Die Abtei Neresheim - · PDF fileRund um das Barock Dieses Projekt wurde gefördert durch...
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Rund um das Barock
Dieses Projekt wurde gefördert durch die
Europäische Union und das Land Baden-Württemberg
über die Gemeinschaftsinitiative LEADER +
Zeittafel Klosteranlage Neresheim
1095 Grafen von Dillingen gründen Burg
Augustiner-Chorherrenstift
1106 Orden der Benediktiner übernimmt das Stift
1120 Weihe der Kirche, eine romanische Basilika
1258 Grafen von Oettingen-Wallerstein
übernehmen gewaltsam die Klostervogtei –
es folgt ein 500-jähriger Rechtsstreit
1510 Blütezeit unter Abt Johannes Vinsternau
(bis 1529)
1647 Kloster hat nur noch vier Mönche
(nach 30-jährigem Krieg)
1747 bis 1792: Bau der barocken Abteikirche
(Balthasar Neumann), ein Höhepunkt
europäischer Architektur
1764 Benediktinerabtei wird reichsunmittelbar
mit eigenem Territorium
1770 bis 1775 Fresken von Martin Knoller
(österreichischer Barockmaler)
1782 Alte (romanische) Basilika weicht
Barockkirche und erweitertem
Konventgebäude
1802 Abtei kommt in Besitz des Fürstenhauses
Thurn und Taxis
1919 Heimatvertriebene Benediktiner aus
dem Prager Kloster Emaus dürfen sich in
Neresheim niederlassen.
Fürst Albert von Thurn und Taxis gibt Gebäude
mit Kirche ihrer alten Bestimmung zurück.
Der Orden kann die Tradition fortsetzen
1920 14. Juni: Abtei durch Papst Benedikt XV.
wieder eingerichtet
1966 bis 1975: Sanierung und Restaurierung
der Abteikirche
1975 9. September: Wiedereröffnung mit Weihe
des Hochaltares
2004 Westfassade Konventgebäude:
Wiederherstellung des barocken
Volutengiebels
Die Abtei NeresheimSeit Jahrhunderten blickt das Kloster auf dem Ulrichsberg
über die Hügel des Härtsfeldes. Das bedeutendste Bauwerk der
barocken Anlage ist die Abteikirche Balthasar Neumanns.
Schon im 9. Jahrhundert steht auf dem Berg eine Burg der
Grafen von Dillingen. 1095 macht Graf Hartmann I. daraus ein
Chorherrenstift, das 1106 durch die Benediktiner übernommen
wird. 1764 wird die Abtei reichsunmittelbar.
Blüte im Mittelalter und im Barock Eine Blütezeit erlebt das Kloster unter dem humanistisch
geprägten Abt Johannes Vinsternau (1510 –1529). Trotz zahl-
reicher Wirren im Bauernkrieg und in den beginnenden
konfessionellen Auseinandersetzungen bleiben die Mönche
unter ihren katholischen Schutzherren Oettingen-Wallerstein
beim alten (katholischen) Glauben.
Der Dreißigjährige Krieg bringt eine Zäsur:
Das Kloster zählt 1647 nur noch vier Mönche. Doch Ende des
17. Jahrhunderts führt der Geist des Barock zu neuer Baublüte:
Die Abteikirche ist ein Höhepunkt europäischer Barockarchitektur.
1802/03 erhalten die Fürsten von Thurn und Taxis das reichs-
unmittelbare Kloster samt Territorium; Anfang des 20. Jahrhunderts
können die Benediktiner die Tradition fortsetzen.
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Rund um das Barock
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Die Klosteranlage Neresheim
Wer sind die Benediktiner ?
Ordo Sancti Benedicti auf lateinisch, abgekürzt
OSB. Die Benediktiner sind ein kontemplativ
ausgerichteter Orden innerhalb der römisch-
katholischen Kirche nach den Regeln des heiligen
Benedikt von Nursia (um 480 – 547).
Die nach diesem benannte „Regula Benedicti“
entsteht im Jahr 529 im Kloster bei Montecassino.
Der Grundsatz ist: „Ora et labora et lege“ –
bete, arbeite und lies.
