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Die Aufnahmesituation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland Erste Evaluation zur Umsetzung des Umverteilungsgesetzes

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Die Aufnahmesituation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland

Erste Evaluation zur Umsetzung des Umverteilungsgesetzes

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 1

1. Rechtlicher Rahmen und zeitliche Einordnung 3

2. Methodik und Durchführung der Umfrage 4

3. Unterbringung 7

4. Verfahrensdauer 12

5. Gesundheitsversorgung 14

6. Fachkräfte und Qualifizierungsmaßnahmen 15

7. Prüfung der Verteilfähigkeit 17

8. Beteiligung der Minderjährigen 18

9. Das Verhalten der Minderjährigen zur Verteilung 20

10. Informationsweitergabe 22

11. Bildungszugang und Spracherwerb 24

12. Asylantragsstellung und Registrierung 27

Fazit: Handlungsbedarfe und -möglichkeiten 29

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1 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

Einleitung

Seit dem 1. November 2015 werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) 1– ähnlich wie Erwachsene – über eine Quotenregelung bundesweit verteilt. Kom-munen, in denen bisher keine umF betreut wurden, müssen seitdem die notwen-dige Infrastruktur aufbauen – von Wohngruppen über Bildungsangebote bis hin zu Therapiemöglichkeiten und der Qualifizierung und Schulung von Personal.

Um die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes zur vorläufigen Inobhutnahme und Umverteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu erfassen, hat der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) eine bundesweite Online-Umfrage durchgeführt, an der 1.400 Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe teilgenommen haben. Abgefragt wurden u.a. Informationen und Einschätzungen zur Situation der Minderjährigen im Verteilverfahren sowie wäh-rend der vorläufigen Inobhutnahme (vorl. IO) nach § 42a SGB VIII, der regulären Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII (IO) und in den Anschlussmaßnahmen nach §§27 ff SGB VIII. Neben der Erhebung von quantitativen Merkmalen wurden auch qualitative Einschätzungen abgefragt.

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass gegenwärtig der vorgeschriebene gesetzli-che Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vielfach nicht umge-setzt wird. Ein großer Teil der geflüchteten Kinder und Jugendlichen wird nicht entsprechend gesetzlicher Standards versorgt und betreut. Viele der geflüchteten Kinder und Jugendlichen können ihr Recht auf Bildung, Teilhabe und Beteiligung nicht ausüben. Die Stationen und Verfahren zur vorläufigen Inobhutnahme, Ver-teilung, regulären Inobhutnahme und zur Bestellung eines Vormundes dauern länger als gesetzlich vorgesehen und vielerorts werden unbegleitete minderjäh-rige Flüchtlinge lediglich notversorgt, da es an der erforderlichen Infrastruktur in der Jugendhilfe fehlt.

Viele tausend unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden volljährig, ohne dass weiterführende Hilfen eingeleitet, ein Asylantrag gestellt oder die Schule be-sucht wurde. In der Praxis gibt es viele Geschichten des Scheiterns, weil Hilfe und Unterstützung nicht dort ankommen wo sie gebraucht werden, Minderjährige mehrfach verteilt werden und/oder Fachkräfte keine Kapazitäten haben, sich um individuelle Probleme zu kümmern.

Die Umfrage zeigt, dass die „jugendhilferechtliche Zuständigkeit“ sehr heterogene Unterbringungs- und Versorgungsstrukturen beinhaltet, welche oftmals nicht den Standards der Jugendhilfe entsprechen. So waren viele unbegleitete minderjähri-ge Flüchtlinge u.a. in Gemeinschaftsunterkünften, Notunterkünften, Hotels, Hos-tels und Zelten oder bei nicht sorgeberechtigten Verwandten ohne Gewährung

1 Eine kritische Auseinandersetzung mit dem gesetzlich eingeführten Begriff „unbegleitete min-derjährige Ausländer“ finden Sie unter http://www.b-umf.de/images/Kritik_Begriff_umA.pdf

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2Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

von Hilfen zur Erziehung untergebracht. Zum Zeitpunkt der Umfrage befanden sich etwa 69.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und junge volljährige Geflüchtete in „jugendhilferechtlicher Zuständigkeit“. Mehr als 35.000 junge Ge-flüchtete zählten zu der Gruppe der vor Inkrafttreten des Gesetzes am 01.11.2015 Eingereisten. Diese befinden sich im „Altverfahren nach § 89d SGB VIII“, welche Hil-fen Letztere erhielten, ist nicht bekannt. Von der Gruppe der seit dem 01.11.2015 Eingereisten befanden sich über 20.000 junge Geflüchtete in der vorläufigen oder regulären Inobhutnahme und lediglich etwa 4.500 Minderjährige in Anschluss-maßnahmen der Jugendhilfe bzw. über 8.300 in Hilfen für junge Volljährige.2

Unser Dank gilt allen Teilnehmenden an der Umfrage, die sich trotz starker Arbeits-belastung die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten. Und wir danken Per Holderberg vom Büro für sozial-, bildungs- und kulturwissenschaftli-che Forschungsmethoden des Instituts für Sozialwissenschaften der Stiftung Uni-versität Hildesheim, der die Konzeption und Auswertung der Umfrage fachkundig begleitet hat.

Berlin, Juli 2016

2 Zahlen vom 29.02.2016, vgl. http://www.b-umf.de/images/umf-jugendhilfe-bersicht.pdf.

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3 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

1. Rechtlicher Rahmen und zeitliche Einordnung

Am 15. Oktober 2015 wurde das „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Ver-sorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ (sog. Umvertei-lungsgesetz) vom Bundestag beschlossen und trat bereits zum 1. November 2015 in Kraft. Erst Ende September 2015 war beschlossen worden, den Zeitpunkt des Inkrafttretens vom ursprünglich geplanten Datum 01.01.2016 um zwei Monate vorzuziehen.

Es war aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit nicht zu erwarten, dass bereits der Beginn der Verteilung mit funktionierenden Strukturen stattfinden würde, die den geflüchteten Jugendlichen und den Kommunen gerecht werden konnten. Mit Beginn der Umverteilung konnten weder ausreichend qualifizierte Fachkräfte eingestellt, noch Jugendwohngruppen eröffnet, Schulplätze geschaffen oder Vor-münder und Dolmetscher_innen gefunden werden. Zum einen fehlten verlässli-che Daten und Prognosen bezüglich der zu erwartenden Zahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in den Kommunen, die bisher keinerlei Strukturen für die Aufnahme besaßen. Zum anderen fehlte es schlicht an der Zeit, die die Im-plementierung und Umsetzung völlig neuer Aufnahmestrukturen benötigt hätte.

Darüber hinaus beinhaltet das Gesetz erhebliche Verschlechterungen für junge Geflüchtete, welche bereits im Vorfeld der Gesetzesänderung von Kinder-, Jugend- und Flüchtlingsrechtsorganisationen kritisiert wurden.3 So soll vor der Verteilung keine rechtliche Vertretung bestellt werden, wodurch Familienzusammenführun-gen innerhalb Deutschlands für die Minderjährigen noch schwerer durchsetzbar werden als bisher. Die Zuständigkeiten der Jugendämter sind hierbei außerdem nicht eindeutig geregelt. Zudem sind in Fachkreisen umstrittene medizinischen Verfahren explizit als mögliche Alterseinschätzungsverfahren vorgesehen – auch wenn in jedem Fall vorher eine qualifizierte Inaugenscheinnahme stattfinden muss. Im Rahmen des Gesetzes wurde außerdem die Handlungsfähigkeit von 16 auf 18 Jahre angehoben. Auch wenn dieser Schritt die Kinderrechte stärken sollte, hat das unter anderem zur Folge, dass Jugendlichen, die einen Asylantrag stellen wollen, abhängig von dem Verhalten des Jugendamtes bzw. des Vormunds sind. Diese rechtlichen Problemlagen kollidieren zusätzlich mit der Handlungsunsicher-heit, fehlender Infrastruktur und Erfahrung in der Arbeit mit umF in den Kommu-nen, die sich in kürzester Zeit neu auf die Aufnahme und Unterbringung von umF einrichten müssen.

3 Eine Sammlung der Stellungnahmen und Kritik des BumF sowie weiterer beteiligter Verbän-de und Organisationen zum Gesetzgebungsverfahren findet sich hier: http://www.b-umf.de/de/themen/umverteilung.

