schädlingsplage. Die Gerüchte jedoch, unter dem

    Dach der Staatlichen Forstagentur werde mehr gerodet als öffentlich bekannt,

    ärgern den jungen Forstwirt.

    O-TON VADIM JAKOVYSCHYN IM AUTO

    ÜBERSETZER:

    Es gibt viele Privatinteressen in der Holzbranche. Warum sonst sollte jemand

    Gerüchte darüber verbreiten, was für schlimme Probleme es in unserer

    Forstwirtschaft gibt, obwohl es die nie gegeben hat? Und es hat ja geklappt:

    Am Ende hat dieses unsinnige Holzexport-Verbot das Parlament passiert.

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    Schuld daran sind Privatunternehmen. Sie haben ein Geschäftsinteresse

    daran, unsere staatlichen Betriebe als Konkurrenz auszuschalten.

    ATMO LKW STOPPEN

    AUTORIN:

    Vor der Windschutzscheibe taucht ein hoch beladener LKW auf. Der

    Forstbeamte springt aus dem Wagen und winkt den Fahrer an den

    Straßenrand. Dann inspiziert er mit Kennerblick die Ladung. Alle Stämme

    tragen einen Plastikchip mit einer neunstelligen Nummer, die die Herkunft

    jedes einzelnen Stammes rückvollziehbar machen soll.

    O-TON VADIM JAKOVYSCHYN

    ÜBERSETZER:

    Auf der Website unserer Forstagentur kann man diese Nummer eingeben, und

    dann erhält man sämtliche Informationen über den Stamm: Art, Länge und

    Durchmesser.

    ATMO PRODUKTIONSHALLE SÄGEWERK

    AUTORIN:

    Nachhaltig, rückvollziehbar und transparent für jeden Bürger: Das staatliche

    Waldmanagement ist deutlich besser, als Medienberichte die Öffentlichkeit

    glauben machen, findet Jakovyschyn. In dem Karpatenstädtchen Starschinzy,

    vor dem Gelände eines kleinen Sägewerks, parkt er seinen Wagen. 41

    Mitarbeiter hat der Betrieb der Staatlichen Forstagentur. Frauen in Kitteln und

    Kopftüchern bedienen die Sägemaschinen: Hier werden Stämme zu Balken,

    und Balken zu Brettern. Auf dem Hinterhof liegen haushohe Stapel mit

    Buchenbrettern zur Abholung bereit.

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    O-TON TATJANA OSTAFITSCHUK

    ÜBERSETZERIN:

    Hier lagern wir die Bretter auf Paletten. Und das hier ist unsere

    Trocknungsanlage. Hier wird das Holz getrocknet, bis es eine rote Farbe

    annimmt. Und dann schicken wir es nach Ägypten.

    ATMO SCHRITTE, QUATSCHEN DRINNEN

    AUTORIN:

    Tatjána Ostafitschúk, die leitende Ingenieurin, ist eine resolute Dame in ihren

    40-ern. Verarbeitetes Holz in Form von Brettern oder Möbeln ist von dem

    geltenden Holzexportverbot nicht betroffen, und so liefert der kleine

    Staatsbetrieb seine Produkte ohne Einschränkung an Kunden von Nahost bis

    Europa. Auch im eigenen Land steige das Interesse an hochwertigen

    Holzprodukten, berichtet die Ingenieurin. An Aufträgen herrsche kein Mangel,

    und auch ein Defizit an Rohstoffen kennt sie nicht.

    O-TON TATJANA OSTAFITSCHUK

    ÜBERSETZERIN:

    Wir brauchen kein Holz von weit her zu bestellen, denn die Forstagentur

    betreibt ja ihre eigenen Forstunternehmen. Wir brauchen dort also nur

    bekanntzugeben, was wir benötigen. Alles stammt aus unserer Region und ist

    zu 100 Prozent zertifiziert. Anderes Holz verarbeiten wir gar nicht, nur unser

    eigenes.

