Das Visitor-Resident Prinzip - pixelspace · Das Internet mitseiner Entwicklungszeit von nun mehr...
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Das Visitor-Resident Prinzip
Eingereicht im Seminar Digitale Ungleichheit Sommersemester 09
Bei Dr. Stefan Iske
An der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Dan Verständig
E-Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung .......................................................................................................................... 1
2 Leben in einer vernetzten Welt ......................................................................................... 2
3 Eine Frage der Generationen? .......................................................................................... 3
3.1 Digital Natives und Digital Immigrants ....................................................................... 4
3.2 Alternative Typisierungen? ........................................................................................ 7
3.3 Residents - Visitors statt Natives und Immigrants ..................................................... 9
4 Überlegungen zur strukturalen Medienbildung ............................................................... 13
5 Fazit und Ausblick ........................................................................................................... 19
6 Abbildungsverzeichnis .................................................................................................... 21
7 Literaturverzeichnis ......................................................................................................... 21
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1 Einleitung In diesem Essay soll das Konzept der Digital Natives und Digital Immigrants zunächst erläu-
tert und mit Blick auf den Diskurs der Generationsproblematik kritisch diskutiert werden. Die
Arbeit gliedert sich daher in drei Hauptpunkte. Als Grundlage und Ausgang für die hier dar-
gelegten Überlegungen sollen zunächst verschiedene Vorüberlegungen hinsichtlich moder-
ner Gesellschaften diskutiert werden. Hierfür werden Kernelemente einer Netzwerkgesell-
schaft, unter Berücksichtigung der Konzepte Informations- und Wissensgesellschaft disku-
tiert. Marc Prenskys Metapher der „Digital Natives“ ist mittlerweile weit verbreitet und auch
kontrovers diskutiert. So gibt es Fachleute, welche die Thesen Prenskys stützen und jene,
welche sich einer Aufnahme dieser Thesen aus verschiedenen Gründen verwehren. In ei-
nem zweiten Schritt soll demnach die Problematik unter Berücksichtigung des Generations-
diskurses behandelt werden. Ergänzend dazu werden weitere Ergebnisse und Konzepte
vorgestellt. Auf den alternativen Vorschlag, einer Typisierung von Digital Visitors und Digital
Residents, soll im Anschluss näher eingegangen werden. Da es sich dabei um einen sehr
jungen Vorschlag handelt, wird weitestgehend auf Fachvorträge, Paper und die Blogbeiträ-
ge1 zu diesem Vorschlag zurückgegriffen. Abschließend werden die zusammengetragenen
Erkenntnisse unter Berücksichtigung des Konzeptes einer strukturalen Medienbildung disku-
tiert und zusammengetragen und in einem Fazit formuliert.
1 Dabei handelt es sich um das offizielle Blog der Fakultät für Weiterbildung „Technology-Assisted Lifelong Learning“ an der Universität von Oxford. Die URL des Blogs lautet http://tallblog.conted.ox.ac.uk/
2
2 Leben in einer vernetzten Welt Das Internet mit seiner Entwicklungszeit von nun mehr rund 20 Jahren hat die Welt zu dem
werden lassen, was Marshall McLuhan (1962) das globale Dorf nannte. Die jüngere Entwick-
lung der Gesellschaft hat mehrere Vorstellungen, Erklärungsansätze und Definitionen mit
sich gebracht. Begriffe wie „Informationsgesellschaft“, „Mediengesellschaft“, „Kompetenzge-
sellschaft“ aber auch „Wissensgesellschaft“ haben sich ebenso etabliert wie der Begriff einer
„Netzwerkgesellschaft“. Die Problemlage ergibt sich automatisch aus der unterschiedlichen
Begriffsherkunft, denn wie bereits angedeutet, entstammen diese Begrifflichkeiten aus unter-
schiedlichen Fachdisziplinen. Ohne jetzt dezidiert auf den Diskurs um die verschiedenen
Begriffe einzugehen (vgl. hierzu Schelske 2007), soll festgehalten werden, dass Wissen nicht
automatisch mit Informationen gleichzusetzen ist. „Aus Informationen wird Wissen dann,
wenn sie von Menschen aufgenommen, in Zusammenhänge (Kontexte) eingeordnet, bewer-
tet und auf zu lösende Probleme bezogen werden.“ (Jörissen/ Marotzki 2009, S. 28) Hierbei
wird auf den Begriff der Wissensgesellschaft abgezielt. Infolgedessen wird konstatiert, dass
Wissen im Grunde situierte Informationen sind. „Mit dem Begriff Wissensgesellschaft wird
kenntlich gemacht, dass Informationen die Informationen von jemandem sind und dass diese
Informationen eine Bedeutung haben.“ (de Haan / Poltermann 2002,S.8)
Der spanische Soziologe Manuel Castells (2003) etabliert mit Blick auf die sozialen Folgen
der neuen Informationstechnologien den Begriff einer Netzwerkgesellschaft. Im Mittelpunkt
dabei steht die zunehmende technische, soziale und geographische Vernetzung, welche
zudem ein wesentlicher Indikator für das Zeitalter der Globalisierung darstellt. „[…] Es läßt
sich als historische Tendenz festhalten, dass die herrschenden Funktionen und Prozesse im
Informationszeitalter zunehmend in Netzwerken organisiert sind.“ (Castells 2003, S.527)
Charakteristisch dafür sind Faktoren wie die steigende Flexibilisierung, aber auch eine ein-
hergehende Dezentralisierung von Machtverhältnissen. Ein Netzwerk, deren Knoten über
Information, Kapital und Macht beschrieben werden können, stellt eine mögliche abstrahie-
rende Abbildung moderner Gesellschaften dar. „Netzwerke bilden die neue soziale Morpho-
logie unserer Gesellschaften, und die Verbreitung der Vernetzungslogik verändert die Funk-
tionsweise und die Ergebnisse von Prozessen der Produktion, Erfahrung, Macht und Kultur
wesentlich.“ (ebd.).
Sowohl die kulturelle Erfahrung als auch der Sozialstatus formen eine Netzwerkgesellschaft
ebenso wie politische Organisationen. Zu berücksichtigen gilt jedoch die Tatsache, dass aus
einer Netzwerkstruktur ein hohes Maß an Komplexität hervorgehen kann. Im konkreten Fall
heißt das, eine Berücksichtigung von technischen Bedingungen und deren Einflüsse auf die
Umwelt. Besonders mit Blick auf das Konzept der Informationsgesellschaft werden hier Ähn-
3
lichkeiten deutlich. Nach van Dijk ist das Konzept der Netzwerkgesellschaft jedoch eher als
eine Ergänzung als vielmehr ein Synonym anzusehen, denn während es bei der Informati-
onsgesellschaft um die sich ändernde Kommunikation, beeinflusst durch die neuen Techno-
logien, handelt, fokussiert das Konzept der Netzwerkgesellschaft die organisatorischen For-
men und Infrastrukturen moderner Gesellschaften (vgl. van Dijk 2006, S.146f). Diese sind
zwar geprägt von einer Relativierung der Hierarchien, jedoch impliziert dies kein Verschwin-
den selbiger, es handelt sich dabei vielmehr um eine Flexibilisierung verbunden mit einer
hohen Mobilität von Rollen und Positionen. Ein weiteres Merkmal wird über den Machtaspekt
identifiziert, wobei es weniger um direkte und disziplinierende Machtausübung geht. Dem
gegenüber steht die „Kunst nicht derart regiert zu werden“ (Foucault 1992, S.12). Aufgrund
dieser Flexibilisierungsprozesse gelingt es die Muster der Macht innerhalb einer Netzwerk-
gesellschaft zu transformieren.