Die Ordenstracht ist schwarz. Drei Gelübde legt der Mönch (oder die Nonne,
es gibt auch einen weiblichen Zweig) im Laufe
des Ordenslebens ab: „Stabilitas“ (Beständigkeit
in der Gemeinschaft), „Klösterlichen Lebens-
wandel“ und „Gehorsam“.
Der größte Teil des Tages ist dem Gebet
gewidmet oder wird in Stille, mit Meditation und
geistiger Lektüre verbracht. Daneben schafft
handwerkliche Arbeit den nötigen Ausgleich.
Den Benediktinern ist es zu danken, dass das antike Kulturerbe in Westeuropa
erhalten bleibt. Bis weit ins Mittelalter hinein
hat der Orden größte Bedeutung, vor allem
durch viele Kloster- und Kirchenbauten.
Der große Einfluss kommt aber auch von
Wissenschaft, Landwirtschaft und Handwerk –
sowie durch die Frömmigkeit der Benediktiner.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es rund 40.000 Mönche und Nonnen
bzw. Schwestern, die zur benediktinischen
Ordensfamilie gehören.
1 Abteikirche
2 Hauptportal
3 Seitenportal
4 Nebeneingang
5 Eingang zu den Choremporen
(nur bei Konzerten)
6 Friedhof
7 Konventgebäude
8 Klosterpforte
9 Prälatur
10 Klosterbuchhandlung
11 Eingang zum Festsaal
des Klosterhospizes
12 Klostergaststätte
13 Toiletten
14 Klosterhospiz
15 Landwirtschaftlicher Betrieb
16 Klosterhof (keine Zufahrt)
17 Michaelsbrunnen
18 Briefkasten
19 Telefonzelle
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4
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und das Land Baden-Württemberg
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Rund um das Barock
Dieses Projekt wurde gefördert durch die
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Der BaumeisterEr hat im Süden und Westen Deutschlands gebaut, Schlösser und
Gotteshäuser. Darunter die Wallfahrtskirchen zu Vierzehnheiligen,
das „Käppele“ in Würzburg – und die Abteikirche Neresheim.
Balthasar Neumann – Sohn eines Tuchmachers in Eger erhält 1711
den Lehrbrief der „Büchsenmeister-, Ernst- und Lustfeuerwerkerei“
und wird Geselle von Ignaz Kopp in der Gießhütte Würzburg.
Balthasar will mehr und nimmt Unterricht in Architektur. 1714 tritt er
als Fähnrich in die würzburgische Schloss-Leibkompanie ein und ist
1717 an der Eroberung Belgrads unter Prinz Eugen dabei.
1719 kommt die Wende seines Lebens: Der Fürstbischof überträgt
dem angehenden Architekten die Planung und Bauleitung der neuen
Würzburger Residenz. Mit diesem „Schloss über allen Schlössern“
wird Neumann zu einem der führenden Architekten seiner Zeit.
Balthasar Neumann – „Enkel Michelangelos“ 1747 entspricht er der Bitte des Abtes Aurelius Braisch, auf dem
Neresheimer Ulrichsberg ein neues Gotteshaus zu bauen. Von diesem
„erschütternd großartigen Bau“ sagt der große deutsche Kunst-
historiker Georg Dehio: „Die Barockarchitektur nicht nur Deutschlands,
sondern Europas hat weniges, was sich mit ihm messen kann. Der
Vater des Barock, Michelangelo, hat in Neumann einen kongenialen
Enkel gefunden …“.
Balthasar Neumann, geboren 1687 in Eger, gestorben und begraben 1753 in Würzburg. Unter den Fürstbischöfen von Schönborn wird er einer der größten Baumeister des Barock
Barock: Die Architektur
Die Stilfibel sagt über Barock (1675-1770):
„Nicht harmonische Ausgeglichenheit,
sondern höchste Steigerung aller Wirkungen
ist das Schönheitsideal …“
Pathos, Würde, AugentäuschungBarock-Bauwerke haben majestätische
Größe, würdevolles Pathos, prunkvolle
Festlichkeit. Man liebt Verschachtelungen,
wuchernde Plastik, Augentäuschungen –
vor allem in Italien. In Deutschland gibt es
weniger „Ausschweifungen“.