    ATMO SCHRITTE QUATSCHEN DRAUSSEN

    AUTORIN:

    Auf den Stapeln prangt eine waldgrüne Plakette mit den Buchstaben „FSC“.

    Das internationale Siegel des „Forest Stewardship Council“ ist nachweislich

    umweltfreundlichen Betrieben vorbehalten und soll illegale Rodungen

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    ausschließen. Vadím Jakovyschyn lächelt mit unverhohlenem Stolz: Die

    ukrainische Holzwirtschaft, sagt er, ist bereit für den Weltmarkt.

    O-TON VADIM JAKOVYSCHYN

    ÜBERSETZER:

    Wenn wir unsere Produkte exportieren wollen, dann will die EU – wie

    inzwischen fast alle Staaten - das FSC-Siegel sehen. Heutzutage wollen alle

    100-prozentig sicher gehen, dass es sich um Holz aus legalen Rodungen

    handelt. Für eine FSC-Zertifizierung muss man bestimmte Auflagen erfüllen,

    vom Artenschutz bis zu sozialen Kriterien wie die Einbindung der örtlichen

    Bevölkerung. Wir setzen das alles gewissenhaft um, und bislang fahren wir

    gut damit. Unser FSC-Zertifikat wurde gerade zum vierten Mal verlängert.

    AUTORIN:

    Über 50 000 Hektar Wald hat die Staatliche Forstagentur im Jahr 2016 durch

    Kahlschlag roden lassen – eine Methode, die auf großflächigen Holzschlag

    setzt, ohne die Bäume einzeln zu selektieren. Nach dem Gesetz müssen die

    kahlen Flächen nach zwei Jahren wieder vollständig mit jungen Bäumen

    bewachsen sein. Laut Forstagentur wird das durchgehend eingehalten. Aus

    dem Weltall betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild. Die Auswertung von

    Satellitenbildern durch die Organisation Globalforestwatch.org hat ergeben,

    dass die Ukraine in den Jahren 2001 bis 2015 knapp 700.000 Hektar

    Waldfläche verloren hat. Nachgewachsen ist nur gut die Hälfte.

    ATMO JEEP AUF HUCKELPISTE

    AUTORIN:

    Mikóla hat von einer frischen Rodungsstelle gehört, die er besuchen will.

    Hinter der Stadtgrenze öffnet sich der Blick auf eine sattgrüne Bergwelt, schon

    bald geht die Straße in Serpentinen über. Doch je weiter sich der Wagen dem

    Grenzgebiet nähert, desto öfter fressen sich kahle Flächen in den eigentlich so

    dichten Wald. Eine Piste führt mitten ins Dickicht. Der Wagen ächzt: Hier

    haben ungezählte, schwer beladene Fahrzeuge tiefe Krater hinterlassen. Von

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    einer Bergkuppe schaut man auf eine Wiesenlandschaft mit ein paar

    übriggebliebenen Bauminseln. Mit finsterem Blick lauscht Mikóla dem

    Geräusch einer Kettensäge, die irgendwo in der Gegend ihr Werk verrichtet.

    O-TON MIKOLA PETICHENKO BEI DEN RODUNGEN

    ÜBERSETZER:

    Natürlich gehören Rodungen zur Waldpflege dazu. Aber das hier ist doch

    keine Waldpflege! Hier legen sie alles in Schutt und Asche. Dabei ist das hier

    offiziell ein Landschaftsschutzgebiet, Kahlschlag ist hier verboten! Aber so ist

    das überall. Hier haben früher Eichen und Buchen gestanden, aber jetzt

    wächst nur Gestrüpp nach. Besonders den teuren Eichen dichten sie

    Krankheiten und Pilzbefall an. Dann können sie sie als Brennholz deklarieren

    und fällen.