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4Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

2. Methodik und Durchführung der Umfrage

Der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hat vom 8. bis 29. Februar 2016 eine bundesweite Online-Umfrage unter Fachkräften der Kin-der- und Jugendhilfe durchgeführt. Für die Verbreitung wurde die umfassende Vernetzung des BumF mit den Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe genutzt (Mitgliedsorganisationen, Schulungsteilnehmer_innen, Newsletter, Homepage, Facebook, Mailinglisten). Insgesamt nahmen 1.403 Fachkräfte teil. Online-Umfra-gen sind grundsätzlich nicht repräsentativ, da u.a. ausgewählte Verbreitungskanä-le, die Voraussetzung der Internetnutzung sowie der selbstselektive Prozess unter den erreichten Fachkräften die Teilnahme beschränken. Obwohl dadurch unter den Fachkräften keine repräsentative Zufallsstichprobe gezogen wurde, kann auf-grund der großen Zahl von Teilnehmenden kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse weitgehend repräsentativ sind.

Insgesamt haben 1.403 Personen an der Umfrage teilgenommen. Legt man die Bevölkerungszahl der einzelnen Bundesländer zugrunde, verteilen sich die Teil-nehmenden weitgehend gleichmäßig auf das gesamte Bundesgebiet. Weit über-wiegend nahmen Betreuer_innen an der Umfrage teil, sie stellten 55,3% der Teil-nehmenden. Danach folgten Mitarbeitende des Allgemeinen Sozialen Dienstes (12,6%) und Vormünder und Vormundinnen (10,8%). Eine weitere relevante Grup-pe waren Fachkräfte der Leitungsebene (6,2%) und auch eine relevante Anzahl von Ehrenamtlichen (5,2%) hat an der Umfrage teilgenommen.

4,9%

1,0%

1,7%

2,4%

5,2%

6,2%

10,8%

12,6%

55,3%

Andere

Mediziner_in / Psycholog_in

Pflegefamilie

Lehrer_in/Schulsozialarbeiter_in

Ehrenamtliche_r

Leitungsfunktion

Vormund

Allgemeiner Sozialer Dienst

Betreuer_in

Funktion der Teilnehmenden

Abb. 1: Arbeitsbereiche der Teilnehmenden

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5 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

Bei vielen Antworten sind große regionale Unterschiede im Antwortverhalten der Teilnehmenden zu verzeichnen. Dies deutet darauf hin, dass die Umverteilung regional sehr unterschiedlich umgesetzt wird. Eine detaillierte Auswertung nach Bundesländern ist jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich, da in den einzelnen Bundesländern nicht immer ausreichend Teilnehmende erreicht wurden. Bundesländerspezifische Aussagen können entsprechend lediglich Ten-denzen aufzeigen und erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Mitarbeitende des ASD und Betreuer_innen haben in vielen Fragen eine unter-schiedliche Problemwahrnehmung, etwa bei der Einschätzung zur Dauer der ein-zelnen Verfahren:

Während Mitarbeitende des ASD überdurchschnittlich stark von einer kürzeren Dauer der vorl. IO ausgehen, schätzen Betreuer_innen diese besonders lang ein. Nur 28,8% der ASD Mitarbeitenden gehen davon aus, dass die vorläufige Inobhut-nahme regelmäßig länger als einen Monat dauert, aber 53,7% der teilnehmenden Betreuer_innen aus Jugendhilfeeinrichtungen nahm dies an.

Auch bei der Einschätzung der Dauer von der Veranlassung bis zur gerichtlichen Vormundschaftsanordnung und -bestellung zeigt sich eine ähnliche Differenz. So gehen knapp 50% der Betreuer_innen von einer Frist von mehr als vier Wochen aus, jedoch nur knapp 34% der ASD Mitarbeitenden.

9,8%

15,9

%

37,9

%

19,7

%

9,1%

7,6%

2,7% 5,

7%

30,3

%

25,0

% 28,7

%

7,7%

0%

10%

20%

30%

40%

Kürzer alseine Woche

Kürzer alszwei Wochen

Kürzer alseinen Monat

Kürzer alszwei Monate

Länger alszwei Monate

Weiß nicht

Dauer der vorläufigen Inobhutnahme

ASD Betreuer_in

Abb. 2: Unterschiedliche Wahrnehmung von ASD und Betreuer_innen in der Einschätzung der Dau-er der vorläufigen Inobhutnahme

Insgesamt führen die Unterschiede dazu, dass die voneinander abweichenden Angaben von ASD Mitarbeitenden und Betreuer_innen in der Gesamtauswertung gegenseitig relativieren, wobei die Betreuerinnen stärker ins Gewicht fallen, da sie mit 55% die größte befragte Gruppe darstellen.

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6Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

17,0

%

16,1

%

27,7

%

29,5

%

5,4% 7,

1%

3,8% 7,

6%

24,4

%

33,3

%

14,4

% 19,5

%

0%

10%

20%

30%

40%

weniger alseine Woche

weniger alszwei Wochen

weniger alseinen Monat

weniger alsdrei Monate

mehr als dreiMonate

weiß nicht

Dauer der Vormundschaftsbestellung

ASD Betreuer_in

Abb. 3: Unterschiedliche Wahrnehmung von ASD und Betreuer_innen in der Einschätzung der Dau-er der Vormundschaftsbestellung

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7 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

3. Unterbringung

„UMFs werden immer noch nicht nach Jugendhilfestandards untergebracht oder betreut: Mehrbettzimmer [bei Minderjährigen] über 12 Jahre, viel ambulante Betreuung anstatt stationärer Jugendhilfe. Die Idee der schnellen Abfertigung über eine GU ist sehr dominant.“ Teilnehmer_in aus Bayern

Fast die Hälfte der Teilnehmenden gibt an, dass unbegleitete Minderjährige so-wohl im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme als auch im Anschluss daran in Notunterkünften, Hostels oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht wer-den. Bei diesen Unterbringungsformen muss davon ausgegangen werden, dass wesentliche Standards der Kinder- und Jugendhilfe nicht eingehalten werden, da die Einrichtungen für die Aufnahme von erwachsenen Geflüchteten i.d.R. über kei-ne Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII verfügen (§ 44 Abs. 3 AsylG).

Unterbringung während der vorläufigen InobhutnahmeZwar ist die klassische Inobhutnahmeeinrichtung immer noch die am häufigsten genutzte Unterbringungsform. Doch schon jetzt ist die zweithäufigste Unterbrin-gungsform eine Inobhutnahmeeinrichtung ausschließlich für die vorläufige In-obhutnahme. Damit koppelt sich die vorläufige Inobhutnahme institutionell von der Inobhutnahme ab. Zu fast 60% werden jedoch Einrichtungen genutzt, welche Jugendhilfestandards i.d.R. nicht einhalten wie etwa Notunterkünfte und andere temporäre Strukturen (31,4%), Hostels (15,5%) sowie Gemeinschaftsunterkünfte für erwachsene Asylsuchende (12,6%). Diese Entwicklung ist besorgniserregend.

0,2%

12,6%

13,1%

15,5%

16,1%

31,4%

39,2%

39,8%

53,1%

Andere

Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber_innen

Gastfamilien/ Pflegefamilien

Hotel, Hostel oder Jugendherberge

Verwandte

Notunterkunft, temporäre Unterbringung

Sonstige stationäre Jugendhilfeeinrichtung

Inobhutnahmeeinrichtung nur für die vorl. IO

Reguläre Inobhutnahmeeinrichtung

In welcher Art von Unterkunft sind die Jugendlichen im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme untergebracht?

Abb. 4: Art der Unterkunft während der vorläufigen Inobhutnahme

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8Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

Da die Unterbringungsstrukturen der vorl. IO in den einzelnen Bundesländern sehr divers sind, waren bei dieser Frage Mehrfachangaben möglich. Die darge-stellten Ergebnisse zeigen somit die Bandbreite an Unterbringungsstrukturen, die zum Zeitpunkt der Umfrage für umF genutzt wurden. Im gesamten Bundesgebiet hängt die Qualität der Versorgung und Betreuung von umF damit vielfach vom Zufall ab. Von der Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft für erwachsene Asylsuchende bis hin zur Unterbringung in temporären Strukturen wie Hostels, Jugendherbergen und Notunterkünften ist nahezu überall alles möglich. Die fol-gende Graphik stellt, aufgeschlüsselt nach Bundesländern, die Unterbringung in den verschiedenen Einrichtungen der Jugendhilfe der Unterbringung in solchen Einrichtungen gegenüber, welche die zentralen Standards der Jugendhilfe zum Schutz des Kindeswohles regelmäßig nicht erfüllen.

