DemokratieimEuropadesEuro - Rosa-Luxemburg-Stiftung · fit für den Weltmarkt sind und sich der...

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ND DOSSIER #ThisIsACoup AUGUST 2015 61 60 ND DOSSIER #ThisIsACoup AUGUST 2015 gerung bei gleichzeitig minimalen Zinsen, was faktisch auf das Gleiche hi- nausläuft) oder die sogennann- te Rettungsprogramme – neue höhe- re Kredite, um die alten mitsamt Zinsen zu tilgen – werden zur Dauereinrichtung. Die Politik von Merkel und Schäuble wird für Deutschland noch teuer werden. Aber sie lohnt sich trotzdem. Angesichts der enor- men Krisengewinne – die Exportwirtschaft floriert mit dem schwachen Euro wie nie und der deutsche Staat profitiert davon, dass er fast keine Zinsen mehr zahlen muss – las- sen sich auch die Milliarden, die irgend- wann doch fällig werden, verschmerzen. Vor allem aber wird die Eurozone auf die deut- sche Austeritätspolitik eingeschworen (die, das sei nur am Rande bemerkt, in der Krise in Deutschland nicht angewandt wurde, da gab es die Abwrackprämie und eine Ver- längerung des Kurzarbeitergeldes). Diese Politik entspringt nicht dem Starr- sinn Schäubles, sie hat ihre Logik. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes verschwand der Ost- West-Konflikt mit dem all die vielen ande- ren Konflikte zugedeckt worden waren. Die USA blieben zwar als einzige Supermacht übrig, aber ihre Dominanz ist weit geringer als während des Kalten Krieges. Mit den Kriegen in Afghanistan und Irak wurde au- ßerdem deutlich, dass die USA zwar jede Armee der Welt vernichtend schlagen kön- nen, dass der militärische Erfolg aber kei- neswegs bedeutet, dass man die Nach- kriegsordnung uneingeschränkt bestim- men könnte. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends schlug die Stunde der Mittel- mächte. Brasilien und ganz Lateinamerika betreiben eine Politik, die unabhängiger von den USA ist, als dies seit Jahrzehnten der Fall war. China ist zum weltweiten Global Player geworden, sowohl auf politischer wie auf ökonomischer Ebene. Russland konnte zwar nicht an den Supermachtstatus der Sowjetunion anknüpfen, ist als Mittelmacht aber nicht zu unterschätzen. Und in West- europa? Da ist Deutsch- land schon längst die poli- tisch und ökonomisch füh- rende Macht, die zunehmend weltpolitische Ambitionen entwi- ckelt. Nicht die weltweiten Militäreinsätze, an denen sich Deutschland inzwischen be- teiligt, sondern der Euro und die Kontrolle der Eurozone sind dafür der Ausgangs- punkt. Für große Teile des deutschen Kapi- tals ist auch die EU längst nicht mehr groß genug. Die Eurozone ist lediglich die Basis, von der die weltumspannenden Exportof- fensiven ausgehen. Dafür muss die Euro- zone aber auch entsprechend dem deut- schen Modell ausgerichtet werden. Dazu gehört nicht nur eine stabile Währung, son- dern auch den Sozialstaat auf eine Mini- malsicherung zu beschränken und Schutz- rechte der Beschäftigten abzubauen. Der weltweite Wettbewerb ist hart, da dürfen nicht schon »zu Hause« die Profitinteres- sen des Kapitals eingeschränkt werden. Ge- nau das ist der Sinn der von Merkel und Schäuble forcierten Politik. Dass sie dieses Programm durchsetzen können, liegt nicht allein an der deutschen Übermacht in der EU oder der Brutalität, mit der sie vorgehen. Das von ihnen verfolgte Programm trifft sich hier durchaus mit den Interessen jener Ka- pitalfraktionen der anderen EU-Länder, die fit für den Weltmarkt sind und sich der ag- gressiven deutschen Exportstrategie an- schließen wollen. Die veränderte Rolle Deutschlands wird richtig deutlich, wenn man über die Euro- papolitik hinausschaut. Dazu nur zwei Bei- spiele. Vier Wochen lang streikten im Juni und Juli die Postangestellten: Nicht in erster Linie für höhere Löhne, sondern für die Auf- lösung von neu gegründeten Tochterge- sellschaften, in denen für die gleiche Arbeit bis zu 20 Prozent weniger Lohn gezahlt wird. Begründet wurde diese Lohnsenkung mit dem Erhalt der »Wettbewerbsfähigkeit«. Dabei hat der Konzern einen Vorsteuerge- winn von über drei Milliarden