    ATMO MÄNNERGRUPPE RUFEN, DORF

    AUTORIN:

    Unten, im Dorf Drátschinzy, hat sich ein Männergrüppchen rauchend bei der

    Bushaltestelle versammelt. Wissen sie, was in den umliegenden Wäldern vor

    sich geht?

    ATMO JUNGER TYP FLUCHEN UND LACHEN

    AUTORIN:

    „Unser Land ist ein Saustall“, legt einer los, und lässt eine derbe Schimpftirade

    folgen. Die Umstehenden lachen los. Doch sie werden schnell wieder ernst.

    Seit Jahren benutzen die Forstfahrzeuge die Dorfstraße für ihre

    Holztransporte, berichten sie dann.

    O-TON BUSFAHRER IVAN

    ÜBERSETZER:

    Die fahren hier vorbei. Die steigen nicht aus und sprechen mit den Leuten.

    Auch nicht, warum sie so oft des Nachts arbeiten. Sie haben den Auftrag:

    Bäume fällen! und den führen sie aus. Wissen Sie, was mich daran am

    meisten stört: Früher hat man nur im Winter gerodet. Jetzt aber schlagen sie

    auch im Sommer! Wenn die Bäume grün sind! Das ist eine Sünde!

    ATMO DORF

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    AUTORIN:

    Der Mann stellt sich als Iván vor. Früher war er Polizist, heute beträgt seine

    Rente umgerechnet 50 Euro im Monat. Er hat sich einen kleinen Reisebus

    gekauft, und verdient damit seinen Lebensunterhalt.

    O-TON BUSFAHRER IVAN

    ÜBERSETZER:

    Wie oft haben wir schon protestiert! Wie oft haben wir die Straße blockiert,

    damit die Transporter nicht zum Wald durchkommen. Damit sind wir sogar ins

    Fernsehen gekommen – doch keine Reaktion! Nichts hat sich geändert.

    Letztes Jahr haben sie mit ihren schweren Maschinen in der Nähe eine

    Brücke zerstört. Und wer hat die Reparatur bezahlt? Die Leute, die dort am

    Fluss wohnen – mit ihrem privaten Geld!

    ATMO MÄNNERQUATSCHEN

    AUTORIN:

    Wald gerodet wird großflächig, wiederaufgeforstet spärlich, bestätigen die

    Dorfleute. Sie zeigen auf die Häuser, die sich entlang der Landstraße

    aufreihen: Viele sind verfallen, ihre Fenster sind tot. Der Karpatenwald,

    erzählen sie, hat seit Generationen das Leben und den Alltag der Menschen

    bestimmt. Er lieferte ihnen Baumaterial, Brennstoff und verlässliche

    Arbeitsplätze als Holzfäller, Tischler oder Jäger. Jetzt aber ziehen die jungen

    Leute weg. Wer in den ukrainischen Großstädten keine Arbeit findet, verdingt

    sich in Rumänien, England oder Deutschland als Kindermädchen oder

    Altenpfleger, Trockenbauer oder Fliesenleger. Das Drátschinzy der Gegenwart

    ist ein Dorf der Großeltern und Enkelkinder, das von Überweisungen aus dem

    Ausland lebt. Doch auch damit, fürchten die Leute, könnte es bald vorbei sein:

    Der Klimawandel gefährdet die Grundwasserversorgung. Wie es weitergeht,

    das wissen sie nicht.

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    O-TON GREIS

    ÜBERSETZER:

    Früher gab es so etwas nicht. Aber dann kam diese schreckliche

    Sommerhitze, ohne jeden Regen. Die Leute, die höher in den Bergen wohnen,

    sind noch schlimmer dran, ihre Brunnen sind noch früher ausgetrocknet. Jetzt

    müssen wir unser Wasser kaufen, und das wird immer teurer. Im Sommer

    habe ich drei Tonnen in meinen Brunnen gegossen. Am nächsten Morgen

    stehe ich auf, da ist es schon versickert.