Spiegel machen Wände illusorisch, Deckenmalereien (Fresken) weiten den Raum
ins Unendliche … Das Kirchenschiff ist nicht
mehr rechteckig wie in Gotik und Renaissance;
es hat jetzt mehrere kreisrunde oder ovale
Räume. „Viele Nischenaltäre machen
Barockkirchen zu einem Labyrinth der Andacht“
(J. Fernau).
Barock – ein Spiegel des AbsolutismusBarock bezieht aber auch die Umgebung ein –
den Garten, Gebäude-Ensembles, auch
ganze Städte. Im Mittelpunkt das Schloss,
der Thron des Fürsten.
Große Baumeister …… kennt das deutsche Barock, wie Andreas
Schlüter (Berliner Schloss),
Fischer von Erlach (Schloss Schönbrunn, Wien),
Jakob Prandtauer (Kloster Melk),
die Brüder Asam (Kloster Weltenburg),
v. Knobelsdorff (Schloss Sanssouci),
Georg Bähr (Frauenkirche Dresden)
und natürlich Balthasar Neumann …
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Rund um das Barock
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Der BarockmalerMartin Knoller wird vom Vater, einem bescheidenen Dorfmaler,
in die Kunst eingeführt. Nach einer Lehre in Innsbruck kommt
Martin – auf bisher ungeklärten Wegen – in die Gefolgschaft
des großen österreichischen Malers Paul Troger (1698 – 1762).
Nach der Ausbildung an der Wiener Kunstakademie findet Knoller
in Rom seinen reifen Stil im Freundeskreis um Raphael Anton Mengs
(1728 – 1779) und Johann Joachim Winckelmann (1717 – 1768).
Ab 1765 ist er Hofmaler des österreichischen Statthalters für die
Lombardei in Mailand, Carl Graf von Firmian, der ihm auch die
Aufträge zur Ausmalung der Klosterkirche in Volders (Tirol) und der
Chorkuppel in der Benediktinerabtei Ettal vermittelt.Der Prototyp ist Rubens!
„Barocke“ Malerei ist vor allem in den
Niederlanden geradezu explodiert: Es beginnt
mit Rubens, van Dyck und Jordaens – und
endet um die Wende zum 18. Jh. mit einer
unübersehbaren Schar von Kleinmeistern.
Aber der Prototyp bleibt Peter Paul Rubens
Zwischen niederländischer und französischer
Malerei etwa die Italiener Carracci und Cortona
und die ernsten Spanier Vélasquez und Murillo.
Im armen, vom Dreißigjährigen Krieg
verbrannten Deutschland war alles ruhiger,
besinnlicher: Vom Ostpreußen Willmann
bis zu den Österreichern Faistenberger – und
natürlich Martin Knoller.
Das Fresko erlebt eine neue Blüte. Seit dem alten Rom hat man dies nicht mehr
gesehen: Vor allem die Deckenmalerei schafft
die Illusion unbegrenzter Räume –
und endloser Höhen.
Aber nicht alles ist „barock“Anders und gegen die „barocke Brandung“ –
von prallen Körpern und großen Gesten – malt
eine Reihe genialer Einzelgänger: Rembrandt,
Hals, Vermeer …
Martin Knoller 1725 in Steinach/Brenner geboren, 1804 in Mailand gestorben, wo er seit 1792 Direktor der Kunstakademie ist. Sein Lebenswerk vereint Boden- ständigkeit und Internationalität. Knollers Fähigkeit, unterschiedlichste Aufgaben zu lösen, führen zu seiner „geradezu prickelnden Stellung zwischen den Stilen“.
Knollers Sternstunde in Neresheim Am 23. November 1769 kommt der Werkvertrag mit dem Reichsstift
Neresheim zustande, worin sich Knoller verpflichtet, die sieben
Kuppeln der Neresheimer Abteikirche in Freskotechnik auszumalen.
In sechs Sommern, von 1770 bis 1775, schafft der Meister sein
riesiges Hauptwerk.