70,4

%

76,0

%

83,3

%

75,0

%

75,0

%

54,0

% 63,3

% 75,0

%

63,1

%

59,0

%

66,1

%

62,5

%

56,3

%

47,1

%

40,0

%

31,8

%

61,6

%

11,1

%

16,0

%

16,7

%

16,7

%

17,9

%

22,2

%

23,3

%

25,0

%

26,7

%

27,2

%

30,3

%

31,3

%

32,0

%

32,4

%

40,0

% 54,5

%

26,9

%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Unterbringung während der vorläufigen Inobhutnahme

Unterbringung in der Jugendhilfe (Reguläre Inobhutnahmeeinrichtung,Inobhutnahmeeinrichtung in vorl. IO, sonstige stationäre Jugendhilfeeinrichtung)

Unterbringung in Notunterkünften, Hotels, Hostels, Jugendherbergen undGemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber_innen

Abb. 5: Unterbringung während der vorläufigen Inobhutnahme nach Jugendhilfe und Notunterkünf-ten / Gemeinschaftsunterkünften

Die Erhebung zeigt außerdem, dass die Unterbringung in Notunterkünften beson-ders häufig in Berlin, Bayern und Hamburg stattfindet.4 Im Saarland, Hessen und

4 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde auf die detaillierte graphische Darstellung zu den

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9 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

Bremen werden besonders viele temporäre Einrichtungen wie Hotels, Hostels und Jugendherbergen zur Unterbringung genutzt. Interessant ist auch, dass in allen östlichen Bundesländern mit Ausnahme Berlins die Unterbringung in Gemein-schaftsunterkünften für Asylsuchende besonders hoch ist. Berlin hat insgesamt den geringsten Anteil von Teilnehmenden, die angeben, dass Jugendhilfeeinrich-tungen genutzt werden. Weniger als ein Drittel der Teilnehmenden geben hier an, dass eine der drei Jugendhilfeformen zur Unterbringung genutzt werden. Damit wird in der Umfrage auch die häufig als katastrophal beschriebene Versorgungsla-ge von Flüchtlingen in Berlin abgebildet.

Unterbringung nach der Inobhutnahme„Ein Problem […] ist, dass die verteilten Jungs/ Mädchen öfters noch in Notunterkünfte kommen, anstelle von Wohngruppen. Die Folge ist, dass sie wieder zurück in unsere Einrichtung kommen.“ Teilnehmer_in aus Bayern

Bei der Frage, welche Unterbringungsmöglichkeiten bei den Anschlussmaßnah-men genutzt werden, zeigt sich ein sehr ähnliches Bild. Klassische Jugendhilfel-eistungen im Rahmen der Hilfe zur Erziehung u.a. werden zwar nach Angabe von fast allen Teilnehmenden der Umfrage gewährt. Neben Heimerziehung werden insbesondere auch andere betreute Wohnformen und die Unterbringung in Pfle-gefamilien als Vollzeitpflege häufig genutzt. Sehr viel häufiger als bei der vorl. IO werden jedoch Einrichtungen genutzt, die nicht den Standards der Jugendhilfe entsprechen. So gaben gegenüber der vorl. IO doppelt so viele Teilnehmende der Umfrage an, dass Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende als Anschlussmaß-nahme an die Inobhutnahme genutzt werden (24% zu 12,6%). Auch die Unterbrin-gung bei Verwandten ohne die hiermit verbundene Gewährung von Hilfen zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege wird von einem Drittel der Teilnehmenden der Umfrage als Betreuungsform genannt, während bei der vorläufigen Inobhut-nahme nur 16% der Teilnehmenden diese „Betreuungsform“ angeben. Dabei wird häufig grds. verkannt, dass auch die Verwandten als Pflegestelle in Betracht kom-men, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Sogar bei der Unterbringungsart Ho-tels/Hostels/Jugendherbergen ist die Nutzung für Anschlussmaßnahmen deutlich häufiger als während der vorläufigen Inobhutnahme (21,6% zu 15,5%). Lediglich die Notunterbringungen und die Unterbringung in temporären Strukturen ver-ringert sich im Vergleich zur vorläufigen Inobhutnahme (31,4% zu 22,6%). Und dennoch werden Notunterkünfte nach Angabe von fast einem Viertel der Teilneh-menden als Anschlussmaßnahme genutzt.

Rund die Hälfte der Teilnehmenden gibt außerdem an, dass Gast- bzw. Pflegefa-milien im Anschluss an die Inobhutnahme genutzt werden. Diese Form der Be-treuung wird seit Jahren individuell als Anschlussmaßnahme eingesetzt, wobei

einzelnen Unterbringungsformen in den Bundesländern verzichtet.

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10Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

die hohen Standards der Vollzeitpflege Schutz und Sicherheit für die geflüchteten Jugendlichen absichern – und nicht zuletzt auch den Familien Handlungssicher-heit vermitteln. Die Ergebnisse der Umfrage des BumF deuten darauf hin, dass Gast- und Pflegefamilien aktuell vermehrt als Anschlussmaßnahme eingesetzt werden. Fraglich ist dabei, ob die etablierten Standards für Gast- und Pflegefa-milien weiterhin eingehalten werden.5 Auf diesen Faktor soll im Folgenden näher eingegangen werden.

90,5%

70,5%

22,6%

49,6%

32,2%

21,6%

24,0%

1,3%

Jugendwohngruppen

Betreutes Wohnen

Notunterkünfte

Pflegefamilien/Gastfamilien/Verwandtenpflege(HzE)

Verwandte (ohne HzE)

Hotels/ Hostels/ Jugendherbergen

Gemeinschaftsunterbringungen fürAsylbewerber_innen

Andere

Welche Unterbringungs- und Betreuungsformen werden nach der Inobhutnahme genutzt?

Abb. 6: Unterbringungs- und Betreuungsformen in den Anschlussmaßnahmen

Gastfamilien als Anschlussmaßnahme„Alle Kommunen suchen Gastfamilien, wollen aber keine Jugendhilfestandards bezahlen. JuMeGa Gastfamilien sind ihnen zu teuer, stattdessen werben sie mit deren Standards, erfüllen sie danach aber nie.“ Teilnehmer_in aus Niedersachsen

„Anschlussmaßnahmen gerade in Gastfamilien, werden nicht von den Betreuern der Inobhutnahme ambulant weiter mit begleitet, da die Stadt diese Maßnahmen trennt und hierfür andere Träger wählt, dadurch geht wichtiges Wissen verloren und der Jugendliche steigt erneut in ein neues Terrain ein, ohne vertraute und stabilisierende Bezugspersonen.“ Teilnehmer_in aus Nordrhein-Westfahlen

5 Vgl. hierzu die Stellungnahme des BumF vom März 2016: http://www.b-umf.de/images/Gastfamilien-_Hilfsbereitschaft_nutzen_oder_ausnutzen.pdf

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Dass bei rund der Hälfte der Teilnehmenden Gast- bzw. Pflegefamilien als Anschlus-smaßnahmen genutzt werden spricht dafür, dass diese Unterbringungsform deut-lich zunimmt. Fast 62% aller Teilnehmenden konnten jedoch keine Angaben zu der Frage machen, ob bei Gastfamilien die gleichen Standards Anwendung finden wie bei Pflegefamilien. Das deutet darauf hin, dass bislang bei allen Beteiligten kaum Erfahrungen über die Arbeit mit Gastfamilien vorliegen. Hier zeigt sich eine bedenkliche Diskrepanz zwischen dem Umfang der Anwendung einer Maßnahme und dem Wissen über dieselbe. Zum Thema Gastfamilie besteht dringender Auf-klärungs- und Fortbildungsbedarf, um abzusichern, dass es sich beim Modell der Gastfamilie nicht um eine schleichende Auslagerung der umF aus den Strukturen der Jugendhilfe mit ihren Mechanismen zum Schutz des Kindeswohles handelt.

Die Ergebnisse legen nahe, dass die regulären Strukturen der Jugendhilfe sowohl während der vorläufigen Inobhutnahme als auch für Anschlussmaßnahmen ge-nutzt werden. Daneben finden jedoch vielfältige Maßnahmen statt, in denen Ju-gendhilfestandards nicht – bzw. nur eingeschränkt gelten. Hier sind weitere Un-tersuchungen zur Qualität dieser Maßnahmen nötig. Die offenen Rückmeldungen aus der Umfrage deuten jedoch an, dass hier mit einer deutlichen Absenkung von Standards bei der Unterbringung von umF gegenüber vergangenen Jahren ge-rechnet werden muss.