    AUTORIN:

    Im Jahr 2014, bevor das Moratorium in Kraft trat, hat die Ukraine 2,5 Millionen

    Kubikmeter Qualitäts-Rundholz exportiert, davon 90 Prozent in die

    Europäische Union. Ukrainische Bäume für europäische Konsumgüter - wird

    es bald so weitergehen, wie es vor 2015 war? Will Brüssel gar die Ukraine

    zwingen, ihren Wald dem Kahlschlag preiszugeben? Die EU-Kommission

    verwahrt sich gegen diesen Vorwurf. Man teile den Wunsch der ukrainischen

    Bevölkerung, Natur und Wälder zu schützen, und werde die Einrichtung von

    Schutzzonen unterstützen, teilt sie auf einer Internetseite mit. Das Export-

    Moratorium jedoch verstoße gegen den Freihandel, heißt es weiter. Es habe

    sich als Instrument des Waldschutzes als untauglich erwiesen. Mehr noch: Es

    habe illegalen Kahlschlag und Holzschmuggel profitabler gemacht.

    ATMO CAFETERRASSE

    AUTORIN:

    Mikóla zieht tief an seiner Zigarette. Ja, tatsächlich. Kahlschlag und

    Holzschmuggel sind seit Inkrafttreten des Moratoriums keinesfalls geringer

    geworden, das hat er selbst beobachtet. Den Holzexport-Stopp zu beenden,

    hält er dennoch für falsch.

    O-TON MIKOLA PETITSCHENKO

    ÜBERSETZER:

    Wieviel Holz exportiert die Ukraine dem Moratorium zum Trotz! Wenn sie den

    Exportstopp aussetzen, dann werden sie legal noch zehn Mal mehr

    exportieren! Und wir, die einfachen Leute, sind machtlos! Dann können wir

  • 16

    nicht einmal mehr die Illegalität der Exporte nachweisen. Die Europäer

    interessieren sich einen Dreck für die Gründe unseres Moratoriums. Sie

    wollen Fenster und Türen aus Naturstoff – und den kriegen sie nirgendwo

    billiger als bei uns. Denn bei uns wird der illegale Kahlschlag von der

    Regierung und vom Gesetz gedeckt - das ist bequem für alle! Abertausende

    Hektar Wald verschwinden – und alle schweigen dazu!

    ATMO RANGIEREN

    AUTORIN:

    Stämme in Stapeln, Bretter in Packen, Späne in Haufen: Das Städtchen

    Berehomét, auf halber Strecke zwischen Tschernivzy und der rumänischen

    Grenze, ist ein bedeutendes Zentrum des holzverarbeitenden Gewerbes. Hier

    reiht sich Sägewerk an Sägewerk. Die Lebensader des Ortes ist seit

    Sowjetzeiten eine Eisenbahnstecke, die von hier aus direkt ins rumänische

    Radaúti führt – dorthin, wo die österreichischen Konzerne Schweighofer und

    Egger sowie weitere rumänische Holzbetriebe ihren Sitz haben. Mikóla

    Petischénko steht am Rande des Bahngeländes und beobachtet einen

    Lastkran, der Stämme von einem LKW auf die Waggons lädt.

    O-TON MIKOLA PETICHENKO

    ÜBERSETZER:

    Hier, bei den Gleisen, ist der Startpunkt für die Waggons. Schauen Sie sich

    diese Fuhre an! Das ist Eiche, die wertvollste Holzart. Vielleicht sind nicht

    sämtliche Stämme von höchster Qualität, aber es sind viele gesunde Bäume

    darunter, das kann man sehen. Um sie nach Rumänien exportieren zu

    können, werden sie als Brennholz deklariert.

    ATMO RANGIEREN

    AUTORIN:

    Wird an Verladestellen wie diesen systematisch hochwertiges Rundholz unter

    das minderwertige gemischt? Dieser Verdacht wird in den Medien geäußert.

