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Der Case Management Boom

Nach Eckhard Hansen (2005, S. 108) wird Case Management oft

„als Synonym moderner Einzelfallhilfe verwandt und erscheint

„als eine Art Aladins Wunderlampe, deren Geist jedem, der

daran reibt, Wünsche zu erfüllen scheint: Die Soziale Arbeit wird

effektiv, effizient, berechenbar, transparent, professionalisiert,

kundenorientiert.“kundenorientiert.“

Geschichte des Case Managements

Case Management wurde ab Ende der 70er Jahre in den USA entwickelt.

Hintergründe

• Zersplitterung sozialer Dienstleistungsangebote, die auf der Seite derAbnehmer (Klienten) zu erheblichen Orientierungsproblemen führt und aufder Seite der Anbieter (Träger Sozialer Dienste) zu wenig effektivenÜberschneidungen und Koordinationsproblemen.Überschneidungen und Koordinationsproblemen.

• Wachsende Zielorientierung und Kostenkonkurrenz unter den Anbieternsozialer Dienstleistungen im Zuge der neoliberalen Sozialreformen in denUSA.

In Deutschland wurde das Case Management zunächst im Gesundheits- undPflegebereich eingesetzt. Seit Ende der 1990er Jahre wird das CaseManagement in vielen Feldern erprobt und vor allem in der Arbeits- undSozialverwaltung zur „Methode der Wahl“ (Hartz-Reformen).

Case Management - Definition

„Case Management gehört der Sozialarbeit an und hat dieKernfunktion, den Klienten-Systemen (einzelnen Menschen,Familien und ihren Angehörigen, Kleingruppen, Nachbarn,Freunden usw.) in koordinierter Weise Dienstleistungenzugänglich zu machen, die von ihnen zur Lösung von Problemenund zur Verringerung von Spannungen und Stress benötigtund zur Verringerung von Spannungen und Stress benötigtwerden. Sozialarbeiter erfüllen damit einen wichtigen Teil ihresMandates und ihrer Funktion, indem sie soziale odergesundheitliche, therapeutische und erzieherische, religiöse,juristische u.a. Hilfen denen vermitteln und zukommen lassen,die auf derartige Leistungen ambulant (im eigenen Haushalt)oder in Institutionen und Organisationen angewiesen sind“ (Lowy1988, S. 31).

Case Mangement – Elemente (nach Lowy)

• die Erfassung der Aufgabenstellung (assessment), d.h. dieAnalyse der Lebenssituation des Klienten und der darausresultierenden Hilfeerfordernisse;

• die Planung der Dienstleistung (service planning), d.h. diegemeinsame Erarbeitung eines Hilfe- und Unterstützungs-plans mit dem Klienten;plans mit dem Klienten;

• die konkrete Vermittlung der Unterstützung (brokeringservices), d.h. die Kontaktierung und Vermittlung an diekonkret hilfeleistende Institution;

• das Handeln im kommunalen Kontext (communityintervention), d.h. der Koordination der Hilfeleistung imkommunalen Zusammenhang (vgl. Wendt 1988, S. 18 f.).

Bestandteile des Verfahrens Case-Management (nach Wendt)

1. die Nutzung eines Netzwerks von Einrichtungen und Diensten,2. die Eröffnung des Zugangs zu den Bestrebungen und Ressourcen des Dienstes seitens der Zielgruppe,3. die Erfassung der Stärken des Klienten und seines Hilfebedarfs, wobei die Betonung eher auf den

Stärken als auf dem Problem liegt,4. die Entwicklung eines Unterstützungsplans nach Zielplanung mit dem Klienten,5. ein Vertrag zwischen Klient und Dienststelle und erforderlichenfalls weitere Einzelkontrakte,6. der Entwurf eines individualisierten Netzwerks sowohl der Dienste als auch der informellen Hilfen für und

mit dem Klienten,7. die Durchführung des verabredeten Plans und die Mobilisierung der Netzwerke,8. Beobachtung des Ablaufs der Unterstützung gemäß Plan und nötigenfalls seine Abänderung,9. Evaluation zusammen mit dem Klienten, ob die abgesprochenen Aktivitäten ihren Zweck erfüllen,10. formelle Beendigung der Unterstützung in Absprache mit dem Klienten und10. formelle Beendigung der Unterstützung in Absprache mit dem Klienten und11. Nachsorge“ (Roberts-DeGennaro, zit. nach Wendt 1988, S. 21).

Der Sozialarbeiter konzentriert seine Tätigkeit nicht mehr auf die Verhaltensänderung des Klienten mittels psychosozialer Interventionstechniken, sondern er findet den Kern seiner Aufgabe in Ermittlung, Konstruktion und Überwachung eines problemadäquaten Unterstützungsnetzwerkes, zu dem sowohl die • informellen sozialräumlichen Ressourcen (Familie, Nachbarn, Freunde,vorhandene Infrastruktur etc.)

gehören, wie auch die • formellen Angebote des (sozialen) Dienstleistungssektors.

