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1 Die Geschichte der Redaktion von Mk 6,14 – 29 parr Pfarrer i. R. Ernst Kleucker 2017 Die Evangelien sind keine in sich glatten Texte, sondern wirken holprig zusammen- gestückelt. Beim literarkritischen Rückwärtsfragen werden ältere Vorlagen erkennbar, die aber auch nicht wirklich zusammenpassen. A. Schweitzer spricht in diesem Zusammenhang von „chaotischem Durcheinander“ *). Vor bald 100 Jahren stellt R. Bultmann am Ende seiner „Geschichte der synoptischen Tradition“ die Frage nach der „Geschichte der Redaktion“ der einzelnen synoptischen Evangelien**), legt eine solche Arbeit aber später für keines vor. In Anlehnung an ihn prägt W. Marxsen vor 60 Jahren den Begriff der „Redaktionsgeschichte“; sie beginnt für ihn bei Mk als dem ältesten Evangelium allerdings erst bei dessen „Endredaktion“. Die Möglichkeit einer in sich geschlossenen V o r geschichte klammert er von vornherein aus***). Bei den insgesamt vielfältigen Bemühungen um das Werden der Evangelien fällt auf, dass das hilflose Scheitern an deren chaotischem Durcheinander nicht als solches problematisiert wird. Entsprechend wird auch nicht nach einer speziellen literar- kritischen Methode gesucht es aufzulösen. Hier soll dazu eine methodische Anleihe bei den Psychotherapeuten probiert werden, die mit chaotischem Durcheinander vertraut sind und ein Verfahren entwickelt haben, sich daran verstehend heranzutasten. Sie erfragen, was ihren chaotischen Klienten seit der Geburt alles passiert ist und versuchen einzufühlen, zu welchen Reaktionen das bei ihnen geführt hat. Dieser Ansatz lässt sich auf den Umgang mit chaotischen Texten übertragen. Er bedeutet, die Evangelien nicht nur von ihrer Endgestalt her rückwärts zu befragen, sondern sie auch von ihrem ersten Aufschreiben, ihrer Geburt an, bei den späteren Bearbeitungen zu begleiten. Da die Evangelien aus Einzeltexten zusammengestückelt sind, kann ein solches Unterfangen nicht erst beim Verfassen eines ganzen Evangeliums beginnen, sondern muss schon beim ersten Formulieren eines möglichst ursprünglichen Einzeltextes einsetzen. Für einen solchen Versuch bietet sich besonders die v o r christliche +) und darum vermutlich besonders ursprüngliche Novelle von der auch zeitgenössisch überlieferten Enthauptung Johannes des Täufers an, die in Mk 6,14-29 in ihrer ältesten erhaltenen Fassung vorliegt. Für die Redaktions g e s c h i c h t e dieses schmalen Ausschnittes gibt die exegetische Literatur, die bisher notgedrungen o h n e Klärung der Vorgeschichte der Evangelien arbeitet, nur wenig her. Überdies steht dieser vorchristliche Text nicht gerade im Mittelpunkt des Interesses der Exegeten. Bei den Untersuchungen dazu klammert etwa auch J. Ernst im ersten „redaktionsgeschichtlichen Teil“++) seiner umfangreichen Arbeit über Johannes den Täufer zu Mk 6,14-29+++) wie Marxsen die Geschichte der Redaktion von vornherein aus und beschränkt sich auf die (letzte) Redaktion bzw. „vorliterarische Traditionsschichten“++). *) A. Schweitzer: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 9. Aufl. Tübingen 1984, S. 403. **) R. Bultmann: Die Geschichte der synoptischen Tradition, 4. Aufl. Göttingen 1958, S. 347f. ***) W. Marxsen: Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, 2. Aufl. Göttingen 1959, S. 11, 15f. +) Cf R. Bultmann a. a. O. S. 328f. ++) J. Ernst: Johannes der Täufer, Berlin 1989, S. 3. +++) J. Ernst: a. a. O. S. 25ff; cf auch S. 253ff.

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Die Geschichte der Redaktion von Mk 6,14 – 29 parr

Pfarrer i. R. Ernst Kleucker 2017

Die Evangelien sind keine in sich glatten Texte, sondern wirken holprig zusammen-gestückelt. Beim literarkritischen Rückwärtsfragen werden ältere Vorlagen erkennbar,die aber auch nicht wirklich zusammenpassen. A. Schweitzer spricht in diesemZusammenhang von „chaotischem Durcheinander“ *). Vor bald 100 Jahren stelltR. Bultmann am Ende seiner „Geschichte der synoptischen Tradition“ die Frage nachder „Geschichte der Redaktion“ der einzelnen synoptischen Evangelien**), legt einesolche Arbeit aber später für keines vor. In Anlehnung an ihn prägt W. Marxsen vor 60Jahren den Begriff der „Redaktionsgeschichte“; sie beginnt für ihn bei Mk als demältesten Evangelium allerdings erst bei dessen „Endredaktion“. Die Möglichkeit einer insich geschlossenen V o r geschichte klammert er von vornherein aus***).

Bei den insgesamt vielfältigen Bemühungen um das Werden der Evangelien fällt auf,dass das hilflose Scheitern an deren chaotischem Durcheinander nicht als solchesproblematisiert wird. Entsprechend wird auch nicht nach einer speziellen literar-kritischen Methode gesucht es aufzulösen. Hier soll dazu eine methodische Anleihe beiden Psychotherapeuten probiert werden, die mit chaotischem Durcheinander vertrautsind und ein Verfahren entwickelt haben, sich daran verstehend heranzutasten. Sieerfragen, was ihren chaotischen Klienten seit der Geburt alles passiert ist und versucheneinzufühlen, zu welchen Reaktionen das bei ihnen geführt hat. Dieser Ansatz lässt sichauf den Umgang mit chaotischen Texten übertragen. Er bedeutet, die Evangelien nichtnur von ihrer Endgestalt her rückwärts zu befragen, sondern sie auch von ihrem erstenAufschreiben, ihrer Geburt an, bei den späteren Bearbeitungen zu begleiten. Da dieEvangelien aus Einzeltexten zusammengestückelt sind, kann ein solches Unterfangennicht erst beim Verfassen eines ganzen Evangeliums beginnen, sondern muss schonbeim ersten Formulieren eines möglichst ursprünglichen Einzeltextes einsetzen. Füreinen solchen Versuch bietet sich besonders die v o r christliche+) und darumvermutlich besonders ursprüngliche Novelle von der auch zeitgenössisch überliefertenEnthauptung Johannes des Täufers an, die in Mk 6,14-29 in ihrer ältesten erhaltenenFassung vorliegt.

Für die Redaktions g e s c h i c h t e dieses schmalen Ausschnittes gibt die exegetischeLiteratur, die bisher notgedrungen o h n e Klärung der Vorgeschichte der Evangelienarbeitet, nur wenig her. Überdies steht dieser vorchristliche Text nicht gerade imMittelpunkt des Interesses der Exegeten. Bei den Untersuchungen dazu klammert etwaauch J. Ernst im ersten „redaktionsgeschichtlichen Teil“++) seiner umfangreichen Arbeitüber Johannes den Täufer zu Mk 6,14-29+++) wie Marxsen die Geschichte der Redaktionvon vornherein aus und beschränkt sich auf die (letzte) Redaktion bzw. „vorliterarischeTraditionsschichten“++). *) A. Schweitzer: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 9. Aufl. Tübingen 1984, S. 403.**) R. Bultmann: Die Geschichte der synoptischen Tradition, 4. Aufl. Göttingen 1958, S. 347f.***) W. Marxsen: Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums,

2. Aufl. Göttingen 1959, S. 11, 15f. +) Cf R. Bultmann a. a. O. S. 328f. ++) J. Ernst: Johannes der Täufer, Berlin 1989, S. 3.+++) J. Ernst: a. a. O. S. 25ff; cf auch S. 253ff.

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2Der Text des Erstredaktors (E 1) - im Mk

Die Erzählung in 6,14-29 wirkt im jetzigen Kontext im Grunde unnötig, wurde alsozuerst in einem anderen Zusammenhang formuliert. Dieser lässt sich nur von seinemursprünglichen Text her erarbeiten. So sind zunächst die nachträglichen Zusätzeauszuklammern.

Nachträgliche Zusätze in 6,14-166,14f: Die Novelle (6,17ff) wird in 6,14 und 6,16 zweimal mit dem akouein des Herodeseingeführt. 6,14f ist nicht ohne das Votum des Herodes in 6,16 denkbar, wohl aber 6,16 ohne6,14f. Letztere sind also nachträglich eingefügt. 6,16 ist der ältere Bestand. Sein Verfasserwird hier E 1 (von der Enthauptungsnovelle her ) genannt.

Im Text des E 1 lässt Herodes Jesus den Fortsetzer des Johannes nennen (E 1/6,16). Dabei E 1 im Blick auf Johannes nur von dessen Ruf zur metanoia die Rede ist (E 1/6,18),muss zuvor auch von einem entsprechendem Ruf Jesu die Rede gewesen sein. Das istnur in 1,1-15 der Fall.

Nachträgliche Zusätze in 1,1-151,1: Setzt E 1/6,16 Johannes und Jesus einander gleich, weiß E 1 noch nichts von JesuChristus-Titel. Der Satz kann darum erst nach E 1 eingefügt sein.

1,2bc stammt nicht von Jesaja. Mit dieser Erweiterung des Zitates wird Johannes alsWegbereiter Jesu eingefügt. Da E 1/6,16 nur von einer vorangehenden J e s u s - Erzählungweiß, ist der sich auf Johannes beziehende 1,2bc nachträglich zugesetzt.

1,4-11: Enthält E 1/1,2a.3 keine Angaben zu Johannes, dann stammen auch die sich aufJohannes beziehenden Sätze in 1,4-11 nicht von ihm.

1,12f: In 1,3 ist Jesus bereits in der Wüste, kann also nicht mehr dorthin getrieben werden.Die Sätze sind eine Zusammenfassung von Mt 4,1ff//Lk 4,1ff und nachträglich eingefügt.

In E 1/1,2a.3.14f ist der knappe Ausschnitt aus Jesaja die programmatische Überschrift:Bereitet den Weg des kurios ... (E 1/1,3). Bei Jesaja galt diese Forderung dem Volk, dassich vom kurios abgewandt hatte und darum mit Knechtschaft gestraft worden war.Damit war die Schuld aber auch vergeben (Jes. 40,2), so dass der euaggelizomenos demVolk Gottes nun sagen sollte: Idou kurios. Er kommt gewaltig, sein Arm wird herrschen… er wird seine Herde weiden ... (Jes. 40,9-11). Diese tröstende Botschaft überträgt E 1mit seinem Ausschnittzitat auf die derzeitige Knechtschaft nach dem verlorenen Kriegund lässt Jesus sagen: Peplerotai o kairos kai eggiken e basileia tou theou. Metanoeitekai pisteuete en to euaggelio (E 1/1,15).