Aus den Beobachtungen des BumF sowie der Auswertung der qualitativen Ab-frage im Rahmen dieser Umfrage ergibt sich hier ein Paradoxon: Während umF in temporären Notstrukturen, Gemeinschaftsunterkünften und in nicht etablierten Maßnahmen (u.a. Gastfamilien) untergebracht werden, haben etablierte Einrich-tungen der abgebenden Länder durch die Umverteilung z.T. massive Probleme aufgrund fehlender Belegung, was zu einem Rückbau von qualifizierten Struktu-ren führt. Dies beschreibt u.a. eine Fachkraft aus Hessen:

„Es wurden im vergangenen Jahr in unserem Landkreis von anderen Trägern (ohne Erfahrungen mit UMF) in Kooperation mit dem Jugendamt Notkonstrukte geschaffen. Nun ist das Gesetz früher in Kraft getreten, die prophezeiten Zuweisungen innerhalb Hessens sind ausgeblieben. […] Da das Jugendamt diese Notkonstrukte selbst angemietet und ein Objekt sogar gekauft hat, ist zu vermuten, dass diese vorrangig belegt werden, wenn es zu 34er-Maßnahmen kommt. (…) Es ist nicht zu vertreten, dass Notkonstrukte belegt werden, wenn Plätze in Jugendhilfeeinrichtungen mit den entsprechenden (und notwendigen!!) Standards frei sind.“ Teilnehmer_in aus Hessen

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12Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

4. Verfahrensdauer

Dauer von vorläufiger Inobhutnahme und Inobhutnahme„Es gibt aktuell noch immer Jugendliche die seit mittlerweile 4(!) Monaten bei uns in der Notaufnahme wohnen und noch immer im Unklaren darüber sind, ob sie noch verteilt werden (u.U. wieder eine Notaufnahmestelle) oder nicht.“ Teilnehmer_in aus Baden-Württemberg

Das SGB VIII setzt eine Frist von einem Monat zur Durchführung des Verteilungs-verfahrens ab Beginn der vorl. IO (§ 42b (4)). Bis zum 31. Dezember 2016 ist eine Verlängerung der Ausschlussfrist um einen Monat möglich, doch „[in] diesem Fall hat das Jugendamt nach Ablauf eines Monats nach Beginn der vorläufigen Inob-hutnahme die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen.“ (§ 42d (3) SGB VIII).

Ein Viertel der Teilnehmenden geht entgegen der gesetzlichen Vorgaben davon aus, dass allein die vorläufige Inobhutnahme in der Regel länger als zwei Monate dauert. Bei der sich anschließenden Inobhutnahme gehen 37,5% der Teilnehmen-den davon aus, dass sie länger als drei Monate dauert. Das bedeutet, dass in vielen Fällen zwischen Ankunft und Beginn einer Anschlusshilfe in der aufnehmenden Kommune mehr als fünf Monate vergehen. Für die Minderjährigen ist das vielfach verlorene Zeit, da vor einer finalen Zuweisung an einen Bezirk oder Kommune eine Regelbeschulung, Perspektivabklärung, aufenthaltsrechtliche Schritte und Vormundschaftsbestellung oft nicht stattfinden.

4,6% 8,

0%

31,3

%

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%

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2,0% 2,2%

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% 37,5

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30,8

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% 17,1

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0%

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30%

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Kürzer als eineWoche

Kürzer als zweiWochen

Kürzer alseinen Monat

Kürzer als dreiMonate

Länger als dreiMonate

Weiß nicht

Dauer der Verfahren

Wie lange dauert die vorläufige Inobhutnahme in der Regel?

Wie lange dauert es in der Regel, bis die Inobhutnahme beendet wird und eineAnschlussunterbringung erfolgt?Wie lange dauert in der Regel die Vormundschaftsbestellung durch dasFamiliengericht?

Abb. 8: Dauer der Verfahren. Bei der vorläufigen Inobhutnahme wurde gefragt, ob sie kürzer oder länger als ZWEI Monate sei, bei den übrigen beiden Fragen wurde nach DREI Monaten gefragt.

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13 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

An dieser Stelle sei noch einmal auf die sehr verschiedene Einschätzung zur Dau-er der Verfahren durch ASD Mitarbeitende und Betreuer_innen hingewiesen (vgl. Abb. 2 und 3). Nur 28,8% der ASD Mitarbeitenden gehen davon aus, dass die vor-läufige Inobhutnahme regelmäßig länger als einen Monat dauert, aber 53,7% der teilnehmenden Betreuer_innen.

Dauer der Vormundschaftsbestellung„Unsere Gerichte brauchen viel zu lange, um Vormundschaftsbeschlüsse zu erlassen, so dass es fortwährend zur Ausübung einer Doppelrolle als ASD und gesetzlicher Vertreter kommt, was einen Interessenkonflikt darstellt.“ Teilnehmer_in aus Brandenburg

Auch das familiengerichtliche Verfahren zur Anordnung der Vormundschaft und Bestellung eines Vormunds dauert lange, mehrheitlich über einen Monat. Hier-durch verzögern sich Asylantragsstellung und Aufenthaltssicherung und in der Folge auch der volle Zugang zu Integrationsmöglichkeiten. Zudem wird die Fami-lienzusammenführung durch die lange Verfahrensdauer verzögert und ein grds. möglicher Familiennachzug in der Regel verhindert . Die Vorschrift, dass bei Über-schreitung der Frist von einem Monat ein Vormund auch während der vorläufigen Inobhutnahme zu bestellen ist (§ 42d (3) SGB VIII), dürfte den Minderjährigen in der Praxis damit wenig helfen.

6,6%

10,8%

25,5%

30,8%

11,9%

weniger als eine Woche

weniger als zwei Wochen

weniger als einen Monat

weniger als drei Monate

mehr als drei Monate

Durchschnittliche Dauer der Vormundschaftsbestellung

Abb. 9: Durchschnittliche Dauer der Vormundschaftsbestellung

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14Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

5. Gesundheitsversorgung

„Während der vorläufigen Inobhutnahme, die je nachdem bis zu 30-40 Tagen andauern kann, wird keine Erstuntersuchung mit Lungenröntgen [und] Blutabnehmen mehr durchgeführt. Der Schutz für Mitarbeiter und die Jugendlichen selbst ist nicht gewährleistet!“ Teilnehmer_in aus Hessen

„Kein Clearing, nur eine medizinische Notversorgung, keine Infektiologische oder Immunologische Sichtung/Betreuung, obwohl extra ein medizinisches Clearinghaus […] eingerichtet wurde.“ Teilnehmer_in aus Bayern

Obwohl während der vorläufigen Inobhutnahme das Jugendamt die Gesund-heitsversorgung der Minderjährigen gewährleisten muss, geben nur die Hälfte der Teilnehmenden an, dass die Minderjährigen sämtliche notwendigen medizini-schen Leistungen nach Bedarf erhalten. Ein Drittel der Teilnehmenden gibt sogar an, dass keine Untersuchung auf Infektionskrankheiten erfolgt, so wie sie eigent-lich gesetzlich vorgeschrieben ist. Und 59% der Teilnehmenden geben an, dass keine Schutzimpfungen während der vorläufigen Inobhutnahme erfolgen. Das ist eine dramatische Mangelversorgung, die in erster Linie die Minderjährigen selbst, aber auch die vielen Mitarbeitenden gefährdet. Entsprechend verzweifelt sind hier auch die Rückmeldungen der Fachkräfte im qualitativen Teil der Umfrage (s.o.).

1,5%

2,3%

15,9%

39,8%

40,7%

50,7%

68,5%

76,7%

kein Zugang zu medizinischen Leistungen

Andere

Psychotherapeutische Versorgung

Zahnärztliche Behandlung

Schutzimpfungen

Sämtliche notwendigen medizinischen…

Untersuchung auf Infektionskrankheiten

Akutbehandlungen

Welche Art der Gesundheitsversorgung wird während der vorläufigen Inobhutnahme geleistet?