Euro und ist Marktführer. Der Streik endete, zumindest was die Hauptforderung nach Auflösung der neu gegründeten Gesellschaften angeht, mit einer völligen Niederlage. Auch in Deutsch- land wird das Kapital deutlich aggressiver. Und dann wäre da noch TTIP, die große transatlantische Freihandelszone. Der Ab- bau von Zöllen ist dabei das geringste Problem. Wichtiger sind die Angleichun- gen von Standards, da wird es mit ziemli- cher Sicherheit sowohl in den USA als auch in der EU deutlich nach unten gehen. Und schließlich die Schiedsgerichte: Ur- sprünglich mal eingeführt um ausländi- sche Investoren gegen entschädigungslo- se Enteignung zu schützen, geht es inzwi- schen nicht mehr nur um getätigte Inves- titionen, sondern um erwartete Profite, die durch staatliches Handeln eingeschränkt werden. So wie Griechenland jetzt erst mal alle wichtigen Gesetzentwürfe in Brüssel vorlegen muss, bevor sie überhaupt dem Parlament zugeleitet werden, wird in Zu- kunft bei wichtigen Gesetzesvorhaben im- mer mit einberechnet werden, wie hoch die Entschädigungsforderungen internationa- ler Konzerne sein werden. Es wird dann in der EU so ein bisschen wie in der Eurozone aussehen: Die Bevöl- kerung kann sich zwar die Regierung wäh- len, die sie haben möchte, der Spielraum dieser Regierung gegenüber dem Kapital ist aber erheblich eingeschränkt. »Marktkon- forme Demokratie« eben. Wie hieß es schon 2011 bei Merkel: Wir leben ja in einer De- mokratie und deshalb »werden wir Wege finden, die parlamentarische Mitbestim- mung so zu gestalten, dass sie auch markt- konform ist«. Parlamentarische Mitbe- stimmung als notwendiges Übel, das man entsprechend zurechtstutzen muss. Die EU- Institutionen und insbesondere die Abga- be des nationalen geldpolitischen Einflus- ses durch die Einführung des Euro sind da- für entscheidend wichtige Bausteine. Dass die EU doch eigentlich gut und nur die Po- litiker so borniert sind, dass sie die »euro- päische Idee« beschädigen, sollte man vielleicht doch noch einmal überdenken. Demokratie im Europa des Euro Der Kurs des Bundesfinanzministers ist nicht »starrsinnig« – er nutzt die deutschen Chancen. Von Michael Heinrich Was musste sich Wolfgang Schäuble seit der erfolgreichen Erpressung von Alexis Tsipras und dessen Regierung nicht alles für Kritik anhören: Er habe die Demokratie in Europa beschädigt, er habe dem Anse- hen Deutschlands im Ausland geschadet und ja, vor allem die »europäische Idee« habe er beschädigt. Der Mann scheint nur noch unterwegs zu sein, um alles Schöne und Edle zu beschädigen. Konsequenter- weise fordert eine Online-Petition seinen Rücktritt. Was aber, wenn Schäuble nicht einfach nur starrsinnig, gemein und unso- zial ist? Was, wenn er einfach nur gute deutsche Politik macht? Es hat sich einiges geändert in der deut- schen Politik; gegenüber Griechenland ist das jetzt nur besonders deutlich gewor- den. Seit Jahrzehnten profitiert die deut- sche Wirtschaft mehr von der EU (und frü- her von der EWG) als die Wirtschaft jedes anderen Landes. Und der deutsche Staat profitiert über seine Steuereinahmen or- dentlich mit. Egal welche Partei den Kanz- ler stellte, die deutsche Europapolitik setz- te auf Konsens. Klaglos wurde die Rolle des größten Nettozahlers der Gemeinschaft akzeptiert. Was an die Union gezahlt wur- de, war nicht der Rede wert im Vergleich mit dem, was durch die Union verdient wurde. Gegenüber der SYRIZA-Regierung wurde mit dieser Konsenspolitik demonstrativ gebrochen. Obwohl es bei einer ganzen Reihe von Ländern erhebliche Bedenken gab, erzwangen Merkel und Schäuble eine kompromisslose Haltung der Eurozone: mit weniger als einer bedingungslosen Kapi- tulation der griechischen Regierung gaben sie sich nicht zufrieden. Deutschland hat mit der Konsenspolitik nicht nur gebro- chen, dieser Bruch sollte auch für alle gut sichtbar sein – als Warnung. Demokratie ist schön und gut. Ohne freie Wahlen kann man nicht EU-Mitglied wer- den. Nur darf daraus nicht abgeleitet wer- den, dass eine frei gewählte Regierung die