Nach diesen einleitenden Sätzen müsste E 1 eigentlich über Jesu weiteres Wirkenkonkret berichten. Er schiebt aber zunächst die rückblickende Novelle vom Konfliktzwischen Herodes und Johannes ein (E 1/6,17-29). Sie wird mit gar eingeleitet (E 1/6,17), soll also das von E 1 formulierte Herodesvotum von Jesus als dem Joannesegerthe (E 1/6,16) begründen. Allerdings fehlt an ihrem Ende die entsprechende Pointe!Auf der Suche nach deren Verbleib findet sich im Mk nur eine dünne Spur. Der NameSalome, der in E 1/6,17ff ungenannten Tochter der Herodias, kommt auch in 15,40 und16,1 vor. Diese zweite Salome hat auch mit Jesu egeirein zu tun (16,6). Das führt zu derFrage, ob es bei E 1 einen Zusammenhang zwischen beiden Salomes gibt.

Exkurs: Die zweite Salome beim Toten (in 16,1-8)Die Erzählung vom leeren Grab Jesu folgt der von seiner Beerdigung (15,42ff). Drei Frauengehen zum Salben des schon Beerdigten (16,1f), obgleich Tote natürlich d a v o r gesalbtwerden*). Die Erzählung von der Beerdigung Jesu und die vom a n s c h l i e ß e n d e n

*) Cf Jh 19,39ff

Salben des Toten können nicht zusammengehören*), sondern müssen aus zwei

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3unterschiedlichen Zusammenhängen stammen. Da die beiden Marias zur Beerdigung gehören(15,47), kann es beim Salben des Toten (16,1) nur um Salome gehen. Auch in der Rede desneaniskos finden sich zwei unterschiedliche Sachverhalte. Er sagt zunächst etwas zur Situationim Grab (16,6); das richtet sich also an die beiden Marias. Danach formuliert er die Botschaftan die Jünger vom proagein des Toten eis ten Galilaian (16,7a ohne kai to petro). Das hat nichtunbedingt mit dem Grab zu tun und gehört darum wohl zur Salome-Erzählung.

Die Angaben in Mk in 16,1f.5-7a zu Salomes Absicht den Toten zu salben und zu der ihrvom neaniskos aufgetragenen Botschaft können so isoliert nicht tradiert worden sein.Sie sind das Bruchstück einer Erzählung. Folgt man der Spur des Salome-Namens undliest es als fehlendes Ende der Novelle des E 1, dann ergibt sich folgender Text: Als dieJünger des Johannes von dessen Enthauptung hörten, holten sie seinen Leichnam (E 1/6,29bis ptoma autou). Salome aber kaufte aromata (die Königstochter k a u f t ), umhinzugehen und ihn zu salben. Früh am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang (also v o rder Beerdigung) kam sie zum Grab (in E 1/16,1f). Da sprach sie ein neaniskos an: Gehund sage seinen (des Johannes) Jüngern: Proagei umas eis ten Galilaian (in E 1/16,5-7a).

In der so komplettierten Novelle geht es um Herodias und Salome sowie um dieEnthauptung und die Salbung. Beim mündlichen Tradieren dürften die beiden Frauenund die beiden Handlungen je nur in einer von zwei von E 1 zusammengearbeitetenErzählungen überliefert worden sein.

1. Exkurs: Die Novelle basiert zum Einen auf der Erzählung von der bösen Herodias. NachVolkes Meinung (es geht ja nur um Gerede zu einem historischen Geschehen) setzt sie ihrenMordwunsch durch und erzwingt von ihrem Mann das Haupt des Johannes.

2. Exkurs: Die Novelle basiert ferner auf der Erzählung von der guten Salome. Nach VolkesMeinung erbittet sie als Belohnung für ihr Tanzen die Herausgabe der Leiche des Johannes, diesie danach sogar salben geht. Diese Bekundungen ihrer Sympathie für den Toten sind derGrund, ihr die ermunternde Botschaft an dessen Jünger aufzutragen.

Sind die beiden Vorlagen des E 1 deutlich, lässt sich seine Arbeit beschreiben. DaJohannes und Jesus beide je die metanoia fordern, erklärt E 1 Jesus unter Bezug auf dieErzählung von der guten Salome zum Fortsetzer des Johannes (E 1/6,16). Dabei machter den dortigen „König“ (6,22f.25-27) sogar zum Sympathisanten des von ihmenthaupteten Johannes (E 1/6,20)! Danach kann E 1 die Freigabe von dessen Leiche zurBeerdigung nicht mehr als Belohnung für Salomes Tanzen berichten. Er rückt dieTochter darum an die Seite ihrer Mutter und lässt sie ebenfalls das Haupt des Lebendenfordern, das ihr aber in grauslicher Steigerung sofort epi pinaki gebracht werden soll!

Ergebnis: E 1/1,2a.3.14f; 6,16-29(bis ptoma autou); in 16,1f.5-7a sind der Anfang derTrostschrift des E 1. Er hat sie mit dichterischer Freiheit und Sinn für das Dramatischeverfasst. Ihm geht es um die metanoia und die nahe basileia tou theou. Warum er dieseThemen ausgerechnet Jesus in den Mund legt bleibt hier offen. - Mit diesen Sätzenkann die Schrift des E 1 eigentlich nicht enden (s. S. 13ff).

E 1 lässt Herodes Jesus zum (inhaltlichen) Fortsetzer des Johannes machen, ohne voneiner sonstigen Beziehung zwischen beiden zu berichten. Texte, in denen sich dieseZusammenstellung findet, dürften daher von E 1 abhängig sein. Auch bedeutet dieGleichheit zwischen beiden, dass Jesus bei E 1 noch keinen ihn über Johannesheraushebenden Titel hat.

*) Gleiches Ergebnis: R. Bultmann: Die Geschichte ... S. 308 unter Bezug auf Ed. Schwarz

1906.

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Der Text des Zweitredaktors (E 2) - im JhIm Verlauf der Untersuchung ergibt sich, dass im Jh die älteste auf E 1 basierendeSchrift erhalten ist. Bei dieser handelt es sich also um E 2.Johannes und Jesus (E 2 in Jh 1,1-34)

Nachträgliche Zusätze 1,8.15.19-28.30f.33: Neben der Aussage wer Johannes ist (1,6f), finden sich Voten wer ern i c h t ist. Er ist nicht das Licht, sondern bezeugt es nur (1,8*)). Er ist nicht der Christus(1,20), Elia oder der Prophet (1,21). Entsprechend macht er sich im Verhältnis zu Jesus klein(1,15*).30f) und ist nicht wert, die Schuhriemen dessen zu lösen, den er bezeugt (1,27).Auch tauft er (nur) mit Wasser (1,26.33). In dem hier auf Johannes bezogenen Jesaja-Zitat(1,22f) wird sein Wirken zur bloßen phone Jesu**). Entsprechend geht es im Streitgesprächmit den Pharisäern nicht um die marturia des Johannes (E 2/Jh 1,7), sondern um dessenTaufen (1,24-26.28). Diese Johannes abwertenden und seine marturia beiseite schiebendenSätze sind korrigierende Zusätze (E 2plus/Jh***) zu dem Johannes bejahenden Text des E 2.1,29.35f: Neben dem seherischen Schauen des Johannes auf Jesus (1,32) ist auch vomleibhaften S e h e n Jesu die Rede (1,29.35f). Es folgt per Stichwortanreihung auf das ganzanders gemeinte S c h a u e n und stammt erst von E 2plus/Jh.

E 2 beginnt seine Schrift mit dem auf Jesus bezogenen Logos-Prolog, der das bei E 1/Mk 1,3 auf Jesus bezogene Jesaja-Zitat ersetzt! Während E 1/Mk 1,14f danach mit demAuftreten Jesu beginnt, startet E 2 mit dem Wirken des Johannes, der wie bei E 1 vorJesus auftritt. Beide nehmen auch hier keinen Kontakt zueinander auf. Johannes ist fürE 2 ein anthropos apestalmenos para theou (E 2/1,6 - ähnlich E 1/Mk 6,20). Von denAngaben des E 1 zu Johannes entfallen das Votum des Herodes (E 1/Mk 6,16) und dieNovelle mit dem Ruf zur metanoia (E 1/Mk 6,17ff). Anders als bei E 1 ist Johannes fürE 2 nicht Jesus-gleich und hat diesem gegenüber auch keine eigenständige Rolle. Eltheneis marturian, ina marturese peri tou photos, damit alle durch ihn glauben (1,7). ImAnschluss an den Prolog stellt E 2 die ihm wichtige marturia des Johannes über Jesusbildhaft anschaulich dar: Tetheamei to pneuma katabainon os peristeran eks ouranoukai emeinen ep' auton (E 2/1,32). Kago eoraka kai memartureka oti outos estin o uiostou theou (E 2/1,34). Wie E 2 dazu kommt, Jesus als den (einen) uios tou theou, d. h. alsden logos zu verstehen+), bleibt offen (s. u.). - Nach dieser Einleitung müsste bei E 2wie nach E 1/Mk 6,29(bis ptoma autou) das konkrete Wirken Jesu folgen (s. u.).

Die weinende Maria Magdalena (E 2 in Jh 20,11-17)Bei der weiteren Untersuchung ergibt sich, dass in Jh 20,11-17 eine Dublette zu derErzählung von Salome beim toten Johannes (E 1/in Mk 16,1f.5-7a) erhalten ist.

Nachträgliche Zusätze 20,11b-14(bis tauta eipousa).15d-16b: Der Text enthält auffallende Doppelungen: Auf dieFrage der Engel an Maria M. nach dem Grund ihres Weinens (20,13d) erklärt sie, sie weine

*) R. Bultmann: Das Evangelium ..., S. 4, 29 macht unter Verweis auf W. Baldensperger,

1898, darauf aufmerksam, dass nicht nur 1,8.15, sondern 1,6-8.15 zugleich polemisch dieAutorität des Täufers bestreitet.

**) R. Bultmann: Das Evangelium …, S. 57 f versteht 1,22-24 als Interpolation eines(späteren) Redaktors.

***) E 2plus/Jh ist hier die Bezeichnung für die Gesamtheit der den Text des E 2/Jh nach-träglich durch Zusätze verändernden Redaktoren.

+) Zur Parallelisierung der beiden Titel logos und uios tou theou s. Bultmann: DasEvangelium… S. 11.