Abb. 10: Gesundheitsversorgung während der vorläufigen Inobhutnahme, Mehrfachnennungen möglich

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15 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

6. Fachkräfte und Qualifizierungsmaßnah-men

Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden hat weniger als ein Jahr Berufserfahrung, knapp ein Drittel sogar weniger als sechs Monate. Einerseits scheint die Jugendhil-fe im Bereich umF damit viele neue Mitarbeitende gewonnen zu haben. Anderer-seits besteht hier bei fehlenden Qualifizierungsangeboten die Gefahr einer Depro-fessionalisierung und schleichenden Standardabsenkung in der Jugendhilfe, da den neuen Fachkräften spezifisches Fachwissen u.a. im Asyl- und Aufenthaltsrecht und im Vormundschaftswesen fehlt. Zudem fehlt es mancherorts schlichtweg an Erfahrung in der Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe.

Fachkräftemangel„Das Personal der Kinder- und Jugendhilfe ist nicht ausreichend auf die Arbeit vorbereitet, es fehlt an Fortbildungen, es fehlt an Eigeninitiative, es fehlt an Vielem...“ Teilnehmer_in aus Mecklenburg-Vorpommern

Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden haben weniger als ein Jahr Berufserfah-rung mit jungen Geflüchteten, knapp ein Drittel sogar weniger als sechs Monate. Dieser Anteil ist je nach Bundesland sehr verschieden. In den drei Bundesländern Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben über 80% der Teilnehmenden weniger als ein Jahr einschlägige Berufserfahrung. Das ist kein Zufall, denn in den Bundesländern gab es, gefolgt von Thüringen, bislang die we-nigsten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Demgegenüber gaben in den traditionellen Aufnahmeländern für umF Hessen, Bayern, Saarland, Bremen und Hamburg unter 40% der Teilnehmenden an, über weniger als ein Jahr Berufserfah-rung zu verfügen. Eine Ausnahme bildet Berlin. Obwohl das Land seit Jahren umF aufnimmt, gibt es hier verhältnismäßig viele Teilnehmende mit geringer Berufser-fahrung.

29,6%

22,3%16,2%

16,2%

15,7%

Arbeitserfahrung der Teilnehmenden mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtingen

Weniger als 6 Monate Weniger als 1 JahrWeniger als 2 Jahre Weniger als 5 JahreAbb. 11: Arbeitserfahrung der Teilnehmenden mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

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16Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

Fehlende Qualifizierungsmaßnahmen„Es sind kaum Fachdienste verfügbar und es gibt keine kostenlosen Fortbildungsmöglichkeiten und Workshops zur Arbeit mit umf im Umkreis.“ B Teilnehmer_in aus Bayern

Über 40% der Teilnehmenden gaben an, dass es zu wenig einschlägige Fortbil-dungsangebote für die Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt.

7,9%

21,8%

26,8%

24,2%

16,4%

2,8%

trifft zu

trifft eher zu

teils/teils

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu

Weiß nicht

Es gibt genügend Angebote zur Qualifizierung und Fortbildung

Abb. 12: Angebote zur Qualifizierung und Fortbildung

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17 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

7. Prüfung der Verteilfähigkeit

„Um eine Kindeswohlgefährdung oder Verwandtschaftsverhältnisse zu prüfen, bedarf es mehr Zeit als 7 Werktage. Das ist viel zu kurz.“ Teilnehmer_in aus Hessen

„Es werden Jugendliche verteilt, obwohl sie im zusendenden Landkreis Familienangehörige haben. Andere Jugendämter teilten dazu mit, dies sei kein Verteilungshindernis.“ Teilnehmer_in aus Brandenburg

„[Die] Verlegungsfähigkeit wird immer festgestellt, selbst bei Selbstverletzungen, Androhungen von Suizid usw.“ Teilnehmer_in aus Hessen

Viele Jugendämter können ihren Prüfauftrag nach § 42a Abs. 2 SGB VIII nur unzu-reichend erfüllen. Nur 34,5% der Teilnehmenden geben an, dass oft oder immer eine ärztliche Stellungnahme zur gesundheitlichen Situation und Ansteckungsge-fahr des Minderjährigen vor der Verteilung eingeholt wird, obwohl diese vorge-schrieben ist. Nur rund die Hälfte der Teilnehmenden gibt an, dass oft oder immer eine Einschätzung der Verteilfähigkeit durch eine pädagogische Fachkraft erfolgt. Und auch die vorgesehene Zusammenführung mit Familienangehörigen findet vielfach nicht statt. Dies wird insbesondere auch in den offenen Rückmeldungen der Fachkräfte kommentiert (s.o.)

26,8

%

18,6

%

9,7%

4,2%

30,3

%

11%

12,1

%

7,7%

15,0

%

10,8

%

43,4

%

11%

6,4%

19,0

%

28,1

%

23,6

%

9,1% 14

%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

nie selten teils/teils oft immer Weiß nicht

Prüfung der Verteilfähigkeit

Es wird eine ärztliche Stellungnahme im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahmeeingeholt, die Aufschluss über die Verteilfähigkeit gibtDie Verteilfähigkeit des Minderjährigen bei der vorläufigen Inobhutnahme wird durcheine qualifizierte Einschätzung einer pädagogischen Fachkraft bewertetEine Familienzusammenführung mit Familienangehörigen, die in einer anderen Kommunewohnhaft sind, wird durchgeführt

Abb. 13: Prüfung der Verteilfähigkeit

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18Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

8. Beteiligung der Minderjährigen

„[Es] müsste viel mehr Zeit da sein, um ihnen mit einem Dolmetscher die Situation und was als nächstes passiert erklären zu können. […] Ein Kollege erzählte, dass drei Jungs im Auto auf dem Weg in die Jugendhilfeeinrichtung verängstigt aus dem Fenster schauten und, als sie den Wald sahen, fragten, ob sie ins Gefängnis gebracht werden.“ Teilnehmer_in aus Niedersachsen

„ Wenn die Jugendlichen sich weigern, wird ihnen gesagt dass sie aus der Jugendhilfe fliegen. […] Es wird nicht auf ihre persönlichen Ängste und Wünsche Rücksicht genommen.“ Teilnehmer_in aus Hessen

Tragendes Prinzip bei der vorläufigen Inobhutnahme sollte die Information und Beteiligung des/der Minderjährigen bei allen Schritten und Einschätzungen sein (§ 42a (3) SGB VIII). Nur etwa ein Viertel der Teilnehmenden geht jedoch davon aus, dass die Minderjährigen oft oder immer ausreichend über die Verteilung in-formiert sind und darauf vorbereitet werden. Nach Einschätzung des BumF steht dies in unmittelbarem Zusammenhang mit der Angabe von einem Fünftel der Teil-nehmenden, dass, dass die Minderjährigen sich oft oder immer weigern, an dem Verteilverfahren teilzunehmen.

6,7%

25,5

%

25,1

%

13,5

%

14,1

%

15%

7,5%

25,9

%

29,5

%

18,8

%

1,0%

17%

0%

10%

20%

30%

40%

nie selten teils/teils oft immer weiß nicht

Beteiligung des Minderjährigen bei der Verteilung

Die Minderjährigen werden ausreichend über die Verteilung informiert und daraufvorbereitet

Minderjährige, die der Verteilung unterliegen, weigern sich, verteilt zu werden

Abb. 14: Beteiligung des Minderjährigen bei der Verteilung

Nur 19% der Teilnehmenden geben an, dass die Aussage, die Interessen und Be-dürfnisse der Minderjährigen werden bei der Entscheidung über die Verteilung angemessen berücksichtigt, zutrifft oder eher zutrifft. Ebenso wenige können der Aussage zustimmen, dass die Verteilung dazu beiträgt, das Kindeswohl besser

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19 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

durchzusetzen. Die Umsetzung des Gesetzes läuft damit insbesondere bei der Fra-ge der Beteiligung junger Geflüchteter dem Ziel und Zweck des Gesetzes zuwider, durch die Verteilung das eine kindeswohlgerechte Unterbringung zu garantieren Kindeswohl zuwider. Dabei besteht nach § 8 SGB VIII allgemein und nach § 42a Abs. 2 und Abs. 3 sowie § 42 Abs. 2 SGB VIII die Verpflichtung der Jugendämter, die Interessen der Minderjährigen zu berücksichtigen, und sie bei der Entscheidungs-findung zu beteiligen.