3 Eine Frage der Generationen? Es gibt nunmehr viele Bezeichnungen für die junge Generation. Begriffe wie Net Geners,
Millenials, Instant Message Generation, Generation@, Net Generation oder auch Digital Na-
tives haben sich im Laufe der letzten Jahre entwickelt und spiegeln ein diffuses Bild von
Theorien unterschiedlicher Fachdisziplinen wieder.
Der Diskurs über eine Net Generation bringt auch Forderungen zur Anpassung des Bil-
dungssystems mit sich. Die zukünftigen Studierenden sind anders, und zwar grundlegend
anders, so dass neue Konzepte für die Lehre benötigt werden. So konstatiert Prensky 2001
beispielsweise: „Our students have changed radically. Today’s students are no longer the
people our educational system was designed to teach.” (Prensky 2001a, S.1)
Und auch wenn diese Kritik am Bildungssystem von Prensky auf ein großes Echo und viel
Diskussionen stieß, ist sie nicht neu, denn schon 1997 übte Don Tapscott Kritik an den Er-
ziehungssystemen der Industriestaaten. „There is growing appreciation that the old approach
is ill-suited to the intellectual, social, motivational, and emotional needs of the new genera-
tion.” (Tapscott 1997, S.180ff) Tapscott krisitert dabei vor allem den fundamental verankerten
Frontalunterricht sowie den Behaviourismus (vgl. ebd.). Diese Kritik wiederholt er einige Jah-
re später und präzisiert hierbei seinen Standpunkt. So beschreibt Don Tapscott (2008) die
Net Generation in seinem Buch „Grown up digital“ als die Generation, welche als erste
selbstverständlich mit digitaler Technologie von klein an aufwächst. Net Geners, wie
Tapscott diese Generation nennt, setzen einen kontinuierlichen sowie konstanten Zugang zu
neuen Technologien wie dem Computer und dem Internet voraus. Zudem sind sie selbst
untereinander über Soziale Netzwerke und andere technologische Plattformen miteinander
4
verbunden. Diese Faktoren haben das Verhalten der Generation an sich geändert und ge-
prägt (vgl. S.20f). Er führt zudem Charakteristika der Net Generation, wie u.a. die Freiheit
wählen zu können, ein natürliches Verständnis von Kollaboration und das Verlangen nach
Unterhaltung, an (vgl. ebd. S. 34f). Wenngleich seine Eigenschaften einer Net Generation
Raum für Diskussion lassen, soll hierbei jedoch nicht näher darauf eingegangen werden. Im
Zuge des Diskurses wird von verschiedenen Seiten, so unter anderem von Norm Friesen,
angemerkt, dass diese Forderungen rund um die Net Generation voreilig und bei genauerer
Untersuchung nicht haltbar seien:
„But these claims are all too frequently invoked without being subject to any kind of
questioning or scrutiny, and often with little explicit supporting evidence. Closer investi-
gation reveals the phenomena behind these claims to be much less self-evident, and
much more controversial and complex than one would initially be led to believe.“ (Frie-
sen 2006, http://ipseity.blogsome.com/2006/08/14/)
Im Folgenden sollen Thesen des Pädagogen Marc Prenskys genauer diskutiert werden und
mit Blick auf die Kritik der Versuch gemacht werden, eine alternative Perspektive aufzuzei-
gen.
3.1 Digital Natives und Digital Immigrants Nach Prensky sind Digital Natives Personen, welche zu einer Zeit aufgewachsen sind, in der
bereits digitale Technologien wie Computer, das Internet und Handys verfügbar waren. Als
Antonym etabliert Prensky die Digital Immigrants, welche Digitale Technologien erst als Er-
wachsene kennengelernt haben.
Als Ursprung dieser Begrifflichkeiten kann der Artikel Digital Natives, Digital Immigrants, wel-
cher im Oktober 2001 in der Zeitschrift On the Horizon publiziert wurde, angesehen werden.
In diesem Artikel konstatiert Prensky einen fundamentalen Wandel der Gesellschaft, welcher
bedingt durch Medientechnologien nicht kontinuierlich, sondern plötzlich stattgefunden habe.
“A really big discontinuity has taken place. One might even call it a ‘singularity’ – an
event which changes things so fundamentally that there is absolutely no going back.
This so-called ‘singularity‘ is the arrival and rapid dissemination of digital technology in
the last decades of the 20th century.” (Prensky 2001a, S.1)
Prensky greift dabei auf interdisziplinäre Forschungsergebnisse zurück, um seine These der
Singularität zu untermauern und argumentativ zu stützen. Neben der Kulturwissenschaft und
Linguistik stützt er seine Thesen in einem zweiten Aufsatz, welcher im Dezember 2001 mit
dem Titel “Do they really think different?” erschienen ist, mit empirischen Ergebnissen aus
der Neurobiologie. Die Generation der Digital Natives, jene, welche die Digitale Sprache wie
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ihre Muttersprache sprechen, sind aufgrund plastischer Entwicklungen des Gehirns bislang
einzigartig (vgl. Prensky 2001b). Prensky, ein ausgebildeter Pädagoge und aktiver Manager,
greift bei seiner Argumentation mehrfach Lernsituationen von Schülern auf und verdeutlicht
daran seine These, welche auf generationsspezifische Unterschiede zurückzuführen ist. Sei-
ne Kritik richtet sich dabei gegen formale Ausbildungsprozesse aber auch gegen traditionale
Denkmuster und mangelnde Perspektivübernahme:
“Digital Immigrants don’t believe their students can learn successfully while watching
TV or listening to music, because they (the Immigrants) can’t. Of course not – they
didn’t practice this skill constantly for all of their formative years. Digital Immigrants
think learning can’t (or shouldn’t) be fun. Why should they – they didn’t spend their
formative years learning with Sesame Street.” (Prensky 2001a, S.3)
Er sieht dies als ein ernst zunehmendes Problem an und verdeutlicht seinen Standpunkt an-
hand einer linguistischen Metapher, in der er davon spricht, dass heutige Lehrer eine veralte-
te Sprache sprechen:
“It’s very serious, because the single biggest problem facing education today is that our
Digital Immigrant instructors, who speak an outdated language (that of the pre-digital
age), are struggling to teach a population that speaks an entirely new language.”
(Prensky 2001a, S.3)
Bei seiner Argumentation bezieht er konsequenterweise auch Computerspiele als ein be-
sonderes interaktives Medium ein. Nicht verwunderlich, denn Prensky gilt zudem als Vertre-
ter des „Game Based Learning“ Ansatzes (vgl. Prensky 2001c). Im deutschen Raum gilt ins-
besondere Schulmeister (2008) als ein Kritiker der von Prensky dargestellten Theorien. Sei-
ne Kritik richtig sich einerseits gegen das methodische Vorgehen, denn die interdisziplinären
Ergebnisse führen zu einer hohen Undurchsichtigkeit. Zudem scheint die prägnante und
scharf formulierte Rhetorik einen populistischen Eindruck zu vermitteln. Ferner beruhen alle
Erkenntnisse Prenskys auf qualitativen Aussagen, es fehlen ihm, so Schulmeister, empirisch
oder systematisch gewonnene Daten (vgl. Schulmeister 2008, S.21).