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wegen des fehlenden Leichnams. Allerdings weint sie schon bevor sie dessen Fehlen bemerkt(20,11a). Bei den beiden Fragen Jesu an Maria M. (20,15b.c) bezieht sich die eine ( ti klaeis)lediglich auf ihr Weinen (20,11a) und die andere (tina zeteis) auf ihr Weinen ob des fehlendenLeichnams (20,13d). Beim letzteren Thema geht es ebenso wie in der Begegnung mit denEngeln (20,12)*) und in der mit dem vermeintlichen Gärtner um die Betonung des l e i b -lichen egeirein Jesu. Das richtet sich gegen die Jesus/logos-Lehre, wie sie in 20,17 (me mouaptou … , oupo gar anabebeka …) deutlich wird. 20,11b-14(bis tauta eipousa).15d-16b sinddaher erst von E 2plus/Jh eingefügt.

Bei E 2 wird die am Grab weinende Maria M. von dem ihr unbekannten Jesus auf ihrWeinen angesprochen (E 2/20,14ab estraphe.15a-c). (Als logos) möchte er nicht von ihrberührt werden (E 2/20,17b). Er trägt ihr die Botschaft an seine Brüder auf (E 2/20,17).Mit der Ankündigung seines anabainein (an Stelle des proagein in E 1/Mk 16,7a) wirktdiese Erzählung als Dublette zu der neaniskos-Begegnung am Ende der Novelle des E 1/in Mk 16,1f.5-7a. Es ist darum nach dem Text der Vorlage des E 2 zu fragen.

Exkurs: Die Erzählung von der weinenden Maria M. Maria M. will den Toten (Johannes) nicht salben, sondern sie weint am Grab um ihn (20,1bismnemeion; 20,11a). Sie wird von Jesus auf ihr Weinen angesprochen. Er trägt ihr die Botschaftan seine Brüder auf. - Der hintergründige Inhalt dieser Dublette erschließt sich, wenn man siemit der zu vermutenden Fassung der sicher auch mündlich tradierten Novelle des E 1 ver-gleicht. Seit E 1 ist die Tochter der Herodias nicht mehr die Sympathisantin des Johannes,sondern dessen Mörderin. Ihr freundliches Salben des Toten ist darum entfallen. Wenn siedennoch um ihn weint, dann ist das Ausdruck ihrer Reue. Als reuige Mörderin heißt sie nichtmehr Salome (= Frieden), sondern Maria (Mirjam = die Bittere, die Salzwasser Tränende ?).Sie redet den ihr fremden Jesus unpersönlich mit Rabbuni an (20,16). Sein Botenauftrag an siebedeutet im Grunde die Vergebung. - Ob der Namenszusatz Magdalene schon aus dieser Quellestammt oder erst von E 3 (s. u.) in die Evangelien eingefügt wird, bleibt offen.

Der Jesus dieser Dublette ist (wie der neaniskos des E 1) aus dem Nichts da undentschwindet spurlos. Darum kann E 2 ihn als logos deuten (me mou aptou …) und dieBotschaft des neaniskos vom proagein umas eis ten Galilaian (E 1/Mk 16,7a) an dieseInterpretation anpassen: anabaino pros ton patera mou (20,17).

Ergebnis: Der untersuchte Text des E 2 basiert auf dem des E 1 und einer Dublette zudessen Salome-Novelle. Er bedeutet einen völlig neuen Ansatz. Er vermittelt nichts vonder Katastrophen-Situation des E 1 nach der Zerstörung des Tempels, sondern wirkt wieaus einer anderen Welt als rein theologischer Diskurs. Jesus und Johannes habendeutlich unterschiedene Rollen. Johannes ist (nur) der ( e i n e ) Zeuge derherausgehobenen Funktion Jesu. Dieser tritt aus dem Nichts auf und wird von Johannesals überirdischer uios tou theou/logos offenbart. Seine Erdenzeit endet mit demanabainein zu Gott. Das bedeutet, dass E 2 nichts von einem Tod Jesu weiß**)!

Die Benennung Jesu als uios tou theou ist in dieser Redaktionsgeschichte der erste ihnheraushebende Titel.

Zur weiteren Redaktionsgeschichte in den anderen EvangelienDas Wort arche (Jh 1,1) findet sich n a c h E 2 auch in den Anfängen der späteren Evangelien(E 4/Mk 1,1; Lk 1,2 sowie in Mt 1,1 als geneseos). Während Jesus bei E 2 schon am Anfangaus dem Nichts auftritt, erscheint er in den anderen Evangelien erst am Ende aus dem Nichts(Mt 28,9f.17; Lk 24,15.31.36) und verschwindet dann wieder. Mit dem den A n f a n gbetonenden logos-Prolog und dem am E n d e per anabainein pros ton patera entschwinden-den Jesus prägt E 2 den Rahmen der späteren Evangelien.

*) R. Bultmann: Das Evangelium ... S. 529 ist das Auftreten der Engel „gänzlich überflüssig“.**) Näheres dazu im Anhang S. 20.

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6Der Text des Drittredaktors (E 3) - im MtIm Verlauf der Untersuchung zeigt sich, dass im Mt eine Schrift enthalten ist, die aufden Texten des E 1 und des E 2 basiert. Damit handelt es sich um E 3.

Johannes und Jesus (in E 3/Mt 3,1-6.13-17) Die Erzählung vom Wirken des erwachsenen Jesus beginnt bei Mt wie bei E 2/Jh mitdem Auftreten des Johannes (3,1ff). Dieser marturei allerdings nicht peri tou photos(E 2/Jh 1,7), sondern ihm werden die Worte Jesu bei E 1/Mk 1,15 - leicht verändert - inden Mund gelegt: Metanoeite. eggiken gar e basileia ton ouranon (3,2). Johannes isthier also wie bei E 1/Mk 6,16, der erste Jesus. Entsprechend wird auch das Jesajazitatdes E 1/Mk 1,3 schon auf Johannes bezogen (3,3). Dabei wird eremos zum ersten Mallokal (3,4) interpretiert, so dass Johannes einen handfest irdischen Bezug erhält. Neu istauch von dessen Taufen die Rede (3,6 - E 1/Mk 6,24f spricht zwar von Johannes als demTäufer, aber nicht konkret von seinem Taufen). Das ist (bei E 3/Mt wohl nochunmittelbar) die Einleitung zur Taufe Jesu (3,13-17). Dieser kommt aus Galiläa zuJohannes (3,13), wo beide zum ersten Mal in dieser Redaktionsgeschichte einanderbegegnen. Vor der Taufe Jesu lässt E 3 Johannes die Frage aufwerfen, ob nicht eigentlichJesus ihn taufen müsste (3,14 - das bezieht sich auf E 2, dessen uios tou theou natürlichkeine Sünden begangen haben und bekennen kann und darum eher den Johannes taufenmüsste). Dagegen lässt E 3 Jesus erklären, dass er (als einer wie alle Menschen) pasandikaiosune zu erfüllen habe (3,15). Das, was Johannes bei E 2 in seiner marturia überJesus (himmlisch) schaut (E 2/Jh 1,32.34), erzählt E 3 bei der Jesus-Taufe als Worteeiner himmlischen Stimme, wobei er aus Jesus als dem e i n e n uios tou theou des E 2den uios agapetos unter dessen vielen Söhnen macht (3,17). Dieser Satz drückt für sichgelesen eine hohe Wertschätzung für Jesus aus. Im Vergleich zur Vorlage in E 2/Jh 1,34bedeutet er aber eine gezielte Herabsetzung! Jesus ist für E 3 wie für E 1 (gegen E 2)n u r ein Mensch wie andere.

Zur weiteren Redaktionsgeschichte in den anderen EvangelienE 4/Mk 1,9-11 und E 5/Lk 3,21f (s. u.) straffen die Erzählung von Jesu Taufe und lassen diePointe des E 3/3,14f gegen E 2 entfallen.

Jesu erstes egeirein apo ton nekron (E 3/Mt 14,1-12)In 14,1ff folgt E 3 dem Text des E 1/Mk 6,16ff, strafft ihn aber. Er macht allerdings ausJesus als dem Fortsetzer des toten Johannes (E 1/Mk 6,16) das wunderbare egeirein Jesua p o t o n n e k r o n (14,2)! Jesus ist für E 3 also schon am Anfang (!) seines Wirkensvon den Toten auferweckt! Diese gegenüber E 1/Mk 6,16 neue Feststellung richtet sichgegen die Jesus/logos-Lehre des E 2, nach der Jesus schon von Anfang an war (E 2/Jh 1,1f). Für E 3 hat Jesus im Gefolge des E 1/Mk 6,16 seinen Anfang in Johannes! AmEnde der Novelle entfällt bei E 3 Salomes Gehen zum Salben des Toten und ihreBegegnung mit dem neaniskos (E 1/in Mk 16,1f.5-7a). Stattdessen erzählt er die bei E 1nur angedeutete spätere Beerdigung des Johannes (E 1/Mk 6,29bis ptoma autou) unddas an E 1/in Mk 16,7a anschließende proagein Jesu e n Galilaia (14,12ff). Dabeiwerden die Männer, die E 1 beim Holen des Leichnams des Johannes als dessen Jüngerbezeichnet (E 1/Mk 6,29), zu Jüngern Jesu (14,12). Das ist in dieser Redaktions-geschichte der Anfang der Jünger Jesu! - Auch dieser Text basiert auf dem des E 1 unddes E 2 und stammt mit seinem Contra gegen E 2 von E 3.

Zur weiteren Redaktionsgeschichte in den anderen Evangelien Bei E 4/Mk 6,14 wird Jesu egeirein a p o ton nekron bei E 3 zum egegertai e k nekron.

Bei E 5/Lk 9,7.9 hört Herodes zwar einige sagen: Ioannes egerthe e k nekron, er selberaber sagt gegen E 3 Ioannen ego apekephalisa. tis de estin outos … ?

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Jesu zweites egeirein apo ton nekron (E 3/Mt 27,57ff; 28)

Im Folgenden ergibt sich, dass dieser Abschnitt auf dem des E 1 basiert und sich gegenE 2 richtet. Damit handelt es sich ebenfalls um einen Text des E 3.

Nachträgliche Zusätze 27,62-66; 28,4.11-15: Bei Mt ist die Bewachung des Grabes nachträglich „angehängt“*).

28,1: Die erste Datierung (Sabbat) ist nachträglich eingefügt.

28,16: Die Elf- (bzw. Zwölf)-Zahl der Jünger kommt bei E 3 noch nicht vor.

28,19.20a: Jesus und seine Jünger taufen weder bei E 1 noch bei E 3.

Im Gegensatz zum anabainein Jesu direkt aus dem Leben pros ton patera (E 2/Jh 20,17)wird bei Mt Jesu Tod und Beerdigung (27,50ff) sowie sein (zweites) egeirein apo tonnekron (28,6f) berichtet! Anschließend erhalten die beiden zum Grab kommendenMarias vom aggelos den Auftrag, Jesu proagein eis ten Galilaian den J ü n g e r n(28,7) auszurichten, um dann noch einmal den gleichen Auftrag, dieses Mal von Jesusan die B r ü d e r (28,10), zu erhalten. Offenkundig hat E 3 zwei dublettenhafte Maria-Erzählungen zusammengearbeitet. Da die Erzählung von (der weinenden) Maria M.(28,9f) in E 2/Jh 20,11ff auch gesondert überliefert wird (s. Exkurs S. 4f), gehört derdort nicht vorkommende Inhalt zu der von der „anderen“ Maria hier.

