Der Zeit voraus - Ferring Gmbh · Bereich der Pädiatrie, in geeigneter Weise hervorzuheben, traf...

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Der Zeit voraus DR. FREDERIK PAULSEN (1909-1997) DER MANN, DER FERRING GRÜNDETE Birgit Amon

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Der Zeit voraus

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Frederik PaulsensHaus in Alkersumauf Föhr (Luftbild)

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Wer sich heute als Außenstehender Dr. Frederik Paulsen zu nähern versucht,der meint einer Doppel-Person zu begeg-nen: Da ist auf der einen Seite der erfolg-reiche Mediziner, Forscher und Unterneh-mer; daneben steht der „Friese“ Paulsen,der sich vor allem in den letzten Jahrzehn-ten seines Lebens voller Engagement fürseine Volksgruppe eingesetzt hat. Sinn-fälliger als er selbst hätte man diese beidenBereiche kaum verbinden können.

„Es entspricht der friesischen Identität, gegen den herrschenden Zeitgeistzu sein.“

Frederik Paulsen

Er nannte seine Firma, die er in den 50erJahren in Schweden gründete, Ferring, under gab ihr damit den Namen, mit dem dieEinwohner der Insel Föhr in ihrer eigenenSprache von sich selbst sprechen.

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Impressum

Herausgeber:Ferring GmbHKiel 1999

Lithos:dfn! Druckerei Fotosatz NordKiel

Gestaltung und Layout:Horst-Peter Westphal, dfn!

Gesamtherstellung:dfn! Druckerei Fotosatz NordKiel 1999

Bildnachweis:Privatarchiv der Familie PaulsenArchiv Ferring AB Malmö

Umschlagrückseite:Die erste Seite von Frederik Paulsens Redemanuskript zum 40jährigen Ferring-Jubiläum

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung 6

I. Kindheit und Lehrjahre 8„Unbequemes Denken“ 9Kapp-Putsch in Kiel 10„Papa hat dänisch gestimmt“ 10Erste Polit-Aktivitäten 11Medizin als Brotstudium 12

II. Im Konflikt mit dem Dritten Reich: Haft und Emigration 1933–1935 13Flugblatt-Aktion 13„Ich bin ein Friese“ 1418 Monate Haft 14Ab durch den Hinterausgang 15Promotion in Basel 16Aufbruch nach Norden 17

III. Auf dem Weg zum Peptid-PionierStockholm 1935–1950 17Unbezahlter Job 19In Diensten von Organon 19Kompetenz und Glück 20Die perfekte Lösung 21Das Milliarden-Geschäft 21„Hi wiar so arig...“ 22Laborarbeit im Keller 22ACTH-Know-How 23„Fang an!“ 23Die Großen sagen nein 24

IV. Die eigene Firma: Vom Zwei-Personen-Betrieb zum WeltunternehmenMalmö 1950–1970 25Das Nordische Hormonlabor 26Dozent in Malmö 26Von Forschern für Forscher 27Es fehlt an Hypophysen... 27....und an Geld 28Ein neuer Name: Ferring 28Ein neues Fabrikgebäude 29Die Synthese-Ära beginnt 30Forscher-Kontakte 31Minirin als „money machine“ 32Glückstreffer Gaviscon 32Maßgeschneiderte Medikamente 33Der Rückzug 34

V. Aktiv für die Sache der Friesen: Die Föhrer Jahre 1970–1997 35„Geheimsprache“ fering 35Fern von aller „Tümelei“ 36Das „Nordfriisk Instituut“ 37Stiftungen... 38...und Ehrungen 39Zu „groß“ für Friesland 40

Nachbemerkung 41

Literaturangaben 42

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Vorbemerkung

Auf der Suche nach einer Möglichkeit, dielangjährige, enge Verknüpfung unseresUnternehmens mit dem Forschungsgebietder Endokrinologie, insbesondere auch imBereich der Pädiatrie, in geeigneter Weisehervorzuheben, traf ich zu Beginn des letz-ten Jahres den pädiatrischen Endokrinolo-gen Prof. Dr. Wolfgang Sippell. Währenddieses Treffens entstand die Idee zu demvorliegenden Buch, da die Förderung undUnterstützung des stetigen Erfahrungs- undMeinungsaustausches junger Wissenschaft-ler bei internationalen Fortbildungen undTagungen durch FERRING unmittelbar mitdem Namen Dr. Frederik Paulsen verbun-den war und ist. Das Buch – Der Zeit voraus – Dr. FrederikPaulsen (1909-1997) – der Mann, derFerring gründete – ist als Würdigung undAnerkennung einer außergewöhnlichenForscher- und Unternehmerpersönlichkeitgewidmet. Dr. Frederik Paulsen war „Ein Mann, derseine Gedanken immer in die Zukunftgerichtet hat. Es war ihm ein besonderesAnliegen, jungen Menschen für ihr LebenZukunftsperspektiven zu eröffnen.Dabei bewies er ein erstaunliches Gespürfür kommende Entwicklungen, ein Gespür,das seinen Lebensweg als Forscher undUnternehmer so erfolgreich gestaltet hat. Inseine Zukunftsüberlegungen bezog er auchseine Heimatinsel Föhr ein.“ Dr. F. Paulsen: „Es entspricht der friesi-schen Identität, gegen den herrschendenZeitgeist zu sein.“

Wenn man das Leben von Dr. FrederikPaulsen überblickt, muß man einfachRespekt vor einer ungewöhnlichen Lebens-leistung empfinden. Als junger Mann hat erin Deutschland in einer schwierigen Zeitgroßen Mut bewiesen. Seine beruflicheLaufbahn hat er mit dem Aufbau eines welt-weit operierenden Unternehmens gekrönt.Und schließlich konnte er mit seinen Ideenund seinem Einsatz durch Gründung der‚Ferring Stiftung‘ seiner Heimatinsel Föhreine Grundlage zur Sicherung ihrer eigen-ständigen Sprache und Kultur schaffen. Erwar eben stets „der Zeit voraus“ .Obwohl ich Herrn Dr. Frederik Paulsenleider nie persönlich kennengelernt habe,haben mich die Recherchen zu diesem Buchdoch ungemein beeindruckt und eine tief-empfundene, aufrichtige Hochachtunghinterlassen. Eine Persönlichkeit, die es in bemerkens-werter Art und Weise verstand, eine inter-nationale Brücke zwischen den BereichenWissenschaft und Forschung einerseits unddem Unternehmen FERRING andererseitszu schlagen und so eine enge Verknüpfungherzustellen. Dabei vergaß er jedoch nie dieWurzeln seiner Herkunft, als ein Ferringer‚von der Insel Föhr‘.Am 3. Juni 1997 starb Dr. Frederik Paulsenin seinem Haus in Alkersum auf seinerHeimatinsel Föhr.Dieses Buch soll die Erinnerung an denMann, der Ferring gründete, und an dessenLebensphilosophie wachhalten, sowohl beiden endokrinologisch tätigen Wissenschaft-

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lern und Forschern weltweit als auch beider ständig wachsenden Zahl unserer Mit-arbeiter.An dieser Stelle möchte ich mich bei derAutorin Frau Birgit Amon ganz besondersherzlich für die ausgezeichnete Zusammen-arbeit bedanken. Durch ihren unermüdli-chen Einsatz, ihre Ausdauer und Gewissen-haftigkeit bei den nicht immer einfachenRecherchen wurde die Erstellung diesesBuches erst möglich.

Kiel, im März 1999FERRING GmbH

R.U. Diehl Dr. Petra WollnyGeschäftsführung Int. Produktmanager

Pädiatrische Endokrinologie

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I. Kindheit und Lehrjahre 1909–1933

Geboren wurde der Föhrer Friese FriedrichPaulsen (zu Frederik wurde er erst nach sei-ner Emigration in Schweden) allerdings aufdem Festland – in Dagebüll an der schles-wig-holsteinischen Westküste, einer kleinenHafenstadt, die Ausgangspunkt ist für denFährverkehr nach Föhr und Amrum. Einechter „fering“ ist er dennoch: Beide Eltern

stammten aus alten Föhrer Familien, derVater Otto Paulsen aus Goting und Borg-sum, die Mutter Keike, geborene Arfsten,aus Alkersum. Das mütterliche Elternhaus,1634 erbaut und seither im Besitz der Arf-stens, hat Frederik Paulsen 1961 erworbenund zu seinem Alterswohnsitz umgestaltet,eine besondere Freude für ihn, der ein inni-ges Verhältnis zu seiner Mutter hatte und anihr die Stärke der Föhrer Frauen schätzte:„Bei uns auf der Insel herrschten die Frau-en, ein gut funktionierendes Matriarchat.Sie versorgten außer den Kindern Vieh undFelder, sie bauten auch Deiche und Wege,stachen Torf und schnitten Heide und Reetals Brennmaterial. Die Frauen waren starkund selbstbewußt, manchmal mehr, als denMännern lieb war“ (so Paulsen 1993 ineinem Interview).Doch zurück nach Dagebüll, wo FriedrichPaulsen am 31. Juli 1909 zur Welt kam.Sein Vater hatte hier eine Stelle als Postbe-amter inne; vom ersten Stock des Wohnhau-ses konnte man immerhin über den Deichauf das Wasser und nach Föhr schauen, aufjene (82 Quadratkilometer) kleine nordfrie-sische Insel im Wattenmeer, die für Frie-drich/Frederik immer ein Zentrum seinesLebens gewesen ist. Da die Eltern fest ent-schlossen waren, ihren fünf Kindern (zweiweitere Söhne starben früh an Masern) alle-samt eine höhere Schulbildung zu ermögli-chen, gab der Vater seinen Wunsch auf, diePoststelle in Wyk auf Föhr zu übernehmen.Statt dessen zog die Familie erst nach Erfde(1913) und 1917 schließlich nach Kiel. Hierbesuchten die Söhne Paul, Friedrich undOtto die traditionsreiche Kieler Gelehrten-