    Auch Mikola ist sich sicher, dass „Brennholz“ das Zauberwort des illegalen

    Holzexports ist. Das morsche Holz kranker Bäume, unbrauchbar für die

  • 17

    Weiterverarbeitung, ist die einzige Art von Rundholz, die ins Ausland verkauft

    werden darf.

    O-TON MIKOLA PETICHENKO

    ÜBERSETZER:

    Brennholz – das kostet Kopeken, und wird in der Ukraine angeblich nicht

    nachgefragt. Das Holz, das hier gerade umgeladen wird, ist aber kein

    Brennholz, es wird nur zugeschnitten wie Brennholz: in zwei Meter lange

    Stücke. In Europa bauen sie dann Möbel daraus – obwohl doch unsere

    Beamten hier herumtönen, dass das Holz bei uns keiner haben will. Daran

    verdienen sie gutes Geld.

    ATMO RANGIEREN DANN MUSIK „HORA EVREIASCA“

    AUTORIN:

    Es sind Forstbeamte und Waldarbeiter mit einem Monatsgehalt von 230 Euro,

    die mehrere teure Autos fahren und ihren Familien Villen auf riesigen

    Anwesen bauen. Sie schreiben gesunde Bäume krank, holzen vier Hektar ab,

    wo nur drei zum Kahlschlag freigegeben sind, stufen junge Bäume im Alter

    hoch, um sie als erntereif zu erklären. Sie rechnen Stammdurchmesser klein,

    stellen lächerliche Preise in Rechnung und wirtschaften den Rest in die eigene

    Tasche. Der Betrug ist leicht, der Nachweis in der Lieferkette aber schwer.

    ATMO STOP AND GO

    AUTORIN:

    PKW, Transporter, Busse – in quälend langsamem Stop-and-Go bewegt sich

    die Autoschlange in Richtung Schlagbaum. Auf einem abgetrennten

    Seitenstreifen schleppen verschwitzte Fußgänger zusammengeschnürte

    Packen an den wartenden Autos vorbei in Richtung Passkontrolle. Die Grenze

    zur Europäischen Union: Hier stoßen zwei Wirtschaftsräume mit extrem

    ungleichen Preisniveaus aufeinander – und das eröffnet den Bewohnern des

    Grenzgebietes diverse Verdienstmöglichkeiten.

  • 18

    ATMO WARTEN, SUMMEN

    AUTORIN:

    Durch die Windschutzscheibe kann man von ferne die Flagge der Republik

    Rumäniens sehen. Dima, der Fahrer, startet den Motor für eine weitere Drei-

    Meter-Fahrt. Mikola beobachtet mit Argusaugen drei Kleintransporter, die auf

    rumänischer Seite entgegenkommen. Sie fahren an den wartenden Autos

    vorbei schnurstracks zum Kontrollpunkt und stoppen am Seitenstreifen. Der

    Zollbeamte händigt den Fahrern die Pässe aus, und schon rollen sie über die

    Grenze.

    ATMO STOP AND GO

    O-TON MIKOLA PETICHENKO

    ÜBERSETZER:

    Diese Busse werden zur Kontrolle nicht geöffnet – sie fahren einer nach dem

    anderen in die Ukraine. Den Dokumenten nach sind sie leer. Diese Brüder

    verdienen Millionen mit ihrer Ware und zahlen keine Steuern: Kleider,

    Baumaterialien, Mäntel, teure Hosen – das geht alles auf den ukrainischen

    Markt.

    ATMO LIED IM AUTO

    AUTORIN:

    „Bukovina, meine Heimat“: ein rumänischer Schlager, der die Schönheit der

    Karpaten preist. Die Realität aber sieht anders aus: Rodungen haben in den

    vergangenen Jahren auch in den rumänischen Karpaten weite Flächen

    entwaldet, ein großer Teil davon geht auf das Konto illegaler Holzfäller.

