Der Spiegel - 31-2014

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  • Als SPIEGEL-Autor Christian Neef in dervergangenen Woche die Absturzstellevon Flug MH17 nahe dem ukrainischenDorf Hrabowe erreichte, stand er zwischenden verbrannten Trmmern des Flugzeugs,sah Gepckstcke, Kinderspielzeug aberkeine internationalen Ermittler, nicht wh-rend des ersten Besuchs und auch nichtwhrend der folgenden. Es ist, als interes-siere sich niemand mehr fr den Unglcks-

    ort, eine Aufklrung des Absturzes drfte immer schwieriger werden, glaubtNeef. Welche Auswirkungen der Tod der 298 Passagiere auf die internationalePolitik hat, auf das deutsch-russische Verhltnis und auf die Menschen in denNiederlanden, beschreibt Neef zusammen mit Kollegen aus Moskau, Hamburg,Berlin und Brssel im Titelkomplex dieser Ausgabe. Sie analysieren die Sanktio-nen gegen Russland und ihre mglichen Folgen, begleiteten OSZE-Mitarbeiterin der Donezker Volksrepublik und erlebten in den Niederlanden, wie einLand um Fassung ringt. Seite 68

    Fast 60 000 Kinder und Jugend -liche sind seit Oktober vergange-nen Jahres aus Staaten Mittelameri-kas in die USA geflohen, in der Hoff-nung, dort ein besseres Leben zu fin-den. Die Redakteure Jens Glsingund Markus Feldenkirchen wolltenwissen, warum diese Kinder fliehen,manche allein, andere mit ihrer Mut-ter. Sie machten sich auf beiden Sei-ten der Grenze auf die Suche nachden Mitgliedern einer Familie; Fel-denkirchen im Sden von Texas, Glsing im Norden von Honduras. Sie fandenOlga Arzu, verheiratet mit David Palacios, und ihren vierjhrigen Sohn Daylan.Was die Mutter mit ihrem Kind in die USA trieb, warum der Vater zurckblieb,ist zu lesen ab Seite 82

    Mit dem britischen Knigshaus und dem deutschen Sommer beschftigensich in dieser Woche SPIEGEL GESCHICHTE und KulturSPIEGEL. Die neueAusgabe von SPIEGEL GESCHICHTE Britanniens Krone Von den Angelsachsenbis zu Knigin Elizabeth II. geht der Frage nach: Wie erklrt sich die Erfolgs-geschichte dieser mehr als tausend Jahre alten Monarchie? Die Autoren zeichnenden Weg berhmter Knige und Kniginnen nach, beschreiben, wie Wilhelmder Eroberer, Richard Lwenherz und die, die nach ihnen herrschten, ihr Landprgten, wie sie Intrigen ersonnen, Herrschaftsstrategien und wie sich die

    Monarchie dabei wandelte. Der Kultur-SPIEGEL analysiert in seiner Sommeraus -gabe Aktivitten, denen Menschen inihrer Freizeit drauen gern nachgehen;unter anderem wird im Heft die Fragegestellt, ob man im Freien nicht vielbesser kocht als in der Einbaukche.SPIEGEL GESCHICHTE erscheint am Diens-tag dieser Woche, der KulturSPIEGELliegt wie immer der Inlandsauflage bei.

    3DER SPIEGEL 31 / 2014

    Betr.: Titel, Flchtlinge, SPIEGEL GESCHICHTE, KulturSPIEGEL

    Das deutsche Nachrichten-Magazin

    Hausmitteilung

    Das deutsche Nachrichten-Magazin

    Neef in der Ukraine

    Glsing, Palacios in Honduras

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  • Pilgerboom aufdem JakobswegEinkehr Hunderttausende pil-gern auf dem Jakobsweg, vieleauf den Spuren von Hape Kerkelings Buch Ich bin dannmal weg. Es knnten nochmehr werden, denn nun wird dasBuch verfilmt. Der modernePilger sucht Trost, Freiheit, denSinn des Lebens. Und er fragt sich, ob er das alles findet,wenn er auf Horden vonGleichgesinnten trifft. Seite 50

    Als ob es tausendStbe gbe Ethik Wie sieht der Zoo derZukunft aus? FunktionierenTierparks als Archen fr bedrohte Arten? Im SPIEGEL-Streitgesprch diskutieren derPhilosoph Jrg Luy und derehemalige Zoodirektor GuntherNogge ber das schlechte Gewissen beim Zoobesuch undMenschenaffen in Gefangen-schaft. Seite 94

    Die wilden KerleMusik-Schwerpunkt berall in Deutschland gibt es im SommerPop- und Klassikfestivals. Den wilden Kerlen auf den Bhnen istder gesamte Kulturteil gewidmet. Es treten auf: HipHopper, Pianisten, auch der Trsteher des berhmtesten deutschen Techno -klubs. Motrhead-Snger Lemmy Kilmister sagt im SPIEGEL-Gesprch, Heavy Metal sei sein teures Hobby. Seiten 108 bis 120

    Europa feilscht,Putin wartetSanktionen Nach dem Ab-schuss von MH17 wchst derDruck auf die EU, Russland zu isolieren und eine weitereEskalation zu verhindern.Doch sind 298 Tote einen Wirt-schaftskrieg und Verluste inMilliardenhhe wert? Whrenddie Niederlnder trauern, wirdin der Ostukraine weiter -geschossen. Seiten 68 bis 74

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    4 DER SPIEGEL 31 / 2014

  • In diesem Heft

    5DER SPIEGEL 31 / 2014

    Uli Hoene,

    Ex-FC-Bayern-Manager, wurde wegen eines Routine-eingriffs aus der Haft in eineLuxusklinik gebracht. Dortwusste die CSU ihre Mchti-gen und Freunde stets gutund diskret betreut. Seite 34

    Manuela Schwesig,

    Bundesfamilienministerin,bleibt hinter ihren Ansprchenzurck. Verbindliche Standards fr Kitas wird esnicht geben. Dabei wren die dringend ntig. Seite 16

    Jrgen Trittin,

    jahrelang eigentlicher Anfh-rer der Grnen, empfiehlt seiner Partei im SPIEGEL-Gesprch, es mit der Moralnicht zu bertreiben, und erklrt, warum Arroganz vonVorteil sein kann. Seite 20

    Titel

    68 Sanktionen Europa machtErnst gegen Russland

    71 Auenpolitik Interview mit Minister Frank-WalterSteinmeier

    73 Niederlande Das Land mitden meisten Opfern steht imZentrum des Konflikts

    74 Ukraine Rund um den Ab-sturzort von MH17 herrschtStillstand inmitten des Kriegs

    Deutschland

    10 Leitartikel Nach dem Ab-schuss von Flug MH17 muss Europa Putin zum Ein-lenken zwingen

    12 Opposition stellt Bundes-regierung Ultimatum frSnowden-Anhrung / PeterGauweiler Topverdiener imDeutschen Bundestag / Kolumne: Im Zweifel links

    16 Erziehung Warum ManuelaSchwesigs neues Kita-Qualittsgesetz keines ist

    20 Grne Exfraktionschef Jrgen Trittin im SPIEGEL- Gesprch ber Moral in derPolitik und eigene Macken

    24 Proteste Woraus speistsich der Antisemitismus aufdeutschen Straen?

    27 Berlin Einige linke Israelisprotestieren gegen die Gaza-Offensive Netanjahus

    28 Essay Der Berliner SPD-Politiker Raed Saleh ber In-tegration als Mittel gegen Hass

    30 Luftfahrt Nach der Flug-zeugkatastrophe ber derUkraine suchen die Airlinesnach neuen Sicherheitsregeln

    32 Quote CDU-Ministerienblockieren Frauenfrderung fr ffentliche Unternehmen

    33 Kommentar Deutschlandsverwehte Chance

    34 Strafvollzug Die Privatkli-nik, in der Uli Hoene behan-delt wurde, bot schon anderenCSU-Spezln ein Refugium

    36 Gesundheit Patienten sindin billigen Krankentrans -portern Risiken ausgesetzt

    38 Verteidigung Wie verdecktman als Soldat seine Tattoosbei 40 Grad im Schatten?

    40 Schule Ein Berufskollegbietet Jugendlichen die letzteChance auf einen Abschluss

    45 Maut VerkehrsministerDobrindt stt auf Wider-stand bei den eigenen Leuten

    46 Verbrechen Die wegenMordverdachts verhafteteMnchner Hebamme fiel be-reits in anderen Kliniken auf

    47 Zeitgeschichte Im KaltenKrieg lie die BundesregierungSuizidflle untersuchen, sie vermutete Morde des KGB

    Gesellschaft

    48 Sechserpack: Kommunika-tion ohne Computer / Marke-ting: die Taufe von Produkten

    49 Eine Meldung und ihre

    Geschichte Ein britischer Auto-mechaniker posierte als Leiche

    50 Einkehr Die modernen Pil-ger auf dem Jakobsweg

    56 Ortstermin Wie der Prominentenfriseur Udo Walz seinen 70. Geburtstag erlebt

    Wirtschaft

    57 Manager-Streit bei VW /Neue Spur in der Euro-fighter-Affre / EZB springtBundesbank bei

    58 Konjunktur DeutschlandsUnternehmer investieren vorallem im Ausland

    61 Interview DIHK-PrsidentEric Schweitzer kritisiert diePolitik der Groen Koalition

    62 Arbeitsmarkt Eine neueBrgerbewegung in den USAkmpft fr hhere Mindest-lhne

    64 Onlinebetrug Ticketflscherprellen die Bahn um Millionen

    Ausland

    66 Kmpfe zwischen Drogen-gangs und Polizei in Rio / Die islamistische TerrormilizBoko Haram erobert eine nigerianische Grostadt

    77 Nahost Unter dem Kriegzwischen der Hamas und Israelleiden vor allem die Kinder

    80 Brief aus Gaza Wie dasTeenagerpaar Ahmed und Tamara den Krieg erlebt

    82 Flchtlinge ZehntausendeKinder und Jugendliche fliehen vor der Gewalt aus Mittelamerika in die USA

    86 Global Village Warum einjunger Spanier in Berlin eineGewerkschaft gegrndet hat

    Sport

    87 Bouldern die reine Formdes Kletterns / Valentin Markser, Facharzt fr Psycho-therapie, ber den Um -gang des Leistungssports mitdepressiven Athleten

    88 Fuball Wie der FC BayernMnchen zur globalen Markewerden will

    91 Affren Ein asiatischesWettsyndikat soll rund 350 Mil-lionen Dollar auf Spiele der Fuball-WM gesetzt haben

    6 Briefe

    111 Bestseller

    128 Impressum, Leserservice

    129 Nachrufe

    132 Personalien

    134 Hohlspiegel / Rckspiegel

    Wegweiser fr Informanten: www.spiegel.de/briefkasten

    Wissenschaft

    92 Sexuelle Belstigung unter Forschern / Selbstportrtaus dem 3-D-Drucker

    94 Ethik SPIEGEL-Streit -gesprch zwischen dem Philo-sophen Jrg Luy und dem frheren Zoodirektor GuntherNogge ber Zoos

    98 Archologie Schmugglerverhkern syrische Kunst-schtze aus dem Kriegsgebiet

    101 Sucht Die australischeAnti-Tabak-Politik taugt als Vorbild fr andere Lnder

    102 Medizinrecht Im Prozessum manipulierte Organtrans-plantationen droht das Verfah-ren dem Richter zu entgleiten

    104 Tiere GefhrlicheSchnapp schildkrten in Deutschlands Badeseen

    Kultur

    106 Der jdische ComedianOliver Polak ber Antisemi-tismus in Deutschland / Filmber die Liebe des DichtersSchiller zu zwei Schwestern /Kolumne: Zur Lage der Welt

    108 Pop Warum HipHop dieerfolgreichste JugendkulturDeutschlands ist

    112 Legenden SPIEGEL- Gesprch mit Lemmy Kilmister,Grnder von Motrhead, ber Humor und Heavy Metal gegen Altersschwche

    116 Nachtleben Die Auto -biografie des berhmtesten Trstehers Deutschlands

    118 Pianisten Der MusikerChilly Gonzales fordert miteinem Anleitungsbuch Klavier-Abstinenzler zum ben auf

    120 Filmkritik Hollywood- StarClint Eastwood erzhlt dieGeschichte einer Sixties-Band

    Medien

    121 Google braucht mehr Per -sonal zum Lschen / FAZ plan-te Interviews mit Karl Albrecht

    122 Humor Elends-Comedianserobern die Bhne

    125 Essay Der israelische Autor Meir Shalev beschreibtdie extreme Solidaritt undden blinden Hass in seinemLand in Zeiten des Krieges

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    Farbige Seitenzahlen markieren die Themen von der Titelseite.

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  • Briefe

    Wo bleibt die Einsicht?Nr. 30/2014 Ich war eine Provokation.