Die Diskussion, welche sich um diese Thesen entwickelt hat, kann überspitzt so dargestellt
werden: Es würde junge Nutzer geben, welche mit Digitalen Technologien umgehen können
und alte Nutzer, welche es nativ nicht können und es zunächst erlernen müssen, es aber nie
so gut können werden, wie die nativen Nutzer. Unter Berücksichtigung der Kernthese, wie
sie von Prensky verfasst wurde, entwickelte diese Diskussion scheinbar eine sehr eigen-
ständige Dynamik. Grundlegend werden jedoch Probleme angesprochen, welche tatsächlich
auch diverse wissenschaftliche Bereiche gleichermaßen vor neue Herausforderungen stellt
wie auch schulische Institutionen selbst. Er beschreibt im Grunde eine Kluft zwischen Schü-
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ler und Lehrer, welche aneinander vorbeisprechen oder gar unterschiedliche Sprachen spre-
chen. Prensky wählt bei der Darstellung seines Szenarios eine Dichotomie zwischen veralte-
ten Inhalten und neuen Inhalten der Zukunft:
“‘Legacy’ content includes reading, writing, arithmetic, logical thinking, understanding
the writings and ideas of the past, etc – all of our ‘traditional’ curriculum. It is of course
still important, but it is from a different era. Some of it (such as logical thinking) will con-
tinue to be important, but some (perhaps like Euclidean geometry) will become less so,
as did Latin and Greek. ‘Future’ content is to a large extent, not surprisingly, digital and
technological. But while it includes software, hardware, robotics, nanotechnology, ge-
nomics, etc. it also includes the ethics, politics, sociology, languages and other things
that go with them.” (Prensky 2001a, S.4)
Hierbei merkt Schulmeister kritisch an, dass sich diese Dichotomie zwischen “legacy con-
tent” und “future content” jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrt (vgl. Schulmeister
2008, S.19). Dabei kritisiert er zunächst die Verwendung des Begriffs „legacy“ und betrach-
tet ihn in seiner reinen Übersetzung als „Vermächtnis“. Doch folgt man der Argumentation
Prenskys genauer, dann stellt man fest, dass er diesen Begriff aus der Informationstechnik
entlehnt. Dies führt er gleich zu Beginn seiner Thesen an: „It seems to me that after the digi-
tal ‘singularity’ there are now two kinds of content: ‘Legacy’ content (to borrow the computer
term for old systems) and ‘Future’ content.” (vgl. Prensky 2001a, S.4). Das heißt also, dass
es sich bei dem besagten „legacy content“, mit Blick auf die Computer- und Informations-
technologien, um ältere Datenbestände handelt, die möglicherweise nicht mehr problemlos
genutzt werden können, weil neue Programme, ein neues Betriebssystem oder ein neues
Computersystem eingeführt wurden.
Ferner stört sich Schulmeister an der Bezeichnung „content“, denn es gehe hierbei doch um
„kodifiziertes Wissen“ (Schulmeister 2008, S.19). Prensky spricht dabei vom Schreiben, logi-
schen Denken und dem mathematischen Verständnis im Allgemeinen. Die Kritik Schulmeis-
ters richtet sich also vornehmlich gegen das Verständnis Prenskys vom Wissen. Doch be-
trachtet man dieses Verständnis unter Berücksichtigung neuer Webdienste, wie Youtube,
Google Maps aber auch Flickr, stellt man schnell fest, dass die besagten Inhalte sich längst
nicht mehr nur über klassische Medienformate erstrecken, sondern neu interpretiert werden.
Youtube stellt dabei ein besonders prägnantes Beispiel für die teilnehmende Kultur und die
Konvergenz der verschiedenen Medien dar (vgl. Jenkins 2008). Neue Artikulationsräume,
wie Youtube, ermöglichen nicht nur das unterschiedliche Verarbeiten von Informationen,
sondern eröffnen ganz neue Spielräume zur Interpretation und Reproduktion. Der Prozess
der Informationsbeschaffung hat sich jedoch grundlegend, wenngleich nicht ad-hoc, verän-
dert und vermutlich würde man sich heute schwer tun, wenn man Informationen aus einer 5
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¼-Zoll-Diskette auslesen möchte. Die Argumentation Prenskys legt es nahe, weniger nur von
kodifiziertem Wissen zu sprechen, sondern vielmehr von den Prozessen der Informations-
genese und Vermittlung ganz allgemein. Das bedeutet konkret die Förderung konstruktivisti-
scher Methoden. Mit neuen Technologien entstehen neue Arbeitsmuster. Mark Warschauer
verdeutlicht dies an einem sehr schönen Beispiel, indem er die Wissensproduktion heute mit
der Zeit vor der Verfügbarkeit des Internet vergleicht. Während man heute auf viele Quellen
im Netz zurückgreifen kann, hat der Student damals noch sehr viele Bücher aus den Biblio-
theken zusammentragen müssen. Die Bücher in den Bibliotheken wurden dabei doppelt ge-
prüft, einmal durch die Bibliothek selbst aber auch schon durch die Verlage (vgl. Warschauer
2003, S.114). Die Optionalität ebenso wie das Risiko einer mangelnden kritischen Reflexion
sind somit gestiegen. Dies hat natürlich auch zur Folge, dass der Student für die Validität
gewählten Quellen eine hohe Eigenverantwortung hat. „Today, a student who relies at least
in part on information collected from the Internet has a much greater personal responsibility
to critically evaluate sources because of the unevenness of quality and reliability of texts
found there.” (ebd.).
3.2 Alternative Typisierungen? Im Zuge des Generationsdiskurses wurden auch diverse empirische Studien durchgeführt,
um eine möglichst präzise differenzierte Erklärung des zuvor diskutierten Phänomens zu
finden. Die komplexe und vielschichtige Mediennutzung lässt Raum für weitere Differenzie-
rungen, wie sie beispielsweise bei der „MedienNutzerTypologie“, auf wissenschaftlicher Ba-
sis im Rahmen einer Langzeitstudie von ZDF und ARD entwickelt wurden. Eine Nutzertypo-
logisierung unter Berücksichtigung neuer Web-Technologien sieht dabei wie folgt aus:
Abbildung 1 Nutzertypologie der ARD und ZDF Langzeitstudie
8
(vgl. Schulmeister 2008, S.38; Oehmichen, media perspektiven 5/2007, S. 226ff; Hartmann &
Höhne, media perpektiven 5/2007, S. 235ff)
Die hier vorgestellte Langzeitstudie von ZDF und ARD verstärkt den Eindruck, dass das
Hauptkriterium für die Unterscheidung offenbar das Alter ist:
Abbildung 2 Quelle: MNT-Justierungsstudie 2006
“Die Diagonale der Häufigkeiten in der Tabelle zeigt, dass diese Typologie anscheinend die
nach Alter unterschiedliche Einstellung zu den Medien erfasst hat.” (Schulmeister 2008,
S.38) Zu beachten gilt jedoch, dass es sich bei der Erhebung um einen Zeitschnitt handelt,
vor dem die älteren Personen ganz andere Lebenserfahrungen und Einstellungen entwickelt
haben als jüngere Personen, welche in die digitalen Technologien herein geboren wurden
und damit von klein auf sozialisiert wurden (vgl. ebd.). Infolge dessen ist es also nicht ver-
wunderlich, dass die Einstellungen sich mit Blick auf die unterschiedlichen Jahrgänge verän-
dern. Dieser Punkt verstärkt eine recht basale Vermutung, nämlich die These, dass sich das
individuelle Nutzerverhalten im Laufe der Zeit verändern kann.