Exkurs: Die Erzählung von der „anderen“ Maria (E 3/in 27,57-61; 28,1-8)Der Jesus-Jünger Josef von A. beerdigt J e s u Leichnam. Als Maria am ersten Tag der Wochenach dem Grab sieht, wird sie von einem aggelos angesprochen und erhält den Botenauftrag andie Jünger. - Diese Erzählung ist eine Dublette zu den letzten Sätzen der Novelle des E 1/Mk 6,16.29ff. Aus den beerdigenden Jüngern (E 1/Mk 6,29bis ptoma autou) ist der eine JüngerJosef, aus dem Gehen Salomes zum toten Johannes der Besuch der Maria am Grab nach demegeirein Jesu (E 1/6,16) geworden und aus dem neaniskos (E 1/Mk 16,5) der aggelos. DieBotschaft an die Jünger ist die des E 1/Mk 16,7a.

E 3 hat diese (wohl mündliche) Quelle übernommen, wobei er deren Maria zur Unter-scheidung von Maria M. die „andere“ nennt. Er reichert die Quelle in 27,60; 28,2 umVorstellungen aus der von der allgemeinen Totenauferstehung an (Mt 27,51ab: kai ege... 53). So ist das Grab nun in einen Felsen gehauen und ein großer Stein wird davorgewälzt (27,60). Maria sitzt gegenüber und erlebt das Erdbeben mit der Öffnung desGrabes (28,2). E 3 gibt diese und die ihm ebenfalls mündlich bekannte Dublette vonMaria M. nacheinander wieder (28,1ff und 28,9f), wobei beide Marias in beidenErzählungen gemeinsam auftreten. Die von der „anderen“ Maria schließt er an die vonder Kreuzigung an, so dass die beiden Frauen z w e i **) Zeuginnen des Todes Jesusind. Da davon in den beiden ihm vorliegenden Maria-Quellen nicht die Rede ist, fügter erklärend an, dass sie das Geschehen nur m a k r o t h e n sehen (27,55f). Beide sinddann auch Zeuginnen seines egeirein (28,6.9 - dabei umfassen sie Jesu Füße - gegenE 2/Jh 20,17). Beim Zusammenarbeiten der beiden Maria-Dubletten stellt sich für E 3das Problem, dass die Erzählung von der „anderen“ Maria vom Grab Jesu und die vonMaria M. vom Grab des Johannes handelt, auf dessen Tod das egeirein Jesu folgt(E 1/Mk 6,16). Um hier Klarheit zu schaffen lässt E 3 den aggelos den Frauen betontsagen, wessen Grab sie suchen. Entsprechend betont der aggelos mit ton estauromenon(s. dazu unten S. 20) die Art des Todes Jesu (28,5f).

*) So R. Bultmann: Geschichte ... S. 297, 299, 310f für die Sätze in 27,62-66; 28,11-15. **) Die Zahl der Zeugen spielt für E 3 auch vor dem sunedrion eine Rolle, cf E 3/Mt 26,60f.

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8In dieser Darstellung des E 3 ohne Salome und ihr Salben fehlen die Spannungenzwischen der Erzählung von der Beerdigung und der von den Frauen am Grab bei End-Mk. Hier gehören beide problemlos zusammen! - Die Herkunft der Namen Josef undArimathia (sowie Jakobus, Josef und Zebedäus in 28,56) bedürfen einer eigenenredaktionsgeschichtlichen Untersuchung.

Maria M.s Begegnung mit Jesus (Dublette zu E 2/in Jh 20,11ff) erzählt E 3 auf demHeimweg der beiden Frauen vom Grab Jesu (28,9f). Dabei streicht er Maria M.sWeinen, für das jetzt nach der Information durch den aggelos vom egeirein Jesu (28,6)und der Begegnung mit diesem (28,9) kein Grund mehr besteht. Dies ist in dieserRedaktionsgeschichte der erste Augenzeugenbericht vom Erscheinen Jesu nach seinemTod.

Die zweimalige Botschaft an die beiden Marias für die Jünger/Brüder vom proageinJesu eis ten Galilaian ergänzt/ersetzt E 3 beide Male um die Ankündigung, dass sieJesus dort sehen werden (28,7.10). Dieser Satz dürfte erst von E 3 stammen, denn ihmist es gegen E 2/Jh 20,17 wichtig, Jesu Erscheinen nach seinem egeirein aus dem Tod zudokumentieren. Er lässt die Marias darum fröhlich zu den J ü n g e r n eilen und ihnendie Botschaft des aggelos einschließlich des opsesthe ausrichten (28,8). E 3 erzählt dannweiter, dass die Jünger nach Galiläa auf den Berg gehen, auf den Jesus sie beschiedenhatte (28,16), ihn sehen und vor ihm niederfallen (28,17a). Im Zusammenhang des E 3bedeutet diese Begegnung, dass Jesus nach der Begegnung mit Maria M. n i c h t zuseinem Vater aufgefahren ist (gegen E 2/Jh 20,17) den Jüngern aber auf dem Berg(gleichsam auf halber Höhe dorthin) begegnet.

In der ursprünglichen Maria M.-Erzählung des E 2 soll diese den B r ü d e r n dasanabainein Jesu zum Vater ausrichten. Danach kann k e i n e weitere Begegnung mitJesus gefolgt sein. Darauf könnte sich darum das von E 3 in 28,17b erdichtete Zweifelneiniger am Erscheinen Jesu beziehen.

Am Ende seiner Schrift ist es E 3 wichtig noch einmal hervorzuheben, dass Jesus nichtweltflüchtig ist (gegen E 2/Jh 1,1-3), sondern alle denkbaren dunameis (14,2) hat: Edotemoi pasa eksousia en ourano kai epi tes ges (28,18). Ego meth' umon eimi pasas tasemeras eos tes sunteleias tou aionos (28,20b). Inhaltlich bezieht sich E 3 mit diesenbeiden Sätzen auf E 1/Mk 13,24ff*).

Ergebnis: E 3 verfasst seine Schrift auf der Basis des E 1 als Streitschrift gegen dielogos-Interpretation des E 2 und überhöht dazu vorgefundene Berichte ins Phantasti-sche. Er erdichtet Jesu zweifaches egeirein von den Toten und seine allumfassendeeksousia, mit der er die logos-Vorstellung des E 2/Jh 1,3 in mancher Hinsicht weitüberbietet. Jesus und Johannes sind für E 3 wie für E 1 normale Söhne Gottes. Jesus hatgegen E 2 keinen ihn überhöhenden Titel, sondern ist n u r o uios o agapetos tou theou.

E 3 benennt sein Streiten gegen E 2 eher indirekt und begründet seine inhaltlichenVorbehalte gegen dessen Jesus-logos-Interpretation bzw. gegen die logos-Lehre nicht.

*) Mk 13,24ff gehört zum Text des E 1 - s. Anhang S.15

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Der Text des Viertredaktors (E 4) - im MkIm weiteren Verlauf der Untersuchung ergibt sich, dass die Schrift des E 1 von E 3 herüberarbeitet wird. Es handelt sich um die Arbeit des E 4.

Johannes und Jesus in 1,2-11

Nachträglicher Zusatz1,7f: Da es E 4 weder um das Taufen Jesu noch um sein Taufen im Heiligen Geist geht, sinddiese Sätze nachträglich eingefügt.

Mit 1,2bc erweitert E 4 das alttestamentliche Zitat des E 1/Mk 1,3 um ein anderes undbezieht damit das schon bei E 3/Mt 3,3 auf Johannes bezogene Jesaja-Zitat ausschließ-lich auf diesen. Johannes wird dadurch, ähnlich wie in E 2/Jh 1,6, zum aggelos Gottes(1,2b). In 1,4-6.9-11 sind die Angaben des E 3/Mt 3,4-6.13-17 übernommen. Allerdingsstreicht E 4 die Frage des E 3/Mt 3,14f, ob Jesus der Taufe bedarf. Neu fügt E 4/1,9 an,dass Jesus aus Nazareth*) kommt. Das bedeutet, dass Jesus am Anfang seines Wirkensnicht egerthe a p o ton nekron (gegen E 3/Mt 14,2), sondern geboren ist.

in 6,14f

Nachträglicher ZusatzIn 6,15: Bei dem Hinweis auf Elia geht es um Jesus als Messias, von dem bei E 4 noch nichtdie Rede ist. Die Herkunft dieses nachträglich eingefügten Namens bedarf der Klärung imZusammenhang der Redaktionsgeschichte des Messias-Titels.

Mit dem Zusatz 6,14f (6,15 ohne Elia) erweitert E 4 die Einleitung der Novelle in E 1/6,16. Hieß es bei E 3, dass Jesus schon am Anfang seines Wirkens der Ioannes ...egegerthai ek nekron ist und dia touto energousin ai dunameis en auto (E 3/14,2), so istdas für E 4 nur Gerede. Er ergänzt diese Vorstellungen um die Möglichkeit, dass Jesusauch ein Prophet sein könnte (6,15) und betont damit wiederum, dass Jesus für ihn einMensch wie andere ist. Beide Optionen verwirft er mit dem vorgefundenen Votum desHerodes (E 1/6,16) und bestreitet damit auch die dunameis Jesu bei E 3/Mt 14,2. E 4grenzt sich deutlich gegen die phantastisch überhöhten Angaben des E 3 ab.

Nachdem E 1 Salome in seiner Novelle auf die Seite ihrer Mutter geschoben und siedamit der Rolle der guten Salome/Frieden beraubte, hatte schon E 3/Mt 14,6(?) ihrenNamen gestrichen und nur noch unpersönlich von ihr als der Tochter der Herodiasgesprochen. Dem folgt E 4 in 6,22(?).

Die drei Frauen beim Toten (E 4/Mk 16,1ff)

Nachträgliche Zusätze 15,42b; 16,1f: Die beiden Datierungen dürften erst nach E 4 eingefügt sein.

16,7a: Da von Petrus bei E 4 noch nicht die Rede ist, ist kai to Petro nachträglich zugesetzt.

16,7b: Die Ankündigung ekei auton opsesthe findet sich zuerst bei E 3/Mt 28,7.10. Da E 4die Begegnung Jesu mit den Jüngern (E 3/Mt 28,16ff) gezielt nicht übernimmt und statt-dessen 16,8 neu formuliert, kann 16,7b erst nach E 4 eingefügt sein.