    Streitgesprch mit Ex-Bundesprsident Christian Wulff

    Beiden Seiten dem SPIEGEL und demBundesprsidenten a.D. ein groes Kom-pliment! Fragen mit Substanz und im richtigen Ton, ohne die im SPIEGEL sonsthufige und oft ja auch amsante, hieraber unpassende Rotzigkeit und ernst-hafte, kluge Antworten, selbstkritisch,aber auch selbstbewusst und mit Blick frdie Relationen.Dr. Stephan Kaut, Karlsruhe

    Der Titel mit einem eitlen Ex-Politiker istin einer Zeit, in der die Welt brennt, einekomplette Fehlleistung. Gerade der SPIE-GEL hat seinerzeit die schier unglaublicheAffre klar und sauber auf den Punkt ge-bracht. Und jetzt das. Schade!Andreas Linke, Kln

    Warum muss man immer wieder berHerrn Wulff sprechen, schreiben und ihndann noch als Titelbild zeigen?Norbert Weinert, Seevetal (Nieders.)

    Herr Wulffs Suada ist unsglich. Er hat nieverstanden und wird wohl nie verstehen,dass Integritt und Souvernitt Voraus-setzungen fr das Amt des Bundesprsi-denten sind und nicht Eigenschaften, dieer im Amt doch sicherlich noch erworbenhtte, wenn die bse Presse nicht gewesenwre. Mit diesem verschwurbelten Inter-view sollte der SPIEGEL mit Herrn Wulffden Abschluss finden, es ist genug.Burkhardt Riekel, Guardamar del Segura (Spanien)

    Das Interview knnte man auf zwei Aus-sagen verkrzen: Ich habe nichts falsch gemacht, hchstens ein bisschen, aber dasrechtfertigt keinen Rcktritt. Auerdemwurde das Ganze eh nur hochgeschrieben,weil man mir Bses will.Stephan Maier, Schwalmstadt (Hessen)

    Wann hrt die Larmoyanz des Mannesendlich auf? Er war kein Verfolgter, son-dern hat sich selbst der Lcherlichkeitpreisgegeben. Dorlis Brauer, Knigstein im Taunus (Hessen)

    Dieses Streitgesprch mit Christian Wulffist das beste, das ich je gelesen habe! Esist eine Lehrstunde im Ringen um Wahr-heit und Wahrhaftigkeit. Das ist vor allemChristian Wulff zu verdanken. Er ist offen.Er ist ehrlich. Er ist stark. Ich bin vollstn-

    dig der Meinung der fragenden Journalis-ten, was Wulffs Verhalten in der Vergan-genheit angeht. Was mich aber berhrt,ist die Offenheit, mit der er auf diese Jour-nalisten deutet, die ber andere urteilen.Ein groartiges SPIEGEL-Gesprch. Thomas Koschwitz, Berlin

    Leider haben Sie es versumt, Herrn Wulffzu erlutern, dass zu einem Provokateurimmer auch Intellekt, Schlagfertigkeit,Witz und Charme gehren.Gerd Mller, Neustadt a.d. Weinstrae (Rhld.-Pf.)

    Herr Wulff war keine Provokation, son-dern eine glatte Fehlbesetzung. Er war in-tellektuell nicht in der Lage, seine Aufgabezu erfllen. Ich htte von Ihnen erwartet,dass Sie dies in dem Interview deutlich herausstellen und sich nicht in Spitzfindig-keiten ber die Aufgaben und Pflichtendes Journalismus verlieren.Klaus-Peter Mritz, Berlin

    Welch eine unertrgliche Arroganz! Er warkeine Provokation. Er war eine Zumutung!Hans Lander, Pleidelsheim (Bad.-Wrtt.)

    Nach der Lektre des Streitgesprchs er-scheinen mir nun zwei Dinge entbehr -lich: die Befassung mit Herrn Wulffs Buchund die Befassung mit der Frage, ob ernicht doch ein groer oder zumindest zukunftsfhiger Bundesprsident httewerden knnen.Olaf Glowatzki, Oranienburg (Brandenb.)

    Wo bleibt die Einsicht in die Rolle des SPIE-GEL als Teil der Meute, die den Bundes-prsidenten mit kleinkarierten Vorwrfengehetzt hat? Hat nur er Fehler gemacht?Hasko Neumann, Stuttgart

    Die Berichterstattung des SPIEGEL whrenddes Rcktritts muss nicht nachtrglich korrigiert werden. Noch hat die Bild nichtdas Meinungsmonopol in unserem Land.Auch das war ein Irrtum von ChristianWulff.Gnter Weber, Filderstadt (Bad.-Wrtt.)

    Es bleibt dabei: Wulff war, wie der SPIEGELschrieb, der falsche Prsident. Jedes wei-tere Interview besttigt, wie visionr undmutig der SPIEGEL mit seinem damaligenTitel war. Ich hoffe, das wars jetzt mit demWulff. Bitte hren Sie auf, einem eitlenEx-Politiker eine Bhne fr sein verzerrtesSelbstbild zu liefern.Martin Wei, Hamburg

    6 DER SPIEGEL 31 / 2014

    Christian Wulff ist keine Provokation; und wenn, dann eine fr dieIntelligenz der Leser. Die bestndige und sorgfltige Arbeit unabhngigerMedien hat dem Staat den bedeutenden Dienst erwiesen, aus seiner Amtszeit als Bundesprsident eine Episode zu machen.Andreas Adan Baldauf, Jesteburg (Nieders.)

    berlistung der NaturNr. 29/2014 SPIEGEL-Redakteurin Nicola Ab ber ihre

    Entscheidung, Eizellen einfrieren zu lassen

    Gratulation zu Ihrem Artikel! Frauen wieSie braucht diese Welt. Ihre offenen Wortezu lesen hat mir Mut gemacht. Ich bin 31,ebenfalls Journalistin, lebe in keiner Be-ziehung und habe aktuell auch keinen Kin-derwunsch. Die Mglichkeit, mich in einpaar Jahren ebenfalls fr das Einfrierenvon Eizellen entscheiden zu knnen, gibtmir ein gutes Gefhl. Dafr mchte ichmich bei Ihnen bedanken.Nina Flori, Wien

    Gut, dass es nicht viele solche Frauen gibt.Dieser Egoismus der heutigen Generationist das groe bel unserer Gesellschaft.Gunter Knauer, Meerbusch (NRW)

    Ich wnsche Frau Ab, dass ihre Rechnungaufgeht und dass sie mit der berlistungder Natur glcklich wird. Dennoch solltenwir erst einmal 10, 20 Jahre ins Land gehenlassen, um zu sehen, ob nicht doch einRattenschwanz der Unannehmlichkeitendie Heilsbotschaft revidiert.Heiko Bredehft, Buchholz i. d. Nordheide (Nieders.)

    Als Vater, dessen Tochter in seinem erstenSemester (1969) geboren wurde, und alsHochschullehrer, der den Lebensweg vielerBWL-Studentinnen beobachten konnte,kann ich Frau Ab in allen Punkten zustim-men. Nur: Ich wnsche mir eine Gesell-schaft, in der es des Social Freezings zurLebensgestaltung der Frauen nicht bedarf.Prof. Dr. Walter Habenicht, Kornwestheim (Bad.-Wrtt.)

    Das Problem ist: Kinder, Fortpflanzung Zukunft! Das ist eine elementare Aufga-be der ganzen Gesellschaft. Social Freezingist ein Symptom dafr, dass Frauen mitder Verantwortung alleingelassen werden.Wo sind die zuknftigen Vter? Wo diepotenziellen Groeltern? Wir alle sind ver-antwortlich dafr, dass wir Kinder haben.Dorothee Rieger, Icking (Bayern)

    Ich habe mich gefreut ber den sehr klu-gen Artikel einer Frau meines Alters, deres gelingt, dieses von moralischen Urteilendurchlcherte Thema aus einer pragmati-schen und selbstbewussten Sichtweise zuschildern, wie viele unserer Generation sieteilen. Es ist wichtig, den gestrigen Bewer-tungsschablonen etwas entgegenzusetzen,in diesem Fall die schlichte Realitt. Isabel von Schwarzenstein, Tanna (Thr.)

  • Briefe

    8 DER SPIEGEL 31 / 2014

    SPIEGEL TV WISSENMITTWOCH, 30. 7., 19.30 20.15 UHR | PAY TV

    BEI ALLEN FHRENDEN KABELNETZBETREIBERN

    Das Geomar und die Meeresforscher

    Die Rckseite des Mondes ist bessererforscht als unsere Weltmeere. DieMitarbeiter des Geomar Helmholtz-Zentrums fr Ozeanforschung wol-len das ndern: Mit Hightech undTauchrobotern messen, filmen und

    fotografieren sie in bis zu 6000 Me-ter Tiefe. Neben Jago, Deutsch-lands einzigem bemanntem For-schungstauchboot, gehrt auch dasTiefseefahrzeug Abyss zur Flottedes Geomar. Die Unterwasserbootewaren bereits an der erfolgreichenSuche nach dem Wrack eines 2009abgestrzten Airbus im Atlantik be-teiligt und wurden im Frhjahr 2014erneut angefordert, um die Bergungder verschollenen Maschine der Malaysia Airlines zu ermglichen.

    SPIEGEL GESCHICHTEFREITAG, 1. 8., 21.00 22.40 UHR | SKY

    Die tollkhnen Mnner in ihren fliegenden Autos

    Bitte setzen Sie sich hin, und schnal-len Sie sich an. Ihr Auto hebt jetztab. Der Traum vom fliegendenAuto ist alt. Seit Jahrzehnten ver -suchen Ingenieure und Tftler, dieUnterschiede zwischen Auto undFlugzeug zu berwinden. Modellewie der Airphibian oder der Maverick sollen die dabei ent -stehenden Probleme lsen. Dochdie potenzielle Kundschaft ist skep-tisch, sie sorgt sich um die Sicher-heit am Himmel. Werden neue Tech-nologien sie berzeugen?

    SPIEGEL TV MAGAZINSONNTAG, 3. 8., 22.10 23.15 UHR | RTL

    Zu arm, um krank zu sein Menschenohne Versicherung; Die Milchmachts Hochleistungskhe als Ex-portschlager; Tod nach SMS Han -dynutzung im Straenverkehr unddie dramatischen Folgen.

    Forschungstauchboot Jago im Einsatz

    Eiskalte TypenNr. 29/2014 SPIEGEL-Gesprch mit Fresenius-Chef Ulf

    Schneider ber Gewinnstreben und Patientenwohl

    Wenn ein Krankenhaus Gewinn macht,heit das, dass von den Patienten, sprichKrankenkassen, zu viel verlangt wurde.Dass Fallpauschalen, noch dazu zur Ge-winnmaximierung, aus Patientensicht vl-liger Bldsinn sind, ist bekannt. Dass dieAuslagerung von Kche, Reinigung, Laborzwar den Gewinn steigert, Qualitt undFlexibilitt aber darunter leiden, genauso.Also, was soll das? Geht Ulf Schneider alsPatient in eines seiner Krankenhuser oderlieber in eine Privatklinik?Klaus Schmidt, Bruchsal (Bad.-Wrtt.)

    Wir als Konzernbetriebsausschuss der Helios Kliniken GmbH knnen die ue-rungen Herrn Schneiders so nicht stehenlassen. Personal wird zwischen Unterneh-men hin- und hergeschoben. Hauptsache,tariflos, billig und mglichst mitbestim-mungsfrei. Selbst die Unternehmensmit-bestimmung soll abgeschafft werden. DiePersonalmenge in der Pflege ergibt sich

    Polemisches SlzkotelettNr. 29/2014 SPIEGEL-Gesprch mit dem Putin-Vor -

    denker Alexander Dugin ber ein angeblich sterbendes

    Europa und den Aufstieg Eurasiens

    Erst vor einigen Wochen Marine Le Pen,jetzt Alexander Dugin. Auch wenn es inbester aufklrerischer Absicht geschieht:Muss der SPIEGEL immer wieder Neofa-schisten ein Forum fr ihre Widerwrtig-keiten und Absurditten bieten?Michael Gaertner, Kiel

    In manchen Dingen hat Herr Dugin jarecht. Werteuniversalismus ist skularisier-ter Monotheismus. Wo sollen die Wertedenn existieren: in einem platonischenWertehimmel?Dr. Dietrich Unverzagt, Fulda

    Als Leser leidet man ja schon hinreichend,wie aber muss Ihr Redakteur ChristianNeef dabei gelitten haben, vor einem sol-chen polemischen Slzkotelett die Fassungzu wahren! Immerhin wirft die Tatsache,dass die Lomonossow-Universitt 10000Unterschriften gesammelt hat, um diesenunreflektiert-hasserfllten Typen aus demLehrfach zu entlassen, ein positives Lichtauf diese russische Hochschule.Lutz Meyer, Impruneta (Italien)

    nur noch aus den Kosten, die fr diese Berufsgruppe anfallen drfen. Folgen sindunter anderem ein hoher Krankheitsaus-fall, nicht gewhrte Pausen und stndigeberstunden. Bei den anderen Berufs -gruppen in den Kliniken sieht es hnlichaus. Die Personaldecke ist unzumutbar geschrumpft. Niedriglhne sind neben denklassischen Servicebereichen auch Themafr andere, in eigene Tchter ausgelagerteBeschftigte. Diese Arbeitsbedingungentun dauerhaft weh.

    Sabine Linke, Leipzig

    Stellvertretende Vorsitzende des Konzernbetriebsrats

    der Helios Kliniken GmbH

    Wer stoppt eigentlich diese eiskalten Ty-pen, die aus Krankheit und Leid von Men-schen eine Rendite pressen? Krankenkas-senbeitrge werden zur Behandlung kran-ker Menschen wie eine zweckgebundeneSteuer erhoben; sie drfen niemals zumSpielball raffgieriger Manager werden.