„Hier kann, hier muss ich mir Ehre machen“
soll Martin Knoller bei seinem ersten Besuch erklärt haben. Seine
Deckenmalerei in Neresheim bildet zusammen mit Neumanns
Architektur ein Ensemble von europäischem Rang, das den Vergleich
mit Tiepolo in der Würzburger Residenz nicht zu scheuen braucht.
Was sich Knoller bei seinem ersten Besuch in Neresheim vornimmt,
bringt er zur Vollendung: Es wird eine Sternstunde abendländischer
Freskomalerei.
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Rund um das Barock
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Napoleon kämpft auf dem HärtsfeldIn den Sog der Ereignisse um die Französische Revolution wird
auch das Härtsfeld hineingerissen. Insbesondere die Schlacht von
Neresheim am 11. August 1796 erlangt traurige Berühmtheit.
Napoleon kommt ins Spiel. Was war geschehen?
Im Sommer 1796 stehen sich auf dem Härtsfeld je rund 40.000
Mann der österreichischen und französischen Kampftruppen
feindlich gegenüber. Erzherzog Karl von Österreich übernachtet am
2. August in Neresheim. Sein Gegner war der französische General
Moreau. Am 11. August ergreift Erzherzog Karl die Initiative –
der Angriff rollt.
Die Kapelle brennt, das Volk leidet Die Hauptstoßrichtung der Österreicher zielt auf Schweindorf,
Kösingen, Hofen, Dunstelkingen und Dischingen. Am heftigsten
toben die Kämpfe bei Dunstelkingen, wo die Franzosen ihre
Stellung haben. Unter dem österreichischen Granathagel versinkt
das ganze Dorf in Schutt und Asche.
Beim Rückzug der Franzosen gerät die
Kapelle Maria Buch beim Kloster samt
Mesnerhaus in Brand. Die Bevölkerung leidet
große Not und ist schweren Bedrängnissen
ausgesetzt.
Nachlese: Die Schlacht von Neresheim kennt keinen Sieger.
Dennoch hält Napoleon den Ausgang für so bedeutend, dass er
Neresheim im Triumpfbogen von Paris verewigen lässt.
Barockzeit – Krieg und Kunst
Als „Geburtstag“ des barocken Roms gilt
der 18. November 1593, an dem das vergoldete
Gipfelkreuz an der eben vollendeten Kuppel
des Petersdoms aufgerichtet wird.
Was und wie ist diese Zeit?Krieg ist leider der Normalzustand.
Der schlimmste ist der Dreißigjährige; er eröffnet
das 17. Jh. Und die napoleonischen Feldzüge
beenden das 18. und läuten das 19. Jh. ein.
Dazwischen bekriegt sich ganz Europa.
Hier ein Blick in die Zeit:1609 Rubens wird Hofmaler
1615 Die Post geht als Lehen an Fürst von
(Thurn und) Taxis
1618 Der große Krieg beginnt, er dauert bis 1648
1627 1. deutsche Oper
(„Dafne“ von Heinrich Schütz)
1642 Galilei begründet die neuzeitliche Physik
1643 Ludwig XIV., der „Sonnenkönig“ besteigt
den franz. Thron
1648 Deutschland hat noch 8 Mio Einwohner
(1618: 17 Mio)
1668 Pest ist besiegt
(sie hat seit 1348 in Europa gewütet)
1683 Deutsche wandern aus,
Türken belagern Wien
1689 Franzosen unter Mélac verwüsten die Pfalz
1714 Preußen beendet die Hexenprozesse
1749 Joh. Seb. Bach: „Die Kunst der Fuge“,
Händel: „Feuerwerksmusik“
1770 „Industrielle Revolution“ durch Dampfkraft
und Textilmaschine in ganz Europa
1789 Französische Revolution
1791 Mozart stirbt in Wien
1796 Schlacht bei Neresheim, franz. Soldaten
im Kloster Erbitterter Nahkampf und Attacke der Reiterei: Das Gefecht endet Unentschieden.