Zudem sollte angemerkt sein, dass das Erkenntnisinteresse nicht außer Acht gelassen wer-
den darf, denn bei der ZDF und ARD Langzeitstudie geht es vor allem darum, wie die Pro-
grammplanung auf die Zielgruppen angepasst und optimiert werden kann. Die Typologie
abstrahiert jedoch bereits ein umfangreiches Nutzungsverhalten und impliziert somit auch die
Frage, wie bestimmte Technologien genutzt werden. Betrachtet man die Untersuchungen
also mit Blick auf die Entwicklung der Medientechnologien, scheint sich ein wiederholender
Zyklus zu ergeben. Wichtig dabei scheint jedoch die Geschwindigkeit mit welcher sich die
Technologien entwickeln zu berücksichtigen. Die Generationsproblematik wird somit
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zwangsläufig relativiert, da die Intervalle neuer Technologien und Dienste kürzer werden. Ein
Indiz dafür ist zudem die hier vorgenommene und notwendige Neujustierung dieser Typolo-
gie.
3.3 Residents - Visitors statt Natives und Immigrants Die Typisierung in Residents (Ansässige) und Visitors (Besucher) geht auf das ISTHMUS
Projekt zurück, welches von der Arbeitsgruppe der Technology-Assisted Lifelong Learning
an der Universität Oxford, England durchgeführt wurde. Ziel des Projektes war es, die Ent-
wicklung sozialer Medientechnologien unter Berücksichtigung von institutionellen Lehrange-
boten zu berücksichtigen. Dabei geht es in erster Linie nicht darum, welche Technologien
genutzt werden, sondern wie sie genutzt werden (vgl. White 2008).
Im Rahmen des Projektes entstand der Vorschlag eine alternative Nutzerkategorisierung
anhand des Onlineverhaltens unter Berücksichtigung der sozialen Einflüsse vorzunehmen.
David White, Senior Manager im Bereich Entwicklung der TALL-Gruppe, stellte das Konzept
auf der Association for Learning Technology Konferenz im September 2009 an der Universi-
tät in Manchester, England vor.
Der Nutzertyp Resident (der Ansässige) verbringt einen gewissen Teil seines Lebens Online.
Das Internet, insbesondere das World Wide Web, dient dabei als unterstützendes Element
und Werkzeug, um das Leben zu strukturieren. Die Identität der aktuellen Welt besteht somit
auch zu einem gewissen Anteil aus der projektiven Identität des Netzes. Bei Ansässigen
handelt es sich um Nutzer, so White, welche eine etablierte Persona haben und diese re-
gelmäßig pflegen (vgl. White 2008, 2009).
Demnach nimmt das Internet einen wesentlichen Bestandteil im Leben dieser Personen ein.
Die Residents nutzen das Netz in vielen Lebenslagen, nicht nur zu professionellen berufli-
chen Zwecken, sondern ebenfalls zur Entspannung, Informationsverteilung und Freizeitge-
staltung. Ausgehend von einer grundlegend optimistischen Haltung kann bei den Residents
eine andere Vernetzungsstruktur erwartet werden als bei den Visitors. Aufgrund der globalen
Möglichkeiten, welche das Internet bietet, ergeben sich globale Kontaktmöglichkeiten, wel-
che von den Residents eher wahrgenommen werden als es bei den Visitors der Fall sein
könnte.
Der zweite Typ, welcher von White klassifiziert wird, ist der so genannte Visitor. Die Visitor
nutzen das Internet genau dann, wenn es die Notwendigkeit erfordert. Besucher haben meist
ein Ziel vor Augen oder eine Aufgabe zu bewältigen, demzufolge sind sie sehr fokussiert bei
ihrer Arbeit beziehungsweise Erfüllung dieser Aufgabe. Nach Whites Klassifizierung sind die
Besucher auch eher skeptisch bei der Nutzung von Diensten, welche eine Online-Identität
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ermöglichen. Anders als die Ansässigen existiert kein ausgeprägtes Bedürfnis an der aktiven
Teilnahme von sozialen Geschehnissen im Netz, wie die Gemeinschaftsbildung in Virtuellen
Communities oder ähnlichem.
Hieraus ergibt sich auch die grundlegende Unterscheidung beider Nutzertypen. Während der
Ansässige eine permanente Onlinepräsenz besitzt, nutzt der Besucher das Netz nur, um
eben die benötigte Aufgabe zu erfüllen. Nach White ist die konstante Entwicklung der Per-
sona ein maßgebliches Kriterium zur Unterscheidung zwischen Visitor und Resident (vgl.
White 2008).
Jedoch geht das Konzept der Residents und Visitors einen Schritt weiter und kann somit als
Ergänzung zum Modell der Natives und Immigrants gesehen werden. Betrachtet man die
Unterscheidung der Natives und Immigrants, so ist eine relativ deutliche Grenzziehung mög-
lich. Wie Prensky beschreibt, sind die Immigrants die erste Generation, welche vom frühen
Kindesalter an mit den neuen Medientechnologien des digitalen Zeitalters aufgewachsenen
sind. Computer- und Videospiele, Handys aber auch das Internet sind, so Prensky, integrale
Bestandteile ihres Lebens und sie wurden schon früh damit sozialisiert (vgl. Prensky 2001a,
S.2). Eine grobe Eingrenzung könnte also die Relation der Geburtsjahre in Verbindung mit
der Einführung des Internet gemacht werden. Das Modell der Visitors und Residents hinge-
gen fokussiert allein das Nutzerverhalten und die daran geknüpften Elemente. So kann ein
Resident auch in das Muster der Digital Immigrants passen, da er im Alter von über 50 Jah-
ren sehr aktiv am Netzleben teilnimmt. Auf der anderen Seite können somit auch Jugendli-
che erfasst werden, welche das Netz aufgrund unterschiedlicher Begebenheiten nur spora-
disch nutzen. Im Gegensatz zum Modell der Natives und Immigrants bildet diese Typisierung
somit ein mögliches Fundament für weitere Distinktionen. Es handelt sich also nicht um eine
bipolare Unterscheidung, sondern vielmehr um ein Spektrum, bei welchem die Besucher und
Ansässigen die beiden Extreme darstellen.