    Dr. Christoph Klumpp, Panketal (Brandenb.)

    Warum lassen sich die Brger gefallen,dass aus dem Solidarpool zur Bezahlungdes Gesundheitswesens Dividenden aus-geschttet werden? Das Geld gehrt denBeitragszahlern und sonst niemandem. Dr. med. Rudolf Jakob, Neus (Bayern)

    Fahnen ber den KpfenNr. 29/2014 Hohlspiegel

    Verehrte Kollegen, in den Hohlspiegel derAusgabe 29 gehrt nicht der Stern wegendes Begriffs Gorilla-Diktatur in meinerKolumne in den Hohlspiegel gehrt derSPIEGEL selbst, weil er diesen Begriff offen-bar nicht kennt und ihn womglich fr einepeinliche Verwechslung mit Guerilla hlt.Tatsache ist aber: Wegen ihrer Brutalittwurden die Regime Mittel- und Sdameri-kas damals Gorilla-Diktaturen genannt.Das ist vielfach nachzulesen, unter anderemin den Schriften der Bewegung der Revolu-tionren Linken Chiles (MIR). Aber ich ru-me ein, dieses Nachlesen war Ihrer Redak-tion vermutlich nicht mglich, weil wieder Titel jener Ausgabe ausweist Deutsch-landfahnen ber den Kpfen hingen.Hans-Ulrich Jrges, Mitglied d. Chefredaktion des Stern, Berlin

    Die Redaktion behlt sich vor, Leserbriefe

    bitte mit Anschrift und Telefonnummer

    gekrzt und auch elektronisch zu verffent -

    lichen. Die E-Mail-Anschrift lautet:

    [email protected]

    Korrektur

    Heft 30/2014, Seite 92, Gold fr drei Euro:

    Der Stuhl im Konferenzzimmer des Krefelder Unternehmers Gerald Wagener ist nicht mitSchlangenleder bezogen. Es handelt sich bei dem berzug um ein Imitat aus Kunststoff.

  • Die Absturzstelle von Flug MH17 ist ein Albtraum, derEuropa heimsucht. Noch immer liegen Leichenteilezwischen Sonnenblumen. 298 Unschuldige sind hier

    ermordet worden, die Welt wurde Zeuge, als marodierendeBanditen in Uniform die Toten bestahlen, ihnen die Wrdenahmen.

    Hier, in der ostukrainischen Einde, hat sich Putins wahresGesicht gezeigt. Der russische Prsident steht enttarnt da,nicht mehr als Staatsmann, sondern als Paria der Weltgemein-schaft. Die Toten von Flug MH17 sind auch seine Toten, erist fr den Abschuss mitverantwortlich, und es ist nun derMoment gekommen, ihn zum Einlenken zu zwingen undzwar mit harten wirtschaftlichen Sanktionen.

    Niemand im Westen zweifelt noch ernsthaft daran, dassdas Flugzeug mit einem Buk-Luftabwehrsystem abgeschossenwurde, das die Separatistenhchstwahrscheinlich aus Russ-land erhalten haben. Einer ihrerAnfhrer hat selbst zugegeben,dass sie ber ein solches Systemverfgten, und die Indizienketteist eindeutig (siehe Seite 68).

    Der Abschuss von MH17 magein tragisches Versehen gewe-sen sein. Wer die Rakete abfeu-erte, wollte vermutlich kein Ver-kehrsflugzeug treffen. Doch derAbschuss ist die direkte Folgedavon, dass Russland die Sepa-ratisten in den vergangenen Wo-chen militrisch aufgerstet hat.Er ist ein Symbol fr die Ruch-losigkeit Putins und fr dasVersagen der bisherigen westli-chen Politik. Die Trmmer vonMH17 sind auch die Trmmerder Diplomatie.

    Whrend der Westen zu-nchst milde Sanktionen be-schloss und De-Eskalation forderte, eskalierte Putin denKonflikt immer weiter und wusch seine Hnde zugleich inUnschuld: Stets bestritt er, hinter den Separatisten zu stehen.Dieses Gespinst aus Lgen, Propaganda und Tuschung istnun aufgeflogen.

    Die Verbindungen zwischen Putin und den Separatistenliegen offen zutage. Zwar mag er die Mnner in den Fanta-sieuniformen nicht vollstndig kontrollieren das haben Stell-vertreterkriege so an sich , aber er bewaffnet sie, und erkann ihnen Einhalt gebieten. Allen Forderungen, dies zu tun,hat er sich bisher widersetzt. Selbst nach dem Mord an 298Menschen kam von Putin kein Wort der Distanzierung, derEntschuldigung.

    Nach dem Abschuss von MH17 kann Europa nicht mehrweitermachen wie bisher. Deshalb ist es richtig, dass sich dieVertreter der 28 EU-Mitgliedslnder vergangene Woche grund-

    stzlich auf harte Sanktionen gegen Russland geeinigt haben.Zu den Vorschlgen gehren ein Boykott russischer Bankensowie ein Verbot der Exporte von Waffen und Energietech-nologie. Entscheidend ist nun, dass die EU-Staaten die Ma-nahmen diese Woche auch wirklich in vollem Umfang be-schlieen, um Russlands Wirtschaft zu treffen, und sie, wennes ntig sein sollte, noch ausweiten.

    Wer harte Manahmen verlangt, um Russland zum Einlen-ken zu bewegen, ist kein Kriegstreiber. Der Einzige, der seinenKrieg in der Ukraine bisher ungehindert vorantreibt und seitder Annexion der Krim den Frieden in Europa aufs Spiel setzt,ist Russlands Prsident. Die europischen Staaten mssen des-halb alle nichtmilitrischen Druckmittel ausschpfen, ber diesie verfgen. Es geht nicht um Eskalation, sondern um Ab-schreckung und damit diese wirkt, muss sie glaubwrdig sein.

    Das gelingt nur, wenn Europavereint auftritt und auf nationaleEgoismen verzichtet. SolangeFrankreich den Russen weiter-hin Kriegsschiffe liefern will unddie Briten von den MoskauerOligarchen profitieren wollen,kann die EU Putin nicht beein-drucken. Deshalb ist lobenswert,dass nicht nur die Bundesregie-rung, sondern auch mageblichedeutsche Wirtschaftsvertreternun einen harten Kurs unterstt-zen obwohl er die deutschenExporte beeintrchtigen wrde.

    Europa kann die Folgen ein-schneidender Sanktionen ver-kraften, Russland kann es nicht.Es ist wirtschaftlich verwundbar,bentigt westliche Investitionenund Technologie, insbesonderefr seinen Energiesektor.

    Eine Garantie, dass Sanktio-nen schnell zum gewnschten

    Ergebnis fhren, gibt es dennoch nicht. In einer ersten Reak-tion knnte Putin um sich schlagen, einen berraschen-den Gegenzug versuchen aber die Wahrscheinlichkeit istsehr gro, dass er mittelfristig nachgeben msste. Seine Herr-schaft basiert bislang darauf, dass er die Eliten mit gut ge-henden Geschften ruhigstellt. Massivem Druck seitens rus-sischer Unternehmer, Oligarchen und Liberaler knnte erkaum standhalten. Eine weitere Abwertung des Rubels wrdeauch die breite Bevlkerung treffen, die ihn bisher noch untersttzt.

    Fr die Sanktionen wird Europa, werden auch wir Deut-schen sicherlich einen Preis zahlen mssen aber der Preiswre ungleich hher, wenn der Zyniker Putin seine vlker-rechtswidrige Politik ungehindert fortsetzen knnte: Der Frieden und die Sicherheit in Europa wren dann in ernsterGefahr.

    10 DER SPIEGEL 31 / 2014

    Ende der FeigheitEuropa muss Putin fr den Abschuss von Flug MH17 zur Rechenschaft ziehen.

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    Absturzstelle in der Ostukraine

    Leitartikel

    Das deutsche Nachrichten-Magazin

  • Abgeordnete

    Gauweiler an der MillionengrenzeDer Topverdiener im Deut-schen Bundestag heit PeterGauweiler. Als Rechtsanwalthat der CSU-Vizeparteichefnach Berechnungen des Politik-Portals abgeordneten-watch.de mindestens 967500Euro in den ersten neun Mo-naten der Legislaturperiodekassiert. Tatschlich drftedie Summe von GauweilersHonoraren weitaus hher liegen. Die Parlamentariermssen ihre Einknfte nichtin Euro und Cent genau ange-ben, sondern in zehn Stufeneinordnen. Die hchste istmit ber 250000 Euro defi-niert, Bezge darber hinausmssen nicht nher beziffertwerden. Nebenverdiener gibtes in allen Fraktionen desBundestags. Jeder vierte Par-lamentarier lsst sich einenZusatzjob bezahlen. Von denCSU-Abgeordneten sind essogar 45 Prozent. Unter den13 Topverdienern des Bundes-tags mit 100000 Euro undmehr finden sich elf Parla-mentarier der Union, darun-ter die Nrnberger CSU-Ab-geordnete Dagmar Whrl so-wie die CDU-AuenpolitikerNorbert Rttgen und PhilippMifelder. che, heb

    tion im Bundestag, soll nachTaubers Willen eine neue Ab-teilung fr Kommunikationfhren. Doch obwohl Berg-mann schon im Juni ein Ge-sprch bei CDU-Chefin An-gela Merkel absolvierte undAnfang Juli seinen Abschiedvon der Fraktion gefeiert hat,kann er den Posten nicht

    antreten. Der Be-triebsrat verwei-gert dem Querein-steiger seine Zu-stimmung. Damitist Tauber mit ei-nem zentralen Teilseiner Reform -plne vorerst aus-gebremst. ama

    Asylbewerber

    Anspruch auf psychologische HilfeDie Bundesregierung willminderjhrigen und traumati-sierten Asylsuchenden einenAnspruch auf psychologischeHilfe gewhren. Das geht auseiner Antwort des Bundesso-zialministeriums auf eine An-frage der Grnen-Bundestags-fraktion hervor. Die novellier-te EU-Aufnahme-Richtlinie,die bis Mitte 2015 in deut-sches Recht umgesetzt wer-den msse, umfasse im Be-darfsfall auch eine geeignetepsychologische Betreuung,heit es. Die Bundesregie-

    rung werde die Umsetzungalsbald in Angriff nehmen.Luise Amtsberg, Flchtlings-expertin der Grnen-Frak -tion, reicht das nicht. Ebensowie rzte und Sozialverbn-de hlt sie die medizinischeVersorgung von Flchtlingengrundstzlich fr unzurei-chend. Angesichts der zahl-reichen Flle schwerer Ge-sundheitsschden von Asylbe-werbern verleugnet die Bun-desregierung die strukturel-len Defizite. Die Leistungenfr Asylbewerber sehen nureine Versorgung bei akutenErkrankungen vor. Chroni-sche Krankheiten werden imRegelfall nicht behandelt. cos

    CDU

    Betriebsrat bremstGeneralsekretr ausPeter Tauber, 39, General -sekretr der CDU, stt mitseinen Plnen fr den Umbauder Parteizentrale auf Wider-stand. Sowohl der Betriebsratals auch Bundesgeschftsfh-rer Klaus Schler sind wenigbegeistert von seinen Ideen,wie die Abteilungen des Kon-rad-Adenauer-Hauses strafferstrukturiert wer-den knnten. DerStreit kulminiertin der Blockade einer fr Tauberwichtigen Perso -nalie: Frank Berg-mann, 47, langjh-riger Online-Chefder Unionsfrak -

    12 DER SPIEGEL 31 / 2014

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    Ein Impressum mit dem Verzeichnis der Namenskrzel aller Redakteure finden Sie unter www.spiegel.de/kuerzel

    Pro-Snowden-Demonstration in Berlin

    Linke und Grne im NSA-Untersuchungs-ausschuss haben die Bundesregierung ultimativ aufgefordert, den Weg fr eineZeugenbefragung Edward Snowdens inDeutschland doch noch frei zu machen.Andernfalls will die Opposition umgehendvor das Bundesverfassungsgericht ziehen.In einem gemeinsamen Antrag verlangenMartina Renner (Linke) und Konstantinvon Notz (Grne), dass die Ausschussmehr-heit sptestens in der ersten Sitzung nachder Sommerpause ihren Beschluss revi-diert, Snowden nicht nach Deutschland zuladen. Zugleich fordern sie die Bundesre-gierung auf, unverzglich die Vorausset-zungen fr eine Vernehmung zu schaffen.Insbesondere msse Snowden ein wirksa-mer Auslieferungsschutz garantiert wer-den. Linke und Grne begrnden ihren An-

    trag damit, dass Snowdens Anwalt inzwi-schen eine Videobefragung des Zeugen inMoskau abgelehnt hat. Auerdem habe dieSpionageaffre mit der Enttarnung einesCIA-Maulwurfs im BND und einem weite-ren Verdachtsfall im Verteidigungsministe-rium eine neue Eskalationsstufe erreicht.Es gibt keinen juristischen, aber nach denbeiden vermuteten Spionagefllen aucheindeutig keinen politischen Grund mehrfr die Bundesregierung, den Untersu-chungsausschuss zu blockieren, sagt dieLinken-Abgeordnete Renner. Wir bauenmit diesem Antrag der Bundesregierungeine letzte Brcke zur Rechtsstaatlichkeit,so der Grnen-Abgeordnete Notz. Solltensich Union und SPD verweigern, dann isteine Klrung der Frage vor dem Bundes-verfassungsgericht unvermeidbar. js