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Rund um das Barock
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Maria Buch, die Barock-Wallfahrt17. Jh.: Das Zeichen in der Buche
kommt von „oben“ (siehe links) –
in der bitteren Zeit nach dem auch für
das Härtsfeld verheerenden Dreißigjährigen Krieg (1618 – 48).
Und die Wallfahrtskirche bringt Trost zu Land und Leuten …
Aber so wie die Wallfahrt aus Kriegswehen des 17. Jahrhunderts –
mitten in der Barockzeit – entsteht, so soll sie durch kriegerische
Ereignisse auch wieder zerstört werden.
18. Jh.: Es ist ein Feldzug Napoleons gegen die Österreicher.
General Moreau schlägt im Kloster sein Hauptquartier auf.
Sein Kriegsvolk lagert um Maria Buch. In der Nacht vom 11. auf den
12. August 1796 verbrennen die Franzosen die Gnadenstätte mit
der alten Buche. Nach Abzug der Truppen findet Walburga Kamm,
die Tochter des Ohmenheimer Amtsboten, das Gnadenbild im
Brandschutt (Bild oben). Es ist unversehrt.
19. Jh.: Kriegswirren und die Aufhebung des Klosters Neresheim
1802 verhindern einen Wiederaufbau der Wallfahrtskirche.
Aber die Verehrung Mariens bei der ehemaligen Gnadenstätte erlischt
nie ganz. 1856 kommt es zur Errichtung einer neuen bescheidenen
Kapelle, 1890 vom heute noch bestehenden Bau abgelöst.
20. Jh.: Nach Wiedererrichtung der Benediktinerabtei 1919/1920
erwacht auch Maria Buch zu neuem Leben. Die Kapelle wird
gründlich renoviert. 1929 malen zwei Mönche aus Beuron die Kapelle
im Beuroner Stil neu aus.
21. Jh.: Maria Buch ist bis heute die Wallfahrt des Härtsfeldes
geblieben. Mögen noch viele Generationen an dieser altehrwürdigen
Gnadenstätte Hilfe und Trost erfahren.
Ein Wink von „oben“
Die Wallfahrt zur Maria in der Buche entsteht
nach den Schrecken des 30-jährigen Krieges.
Auf dem Härtsfeld herrscht bittere Not. Die
Dörfer sind verwüstet, Hunger und Krankheit
ständige Gäste. Menschen trifft man selten.
Das Pferd kniet niederIm Kloster Neresheim ist eben der Mönch
P. Meinrad Denich zum Abt gewählt worden.
Wieder einmal reitet er, wie so oft, vom Kloster
hinüber ins nahe Ohmenheim zur Seelsorge.
Bei einer Buche im freien Feld scheut plötzlich
sein Pferd, fällt sogar auf die Vorderfüße,
so als wollte es niederknien. Der Vorfall wieder-
holt sich.
Maria in der BucheAlso lässt der Abt die Buche untersuchen –
und entdeckt in zehn Fuß Höhe eine verwach-
sene Stelle: Er findet eine Tonstatuette Mariens
mit dem Kind auf dem Arm. Sie gleicht dem
Gnadenbild von Maria Einsiedeln.
Hat sie ein heimkehrender Pilger in der
Buchennische aufgestellt? Niemand weiß es.
Eine Holzkapelle für das GnadenbildAbt Meinrad deutet das Ereignis als Wink von
oben und lässt um den Baum eine Holzkapelle
errichten. Schon bald wird sie zu klein; der
Pilgerstrom wächst.
1708 kann P. Prior Amandus Fischer, später
als Abt großer Bauherr vieler Kirchen auf dem
Härtsfeld, unter großem Andrang des Volkes den
Grundstein zur zweitürmigen Wallfahrtskirche
legen. Sie wird am 23. Juni 1711 eingeweiht.
Die bescheidene, im napoleonischen Krieg zerstörte Holz-Kapelle nach Wiedereinrichtung.
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Kinder ohne Alter – Darstellung eines Putto in der Abteikirche Neresheim
Parfüm oder Waschlappen ?
Es wäre ein Wunder, wenn eine Jahrhundert-
Epoche mit „barocker“ Sinnenfreude nicht auch
die wandelbare Mode kennt.