5,9%

13,7

%

25,8

%

24,9

%

18,8

%

11,1

%

4,8%

14,1

%

25,8

%

20,9

%

17,4

%

17,0

%

0%

10%

20%

30%

40%

trifft zu trifft eher zu teils/teils trifft ehernicht zu

trifft nicht zu Weiß nicht

Bedürfnisse des Minderjährigen und Kindeswohl

Die Interessen und Bedürfnisse des Minderjährigen werden bei der Entscheidungüber die Verteilung angemessen berücksichtigt

Die Verteilung trägt dazu bei, dass das Kindeswohl besser durchgesetzt wird

Abb. 15: Berücksichtigung der Bedürfnisse des Minderjährigen und des Kindeswohls bei der Verteilung

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20Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

9. Das Verhalten der Minderjährigen zur Ver-teilung

„[Die] Kinder/ Jugendlichen [werden] oft zur Verteilung gedrängt und wenn sie dann nicht in eine gute, langfristige Einrichtung kommen, sind sie frustriert.“ Teilnehmer_in aus Bayern

„Häufige Wiederkehr von ängstlichen, stark frustrierten Jugendlichen aus den Folgeunterbringungen in die Inobhutnahmestellen […]. Das Frustrationslevel ist unter allen Beteiligten stark gestiegen.“ Teilnehmer_in aus Baden-Württemberg

In der Gesetzesbegründung heißt es: „Verweigert sich das Kind oder der Jugendli-che der Durchführung eines Verteilungsverfahrens und ist aufgrund seines seeli-schen Zustands zu befürchten, dass eine Durchführung der Verteilung entgegen dieser starken Ablehnungshaltung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer (Re-)Traumatisierung führen kann, ist beispielsweise ebenfalls von der Durchführung des Verteilungsverfahrens abzusehen“ (BT-Drs. 18/ 5921 S.23). In der Umfrage wur-de gefragt, inwiefern sich die geflüchteten Jugendlichen der Durchführung der Verteilung entziehen bzw. an den Ort der vorläufigen Inobhutnahme zurückkeh-ren. Rund die Hälfte der Befragten gab an, dass sich die Minderjährigen nur selten oder nie der Inobhutnahme entziehen, ein Viertel gab hingegen an, dass dies teil-weise der Fall sei. Davon gaben etwa 12% an, Minderjährige kehrten oft an den Ort der vorläufigen Inobhutnahme zurück und knapp ein Drittel der Befragten teilt die Einschätzung, dass dies zumindest teilweise der Fall sei.

6,8%

45,9

%

25,9

%

5,7%

0,1%

15%

9,5%

28,4

%

27,9

%

12,2

%

0,5%

21%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

nie selten teils/teils oft immer Weiß nicht

Reaktion der Minderjährigen auf die Verteilung

Minderjährige entziehen sich der Inobhutnahme

Minderjährige kehren an der Ort zurück, an dem sie vor der Verteilung vorläufigin Obhut genommen wurden

Abb. 16: Reaktion der Minderjährigen auf die Verteilung

Page 23: Die Aufnahmesituation unbegleiteter minderjähriger …...November 2015 werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) 1– ähnlich wie Erwachsene – über eine Quotenregelung

21 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

Bei der Frage, ob die Minderjährigen mit der Situation unzufrieden seien, gaben lediglich 20% der Teilnehmenden an, dass die Minderjährigen nicht oder eher nicht unzufrieden seien. 40% der Befragten gaben an, dass dies zumindest teilwei-se der Fall ist. Knapp 35% schätzten ein, dass die Minderjährigen eher unzufrieden oder unzufrieden sind.

12,8%

22,1%

40,0%

15,2%

4,9%

5,0%

trifft zu

trifft eher zu

teils/teils

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu

Weiß nicht

Die Minderjährigen sind mit der Situation unzufrieden

Abb. 17: Unzufriedenheit der Minderjährigen

Page 24: Die Aufnahmesituation unbegleiteter minderjähriger …...November 2015 werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) 1– ähnlich wie Erwachsene – über eine Quotenregelung

22Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

10. Informationsweitergabe

„[…] Es gibt wenig Informationen bzw. Kenntnisse über die nachfolgende Unterbringung bzw. Betreuung.“ Teilnehmer_in aus Niedersachsen

„Aufnehmende Träger erwarten, dass Jugendliche an Bestimmungsort gebracht werden, d.h. neben mehreren Kreisen/Städten sind zusätzlich unterschiedliche Einrichtungen anzufahren; Mitteilung erfolgt teils erst am Tag der Reise.“ Teilnehmer_in aus Schleswig-Holstein

„Die Kontaktaufnahme mit den aufnehmenden Jugendämtern gestaltet sich in einigen Fällen schwierig, was dazu beiträgt, dass sich die Verteilung oftmals zeitlich verzögert.“ Teilnehmer_in aus Mecklenburg-Vorpommern

Es gibt entgegen den gesetzlichen Vorgaben in § 42a Abs. 5 Nr. 2 SGB VIII offen-bar einen eklatanten Mangel an Kommunikation und Datenweitergabe zwischen abgebendem und aufnehmendem Jugendamt im Rahmen des Verteilverfahrens. Nur 27% der Teilnehmenden gaben an, dass oft oder immer das aufnehmende Ju-gendamt umfassende Informationen über das bisherige Aufnahmeverfahren und die Kindeswohlprüfung erhält. Und sogar nur 11% der Teilnehmenden können der Aussage zustimmen, dass oft oder immer ausreichende Informationen über die aufnehmenden Stellen und die dort verfügbaren Leistungen vorliegen. Bedarfs-orientierte Hilfen sind bei fehlender Transparenz und Kommunikation zwischen den verantwortlichen Behörden nicht möglich. Das bedeutet natürlich auch, dass die Minderjährigen nicht angemessen beraten und informiert werden können.

17,5

%

34,5

%

21,7

%

7,7%

3,8%

15%

3,3%

18,6

%

26,2

%

13,1

%

14,2

%

25%

0%

10%

20%

30%

40%

nie selten teils/teils oft immer weiß nicht

Informationsweitergabe zwischen aufnehmenden und abgebenden Jugendämtern

Es liegen ausreichende Informationen über die aufnehmenden Stellen und die dortverfügbaren Leistungen vorIm Zuge der Verteilung erhält das aufnehmende Jugendamt umfassende Informationenüber das bisherige Aufnahmeverfahren und die Kindeswohlprüfung

Abb. 18: Informationsweitergabe zw. aufnehmenden und abgebenden Jugendämtern

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23 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

Über ein Viertel der Minderjährigen wird zudem nach Aussage der Teilnehmen-den entgegen der Vorgaben in § 42a Abs. 5 Nr. 1 SGB VIII bei der Verteilung nicht begleitet und es findet keinerlei persönliche Übergabe statt. Die Erkenntnisse aus dem Erstscreening gehen verloren und die Jugendlichen müssen die verschiede-nen Stadien der Verteilung Aufnahme- und Registrierungsprozedere mehrfach wiederholen, was zu zusätzlichen Belastungen führt für die Betroffenen führt und das Verfahren insgesamt erheblich verzögert. Die Gefahr, Kinder und Jugendliche in dieser im Ergebnis „reinen Warteschleife“ zu verlieren, ist sehr hoch, was sich u.a. in den steigenden Zahlen vermisster Flüchtlingskinder der letzten Monate gezeigt hat.

36,1%

31,5%

6,7%

25,7%

Von wem wird der Minderjährige üblicherweise bei der Verteilung begleitet

Fachkraft derInobhutnahmeeinrichtung

Fachkraft des Jugendamtes

Ehrenamtliche Begleitung

Keine Begleitung durch einequalifizierte Person

Abb. 19: Von wem wird der Jugendliche üblicherweise bei der Verteilung begleitet?

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24Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

11. Bildungszugang und Spracherwerb

„[…] in den meisten Fällen (aktuell in 10 von 12!) ist kein Schulbesuch möglich (Dauer der Verfahren, nicht genügend Schulplätze); - u.a. dadurch findet weder ein organisierter Sprach- und Kulturerwerb, noch der Aufbau von Sozialkontakten und Integration statt.“ Teilnehmer_in aus Sachsen-Anhalt

„Die Jugendlichen, die dann in der vorläufigen Inobhutnahme sind, haben kein (!!!!) Anrecht auf Beschulung, wenn das nicht von der Einrichtung, Ehrenamtlichen o.ä. getragen wird, findet bis dato auch noch kein Deutscherwerb statt!“ Teilnehmer_in aus Niedersachsen

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Bildungszugang während der vorläufi-gen und der regulären Inobhutnahme nur eingeschränkt möglich ist und in vielen Fällen lediglich durch Ehrenamtliche in Form von Spracherwerb am Ort der Unter-bringung stattfindet. Dies ist angesichts der Dauer des gesamten Inobhutnahme-verfahrens problematisch. Die Minderjährigen warten so vielerorts sehr lange, bis sie einen regulären Schulplatz erhalten und oft verhindert das Überschreiten des schulpflichtigen Alters eine reguläre Beschulung.