Eine Teilung entsteht jedoch durch die Werte, welche die Residents den Sozialen Netzwer-
ken aber auch Sozialen Diensten ganz allgemein zuschreiben und die Visitors nicht. Das
Konzept der Residents und Visitors soll jedoch kein Ersatz für das von Prensky 2001 formu-
lierte Modell der Natives und Immigrants sein. Vielmehr kann man es als eine Ergänzung
ansehen, welche die Diskussion in eine neue Richtung lenken und zudem auch die
Schwachpunkte, wie die vermeintliche Generationsfokussierung berücksichtigen könnte. Der
im Netz Ansässige verfügt über ein gewisses Maß an Erfahrung im Umgang mit Webdiens-
ten wie zum Beispiel Youtube oder Flickr, zudem ist er auch im Umgang mit Sozialen Netz-
werken vertraut. Dies lässt darauf schließen, dass das Nutzungsverhalten ausdifferenziert
ist. Die Frage, ab wann die Stufe einer autonomen Weiterentwicklung der Fähigkeiten, bei-
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spielsweise die geschickte Formulierung von Suchmustern oder eine optimierte Strukturie-
rung des Informationsflusses, welche wiederum zur besseren Orientierung beitragen könnte,
wird dabei nicht beantwortet. Hierbei spielt auch der sozioökonomische Status eine wesentli-
che Rolle. Die Sozialforscherin danah boyd vom Berkman Center for Internet and Society hat
2008 im Rahmen ihrer Dissertation aufgezeigt, dass allein die Auswahl des Sozialen Netz-
werkes aufgrund des sozioökonomischen Hintergrundes stattfindet. Während Facebook wei-
testgehend von Jugendlichen aus stabilen sozialen Verhältnissen genutzt wird, welche auf
ein College gehen oder vorhaben eines zu besuchen, scheint Myspace dagegen die Wahl
jugendlicher Musikinteressierter dunkler Hautfarbe zu sein, welche keine Ambitionen haben,
auf ein College zu gehen (vgl. boyd 2008). Begründen lässt sich diese Tatsache wohl auch
mit dem College-zentrierten Fokus, unter welchem die Gründer Facebook eröffneten (vgl.
Doughtery 2010).
Residents und Visitors haben jedoch eins gemeinsam: Für beide Nutzergruppen scheint die
Software oder Hardware hinter einer Webanwendung von zweitrangiger Bedeutung. Es be-
steht meist kein stärkeres Interesse daran, die technischen Gegebenheiten zu ergründen.
Dies ist heutzutage auch gar nicht mehr notwendig, da es mittlerweile eine Vielzahl von
Werkzeugen für die grundlegenden Kommunikationsmechanismen gibt. Die Nutzer müssen
also nicht erst eine eigene Kommentarfunktion in PHP programmieren, um mit anderen über
ein Thema zu diskutieren. Stattdessen kann man über einfache Webanwendungen seinen
eigenes Blog erstellen, ein Soziales Netzwerk als Diskussionsplattform nehmen oder inner-
halb von 5 Minuten einen eigenen Wordpress Blog eröffnen.2 Dies stellt das zuvor von
Prensky skizzierte Bild der technologieaffinen Nutzer zur Disposition, denn offenbar spielen
die Technologien und ihre Funktionsweisen eine untergeordnete Rolle.
Die Visitor - Resident Unterscheidung erscheint nach White dann als sinnvoll, wenn es bei-
spielsweise um die Wahl der begleitenden Werkzeuge in einem Seminar geht. Handelt es
sich bei den Seminarteilnehmern vorrangig um den Typ Resident, könnte sich eine Weiter-
führung der Seminarinhalte in Online-Gruppen und zusätzliche Angebote zum Knüpfen neu-
er Kontakte als produktiv erweisen. Hierbei spielt weitestgehend die Akzeptanz der einge-
setzten Software eine wesentliche Rolle.
2 Das System erfordert lediglich einige Grundkenntnisse zur Verwaltung des Webspaces sowie ein FTP-Programm und eine MySQL Datenbank. Mithilfe einer Installationsroutine werden alle nötigen Einstellungen per Skript vorgenommen. Auch regelmäßige Updates werden weitestgehend automati-siert.
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White beschreibt dies in einem Beispiel, bei dem eine Diskussionsgruppe auf dem Sozialen
Netzwerk Facebook eröffnet wurde.
“We offered membership of a facebook group to our students as they left their online
courses. The majority signed-up without question as they wanted to stay in touch with
fellow students and continue discussions. The remainder saw the group as pointless
and a possible invasion of privacy. Both sides of this argument are correct… It’s a
question of approach and motivation, hence Visitors and Residents.” (White 2008,
http://tallblog.conted.ox.ac.uk/index.php/2008/07/23/not-natives-immigrants-but-
visitors-residents/)
Ungeklärt bleibt hierbei die Frage, inwiefern es eine Diskrepanz zwischen den aktiven Nut-
zern und den Kritikern, also den passiven Nutzern in diesem Falle, gab und welche Auswir-
kungen dies auf die Seminargestaltung hatte.
Zwar kann die Berücksichtigung der Nutzertypen deutliche Auswirkungen auf die Seminar-
gestaltung haben, jedoch ist es einerseits schwer eine Typisierung im Vorfeld vorzunehmen
und andererseits handelt es sich auch immer um eine Gruppe aus verschiedenen Individuen.
Die Frage hierbei wäre dann, wie man welche Werkzeuge (Wikis, Blogsysteme, Diskussi-
onsgruppen) einsetzt, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Ein optimales Ergebnis bedeu-
tet dabei ein hohes Maß an Zugänglichkeit und somit eine produktive und angenehme Ar-
beitsumgebung für die Teilnehmer zu schaffen. Eine hohe Akzeptanz gegenüber neuen
Technologien kann dabei eher zu positiven Erfahrungen führen und zudem auch kleinere
Hürden bei der Gestaltung überwinden. Festzuhalten bleibt jedoch, dass trotz der Möglich-
keiten und Werkzeuge nicht allein die Technologien die Ausbildung verändern. Mit Blick auf
eine mögliche Seminargestaltung scheint es also zunächst als sinnvoll, gegebene Potenziale
zu erkennen und die Technologien ergänzend einzusetzen. Im besten Falle verstärken sie
Prozesse, die bereits begonnen haben (vgl. Warschauer 2003, S.134).
Dieses Modell fokussiert sehr stark die Motivationsgründe zur Nutzung und Partizipation.
Dabei wird die Frage der persönlichen Kompetenz ganz klar relativiert. Welche Möglichkeiten
man im Web nutzt sowie die Frage, ob man in der Lage ist, relevante Informationen zu fin-
den und zu verarbeiten wird dabei zunächst vernachlässigt, könnte aber unter Berücksichti-
gung des Frameworks, wie es der Niederländer Jan van Dijk (2006) entwickelt hat, durchaus
begünstigend wirken, wenn man Kernprobleme hinsichtlich der Nutzung identifizieren möch-
te. Gelten beide Typen, Resident und Visitor, als polare Extreme, so fallen natürlich jene aus
dem Raster, welche nicht in der Lage sind das Netz für ihre Zwecke zu nutzen und schon
grundlegende Zugangsprobleme haben. Dies führt zu einem weiteren Punkt. Denn unter
Berücksichtigung einer Digitalen Ungleichheit könnte eine Kluft zwischen jenen entstehen,
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die das Internet nur sporadisch und wenig zweckorientiert nutzen und jenen, die das Internet
gezielt für ihre Zwecke einsetzen, erfolgreich Informationen suchen und zugleich auch selbst
Inhalte publizieren (vgl. Hargittai 2008, Gehrke 2004).
4 Überlegungen zur strukturalen Medienbildung Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Frage des Lernens und der Bildung mit Blick auf das
eigene Selbstbild. Das zuvor skizzierte Beispiel der Facebook-Gruppe zeigte, dass für einige
Nutzer das Lernen ein privater Prozess zwischen Dozent, Büchern und einem selbst ist. So-
ziale Dienste wie Facebook passen dabei nicht in das Schema und führen bei diesen Nutzer-
typen zu Irritationen. Die Nutzung dieser neuen Technologien, wie beispielsweise die Schaf-
fung einer Diskussionsgruppe auf Facebook oder die kollaborative Arbeit an einem Wiki, im-
plizieren zunächst den Eintritt in einen unbestimmten Raum, neue habituelle Verhaltenswei-
sen werden entwickelt, neue Arbeitsschritte müssen zunächst erlernt werden. Eine optimale
Umgebung wäre eine im höchsten Maße intuitive technologische Umgebung, so dass die
Nutzung des Dienstes nicht als fremdartig, sondern als erwünscht wahrgenommen wird.