„Der Case-Manager übernimmt die intermediäre Rolle einer Schlüsselperson zwischen den Bedürftigen und den diversen potentiellen Hilfsquellen“ (Wendt 1991, S. 40).

Case Management im aktivierenden Sozialstaat

Der aktivierende Sozialstaat „baut auf dem Grundsatz der Eigenverantwortung auf. Hilfe heißt deshalb

in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe. Der moderne Sozialstaat muss seine Maßnahmen so ausgestalten,

dass sie ausreichenden Anreiz bieten, sich anzustrengen und die eigenen Möglichkeiten in vollem

Umfang zu nutzen“Glück, A.: Vita activa – Wege zu einer neuen Sozial- und Bürgerkultur, Rede auf dem Deutschen Katholikentag am 3. Juni 2000, S. 3.

Der aktivierende Sozialstaat ist ein Staat, „der zwar an einer umfassenden öffentlichen Verantwortung

für gesellschaftliche Aufgaben festhält, jedoch nicht alle Leistungen selbst erbringen muss. Seine

Aufgabe ist vielmehr, die Gesellschaft einschließlich der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zuAufgabe ist vielmehr, die Gesellschaft einschließlich der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu

aktiveren, zu fordern und zu fördern, sich selbst als Problemlöser zu engagieren.Bandemer, St. v./Hilbert, J.: Vom expandierenden zum aktivierenden Staat, in: Bandemer, St. v. u.a. (Hg.): Handbuch zur Verwaltungsreform,

Opladen 1998, S. 29.

„Der Staat schafft die Rahmenbedingungen, deren faire Chancen dann die Bürger in individueller

Verantwortung wahrnehmen sollen. Danach gilt für die Verteilung das (meritokratische) Prinzip des

Marktes.“Grundwertekommission beim Parteivorstand der SPD: Dritte Wege – Neue Mitte, Sozialdemokratische Markierungen für Reformpolitik im

Zeitalter der Globalisierung, Berlin 1999, S. 11.

Prinzipien des aktivierenden Sozialstaats

• Mehr Markt!

• Mehr Eigenverantwortung!

Arbeitslosengeld Grundsicherung

(SGB II)

Sozialhilfe

Nach vorheriger

sozialversicherungs-

pflichtiger Beschäftigung

erhält der/die Betroffene

Arbeitslosengeld

abhängig vom

vorherigem Einkommen

A. ist eine

Versicherungs-leistung.

Nach Ablauf des

Arbeitslosengeldes (in

der Regel 12 Monate)

erhält der erwerbsfähige

Arbeitslose nach

Bedürftigkeitsprüfung

(unter Anrechnung von

Vermögen und

Familieneinkommen)

Alle nicht

erwerbsfähigen ohne

Einkommen und

Vermögen, die nicht in

einer Bedarfsgemein-

schaft leben, erhalten

nach Bedürftigkeits-

prüfung (unter Anrech-

nung von Vermögen und

Formen der materiellen Unterstützung

(keine

Bedürftigkeitsprüfung!)

Arbeitslosengeld

Arbeitslosengeld II Familieneinkommen)

Sozialhilfe.

Alle nicht

erwerbsfähigen

Personen, die in einer

Bedarfsgemeinschaft mit

einem ALG II Bezieher

leben, erhalten

Sozialgeld

Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz VI)

Anforderungen an die

Fallmanager „Kunde“ (Arbeitsloser)

Alle Aktivitäten werden dem Ziel der Integration in den ersten Arbeits-markt, Vermittlung untergeordnet

Fördern und Fordern (im Verhältnis 1 zu 75)

Profiling und Einteilung in Fallgruppen (Marktkunde, Beratungskunde, Betreuungskunde)

(permanente) Offenlegungspflicht in Bezug auf die persönlichen Lebens-, Einkommens- und Vermögenslage

Pflicht zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung

Pflicht, in jeder Weise aktiv an Abschluss einer Eingliederungsver-einbarung, abgestimmte Förderung

Kontrolle der Vereinbarungen, ggf. der Lebensverhältnisse, Test der (Arbeits-)Bereitschaft

Ggf. Aussprechen von Sanktionen im Falle von Verstößen gegen Eingliederungsvereinbarung bzw. SGB II.

Dokumentation

Pflicht, in jeder Weise aktiv an der eigenen Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt mitzuwirken (z.B. durch ständige Verfügbarkeit, räumliche und berufliche Mobilität, Weiterqualifizierung)

Insbesondere: Jede Arbeitsge-legenheit muss angenommen werden (kein Berufs- und/oder Einkommensschutz etc.)

Auszüge aus dem Lehrbuch für FallmanagerBertelsmann-Stiftung, Bundesanstalt für Arbeit, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und

Gemeindebund (Hrsg.): Handbuch Beratung und Betreuung. Fördern und Fordern, Gütersloh 2002 – Auszüge -

„Zur Überprüfung der Motivation Ihrer Klienten sollten sie diesen sofort eine Tätigkeit anbieten. Das kann ein Praktikumsplatz oder eine Maßnahme zur Förderung von basic skills sein.“ (S. 32).