    NSA-Affre

    Ultimatum fr Snowden-Anhrung

    Tauber

  • Afghanistan

    Bundesregierung gegen Todesurteil Die Bundesregierung will imFall der in Ostafghanistan ermordeten deutschen Foto-grafin Anja Niedringhaus ver-hindern, dass die lokale Jus-tiz eine Todesstrafe verhngt.Bereits bei der erstinstanz -lichen Verhandlung gegen einen afghanischen Polizisten,der die preisgekrnte Repor-terin der Agentur AssociatedPress am 4. April erschossenund ihre Kollegin Kathy Gan-non schwer verletzt habensoll, drngte ein anwesenderDiplomat darauf, dass einemgliche Todesstrafe in einelange Gefngnisstrafe umge-wandelt wird. Die Bundes -republik engagiert sich grund-stzlich gegen Todesurteile,das gilt vor allem in diesemsymbolischen Fall mit einemdeutschen Opfer. Am vergan-genen Dienstag hatte ein Ka-buler Gericht in nicht ffentli -cher Sitzung rund zwei Stun-den ber den Fall des 23-jh-rigen Polizisten Naqibullahverhandelt und ihn dann zumTode verurteilt. Die Strafemuss noch durch ein ber -geordnetes Gericht besttigtund vom Prsidenten geneh-migt werden. Die Motive desMannes sind weiter unklar.Nach der Tat hatte der Poli-zist aus einer finanziell soli-

    den Familie in der ProvinzParwan von einem Racheaktan den beiden westlichenFrauen gesprochen, da einBombardement der Isaf-Trup-pen im Januar 2014 in seinemDorf viele zivile Opfer gefor-dert habe. Spter berichteteder Polizist, der 2012 in dieAfghan National Police einge-treten und von US-Mentoren in Masar-i-Scharif in einemSchnellkurs ausgebildet worden war, von einer psy-chischen Strung. Er be-schrieb eine Art epileptischenAnfall, dies wird von deut-schen Ermittlern allerdingsals Schutzbehauptung gewer-tet. Bei umfangreichen Re-cherchen, die eine berpr-fung aller Telefonanrufe desPolizisten vor der Tat ein-schlossen, wurden nach derTat zwar Hinweise auf eineantiwestliche Haltung desMannes gefunden, deretwe-gen er nach der Ausbildungin die Provinz versetzt wor-den war; Indizien fr eine Indoktrinierung durch die Taliban aber gibt es nicht.Die Deutsche Botschaft inKabul soll das weitere Ver -fahren nun genau beobach-ten. Bis zu einem rechtskrfti-gen Urteil, das erst in einigenMonaten erwartet wird, fhrtder Generalbundesanwalt inKarlsruhe weiter ein Ermitt-lungsverfahren gegen den afghanischen Polizisten. mgb

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    Deutschland

    Manchmal lsst sich die Wahr-heit kurz zusammenfassen:Friedens-Demos, auf denenHass gegen Juden gepredigtwird, sind Kriegsdemos. PetraPau hat diese Meldung neulichber Twitter abgesetzt. Und weil sie eine Politikerin der Lin-ken ist, hat sie sicherheitshalberhinzugefgt, solche Demon -strationen seien niemals links.

    So schauerlich es ist solche Hinweise sind in Deutsch-land wieder notwendig.

    Der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsmanentsetzt sich zu Recht ber den Hass in aller ffentlich-keit. Und diese ffentlichkeit reagiert selber erschrocken.Aber gleichzeitig verfangen sich manche Kommentatorenin der Falle des Ja, aber ...: Ja, wir verurteilen die anti-semitischen Parolen auf deutschen Straen. Aber wir soll-ten nicht ihren Ursprung im malosen Krieg Israels gegenGaza vergessen. Diese Argumentation geht fehl.

    Es ist ein historisches Paradox, dass sich das Vorurteilder modernen Antisemiten mit dem Postulat so manchervorgeblicher Israel-Freunde deckt: Die Politik der israeli-schen Regierung wird mit dem Staat Israel gleichgesetzt.Und der Staat Israel mit dem Judentum. Aber das istfalsch. Man kann Premier Benjamin Netanjahu kritisie-ren, ohne Israel infrage zu stellen, und man kann ber Is-rael sprechen, ohne das Judentum zu meinen. Die logi-sche Verknpfung dieser drei Begriffe Regierungspoli-tik, Israel, Juden ist unzulssig.

    Der beste Beweis: Die klgsten Kritiker der israelischenRegierungspolitik sitzen in Israel. Der Psychologe CarloStrenger, Leiter des Graduiertenprogramms fr KlinischePsychologie an der Universitt Tel Aviv, der gute Grndenennen kann, warum es so vielen Israelis schwerfllt, Frie-den mit ihren Nachbarn zu schlieen. Oder der SchriftstellerDavid Grossman, der seinen Sohn im Libanon-Krieg verlo-ren hat und nicht hinnehmen will, dass Israel sich bereitwil-lig der Verzweiflung des Krieges ergibt, und jede Hoffnungauf Frieden hat fahren lassen. Und berall auf der Welt gibtes Juden, die sich, wie die Philosophin Judith Butler es for-muliert hat, auf ein anderes Jdischsein berufen als das, indessen Namen der israelische Staat zu sprechen behauptet.

    Nicht der Krieg in Gaza und nicht das Scheitern der is-raelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik sind Ursachedes Antisemitismus. Fr ihren Hass gegen die Juden brau-chen die Antisemiten keine Neuigkeiten aus Israel. WasAdorno das Gercht ber Juden nannte, nhrt sichselbst. Ganz gleich ob es sich um muslimische Einwande-rer oder um einheimische Judenfeinde handelt: Im Anti-semitismus flieen Menschenhass, Rassismus, Esoterikund Verschwrungstheorien zusammen.

    Wer es noch nicht gewusst hat, kann es jetzt lernen:Weder die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit imWesten noch die Tradition des Antifaschismus im Os-ten haben Deutschland immun gemacht gegen den Anti-semitismus. Es gibt ihn. Wir mssen ihn bekmpfen.

    An dieser Stelle schreiben drei Kolumnisten im Wechsel. Nchste Woche istJan Fleischhauer an der Reihe, danach Juli Zeh.

    Jakob Augstein Im Zweifel links

    Historisches Paradox

    Niedringhaus 2011

  • sinnvoll fehlen Geld undPersonal. Ich habe noch kei-ne Lsung in petto. Aber esdarf nicht sein, dass die Men-schen weiter so unvernnftigsind. Sie gefhrden ja nichtnur sich selbst, sondern auchdie Rettungsschwimmer.SPIEGEL: Wie teuer knnte einVersto gegen die Vernunftwerden? Jger: Ein Bugeld zwischen50 und 1000 Euro halte ichfr realistisch. Letzteres zumBeispiel, wenn jemand seineKinder trotz roter Flagge mitins Wasser nimmt. aar

    Kunstwerken und Oldtimernfr ihren Mann betrogen ha-ben soll, reichten die Anwl-te der Discounter-Dynastienun eine Zivilklage ber 19,3Millionen Euro ein. Darinwird erstmals der Verdachtgeuert, dass Achenbach beieinem Paketkauf von Oldti-mern getrickst haben knnte.Den Albrecht-Anwlten zu-folge hatte eine Achenbach-Firma im August 2012 bei ei-nem Hndler in Sddeutsch-land sieben Oldtimer fr ins-gesamt 16,8 Millionen Euroeingekauft. Zwei der Fahrzeu-ge, ein Ferrari 250 Berlinettaund ein Ferrari 250 CaliforniaSpider, die Achenbach an Albrecht weiterverkaufte, sol-len mit berzogenen Preiseneinen besonders hohen An-teil am Paket ausgemacht ha-ben. Dagegen sollen fnf wei-tere Fahrzeuge, die Achen-

    Badeverbot

    Wir sind keine Hilfssheriffs

    Armin Jger, 73,

    Jurist, Exinnen -

    minister von

    Mecklenburg-

    Vorpommern und

    Prsident des

    DLRG-Landes -

    verbands, ber Bugelder

    fr leichtsinnige Badegste

    SPIEGEL: Mehrere Menschensind in den vergangenen Ta-gen in der Ostsee gestorben,nun wird ber ein Bugeldfr leichtsinnige Schwimmerdiskutiert. Was halten Sievon dem Vorschlag?Jger: Ich kann ihn gut nach-vollziehen. Frher wollte ichkein Bugeld am Strand. Ichdachte, es sei genug, an dieVernunft der Badegste zuappellieren. Ich habe michgeirrt. SPIEGEL: Das heit, am Stranddrohen uns bald Knllchen?Jger: Nicht so schnell. DasBugeld ist zwar eine guteIdee, und aus juristischerSicht drfen die Gemeindenes auch verhngen. Aber inder Praxis wird es kaum um-setzbar sein. Das fngt schonmit den Personalien an, estrgt ja niemand seinen Aus-weis in der Badehose. Undwer soll die Ordnungswidrig-keiten berhaupt ahnden?Unseren Rettungsschwim-mern will ich das nicht zu -muten.SPIEGEL: Inwiefern wre daseine Zumutung?Jger: Sie haben mir gar nixzu sagen! Das ist so ein typi-scher Pbelsatz, den unsereberwiegend sehr jungen Ret-tungsschwimmer am Strandhren. Sie werden kaum alsAutoritten wahrgenommenund sind auch nicht fr Kon-fliktsituationen ausgebildet.Wir holen Leute aus demWasser, wir sind keine Hilfs-sheriffs.SPIEGEL: Wer soll Ihrer Mei-nung nach dann am Strandpatrouillieren?Jger: Darum mssen sich dieGemeinden kmmern. Aberfr regelmige Kontrollen und nur dann ist eine Strafe

    Die Zulassung von Transportbehltern(Castoren) fr Brennelemente aus Siede-wasserreaktoren verzgert sich weiter. Dasrumte die Bundesregierung gegenber derGrnen-Bundestagsabgeordneten SylviaKotting-Uhl ein. Grund seien fehlende Antragsunterlagen der Gesellschaft fr Nu-klear-Service (GNS), die den groen Strom-konzernen gehrt. Eigentlich sollte das Ver-

    fahren seit Ende Mrz abgeschlossen sein.Die Castoren sind wichtig, um die im Zugeder Energiewende stillgelegten Reaktorenvon Kernbrennstoff rumen zu knnen. In-zwischen gehen manche Betreiber offenbardavon aus, dass dies erst ab 2020 der Fallsein wird. Ein GNS-Sprecher besttigte dieVerzgerung, er rechne aber mit einer Zulassung in den kommenden Wochen. mif

    14 DER SPIEGEL 31 / 2014

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    Atomkraft

    Ohne Castoren kein Rckbau

    Wrmebild eines Atommllbehlters

    Affren

    Betrug mit Autopaket?Der Dsseldorfer Kunst -hndler Helge Achenbach,der nach Betrugsvorwrfenin Untersuchungshaft sitzt,sieht sich einem neuen Ver-dacht ausgesetzt. NachdemBabette Albrecht, Witwe des2012 verstorbenen Aldi-Er-ben Berthold Albrecht, schonim April Strafanzeige gegenAchenbach erstattet hatte,weil der beim Einkauf von

    bach in seiner Firma State ofthe Art behielt, umso billigerberechnet worden sein. ZumBeleg verweist die Albrecht-Seite in ihrer Klage auf dieMail eines Achenbach-Ver-trauten an Achenbach unddessen Buchhaltung. Darinhie es unter der BetreffzeileFahrzeug-Bepreisung zuden fnf Fahrzeugen fr dieState of the Art, man habebei ihrem Preis das Gerings-te genommen, was irgend-wie gehe. Daraufhin folgeneine Liste mit Einzelpreisenfr diese fnf Typen und derSatz: Macht in Summe974000 Euro alles darunterist hchstverdchtig EineAchenbach-Sprecherin wolltedazu keine Stellung nehmen,da man den Vorgang bishernicht kenne. Achenbachselbst hat bisher smtlicheVorwrfe zurckgewiesen.Insbesondere habe er nichthinter dem Rcken von Berthold Albrecht versteckteGewinnmargen beim Einkaufvon Kunstwerken und Old -timern kassiert. Mit einerHaftbeschwerde waren seineAnwlte vergangene Wochegescheitert. amp, bas, gla, js

    Achenbach

  • Der Augenzeuge

    Seit 3.40 Uhr wegWerner Schneider-Quindeau, 64, wagte als Pfar-

    rer der evangelischen Stadtkirche in Frankfurt

    am Main zusammen mit einem Knstler ein

    Experiment: 54 000 Ein-Cent-Mnzen, die zu

    Buchstaben aufgehuft das Wort Vertrauen

    bildeten, wurden vor einer Kirche ausgelegt.

    Nach 15 Stunden war das Geld weg.