Die Eltern Keike Arfstenund Otto Paulsen

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Während seiner Schulzeit frönte FriedrichPaulsen vor allem seinen schöngeistigenNeigungen. Im Stadttheater, das 1907 in dasneue Haus am Kleinen Kiel umgezogenwar, besuchte er nicht nur häufig Auf-führungen, sondern war als Statist auch aufder Bühne (vor allem bei Operninszenierun-gen) zu sehen. Das damals neue MediumFilm faszinierte ihn so sehr, daß er an man-chen Tagen bis zu drei oder vier Vorführun-gen besuchte. Seine Kino-Besessenheit ver-stand er auch praktisch umzumünzen,schrieb als Unterprimaner Filmkritiken fürdie Norddeutsche Zeitung und hatte dankder Pressekarten freien Kino-Zutritt (aufden besten Plätzen). Darüber hinaus ent-wickelte er sich zu dem leidenschaftlichenLeser, der er zeit seines Lebens bleibensollte. In der Schule selbst interessierten ihnvor allem die geisteswissenschaftlichenFächer wie Literatur, Geschichte und Philo-sophie. Den Lehrern, so schrieb seineSchwester Hilde Portofée 1984, „fiel erdurch eigenständiges, manchmal unbeque-mes Denken auf“.Diese Unabhängigkeit und die Bereitschaft,eigene Wege zu gehen, prägtenFriedrich/Frederik Paulsens Leben. Erwuchs ja nicht, nur den Idealen klassischerBildung verpflichtet, abgeschirmt in einemElfenbeinturm auf. Gegen Ende des ErstenWeltkriegs stand Kiel zum ersten und bis-

schule am Kleinen Kiel, ein humanistischesGymnasium, das 1320 gegründet wurdeund noch heute fortbesteht (nach der völli-gen Zerstörung 1944 durch Bomben jetzt ander Feldstraße); Friedrich trat in die Oktaviaein, die mittlere von drei Vorschulklassen,wie es sie vor der flächendeckenden Ein-führung von Grundschulen in der WeimarerRepublik noch an Gymnasien gab. DieTöchter Käthe und Hilde gingen auf diehöhere Mädchenschule an der Harmsstraße(heute Käthe-Kollwitz-Schule), bis dieGelehrtenschule 1927 auch Mädchen ihreTüren öffnete und Hilde unter den erstenSchülerinnen in diesem ehrwürdigen Insti-tut war.

„UnbequemesDenken“

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Kapp-Putschin Kiel

lang einzigen Mal in seiner Geschichte imZentrum der deutschen Politik. Mit demKieler Matrosenaufstand im November1918 wurde der Funke der Revolution ent-zündet und verbreitete sich rasend schnellüber ganz Deutschland; hier entstanden umdiese Zeit erstmals in Deutschland Solda-ten- und Arbeiterräte.

Friedrich Paulsen war natürlich noch zujung, um aktiv am politischen Geschehenteilzunehmen. Sein älterer Bruder Pauljedoch wollte beim Kapp-Putsch mitmi-schen, der am 13. März 1920 in Berlinbegonnen hatte: Unter der Führung des ost-preußischen GenerallandschaftsdirektorsKapp versuchten die Gegner der Republik,die Macht in Deutschland an sich zu reißen.In Kiel kam es zu fast bürgerkriegsähnli-chen Zuständen. Paul, der sich auf seitender Putschisten per Fahrrad als Melder insGetümmel stürzte, wurde von der energi-schen Mutter zurückgepfiffen, die ihremÄltesten kurzerhand jede weitere Teilnahmestrikt untersagte.

Frederik Paulsen(ganz links) mitseinem BruderPaul und denSchwesternKäthe und Hilde(sitzend)

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„Papa hatdänischgestimmt“

Erste Polit-Aktivitäten

In die Putschzeit fällt die Zeit der Volksab-stimmung, die den deutsch-dänischenGrenzverlauf festlegen sollte. In der erstenZone (Nordschleswig, nördlich der heutigenGrenze) hatten sich 75 Prozent für Däne-mark entschieden; am 14. März votierten inder zweiten Zone des deutsch-dänischenGrenzbereichs (Mittelschleswig) etwa 80Prozent für Deutschland. Damit wurde derheute bestehende Grenzverlauf nördlich vonFlensburg bis südlich von Tondern festge-legt. Die Eltern Paulsen waren am 14. Märzzur Abstimmung nach Föhr gefahren, undunter Tränen gestand die Mutter nach derRückkehr den älteren Kindern: „Es istetwas Furchtbares passiert: Papa hatdänisch gestimmt, aber Ihr dürft es nieman-dem sagen, sonst verliert er seine Beamten-stellung.“

In den unruhigen, aufgeheizten, polarisie-renden Jahren der Weimarer Republikmochten gerade die jungen Leute nichtunbeteiligte Zuschauer bleiben. FrederikPaulsen erinnert sich: „In der WeimarerRepublik war es eine Schande, wenn einJüngling kein Abzeichen trug, also keineGesinnung, keine Weltanschauung hatte.Auch der radikalste politische Gegner warbesser als der Feigling ohne Abzeichen undohne Fahne“. So entschloß sich auch Frie-drich zum Eintritt in das politische Leben.Auf der Suche nach der Partei, die ihnWahlzettel und Wahlplakate verteilen ließund mit den begehrten Gesinnungs-Insigni-en ausstatten konnte, geriet der 15jährigeBeamtensohn Friedrich Paulsen ausgerech-net an die als völkisch, antisemitisch undextrem nationalistisch geltende Deutschvöl-kische Freiheitspartei, die bei den Reichs-tagswahlen im Mai 1924 immerhin 7,4 Pro-zent der Stimmen gewinnen konnte. Vondiesem Ausrutscher war er schnell kuriert;offenbar wirkte ein Kieler Auftritt AdolfHitlers so abschreckend auf den Schüler,daß er fortan mit dem rechten Spektrumnichts mehr zu tun haben wollte und sichspäter als Student kommunistischen undsozialistischen Gruppierungen anschloß –mit beträchtlichen Auswirkungen für seineLaufbahn und sein weiteres Leben.

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Medizin alsBrotstudium

Doch auch schon bei der Berufswahl, die1928 nach dem Abitur anstand, spieltenpolitische Beweggründe mit hinein. Trotz

seiner entschiedenen geisteswissenschaftli-chen Vorlieben nahm er, nach langer Bera-tung mit dem Vater, ein Medizinstudiumauf. „Er sah jedoch ein“, so beschreibtHilde den Entscheidungsprozeß des Bru-ders, „daß es in den wirtschaftlich und poli-tisch unzuverlässigen Zeiten der zwanzigerJahre vernünftiger sei, ein Fach zu studie-ren, mit dem man in jedem Land sein Brotverdienen könne.“

Frederik Paulsen:Zeit seines Lebensein leidenschaft-licher Leser

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II. Im Konflikt mit dem DrittenReich: Haft und Emigration1933-1935

Wie weitsichtig und weise dieser Entschlußwar, konnte Friedrich Paulsen nicht ahnen,als er in Kiel, Frankfurt, Graz und schließ-lich wieder in Kiel Medizin studierte. Hierhatte er an der Kieler Universitäts-Frau-enklinik die Untersuchungen für seine Dok-torarbeit (über den kolloid-osmotischenDruck im Blut von Schwangeren) bereitsabgeschlossen, hier stand er 1933 mitten imStaatsexamen, als den „linken“ Studentendie Politik einholte. Natürlich war er mitseiner politischen Haltung sofort in Kon-flikt mit den Nationalsozialisten geraten,war auch schon von Universitätslehrerngewarnt worden.

Flugblatt-Aktion

Die Übersetzung eines Artikels aus demenglischen „Manchester Guardian“, der sichkritisch mit bestimmten Vorkommnissen inKiel befaßte, die er unter Freunden alsFlugblatt verteilte und die er auch einemMitglied der Kommunistischen Partei zumAbdruck in einer illegalen Zeitung überließ,wurde ihm zum Verhängnis. Der Artikelbeschäftigte sich mit einem „der ersten vomHitler-Staat organisierten Morde“ (Paul-sen). In der Nacht vom 11. auf den 12.März 1933 wurde der Kieler Anwalt, SPD-Stadtverordnete und Stadtverordneten-Vor-steher Dr. Wilhelm Spiegel in seinem Hausam Forstweg 42 von zwei Männern, diesich als Hilfspolizisten ausgaben und vondenen einer SA-Uniform trug, erschossen.Mit Spiegels Sohn Rolf war Friedrich vieleJahre lang in dieselbe Klasse gegangen.Außerdem griff der „Manchester Guardian“den Fall Ernst Oberfohren auf. Der ehema-lige Reichstagsabgeordnete der Deutschna-tionalen Volkspartei, die durch ihre Koaliti-on mit der NSDAP Hitler am 30. Januar andie Macht gebracht hatte, war am 7. Mai1933 in seinem Haus in der Bismarckalleeerschossen gefunden worden. Heute sindsich die Historiker einig, daß Oberfohren,der sich von den Nazis abgewandt hatte,fürchtete, ein Opfer nationalsozialistischerGewalt zu werden, dem psychischen Drucknicht standhielt und Selbstmord beging.Damals aber vermuteten viele Regimegeg-ner, die Nazis hätten ihre Hand ganz direktim Spiel gehabt. Auch Friedrich Paulsen

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glaubte an diese auch im „ManchesterGuardian“ vertretene Version (wie sie eben-falls Harald Eschenburg im zweiten Band„Wind von vorn – Roman einer Machter-greifung“ seiner Kieler Schlüssel-Trilogiewiedergibt, in der Oberfohren kaum ver-hüllt als Unterlaufen auftritt).