einen verschuldeten Staat übernimmt, die Politik machen kann, die sie für richtig hält. Angela Merkel und Wolfgang Schäuble for- derten »Reformen« und Mario Draghi als EZB-Chef sorgte dafür, dass den griechi- schen Banken der Geldhahn abgedreht wur- de. Die griechische Regierung hatte nur noch die Wahl entweder ganz schnell eine Parallelwährung auszugeben, was zu einem chaotischen Euro-Ausstieg geführt hätte, oder aber alles zu unterschreiben, was man ihr vorgelegt hat. Schäuble hat nicht die De- mokratie in Europa beschädigt (wann und wo existierte diese phantastische unbe- schädigte Demokratie eigentlich?). Er hat lediglich deutlich gemacht, wie im Europa des Euro die Demokratie funktioniert. Aber wurde nicht genau damit die »eu- ropäische Idee« beschädigt? Dass EWG und EU nach dem Zweiten Weltkrieg den west- lichen Teil Europas vom Nationalismus be- freit und endlich Frieden und Völkerver- ständigung gebracht hätten, wird zwar im- mer wieder in die Welt hinausposaunt. Auch von vielen Linken wird es geglaubt, die deshalb vor jeder grundsätzlichen Kri- tik an der EU zurückschrecken, da sie nicht dem Nationalismus in die Hände spielen wollen. Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt aber ein etwas anderes Bild. Für den Frieden in Europa sorgte einerseits der Kalte Krieg – für innerwestliche Konflikte etwa zwischen Deutschland und Frank- reich war kein Platz mehr – und anderer- seits die atomare Bedrohung: Ein Krieg zwischen den Blöcken hätte zum atomaren Inferno geführt. Der Friede in Europa war nicht die Folge, sondern die Voraussetzung für die Gründung der EWG im Jahre 1957. Diese Gründung hatte sowohl eine poli- tische wie eine ökonomische Dimension. Politisch war die Bundesrepublik – zwölf Jahre nach der Niederlage des deutschen Faschismus und ohne irgendwelche Repa- rationen für den Angriffskrieg und die Viel- zahl der begangenen Verbrechen leisten zu müssen – als EWG-Mitglied auch wieder ein vollwertiges Mitglied der »westlichen Welt«. Für den Westen war dies die gelungene Ein- bindung der Bundesrepublik, die nur weni- ge Jahre vorher von Stalin das Angebot Wie- dervereinigung gegen Neutralität erhalten hatte. Ökonomisch verschaffte die EWG der schnell wachsenden deutschen Industrie den größeren Markt, den sie unbedingt brauchte. Frankreich und Italien verspra- chen sich von der EWG eine nachholende Entwicklung ihrer Wirtschaft und insbe- sondere Frankreich auch Unterstützung für seinen großen und maroden Agrarsektor. Der bei weitem größte Profiteur von EWG und EU war die Bundesrepublik – und dies gilt auch für die Einführung des Euro. Der einheitliche Währungsraum räumte für das deutsche Kapital nicht nur die innereuro- päischen Hindernisse beiseite, auch jen- seits der EU verschaffte der Euro, der ten- denziell schwächer als die D-Mark ist, der deutschen Exportwalze nicht zu unter- schätzende Konkurrenzvorteile und län- gerfristig greift er die Rolle des Dollar als alleiniges Weltgeld an. Allerdings waren die deutschen Regierungen nicht mehr bereit, die enormen Vorteile, die aus dem Euro re- sultierten, mit den schwächeren Ländern zu teilen. Sollten die sich doch mit der für sie viel zu starken Währung alleine herum- schlagen, irgendeine Art von »Transfer- union« kam für Deutschland nicht infrage. Diese Politik wurde in aller Brutalität ge- genüber Griechenland durchexerziert. Da- bei ging es nicht in erster Linie darum, Grie- chenland bis aufs Letzte auszuquetschen. Auch Merkel und Schäuble dürfte klar sein, dass die kleine, durch immer neue Sparor- gien geschwächte griechische Ökonomie, niemals in der Lage sein wird, die enormen Schulden substanziell abzubauen. Entwe- der es kommt irgendwann ein Schulden- schnitt (oder eine enorme Laufzeitverlän- Michael Heinrich ist Politologe und Mathematiker. Die vollständige Fas- sung dieses Beitrags wird im Sep- tember in der Zeitschrift PROKLA (Heft 180) erscheinen. Mitbestimmung als notwendiges Übel, das man zurecht- stutzen muss. Die EU und der Euro sind dafür entscheidende Bausteine.