    Das Projekt passte hervorragend zu einer Ausstellungber Geld und Macht, die wir in der Katharinenkirchein Frankfurt veranstalten. Der Knstler Ralf Kopp hatdazu ein Geldkunstwerk entwickelt. Wir wollten wissen,ob das Wort Vertrauen vor einer Kirche so viel Respekteinflt, dass nichts oder nur wenig weggenommen wird.Zur Erffnung fragten wir, wie lange das Wort wohl zusehen sein wird. Etwa die Hlfte der Anwesenden meinte,die Mnzen wrden 14 Tage lang bis zum Ende der Aus-stellung liegen bleiben. Die anderen glaubten, dass nacheiner Nacht nicht mehr viel brig sein werde. Die Pessi-misten hatten leider recht. Dabei hatten am Anfang eini-ge Passanten sogar noch Mnzen dazugelegt. Ich binnachts um halb eins noch einmal mit dem Fahrrad vorbei-gefahren, da wirkten die Buchstaben noch intakt. Spternderte sich das aber schnell. Durch eine Kamera, die wiram Dach angebracht hatten, konnte man sehen, wie nach2 Uhr jemand mit einem Rucksack kam und ihn mit Mn-zen fllte. Der holte sich kurz darauf sogar noch einezweite Ladung. Spter rckten andere Leute mit Ttenund Ruckscken an und bedienten sich. Am nchstenMorgen, kurz nach 9 Uhr, bekam ich eine Mail von RalfKopp: Guten Morgen lieber Werner, die Gier hat ge-siegt, schrieb er, das Vertrauen ist seit 3.40 Uhr weg.Selbst die Kreideskizze, die als Schablone fr die Buch-staben diente, hatte die Straenreinigung weggeputzt.Trotzdem bin ich total zufrieden mit dem Experiment,dem wir den Titel Gier frisst Vertrauen gegeben haben.Wir haben damit in der Stadt eine tolle Diskussion darberausgelst, was Vertrauen eigentlich ist und warum Geld-wirtschaft ohne Vertrauen ebenso wenig funktioniert wieKirche. Und es gab auch eine sehr schne Geschichte: Als noch Mnzen herumlagen, kam eine Gruppe Jugend-licher vorbei und holte einen Obdachlosen dazu, der sievorher um eine Zigarette und Kleingeld gebeten hatte.Dem haben die jungen Leute geholfen, die Mnzen ineine Tte und in seine Jacke zu packen. Der Obdachlosehat sich tausendmal bedankt und wollte das Geld mit sei-nen Kollegen teilen. Ralf Kopp will jetzt in Mnchen undBerlin Freiheit und Demokratie mit Cent-Mnzen legen. Mal sehen, wo sich die Wrter am lngsten halten.

    Aufgezeichnet von Matthias Bartsch

    15DER SPIEGEL 31 / 2014

    Deutschland

    Einsatzkosten der Polizei Bundesligasaison 2013/14, in Millionen Euro*

    *ohne Nebenkosten,bei 60 pro Stunde

    Quelle: ZIS

    gesamt

    39 Mio.

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    1,6

    1,5

    1,3

    1,2

    1,0

    Eintracht Braunschweig

    FC Schalke 04

    Borussia Dortmund

    SV Werder Bremen

    Bayern Mnchen

    Hannover 96

    1. FSV Mainz 05

    VfB Stuttgart

    Hertha BSC

    VfL Wolfsburg

    Borussia Mnchengladbach

    Eintracht Frankfurt

    Hamburger SV

    1. FC Nrnberg

    SC Freiburg

    FC Augsburg

    Bayer 04 Leverkusen

    TSG 1899 Hoffenheim

    Polizei

    Einsatz fr Fuball

    Die Absicht Bremens, dieFuballbundesliga an denKosten der Polizeieinstze beiSpielen zu beteiligen, wirdbisher von den anderen Ln-dern nicht untersttzt. Dabeizeigen unverffentlichte Da-ten der Zentralen Informa -tionsstelle Sporteinstze, wiegro der personelle Einsatzder Polizei ist. Demnach leis-teten die Beamten der Lnderin der abgelaufenen Saisonmehr als 650000 Stunden frBundesligaspiele. Der grteAufwand wurde am 6. Aprildieses Jahres betrieben: BeimSpiel Braunschweig gegenHannover kmmerten sich3181 Beamte um 23150 Sta -dionbesucher. Zustzlich zuden Beamten der Lnder sindan den Spieltagen Bundespoli-zisten unterwegs zur ber-wachung des Fanreisever-kehrs an Bahnhfen. In derSaison 2012/13 waren dafrpro Woche durchschnittlich2140 Beamte ntig. Kosten:27,8 Millionen Euro. Nicht be-rcksichtigt sind in den Rech-nungen erhebliche Ausgabenfr Transport und bernach-tung der Beamten. mif

    Manager

    Middelhoffs leere Taschen Nach Taschenpfndung undDrohungen mit Erzwingungs-haft hat der frhere Arcandor-Chef Thomas Middelhoff amvergangenen Freitag in Esseneine Vermgensauskunft abge-geben im Volksmund auchOffenbarungseid genannt. Mitdem Schritt kam Middelhoffder Forderung des MnchnerUnternehmensberaters Ro-land Berger nach, der aus ei-ner ehemaligen Geschftspart-nerschaft noch 6,8 MillionenEuro von ihm fordert. AuchMiddelhoffs Exvermgens -berater Josef Esch hat einenVollstreckungstitel ber 2,5Millionen Euro gegen ihn inder Hand. Middelhoff hattedie Vermgensauskunft imletzten Moment mit einemAntrag vor dem LandgerichtBielefeld abwenden wollen.Allerdings verlangte das Ge-richt dafr Sicherheitsleistun-gen in Hhe von knapp achtMillionen Euro, die der Mana-ger bis Freitag offenbar nichtstellen konnte. Sein Anwaltwar fr eine Stellungnahmeam vergangenen Freitag nichtzu erreichen. amp, bas, gla, js

  • Deutschland

    16 DER SPIEGEL 31 / 2014

    Der Kita-BetrugErziehung Der Ausbau war rasant, auf der Strecke blieb die Qualitt der Tagessttten.Experten fordern bundesweite Mindeststandards. Die wollte FamilienministerinSchwesig eigentlich auch, doch in ihrem neuen Qualittsgesetz findet sich dazu nichts.

    Kinder in der Kita Sonnenschein in Potsdam: An guten Tagen neun oder zehn Kleinkinder pro Erzieherin, an schlechten mehr FOTO

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  • Vergangenen Mittwoch war es wie-der so weit, Constanze Friedrichmusste alles stehen und liegen las-

    sen und in ihre Kita eilen. Eine ihrer Mit-arbeiterinnen hatte sich krankgemeldet,eine Erzieherin htte auf 17 Kleinkinderaufpassen mssen. Also sagte die Leiterinder Potsdamer Kindertagessttte Sonnen-schein alle Termine ab und bernahm denDienst selbst. Sie kennt das schon: Dasist Alltag, dass wir uns das zurechtbiegenmssen.

    Die Kita Sonnenschein gilt als Vorzeige -projekt, sie wird vom Bundesfamilien -ministerium zustzlich gefrdert, das denKrippenausbau zu einer seiner wichtigstenAufgaben erklrt hat. Wer auf die Websiteder Einrichtung geht, sieht viele frhlicheKindergesichter. Maximal sechs Kinder unter drei Jahren teilen sich eine Erziehe-rin, so schreibt es das Kita-Gesetz in Bran-denburg vor, aber das ist nicht die Wirk-lichkeit, auch nicht beim Sonnenschein:An guten Tagen kommen neun bis zehnKinder auf jede Fachkraft, an schlechtenmehr.

    Friedrich leidet unter der Situation. Sienimmt ihre Arbeit ernst und will, dass esden ihr anvertrauten Kindern gut geht.Aber auch die beste Erzieherin kann nichtallen zuhren und zehn Kindern gleichzei-tig aufs Tpfchen helfen. Friedrich, schwar-zer Kajalstrich, auberginefarbenes Haarund neun Ohrringe, vier rechts, fnf links,schttelt resigniert mit dem Kopf: So hautes hinten und vorne nicht hin.

    Seit einem Jahr gilt in Deutschland derRechtsanspruch auf einen Betreuungsplatzfr Ein- und Zweijhrige. Keine familien-politische Aufgabe der vergangenen Jahreist von Politikern aller Parteien fr hnlichwichtig befunden worden, keine anderesollte gleichzeitig so viele Probleme lsen:Mtter und Vter sollen endlich ohneschlechtes Gewissen aus dem Haus gehenknnen, Familie und Beruf sollen auch inDeutschland zusammenpassen, sozial be-nachteiligten Kindern der Bildungsaufstiegerleichtert werden. So wurde in der Kita-Welt gegrndet, vergrert und saniert,um die ehrgeizigen Plne zu erfllen.

    Was den Ausbau angeht, ist das Landein groes Stck vorangekommen. Vor an-derthalb Wochen verkndete Bundesfami-lienministerin Manuela Schwesig einenneuen Rekord: 661965 unter Dreijhrigewerden morgens zur Betreuung gegeben.Das ist ungefhr ein Drittel aller Kinderin dieser Altersgruppe. Und dabei wird es nicht bleiben: Der Kita-Ausbau gehemit hohem Tempo voran, verkndete die Ministerin stolz. Der Bedarf werde zwarnoch nicht ganz gedeckt, aber man sei aufeinem guten Weg.

    Doch Kinder sind keine Mbel. Es reichtnicht aus, sie in einen Raum zu setzen, esmuss auch jemand da sein, der sich um sie

    ung verbessert werden msse. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen versprachSchwesig im Dezember ein Kita-Quali-ttsgesetz, das endlich sicherstellen soll,dass die Kinder, die von ihren Eltern inKindertagesbetreuung gegeben werden,dort nicht nur verwahrt werden.

    Bislang hngt die Betreuungsqualittvom Zufall und der Haushaltslage der Bun-deslnder ab. Viele Experten mahnen seitLngerem eine bundesweite Regelung an,die zumindest sagt, fr wie viele Kinderein Erzieher verantwortlich sein darf, wel-che Qualifikationen das Personal brauchtund wie die Weiterbildung auszusehen hat.

    Schwesig will bald ein Gesetz fr denKita-Bereich vorlegen, an dem ihr Minis-terium seit Monaten arbeitet. Im Augustsoll der Text zur Abstimmung ins Kabinett.Das zehnseitige Papier trgt die Qualittim Namen, doch wer auf Mindeststandardshoffte, wird enttuscht. Das Gesetz zumqualitativen Ausbau in der Kindertages -betreuung legt lediglich fest, wie vielGeld die Lnder vom Bund bekommen,wenn sie den Kita-Ausbau weiter voran-treiben.

    In dem Entwurf ist viel von Neubau,Ausbau, Umbau, Sanierung undRenovierung die Rede. Im Detail ist auf-gelistet, wie man sich die Finanzierung vor-stellt. Es wird zwischen Gemeinschafts -finanzierung, Zusatzfinanzierung undEigenaufwendungen der Lnder unter-schieden. Auch Ganztagsangebote sollenvon den 550 Millionen Euro, die das Gesetzan die Lnder verteilt, gefrdert werden.

    Wer allerdings nach Qualittsstandardssucht, der sucht vergebens. In keinem Satzwird ausgefhrt, wie sich das Familien -

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    kmmert. Kinder brauchen Zuwendungund Ansprache, je jnger sie sind, destomehr. Gerade bei den unter Dreijhrigenist es ntig, dass die Erzieher die Entwick-lungsschritte der Kleinen aufmerksam ver-folgen knnen und dann entsprechend aufsie eingehen. Gengend gute Pdagogensind der Schlssel fr den Erfolg frh -kindlicher Bildung. Genau daran mangeltes aber.

    Wie schlecht die Situation in Wahrheitist, enthllte am Freitag vergangener Wo-che eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.Nur in zwei Bundeslndern, nmlich Bre-men und Baden-Wrttemberg, ist einequantitative Betreuung sichergestellt, wiesie Erziehungswissenschaftler empfehlen.Bei den Kleinen sollte ein Erzieher frhchstens drei Kinder verantwortlich sein,bei den lteren wird ein Personalschlsselvon eins zu siebeneinhalb empfohlen. Legtman diese Anforderungen zugrunde, feh-len dem Land 120000 Erzieher und Erzie-herinnen. Rund fnf Milliarden Euro wrdedas zustzliche Personal kosten, pro Jahr.

    Was die Studie noch nicht bercksichtigthat, ist die Zahl der Stellen, die in den kom-menden Jahren neu besetzt werden ms-sen, weil Fachkrfte in Rente gehen odereinfach nicht mehr wollen. Bis zum Jahr2025 sind das 200000, wie die TechnischeUniversitt Dortmund berechnet hat.