„Ich bin einFriese“

Jedenfalls wurde Friedrich Paulsen auf-grund dieser Flugblattaktion Anfang Sep-tember 1933 in der elterlichen Wohnung inder Esmarchstraße 55 von der GeheimenStaatspolizei (Gestapo) verhaftet. In dernach Beweismitteln genauestens durchsuch-ten Wohnung fanden sich weder dieSchreibmaschine noch Flugblätter. DieSchreibmaschine hatte Friedrichs FreundinGräfin Hedwig Ide Reventlow, die auch dieÜbersetzung getippt hatte, mitgenommen;später „entsorgte“ sie das gefährlicheBeweisstück, indem sie es von der Levens-auer Hochbrücke in den Nord-Ostsee-Kanal warf. Friedrich Paulsen wurde insPolizeipräsidium in der Blumenstraßegebracht. Als noch vor dem eigentlichenVerhör zwei Polizisten auf ihn einprügelten,rief er empört: „Ich bin ein Friese, undeinen Friesen schlägt man nicht ungestraft“– eine Bemerkung, die seiner Erinnerungnach die Polizisten so sehr in Erstaunenversetzte, daß sie tatsächlich von ihmabließen. Nach mehreren Monaten Untersu-chungshaft (unterbrochen von einem kurzenWeihnachts-“Urlaub“, gewährt gegen eineKaution) wurde er am 6. März 1934 – unterAnrechnung der Untersuchungshaft –wegen „Beihilfe zur Vorbereitung eineshochverräterischen Unternehmens inTateinheit mit Beihilfe gegen das Parteien-verbotsgesetz vom 14. Juli 1933“ zu 18Monaten Gefängnis verurteilt. Die Verteidi-gung hatte sein Bruder Paul, ein überausfähiger und findiger Jurist, übernommen.

Der junge Frederik Paulsen

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Dieses Urteil schockte Friedrich, der imGrunde auf einen Freispruch gehofft hatte,da er ja lediglich einen Artikel aus einerganz legal erworbenen ausländischen Zei-tung ins Deutsche übersetzt hatte, was auchnach dem damaligen Recht nicht strafbarwar. Statt dessen fand er sich nun in derStrafanstalt Neumünster wieder, wo er nacheigenen Angaben zunächst in der Zelleinhaftiert wurde, in der schon Autor HansFallada („Kleiner Mann, was nun?“, „Wereinmal aus dem Blechnapf frißt“) eingeses-sen hatte.

18 MonateHaft

Am frühen Morgen des 7. April 1935 wurdeFriedrich Paulsen, nach der kargen Gefäng-niskost auf 41 Kilo abgemagert, in die„Freiheit“ entlassen. In einem Interview,das er als 83jähriger gab, erinnert er sich:„Daß ich überlebt habe, verdanke ich mei-ner Familie. Meine Eltern und Geschwisterhatten alles sorgfältig geplant. Die Gestapowartete schon am Haupteingang, um michin ein Konzentrationslager zu bringen.Doch mein Vater und mein Bruder hattenmit dem Gefängnispfarrer vereinbart, daßder mich durch einen Hinterausgang durchdie Kapelle hinausließ. Wäre ich nachHause gegangen, wäre ich sofort wiederverhaftet worden.“ Mit Paß, Fahrkarte undSchweizer Franken versehen, nahm erdirekt vom Bahnhof in Neumünster dennächsten Zug nach Basel. Dort kam erwohlbehalten und um eine wertvolle Erfah-rung reicher an: „Das war meine erste Lek-tion in Sachen Diktatur. Die politischenOrganisationen, denen man verbunden ist,sind nichts wert. Das einzige was zählt, istdie Familie“.

Ab durch den Hinter-ausgang

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Auf die Unterstützung seiner Familie konn-te er auch weiter bauen. Zunächst einmalaber schaffte er es aus eigener Kraft, seinMedizinstudium in kürzester Zeit abzu-

Promotion inBasel

schließen. Es fehlten ihm fürs Staatsexamennur noch die Prüfungen in den FächernAugenheilkunde, Psychiatrie und Dermato-logie. Bereits am 2. Juli 1935 bestand er dieärztliche Hauptprüfung an der UniversitätBasel, wenige Tage danach erfolgte die fei-erliche Promotion (mit der bereits wesent-lich in Kiel abgeschlossenen Doktorarbeit).Nunmehr war Dr. med. Friedrich Paulsenbereit für den Einstieg ins Berufsleben,doch für den jungen deutschen Emigrantenwaren die Aussichten düster.

Frederik Paulsenmit seinen Eltern(vor dem 2. Welt-krieg)

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In der richtigen Erkenntnis, daß einemunangepaßten, „aufmüpfigen“ jungen Mannwie ihm Deutschland sicher auf Jahre hin-aus verschlossen bleiben werde, hatte erschon im Gefängnis über mögliche Emigra-tionsziele nachgedacht. Pläne, eventuell zuVerwandten in die USA zu gehen, zerschlu-gen sich als wenig aussichtsreich, ebensowie die Überlegung, sein Glück in Däne-mark zu versuchen. Als ihm schließlich eineunbezahlte Stelle in Schweden angebotenwurde, zögerte er nicht lange. Am Morgendes 31. Juli 1935, an seinem 26. Geburtstag,brach er voller Optimismus von Kopenha-gen auf nach Malmö. In seinen (nicht publi-zierten) Lebenserinnerungen beschreibt ersein Gefühl von damals: „Das Schiff warnicht sehr groß, und ich setzte mich ganzvorne auf ein Ankerspill und sah die KüsteSchwedens immer näher kommen. EinGefühl seelischer Erhebung überkam mich,und ich war vollkommen glücklich. Ich warsicher, daß ich in dem neuen Land mit mei-nem Leben zurecht kommen würde.“

Aufbruchnach Norden

III. Auf dem Weg zum Peptid-Pionier Stockholm 1935–1950

Sein Gefühl sollte ihn nicht täuschen. Zwarhatte Schweden keinesfalls den roten Tep-pich für den jungen deutschen Emigrantenausgerollt, doch mit der ihm eigenen Ent-

schlußfreudigkeit, Tatkraft und Kreativitätüberwand er die Anfangsschwierigkeitenund ging in der neuen Heimat zielstrebigseinen Weg. Politisch wurde er allerdingsnicht mehr aktiv; auf diesem Sektor hatte ersich beim Verlassen Deutschlands Enthalt-

Der junge Emigrant Frederik Paulsen

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samkeit geschworen. In welch kurzer Zeiter und seine Leistungen anerkannt wurden,belegt die Tatsache, daß er bereits 1942schwedischer Staatsbürger wurde (und esbis zum Ende seines Lebens blieb), obwohldamals die Einbürgerung eines Staatsan-gehörigen aus einem kriegsführenden Landim Grunde unmöglich war. Diese ebensoungewöhnliche wie bemerkenswerte Aus-

nahmeregelung konnte zustande kommen,da Paulsen sehr einflußreiche und promi-nente Fürsprecher aus dem Gebiet derMedizin und Forschung fand, weil seineArbeit als äußerst wichtig angesehen wurde,und sicherlich trug auch dazu bei, daß seineerste Frau Schwedin war. 1939 hatte er inStockholm Margareta Liliequist geheiratet;1940 wurde der erste Sohn Otto geboren, es folgten in den nächsten zehn Jahren fünfweitere Kinder – Karin, Kristina, Åse,Maika und Frederik, der jüngste Sohn, derheute die Firma Ferring führt. Aus demdeutschen Emigranten Friedrich Paulsenwar der Schwede Frederik Paulsen gewor-den, der nach seiner Einbürgerung auchseinen Wehrdienst als Arzt in der schwedi-schen Armee leistete.

Frederik Paulsenals Arzt imDienst derschwedischenArmee

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Nach seiner Ankunft in Malmö reiste derNeuankömmling gleich nach Jönköping (ander Südspitze des Vättersees) weiter, umdort seine unbezahlte Klinikstelle bei Dr.Eskil Kyling anzutreten. Wieder stand ihmdie Familie zur Seite, die ihn finanziellunterstützte, soweit es die strengen Devi-senbeschränkungen erlaubten. Als Frederikerkannte, daß es für ihn als deutschen Emi-granten unmöglich sein würde, eine schwe-dische Arbeitserlaubnis zu bekommen und,was er sich eigentlich wünschte, an einerKlinik oder einem wissenschaftlichen Insti-tut tätig zu werden, beschloß er, sich unterausländischen Arzneimittelfirmen nacheiner Forschungsstelle umzutun.

Zuvor hatte er schon den Grundsatzbe-schluß gefaßt, sich künftig mit der Endokri-nologie zu beschäftigen, einem Gebiet, dasihn schon als Student (vor allem währendder Zeit in Frankfurt) interessiert hatte.Bereits 1936, als er kaum ein Jahr im Landwar, erschien Frederik Paulsens Name aufdem Titel einer Publikation zum ThemaHormone – und er hatte sie auf schwedischgeschrieben! Frederik Paulsen, der seinenBewerbungen eine kurze Analyse des Hor-monmarktes in Schweden und dessen mög-licher Entwicklung beigelegt hatte, erhieltvon der deutschen Firma Hoechst (derenForschungsleiter Professor Hörlein, soPaulsen, „ein großer Antinazist“ war) unddem holländischen Unternehmen Organonein Angebot. Für seine Entscheidung führteer auch „friesische“ Argumente an: „Ichstand vor einer schweren Wahl“, notierte errückblickend in seinen Erinnerungen. „DieChancen bei Hoechst waren objektiv gese-hen größer, aber ich entschied mich fürOrganon, teils aus politischen Gründen undteils aufgrund der Tradition von Föhr, woman seit Jahrhunderten seinen ersten Job inHolland suchte.“ Im übrigen entsprach esauch Föhrer Brauch, im Zweifelsfall derkleineren vor der größeren Einheit den Vor-zug zu geben. Wie richtig dieser „Friesen-Beschluß“ war, zeigte sich schon im Jahrdarauf, als auch die Auslandsvertretungender deutschen Industrie von jüdischen undpolitisch mißliebigen Mitarbeitern „gesäu-bert“ werden mußten.