Dies stellt weitere „verlorene Zeit“ in der Biographie der Jugendlichen dar und ver-hindert ihr Ankommen und ihre Integration nachhaltig. Die de facto Verwehrung des elementaren sozialen Menschenrechts auf Bildung birgt die Gefahr, den jun-gen Menschen auf Dauer den gesellschaftlichen und sozialen Zugang mit entspre-chenden Folgen zu verwehren.

Die Hälfte der Befragten gibt an, dass während der vorläufigen Inobhutnahme kein Bildungszugang stattfindet. Rund ein Drittel gibt an, dass dies auch während der regulären Inobhutnahme der Fall ist.

17,7

%

18,1

%

50,2

%

1,1%

22,2

%

28,3

%

29,8

%

2,8%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

ehrenamtlichorganisierter

Bildungzugang

hauptamtlichorganisierter

Bildungszugang

Es findet keinBildungszugang statt

Andere

Bildungszugang während der vorläufigen und regulären Inobhutnahme

vorläufige IO reguläre IO

Abb. 20: Bildungszugang währende der vorläufigen und regulären Inobhutnahme

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25 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

Bildung findet für den weit überwiegenden Teil der Minderjährigen nach Angabe der Befragten am Ort der Unterbringung statt: Dies ist bei der vorläufigen Inob-hutnahme bei 23% der Fall, bei der regulären Inobhutnahme sogar bei 31,2%.

23,4

%

21,7

%31,2

% 38,6

%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

Am Ort der Unterbringung In anderen Einrichtungen/beiBildungsträgern

Bildungsort während der vorläufigen und regulären Inobhutnahme

vorläufige IO reguläre IO

Abb. 21: Bildungsort während der vorläufigen und regulären Inobhutnahme

Spracherwerb

Der Spracherwerb konzentriert sich räumlich noch stärker auf den Ort der Unter-bringung: Dies ist bei der vorläufigen Inobhutnahme bei knapp 65% der Fall, bei der regulären Inobhutnahme noch bei 55,5%.

Die räumliche Konzentration von Bildung und Spracherwerb auf den Ort der Un-terbringung ist problematisch, da die Jugendlichen den Ort der Unterbringung somit vielerorts im Tagesverlauf in der Regel nicht verlassen. Somit erschwert auch diese Praxis die Integration der Jugendlichen deutlich. Solche Angebote sollten deshalb lediglich als Übergangs- oder sog. Brückenangebote zum Übergang in die Regelangebote fungieren und mithin nur von vorübergehender Dauer sein.

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26Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

40,9

%

41,9

%

11,3

%

2,7%

40,1

% 46,8

%

7,0%

2,1%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Ja, ehrenamtlichorganisiert

Ja, hauptamtlichorganisiert

Es findet keinSpracherwerb statt

Andere

Spracherwerb während der vorläufigen und regulären IO

vorläufige IO reguläre IO

Abb. 23: Spracherwerb während der vorläufigen und regulären Inobhutnahme

Beim Spracherwerb ist zudem sowohl für die vorläufige als auch für die reguläre Inobhutnahme die Bedeutung des Ehrenamtes hervorzuheben. 40% der Teilneh-menden gaben an, dass der Spracherwerb (auch) ehrenamtlich organisiert sei – Mehrfachnennungen waren möglich, so dass es sich nicht um Ausschließlichkeit handelt. Etwa gleich viele Teilnehmende gaben an, dass der Spracherwerb durch Hauptamtliche erfolgt.

64,7

%

38,8

%

55,5

%

54,8

%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

Am Ort der Unterbringung In anderen Einrichtungen/beiBildungsträgern

Ort des Spracherwerbs während der vorläufigen und regulären IO

vorläufige IO reguläre IO

Abb. 22: Ort des Spracherwerbs während der vorläufigen und regulären Inobhutnahme, Mehrfach-nennungen möglich

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27 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

12. Asylantragsstellung und Registrierung

„Asylantragstellung erfolgt erst nach Bestellung des Amtsvormunds. Da dies sehr lange dauert, verlieren die Minderjährigen wichtige Zeit im Antragsverfahren, insbesondere, wenn sie zeitnah volljährig werden.“ Teilnehmer_in aus Hessen

Das frühzeitige Stellen von Asylanträgen ist u.a. für die Entscheidung über den Asylantrag und die Familienzusammenführung sowie den Familiennachzug aber auch für möglicherweise drohende Abschiebungen (sog. Dublin-Überstellungen) besonders bedeutend.

Zudem ist selbstverständlich aus pädagogischer Sicht anzustreben, dass Min-derjährige möglichst frühzeitig Gewissheit über ihre Aufenthaltsperspektive in Deutschland erhalten, um möglichst frühzeitig auch bspw. bestehende Traumata bearbeiten zu können Aber nur 21% der Teilnehmenden geben an, dass im Rah-men der vorläufigen Inobhutnahme die Möglichkeit eines Asylantrags oft oder immer geprüft wird. Dabei hat die Bundesregierung mehrfach explizit auf diese Aufgabe der Jugendämter im Rahmen der vorläufigen inobhutnahme hingewie-sen.6 Und auch für die reguläre Inobhutnahme geben immer noch weit weniger als die Hälfte (40%) der Teilnehmenden an, dass die Prüfung stattfindet.

39,6

%

17,9

%

12,8

%

9,8% 11

,5%

8%

12,8

%

15,5

%

18,7

%

21,0

%

20,0

%

12%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

nie selten teils/teils oft immer Weiß nicht

Prüfung und ggf. Antragsstellung auf Asyl während der vorläufigen und regulären IO

vorläufigeIO reguläre IO

Abb. 24: Prüfung und ggf. Antragsstellung auf Asyl während der vorläufigen und regulären Inobhutnahme

6 Bundestag, 2016a: Beteiligung, Förderung und Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen durch die Kinder- und Jugendhilfe, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfra-ge der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Bt-Drs 18/7621, 22.02.2016.

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28Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

Auch die ausländerrechtliche Registrierung unterbleibt oft. 30% der Teilnehmen-den geben an, dass diese nie oder selten im Rahmen der vorläufigen Inobhutnah-me durchgeführt wird. Für die geflüchteten Jugendlichen hat das u.a. zur Folge, dass ihnen keine Duldung bzw. Aufenthaltsgestattung ausgestellt wird, was bei der Anrechnung von Aufenthaltszeiten für die Beendigung der Residenzpflicht nach drei Monaten, dem Anspruch auf Bleiberecht nach vier Jahren oder etwa die Bewilligung von Ausbildungsbeihilfen wie BAB oder BaFöG nach 15 Monaten fak-tisch Probleme bereiten kann.7 Hinzu kommt, dass die Minderjährigen ohne vor-herige ausländerrechtliche Registrierung Gefahr laufen, nach ihrem 18. Geburts-tag erneut im Rahmen des EASY-Verteilsystems für erwachsene Asylsuchende verteilt zu werden, wenn nach dem 18. Lebensjahr erst der Asylantrag gestellt wird

Nicht zuletzt können Minderjährige im Fall ihres Verschwindens ohne Registrie-rung kaum wieder aufgefunden werden, weil eine eindeutige Identifizierung nur selten möglich ist.

11,2%

8,4%

14,1%

19,1%

26,7%

21%

nie

selten

teils/teils

oft

immer

Weiß nicht

Eine ausländerrechtliche Regestrierung des Minderjährigen findet im Rahmen der

vorläufigen Inobhutnahme statt

Abb. 25: Ausländerrechtliche Registrierung im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme

7 Informationen zu den einzelnen Fristen: http://www.b-umf.de/de/themen/faq

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29 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

Fazit: Handlungsbedarfe und -möglichkeiten

In der allgemeinen Gesetzesbegründung zum sog. Umverteilungsgesetz betont die Bundesregierung das Primat der Kinder- und Jugendhilfe bzw. die Primärzu-ständigkeit des Jugendamtes für Erstversorgung, Unterbringung, Clearingver-fahren und an die Inobhutnahme anschließende Hilfeleistungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (vgl. BT-Drs. 18/ 5921, S.17-18). Es sei an dieser Stelle insbesondere darauf hingewiesen, dass auch während der vorläufigen Inobhut-nahme die Pflicht besteht eine dem Kindeswohl entsprechende, bedarfsgerechte Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Unterstützung des einzelnen unbe-gleiteten geflüchteten Minderjährigen zu gewährleisten. „Physisch und psychisch stark belasteten Kindern und Jugendlichen müssen deshalb auch bereits in der vorläufigen Inobhutnahme nicht nur Erstversorgung, sondern auch sozialpädago-gische Betreuung und ggf. auch therapeutische Hilfe gewährt werden.“ (Wiesner, §42a Rn 3, Nr. 12).