Bei dem zuvor zitierten Beispiel der Facebook-Gruppe wird ein weiterer Punkt deutlich, näm-
lich das Verschwimmen der Grenzen von Privatsphäre und, in diesem konkreten Fall, der
Studienaktivitäten. Während die Etablierung einer Diskussionsgruppe von einigen positiv
aufgenommen wurde, empfand ein anderer Teil der Seminargruppe dies als möglichen Ein-
griff in die Privatsphäre. Es zeigt sich, dass das Verständnis von Privatsphäre im Zuge einer
Netzwerkgesellschaft scheinbar einer Transformation unterliegen kann.
Die technische Infrastruktur ermöglicht kurze Rückkopplungskanäle und Feedbackmöglich-
keiten. Nicht zuletzt deswegen stellen Webdienste wie Twitter, Kundenrezensionen, Preis-
vergleichsportale, aber auch Soziale Netzwerke wie Facebook eine besonders effiziente Me-
thode zur Kundenbindung und Marktforschung für die Marktkommunikation dar. Eine Reakti-
on seitens der Werbetreibenden ist auch unabdingbar, denn gerade die Netznutzer stellen
meist keine homogene Zielgruppe dar. Es fällt also schwer, sie über die klassischen Werbe-
kanäle zu erreichen. Die Nutzer profitieren auf der anderen Seite von der Möglichkeit zur
Partizipation. In Sozialen Netzwerken werden Informationen über Produkte und Ereignisse
geteilt und ausgehend von den Freunden und Kontakten her bewertet. Machtverhältnisse
verschieben sich dahingehend, dass die Stimme der Individuen in verschiedensten Formen
gebündelt werden kann und Hierarchien abflachen. Aufgrund dieser Relativierungsprozesse
entsteht jedoch auch, nicht zuletzt aufgrund der technischen Beschaffenheit, ein hohes Maß
an Komplexität. Um Orientierung zu ermöglichen, müssen Mechanismen etabliert werden,
um diese Komplexität zu reduzieren. Virtuelle Gemeinschaften, Soziale Netzwerke aber auch
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institutionalisierte Ratgebersysteme und Rezensionsplattformen dienen dabei der Orientie-
rung und schaffen Sicherheiten für die Handlungsräume der Nutzer.
Das Reputationssystem des Auktionshauses Ebay ist dabei nur ein Beispiel (vgl. Brinkmann
/ Meifert 2003). Die Nutzer sind an ihr Profil und somit eine Identität gebunden, natürlich ist
man in der Lage, die technischen Beschränkungen zu umgehen und sich beispielsweise ein
anderes Konto anzulegen, jedoch ist dies mit einem gewissen Maß an Aufwand verbunden.
Nutzer mit einer durchweg positiven Bewertungshistorie erfahren eine höhere Anerkennung
als Nutzer, welche bislang keine Transaktionen gemacht haben oder deren Transaktionshis-
torie von schlechten Erfahrungen geprägt ist. Das Ziel ist es also, eine hohe Reputation
durch seriösen Handel aufzubauen (vgl. Diekmann / Wyder 2002). Denn am Körper (dem
Blick, dem Verhalten, der Körperhaltung) wie man es bei einer face-to-face Kommunikation
gewöhnlich macht, kann man keine Sicherheiten abschätzen oder Vertrauen generieren. Der
Körper existiert nicht im Netz. Demzufolge werden technische Umsetzungen geschaffen, um
die vermittelte Kommunikation so sicher wie möglich zu machen. Ein Reputationssystem
übernimmt dabei grundlegende Funktionen, um Handlungssicherheiten durch technische
Mittel zu gewährleisten. Gelingt es, eine eindeutige soziale Skizzierung der Persona vorzu-
nehmen, gibt es einen weiteren Anhaltspunkt zur Überprüfung der Person, mit welcher man
unter Umständen einen Handel abschließen möchte. Im Zuge einer Dichotomie von Ge-
meinschaft und Gesellschaft, wie sie Tönnies (1997) thematisiert, sei angemerkt, dass der
Begriff der „Community“ zwar langläufig mit dem der Gemeinschaft übersetzt wird, jedoch
hierbei nicht wirklich treffend ist, denn es ist maßgeblich der Handel und nicht die emotiona-
len Bindungen, welcher die Nutzer auf der Auktionsplattform Ebay zusammenbringt und so-
mit das System aufrecht erhält. Vertrauen wird folglich zu Sozialem Kapital (vgl. Warschauer
2003, S.153). Dies hat weitreichende Folgen für die Partizipation im Netz und die daran ge-
bundene Orientierungs- und Handlungsfähigkeit. Ebay stellt dabei nur eines von vielen Bei-
spielen dar.
Während einige von einer Transformation der Gesellschaft sprechen, deutete Prensky eine
radikale Änderung dieser an. An dieser Stelle und mit Blick auf die genannten Beispiele
könnte man die Frage stellen, ob es sich hierbei um eine Transformation im klassischen Sin-
ne handelt, oder ob Strukturen aufgelöst werden, verschwinden und es im Zuge von Digitali-
sierungsprozessen zu einer Neustrukturierung kommt, wie es scheinbar auch von Prensky,
wenngleich überspitzt, thematisiert wurde. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Verständ-
nis von Öffentlichkeit. Eine Relativierung hinsichtlich des Begriffs von Öffentlichkeit kann hier
als sinnvoll angesehen werden. Mit Blick auf eine Netzwerkgesellschaft erscheint dabei auch
der Ansatz von Livingstone (2005) als relevant, welcher davon ausgeht, dass Öffentlichkeit
über eine Menge von Menschen definiert ist, die ähnliche Ansichten und Einstellungen ver-
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treten (vgl. S.9) Dies kann lokal, aber auch global interpretiert werden. Livingstone fokussiert
dabei die Frage, wie Medientechnologien es schaffen eine gemeinsame Plattform für diese
Individuen zu erschaffen, um darüber eine Form der Öffentlichkeit abzubilden (vgl. boyd
2008, S.30). Während die eine Öffentlichkeit von einer Gruppe in einem kontextuellen Zu-
sammenhang wahrgenommen wird, existiert sie für eine andere Gruppe in dieser Form gar
nicht.
Aktuelle Diskussionen, wie die Frage der Privatsphäre im Rahmen des Street View Projektes
von Google, beleuchten diesen Aspekt aus verschiedenen Perspektiven. Sie involvieren so-
wohl politische Akteure als auch die Netzgemeinde selbst, was zur Folge hat, dass institutio-
nelle Grundlagen neu überdacht und aktualisiert werden müssen. Und auch hier sei ange-
merkt, dass es weniger eine Frage der Generationen als vielmehr eine Frage der Einstellung
hinsichtlich des Verständnisses von Onlineaktivitäten ist. Unsicherheiten entstehen meist
durch mangelnde Informationslage und führen dann zu einer verweigernden Haltung. Durch
mangelnde Vertrautheit wird das Ausblenden verbleibender Risiken erschwert (vgl. Luhmann
2000, S.22).