Nur: Was sich unter Perücken und Reifröcken
tut, das ist nicht immer hygienisch. Parfüm und
Puder werden jedenfalls häufiger benutzt als
Seife und Waschlappen.
Alle Länder machen die barocken Eskapaden
mit – vor allem bei der Kleidung. Zu Beginn des
17. Jh. trägt die Dame statt des steifen Reifrocks
(aus Spanien) nun weite, faltige Röcke und
Handschuhe mit Stulpen. Der Herr geht mit
Spazierstock und trägt Perücke; er pudert und
schminkt sich voller Hingabe.
Um 1700 fährt man im „Landauer“ und kennt
„Kölnisches Wasser“. Ein Dreispitz sitzt auf
der großen, lockigen Allonge-Perücke – vom
„Sonnenkönig“ Ludwig XIV. eingeführt. Sie
kostet ein Vermögen. Abends sieht Mann aus wie
Charleys Tante: Eine groteske Nachtmütze auf
dem rasierten Kopf und die Perücke auf dem
Stock. Um 1750 ist Menuett der Gesellschaftstanz;
die Dame geht im Reifrock, der Herr mit Zopf,
Dreispitz und Degen.
Und ab 1758 kann man in der „Mode- und
Galanterie-Zeitung“ (aus Erfurt) nachlesen, was
gerade en vogue ist.
Putten – Kinder ohne AlterSie heißen liebevoll Kindlein, Kindl oder Kindlen – die Putti im
Zeitalter des Barock und Rokoko. Es ist das „Urphänomen des
zeitlosen Kindes“ (Wilhelm Messerer). Wie Neugeborene leben Putten
vor, nach dem Erwachsene sich sehnen: das Paradies.
So sind sie: Meist kleine, nackte Kinder mit prallen Rundungen,
Pausbacken und Speckfältchen; oft geflügelt, in Lüften schwebend,
auf Wolken und Architekturen lagernd. Ganze Heerscharen dieser
Geschöpfe begegnen uns in Kirchen und Schlössern, in Malerei und
Bildhauerei. Die schönsten sind im Barock und Rokoko „geboren“.
Es sind „verhinderte Riesen“ Vom 15. bis 18. Jahrhundert entwickelt sich der Putto zu einem
Typus der neueren Kunst des Abendlandes. Putten haben ihren
Platz neben Heiligen und Heroen, sind deren Diener, vermitteln
Gefühle und können die Großen vertreten. Sie verkörpern als
„verhinderte Riesen“ gewichtige Inhalte. Und der Putto hat Humor.
Dank ihrer Kleinheit können Engels-Putten in Gottes Umgebung die
Größe göttlicher Majestät besser veranschaulichen als erwachsene
Engel. Gottvater kommen die Engelsputti nahe durch ihre Schönheit,
die sich mit Fröhlichkeit paart. Ja, mehr als dies:
„In der Gestalt des Engels-Putto schließt die
Schönheit mit der Reinheit und
Demut, mit der Heiterkeit und
Einfalt einen Kreis.“
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Barock: Komisch oder große Kunst?
Zuerst ist es ein Schimpfwort: Mit „barocco“ und „barueco“ – d.h. schief,
krumm – belegen spanische und portugiesische
Juweliere nicht einwandfreie Perlen.
Bizarr oder regelwidrig sei der Barockstil, das
meint man noch lange – auch große Geister.
Jacob Burkhardt findet ihn „bombastisch“,
für Winckelmann ist er nicht zum Ansehen.
Der italienische Kritiker Tomaseo nennt Barock
(1845) einen „komisch aufgeregten Stil“.
Er habe nichts Antikes und nichts Modernes.
Heute ist man sich einig: Große Kunst! Erst seit etwa 1890 gilt: Barock ist ein großer,
einheitlicher Kunststil. Mehr als hundert Jahre
lang drückt er Europa seinen Stempel auf.
Hat er also den Völkern gefallen? Nicht ganz,
denn er ist eine Begleiterscheinung der
absoluten Machthaber. Barock – das ist ihre
prächtig-beeindruckende Kulisse.
Die Oper ist ein typisches Kind dieser Zeit.