    Wie es in den Kitas wirklich aussieht,wei natrlich auch Manuela Schwesig.Seit zehn Jahren macht die Sozialdemo-kratin Familienpolitik, 2008 wurde sie Mi-nisterin in Mecklenburg-Vorpommern, seitRegierungsaufnahme von Schwarz-Rot istsie es im Bund. Immer wieder hat sie ge-fordert, dass die Qualitt bei der Betreu-

    Sozialdemokratin Schwesig: Hinter die eigenen Erwartungen zurckgefallen

  • Deutschland

    ministerium eine Betreuung vorstellt, diediesen Namen auch verdient. Das Einzige,was sich irgendwie unter dem Begriff Qua-litt verorten lsst, sind Ausstattungs -investitionen: Wenn Kitas beim Ausbauauf Gesundheitsfrderung oder die Bar-rierefreiheit achten, werden sie zuknftiggefrdert. Besseres Mittagessen und mehrHilfen fr Behinderte, mehr findet sichnicht. Warum der Entwurf dennoch Ge-setz zum qualitativen Ausbau heit, begrndet Staatssekretr Ralf Kleindiekdamit, dass diese Vorschriften die Qualittin Deutschlands Kindertagessttten ver-bessern wrden.

    Ein Problem ist, dass Schwesig in denGesprchen mit dem Finanzministerschlecht verhandelt hat. Sechs MilliardenEuro hatte der Bund den Lndern als Ent-lastung fr den Bildungsbereich verspro-chen fr Kitas, Schulen und Hochschulen.So steht es im Koalitionsvertrag. Doch ob-wohl die Landesfamilienminister davonzwei Milliarden Euro fr die Kitas forder-ten, kam Schwesig Ende Mai nur mit 550Millionen Euro aus den Verhandlungen zu-rck. Fr 2017 und 2018 sicherte sie nocheinmal 100 Millionen Euro Betriebskosten.Fr substanzielle Qualittsverbesserungenreicht das bei Weitem nicht, selbst hinterder OECD-Empfehlung zur ffentlichenKinderbetreuung bleibt Deutschland damitzurck. Um das OECD-Ziel von einemProzent des Bruttoinlandsprodukts zu er-reichen, mssten Bund und Lnder Jahrfr Jahr ungefhr neun Milliarden Eurodrauflegen. Dagegen steht die Schulden-bremse, die inzwischen in vielen Landes-verfassungen verankert ist.

    Immer mehr Eltern wollen oder mssenihre Kinder in die Obhut staatlicher oderprivater Betreuer geben. 41,7 Prozent derEltern wnschten sich im vergangenenJahr einen Kita-Platz, mehr als je zuvor.Doch vielen ist unwohl bei dem Gedanken,ihren Nachwuchs fremden Menschen zuberlassen, wenn sie feststellen mssen,dass fr das Wohl der Kleinen nicht ange-messen gesorgt werden kann.

    Weil es keine verbindlichen Mindest-standards gibt, kann sich auch niemanddarauf verlassen, dass immer ausreichendausgebildete Erzieherinnen vor Ort sind.In jedem Land gibt es andere Regeln, wermit welcher Ausbildung in Kindertages-sttten arbeiten darf. In Baden-Wrttem-berg reichen bei bestimmten Berufen 25-tgige Schulungen, whrend die klas -sische Erzieherausbildung im Durchschnittdrei Jahre dauert. Kitas behelfen sich auerdem mit Quereinsteigern und Prak-tikanten.

    Manche Eltern greifen zur Selbsthilfe,um zu ersetzen, was in der Tagesstttefehlt. Bjrn Wendel steht Tag fr Tag eineStunde frher auf, um seinen ZwillingenFrhstck zu machen. Eigentlich bekamen

    sie das in ihrer Elbkinder-Kita in Hamburg-Harburg. Doch seit eine Praktikantin dieFrhschicht bernahm und nur noch ge-langweilt neben seinen Mdchen sa, aendie Zwillinge nicht mehr richtig. JedenMorgen schnibbelt er pfel und Bananen,

    rhrt Joghurt an und schmiert Brote. Kin-der brauchten einfach Bezugspersonenund nicht stndig wechselndes Personal,murrt Wendel.

    Der Trend geht genau in die andereRichtung. Weil die Personaldecke in vielenEinrichtungen so dnn ist, dass jede Krank-heit oder Schwangerschaft den Dienstplandurcheinanderwirft, etabliert sich auch imKita-Sektor die Zeitarbeit. Lange warenKita-Leitungen skeptisch, weil sie das Per-sonal nicht kannten. Heute knnen diesich so eine Haltung gar nicht mehr leis-ten, sagt Maike Gotthusen, die vier Jahreals Zeitarbeiterin hinter sich hat.

    Gotthusen wollte sich nicht so eng aneinen Trger binden. Immer wieder sahsie, wie viel Verantwortung man den jungen Leuten aus dem Freiwilligen Sozia-len Jahr oder dem Bundesfreiwilligen-dienst bertrug, viel mehr als gut war.Wenn die Leitung ihre Bedenken nicht ver-stand, wechselte sie lieber die Kita als einfach danebenzustehen. Im System istder Wurm drin, sagt Gotthusen. Man rackere sich ab, ohne die eigenen Quali-ttsansprche erfllen zu knnen, das seisehr frustrierend.

    Fr Anfang November hat Schwesig ei-nen Kita-Gipfel angekndigt. Dort wollesie mit Lndern, Kommunen, Gewerk-schaften und Trgern in einen regelm-igen Austausch zu Struktur- und Qua li -ttsfragen treten, wie sie sagt. Mit kon-kreten Manahmen sollten die Teilnehmerallerdings nicht rechnen. Die Lnder weh-ren sich vehement gegen verbindlicheStandards, sie frchten die Kosten. UndSchwesig hat dem wenig entgegenzuset-zen. Alles, was mehr Personal und bessereQualifizierung angehe, werde man mit-telfristig betrachten, heit es aus ihrerRessortspitze, also eher in der nchstenLegis laturperiode.

    Zweifel an ihren Plnen hlt Schwesigjedoch fr unangebracht. Sie spricht voneinem wirksamen Paket fr mehr undbessere Qualitt in der Kindertagesbetreu-ung. Auerdem, sagt sie, gehe sie davonaus, dass weitere Lnder dem guten Bei-spiel Niedersachsens folgen.

    Das gute Beispiel hat gerade der nieder-schsische Ministerprsident Stephan Weilgeliefert: Das Geld, das er einspart, weilder Bund ab nchstem Jahr die Bafg- Kosten bernimmt, will er den Kitas geben.Was Schwesig freut, hat Weil allerdings einen bsen Brief von Bundesbildungs -ministerin Johanna Wanka eingehandelt.Darin ermahnt Wanka den Landeschef, die frei werdenden Mittel geflligst fr die Hochschulen einzusetzen, wie es ver-abredet war.

    Auch so kann man Politik betreiben:Man holt aus einer Tasche heraus, was mandann in die andere hineinsteckt.

    Ann-Katrin Mller

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    Bayern

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    Schleswig-Holstein

    ideales Betreuungs-verhltnis

    Mecklenburg-Vorpommern

    Hamburg

    Thringen

    Weniger ist mehrKinder unter 3 Jahren pro Erzieher*

    Brandenburg

    Sachsen

    Sachsen-Anhalt7

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    3

    4

    *Personalschlssel ohne Leitungsstunden, mittlere Betreuungsquote in ffentlich gefrderter TagesbetreuungStand: Mrz 2013, Quelle: Bertelsmann Stiftung

    Baden-Wrttemberg

    Bremen

    Kita-Leiterin Friedrich, Kollege Ren Klostermann

    Haut hinten und vorne nicht hin

  • Deutschland

    SPIEGEL: Herr Trittin, wir mssen zugeben,wir vermissen Sie.Trittin: Eine Selbstbezichtigung von SPIE-GEL-Redakteuren ist schon einmal ein gu-ter Anfang. Aber nun bin ich ja bei Ihnen.SPIEGEL: Seit Sie weg sind, ist bei den Gr-nen eine furchtbare Harmlosigkeit ausge-brochen. Ihr Nachfolger Anton Hofreiterist wegen seiner Haarpracht im Gesprch,von Katrin Gring-Eckardt wei man vorallem, dass sie nett ist. Den grten Erfolghatte in den vergangenen Wochen ein Vi-deo, in dem sich die Europaabgeordnetender Grnen wie Teenager begren, diegerade bei einer Party eingelaufen sind. Trittin: Ich wusste, dass der Frieden mit Ih-nen beiden schnell ein Ende haben wrde.Aber gut. Die heute Verantwortlichen inmeiner Partei sind in der schwierigen Si-tuation, dass sie gegen eine Regierung Op-position machen mssen, die ziemlich ge-nau das umsetzt, was sie vor der Wahl an-gekndigt hatte. Wir kennen das eigentlich

    andersherum. Sowohl bei Merkel/Mnte-fering als auch bei Merkel/Westerwellekam nach der Wahl das Gegenteil von dem,was vorher versprochen wurde. Da war esnatrlich leichter, auf die Tonne zu hauen.SPIEGEL: Die Grnen sind offenbar in derglcklichen Situation, ber eine Anhn-gerschaft zu verfgen, der es im Grundeegal ist, wer die Partei anfhrt.Trittin: Fr Menschen, die links der Mittewhlen, sind traditionell eher Programmeals Personen wichtig. Das ist fr diejenigen,die als Spitzenkandidaten vorne stehen,keine schne Botschaft, aber es ist so. Wirmachen jetzt in Baden-Wrttemberg eininteressantes Experiment, indem wir dortdemnchst einen Wahlkampf fhren, derauf den grnen Ministerprsidenten zuge-schnitten ist. Das ist fr uns ein Novum.SPIEGEL: Die Grnen haben bei der vergan-genen Bundestagswahl zwar nicht gln-zend abgeschnitten, aber 8,4 Prozent wa-ren immer noch das drittbeste Ergebnis

    ihrer Geschichte. Im Nachhinein wundertman sich ber die tiefe Zerknirschung, dieIhre Partei anschlieend erfasst hat.Trittin: Wir sind angetreten, um eine andereRegierung zu bilden. Wenn sich dann ab-zeichnet, dass es dazu nicht kommen wird,erlahmt schlagartig das Interesse. Wir hat-ten keine Machtoption, nirgends. Grnewerden heute nicht mehr gewhlt, weil siebesonders gut Opposition knnen. Grnewerden gewhlt, damit sich real etwas n-dert. Als es drauf ankam, Stefan Mappusin Rente zu schicken, weil er unertrglichgeworden war, oder David McAllister unddie Hhnermafia in Niedersachsen abzu-setzen, waren wir stark. Da gab es die reel-le Chance auf Machtwechsel.SPIEGEL: Im Wahlkampf konnte man vonfhrenden Grnen hren: Unsere Whlersind so weit, dass sie ein Programm mit-tragen, dass sie finanziell belastet. Trittin: Das war im Einzelnen richtig, aberin der Summe falsch. Ich kann Ihnen auchden Punkt sagen, wo es kippte. Ein hhe-rer Spitzensteuersatz war fr die meistennoch okay. Das bleibt auch vernnftig,denn damit entlasten wir 90 Prozent derSteuerzahler. Aber die Abschaffung desEhegattensplittings, das wollten viele nichtmehr mittragen. Das ging dann doch zusehr gegen das eigene Lebensmodell, auchin der Gttinger Sdstadt.SPIEGEL: Man knnte auch sagen: Der Wahl-kampf zeigte die ganze Arroganz der Gr-nen, die glaubten, sie seien dem Gegnermoralisch berlegen.Trittin: berhaupt nicht. Was stimmt: DieMotive fr die Wahl der Grnen sind an-dere als fr die Wahl der FDP. Die Wer-tung, was besser oder schlechter ist, ber-lasse ich Ihnen. Im FDP-Milieu gilt ein h-herer Verdienst als Ausweis einer hherenLeistung. Wer weniger hat, wird der Min-derleistung verdchtigt. Leute, die freiwil-lig einer Reduzierung ihres Nettoeinkom-mens zustimmen, gelten da als bescheuert.Das ist eine andere Morallogik als die gr-ner Whler. SPIEGEL: Viele Ihrer Parteifreunde verlan-gen, die Grnen sollten das Erbe der Libe-ralen antreten. Was halten Sie davon? Trittin: Man muss bei solchen Diskussionenhllisch aufpassen, welche Fragen man los-tritt. Wenn ich sage, wir sind die neue libe -rale Partei, berlegen sich die Leute: Warda nicht die FDP? Insofern freut sich HerrLindner jedes Mal, wenn er hrt, dass sichdie Grnen als Nachfolger anbieten. Unddie zweite Frage der Whler ist: Wieso

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    Arroganz hat auch VorteileSPIEGEL-Gesprch Der kopolitiker Jrgen Trittin ber die Moralisierung von Politik, die Grnen als Verbotspartei und sein Image als eingebildeter Pinsel

    Was Liberalitt angeht, mssen wiruns vor keiner Parteiin Deutschland verstecken.