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ND DOSSIER #ThisIsACoup ■ AUGUST 2015 6160 ND DOSSIER #ThisIsACoup ■ AUGUST 2015

gerung bei gleichzeitigminimalen Zinsen, wasfaktisch auf das Gleiche hi-nausläuft) oder die sogennann-te Rettungsprogramme – neue höhe-re Kredite, um die alten mitsamt Zinsen zutilgen – werden zur Dauereinrichtung.

Die Politik von Merkel und Schäuble wirdfürDeutschlandnochteuerwerden.Abersielohnt sich trotzdem. Angesichts der enor-men Krisengewinne – die ExportwirtschaftfloriertmitdemschwachenEurowienieundder deutsche Staat profitiert davon, dass erfast keine Zinsen mehr zahlen muss – las-sen sich auch die Milliarden, die irgend-wanndochfälligwerden,verschmerzen.Vorallem aber wird die Eurozone auf die deut-sche Austeritätspolitik eingeschworen (die,das sei nur am Rande bemerkt, in der Krisein Deutschland nicht angewandt wurde, dagab es die Abwrackprämie und eine Ver-längerung des Kurzarbeitergeldes).

Diese Politik entspringt nicht dem Starr-sinn Schäubles, sie hat ihre Logik. Mit demZusammenbruch der Sowjetunion und desWarschauer Paktes verschwand der Ost-West-Konflikt mit dem all die vielen ande-ren Konflikte zugedeckt worden waren. DieUSA blieben zwar als einzige Supermachtübrig, aber ihre Dominanz ist weit geringerals während des Kalten Krieges. Mit denKriegen in Afghanistan und Irak wurde au-ßerdem deutlich, dass die USA zwar jedeArmee der Welt vernichtend schlagen kön-nen, dass der militärische Erfolg aber kei-neswegs bedeutet, dass man die Nach-kriegsordnung uneingeschränkt bestim-men könnte. Im ersten Jahrzehnt des neuenJahrtausends schlug die Stunde der Mittel-mächte. Brasilien und ganz Lateinamerikabetreiben eine Politik, die unabhängigervondenUSAist,alsdiesseit JahrzehntenderFall war. China ist zum weltweiten GlobalPlayergeworden,sowohlaufpolitischerwieauf ökonomischer Ebene. Russland konntezwar nicht an den Supermachtstatus derSowjetunion anknüpfen, ist als Mittelmachtaber nicht zu unterschätzen. Und in West-