Wie E 3/in Mt 14,12 fügt auch E 4 die Beerdigung des Johannes an E 1/Mk 6,29(nachptoma autou) an. Die deswegen bei E 3 entfallenen letzten Sätze der Novelle des E 1/6,29ff(nach ptoma autou) streicht E 4 hier auch, arbeitet sie aber in die von E 3übernommene Erzählung von den beiden Marias am Grab des E 3/Mt 27,57-61; 28,1-8in E 4/in 16,1ff ein. So gehen bei E 4 nun drei Frauen zum Grab. Damit rettet er den *) So E. Lohmeyer: Das Evangelium des Markus, Göttingen, 15. Auflage 1959, S. 1. Nazareth ist vielleicht erst seit E 4 lokal gemeint.

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Text des E 1, nimmt aber die Groteske in Kauf, dass die Frauen den schon Beerdigtennoch salben wollen. Auch bezieht sich durch dieses Verschieben das proagein Jesu eisten Galilaian in E 4/16,7a nicht mehr auf Jesus als den Fortsetzer des enthauptetenJohannes, sondern auf sein Weiterwirken nach dem egeirein aus dem eigenen Tod!

Die Erzählung des E 3 von der Beerdigung Jesu, erweitert E 4 um die Feststellung deskenturion, dass der Gekreuzigte wirklich tot ist (15,44f); offensichtlich liest E 4 denText des E 3/Mt 28,6f vom egeirein Jesu apo ton nekron als Erzählung von dessenScheintod, dem das Erwachen und Erscheinen Jesu bei den Frauen folgt. Das Erdbebenund den himmlischen Engel bei E 3 blendet E 4 aus und spricht nur von der Überlegungder Frauen, wer den Stein abwälzt und davon, dass er bereits weg ist (16,3f). DieKleidung des aggelos (E 3/Mt 28,3) überträgt er vereinfacht auf den neaniskos (16,5)ebenso wie die Rede des aggelos (16,6f aus E 3/Mt 28,5ff). Dabei übernimmt E 4/16,6die Vorstellung vom egeirein Jesu, lässt aber apo ton nekron (E 3/Mt 28,7) entfallen!Mit dem Hinweis auf den abgewälzten Stein und dem auf die Stelle, an der sie JesuLeichnam hinlegten, folgt E 4 zwar E 3; aber es ist ihm wichtig zu ergänzen, dass dieFrauen die ihnen aufgetragene Botschaft niemandem weitergeben (E 4/16,8 - damit hältsich E 4 im Rahmen des E 3, denn das Ausrichten der aufgetragenen Botschaft wird beiE 3/Mt 28,8.10 nicht erzählt). Im Übrigen lässt E 4 das bei E 3/Mt 28,17f berichteteproagein Jesu nach seinem Tod und seine Rede (E 3/Mt 28,16.18.20b) entfallen.

Ergebnis: E 4 ergänzt die Schrift des E 1 von der des E 3 her sorgfältig, nimmt aberauch erhebliche Korrekturen vor. So streicht er Jesu erstes egeirein apo ton nekron undkorrigiert die phantastisch überhöhten Angaben zu seinem zweitem egeirein. Dabei lässter auch den gewichtigen Schlusssatz des E 3/Mt 28,18.20b fallen! Als erster in dieserRedaktionsgeschichte nennt E 4 Nazareth als Herkunftsort Jesu. Dieser ist für E 4 wiefür E 3 n u r Gottes uios o agapetos.

Mit dem Überarbeiten der Schrift des E 1 von E 3 her rettet E 4 den Text des E 1. Aberer verursacht auch den Anfang des chaotischen Durcheinanders in den Evangelien.

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Der Text des Fünftredaktors (E 5) - im LkBei Lk ist der Text des E 1 in Bruchstücke aufgelöst: 3,2b-4; 3,19f; 4,14; 9,7-9; in24,1.4. Da sich 9,8b auf E 4/Mk 6,15 bezieht, handelt es sich um den fünften Redaktor.Zu Lk 24,4 (s. u.) ergibt sich, dass E 5 auch auf E 3 basiert. E 1 und E 2 kennt er nicht.

Johannes und Jesus (E 5/in Lk 3,2b-6. 19-22)Nachträgliche Zusätze 3,19f: V o r der Taufe Jesu durch Johannes ist dessen Einkerkerung eingefügt. Die knappenSätze sind an dieser Stelle widersinnig*). Es dürfte sich um einen nachträglichen Eintraghandeln. - Auf die Enthauptung des Johannes wird in E 5/9,9 knapp Bezug genommen.

9,8: Elia dürfte hier ebenso wie in E 4/Mk 6,15 nachträglich eingefügt sein.

Einleitend wird Johannes wie seit E 3 als Bußprediger in der Wüste eingeführt (3,2-4).Auf ihn bezieht sich (wie bei E 3/Mt 3,3 und E 4/Mk 1,2a.3) das (hier verlängerte)Jesaja-Zitat. Johannes predigt am Jordan die Taufe der Buße und tauft dabei auch Jesus(3,21f), wie bei E 4 ohne die zweifelnde Frage des Johannes in E 3/Mt 3,14f. Dabei istJesus auch hier nur o uios o agapetos tou theou. Der Tetrarch (wie E 3/Mt 14,1) Herodeshört, was durch Jesus geschah (9,7-9), auch dass von einigen gesagt wurde, Jesus ist derIoannes egegertai ek nekron (ek wie E 4/Mk 6,14) oder einer der Propheten (wie E 4/Mk 6,15). Deutlich stellt Herodes dazu im Rahmen von E 3 und E 4 klar: Ioannen egoapekephalisa (9,9). Zu den Vermutungen über Jesus vermeidet er eine Entscheidung undstellt stattdessen die unbeantwortete Frage: Tis de estin outos?

Die Frauen beim Toten (E 5/Lk 23,50-24,8)Nachträglicher Zusatz24,6c-8: Die Sätze von Jesus als uios tou anthropou und vom trite emera anastenai sindkeine inhaltliche Weiterentwicklung aus dem Text des E 5 oder seinen Vorlagen. Sie wirkenals spätere Einfügung.

E 5 übernimmt Jesu Beerdigung und sein egeirein von E 3 und E 4. Er präzisiert dieAngaben über Josef von Arimathaia (23,50f), wobei Letzteres bei ihm zum ersten Malein Ortsname ist (23,51). Salome (E 1/E 4/Mk) und die beiden Marias (bei E 3/Mt undE 4/Mk) fasst er als ai gunaikes (23,55) zusammen. Sie bringen aromata zum Grab(24,1 - wie Salome bei E 4/Mk 16,1f). Der Stein ist (ohne dass ein aggelos genanntwird) bereits abgewälzt (24,2 wie bei E 4/Mk 16,3f). Die Frauen begegnen engel-gleichen a n d r e s duo (24,4 - Zusammenfassung des aggelos bei E 3/Mt 28,2f.5 unddes neaniskos bei E 4/Mk 16,5). Das Gehen zum Salben des Toten (E 4/in Mk 16,1) hältE 5 den Frauen als Ignoranz vor (24,5b.6). Die Differenzen zwischen E 4 und E 3 überJesu egeirein umgeht E 5 mit der beide verbindenden Formulierung: Ti zeteite ton zontameta ton nekron. ouk estin ode, alla egerthe (24,5f). Das bei E 3 und E 4 zentraleproagein (E 3/Mt 28,7.10; E 4/Mk 16,7a) sowie die E 3/Mt 14,2 wichtigen dunameisJesu und dessen eksousia … (E 3/Mt 28,18) fehlen. Der Abschluss des Gesamttextesdes E 5 könnte alla egerthe (24,6b) sein, so dass E 5 hier E 4 folgt.

Ergebnis: E 5 fasst die Inhalte des E 3 und des E 4 zusammen. Wie E 4 übernimmt erdie phantastisch überhöhten Aussagen des E 3 nicht. Unwichtiges lässt er aus undFalsches korrigiert er. Er hält sich im Rahmen des in 1,1.3f formulierten, historischorientierten Konzeptes. E 5 kennt für Jesus keinen Titel.

*) H. Conzelmann: Die Mitte der Zeit, 4. Aufl. Tübingen 1962, S. 20: „Lk 3,19f … steht ...

weder historisch noch literarisch am 'richtigen' Ort.“

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EndergebnisMit der Erweiterung der literarkritischen Methoden um die der Psychotherapeuten lässtsich die komplizierte Redaktionsgeschichte des untersuchten schmalen Ausschnittes desMk von der ersten schriftlichen Formulierung an bis in die der anderen Evangeliennachvollziehen. Es handelt sich hier nicht um Paralleltexte, sondern um nacheinanderentstandene Weiterentwicklungen, bei denen jeder Redaktor den Inhalt seiner Schriftzielstrebig verändert hat. Mk 6,14-29(bis ptoma autou, - ohne 6,15a/Elia) sowie dasBruchstück in 16,1f.5-7a sind dabei die Fassung des 4. Redaktors (E 4).

Dieser Abschnitt ist ein Teil aus dem Anfang der tröstenden Schrift des E 1, die mit E 1/Mk 1,2a.3.14f beginnt. Ihr Verfasser benutzt u. a. eine Vorlage, in der fast beiläufig voneinem neaniskos erzählt wird, der aus dem Nichts auftritt und im Nichts entschwindet.Beim mündlichen Tradieren dieses Teils des Textes des E 1 wird dieser neaniskos zuJesus, der von E 2 als logos gedeutet wird. E 2 verfasst dazu eine eigene Schrift, in deres ihm nicht mehr um das Trösten des E 1 geht, sondern um das Erscheinen des logos inder Person Jesu. Gegen diese Interpretation wehrt sich E 3 mit einer auf E 1 basierendeneigenen Schrift, in der er vorgefundene Angaben einfallsreich in seinem Sinneausgestaltet. Verfassen diese ersten drei Autoren theologische Tendenzschriften, soversteht sich E 4 vor allem als Bewahrer des Textes des E 1, in den er Neuerungen undphantastisch überhöhte Angaben des E 3 mit nüchterner Zurückhaltung einarbeitet.Dabei kommt es zur ersten Chaotisierung des Textes. Erst E 5 ist ein Historiker, derseine Quellen sachlich zusammenfassend referiert, dabei aber das entstandene Chaosnicht mehr auflösen kann. Mit seiner Schrift kommt die Redaktionsgeschichte derNovelle des E 1 zu ihrem Ende. Bis dahin sind alle diese Texte noch v o r christlich.

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Anhang: Die Fortsetzung der Schrift des E 1/MkHandelt es sich in E 1/Mk 1,2a.3.14f; 6,16-29bis ptoma autou; in 16,1f.5-7a um denAnfang der im Mk verdeckt erhaltenen Schrift des E 1, dann ist deren Fortsetzungebenfalls dort zu vermuten. Die Suche danach wird dadurch erleichtert, dass diejeweilige Tendenz der ersten 5 Redaktoren und ihre Abhängigkeit voneinander durch dievorangehende Untersuchung bekannt sind. Um den Umfang des Stoffes überschaubar zuhalten, kommt die Redaktionsgeschichte n a c h E 1 hier vorerst nur punktuell in Blick.