„Eine zentrale Rolle in dem Geschehen zwischen Betreuer und Arbeitslosen spielt der Eingliederungskontrakt. Dessen Funktion ist es, die Eigenverantwortlichkeit und die Eigeninitiative des Betroffenen zu stärken. (…) Mit diesem Instrument verpflichten sich die Arbeitslose sowie sein Betreuer, die gemeinsam festgelegten Schritte auch durchzuführen. Die Unterschriften beider Seiten unter der Vereinbarung erhöhen den Grad der Verpflichtung und der Verbindlichkeit“ (S. 26).

„Im Vertrag sollten auch Passagen vorhanden sein, die über Umfang und Einsatz der Sanktionen Auskunft geben. Mit solchen Klauseln verdeutlichen Sie noch einmal die Verbindlichkeit des Planes und stärken die Verantwortungsbereitschaft der Klienten. Bei schwierigen Konflikten, auch vor Gericht, können sie darauf verweisen, Verantwortungsbereitschaft der Klienten. Bei schwierigen Konflikten, auch vor Gericht, können sie darauf verweisen, denn der Klient hat sich zur Einhaltung der vereinbarten Schritte verpflichtet und darüber hinaus auch noch den möglichen Sanktionen bei einer Nichteinhaltung zugestimmt“ (S. 89 f.).

„Nutzen Sie die Sanktionsquoten (prozentualer Anteil der eingeleiteten Sanktionen an allen Fällen) als Indikator. (…) Ein niedriger Prozentsatz ist ein möglicher Fingerzeig auf eine zu intensivierende Aktivierung. Was ein ‚hoher’ und ein ‚niedriger’ Prozentsatz ist, lässt ich am besten in Vergleichsringen herausfinden“ (S. 90).

„Um die Eigenverantwortung Ihres Klienten bei der Durchführung der Maßnahme zu steigern, ist das von der KomAGReutlingen/Tübingen entwickelte Verfahren durchaus empfehlenswert. Dort wird für jede Maßnahme ein privatrechtlicher Vertrag zwischen der KomAG und dem Klienten abgeschlossen. In diesem Vertrag werden nicht nur die Kosten der Maßnahme transparent gemacht, sondern der Klient verpflichtet sich, bei erfolgloser Beendigung auf Grund mangelnder Mitwirkung die Ausgaben der KomAG zu ersetzen. Dieser Passus ist zwar eher symbolischer Natur, da die Klienten in aller Regel nicht in der Lage sein werden, die entstandenen Kosten zu ersetzen, er verdeutlicht jedoch die Ernsthaftigkeit des Forderaspektes. Um nicht eine Vielzahl von Verträgen abzuschließen, empfiehlt sich die Aufnahme dieses Paragrafen sowie dir Kostentransparenz in den ‚Eingliederungsplan’“ (S. 93).

Case Management - Kritik

• Die Methode des Case Managements passt nicht in die Kultur des deutschen Sozialstaats, dahier von Zersplitterung keine Rede sein kann (z.B. Sozialversicherungen, Korporatismus, hoheVerrechtlichung im Sozialgesetzbuch). Aber: Der Erfolg des Case Managements könnte ein Indizfür den Umbau des Sozialstaats nach neoliberalen Muster sein.

• Die Methode des Case Managements ist überflüssig, weil ihr Koordinationsprinzip (Einbeziehungaller informellen und institutionellen Ressourcen des sozialen Netzwerkes) schon in denPrinzipien der wohlfahrtsstaatlichen Gemeinwesenarbeit entwickelt worden. Allerdings trifft dasCase Management damit auch die Kritik an der wohlfahrtsstaatlichen Gemeinwesenarbeit: DieseKritik betonte die sozialtechnologische Orientierung an der Optimierung wohlfahrtsstaatlicherLeistungen.Leistungen.

• Das Konzept verschleiert ihre stärkere Kontrollorientierung durch den Rückzug auf scheinbarneutrale (und effiziente) Managementfunktionen.

• Das Fallmanagement in der Arbeits- und Sozialverwaltung verzichtet im Gegensatz zumklassischen Methodenkonzepte auf die zentralen Aspekte der Zieloffenheit (Fixierung auf dieIntegration in den ersten Arbeitsmarkt) und der Freiwilligkeit. Der Charakter des„Beratungsangebots“ gerät damit in die Nähe „mafiöser Angebote“ (Achim Trube), die der„Hilfesuchende“ kaum ablehnen kann.

• Das Rollenmodell des Case Managers als „teacher, preacher, friend and cop“ (Bertelsmann u.a.)hat nichts gemein mit dem Verständnis von lebensweltorientierter Hilfe zur Lebensbewältigung.Das Case Management ist ein Indiz für die wachsende Bedeutung von Kontroll- undSanktionsanteilen in sozialpädagogischen Handlungszusammenhängen.