UnbezahlterJob

In Diensten von Organon

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Dieses Beschäftigungs-Arrangement erwiessich als überaus glückliche, trickreicheLösung in einer sonst fast aussichtslosenSituation. Weder in Holland noch in Schwe-den hätte der Deutsche Paulsen arbeiten undGeld verdienen dürfen, doch als Mitarbeitereiner holländischen Firma in Schwedenbrauchte er von keinem der beiden Ländereine Arbeitsgenehmigung. Er stellte sichden Organon-Chefs in Oss (Brabant) vor,wobei vor allem die Begegnung mit demForschungsleiter Dr. Marius Tausk, dem erlebenslang großen Respekt und Dank zollte,einen tiefen Eindruck hinterließ, und wurdein seine neuen Aufgaben eingewiesen. DieHolländer schlugen vor, er solle bei ihremschwedischen Partner Pharmacia ein wis-senschaftliches Büro eröffnen und eineHormonabteilung aufbauen. Das war eineetwas verwickelte Konstruktion, da „icheigentlich für Organon arbeitete, aber Phar-macia mein Gehalt bezahlte und mein offi-zieller Arbeitgeber war“. Als problematischerwies sich diese Verflechtung aber erstnach Ende des Krieges; als es zu einemInteressenkonflikt zwischen den beiden Fir-men kam, entschied sich Paulsen aus Loya-litätsgründen für Organon und blieb bisEnde der 40er Jahre bei diesem Unterneh-men.

Daß in den Jahren dazwischen aus der klei-nen Firma Pharmacia, die bei seinem Ein-stieg „über keine eigenen Produkte verfügteund lediglich Tabletten an Apotheken ver-kaufte“ (Paulsen), eines der führenden phar-mazeutischen Unternehmen auf dem Welt-markt geworden war, ist nicht zuletzt seinVerdienst. Da die von Paulsen initiierte Ent-wicklung und Einführung des Blutersatz-stoffes Dextran fast lehrbuchmäßig zeigt,wie sich fachliche Kompetenz, Glück,Zufall, der richtige „Riecher“ und guteKontakte unter Forschern zu einer wissen-schaftlichen und wirtschaftlichen Erfolgs-geschichte verbinden, soll diese hier (zumTeil in Frederik Paulsens eigenen Worten)kurz rekapituliert werden.

Kompetenzund Glück

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Als im November 1939 Finnland von denSowjets angegriffen wurde, glaubte man inSchweden, ebenfalls in den Krieg hineinge-zogen zu werden. Auch in der pharmazeuti-schen Industrie gab es Überlegungen, wieman auf diese Situation reagieren sollte,und Frederik Paulsen wurde aufgefordert,Vorschläge zu machen. Auf dem Weg zudem Vortrag, bei dem er seine Idee einesBlutersatzstoffes präsentieren wollte, traf erzufällig seinen Freund und Kollegen AndersGrönwall aus Lund, der auf der Durchreisenach Uppsala war, und nahm ihn zu demTreffen mit. Paulsen hatte „auf einer Tafeldie acht Bedingungen für einen wirksamenBlutersatzstoff zusammengefaßt: Er sollteWasser auf die gleiche Weise wie Blutabsorbieren, harmlos sein, der Körper sollteihn abbauen können usw. Mein Freundhörte zu, sagte aber nichts. Am nächstenTag rief er mich an: ‚Diese Substanz, überdie Du gestern gesprochen hast – ich habesie hier. Mein Vorgänger in diesem Laborhat bei Arbeiten für eine Zuckerfabrik her-ausgefunden, was ihre Röhren verstopft.Bakterien wandeln Glukose in ein Polymernamens Dextran um, das Klumpen bildetund ihre Leitungen blockiert. Es kann steri-lisiert und vom Körper abgebaut werden. Esist harmlos. Man kann ihm jede wasserbin-dende Kapazität geben und es unbegrenztlagern. Da hast Du, was Du brauchst.‘“

Paulsen schlug den Pharmacia-Leuten dieDextran-Produktion vor und schätzte, siemüßten mindestens 200,000 Kronen ausge-ben, bevor sie die ersten Öre zurückbekä-men. Tatsächlich beliefen sich die Investiti-onskosten auf drei Millionen Kronen, „abersie bekamen Milliarden zurück.“

Die perfekteLösung

Das Milliarden-Geschäft

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Dieser Abstecher hielt Paulsen auf Dauernicht von seinem eigentlichen Forschungs-gebiet fern – den Hormonen. Und wiederstand er vor einer schweren Wahl. „DieHormonindustrie in jenen Tagen konzen-trierte sich ausschließlich auf Steroide,Sexualhormone. Sie bedeutete Östrogenefür Frauen und war in der Tat ein Teil derGynäkologie“, erinnerte sich Paulsen später.Und da er in seiner ganzen Laufbahngrundsätzlich „überfüllte Gebiete, wie esdie Steroidforschung damals war“ vermied,wandte er sich den in dieser Zeit „völligvernachlässigten Peptid-Hormonen“ zu,überzeugt von dem großen Potential, das indiesen Verbindungen steckte. In seiner Stu-die über Frederik Paulsen („Ein Friese gehtnicht verloren“) berichtet Jakob Tholund,Oberstudiendirektor in Wyk auf Föhr, daß –nach Paulsens eigenen Erzählungen – fürdie Peptid-Entscheidung „auch Erinnerun-gen an die Föhrer Seefahrtsgeschichte eineRolle gespielt haben. Beim Walfang konn-ten die Seefahrer bei der Zerlegung derTiere oft feststellen, daß deren Hirnan-hangsdrüse zerstört war, ganz offenbardurch den Streß des Todeskampfes. Beieinem Föhringer Erzähler“, so Tholundweiter, „hatte Frederik in einer humoristi-schen Geschichte über den Walfang denSatz gelesen: ‚Hi wiar so arig, dat ham abraanjknoop baast.‘ (Er war so zornig, daßihm die Hirnanhangsdrüse barst.)“

Möglicherweise hat ja wirklich diese aben-teuerliche Story den jungen Forscher aufdie Fährte gebracht, die schließlich in derEntwicklung des Streß-Hormons ACTH ausdem Vorderlappen der Hypophyse mündete.Die eigentliche Arbeit führte er im Kellerdes Biochemischen Instituts in Stockholmaus. Seine wichtigste Mitarbeiterin wurdedie Dänin Eva Frandsen (Jahrgang 1918),die 1942 in Kopenhagen ihr Studium zurChemieingenieurin abgeschlossen und 1943in Stockholm bei Pharmacia eine Anstel-lung gefunden hatte. Nach seiner Scheidung1958 wurde Eva Frederik Paulsens Frauund blieb „bis zu seinem Lebensende diezentrale Person in seinem persönlichen undberuflichen Leben“ (Tholund).

„Hi wiar so arig...“

Labor-arbeit imKeller

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Praktisch im Alleingang produzierten diebeiden (vor allem Eva Frandsen) im KellerHormone für Organon und verschiedeneForschungsinstitute. Weder Organon nochPharmacia zeigten sich besonders interes-siert, die Peptidhormone hatten zunächstkeinerlei kommerziellen Wert. Die Situationänderte sich schlagartig, als die beiden ame-rikanischen Wissenschaftler Philip S.Hench und Edward C. Kendall 1948 her-ausfanden, „daß eines unserer Hormone,nämlich ACTH, einen ähnlich dramatischenEffekt bei Asthma und Polyarthritis hattewie Cortison.“ Ganz plötzlich stieg dieNachfrage – „und wir waren die einzigen,die ACTH herstellten“, berichtete Paulsen.Außer dem Paulsen-Team im Keller desBiochemischen Instituts beschäftigte sichlediglich Professor Cho Hao Li in Berkeleymit Hypophysenhormonen. Paulsenbeschloß um 1948/49, Li in Kalifornienaufzusuchen, doch bevor er das damalsnoch erforderliche Reisevisum erhaltenhatte, kam Li seinerseits nach Stockholm.Und es zeigte sich, so Paulsen, „daß wirihm voraus waren. Wir hatten mehr Hormo-ne und einen besseren Reinigungsprozeß.Er lernte mehr von uns als wir von ihm.“An dieser Stelle soll kurz darauf hingewie-sen werden, daß in den endokrinologischenLehr- und Geschichtsbüchern im Zusam-menhang mit der Isolierung von ACTHlediglich Professor Li genannt wird,während die Leistungen von Frederik Paul-sen und Eva Frandsen unerwähnt bleiben.