In der Schrift des E 1 ist Mk 1,2a.3 die Überschrift. Im Folgenden legt E 1 Jesus unterBezug auf den tröstenden Text in Jes. 40,1-11 (er zitiert nur Jes. 40,3) sein Anliegenknapp zusammengefasst in den Mund: Peplerotai o kairos kai eggiken e basileia toutheou. Metanoeite kai pisteuete en to euaggelio (E 1/1,14f). E 1 geht es also um diemetanoia und um das Vertrauen in das euaggelion von der nahen basileia tou theou.

I. Jesu Ruf zur metanoia Das Anliegen der metanoia beschreibt E 1 zunächst in seinem Rückblick auf Johannes(E 1/6,17ff). Der hatte seinem Herrscher einen schweren Verstoß gegen das Gesetz vor-geworfen (E 1/6,18), worauf er getötet wurde. Ist Jesus für E 1 sein Fortsetzer (E 1/6,16; 16,7a), dann hat er ebenfalls seiner Obrigkeit einen schweren Verstoß gegen dasGesetz vorgehalten. Ein solcher Bericht findet sich bei Markus nach 6,29 erst in JesuAuftreten gegen die Händler im Tempel (Mk 11,15ff). Dann sind die Texte nach 6,29(nach ptoma autou) bis 11,14 (außer 10,1a/Jesus unterwegs nach Judäa) erst nach E 1eingefügt.

Die nachträglichen Zusätze (Mk 6,29nach ptoma autou - 11,14 (außer 10,1a))Sie sind zu einem erheblichen Teil auch inhaltlich als nachträglich erkennbar. So wenn es um Jesu Jünger geht, die erst von E 3 eingeführt werden,es um Petrus geht, der als Jesu Jünger bei E 1 noch nicht vorkommt,es um Jesu Wundertaten geht, die es beim Johannes-gleichen Jesus des E 1 noch nicht gibt,es um Jesus als uios tou anthropou geht, der er bei E 1 nicht ist.

Ganz ähnlich sind auch bei E 2, der ja auf E 1 basiert, die (wenigen) Texte zwischendem Auftreten des Johannes und Jesu Aktion im Tempel erst nachträglich zugesetzt.

Die nachträglichen Zusätze zwischen E 2/Jh 1,35-2,12)Jh 1,35-51 ist von den Jüngern die Rede, die aber erst von E 3 eingeführt werden, Jh 2,1-12 ist von der Mutter Jesu die Rede, die der logos gar nicht hat.

Mk 11,15-18

Nachträglicher Zusatz 11,17: Die Reaktion der Tempelpriester (11,18) bezieht sich nicht auf Jesu Rede in 11,17,sondern auf sein Handeln in 11,15f. Das bedeutet, dass 11,17 erst nachträglich in den Textdes E 1 eingefügt ist*).

Die Vorgeschichte dieses Zusatzes beginnt bei E 2: Dieser lässt das ihm im Zusammenhangder logos-Lehre missliche Todesurteil (s. u.) der Hohenpriester und ... gegen Jesus bei E 1/Mk 11,18 entfallen und ersetzt es durch Jesu theologische Erläuterung seines Handelns: Mepoieite ton oikon tou p a t r o s m o u oikon emporiou (E 2/Jh 2,16).

E 3 lässt das Todesurteil gegen Jesus (E 1/Mk 11,18) ebenfalls entfallen, macht aber aus der(für E 3 unakzeptablen) l o g o s - Interpretation des E 2 vom oikos tou p a t r o s m o udasoikos proseuxes statt der - jetzigen - speleion leston (E 3/Mt 21,13).

*) Gleiches Ergebnis R. Bultmann: Geschichte … S. 36.

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E 4 bewahrt den Text des E 1, stößt sich aber bei E 3 an dessen Bezeichnung des Tempelsals Räuberspelunke. Er ändert diese mit Jesaja 56,7 in: oikos proseuxes … pasin toisethnesin. Er ist also der Verfasser des theologischen Votums Jesu in Mk 11,17. - Mit diesemZitat gibt E 4 die weltoffenere Perspektive der Diaspora zu erkennen*). Dort halten dieJuden auch ohne Tempel die Gebote und beten auch ohne ihn zum kurios. In ihrernichtjüdischen Umwelt sind sie zudem offen für Nichtjuden, die sich mit ihnen zum kurioshalten. Damit ist E 4 weit entfernt von der Situation und dem Anliegen des E 1, der sich inGaliläa auf die Folgen des frischen Verlustes des Tempels im nahen Jerusalem einzustellensucht.

In E 1/Mk 11,15f.18 sind die Aussagen zum handgreiflichen Auftreten des e i n e nJesus gegen die V i e l zahl der Händler sicher übertrieben**). Jesu Aktion istangesichts der Kräfteverhältnisse nur als verbales Anprangern vorstellbar. Das spiegeltsich noch im e r k s a t o ekballein … wider (11,15), bevor Jesus dann mit den wohlerst von E 4/11,15c eingeführten, übertreibenden Worten des E 3/Mt 21,12b auchkörperlich Tische umwirft.

Danach erfahren die Hohenpriester und ... davon. Für sie ist das Todesurteil gegen Jesusdie selbstverständliche Konsequenz (11,18a). Allerdings berichtet E 1 nicht die sofortigeVollstreckung (anders als bei Stephanus in Act 7,54ff nach seiner Rede gegen denTempel). Die Hohenpriester und … fürchten Jesus, denn das ganze Volk war über seineLehre außer sich geraten / betäubt vor Schrecken***) (11,18b.c). Von einer solchaufregenden Rede Jesu ist allerdings zuvor nicht die Rede, sondern erst danach! Daserinnert an die Argumentationsweise des E 1 in 6,16ff. Dort berichtet E 1 zunächst dasErgebnis seiner Überlegungen (6,16) und trägt die Beweisführung dazu erst in 6,17ffnach. Das bedeutet, dass E 1 vielleicht auch hier die Begründung zu 11,18b.c erstdanach einbringt. Sie findet sich als Jesu didache von der basileia tou theou in 13,1ff.E 1 erwähnt zwar nicht ausdrücklich, dass diese Lehre Jesu das Volk außer sich geratenlässt, aber das ergibt sich aus deren Schreckens-Inhalt von selbst (s. u.). Vor diesemHintergrund wird auch klar, warum die Hohenpriester und … Jesus fürchten (11,18b).Bezieht sich Jesu Strafankündigung in 13,1ff auf die priesterliche Duldung des Handelsim Tempel, dann bedeutet Jesu didache eine harte Schuldzuweisung an sie. Da könnensie Jesus nur fürchten.

Ergebnis: Bei E 1/Mk und bei E 2/Jh wird Jesu Tempelreinigung (E 2/Jh 2,13-17) alsdie eine Aktion Jesu nach dem Auftreten des Johannes überliefert und schließt beibeiden direkt an E 1/6,29(bis ptoma autou) in 16,1f.5-7a; 10,1a bzw. E 2/Jh 1,34 an. E 1will mit seinem Text den Eindruck erwecken, dass die Hohenpriester und … den Tempelletztlich mit der Zulassung des dortigen Handels selber zerstört haben.

Die sich aus Jesu Aktion im Tempel ergebende Tötung berichtet E 1 erst nach derWiedergabe von dessen erschreckender didache.

Zur weiteren RedaktionsgeschichteBei dem von E 1/11,18c formulierten ekplessein über die Lehre Jesu könnte es sich um denersten Gebrauch dieser Wendung in den Evangelien handeln.

*) Cf. E. Lohmeyer: Das Evangelium des Markus, S. 236. **) Ähnlich E. Lohmeyer: Das Evangelium des Markus, S. 237.***) So W. Bauer: Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments

und der übrigen urchristlichen Literatur zum Neuen Testament, 5. Auflage Berlin 1958 zu ekplessein.

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II. Jesu didache von der nahe herbeigekommenen basileia tou theou

Was E 1/1,15 mit der nahe herbeigekommenen basileia tou theou meint, ist nur in JesuRede in Mk 13 konkretisiert. Diese schließt bei E 1 also direkt an E 1/11,18 an.

Die nachträglichen Zwischentexte (11,19 - 12,44) sind z. T. auch von ihrem Inhalt her als nachträglich erkennbar. So wenn es um Petrus (11,21) oder die Jünger Jesu (12,43) geht, die bei E 1 noch nicht vorkommen,Jesus der uios agapetos Gottes ist (12,6f), eine Wendung die erst E 3/Mt 3,17 so entwickelt,es um die basileia tou theou ohne den vorangehenden Weltuntergang geht (12,34), es um den Messias geht (12,35-37), der bei E 1 noch nicht vorkommt.

Eine Ausnahme unter diesen Zwischentexten scheint die Frage nach Jesu eksousia(11,27-33) zu sein. Sie bezieht sich direkt auf Jesu Aktion im Tempel und zielt auf einStrafverfahren wegen Amtsanmaßung. Das macht allerdings n a c h dem Todesurteil (E 1/11,18a) keinen Sinn. Es lohnt nach der Redaktionsgeschichte dieser Erzählung zu fragen.Ihre Anfänge finden sich bei E 2.

E 2/Jh 2,14ff lässt das Todesurteil nach E 1/Mk 11,16//Jh 2,16 entfallen (Jh 2,17 mit denJüngern stammt erst von E 2plus/Jh). Stattdessen wird Jesus nach einem semeion alsLegitimation für sein Tun gefragt (E 2/Jh 2,18). Er verweist auf die Zerstörung des Tempels(Jh 2,19 - erhalten in der von E 2plus veränderten Fassung, in der es um den Tempel desLeibes Jesu geht - E 2plus/ Jh 2,21). Auf E 2/Jh 2,16 folgt also E 2!/Jh 2,18 - 19b(bis naon).

E 3/Mt 21,12f streicht das Todesurteil in E 1/11,18 ebenfalls und ersetzt die semeion-Fragedes E 2 durch die nach Jesu eksousia (E 3/Mt 21,23ff). Jesus antwortet mit dem Hinweis aufseine (von E 3 aus dem Text des E 2 entwickelte!) Taufe (E 3/Mt 21,25), in der er himmlischbevollmächtigt wird (E 3/Mt 3,17).

E 4/Mk 11,28ff arbeitet diese Vollmachtsfrage des E 3 in den Text des E 1 ein.

Mk 13,1-27 Nachträgliche Zusätze Der Text der Rede ist nachträglich um den Jünger (in 13,1) und um „christliche Zusätze“erweitert (13,3-6. 9-11. 21-23**)). Es handelt sich also wie in 6,16ff um einen vorchrist-lichen Jesus-Text! Die Herkunft der Zusätze bedarf einer eigenen Untersuchung.