europa? Da ist Deutsch-land schon längst die poli-

tisch und ökonomisch füh-rende Macht, die zunehmend

weltpolitische Ambitionen entwi-ckelt. Nicht die weltweiten Militäreinsätze,an denen sich Deutschland inzwischen be-teiligt, sondern der Euro und die Kontrolleder Eurozone sind dafür der Ausgangs-punkt. Für große Teile des deutschen Kapi-tals ist auch die EU längst nicht mehr großgenug. Die Eurozone ist lediglich die Basis,von der die weltumspannenden Exportof-fensiven ausgehen. Dafür muss die Euro-zone aber auch entsprechend dem deut-schen Modell ausgerichtet werden. Dazugehört nicht nur eine stabile Währung, son-dern auch den Sozialstaat auf eine Mini-malsicherung zu beschränken und Schutz-rechte der Beschäftigten abzubauen. Derweltweite Wettbewerb ist hart, da dürfennicht schon »zu Hause« die Profitinteres-sen des Kapitals eingeschränkt werden. Ge-nau das ist der Sinn der von Merkel undSchäuble forcierten Politik. Dass sie diesesProgramm durchsetzen können, liegt nichtalleinanderdeutschenÜbermacht inderEUoder der Brutalität, mit der sie vorgehen.DasvonihnenverfolgteProgrammtrifft sichhier durchaus mit den Interessen jener Ka-pitalfraktionen der anderen EU-Länder, diefit für den Weltmarkt sind und sich der ag-gressiven deutschen Exportstrategie an-schließen wollen.

Die veränderte Rolle Deutschlands wirdrichtig deutlich, wenn man über die Euro-papolitik hinausschaut. Dazu nur zwei Bei-spiele. Vier Wochen lang streikten im Juniund Juli die Postangestellten: Nicht in ersterLinie für höhere Löhne, sondern für die Auf-lösung von neu gegründeten Tochterge-sellschaften, in denen für die gleiche Arbeitbiszu20ProzentwenigerLohngezahltwird.Begründet wurde diese Lohnsenkung mitdem Erhalt der »Wettbewerbsfähigkeit«.Dabei hat der Konzern einen Vorsteuerge-winn von über drei Milliarden Euro und istMarktführer. Der Streik endete, zumindest

was die Hauptforderung nach Auflösung derneugegründetenGesellschaftenangeht,miteiner völligen Niederlage. Auch in Deutsch-land wird das Kapital deutlich aggressiver.

Und dann wäre da noch TTIP, die großetransatlantische Freihandelszone. Der Ab-bau von Zöllen ist dabei das geringsteProblem. Wichtiger sind die Angleichun-gen von Standards, da wird es mit ziemli-cher Sicherheit sowohl in den USA als auchin der EU deutlich nach unten gehen. Undschließlich die Schiedsgerichte: Ur-sprünglich mal eingeführt um ausländi-sche Investoren gegen entschädigungslo-se Enteignung zu schützen, geht es inzwi-schen nicht mehr nur um getätigte Inves-titionen, sondern um erwartete Profite, diedurch staatliches Handeln eingeschränktwerden. So wie Griechenland jetzt erst malalle wichtigen Gesetzentwürfe in Brüsselvorlegen muss, bevor sie überhaupt demParlament zugeleitet werden, wird in Zu-kunft bei wichtigen Gesetzesvorhaben im-mer mit einberechnet werden, wie hoch dieEntschädigungsforderungen internationa-ler Konzerne sein werden.