Auch die geometrisch gegliederten, kunstvollen
Gärten, in denen Natur fast „mathematisch“
daherkommt.
Aber wer hat ihn „erfunden“?
Als Vater des Barock gilt Michelangelo, der Baumeister. Seine Petersdom-Kuppel hat
bereits barocken Charakter. Sicher ist:
Der Ur-Barock ist römisch – malerisch, aber
auch konfus. Doch je weiter er nach Norden
vordringt, desto klarer werden seine Formen.
In der Musik am besten erkennbar bei Bach
und Händel.
„Himmelreich des Barock“Willkommen im Barock ist ein majestätischer, triumphaler Stil. Und ein neues
Lebensgefühl. Gegenüber den klaren Formen der Renaissance wird
zwischen 1600 und 1780 vieles dynamisch-bewegt und schwellend.
Räume werden unterteilt, durch Effekte belebt und phantasievoll
ausgestaltet. Grenzen verwischen. Unendliches rückt näher und
Figuren erscheinen pathetisch bewegt.
So erhält die Kunstlandschaft Schwabens ihr heutiges Gesicht.
„Himmelreich des Barock“ wird die Landschaft von Schwäbischer Alb,
Allgäu und Bodensee heute noch genannt.
Der Siegeszug des Barock beginnt nach den Schrecknissen
des 30-jährigen Krieges. Es gilt, die verwüsteten Kirchen, Klöster und
Kapellen, Bürgerhäuser und Schlösser wieder instand zu setzen.
In Neresheim beginnt die Barockisierung des Klosters ab 1694.
Um 1700 erfasst die barocke Bauwelle den ganzen deutschen Süden.
Der Beginn: Von Rom und Italien aus hat sich diese Kunstperiode
im 17. und 18. Jahrhundert in fast ganz Europa ausgebreitet.
Barock findet sich in Architektur und Bildhauerei, Malerei und
Ornamentik wieder.
Das Ende: Etwa 1715 bis 1730 leitet der Régence-Stil mit Pilastern
und Bandelwerk zum Rokoko („rocaille“ – Muschelwerk) über, das die
Barockzeit dekorativ-verspielt ausklingen lässt.
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Stadt und BarockMenschen siedeln schon sehr lange hier: Eine Alamannensiedlung
besteht seit Mitte des 5. Jahrhunderts nach Christus. Gefördert
durch das Kloster und die Grafen von Oettingen-Wallerstein erfolgt
der Ausbau zur Stadt zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert
mit Jahrmärkten, Schranne und Gerichtssitz. Der Ort wird
Verwaltungsmittelpunkt des gleichnamigen Amtes. Die meisten,
heute noch sichtbaren Bauten, entstehen danach. Das Barock hat
auch hier beachtliche Kunstspuren hinterlassen.
Aber schauen Sie selbst:
Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt, 1465 erbaut,
barocke Deckengemälde und
Stuckaturen
Pfarrhaus
1733 erbaut, Dekanatssitz
(Deckengemälde von
Johann Michael Zink „Mönche
bei der Weinlese“, links)
Friedhofskirche Neresheim
1597, früher gotisch –
Deckengemälde von
Joh. Baptist Zink um 1716
Rathaus
1405 nach Stadtbrand neu gebaut, unterer Teil als Schranne
genutzt; Abbruch und Neubau 1765 – 1767, 1867 Kauf durch
ev. Kirchengemeinde, 1893 Glockentürmchen; 1913 Rückkauf
durch Stadt
Härtsfeld-Museum (ehemaliges Vogthaus)
1531 Brand, 1766 Umbau und Sanierung, 1806 Verkauf an
Privateigentümer, 1965 – 1970 Umwandlung in ein Museum
Auch die Stadtteile glänzen mit barock ausgestatteten Kirchen,
z. B. die Pfarrkirche St. Sola Kösingen, St. Elisabeth Ohmenheim, St.
Otmar Elchingen, St. Mauritius und Georg Dorfmerkingen oder der
hochbarocke Altar von St. Ulrich in Dehlingen.