Das Problem der “verschwindenden” Privatsphäre wird dabei wohl noch einige Zeit ein
Schwerpunkt der Diskussionen sein. Betrachtet man Google Street View unter dem Aspekt
der Visitors und Residents, wird schnell der Kern der Kritik deutlich. Es ist weniger eine Fra-
ge des Datenschutzes und der Privatsphäre als vielmehr eine Frage von Akzeptanz, die Ak-
zeptanz einer neuen oder auch anderen Öffentlichkeit. Während die Frage einer Auflösung
hinsichtlich bekannter und auch traditionaler Gesellschaftsmuster angesprochen wurde, kann
festgehalten werden, dass es sich bei dem Begriff der Privatsphäre und dem dahinterste-
hende Konzept sowie dem individuellen Verständnis dessen um eine Transformation han-
delt.
Betrachtet man das Beispiel zu Ebay unter Berücksichtigung der Residents und Visitors wird
schnell deutlich, dass der Umstand ein Produkt im Netz zu versteigern gleichsam an die digi-
tale Identität des Verkäuferkontos gebunden ist. Im Zuge der Distinktion zwischen Resident
und Visitor wird deutlich, dass es sich nicht um ein bipolares Modell handeln kann, sondern
vielmehr um ein Spektrum. Die Frage, ab wann ein Visitor sich zum Resident entwickelt, wird
hierbei scheinbar über die Häufigkeit der Nutzung definiert. Denn für eine häufige Nutzung ist
eine gewisse Reputation notwendig, andernfalls würde man keine oder nur sehr wenige er-
folgreichen Folgetransaktionen erhalten und im schlimmsten Fall sogar aus dem System
ausgeschlossen und gleichsam als Akteure von der sozialen Bühne verbannt werden.
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Durch den Microbloggingdienst Twitter wird das Konzept eines Sozialen Netzwerkes erneut
interpretiert, denn es ist keine bidirektionale Verbindung notwendig, um ein individuelles
Netzwerk zu eröffnen, man folgt einem Nutzer, dieser jedoch muss einem nicht gleichzeitig
auch folgen. Man ist nun völlig frei und ohne jegliche Verpflichtung der Person welcher man
folgt. Die Bedeutung der „weak ties“ (Granovetter 1973) wird hierbei in den Vordergrund ge-
rückt, denn sie ermöglichen den Zugang zu alternativen Informationen. Das Konzept der
Netzwerkgesellschaft wird hierbei unter den Bedingungen vermittelter Kommunikation abge-
bildet.
Erneut soll hierbei auf die Phänomene der Marktkommunikation hingewiesen werden, denn
auch Firmen haben längst erkannt, welches Potenzial dieser Service bietet, um einerseits
kostengünstige Kampagnen durchzuführen und andererseits neue Wege hinsichtlich der
Kundenbindung und der Kundenbetreuung zu gehen. Die Formulierung, dass man einer
Person oder einem Twitter-Nutzer folgt, muss also an dieser Stelle qualifiziert werden, da es
scheinbar darauf ankommt, wie man diesen Dienst nutzt und wen oder was man repräsentie-
ren möchte.
Ein weiterer Aspekt ist die Begrenzung der Updates auf 140 Zeichen, welche dazu führt,
dass eine Vielzahl von kleinen Informationen tagtäglich, gar im Sekundentakt von Millionen
Nutzern generiert wird. Um sich im „Twitverse“, wie es teilweise von den Nutzern selbst ge-
nannt wird, zu etablieren, ist also eine kontinuierliche Teilnahme in diesem sozialen Raum
unabdingbar. Man muss das System mit regelmäßigen Updates füttern. Dies ist natürlich
noch längst kein Garant dafür, dass das Prinzip funktioniert, denn erst dann, wenn eine ge-
wisse Menge an Nutzern diesen Updates folgt und diese Informationen für relevant erachtet
und im Zuge der Interaktion interpretiert, gelingt es, die Identität im Netz speziell durch die-
sen Dienst zu stärken und eine Präsenz zu entwickeln. Die reine Information wird somit zu
einer Form kulturellen Kapitals des Individuums. Dies könnte zu einer langläufigen Transfor-
mation des Spiels mit der Identität führen, wie es beispielsweise von Sherry Turkle (1995)
beschrieben wurde. Die eigene Identität wird dabei zur Marke und dient dazu ein Image zu
etablieren und dieses auch aufrecht zu erhalten. Die Pseudonymität kann dabei immer weiter
in den Hintergrund der Handlungen gerückt werden. Wenngleich dies ein signifikantes
Merkmal einiger Bereiche darstellt, bleiben dennoch alternative Räume erhalten. Mit Blick
auf die Bildungsdimension des Grenzbezugs (vgl. Jörissen / Marotzki 2009, S.67f) wird deut-
lich, dass die Onlineaktivität im starken Zusammenhang mit der Offlineaktivität steht. Dies
verdeutlichen auch derzeit stark im Trend liegende Dienste, welche neben einem Statusup-
date die geographische Position des Senders übermitteln. Sei es das Image einer Firma ei-
nes professionellen Bloggers oder einfach eines Studenten oder Schülers, welche Twitter
oder ähnliche Dienste nutzen. Hierbei greift das Das Prinzip sozialer Anerkennung sehr de-
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tailliert und dient nicht nur als Orientierung sondern vielmehr auch als Motivation zur weite-
ren Partizipation. Die Sichtbarkeit im Netzwerk wird dann gewährleistet, wenn die Informatio-
nen, welche man in den 140 Zeichen veröffentlicht, von anderen als dementsprechend wert-
voll eingestuft werden. Twitter ist ein extremes Beispiel dafür, dass die regelmäßige Teil-
nahme eine notwendige Grundvorrausetzung für die Persona ist. Dies ist nicht zwangsläufig
untypisch, denn auch in Virtuellen Communities reicht es oftmals nicht aus, einmal „hallo
welt“ zu schreiben und dann eine kontinuierliche Sichtbarkeit zu entwickeln. Es sind jedoch
die geringen Intervalle, in welchen Informationen gesendet werden, die Twitter zu einem ge-
sonderten Beispiel machen. Eng daran gebunden ist natürlich auch die Vertrauensproblema-
tik, denn nur durch kontinuierliche Partizipation kann Vertrauen in andere Nutzer entstehen
und zur höheren Sichtbarkeit dieser vertrauenswürdigen Nutzer führen. Denn das Vertrauen
in eine Person beruht auf der Echtheit der Austauschbeziehung und setzt die Integrität des
anderen voraus (vgl. Giddens 1996, S.49f).