  • neu? Ich dachte, ihr seid Brgerrechtler,stimmt das gar nicht? Was die Liberalittangeht, mssen wir uns vor keiner Parteiin Deutschland verstecken. Mittlerweilefinden es alle gut, dass die Grnen frmehr Freiheit und Durchzug in dieser Ge-sellschaft gesorgt haben. Aber das ist ineinem langen Kulturkampf gegen rechtsdurchgesetzt worden. SPIEGEL: Wenn keine Partei mehr fr die in-dividuellen Freiheitsrechte in Deutschlandgetan hat als die Grnen, wie Sie sagen:Was ist passiert, dass auch bei Ihnen vieleLeute der Meinung sind, die Partei msseweg von ihrem Image als Verbotspartei?Trittin: Der Fehler ist: Wir wollen etwas n-dern, was wir als schdlich erkannt haben.Aber anstatt die Produktion anzugehen,versuchen wir es ber den Konsum. Neh-men Sie den berhmten Veggie-Day. Ei-gentlich wre es ganz einfach: Wir nderndas Baurecht so, dass man bestimmte Stl-le nicht mehr bauen kann. Wir streichenden Tierhaltern die Subventionen, wir sor-gen dafr, dass der Arzt die Medikamente,die er verschreibt, nicht selber verkaufendarf. Drei Manahmen, die sofort zu einerEinschrnkung der klima- und gesund-heitsschdlichen Fleischproduktion beitra-gen wrden. Das wre viel besser, als aufdie Erzeuger einzuwirken, indem wir ih-nen die Nachfrage wegnehmen. SPIEGEL: Wer den Anspruch hat, die Gesell-schaft in eine friedliche, kologische Zu-kunft zu fhren, kann nicht darauf warten,dass die Brger irgendwann aus innererEinsicht handeln. Warum stehen Sie nichteinfach zu dem Verbotsimage? Trittin: Natrlich will man als Grner in derRegierung umsetzen, was man vorher ge-fordert hat. Doch die subkutane Botschaftan die Anhnger: Wir wollen Vorbild seinund die Welt durch unser Beispiel verbes-sern die nervt. Ich erinnere mich imZusammenhang mit der Debatte um denVeggie-Day an ein T-Shirt mit der Auf-schrift: Wenn es kein Fleisch mehr gibt,ess ich Vegetarier. Ich fand das lustig. SPIEGEL: Vielleicht haben Sie einfach zu vie-le Lehrer und Sozialpdagogen in IhrerPartei.Trittin: Ob ein berhang an Juristen oderBetriebswirten vorteilhafter ist, darberkann man streiten.SPIEGEL: Christian Lindner hat auf Veran-staltungen seine grten Erfolge, wenn ereinfach mal aufzhlt, was Grne gern ab-schaffen wrden, angefangen von denHeizpilzen und dem Ponyreiten auf ffent-lichen Festen.Trittin: Und dann klatschen sie bei der FDPin die Hnde und fliegen anschlieend ausdem Bundestag raus. Dieser Diskurs hatin der grnen Klientel auerordentlich be-scheidene Wirkung erzielt. Was auf der ei-nen Seite die Leute in Aufregung versetzt,kann auf der anderen vllig verpuffen.

    SPIEGEL: Die Moralisierung von Politik warimmer ein Markenzeichen der Grnen. Mitjedem neuen Fahrradweg steht gleich dasWeltklima zur Diskussion. Das wollen Siejetzt ndern?Trittin: Es gibt kein politisches Engagement,das nicht mit der Feststellung eines Miss-standes beginnt. Der Klimawandel ist eineunglaubliche Ungerechtigkeit gegenberrmeren Lndern. Und natrlich ist esnicht hinnehmbar, wenn einige Menschenungeheuer reich werden und ganz vielevon weniger als zwei Dollar am Tag lebenmssen. Der politische Kampf zielt aufdie Etablierung neuer Normen Normensind, wenn man so will, kodifizierte ge-sellschaftliche Moral. Die Frage ist nur, obich diejenigen, die sich nicht dran halten,dann auch noch moralisch verdammenmuss.SPIEGEL: Die extreme moralische Aufladungder Politik, wie sie die Grnen gerade inihren Anfangsjahren betrieben haben, istIhrer Meinung nach ein Fehler?Trittin: Nein, die war zu einem bestimmtenZeitpunkt, als wir gegen alle anderen Par-teien standen, unerlsslich. Die anderenwaren der Meinung, dass man 49 Atom-kraftwerke in Deutschland bauen sollte.Alle anderen waren auch der Auffassung,dass es kompletter Bldsinn ist, wennFrauen an politischen Entscheidungen ge-nauso beteiligt werden wie Mnner. WennSie gegen einen solch breiten Konsens an-

    laufen, dann mssen Sie schon sehr tief-reichende Werte haben. SPIEGEL: Whrend die Deutschen am Endeihren Frieden mit Joschka Fischer gemachthatten, sind Sie Ihr Image als kluger, aberarroganter Pinsel nie losgeworden. Hat Ihnen dieses Image im Nachhinein ehergeschadet oder genutzt?Trittin: Ich glaube, alles in allem hat es ehergenutzt. Wenn es um die Durchsetzungvon Inhalten geht, wird von einem erwar-tet, dass man jemand ist, der sich nichtverbiegen lsst. So gesehen hat die einemzugeschriebene Arroganz auch Vorteile.SPIEGEL: Gab es auch einen Nachteil?Trittin: Ich musste mich daran gewhnen,fr bestimmte Dinge mehr abzukriegenals andere. Das ist dann aber die logischeKonsequenz. SPIEGEL: Katrin Gring-Eckardt hat malber Sie gesagt: Auen warst du DarthVader, innen aber Mutter Teresa. Also of-fenbar gibt es eine zweite Seite. Trittin: Die gibt es doch immer. Sie bekom-men als Umweltminister nicht 190 Staatendahin, ein Klimaprotokoll zu unterschreiben,indem Sie Leute stndig vor den Kopf sto-en. Da bedarf es noch anderer Fhigkeiten.SPIEGEL: Sie haben immer etwas genervtreagiert, wenn Sie auf Ihre Vergangenheitals Mitglied des Kommunistischen Bundesangesprochen wurden. Aber sagt es nichtetwas ber einen Politiker aus, wenn er inseinem Leben Mitglied einer Sekte war?

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    Ich musste michdaran gewhnen,mehr abzukriegenals andere.

  • Deutschland

    Trittin: Ich finde nicht, dass ich auf Nach-fragen besonders genervt reagiert htte.Ich fand nur bemerkenswert, dass der Um-stand, dass ich fr einige Jahre Mitgliedbeim KB war, immer eine weitaus grereRolle gespielt hat als die Tatsache, dass ichals Student ein bekennender Rechtsbre-cher war. Ich habe mich in Gttingen poli-zeibekannt an Hausbesetzungen beteiligt.SPIEGEL: Das ist fr einen Grnen kein wirkliches Alleinstellungsmerkmal. DieFrage ist eher, ob man nicht aus seinemEngagement bei einer marxistischen Split-tergruppe eine bestimmte Weltsicht mit-nimmt? Trittin: Natrlich nehmen Sie aus allem einebestimmte Weltsicht mit, aber Sie knnendiese auch korrigieren, manchmal mssenSie das sogar. Wir haben beim KB damalsernsthaft geglaubt, dass sich das Land im-mer weiter autoritr zuspitzen werde, wirnannten das die Faschisierung von Staatund Gesellschaft. Interessanterweise ist dasGegenteil eingetreten, da haben wir alsograusam unrecht gehabt. Dass wir Grnendiese Gesellschaft freier, offener und tole-ranter gemacht haben, ist das Dementi die-ser Theorie durch die eigene Praxis.SPIEGEL: Mglicherweise ist Ihr groerTraum, Vizekanzler zu werden, daran ge-scheitert, dass Sie im Herzen immer nochein bisschen KBler sind. Wer in seiner Jugend berzeugt war, dass Deutschlandsich unter Fhrung der CDU in RichtungFaschismus entwickelt, kann dem Bsennicht pltzlich die Hand reichen.Trittin: Die CDU ist schwarz, aber nichtbse. Ich kann Ihnen versichern, wir habensehr ernsthaft sondiert. Die Gesprche sindgescheitert, weil es bei der Energiepolitiknie ein ernsthaftes Angebot gab. Alles, wasvon uns gefordert wurde, hat Sigmar Ga-briel unterboten. In diesem Discountwett-bewerb konnten wir nicht mithalten. Undes ist gescheitert, weil am Ende HerrSchuble verkndete, fr Investitionengebe es insgesamt zwlf Milliarden, unddavon seien schon zweimal sechs fr dieMtterrente weg. Mit anderen Worten: Esgab weder Geld fr Klimaschutz, noch gabes Geld fr Bildung.SPIEGEL: Es heit, Sie htten Schwarz-Grnvon Anfang an nicht gewollt.

    Trittin: Dann wre ich nicht hingegangen.Ich gehe in Sondierungen, um dort ernst-haft zu verhandeln, alles andere wreschlechter Stil. Regieren ist aber keinSelbstzweck. Es ist einfach falsch, wenndie CDU nachtrglich behauptet, die Ge-sprche seien an den Grnen gescheitert.Wer mit den Grnen koalieren will undparallel im Auftrag von BMW und Daimlerden Klimaschutz im Verkehrsbereich killt,der setzt ein klares Signal. Angela Merkelwollte nicht, Punkt. SPIEGEL: Wre Ihre Partei schon weit genugfr ein Bndnis mit der Union gewesen? Trittin: Es geht einzig und allein um den politischen Preis. Wenn unsere Kernfor-derungen erfllt worden wren, dann httedie Partei springen mssen, und sie wreauch gesprungen. SPIEGEL: Wrden Sie sich noch einmal aneiner Regierung beteiligen wollen?Trittin: Ich habe letzten Herbst fr mich dieEntscheidung getroffen, dass ich fr 2017nicht noch einmal als Spitzenkandidat an-trete, ansonsten mache ich hier erst einmalmeinen Job im Bundestag. SPIEGEL: Sie sind am Freitag 60 Jahre alt geworden. Wie sehr geht einem eigentlichirgendwann der Protestkitsch auf die Nerven?Trittin: Man schmunzelt ber manche Dingewie Boykott-Aufkleber, die einen ja auchselber geprgt haben. Auf der anderen Sei-te wei ich, dass politische Bewegungen

    * Jan Fleischhauer und Ren Pfister im SPIEGEL-Haupt-stadtbro.

    anders nicht entstehen knnen. Es braucht dazu Menschen, die in tiefer berzeugung,und manchmal auch mit Irrtmern behaf-tet, auf die Strae gehen. Das wird immerso bleiben.SPIEGEL: Als Sie 2001 als Umweltministerfr die Castor-Transporte nach Gorlebenverantwortlich waren, schrieben Sie denDemonstranten im Wendland: Nur weiljemand seinen Hintern auf die Straesetzt, finden wir das noch nicht richtig.Ein wunderbarer Satz.Trittin: Trotzdem war dieser Brief falsch.Weil man als Minister an Brgerinitiativenkeine Briefe schreibt, als wrde man nochim Asta sitzen. Deswegen hngt mir diesesZitat bis heute nach.SPIEGEL: Manche glauben jetzt, dass sich dieWelt schon ndert, wenn man anders bersie spricht. Neben Glhbirnen-Verbot unddem Ende der Atomkraft ist ein unbe -streitbarer Erfolg der Grnen, dass wir ander Uni von Studierenden statt Studentenreden. Trittin: Es bilden sich in jeder Partei be-stimmte Kulturen heraus, die man re -spektieren sollte. Ich habe in meinemWahlkreis 30000 Studierende, da sprichtman die Menschen so an, wie sie ange -sprochen werden mchten. Die For -mulierung Studentinnen und Studentenist noch umstndlicher. Auerdem habenwir in unserem Gesprch ja festgestellt,dass es das Richtige und das Falsche nichtgibt. SPIEGEL: Herr Trittin, wir danken Ihnen frdieses Gesprch.

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    Trittin, SPIEGEL-Redakteure*

    Eine Selbstbezichtigung ist ein guter Anfang

    Man schmunzeltber manche Dingewie Boykott-Aufkleber,die einen selber geprgt haben.

  • Neulich im Kinderfernsehen: Eine Biene namens Nahul hat es sich ineinem Sessel bequem gemacht und

    telefoniert mit einem kleinen Jungen. Stoff-tiere und knallbunte Kulissen sorgen fr eineAtmosphre wie bei einer Geburtstagsfeier.

    Sag, mein Freund: Sind Judenin deiner Nhe?

    Nein, im Moment nicht.Wenn sie kommen: schlag sie.

    Mach ihr Gesicht rot wie eine Tomate.

    Dann wendet sich die Personim knuffig schwarz-gelben Bie-nenkostm einer jungen Mode-ratorin und einem etwa fnfjh-rigen Kind im Studio zu, das Poli-zist werden will wie sein Onkel.

    Was macht ein Polizist?,fragt die Moderatorin.

    Er fngt Diebe, erklrt Nahul, die Biene.

    Und er erschiet Juden.Willst du wie er sein?, sagt dieModeratorin.

    Ja, antwortet das Mdchen,damit ich Juden erschieenkann.

    Gut.Die arabischsprachige Sen-

    dung war berall in Deutschlandmit einer Satellitenschssel zuempfangen, dazu im Internet,produziert von Al-Aqsa-TV, demFernsehsender der Hamas mitseinem antiisraelischen Angebotfr alle Altersgruppen, anzuse-hen von Gaza bis Gelsenkirchen.

    Solche Programme tragenzweifellos zur Radikalisierungim Nahen Osten bei. Aber wel-chen Effekt haben sie auf Men-schen, die weit entfernt vom Kri-sengebiet in den Migrantenvier-teln europischer Stdte leben?Aus welchen Quellen speist sichder neue, lautstarke Antisemitis-mus auf deutschen Straen? Wieweit verbreitet sind anti jdischeRessentiments in den arabisch-und trkischstmmigen Bevlke-rungsgruppen?