In E 1/13,1a(bis ierou).2.7f.12.14-20.24-27 erzählt E 1, dass Jesus den Tempel verlässtund (z. Zt. des E 1 nachträglich!) die Zerstörung des Tempels und die Kriegskatastrophesowie den kommenden Weltuntergang ankündigt (E 1 folgt hier dem Gedankengang inJes. 40,1-11), dem das Kommen des uios tou anthropou mit Kraft und Herrlichkeit unddas Sammeln seiner Auserwählten (wie in Jes 40,11), die basileia tou theou, folgenwird. Die Unterscheidung von Tempelzerstörung und Kriegskatastrophe lassen daraufschließen, dass die Schrift des E 1 erst nach 135 n. Chr. entstanden ist.

Zur weiteren Redaktionsgeschichte E 2/Jh lässt diese apokalyptische Rede Jesu entfallen. E 3/Mt 24,1a.2.6-8.15-22.29-31 übernimmt E 1/Mk 13 leicht verändert. E 5/Lk 21,5f.9-11.16.20-28 erweitert den Text des E 3 bzw. E 4, indem er seine Kenntnisvon der Belagerung und Zerstörung Jerusalems sowie dem Verschleppen der Bevölkerung(E 5/Lk 21,20.24) einarbeitet. Die mit dem uios tou anthropou kommenden, rettenden Engeldes E 1/Mk 13,27//E 3/Mt 24,31 ersetzt E 5 durch die nahe apolutrosis (E 5/Lk 21,28).

Ergebnis E 1/in Mk 13 lässt E 1 Jesus das Votum zum Durchhalten in der noch schlimmerwerdenden Zeit formulieren. Danach folgt der Bericht vom Vollzug der Todesstrafe. *) Für R. Bultmann: Geschichte … S. 129 sind Mk 13,5f. 9-11. 13a. 23 „christliche Zusätze“

zu „jüdischen apokalyptischen Worten…. “

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III. Jesu Tod

Im Mk wird Jesu Tod unmittelbar nach seiner Aktion im Tempel von den Hohenpries-tern und ... beschlossen (E 1/11,18). Danach werden überraschenderweise noch zweiGerichtsverhandlungen vor dem sunedrion (14,53ff) und vor Pilatus (15,1ff) überliefert,die ebenfalls je mit dem Todesurteil enden. So ist zu fragen, was es mit diesenunnötigen Todesurteilen auf sich hat. Beim Vergleich der Parallelen fällt auf, dass dieVerurteilung Jesu in E 1/Mk 11,18a bei Mt (nach Mt 21,12f) wie bei E 2 (nach E 2/Jh 2,16) fehlt und durch die (nach hinten verschobene) ausführliche Verhandlung vordem sunedrion ersetzt ist (Mt 26,57ff)*). Dort geht es allerdings nicht mehr um JesuAktion im Tempel, sondern letztlich um die amtliche Feststellung der höchstenreligiösen jüdischen Institution, dass die Bezeichnung Jesu als uios tou theou eineblasphemia ist (Mt 26,63ff). Das richtet sich gegen E 2! Der Bericht von derVerhandlung vor dem sunedrion stammt also erst von E 3!

1. Das Todesurteil des sunedrion (E 3/Mt 26,57-66)Nachträgliche Zusätze 26,58 ist nachträglich als Einführung der folgenden Petruserzählung (26,69ff) eingefügt. 26,63: Der Christus-Titel wirkt nachträglich eingefügt.

Im Text geht es um drei Anklagen.a. Pseudomarturia (26,59)Die Ankläger suchen von vornherein (!) pseudomarturian für ihre Anklage. So lässt sicheigentlich keine Verurteilung erreichen. Dass es tatsächlich zu pseudomarturiai kommt,ergibt sich aus der folgenden Verhandlung vor Pilatus. Dort müssen alle erhobenen(wenn auch nicht benannten) Beschuldigungen pseudo sein, weil sonst die göttlicheWeisung im Traum der Frau des Pilatus unbegründet ist und Pilatus nicht auf einenFreispruch zugehen kann. - Dieser Anklagepunkt macht vor allem die enge Beziehungder beiden Prozesse zueinander deutlich.

Zur weiteren RedaktionsgeschichteE 4/Mk 14,55f sucht marturia gegen Jesus. Es pseudomarturoun viele gegen ihn, aber derenmarturiai stimmen nicht überein. Da eine Anschuldigung damals nur gerichtsfest ist, wennsie von zwei Zeugen vorgebracht wird (cf E 3/26,60f), gelten Einzelaussagen (bei Wider-spruch des Angeklagten) nicht als ausreichend. E 5/Lk 22,66ff und E 2plus/Jh 18,19ff lassen diese belanglose Prozessetappe entfallen.

b. Tempelzerstörung (26,61)Es wird von z w e i (!) Zeugen berichtet, nach denen Jesus gesagt hat: Dunamaikatalusai ton naon tou theou kai dia trion emeron oikodomesai. Jesus redet also nichtdavon, was er tun wird, sondern was er tun k a n n. Die drei Tage dürften hier dasZerstören des Tempels, das Zerstörtsein und den Wiederaufbau meinen. E 3 betont mitdunamai gegenüber dem machtlosen, weltflüchtigen logos des E 2 wie in E 3/14,2;28,18 massiv die irdische Macht Jesu.

Zur weiteren Redaktionsgeschichte Die von den Synoptikern überlieferten Worte Jesu zur Tempelzerstörung lauten nahezugleich: Ou me aphete ode lithos epi lithon os ou me kataluthe (E 1/Mk 13,2). Bei keinemwill Jesus den Tempel wieder aufbauen (aber E 2plus/Jh 2,19 - s. u.). In der Parallele in E 4/Mk 14,58 sagt Jesus: Ego kataluso ton naon touton ton xeiropoieton kai dia trion emeronallon axeiropoieton oikodomeso. Der (in der Diaspora lebende) E 4 entwickelt also denDenkansatz des E 3/Mt 26,61 weiter. Statt des dunamai propagiert Jesus bei ihm einen nichtmit Händen gemachten Ort der Anbetung Gottes (cf Stephanusrede in Act 6,13f; 7,48f).

*) R. Bultmann: Geschichte … S. 290: hält den ganzen Synhedrionsbericht bei Mk für eine

„sekundäre Ausführung der kurzen Angabe in Mk 15,1.“ Mk 15,1 entspricht Mk 11,18.

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17E 5/Lk 22,66ff; Jh 18,19ff lassen auch diese letztlich belanglosen Zeugenaussagen entfallen.In Jh 2,19 folgt Jesu Rede von der Tempelzerstörung direkt auf die Tempelreinigung! Ersagt: Lusate ton naon touton kai en trisin emerais egero auton. Hier werden Tempel-zerstörung und egeirein zum ersten Mal auf Jesu Körper bezogen. Allerdings kann dieser beiE 2 als logos n i c h t zerstört werden und dann auch nicht egeirein. Der Satz richtet sichalso g e g e n E 2 und stammt damit von E 2plus/Jh. Folgt hier das Thema der Tempel-zerstörung direkt auf die Tempelreinigung, dann war das zuvor auch schon bei E 2 unddann auch bei E 1 so. E 1/Mk 13,1a(bis ierou) folgt also noch direkt auf E 1/Mk 11,18!

c. Uios tou theou - uios tou anthropou (26,63f)Beim letzten, dem zur Verurteilung führenden, Anklagepunkt wird Jesus beschwörendgefragt, ob er der uios tou theou ist (E 3/26,63b-64b - ohne das nachträgliche: o christos).Jesus betont in seiner Antwort, dass dies die Behauptung des Hohenpriesters ist: S ueipas. Dann setzt er unmittelbar mit dem Kommen des uios tou anthropou fort, als obder uios tou theou und der uios tou anthropou miteinander identisch wären. Dabei kannsich die blasphemia, die den Hohenpriester zum Zerreißen seiner Kleider bringt (E 3/26,65), nur auf Jesu (Selbst-) Bezeichnung als uios tou theou beziehen, denn als uiostou anthropou bezeichnet er sich ja nicht. E 3 betont hier also gegen E 2, dass dieBezeichnung Jesu als uios tou theou für das sunedrion eine blasphemia ist. DieVeränderung der von E 3 bekämpften Formulierung vom uios tou theou zu der vomuios tou anthropou fügt E 3 aus E 1/Mk 13,26 an. Dort sind die letzten Worte Jesu vorseinem Tod die Ankündigung des Kommens des uios tou anthropou!

Zur weiteren RedaktionsgeschichteIn E 4/Mk 14,61 wird Jesus (ohne den nachträglichen christos-Zusatz) nicht gefragt su eio uios tou theou, sondern su ei o uios tou eulogetou.In E 5/Lk 22,70 wird Jesus wie bei E 3/26,63 (ohne den christos-Zusatz) gefragt: su oun eio uios tou theou ? E 2plus/Jh lässt diese Frage entfallen.

ErgebnisE 3 entwickelt das Verfahren vor dem sunedrion mit dichterischer Freiheit aus demknappen Tötungsbeschluss des E 1/Mk 11,18. Er macht zunächst die mangelndeBerechtigung der Anschuldigungen gegen Jesus deutlich. Dann behauptet er (im Wissenum die geschehene Zerstörung des Tempels), dass Jesus den Tempel nicht nur zerstören,sondern sogar wieder aufbauen k a n n ; mit dieser Beschreibung von Jesu irdischerMacht widerspricht er der logos-Vorstellung des E 2. Schließlich erdichtet er die ihmwichtige höchste (religions-)amtliche Feststellung, dass die Bezeichnung Jesu als uiostou theou eine Blasphemie ist.

Unklar ist, warum E 3 nach diesem Todesurteil gegen Jesus noch das zweite Verfahrenvor Pilatus berichtet.

Zur weiteren Redaktionsgeschichte Dieses von E 3 gestaltete Verfahren vor dem sunedrion wird nachträglich in die Texte desE 1/Mk und E 2/Jh eingearbeitet.

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2. Das Todesurteil des Pilatus (E 3/Mt 27,11-26)Pontius Pilatus wird in den Evangelien nur im Mt als egemon vorgestellt (Mt 27,2). DieRedaktoren der drei Parallelen gehen also davon aus, dass ihre Leser wissen, wer Pilatusist. Das ist ein erster Hinweis darauf, dass auch hier nicht Mk, sondern Mt die ältesteFassung überliefert.

Nachträgliche Zusätze 27,11b-e: Die Verhandlung beginnt, bevor überhaupt eine Anklage benannt ist, mit derBefragung Jesu durch den Statthalter: Su ei o basileus ton Iudaion? Allerdings gilt Jesus beiE 3 noch nicht als basileus. Diese Anklage wird erst von einem Redaktor eingefügt*), demJesus bereits als basileus gilt. - Die Sätze Mt 27,11b-e finden sich inhaltlich auch bei Mk15,2; Lk 23,3 und Jh 18,33. Sie wirken bei allen als nachträglich zugesetzt. Das bedarf einergesonderten Klärung im Zusammenhang einer Redaktionsgeschichte des Christus-Titels.