Die vorliegende Umfrage unter Fachkräften der Jugendhilfe zeigt, dass diesem Anspruch vielfach nicht Genüge geleistet wird. Die Versorgung und Betreuung von umF findet im Umverteilungsverfahren allzu oft nicht im Rahmen der Stan-dards der Jugendhilfe statt: Kinder und Jugendlich werden vielerorts in temporä-ren Behelfsstrukturen untergebracht, die nicht für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen geeignet sind; die vorläufige Inobhutnahme dauert länger, als gesetzlich vorgesehen ist. Auch das familiengerichtliche Verfahren in Sachen Vor-mundschaft dauert i.d.R länger, als es mit Kindeswohlerwägungen vereinbar wäre und vom Gesetzgeber des Umverteilungsgesetztes offensichtlich vorgesehen war. Die Gesundheitsversorgung während der vorläufigen Inobhutnahme ist in vielen Fällen mangelhaft; unter den Fachkräften herrscht ein eklatanter Mangel an spe-zifischem Fachwissen und Erfahrung, aber auch Qualifikationsangebote bestehen nicht in ausreichender Zahl. Aus Sicht der Fachkräfte fehlen die Voraussetzungen für eine wirkliche Prüfung, dahingehend, ob das Kindeswohl der Verteilung ent-gegensteht, um ihre Beteiligung im Verteilprozess sicherzustellen, sowie die sys-tematische Weitergabe der in der vorläufigen Inobhutnahme gewonnenen Infor-mationen zu gewährleisten.

Die lange Verfahrensdauer und die fehlende Beteiligung der geflüchteten Ju-gendlichen führen zu vielfältigen Problemen. In vielen Fällen vergeht zwischen Ankunft und Beginn einer Anschlusshilfe in der aufnehmenden Kommune über ein halbes Jahr. Für die Minderjährigen ist das vielfach verlorene Zeit, da vor ei-ner finalen Zuweisung an einen Bezirk oder Kommune eine Regelbeschulung, die Vormundschaftsbestellung und damit Perspektivabklärung und aufenthaltsrecht-liche Schritte oft nicht stattfinden. Hierdurch verzögern sich Asylantragsstellung und Aufenthaltssicherung und in der Folge auch der volle Zugang zu Integrations-möglichkeiten.

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30Vorläufige inobhutnahme und Verteilung

Für die Jugendlichen droht die vorläufige Inobhutnahme zu einer reinen „Warte-schleife“ im Verteilsystem zu werden. Die Ergebnisse zeigen, dass viele Jugendli-che im Verteilverfahren nur einen unzureichenden bzw. keinen Bildungszugang haben und ausschließlich in einer Wartesituation festhängen. Dies stellt nicht nur eine weitere „verlorene Zeit“ in der Biographie der Jugendlichen dar. Insbesondere die räumliche Konzentration von Bildung und Spracherwerb auf den Ort der Un-terbringung ist problematisch, da die Jugendlichen den Ort der Unterbringung somit vielerorts im Tagesverlauf in der Regel nicht verlassen.

Die Umsetzung des Gesetzes läuft insbesondere bei der Frage der Beteiligung jun-ger Geflüchteter dem Kindeswohl zuwider. So sieht sowohl § 8 SGB VIII als auch Artikel 12 der UN Kinderrechtskonvention vor, dass Kinder und Jugendliche an-gemessen und entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife gehört werden und ihre Meinung in Gerichts- und Verwaltungsverfahren Berücksichtigung findet.

Es ist anzunehmen, dass viele Problemlagen aus dem beschleunigten Gesetzge-bungsverfahren und fehlender Vorlauffristen zur Umsetzung der Gesetzesände-rungen resultieren. Die Jugendhilfe steht vor der Herausforderung, zeitgleich die notwendige Infrastruktur zu schaffen und funktionierende Verfahren zu etablie-ren. Gerade bei Gesetzesänderungen und der Implementierung neuer Gesetze muss aber die Beachtung und Einhaltung des Kindeswohls entsprechend der gesetzlichen Vorgaben bei der Arbeit mit umF Vorrang haben. Unbegleitete min-derjährige Flüchtlinge sind eine besonders schutzbedürftige Personengruppe. Im Umgang mit den geflüchteten Jugendlichen dürfen deshalb weder Kostenkalku-lationen noch administrative Überlegungen das Primat des Schutzes und der Be-achtung des Kindeswohles ablösen.

Die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen im Umverteilungsgesetz sind zu knapp bemessen, um Verteilfähigkeit und Kindeswohl vollumfänglich und unter Betei-ligung der geflüchteten Jugendlichen zu prüfen. Gleichzeitig ist ein längerer Ver-bleib von Minderjährigen in der vorläufigen Inobhutnahme mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren, solange die Unterbringung in Einrichtungen erfolgt, welche den Standards der Jugendhilfe regelmäßig nicht entsprechen und Beteiligung der Jugendlichen, Kommunikation unter den relevanten Stellen, Gesundheitsversor-gung sowie Bildung nicht gewährleistet sind.

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31 BundesfachverBand unBegleitete Minderjährige flüchtlinge e.v.

Handlungsbedarfe

Aus den Ergebnissen der Umfrage lassen sich vor diesem problematischen Hinter-grund abschließend folgende dringende Handlungsbedarfe und -möglichkeiten für eine kindeswohlgerechtere Umsetzung des Umverteilungsgesetzes identifizie-ren:

• Die Beteiligung und umfassende Information der Minderjährigen über das Verteilverfahren muss sichergestellt werden. Hierzu ist die zeitnahe Einset-zung einer rechtlichen Vertretung eine notwendige Voraussetzung.

• Verteilhindernisse müssen identifiziert und beachtet werden, dem Anspruch von Minderjährigen auf Verteilung zu Verwandten und Bezugspersonen muss dabei systematisch Genüge geleistet werden.

• Zwischen allen beteiligten Behörden, Ämtern, Einrichtungen und Einzelperso-nen muss ein transparenter und funktionierender Informationsfluss gesichert werden, der die Minderjährigen in allen relevanten Entscheidungen und Fra-gen einbezieht.

• Eine vollumfassende Gesundheitsversorgung muss bundesweit gewährleistet werden.

• Vorhandene Strukturen und Kapazitäten müssen bei der Verteilung berück-sichtigt werden, damit aufgrund der Quotenregelungen etablierte Einrichtun-gen nicht leer stehen bzw. geschlossen werden müssen, während anderswo Notunterkünfte belegt werden.

• Einrichtungen, in denen umF untergebracht werden, müssen Jugendhil-festandards entsprechen und den Bedürfnissen der Minderjährigen gerecht werden. Eine Verteilung in Notunterkünfte und Gemeinschaftsunterkünfte muss ausgeschlossen werden.

• Anschlussunterbringungen (Wohnungen und Hilfen für junge Volljährige) müssen ausgebaut werden, damit in den Jugendhilfeeinrichtungen Plätze für Neuankommende entstehen und junge Volljährige gleichzeitig nicht in Ge-meinschaftsunterkünften für Asylsuchende untergebracht werden.

• Das Angebot an Qualifizierungen und Schulungen in Aufenthaltsrecht, Ju-gendhilferecht und Sozialrecht muss ausgebaut werden und Jugendämter müssen personell bedarfsgerecht ausgestattet werden.

• Die Zusammenführung mit Angehörigen, bzw. die Verteilung an Zielorte der Jugendliche in denen sich Bezugspersonen oder Angehörige befinden, muss einheitlich und mit Geltung für das Asyl- und Aufenthaltsrecht geregelt wer-den und durch einen entsprechenden Rechtsanspruch im SGB VIII abgesichert werden.

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Impressum

Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V.Paulsenstr. 55/5612163 Berlin

Tel.: 030 / 82 09 7 - 430E-mail: [email protected]

Mehr Informationen unter: www.b-umf.de

Berlin, Juli 2016Gefördert mit Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) und terre des hommes