    Gute 20 Kilometer sind es von der Grenze bis nach Radauti, ein wichtiges

    Zentrum der rumänischen Holzverarbeitungsindustrie. Einer der größten hier

    ist ein Betrieb der österreichischen "Holzindustrie Schweighofer".

    ATMO HOLZTRANSPORTBAND

  • 19

    AUTORIN:

    Hallen, LKWs, Kraftwärmekopplungsanlagen, die qualmenden Öfen eines

    Biomassekraftwerks und Gebirge aus Holz in allen Stadien der Verarbeitung.

    Vor den Toren der Stadt Radaúti teilt sich Schweighofer ein weitläufiges

    Gewerbegebiet mit dem Holzkonzern Egger, einem weiteren EU-

    Branchenriesen. Schweighofer-Pressesprecherin Luciána Petréscu steht vor

    dem verglasten Eingangsportal des Verwaltungsgebäudes, und lädt mit

    ausgebreiteten Armen zu einer Tour über das Werksgelände ein.

    O-TON LUCIANA PETRESCU

    ÜBERSETZERIN:

    Wir können stolz sagen, dass seit den Anfangsjahren 800 Millionen Euro in

    Rumänien investiert wurden. In unseren fünf rumänischen Produktionsstätten

    beschäftigen wir 3100 Mitarbeiter, und wir haben in den vergangenen fünf

    Jahren um die 100 Millionen Euro Steuern gezahlt.

    ATMO BETRIEBSGELÄNDE NEUTRAL KLOPFEN AUF HOLZ:

    AUTORIN:

    Schweighofer steht derzeit international in den Schlagzeilen: Umweltverbände

    werfen den Österreichern vor, in den Produktionsstätten große Mengen an

    illegal gerodetem Holz verarbeitet zu haben. Die Zertifizierungsstelle für

    nachhaltigen Holzhandel, Forest Stewardship Council, hat die Vorwürfe

    überprüft – und vieles bestätigt gefunden: Im Februar 2017 hat Schweighofer

    das FSC-Gütesiegel verloren.

    SPRECHER:

    „Der internationale FSC Vorstand traf diese Entscheidung aufgrund

    zusätzlicher Informationen über mögliche Regelverstöße der Schweighofer

    Gruppe bei der Holzvermessung. Für eine Einschätzung zu Umfang und

    Auswirkung dieser Regelverstöße ist eine weitere Untersuchung gemäß der

    FSC Policy for Association notwendig.“

  • 20

    AUTORIN:

    Seitdem kämpft Schweighofer bei Kunden und Aktionären gegen sein Image.

    O-TON LUCIANA PETRESCU

    ÜBERSETZERIN:

    Es ist wichtig, zu unterstreichen, dass sich unsere Unternehmenspolitik an

    hohen ethischen Standards und Professionalität orientiert. Mit unseren

    Zulieferern und Partnern arbeiten wir nur nach zahlreichen Checkups

    zusammen. Wir haben ein sehr strenges Due Dilligence System, wir sind stolz

    darauf, dass wir freiwillig höhere Standards umsetzen als die Gesetzgebung in

    Rumänien es erfordert. Und das verlangen wir auch von allen unseren

    Partnern.

    ATMO PRODUKTIONSBAND

    AUTORIN:

    Die Produktionshalle duftet nach Harz: eine Landschaft aus Werkbänken,

    rotierenden Walzen, Hebebühnen, Containern, Balustraden. Der Lärm der

    Sägeblätter ist ohrenbetäubend. Vasíle Varvarói ist bei Schweighofer

    zuständig für den Holzeinkauf.

    O-TON VASILE VARVAROI

    ÜBERSETZER:

    Wir verwenden unser Rohmaterial zu 100 Prozent. Wir stellen hochwertiges

    Schnittholz her, aus den Reststoffen produzieren wir Heizpellets und Brickets

    für die thermoelektrische Energieerzeugung. Wir nutzen das Holz ganz aus.