Es wird dann in der EU so ein bisschenwie in der Eurozone aussehen: Die Bevöl-kerung kann sich zwar die Regierung wäh-len, die sie haben möchte, der Spielraumdieser Regierung gegenüber dem Kapital istaber erheblich eingeschränkt. »Marktkon-formeDemokratie«eben.Wiehießesschon2011 bei Merkel: Wir leben ja in einer De-mokratie und deshalb »werden wir Wegefinden, die parlamentarische Mitbestim-mung so zu gestalten, dass sie auch markt-konform ist«. Parlamentarische Mitbe-stimmung als notwendiges Übel, das manentsprechendzurechtstutzenmuss.DieEU-Institutionen und insbesondere die Abga-be des nationalen geldpolitischen Einflus-ses durch die Einführung des Euro sind da-für entscheidend wichtige Bausteine. Dassdie EU doch eigentlich gut und nur die Po-litiker so borniert sind, dass sie die »euro-päische Idee« beschädigen, sollte manvielleicht doch noch einmal überdenken.

Demokratie im Europa des EuroDer Kurs des Bundesfinanzministers ist nicht »starrsinnig« – er nutzt die deutschenChancen. Von Michael Heinrich

Was musste sich Wolfgang Schäuble seitder erfolgreichen Erpressung von AlexisTsipras und dessen Regierung nicht allesfür Kritik anhören: Er habe die Demokratiein Europa beschädigt, er habe dem Anse-hen Deutschlands im Ausland geschadetund ja, vor allem die »europäische Idee«habe er beschädigt. Der Mann scheint nurnoch unterwegs zu sein, um alles Schöneund Edle zu beschädigen. Konsequenter-weise fordert eine Online-Petition seinenRücktritt. Was aber, wenn Schäuble nichteinfach nur starrsinnig, gemein und unso-zial ist? Was, wenn er einfach nur gutedeutsche Politik macht?

Es hat sich einiges geändert in der deut-schen Politik; gegenüber Griechenland istdas jetzt nur besonders deutlich gewor-den. Seit Jahrzehnten profitiert die deut-sche Wirtschaft mehr von der EU (und frü-her von der EWG) als die Wirtschaft jedesanderen Landes. Und der deutsche Staatprofitiert über seine Steuereinahmen or-dentlich mit. Egal welche Partei den Kanz-ler stellte, die deutsche Europapolitik setz-te auf Konsens. Klaglos wurde die Rolle desgrößten Nettozahlers der Gemeinschaftakzeptiert. Was an die Union gezahlt wur-de,warnichtderRedewert imVergleichmitdem, was durch die Union verdient wurde.Gegenüber der SYRIZA-Regierung wurdemit dieser Konsenspolitik demonstrativgebrochen. Obwohl es bei einer ganzenReihe von Ländern erhebliche Bedenkengab, erzwangen Merkel und Schäuble einekompromisslose Haltung der Eurozone: mitweniger als einer bedingungslosen Kapi-tulation der griechischen Regierung gabensie sich nicht zufrieden. Deutschland hatmit der Konsenspolitik nicht nur gebro-chen, dieser Bruch sollte auch für alle gutsichtbar sein – als Warnung.

Demokratie ist schön und gut. Ohne freieWahlen kann man nicht EU-Mitglied wer-den. Nur darf daraus nicht abgeleitet wer-den, dass eine frei gewählte Regierung dieeinen verschuldeten Staat übernimmt, diePolitik machen kann, die sie für richtig hält.

Angela Merkel und Wolfgang Schäuble for-derten »Reformen« und Mario Draghi alsEZB-Chef sorgte dafür, dass den griechi-schen Banken der Geldhahn abgedreht wur-de. Die griechische Regierung hatte nurnoch die Wahl entweder ganz schnell eineParallelwährung auszugeben, was zu einemchaotischen Euro-Ausstieg geführt hätte,oder aber alles zu unterschreiben, was manihr vorgelegt hat. Schäuble hat nicht die De-mokratie in Europa beschädigt (wann undwo existierte diese phantastische unbe-schädigte Demokratie eigentlich?). Er hatlediglich deutlich gemacht, wie im Europades Euro die Demokratie funktioniert.