Neresheim – eine Stadt macht Geschichte
um 450 Alamannische Siedlung (Grabfunde)
1095 als Eigengut des Klosters genannt
1298 Neresheim als oppidum bezeichnet
1343 Neresheim ist marckht,
es gibt sechs große Jahrmärkte
1350 In Schenkungsurkunde steht „Stadt“
1405 Stadt brennt fast ganz nieder
1524/25 Bauernkriegs-Unruhen
1634 5./6. Sep „Blutnacht von Neresheim“
(nach Schlacht von Nördlingen),
30-jähriger Krieg 1618 – 48
1764 Kloster wird reichsunmittelbar –
Stadt bleibt bei Oettingen-Wallerstein
1806 – 10 Neresheim wird bayerisch
1811 ... über Gebietstausch an Württemberg,
Neresheim jetzt Oberamtsstadt
1901 Härtsfeldbahn Aalen-Dischingen
1938 Oberamt Neresheim aufgelöst
1971 – 75 Verwaltungsreform: Kösingen,
Schweindorf, Dorfmerkingen, Elchingen,
Ohmenheim werden Stadtteile
2003 Härtsfeld-Sportarena eingeweiht
2004 Am Benedikt Maria Werkmeister Gymnasium
ist jetzt Abitur möglich
heute Staatl. anerkannter Erholungsort,
8.300 Einwohner, Unterzentrum,
118 km2 Gemarkungsfläche
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Der Himmel auf ErdenSchauen Sie zu den Kuppelgemälden und Deckenfresken der
Barockkirche. Dort wird die Architektur überlistet – das barocke
Deckenfresko weitet den realen Raum ins Unendliche.
Zauberei: Der Himmel öffnet sich Der Maler reißt das Gewölbe optisch auf; der Himmel öffnet sich,
wird von Heiligen und Historiengestalten bevölkert – auch von
„Allegorien“ (griechisch: anders reden). Die Allegorie lässt
Begriffe als Personen auftreten: die Jahreszeiten, die Tugenden,
die Laster …
Das sind die Inhalte: Verherrlichung und Anbetung, Himmelfahrt
und Martyrium, Kampf des Lichtes gegen die Finsternis …
Die Wirkung ist beabsichtigt: Alles wird zur „Raum-Musik“, die
sich dem Besucher der Kirchen als erhabenes Te Deum mitteilt.
Kühne Träume einer absolutistischen Welt, Empfangsäle Gottes –
und ein Himmel voller Gnaden. Auch für die Unzulänglicheit des
sterblichen Menschen: Der „Himmel auf Erden“.
Das barocke Deckenfresko
Freskomalerei ist Wandmalerei auf frischem
Kalkputz aufgetragen. Die Farben, mit Wasser
angerührt, ziehen in den Kalk ein, verbinden sich
mit ihm unlöslich und blättern nicht ab.
„Fresco“ ist italienisch und heißt frisch. Der Maler muss sehr schnell arbeiten, solange
der Kalk feucht ist. Das währt nicht länger
als einen Tag. Deshalb wird täglich nur so viel
Kalkmörtel angetragen, dass dieses Tagespensum
vom Maler bewältigt wird.
Die Hand des Malers muss sicher sein. Denn der nasse Kalk schluckt die Farben
sofort; ändern ist kaum möglich.
Mehrfaches Übermalen mit frischer Farbe aber
„ist eine Sudelei“, sagt eine alte Malanweisung.
Die Maler zeichnen ihre Entwürfe auf sog.
Kartons, legen diese auf den Verputz und
übertragen die Umrisse auf die Wand.
Wichtig: Die Farbe muss dunkler genommen
werden, denn sie hellt auf, wenn sie trocknet.
Die Leistung der Maler ist enorm. Heben Sie den Kopf, schauen Sie zu den
Kuppelgemälden und Deckenfresken der
Barockkirche. Hier oben waren sie auf Gerüsten
pinselnah der Mörtelschicht. Dabei müssen
sie stets die Wirkung von unten – 20, 30 Meter
tiefer – im Auge haben. Am Feierabend haben
die Fresken-Zauberer dann steife Glieder … „Die Auferstehung“ Kuppelfresko in der Abteikirche Neresheim von Martin Knoller (1771)
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