Zusammengenommen sind alle diese Punkte auf den Typ des Digital Resident übertragbar
und das Besondere dabei ist, dass das Konzept sehr schön verdeutlicht, dass ein hoher Sta-
tus durch Twitter nicht zwangsläufig auch für andere Bereiche qualifizieren muss. Man könn-
te sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass allein die Nutzung des Dienstes
kein hohes Maß an Qualifikationen und Fähigkeiten voraussetzt, was wohl auch eines der
Kernelemente für den derzeitigen Erfolg des Microbloggings ist. Die Funktionsweise und das
Potenzial von Twitter zu erlernen funktioniert, so White, dann am besten, wenn man den
Dienst selbst nutzt und eigene Erfahrungen beim Umgang mit den technischen aber auch
sozialen Aspekten sammelt. Diese Tatsache lässt Twitter zu einer, wie White in seinem Vor-
trag auch anführt, Residential-Plattform werden (vgl. White 2009). Und genau hierdurch ent-
steht eine Dichotomie. Denn während das Lernen neuer Dinge für den Visitor simplifiziert
gesagt eine Relation von Lerner-Medium-Experte ist, reicht es genau hier nicht aus, ein
Handbuch über die Nutzung von Twitter zu lesen. Natürlich könnte man auch die Funktionen
zusammenfassen und darstellen, die eigentliche sozio-kulturelle Wirkung lässt sich aufgrund
ihrer individuellen Entfaltung und der netzwerkartigen Struktur jedoch nicht erfassen. Das
„Wie“ beim Lernen wird maßgeblich auch durch das eigene Selbst bestimmt. Man eignet sich
gewisse Denkmuster an. Beim Universitären findet man dieses Prinzip wohl am meisten
ausgeprägt vor (vgl. Warschauer 2004, S.122). Auch White diskutiert das Visitor-Resident
Prinzip am Beispiel seiner eigenen Nutzungsschemata im beruflichen, universitären aber
auch privaten Rahmen.
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Die Nutzung ist dabei vom jeweiligen Kontext abhängig. Während er im institutionellen Rah-
men etabliert ist und auf Konferenzen oder durch wissenschaftliche Aufsätze, Forschungs-
projekte aber auch Blogeinträge versucht seine Sichtbarkeit zu optimieren, hält er sein priva-
tes Leben bewusst aus der Öffentlichkeit (vgl. White 2009). Dies visualisiert David White in
seinem Vortrag am Beispiel seiner eigenen Person wie folgt:
Abbildung 3 Diagramm zur Einstufung des Nutzerverhaltens nach dem Visitor-Resident Prinzip
Im beruflichen, professionellen Bereich hat er also eine Persona entwickelt, welche durch
regelmäßige Updates und stetige Teilhabe gepflegt wird. Im Gegensatz dazu hält er seinen
privaten, familiären Bereich eher gedeckt und somit scheinbar auch getrennt von der berufli-
chen Identität. Das Beispiel zeigt, dass einerseits die Typisierung in einer starken kontextuel-
len Abhängigkeit steht, andererseits jedoch auch einem stetigen Prozess unterliegt. Es han-
delt sich hierbei nicht um eine finale Typisierung, sondern vielmehr um eine zugespitzte
Form der Momentaufnahme. Die erfasste Person befindet sich dabei immer wieder in einer
Neubewertung der Gegebenheiten. Dabei spielt die Nutzungskompetenz eine untergeordne-
te Rolle, wenngleich sie als Indikator für eine Typisierung gelten könnte, wird hierbei deutlich,
dass White klar zwischen zwei Domänen trennt und diese sehr bewusst auseinander hält.
Institutional
Resident Visitor
Non-institutional
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5 Fazit und Ausblick Eine genaue Betrachtung des hier diskutierten Themas offenbart, dass es sich um hoch-
komplexe Zusammenhänge handelt, welche nicht in allgemeingültige Muster zu erfassen
sind. Das Visitor-Resident Prinzip eröffnet dabei neue Blickwinkel, bringt jedoch auch erneu-
ten Diskussionsbedarf, denn schließlich scheint die Problematik, inwiefern die Nutzertypen
zu klassifizieren sind, vielfach interpretierbar. Die populistisch anmutende These Prenskys
aus dem Jahr 2001 sorgt dabei bis heute für Diskussionsbedarf und trägt dazu bei, dass das
Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird. Anstatt hierbei jedoch von einer
Kulturrevolution zu sprechen, scheint es als angemessener, das Phänomen als ein weiteres
Kapitel in der Geschichte einer Kulturevolution anzusehen. Denn schon wie die Nachkriegs-
generation es geschafft hat die Gesellschaft zu verändern, wird es wieder zu neuen Verän-
derungen kommen. Im Gegensatz zu den Generationen davor findet die Transformation der
Gesellschaft jedoch schneller statt, was direkte Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben
kann. Hierbei ergibt sich eine Diskrepanz zwischen den Formen der Organisationen und den
Individuen der Gesellschaft. Dies wurde unter Berücksichtigung der Marktkommunikation
gezeigt. Unternehmen müssen mit dem Tempo dieser Transformationen Schritt halten und
sich darauf einstellen können, um am Markt bestehen zu können.
Besonders mit Blick auf den daran gebundenen Generationsdiskurs erscheint die Typisie-
rung der Visitors und Residents als interessant, da es sich dabei um ein Konzept handelt,
welches das individuelle Nutzungsverhalten besser berücksichtigt und die Altersfrage implizit
ausklammert. Eine differenzierte Typisierung ist jedoch selbst in kontextueller Abhängigkeit
nur schwer möglich. Die Diskussion hat gezeigt, dass Wissen erst im Kontext sozialer Inter-
aktion aus Informationen generiert wird und dieser Prozess sich im ständigen Wandel befin-
det. Dabei ist es immer weniger eine Frage der Generation selbst als vielmehr der habituel-
len Ausprägungen innerhalb sozialer Gruppen. Zudem wurde auch darauf aufmerksam ge-
macht, dass eine Diskussion weniger an technologische Probleme als vielmehr an die sozia-
len Aspekte orientiert werden sollte. Natürlich sind basale Kernkompetenzen notwendig. Man
muss wissen, wann man welchen Knopf drücken muss oder wie man wo an Informationen
kommt und diese dann auch strategisch aufbereiten kann.
Problematisch wird das Visitor-Resident Prinzip mit Blick auf die Relation zwischen Visitor
und Resident unter Berücksichtigung einer „Voice Divide“ (vgl. Iske/Klein/Kutscher 2005),
denn aufgrund der Tatsache, dass die Typisierung eher temporär einzustufen ist, scheint die
Typologie dort an ihre Grenzen zu stoßen. Auch beim Beispiel zur Facebookgruppe, welches
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White anführt, wird keinerlei Aussage über ein diesbezügliches Verhältnis von Visitor und
Resident geschildert. Dieser Punkt erscheint jedoch als äußerst kritisch, denn, und das ha-
ben diverse Untersuchungen gezeigt, die Partizipation selbst ist ein komplexes Konstrukt,
welches unter anderem in Abhängigkeit von sozialer Herkunft, Motivation und Kontinuität
steht. Aufgrund der Tatsache, dass immer neue Technologien und Webdienste den Markt
erschließen, ist jedoch vielmehr eine allgemeine Orientierung notwendig. Dies funktioniert
vorrangig über die Fähigkeit der Abstraktion und experimentelles Handeln. Das Konzept der
Netzwerkgesellschaft, wie es von Castells formuliert wurde, impliziert genau diese Faktoren.
Grundlegende soziale Mechanismen, wie die Genese von Vertrauen in technisch vermittel-
ten Räumen, dienen dabei der Reduktion von Komplexität und ermöglichen eine Partizipati-
on und darüber hinaus die stetige Entwicklung und Neujustierung des Verhältnisses von
Selbst und Welt. Ähnlich wie bei Schrift und Sprache erfordert dies kontinuierliche Übung
und wird somit zu einem ständigen Fort- und Weiterbildungsinhalt – nicht nur für Institutio-
nen.
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6 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Nutzertypologie der ARD und ZDF Langzeitstudie 7
Abbildung 2 Quelle: MNT-Justierungsstudie 2006 8
Abbildung 3 Diagramm zur Einstufung des Nutzerverhaltens 18
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