    Erst viele Tage nach Beginnder israelischen Bodenoffensiveim Gaza-Streifen startet hierzu-lande die Aufarbeitung eines ausdem Nahostkrieg abgeleitetenKonflikts. Erschrocken und irri-tiert suchen viele Deutsche mit

    und ohne Migrationshintergrund nachden tieferen Grnden fr die aggressiveStimmung, wie sie auf der Frankfurter Zeilzu erleben war (Stop the Holocaust).Oder im Stadtzentrum von Gelsenkirchen(Hamas! Hamas! Juden ins Gas!). Oder

    am Brandenburger Tor in Berlin (Schlach-tet die Juden ab!). Oder in Aachen, Bre-men, Kassel, Leipzig, Stuttgart und vielenanderen Stdten.

    Die Parolen schockieren eine Gesell-schaft, die eigentlich den Antisemitismus

    bekmpfen will und sich damitrhmt, bei der Integration vonEinwanderern zuletzt Fortschrit-te gemacht zu haben. Nun siehtes so aus, als rissen alte Grbenwieder auf. Eines der schwie -rigsten Themen der deutschenGeschichte gewinnt neue Aktua -litt, und das gefhrdet den Zu-sammenhalt vor allem in vielenGrostdten, wo fast die Hlftealler Grundschler aus Migran-tenfamilien stammt.

    Die Verunsicherung ist gro,auf allen Seiten. In den jdi-schen Gemeinden, die als ErsteAlarm schlugen und sich allein-gelassen fhlten. Bei der Polizei,die sich schwertat, eine angemes-sene Antwort auf die menschen-verachtenden Parolen zu finden.Beim obersten Reprsentantendes Staates, BundesprsidentJoachim Gauck, der die Aus-schreitungen scharf verurteilte.Und natrlich bei zahlreichenMigranten, die nicht als juden-feindlich gelten wollen, nur weilsie gegen das Leid der Menschenin Gaza demonstrieren.

    Zwei Aufgaben sind nun zu lsen. Kurzfristig geht es darum,die antijdischen Parolen undAktionen in den Fugngerzo-nen zu unterbinden. Es gilt, da-fr zu sorgen, dass vermeintlichjdisch gefhrte Imbisskettennicht gestrmt werden, wie es in Nrnberg geschah. Es muss verhindert werden, dass auchhierzulande israelische Fuball-mannschaften wie in ster-reich attackiert werden. WerHass schrt, muss zur Verant-wortung gezogen werden.

    Und dann steht, auf lngereSicht, eine Auseinandersetzungmit den tieferen Ursachen derneuen Antisemitismus-Welle an.Fr manche Demonstrantenlsst sich die Hoffnungslosigkeitder eigenen Situation in der Aus-weglosigkeit der ewigen Ge-

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    Deutschland

    Wir lschen das FeuerProteste Nach mehr als hundert Demonstrationen beginnt die Aufarbeitung der Hasswelle auf deutschen Straen. Aus welchen Quellen speist sich der neue Antisemitismus?

    Arabischsprachige Kindersendung: Von Gaza bis Gelsenkirchen

  • waltspirale in Nahost gut spiegeln,schreibt Raed Saleh, ein gebrtiger Pals-tinenser, der im Berliner Abgeordneten-haus die SPD-Fraktion fhrt (siehe Seite28).

    Offenbar war kaum jemand auf das Aus-ma und die Schrfe der antiisraelischenProteste vorbereitet. Am vergangenenDienstag, anderthalb Wochen nach Beginnder Demonstrationen, warnte das Bundes-innenministerium dann vor mglichenKonsequenzen: Aufgrund der eingetrete-nen Eskalation ist temporr von einer Ge-fhrdungserhhung von israelischen Ein-

    richtungen und Interessen in Deutschlandauszugehen, hie es in einer internen Lagebewertung.

    Die grte Sorge der Sicherheitsbehr-den gilt potenziellen Einzelttern oderkleineren Gruppierungen, die, aufgesta-chelt von der Hasspropaganda auf derStrae oder im Internet, ein Fanal setzenknnten. Aus diesem Grund wurde der ohnehin weitreichende Schutz israelischerEinrichtungen in Deutschland in der ver-gangenen Woche noch einmal verstrkt.

    Immerhin: Anzeichen fr eine soge-nannte Querfront, also eine strategischeAllianz verschiedener Verfassungsfeinde,sehen die Behrden derzeit nicht auchwenn vereinzelt Rechtsextremisten im selben Pulk wie Linksautonome oder mili -tante Muslime gegen Israel marschierten.

    Umdenken musste vor allem die Polizei,nachdem bei mehreren Protestzgen dieLage auer Kontrolle geraten war. ZumBeispiel in Essen, wo im Anschluss an einevom Jugendverband der Linken organisier-ten Demonstration mit mehr als tausendTeilnehmern Parolen wie Tod den Judenskandiert wurden.

    Warum griffen die Beamten nicht ein?Weil sie es nicht gehrt htten, sagt ArnoldPlickert, der Landesvorsitzende der Ge-werkschaft der Polizei in Nordrhein-West-falen: Die Kollegen tragen Helme, daluft Funkverkehr. Sie haben nichts mit-bekommen. Das ist bedauerlich, aber lsstsich nicht vermeiden.

    Zahlreiche Polizisten htten berdiesProbleme mit der rechtlichen Bewertungvon Protestaktionen, sagt Plickert: KeinMensch versteht, warum das Verbrenneneiner deutschen Flagge eine Straftat ist,das Abfackeln einer israelischen Fahneaber nicht, es sei denn, sie hngt am Fah-nenmast vor einem offiziellen Gebude.

    Schwierig ist es fr die Beamten auer-dem, bei jeder Parole abzuschtzen, ob essich um Volksverhetzung, Beleidigungoder eine freie Meinungsuerung handelt.Einfach ist es bei Rufen wie Juden insGas: Das ist als Volksverhetzung strafbar

    und erfordert das Eingreifen. Lediglich alsBeleidigung dagegen verstand beispiels-weise die Berliner Polizei bis vor Kurzemden Spruch Jude, Jude, feiges Schwein,komm heraus und kmpf allein. In diesemFall muss erst ein Betroffener einen Straf-antrag stellen, bevor die Ordnungshteraktiv werden. Kindermrder Israel wie-derum geht hufig als zulssige Meinungs-uerung durch.

    Zwar kann die Polizei bei antisemiti-schen Parolen auch auerhalb des Straf-rechts eingreifen, doch offenbar fehlte da-fr zunchst das Gespr.

    Tagelang berieten Staatsanwlte undEinsatzleiter ber neue Regeln und setz-ten diese dann im Demonstrationsalltagum. So etwa bei einem Protestzug von 350 Israel-Kritikern am vorigen Dienstagim Zentrum von Berlin, wo die Versamm-lungsleiterin zu Beginn laut ins Mikrofonrief, welche Sprche ab sofort behrdlichverboten seien: Untersagt ist insbeson -dere das Rufen der Parolen ,Tod Israel be-ziehungsweise ,Tod den Israelis. Auchdie Schweine-Parole, trug die Anfhre-rin vor, sei nicht mehr erlaubt.

    Die Demonstrationsteilnehmer, vorwie-gend Frauen und Kinder palstinensischerHerkunft, hielten sich an die Auflagen und whlten einfach andere Schlachtrufe:Zionisten sind Faschisten, tten Kinderund Zivilisten.

    Desinteressiert, verstrt oder sprachlos,so reagierten deutsche Politiker zunchstauf die anschwellende Protestwelle. MehrSolidaritt aus der deutschen, nichtjdi-schen Gesellschaft wre natrlich sehrschn und mehr als angebracht, schriebder Prsident des Zentralrats der Juden,Dieter Graumann, am vorigen Montag er-nchtert an seine Gemeinden: Lassen wiruns nicht beirren und nicht entmutigen.Es war ein Weckruf: Erst danach meldetensich der Bundesprsident und die Kanzle-rin zu Wort.

    Keine uerung zum Thema gab es dagegen von Aydan zoguz (SPD). Dabeiwre die Integrationsbeauftragte der Bun-desregierung durch ihr Amt und ihre Her-kunft prdestiniert, in die Migranten-Com-munity migend hineinzuwirken. Zu-gleich knnte sie in der ffentlichkeit umVerstndnis fr die Sorgen und die Wutvieler Zuwanderer angesichts der Boden-offensive in Gaza zu werben.

    Doch die Staatsministerin befand sichim Urlaub. Stattdessen meldete sich am

    25DER SPIEGEL 31 / 2014

    Mehr Solidaritt aus der deutschen, nichtjdischen Gesellschaft wre natrlich sehr schn.

  • schem Vater und deutscher Mutter ist Vor-standsmitglied in der Kreuzberger Initia-tive gegen Antisemitismus. Seit zehn Jah-ren setzt sich der Verein dafr ein, Vorur-teile ber Israel und die Juden abzubauen.Kassar und ihre Kollegen haben Schulenbesucht und sind mit Berliner Jugendgrup-pen nach Israel gereist. Zeitweise arbeite-ten acht Leute in dem Verein. Doch Endevergangenen Jahres liefen die Mittel desBundesfamilienministeriums fr zweiGroprojekte aus. Seitdem musste derVorstand alle Festangestellten entlassen.

    Am Donnerstag streifte Kassar, 33,durch ihre leeren Bros in der BerlinerOranienstrae, vorbei an Auszeichnungenund Kartons mit Infobroschren, die nichtmehr verschickt werden knnen. Hier,

    sagte die Islamwissen-schaftlerin und zog eineSchublade auf: Das sinddie Unterlagen fr einPlanspiel zur Grndungdes Staates Israel. Dane-ben lagen Lehrmaterialienber den Nahostkonfliktund das jdische Leben inBerlin-Kreuzberg. Aus ih-rer Sicht fhrt grade diemangelnde Bildung zumverzerrten Bild des Nah-ostkonflikts unter vielenJugendlichen. Es ist trau-rig, dass die Sachen jetztin den Schrnken liegenbleiben, sagte YasminKassar, hier ist kein Le-ben mehr.

    Zurzeit sind Schulferienin Berlin. Andernfalls stn-de das Telefon in dem Ver-

    ein nicht mehr still, meint Kassar. JedesMal, wenn sich die Lage im Nahen Ostenzuspitze, riefen verzweifelte Lehrer an,die nicht wssten, wie sie mit antisemiti-schen Sprchen in ihrer Klasse umgehensollten. Die Mitarbeiter der Initiative fuh-ren dann zu den Schulen und redeten mitden Jugendlichen. Bei uns sagten wirdann immer: Wir lschen das Feuer.

    Kassar hat mittlerweile einen anderenJob angenommen, sie arbeitet als Sozial-pdagogin an einer Kreuzberger Schule.Noch hat sie Hoffnung, dass ihr Vereinwieder auflebt. Ab 2015 stellt der Bundfrisches Geld fr Initiativen gegen Extre-mismus zur Verfgung. Vor wenigen Tagenhat der Vorstand beschlossen, sich erneutzu bewerben. Wir knnen doch nicht auf-geben, sagt Yasmin Kassar.

    Sven Becker, Dietmar Hipp, Frank Hornig,

    Jrg Schindler, Barbara Schmid

    vergangenen Mittwoch ihr Bruder Yavuzzoguz, der mit seinem Bruder Grhaneine islamistische Plattform betreibt, miteinem offenen Brief an Bundesinnenmi-nister Thomas de Maizire (CDU) zuWort. Abschlieend drcke ich Ihnenmeine Verachtung auch dafr aus, dass Siein der Arroganz der Macht offensichtlichjedes Mitgefhl fr Menschen verloren ha-ben, schrieb er an den Minister.

    Muslime wagten kaum noch ffentlicheKritik an Israel, agitierte Yavuz zoguz,weil Machthaber wie Sie die Meinungs-freiheit in diesem Land im Sinn eines radikal-zionistischen Gedankenguts ein-schrnken.

    Die Staatsministerin habe sich wieder-holt ffentlich von der Arbeit und Mei-nung ihrer Brder distan-ziert, sagte ihre Sprecherinam Freitag und lieferte aufNachfrage eine Stellung-nahme der Integrationsbe-auftragten nach: Antise-mitismus hat in Deutsch-land keinen Platz. Klar ist,dass sich der Israel-Gaza-Konflikt nicht mit Gewaltlsen lsst.

    Wieso aber fhrt derNahostkrieg zu teils volks-verhetzenden Protestmr-schen?

    An allzu groer Prsenzder Judenfeinde im Alltagkann es nicht liegen. DieHamas zum Beispiel ver-fge ber 300 Anhnger,die allerdings selten of-fen auftreten, heit es imBericht Antisemitismusin Deutschland, den das Bundesinnen-ministerium im Jahr 2011 verffentlichthatte.

    Trotzdem gelingt es den Islamisten of-fenkundig mit groem Erfolg, ihre Propa-ganda auch in Deutschland zu verbreiten.24 Stunden am Tag liefern insbesondereAl-Manar, die TV-Station der libanesi-schen Hisbollah, und das Hamas-Pro-gramm Al-Aqsa Dauerberichte ber denisraelisch-palst