    ATMO PRODUKTIONSBAND HOLZKLAPPERN

    AUTORIN:

    Tischlerplatten, Konstruktionsholz und andere hochwertige Produkte gehen in

    über 70 Abnehmerstaaten. Bis zu 1,4 Millionen Kubikmeter Holz verarbeitet

    allein das Sägewerk in Radaúti pro Jahr – eine von fünf Produktionsstätten,

    die Schweighofer in Rumänien betreibt.

  • 21

    ATMO BETRIEBSGELÄNDE

    Draußen herrscht reger LKW-Verkehr. An der Einfahrtsstraße zum

    Betriebsgelände wartet eine neue Holzlieferung auf die Abfertigung.

    O-TON VASILE VARVAROI

    ÜBERSETZER:

    Hier stehen wir an einem der wichtigsten Orte unseres Sägewerks: Der erste

    Kontrollpunkt, bevor das Holz in unser Sägewerk hereingebracht wird. Hier

    kontrollieren unsere Kollegen alle Dokumente, ob sie der rumänischen und der

    europäischen Gesetzgebung sowie unseren internen Standards entspricht.

    ATMO LKW

    AUTORIN:

    Die „internen Standards“ gelten seit Frühjahr 2017 für alle Zulieferbetriebe.

    „Timflow“ hat der Konzern das GPS-basierte System genannt, das jede

    einzelne Holzlieferung rückvollziehbar machen soll, vom Wald bis zum

    Werkstor. Varvarói schaut dem jungen Mitarbeiter über die Schulter, der

    neben dem LKW steht, und die GPS-Daten auf dem Lieferschein mit der

    Holzladung abgleicht.

    O-TON VASILE VARVAROI

    ÜBERSETZER:

    Hier stehen die GPS-Koordinaten. Die Lieferung kommt aus Ródena, das liegt

    etwa 70 Kilometer von Radauti entfernt. Danach kontrolliert er das Holz, ob

    das alles plausibel ist. Bevor der Fahrer die Rodungsstelle verlassen hat, hat

    er ein Foto von der Ladung gemacht. Und hier gleichen wir ab, ob Foto und

    Ladung übereinstimmen.

    AUTORIN:

    Die internen Kontrollen haben in den vergangenen Monaten eine erhebliche

    Zahl an Unregelmäßigkeiten ans Tageslicht gebracht. Von 81 Holzlieferanten

  • 22

    hat sich das Unternehmen inzwischen getrennt. Varvaroi hofft, dass

    Schweighofer das Nachhaltigkeitssiegel des FSC bald zurückbekommt.

    O-TON VASIL VARVAROJ

    ÜBERSETZER:

    Wir erfüllen alle Anforderungen der FSC-Systems. Auch jetzt, während wir

    Gespräche über unsere Reassoziierung führen. Wir führen eine proaktive

    Diskussion, und erfüllen alle Standards.

    ATMO RUMPELFAHRT

    AUTORIN:

    Mikóla Petitschénko und sein Freund Dima sind der Eisenbahnstrecke gefolgt,

    die vom ukrainischen Berehomét aus nach Rumänien führt. Die kleine Straße

    neben den Gleisen ist übersät mit Schlaglöchern. Sie endet auf einem Platz

    mit Dutzenden Eisenbahnwaggons. Einige sind leer, andere voll beladen mit

    Baumstämmen.

    O-TON MIKOLA PETICHENKO IM AUTO

    ÜBERSETZER:

    Das sind ukrainische Waggons, das können wir an den Nummern an der Seite

    nachvollziehen. Das ist Rundholz, aber ob es Nutzholz oder Brennholz ist, das

    ist nicht zu erkennen. Fahr doch mal dort drüben hin, vielleicht kann man dort

    mehr sehen ...

    AUTORIN:

    Erlaubtes ukrainisches Brennholz oder illegales ukrainisches Qualitätsholz?