Aber wurde nicht genau damit die »eu-ropäischeIdee«beschädigt?DassEWGundEU nach dem Zweiten Weltkrieg den west-lichen Teil Europas vom Nationalismus be-freit und endlich Frieden und Völkerver-ständigung gebracht hätten, wird zwar im-mer wieder in die Welt hinausposaunt.Auch von vielen Linken wird es geglaubt,die deshalb vor jeder grundsätzlichen Kri-tik an der EU zurückschrecken, da sie nichtdem Nationalismus in die Hände spielenwollen. Ein kurzer Blick in die Geschichtezeigt aber ein etwas anderes Bild. Für denFrieden in Europa sorgte einerseits derKalte Krieg – für innerwestliche Konflikteetwa zwischen Deutschland und Frank-reich war kein Platz mehr – und anderer-seits die atomare Bedrohung: Ein Kriegzwischen den Blöcken hätte zum atomarenInferno geführt. Der Friede in Europa warnicht die Folge, sondern die Voraussetzungfür die Gründung der EWG im Jahre 1957.

Diese Gründung hatte sowohl eine poli-tische wie eine ökonomische Dimension.Politisch war die Bundesrepublik – zwölf

Jahre nach der Niederlage des deutschenFaschismus und ohne irgendwelche Repa-rationen für den Angriffskrieg und die Viel-zahl der begangenen Verbrechen leisten zumüssen – als EWG-Mitglied auch wieder einvollwertigesMitgliedder»westlichenWelt«.Für den Westen war dies die gelungene Ein-bindung der Bundesrepublik, die nur weni-ge Jahre vorher von Stalin das Angebot Wie-dervereinigung gegen Neutralität erhaltenhatte. Ökonomisch verschaffte die EWG derschnell wachsenden deutschen Industrieden größeren Markt, den sie unbedingtbrauchte. Frankreich und Italien verspra-chen sich von der EWG eine nachholendeEntwicklung ihrer Wirtschaft und insbe-sondere Frankreich auch Unterstützung fürseinen großen und maroden Agrarsektor.

DerbeiweitemgrößteProfiteurvonEWGund EU war die Bundesrepublik – und diesgilt auch für die Einführung des Euro. Dereinheitliche Währungsraum räumte für dasdeutsche Kapital nicht nur die innereuro-päischen Hindernisse beiseite, auch jen-seits der EU verschaffte der Euro, der ten-denziell schwächer als die D-Mark ist, derdeutschen Exportwalze nicht zu unter-schätzende Konkurrenzvorteile und län-gerfristig greift er die Rolle des Dollar alsalleinigesWeltgeldan.Allerdingswarendiedeutschen Regierungen nicht mehr bereit,die enormen Vorteile, die aus dem Euro re-sultierten,mitdenschwächerenLändernzuteilen. Sollten die sich doch mit der für sieviel zu starken Währung alleine herum-schlagen, irgendeine Art von »Transfer-union« kam für Deutschland nicht infrage.

Diese Politik wurde in aller Brutalität ge-genüber Griechenland durchexerziert. Da-bei ging es nicht in erster Linie darum, Grie-chenland bis aufs Letzte auszuquetschen.Auch Merkel und Schäuble dürfte klar sein,dass die kleine, durch immer neue Sparor-gien geschwächte griechische Ökonomie,niemals in der Lage sein wird, die enormenSchulden substanziell abzubauen. Entwe-der es kommt irgendwann ein Schulden-schnitt (oder eine enorme Laufzeitverlän-

Michael Heinrich ist Politologe undMathematiker. Die vollständige Fas-sung dieses Beitrags wird im Sep-tember in der Zeitschrift PROKLA(Heft 180) erscheinen.

Mitbestimmungals notwendiges

Übel, das man zurecht-stutzen muss. Die EU

und der Euro sinddafür entscheidende

Bausteine.