Nach dem Treffen mit Li sah sich Paulsenin seiner Meinung bestärkt, „daß wir keineerwähnenswerte Konkurrenz zu fürchtenhätten, wenn wir uns entschließen sollten,

ACTH-Know-How

„Fang an!“

Ein Ferring-Chemiker beider Extraktionvon ACTH

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die kommerzielle Produktion von ACTHund den anderen Hypophysenhormonenaufzunehmen“ – und er geriet gleichzeitigunter erheblichen Druck von seiten seinerFreunde aus der Medizin. Seit den zwanzi-ger Jahren war Schweden das einzige Land,in dem die Protein-Chemie intensiv undsystematisch erforscht worden war, undSchweden war auf dem Gebiet der Hypo-physenhormone führend in der Welt. Somahnte Professor Jan Waldenström ausMalmö seinen engen Freund Paulsen: „Wirhaben Dir alle die Jahre geholfen, nun hilfDu uns, daß wir ACTH bekommen, und erforderte ihn auf: ‚Fang mit der Produktionan, oder ich werde Leo [schwedische Arz-neimittelfabrik] bitten, es zu tun.‘“

Paulsen und Eva Frandsen verfügten wohlüber das Know-How zur Extrahierung, Rei-nigung und Produktion von ACTH, doch esfehlte das Geld. Weder Organon noch Phar-macia zeigten sich interessiert. So bot Fre-derik Paulsen seine Methode den größtenpharmazeutischen Firmen an. In einem aus-führlichen, auf Video aufgezeichnetenGespräch erzählte er als 83jähriger überdiese Phase: „Zunächst schickte ich Merckin Amerika Studien über die Wirkungen vonACTH verglichen mit Cortison. Sie antwor-teten ein halbes Jahr später, nachdem sie dieErgebnisse überprüft hatten, und bestätigtendie Überlegenheit von ACTH. Doch Merck,so ließen sie mich wissen, befaßte sich nicht mit Substanzen mit einem Molekular-gewicht über 2000. Sie synthetisierten klei-ne Moleküle. Das Peptidhormon ist ein Pro-teinmolekül und so kompliziert, daß mandamals dachte, es enthalte das Geheimnisdes Lebens. Eine Synthetisierung galt alsausgeschlossen. Mercks ForschungsleiterKarl Folkers, der mein bester Freund wer-den sollte, schrieb mir – doch damals irrtedieser Spitzenwissenschaftler.“Auch Ciba (heute Novartis) in der Schweizreagierte ablehnend. Zwar wurde wiederumdie Überlegenheit von ACTH bestätigt,doch eine Massenproduktion aufgrund derHypophysen-Knappheit für unmöglichgehalten. „So entschieden sich alle anderenfür das Cortison – und überließen uns dasACTH.“.

Die Großensagen nein

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Die Konsequenz aus der zögerlich-ableh-nenden Haltung der „Großen“ auf demMarkt war, daß sich Peptid-Pionier Paulsennun doch mit dem Gedanken vertraut mach-te, selbst in die Produktion einzusteigen.Ein Riesenproblem war die Beschaffungvon ausreichenden Mengen des Rohmateri-als, der Hirnanhangsdrüsen von Schweinen.In einer Rede zum 40jährigen Ferring-Juliäum 1990 hob er noch einmal die jetztkaum mehr vorstellbare Abhängigkeit vonden Großschlachtereien hervor und erinner-te daran, daß sowohl Organon in Hollandals auch Novo in Dänemark von Schlacht-hausbesitzern gegründet wurden. Da er keineigenes Kapital hatte, schien die Kooperati-on mit der größten schwedischen Schlachte-rei nur folgerichtig. Deren Forschungsabtei-lung zeigte sich interessiert und fordertedetaillierte Unterlagen an, um dann die Ver-handlungen abzubrechen und selbst insGeschäft einzusteigen (allerdings letztlicherfolglos). Nach einer weiteren negativenErfahrung mit einer dänischenGroßschlachterei beschränkte sich Paulsendarauf, zwei kleine Partner in Dänemark,die die Beschaffung von Schweinehypophy-

IV. Die eigene Firma: Vom Zwei-Personen-Betriebzum WeltunternehmenMalmö 1950–1970

sen in dänischen Schlachthäusern organisa-torisch unterstützten, an seiner Firma zubeteiligen. Da Frederik Paulsen sein Lebenlang dem Rat seiner Großmutter treu blieb,niemals Geld zu leihen, waren die Anfängesehr bescheiden und äußerst schwierig.

In zwei angemie-teten Räumendieses altenFabrikgebäudesin Malmö ent-

stand 1950 dieFirma Ferring(damals nochNordiska Hormon-laboratoriet)

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Auf dem Gelände einer Lab-Fabrik (Barne-kows technisch-chemischem Laboratorium)in Malmö wurden Räumlichkeiten in derGröße von ca. 60 Quadratmetern angemie-tet; das neue Unternehmen erhielt zunächstden Namen „Nordiska HormonlaboratorietAktiebolag“. Der Name war Programm: Dieneue Firma, so Frederik Paulsen in einerRede zum 25. Geburtstag von Ferring,sollte „ein nordisches Unternehmen sein, essollte sich mit Hormonen, ihrer Herstellung,ihrer chemischen und physiologischenErforschung sowie mit deren medizinischerAnwendung beschäftigen.“ Speziell solltedie Firma mit Hypophysenhormonen arbei-ten; als Firmen-Warenzeichen wurde des-halb (ab Mitte der sechziger Jahre) eine sti-lisierte Hypophyse gewählt. „Es entstandso“, schrieb 1984 seine Schwester HildePortofée in einer dem Bruder gewidmetenFestschrift, „ohne Kapital – nur mit Spar-samkeit und eigenständigem, wissenschaft-lichem Denken – ein Unternehmen, dasjetzt Schwesterunternehmen in Deutsch-land, Dänemark, England, Frankreich undden USA hat.“

Der Standort Malmö war wegen seinerNähe zu Dänemark und den dänischenSchlachthäusern ideal. In der Anfangszeitleitete Eva Frandsen das Labor und die Pro-duktion; Frederik Paulsen kümmerte sichum die Pharmakologie sowie um das Mar-keting – und er übernahm eine Dozentur ampharmakologischen Institut der zahnärztli-chen Akademie in Malmö. Daß ihm dieseDozentur angetragen wurde, bestätigt nocheinmal, welchen Rang die schwedischeWissenschaft seinen Arbeiten und Aktivitä-ten beimaß. So hatte Paulsen im letztenKriegsjahr eine ganz entscheidende Rollebei der Gründung der schwedischen endo-krinologischen Gesellschaft gespielt und –damit eng verbunden – auch bei der Her-ausgabe der „Acta Endocrinologica Scandi-navica“ nach Kriegsende. Mitte der fünfzi-ger Jahre war es wieder Frederik Paulsen,der sich ganz wesentlich dafür einsetzte,daß die 1953 gegründete Deutsche Gesell-schaft für Endokrinologie (DGE) in denKreis der „Acta Endocrinologica“-Länderaufgenommen und damit internationalakzeptiert wurde.

Das NordischeHormonlabor

Dozent inMalmö

FERRINGPHARMACEUTICALS

Ferring-Logosvon den Anfän-gen bis heute:Die stilisierteHypophyse (3.Abb. von oben)tauchte erstmals1966 als Waren-zeichen auf.

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Die hervorragenden Kontakte zu schwedi-schen Forschern machten sich auch ander-weit „bezahlt“. So borgte der Biochemikerund Nobelpreisträger Arne Tiselius ausUppsala, den Paulsen persönlich gut kannte,dem Jungunternehmer aus seinem eigenenLabor die Geräte und die erforderliche Aus-rüstung, die käuflich zu erwerben bei wei-tem die finanziellen Möglichkeiten derneuen Firma überschritten hätte. „DieZusammenarbeit mit Forschern war vonBeginn an lebenswichtig“, resümierte Paul-sen, der die Großherzigkeit gerade derschwedischen Wissenschaftler rühmte. KeinWunder, daß ein Leitspruch der Firma Fer-ring bis heute lautet: „Von Forschern fürForscher“.Daß das „Nordische Hormonlabor“ überleb-te und sich schnell erweiterte, ist vor allemauf die überlegene Technologie zurückzu-führen. Nicht nur war es gelungen, bei derGewinnung der Hormone aus den Hypo-physen von Schweinen durch spezielleMethodik und Reinigung einen so außeror-dentlich hohen Reinheitsgrad zu erzielen,daß der so standardisierte Hormonextraktwissenschaftlich reproduzierbar auch in derKlinik eingesetzt werden konnte. Überdieswar ein Spezialbohrer entwickelt (undpatentiert) worden, der einer Einzelpersondie Entnahme von bis zu 200 Hypophysenpro Stunde ermöglichte.

Die Gewinnung des erforderlichen Rohma-terials war ein großes Problem, dasbeträchtliche Logistik und Organisationerforderte. Von Anfang an war es Paulsenklar, daß die Kapazitäten unmöglich ausrei-chen würden, um die ganze Welt zu versor-gen. So konzentrierte er sich auf die nächst-liegenden Märkte Schweden und Däne-mark. Kanada wurde eingeschlossen, dochweniger als Abnehmerland, sondern als Lie-ferant der so dringend benötigten Hypophy-sen aus den großen Schlachthäusern desLandes. „Die Verkäufe liefen fast vonselbst“, sagte Paulsen. „Der Nachschub vonRohmaterial bestimmte unsere Strategie.“

VonForschern fürForscher

Es fehlt an Hypo-physen…

Frederik Paulsenmit seiner FrauEva bei einerFestlichkeit

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Die ausgefeilte Produktion von ACTHwurde auch im Ausland registriert, und einefranzösische Pharma-Firma namens Labo-ratoire Byla wollte Anfang der fünfzigerJahre diese Methode kaufen. Da das kleineNordische Hormonlaboratorium dringendGeld brauchte, wurde Eva Frandsen nachParis geschickt, um die Kollegen dort zuinstruieren. (Frederik Paulsen fand spätergroßes Vergnügen daran, diese Episode sowiederzugeben, daß er seine Frau nachFrankreich „verkauft“ habe.) Verglichen mitder Situation in Skandinavien waren damalsdie Verhältnisse an den französischenGroßschlachtereien geradezu vorsintflut-lich, so daß an eine organisierte Entnahmevon Hypophysen nicht zu denken war.„Aber wir bekamen unser Geld, und somachte das nichts“, resümiert Eva Paulsendieses kurze Frankreich-Zwischenspiel.