    Viele der Waggons tragen einen zusätzlichen Sichtschutz, was sie enthalten,

    ist mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Mikola Petitschenko und sein Freund

    brechen die Erkundung ab. Sie führen ohnehin einen Kampf auf verlorenem

    Posten.

  • 23

    ATMO Pressekonferenz

    AUTORIN:

    Brüssel am 10. Februar 2017. Gutgelaunt tritt EU-Kommissionspräsident

    Jean-Claude Juncker vor die Presse. Er hat gerade seine Konsultationen mit

    dem ukrainischen Premierminister Volodymyr Groysman beendet. Es ging um

    die Fortschritte bei den Reformen, zu denen die Ukraine verpflichtet ist, seit

    sie das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterschrieben

    hat.

    O-TON JUNCKER

    ÜBERSETZER:

    Ich muss sagen, dass die Ukraine seit zwei oder drei Jahren ihre Reformen

    umfänglicher umsetzt als in all den 20 Jahren vorher. Derzeit bereitet die

    ukrainische Regierung einen wichtigen Gesetzesentwurf vor: Das geltende

    Moratorium über den Export von Rundholz soll wieder ausgesetzt werden.

    Damit sehe ich alle Bedingungen erfüllt, um unsere Finanzhilfen in Höhe von

    600 Millionen Euro anzuweisen, auf die die Ukrainer warten.

    AUTORIN:

    600 Millionen Euro, Teil des groß angelegten EU-Unterstützungsprogramms

    für die Ukraine. Im April zahlte die EU-Kommission die Finanzhilfe aus. Im

    ukrainischen Parlament läuft das Gesetzgebungsverfahren zur Aussetzung

    des Exportmoratoriums.

    MUSIKAKZENT

    O-TON MIKOLA PETITSCHENKO

    ÜBERSETZER:

    Wir haben uns zu Protesten in Kiew versammelt, als unsere Regierung

    ankündigte, dass sie das Holzexport-Moratorium wieder aufheben will. Ich

    habe damals gesagt: Lasst uns mit unseren Plakaten direkt zur Vertretung der

  • 24

    Europäischen Union ziehen! Sagen wir den Europäern: „Ihr seid das Problem!

    Seht ihr das denn nicht?“. Aber natürlich sehen die Europäer das – es

    interessiert sie bloß nicht! Sie küssen unseren korrupten Funktionären die

    Hintern. Sie sagen: „Gebt uns euren Wald! Wir kaufen ihn billig, und machen

    dann selbst das große Geld damit!“ Am Ende können wir unser Holz als

    Bretter und Parkett von ihnen zurückkaufen – und zwar zum europäischen

    Preis!“.

    MUSIK „BESH O DROM“

    AUTORIN:

    Das Handy klingelt, es ist Mikólas Kollege aus der Aktivistengruppe, Valéra.

    Die Polizei habe die Frachtpapiere der Holzwaggons am Bahnhof Tschernivcy

    nicht auftreiben können, berichtet er. Tief zieht Mikola an seiner Zigarette. Ist

    es für die Polizei tatsächlich ein Problem, die Legalität einer Holzlieferung zu

    überprüfen? Wissen die Beamten mehr als sie zugeben? Wo ist der Zug jetzt?

    Ein Rauchwölkchen steigt empor, steht eine Weile über dem Tisch und

    verflüchtigt sich in der ukrainischen Sommerbrise.

    MUSIK „BESH O DROM“

    ABSAGE

    Kahlschlag in der Bukowina

    Der Ausverkauf der Altwälder in den Karpaten

    Ein Feature von Andrea Rehmsmeier

    Es sprachen: Frauke Poolman, Anja Bilabel, Volker Risch, Thomas Balou Martin,

    Hans Gerd Kilbinger und Richard Hucke

    Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Thomas Widdig

    Regie: Wolfgang Rindfleisch

    Redaktion: Wolfgang Schiller

    Eine Produktion des Deutschlandfunk 2017.

    MUSIK „BESH O DROM“