Um 1954 konnte Paulsen das dänischeKapital, das in der Firma „Nordiska Hor-monlaboratoriet AB“ in Malmö steckte,auslösen. Und nun bekam die Firma denNamen, unter dem sie heute weltweitbekannt ist – Ferring. Es gab ganz prakti-sche und rationale Gründe für diese Umbe-nennung, denn Paulsen wollte einenNamen, der in möglichst vielen Ländernleicht verständlich und mühelos aussprech-bar sein sollte. Daß er Ferring wählte, hataber vor allem ganz tiefe persönliche Ursa-chen. Dadurch, so sein friesischer Mitstrei-ter und Freund Jakob Tholund, „bekundeteer eindrucksvoll seine enge Verbindung mitseiner Heimatinsel Föhr, ist doch das friesi-sche Wort ‚fering‘ gleichsam ein Schlüssel-begriff für die Insulaner. Er hat für sie einedreifache Bedeutung und umschließt alles,was den einheimischen Bewohnern Föhrsbesonders wichtig ist: Fering heißt ihrenordfriesische Inselsprache, fering heißtihre kostbare traditionelle Tracht – und sieselber sind feringen, Föhringer. So identifi-zierte sich der junge Forscher und Unter-nehmer Frederik Paulsen mit dieserNamensgebung mit zentralen Lebenswertenseiner Vorfahren auf der NordfriesischenWatteninsel.“

…und anGeld

Ein neuerName: Ferring

Eva und FrederikPaulsen aufeiner Schiffstour

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Der Umbenennung folgte als sichtbaresZeichen des Aufschwungs 1956 der Umzugaus den gemieteten Räumen in das ersteeigene Fabrikgebäude in Limhamn/Malmö;Erweiterungsbauten wurden bald notwen-dig, nicht nur in Schweden: Es entstandenTochterunternehmen in Deutschland undDänemark. Der Erfolg der frühen Jahrebasierte vor allem auf der fruchtbarenZusammenarbeit mit schwedischen Klini-ken, die zu vielen therapeutischen Neuerun-gen und Verbesserungen im ACTH-Umfeldführte. Schon damals plädierte FrederikPaulsen, so seine Frau Eva, „immer dafür,so niedrige Dosen wie möglich anzuwen-den. In seinen Ideen über Arzneimittel warer seiner Zeit wohl zehn Jahre voraus.“

Ein neuesFabrikgebäude

Das erste eigeneFirmengebäudein Malmö

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Doch noch immer war Ferring von derebenso mühsamen wie zeitraubendenACTH-Gewinnung aus Schweinehypo-physen abhängig, der die aufwendige und

organisatorisch schwierige Beschaffung desRohmaterials vorausging. So war es ein ent-scheidender Durchbruch, als 1961 die che-mische Synthese von Peptidhormonen inindustriellem Maßstab glückte und Ferringals eine der ersten Arzneimittelfirmen welt-weit die Produktion aufnehmen konnte.Nach der Extraktions-Phase der fünfzigerJahre begann mit der Synthese-Periode dersechziger Jahre ein neues Kapitel der Fir-mengeschichte, und die Kompetenz aufdem Gebiet der Peptide ist bis heute einFerring-Markenzeichen.

Die Synthese-Ära beginnt

Der Chemiker Lars Karlsson,dem die Peptid-Syntheseglückte.

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Die Eroberung eines ansehnlichen Anteilsam Weltmarkt begann 1959, als die Hypo-physenhinterlappenpeptide Vasopressin undOxytozin ganz rein getrennt und dann zuBeginn der sechziger Jahre synthetisch intechnischer Größenordnung hergestellt wer-den konnten. Zu dieser Entwicklung trugmaßgeblich Lars Karlsson bei. Als FrederikPaulsen den Wissenschaftler von der Uni-versität Lund zu Ferring holte, erwies ersich wieder einmal als Vordenker, denn mitKarlsson brachte er erstmals einen organi-schen Chemiker in ein Biochemie-Unter-nehmen. „Vorher waren unsere Forscheralle Biochemiker“, sagte Frederik Paulsen1992. „Ich denke, es war eine unserer wei-seren Aktionen, Karlsson zu verpflichten.Er führte uns auf ein Gebiet, das den Wegzu Ferrings gegenwärter Position wies.“Und wieder war der Zufall mit im Spiel.Der Kopenhagener Physiologe Niels Thornbat darum, ihm markiertes Vasopressin zurVerfügung zu stellen, da er den Weg desHormons durch den Körper verfolgen woll-te. „Aus Gefälligkeit, weil er uns immergeholfen hatte“, so Paulsen, ging Ferringauf diesen Wunsch ein, und Lars Karlssonstellte das markierte Vasopressin her, fürdas Ferring nun weltweit die einzigeBezugsquelle war. Paulsen: „Alle Forscher,die damit arbeiten wollten, mußten sich anuns wenden. Unter ihnen war der Protein-

Chemiker Dr. Vladimir Pli´̀ska von derTschechischen Akademie der Wissenschaf-ten in Prag. Er erhielt das Vasopressin, waraber nicht zufrieden mit dessen Stabilität.So kam er nach Malmö, arbeitete ein Jahrlang mit Lars Karlsson zusammen und halfbei der Stabilisierung.“

Forscher-Kontakte

Lars Karlssongibt seineChemie-Kenntnisse andie jüngereGenerationweiter.

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Doch damit beginnt die Forscher-Kontakt-Geschichte erst richtig. Während der Zeit inMalmö traf Pli´̀ska auch den Dänen Thorn,der dem Chemiker vorschlug, das Vasopres-sin-Molekül zu ändern, um den blutdruck-steigernden vom antidiuretischen Effekt zutrennen. Pli´̀ska kehrte nach Prag zurück,veränderte das Vasopressin in seiner Struk-tur – und, so Paulsen lakonisch, „das Resul-tat war DDAVP, Ferrings ‚money machine‘,für das wir ein weltweites Monopol habenund das bei der relativ seltenen KrankheitDiabetes insipidus eingesetzt wird.“ Unterdem Handelsnamen Minirin ist DDAVP(Desmopressin) in verschiedenen Applikati-onsformen bis heute das erfolgreichste Fer-ring-Produkt.

Zu Beginn der sechziger Jahre hatte Ferringbereits einmal einen „Glückstreffer“ gelan-det – und auch da war der Zufall als tatkräf-tiger Wissenschafts-Assistent im Spielgewesen. Um physiologisch korrekte Bildervom Magen-Darm-Kanal zu bekommen,sollte im Auftrag einer schwedischen Klinikein leichtes Kontrastmittel mit einem spezi-fischen Gewicht von unter 1 hergestelltwerden. Helmer Hagstam, der als ersterAngestellter überhaupt 1951 zu der Firma(damals also noch „Nordiska Hormonlabo-ratoriet“) gestoßen war, nahm sich des Pro-blems an. Da sich bei klinischen Tests völ-lig überraschend therapeutische Wirkungenzeigten, kam als unerwarteter Nebeneffektdieser Entwicklungsarbeit das Magenmittel„Gaviscon“ auf den Markt, das sich in denfolgenden Jahren als richtiger „Geldma-cher“ entpuppte.

Minirin als„moneymachine“

GlückstrefferGaviscon

1974 beimSpatenstich…

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… für das neueFabrikgebäude;das große Bildim Hintergrundzeigt das Firmen-gebäude inMalmö Mitte derachtziger Jahre.

Natürlich war Frederik Paulsen immer klar,daß es die große Ausnahme ist, wenn For-schungsarbeit mit so überzeugenden undgewinnbringenden Resultaten wie DDAVPoder auch Gaviscon belohnt wird – „für diemeiste Arbeit bekommt man überhauptnichts“, merkte er einmal an. Und dochliegt auch diesen „Erfolgsgeschichten“ einMuster zugrunde: der Versuch, die ausgetre-tenen Wissenschaftswege zu meiden undentlegene Gebiete zu suchen, in ständigemAustausch mit anderen WissenschaftlernAnregungen zu geben und zu bekommen –und dem Zufall eine Chance zu geben. Mitder Herstellung von DDAVP war zu Anfangder siebziger Jahre ein neuer Abschnitt inder Firmengeschichte angebrochen: DieFähigkeit, Analoga der natürlichen Hormo-ne mit einem isolierten biologischen Effektzu produzieren, ermöglichte die Entwick-lung und Herstellung von für bestimmteKrankheiten „maßgeschneiderten“ Medika-menten.

MaßgeschneiderteMedikamente

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Das Ferring-Forschungslaborin Southampton,England

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Der Rückzug

Um diese Zeit – im Alter von 60 Jahren –,begann Frederik Paulsen, sich schrittweisevon der Firmenleitung zurückzuziehen. Daßdie Firma Ferring, die als Familienunter-nehmen nun von seinem jüngsten Sohn Fre-

derik geführt wird, jetzt als multinationalerKonzern mit Sitz in Holland und Produkti-onseinheiten in Schweden, Dänemark undDeutschland sowie einem weltweiten Netz-werk von Schwesterunternehmen undAgenturen operiert, hat seine Billigunggefunden: „Keine Firma kann von ein paarDiabetes insipidus-Patienten in Skandinavi-en leben. Man braucht die ganze Welt, umzu überleben. Geht man von der Ferring-Tradition aus, neue Medikamente für selte-ne Krankheiten zu entwickeln, braucht mandie Welt als Markt.“Auch nach seinem „stufenweisen“ Ausstiegblieb Frederik Paulsen, dessen vielleichtwichtigste Fähigkeit es immer war, seinimmenses eigenes Wissen umzusetzen undfruchtbar zu machen, indem er Mitarbeiterund Kollegen motivierte und anregte, sieauf neue Forschungsgebiete ansetzte undkreative Projekte in Gang brachte, seinerFirma als Ideengeber erhalten. Bis ins hoheAlter hinein hat er für eine freie Forschungplädiert: „Meine Nachfolger in der Firmawürden gut daran tun, sich zu erinnern, daßes oft profitabler ist, ohne Gedanken aneventuelle Gewinne an einer wissenschaftli-chen Aufgabe zu arbeiten, als nach etwas zusuchen, was den Verkauf steigern und Geldbringen kann. Zielgerichtete Forschung istbemerkenswert unproduktiv. WirklicheResultate erzielt man teils durch glückli-chen Zufall und teils durch wissenschaftli-che Arbeit, die das Interesse anderer Wis-senschaftler erregt.“

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V. Aktiv für die Sache der Friesen: Die Föhrer Jahre1970–1997

„Geheimsprache“fering

Nach dem Forscher und Unternehmer giltes nun, den „Friesen“ Frederik Paulsen zuentdecken. Sein Ausstieg aus der Firma Fer-ring und die Rückkehr auf die Heimatinselder „feringen“ darf keinesfalls mit dem Ein-stieg in ein beschauliches Ruhestands-Dasein gleichgesetzt werden. Nun fand erdie Zeit, sich verstärkt „seinen kulturellenInteressen und Aufgaben zu widmen, die erin der Verfolgung seiner friesischen Belan-ge und der Minderheitenprobleme insge-samt sah“ (so seine Schwester Hilde Por-tofée).

In vielen wichtigen Lebens- und Berufssi-tuationen hat sich Frederik Paulsen bei sei-nen Entscheidungen auf Föhrer Traditionenberufen. Auch seine Heimkehr sah er unterdiesem Aspekt: „Wir Föhrer waren schonimmer über die ganze Welt verstreut. Aberim Alter kehren wir zurück. Da sind wirkaum anders als die Chinesen – wir setzenalles daran, um wieder nach Hause zu kom-men.“ Daß er sich so intensiv als FöhrerFriese identifizierte, hat sicher ganz starkmit der eigenen Sprache zu tun, die sichdiese Volksgruppe bewahrt hat. Für ihnhatte die nordfriesische Sprache und vorallem das spezielle „fering“-Idiom der InselFöhr den Charakter einer „Geheimsprache“.Zum erstenmal wurde ihm das bewußt, alser 1934 in der Strafanstalt Neumünster aufeinen Freund aus Kiel traf und mit ihm füreinige Zeit die Zelle teilte. Hatten der ausAmrum stammende Werner Johannen undder Föhrer Friese Paulsen vorher nurdeutsch miteinander gesprochen, so ent-deckten sie in der Haft, „daß es ein gewalti-ger Vorteil sein konnte, miteinander in einerSprache zu reden, die keiner verstand. Wirkonnten eine Mauer um uns bauen, eineWelt für sich, nur so hielten wir durch.“Und so sehr er auch die Erhaltung des Frie-sischen förderte, hat er noch im hohen Alterseine Theorie einer Geheimsprache bekräf-tigt: „Wir wollen nicht, daß andere sie ler-nen und uns verstehen. Wir wollen einenErsatz für den politischen Status, den wirverloren haben.“

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Fern vonaller„Tümelei“

Der Vergangenheit nachzuhängen war nichtFrederik Paulsens Sache. Wie bei seinerwissenschaftlich-unternehmerischen Tätig-keit hielt er auch bei seinem Einsatz für diefriesische Sache – fern von aller „Tümelei“und Kleinkariertheit – den Blick nach vorngerichtet. Schon vor dem Krieg war er Mit-glied der Fryske Akademie inLjouwert/Leeuwarden geworden; nach demKrieg konnte er als Nazi-Verfolgter undEmigrant auch im Ausland als unbelasteterund überzeugender Vermittler auftreten. So

nahm er bereits 1945 die Verbindung zu den(niederländischen) Westfriesen auf. Da erbei aller Heimatverbundenheit immer überden Föhrer Tellerrand hinwegschaute undMinderheitenprobleme in ganz Europa odersogar der Welt im Auge behielt, gehörte er1949 in Versailles zu den Gründungsmit-gliedern der „Föderalistischen UnionEuropäischer Volksgruppen“ (FUEV). 40Jahre später, wieder in Versailles, hob er alsFestredner bei diesem FUEV-Jubiläum dieWichtigkeit der Volksgruppen beim Bau desHauses Europa hervor: „Wenn die Staatenund Völker die Bausteine sind, dann sinddie Regionen, besonders die Grenzregionen,in denen ja die meisten Sprachminderheitenund Volksgruppen leben, der Mörtel, der diegroßen Steine zusammenhält.“

Frederik Paulsenmit seinerSchwester HildePortofée vorseinem Haus inAlkersum

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Das „NordfriiskInstituut“

Auf nationaler Ebene gehörte Frederik Pau-lsen im FUEV-Geburtsjahr 1949 zu denMitbegründern des Vereins NordfriesischesInstitut, den er von 1970-1982 leitete; dieheftigen Auseinandersetzungen, die es inden Anfangszeiten zwischen deutsch-natio-nal ausgerichteten Mitgliedern und über diedänische Grenze hinwegschauenden Friesengegeben hat, mögen ihn an den deutsch-dänischen Abstimmungskonflikt in seinemeigenen Elternhaus erinnert haben. 15 Jahrespäter beschloß der Institutsverein, dessenArbeit sich bis dahin im wesentlichen aufdie Herausgabe von Jahrbüchern beschränkthatte, die Gründung des „Nordfriisk Insti-tuut“, das 1965 in Bredstedt (an der schles-wig-holsteinischen Westküste) eingerichtetwurde. Das Zentrum seiner Aktivitäten war für Fre-derik Paulsen das mütterliche Elternhaus inAlkersum, das er 1961 in desolatem bauli-chen Zustand erworben und, ebenso wiespäter einige benachbarte Friesenhäuser,sorgfältig und sachkundig restauriert hatte.Zum Herzstück des Ensembles wurde die ineiner alten, liebevoll renovierten Scheuneuntergebrachte Bibliothek: Mit ihrerunschätzbaren Sammlung von friesischerFachliteratur wurde sie zum Ausgangspunkternsthafter Forschung und zu einer Stätte,wo Wissenschaftler der verschiedenstenGebiete (Linguisten ebenso wie Mediziner)gerne zu Symposien zusammentrafen. Fre-derik Paulsen hat nicht nur zahlreichePublikationen angeregt, sondern seinenBuch-Bestand auch für eigene Beiträgeüber friesische Vergangenheit undZukunftsperspektiven genutzt.

Frederik Paulsenim Jahre 1976

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Stiftungen…

Die Krönung seines friesischen Lebenswer-kes ist die Ferring Stiftung, die FrederikPaulsen 1988 ins Leben gerufen hat. „Mankann“, so Jakob Tholund, diese Stiftung„als einen Versuch ansehen, auch für diekommenden Generationen eine Institutionzu schaffen, in der kreativ Zukunftsplanungund Zukunftsbewältigung für die kleinenordfriesische Insel geleistet werden soll.“So sind neben der Pflege und Förderung derfriesischen Sprache und Kultur auch die

Erforschung und Verbesserung der Lebens-bedingungen auf Föhr und in der Region alsStiftungs-Zwecke festgeschrieben; ganzkonkret zukunftsgerichtet ist die Förderungjunger Menschen, denen mit Stipendieneine qualifizierte Berufsausbildung ermög-licht werden soll. Mit dieser Stiftung zeigt sich einmal mehr,daß sich der Friese und der UnternehmerPaulsen nicht auseinanderdividieren lassen.Schon seit den Anfangszeiten seiner unter-

Das Gebäude derFerring-Stiftungin Alkersum

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nehmerischen Tätigkeit förderte er bereit-willig Kollegen und stellte interessiertenWissenschaftlern die in seiner Firma isolier-ten und später synthetisierten Peptidhormo-ne zu Forschungszwecken unentgeltlich zurVerfügung – eine Großzügigkeit, die er zurFirmen-Philosophie erhob und die sich bei-spielsweise in der Unterstützung unzähligerwissenschaftlicher Tagungen niederschlug.So war er als Anreger auch an der KielerFerring-Stiftung beteiligt, die seit 1983jeweils im Abstand von zwei Jahren denFerring-Preis (in Höhe von 20,000 Mark)für zwei bemerkenswerte Arbeiten auf demGebiet der Endokrinologie an Wissenschaft-ler der Medizinischen Fakultät der Christi-an-Albrechts-Universität zu Kiel vergibt;die Preisträger sollen nicht älter als 40 Jahresein. Mit Enthusiasmus unterstützte er aucheine andere Idee zur Förderung wissen-schaftlich hochqualifizierten Nachwuchses:Zur „Summer School“ der ESPE (EuropeanSociety for Paediatric Endocrinology) wer-den seit 1987 alljährlich jeweils ca. 35junge Kinderendokrinologen („Students“)aus allen europäischen Ländern eingeladen,um drei Tage lang mit etwa 15 internationa-len Top-Endokrinologen („Teachers“) neue-ste Forschungsergebnisse vorzustellen undintensiv miteinander zu diskutieren. Seit1995 fördert Ferring zusätzlich eine „ESPEWinter School“, in der in einem einwöchi-gen „Crash-Kurs“ junge osteuropäischeKinderendokrinologen von Professoren ausWest- und Mitteleuropa in allen Gebietender modernen Endokrinologie unterrichtetwerden.

…und Ehrungen

Öffentliche Ehrungen konnten bei einemMann wie Paulsen nicht ausbleiben – undsie wurden ihm für beide Bereiche seinesWirkens zuteil. Er erhielt 1991 das Bundes-verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstor-dens der Bundesrepublik Deutschland, 1988bekam er den vom Kreis Nordfrieslandgestifteten Hans-Momsen-Preis verliehen;1989, zu seinem achtzigsten Geburtstag,wählte ihn die Deutsche Gesellschaft fürAndrologie zum Ehrenmitglied. 1995wurde ihm im Rahmen einer internationalenForschungskonferenz über das Hypophy-sen- Hinterlappenhormon Oxytocin die „Dr.Frederik Paulsen Honorary Lecture“ gewid-met

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Zu „groß“ für Friesland

Für seine Föhrer Wegbegleiter und Mit-streiter war Frederik Paulsen eine „Jahrhun-dertgestalt. In einem Beitrag für die Zeit-schrift „Nordfriesland“ hat er einmalnotiert: „Beim Studium der Lebensläufemancher der bedeutendsten Friesen kannman sich des ketzerischen Gedankens nichterwehren, daß die Tragik dieser Lebens-läufe ganz einfach darin liegt, daß sie fürFriesland zu groß waren oder daß Frieslandfür sie zu klein war.“ Auch er selbst warsicher zu „groß“ für Friesland – doch über-schattete diese Tatsache nicht seinenLebenslauf. Als er in die große weite Welthinauszog und dort ein Weltunternehmenaufbaute, blieb er in seinen friesischen

Ursprüngen und Traditionen fest verwur-zelt; und als er nach Föhr zurückkehrte,holte er dank seiner weitgespannten Inter-essen und Aktivitäten die große weite Weltauf seine kleine Heimatinsel.Am 3. Juni 1997 ist Frederik Paulsen inseinem Haus in Alkersum gestorben; seineletzte Ruhestätte hat er auf dem Friedhof St. Johannis in Nieblum auf Föhr gefunden.

Frederik Paulsenim Bibliotheks-zimmer (1995)

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Nachbemerkung

Am Beginn der Recherchen für diese Arbeitstand zunächst einmal die ernüchternde,frustrierende Erfahrung, daß die Medizinge-schichte Dr. Frederik Paulsen nicht zurKenntnis genommen hat, daß über ihn undseine Leistungen praktisch nichts publiziertworden ist. Auch das Archiv der Firma Fer-ring, dem wir einen Teil der Fotos verdan-ken, erbrachte mit ein paar Informations-Broschüren eine recht magere Ausbeute.Umso erfreulicher ist, daß sein Jahrzehntewährendes Engagement für die friesischeVolksgruppe vielfach gewürdigt worden ist.Hier soll vor allem Jakob Tholund dankbargenannt werden, der seine verschiedenenAufsätze über Frederik Paulsen zuletzt zuder ebenso informativen wie einfühlsamenStudie „Ein Friese geht nicht verloren.Frederik Paulsen zum Gedächtnis“ gebün-delt und erweitert hat.Tholund, Oberstudiendirektor in Wyk aufFöhr, konnte sich als friesischer MitstreiterPaulsens und Freund der Familie bei sei-nem Porträt auf persönliche Gespräche unddie schriftlichen „Erinnerungen“ von Frede-rik Paulsen stützen. Ganz herzlich soll hierFrau Eva Paulsen, Alkersum/Föhr, und demältesten Sohn Dr. Otto Paulsen, Malmö,gedankt werden, die diese „Erinnerungen“sowie verschiedene Redemanuskripte etc.zugänglich gemacht haben; in mehrerenTelefongesprächen war Frau Eva Paulsenüberdies immer zu freundlichen, hilfreichenAuskünften bereit. Auch die hier veröffent-lichen Fotos stammen zum goßen Teil ausdem Privatarchiv der Familie.

Die „Erinnerungen“, ursprünglich in ersterLinie zum „Familiengebrauch“ bestimmt,sind nie veröffentlicht worden. Die Jahre1909-1935 (unterteilt: Kindheit; Studenten-jahre 1928-1933; Der 30. Januar 1933. Hit-lers Machtergreifung; Basel) sind sorgfältigausgeführt und liegen in einer deutschspra-chigen maschinengeschriebenen Fassungvor. Die Niederschrift der Erinnerungennach der Emigration umfaßt die Anfänge inSchweden bis 1936 (Maschinenschrift, inschwedischer Sprache); sie wurde von Fre-derik Paulsen 1992 abgebrochen unddanach bis auf ein Bruchstück (1994) nichtmehr weitergeführt.Frederik Paulsens „Erinnerungen“ sind vonhoher Authentizität und Glaubwürdigkeit.Der Historiker Thomas Pusch, M.A., deram Institut für Schleswig-HolsteinischeZeit- und Regionalgeschichte (Schleswig)für seine Promotion das Projekt „Die Erfah-rung des politischen Exils und der Remigra-tion – Schleswig-Holsteiner EmigrantInnenund das skandinavische Exil“ und damitauch den „Fall“ Paulsen bearbeitet, bestätigtdie außergewöhnliche Präzision dieser per-sönlichen Erinnerungen. „Aktenkundig“geworden ist Paulsens Verhaftung und Ver-urteilung 1933/34: Die Anklageschrift unddas Urteil, so fand Pusch bei seinen Nach-forschungen heraus, lagern im Bundesar-chiv/Abt. Reich in Berlin Lichterfelde(Nationalsozialistische Justizakten, NJ8288, NJ 12164).

Birgit Amon, M.A.

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Literaturangaben

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Ehlers, Herfried (Hrsg.): 675 Jahre Kieler Gelehr-tenschule. Historisches Lesebuch/Eine etwasandere Festschrift. Kiel 1995

Eschenburg, Harald: Wind von vorn. Roman einerMachtergreifung. Hamburg, 1980

Jensen, Jürgen und Wulf, Peter (Hrsg.): Geschich-te der Stadt Kiel. Neumünster 1991

Lange, Ulrich (Hrsg.): Geschichte Schleswig-Hol-steins. Von den Anfängen bis zur Gegenwart.Neumünster, 1996

Frisé, Maria: Kein Friese geht verloren. FrederikPaulsen auf Föhr. In: Frankfurter AllgemeineZeitung Nr. 199 vom 28.8.1993

Holander, Reimer Kay: Frederik Paulsen wird 75.In: Nordfriesland Nr. 70, 1984, S.35-36

Ivell Richard and Russell, John A. (Eds): The Dr Frederik Paulsen Honorary Lecture. In:Oxytocin. Cellular and Molecular Approaches inMedicine and Research. Advances in Experi-mental Medicine and Biology, Vol. 395, NewYork/London 1995, p 557ff

Panten, Albert: Zum Gedenken Dr. Frederik Paul-sen. Nordfriesisches Jahrbuch, Neue Folge, Bd.32/33, 1996/97, S. 9-11

Portofée, Hilde: F. Paulsen. In. Festschrift Dr. F.Paulsen zu seinem 75. Geburtstag. Hrsg. vomNordfriisk Instituut. Nordfriesisches Jahrbuch(NfJb) 20, 1984. S. 9-11

Tholund, Jakob: Ein Friese geht nicht verloren.Frederik Paulsen zum Gedächtnis. Heft 14 der Schriftenreihe (Neue Folge) des Dr.-Carl-Haeberlin-Friesenmuseums Wyk auf Föhr.Husum 1998

Tholund, Jakob: Ein Weltbürger von der InselFöhr. In. Nordfriesland Nr. 118, 1997. S. 2

Tholund, Jakob: Weltoffen und heimatverbunden.Frederik Paulsen (*1909). In: Eilunsfresken:Lebensbilder aus Nordfriesland (NordfriesischeLebensläufe 4), Bredstedt 1995, S. 109-117

Wisser, Horst: Ein Friese schwimmt gegen den Strom. Kieler Nachrichten Nr. 174 vom29.7.1989

Paulsen, Frederik: Der friesische Mensch. Mitwelchen Methoden könnte man ein Bild friesi-scher Eigenart gewinnen? In: Nordfriesland50/51, 1979, S. 99-102

Paulsen, Frederik: Die peripheren Küstenregionenund die europäische Integration. In: Nordfries-land Nr. 42-44, 1978, S. 66-73

Paulsen, Frederik: Die Südschleswig-Frage inStockholm 1943-45. Persönliche Erinnerung. In:Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Hol-steinische Geschichte Nr. 109, 1984, S. 287-289

Paulsen, Frederik: Erinnerungen (unveröffentlicht) Die Jahre 1909-1935 (deutschsprachige maschi-nengeschriebene Fassung)Die Jahre 1935/36 (Maschinenschrift, in schwe-discher Sprache)

Erinnerung an den Anfang der [schwedischen]endokrinologischen Gesellschaft und der ActaEndocrinologica. Maschinenschriftlich, inschwedischer Sprache, 1993 (unveröffentlicht)

Rede zum 25jährigen Ferring-Jubiläum 1975(Maschinenschrift, in schwedischer Sprache)

Rede zum 40jährigen Ferring-Jubiläum 1990(handschriftlich, in englischer Sprache)

Rede zum 40jährigen Jubiläum der Föderalisti-schen Union Europäischer Volksgruppen(FUEV) in Versailles, 1989 (Maschinenschrift,deutsch)

Video-Interview mit Frederik Paulsen (37 Minu-ten); aufgenommen 1992 von Anders Granqvist(Manuskript, Regie, Produktion) und BengtGratström (Interview und Sprecher) in schwedi-scher Sprache mit englischen Untertiteln undZwischentexten

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A ufskiastuaren wiarknaap drügetdo wiar ik al tu weeders sprüngenan faan kreeftig eeb-struum wurd iktu nei lun an tidjentwüngen.

Die Abschiedstränenkaum getrocknetwar ich schon ins Meergesprungenund vom starken Elb-strom wurd ichneu in Zeit und Landgezwungen.

Frederik Paulsens Grabauf dem Friedhof inNieblum auf Föhr.Als Inschrift wählte Eva Paulsen die ersteStrophe des Gedichts„Tidjstruum (Zeitstrom)der friesischen AutorinEllin A. Nickelsen.

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