27,17: Da sich das angehängte ton legomenon christon auf Jesus als basileus bezieht, ist esebenfalls erst später eingefügt. Ebenso wirkt auch der Zusatz ton basilea ton Iudaion in derParallele in E 4/Mk 15,9b nachträglich. In der Parallele in E 5/Lk 23,13ff fehlt der Begriff.

Der Prozess vor Pilatus wird wie der vor dem sunedrion ohne Bezug auf Jesu Aktion imTempel geführt. Zunächst geht es um zwei Männer mit dem Namen Jesus. Der eine trägtden Namenszusatz Barabbas und wird ohne Verhandlung freigelassen. Der andere, unserJesus, wird von Pilatus (auch) für unschuldig gehalten (E 3/27,23f). Aber die Hohen-priester und … überreden das Volk Jesu Tod zu fordern (E 3/Mt 27,20f).

1. Exkurs: Die Erzählung von Jesus-Barabbas (E 3/in 27,15-17. in 20-26)„Jesus Bar Abbas“ (E 3/27,16) meint übersetzt: Jesus, Sohn des Vaters**). Es handelt sich beiihm also um den uios tou patros im Sinne des E 2. Der Zusatz episemon bedeutet„hervorragend“***) (ein hervorragender Mörder wäre ein berüchtigter. Bei Mt wird allerdingsn i c h t berichtet, dass Barabbas ein Mörder war!). Von diesem hervorragenden Jesus BarAbbas kann die Quelle eigentlich nur erzählt haben, dass das Volk ihn verehrt (E 3/ 27,21;cf dazu E 1/Mk 11,18bc), vielleicht sogar bejubelt. Sie weiß also nichts von Pilatus oder einemVerfahren gegen ihn. Diese Quelle vom Jesus Bar Abbas basiert auf dem Text des E 2.

Zur weiteren Redaktionsgeschichte der Jesus Barabbas-ErzählungIn den drei Parallelen zu E 3 entfällt der Name J e s u s des Barabbas. Auch wird Barabbasdort zu einem, der mit Aufrührern festgenommen wurde, die einen Mord begangen hatten(E 4/Mk 15,7; ähnlich E 5/Lk 23,19) bzw. der ein Räuber ist (E 2plus/Jh 18,40). Sowohl dieStreichung des Jesusnamens in den Parallelen als auch die sich dort steigerndenHerabsetzungen des Barabbas bestätigen den anfänglichen Eindruck, dass E 3 die ältesteFassung der gesamten Pilatus-Erzählung bewahrt.

2. Exkurs: Die Erzählung von (unserem) Jesus (E 3/in 27,11ff)Frau Pilatus träumt, dass ihr Mann nichts mit diesem dikaios zu tun haben soll. Nach diesergöttlichen Weisung kann Pilatus Jesus nicht verurteilt haben. In dieser Erzählung geht esdarum, dass Pilatus Jesus nicht verurteilt hat.

E 3 kombiniert diese beiden Erzählungen von der Nicht-Verurteilung Jesu durch Pilatus.Er erfindet dazu die Vorstellung von der Gewohnheit des Statthalters dem Volk zum Festeinen Gefangenen seiner Wahl freizulassen. Das ist eine dem römischen Rechtunbekannte +) (vielleicht aber irgendwo in der nicht vom römischen Recht bestimmtenUmwelt des E 3 vertraute) Sitte. Hier ist sie jedenfalls eine Erfindung des E 3. Dabei

*) Gleiches Ergebnis R. Bultmann: Geschichte ... S. 293, 307 zum Paralleltext Mk 15,2.**) Cf E. Lohmeyer: Das Evangelium des Matthäus, 2. Aufl. Göttingen 1958, S. 383 Anm. 1.***) W. Bauer: Griechisch-deutsches Wörterbuch. +) R. Bultmann: Geschichte … S. 293 Anm. 3: Die dazu in 27,15 behauptete Sitte ist weder

im jüdischen noch im römischen Recht bezeugt.

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stellt er klar, dass nicht Pilatus den Tod Jesu will, sondern, ebenso wie schon in dem beiE 3 gestrichenen E 1/Mk 11,18, die Hohenpriester und … . Unklar ist allerdings, warumE 3 nach dem Todesurteil durch das sunedrion nicht nur die Nichtverurteilung Jesudurch Pilatus erzählt, sondern auch noch, dass Pilatus dann, a u ß e r h a l b (!) dieserVerhandlung, Jesus zur Kreuzigung übergibt (E 3/ 27,26). E 3s Interesse an Pilatus giltoffenkundig überhaupt nicht dessen Freispruch Jesu, sondern seinem Vollstrecken derTodesstrafe per Kreuzigung. Für sein Contra gegen E 2 braucht E 3 diese öffentlicheZurschaustellung der Leiche. E 3 will den Beweis für Jesu Tod! Darum erzählt er auch,ohne entsprechende Vorlage (!), dass die namentlich bekannten Frauen den Toten sehen(27,55f). Wichtig ist E 3 überdies, dass z w e i Frauen auch Jesu Beerdigung bezeugenkönnen (27,61). Ist Jesus sichtbar tot und unter Zeugen beerdigt, kann er nicht der(unsterbliche) logos des E 2 gewesen sein, der direkt pros ton patera anabainei!Entsprechend ergänzt E 3 diese Erzählung um das von E 1/Mk 13,26f her inspirierte,irdisch machtvolle Auftreten Jesu auf dem Berg (E 3/in Mt 28,16ff), das allen logos-Vorstellungen widerspricht. Die dem heutigen Leser wichtige Frage nach dem VerbleibJesu nach Mt 28,20 ist für E 3 dagegen ohne Interesse.

Im Übrigen ergänzt E 3 seine Quellen durch den Hinweis auf die Schuld des Volkes amTod des dikaios, an der noch die Nachkommen zu tragen haben werden (27,25 - das istder Hinweis auf die schon in E 1/Mk 13 angekündigte Kriegskatastrophe für das Land).

Zur weiteren RedaktionsgeschichteE 4/Mk 15,2ff übernimmt den Prozess vor Pilatus leicht gestrafft, allerdings ohne den schonbei E 3 den Zusammenhang störenden Traum der Frau des Pilatus und ohne den Schuld-vorwurf an die Juden. Diese beiden Auslassungen sind weitere Belege, dass E 3 hier denälteren Text überliefert.

E 5/Lk 23,1ff strafft den Text des E 3 weiter, ergänzt ihn aber um die Begegnung Jesu mitHerodes. Die Anklage wird zum ersten Mal deutlich benannt, wobei Jesus vor der staat-lichen Instanz aber das Delikt des Aufwiegelns des Volkes vorgeworfen wird (Lk 23,2b).

In E 2plus/Jh 18,28ff wird Jesus ganz allgemein als kakon poion angeklagt (E 2plus/Jh 18,30). Die Anklage wird vor Pilatus verhandelt, weil die Juden - angeblich - niemandentöten dürfen (E 2plus/Jh 18,31. - Allerdings wird Stephanus von den Juden unmittelbargesteinigt, Act 7,58). Klar ist auch hier, dass Pilatus Jesus freilassen möchte (E 2plus/Jh 19,12), aber erpresst wird und ihn darum schließlich paredoken … ina staurothe(E 2plus/Jh 19,16).

Ergebnis E 3 entwickelt auch den Pilatus-Prozess ohne Bezug auf Jesu Aktion im Tempel; dieSitten dort sind dem Verfasser schon völlig fremd. Wie bei E 1 betreiben auch hier dieHohenpriester und ... das Todesurteil. Geht es E 3 beim sunedrion-Urteil um die höchst-richterliche Feststellung der uios tou theou-Lehre als Blasphemie, so geht es ihm bei derEinführung des Pilatus um eine Art der Todesstrafe, bei der jeder erkennt, dass Jesusnicht der logos gewesen sein kann. - Daraus ergibt sich dann allerdings die Frage, wasv o r dieser Darstellung des E 3 bei E 1 zur Vollstreckung dieses Todesurteils berichtetworden ist.

Zur weiteren Redaktionsgeschichte Das von E 3 entwickelte Verfahren vor Pilatus wird nachträglich in die Texte des E 1/Mk (durch E 4) und des E 2/Jh (durch E 2plus/Jh) eingefügt.

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3. Die Vollstreckung des Todesurteiles bei E 1 Im Mk findet sich von einer anderen Darstellung zur Vollstreckung des Todesurteileskeine Spur. Aber im Jh findet sich neben dem (von E 3 her übernommenen) Bericht vonder Kreuzigung Jesu (E 2plus/Jh 19,18) auch der von seiner S t e i n i g u n g (Jh 8,59)!Dabei kann Jesus sich in wundersamer Weise ekrubein und dann sogar aus dem Tempelgehen (ähnlich Paulus in Act 14,19f). Anlass dieser Steinigung ist Jesu Rede, er habeschon Abraham gesehen (Jh 8,56ff). Diese sonst nicht überlieferte Äußerung von ihmdürfte aus dem Prolog entwickelt sein. Ist der logos/Jesus von Anfang an gewesen(E 2/Jh 1,1ff), dann war er natürlich auch vor Abraham. Diese Argumentation verzerrtdie Jesus/logos-Lehre des E 2 ins Groteske. Sie richtet sich gegen E 2, stammt also erstvon E 2plus/Jh.

Mit dem ekrubein (Jh 8,59) bestreitet E 2, dass Jesus bei der Steinigung ums Lebenkommt. Diesem Verbergen kommt in der logos-Interpretation des E 2 eine zentrale Rollezu. Nur wenn Jesus nicht gestorben ist, kann er der logos gewesen sein. Wenn E 2 dieseVorstellung entwickelt, kann er in seiner Vorlage, dem Text des E 1, bei Jesu Steinigungnichts von dessen Tod und vom Verbleib seiner Leiche erfahren haben. Nur weil E 1auch nichts von einer Geburt Jesu berichtet, kann E 2 Jesus als den unsterblichen, vonoben kommenden und nach der - per ekrubein entschärften - Steinigung zum Vaterzurückkehrenden neaniskos/logos interpretieren.

E 2/Jh hat die Erzählung von der Steinigung Jesu von E 1 her übernommen. Dabei fälltauf, dass für E 2, anders als für E 1/Mk 11,18, nicht die Hohenpriester und … , sondernganz allgemein (nur) die Juden die Täter sind (E 2/Jh 8,57).

Zur weiteren RedaktionsgeschichteEin dublettenhafter Text zu Jh 8,59 findet sich in Jh 10,31ff.Die Erzählung von der Steinigung des Stephanus wirkt dublettenartig zu der von derSteinigung Jesu. Stephanus predigt zuerst - wenn auch anders als Jesus in E 1/Mk 11,15ff -gegen den Tempel (Act 7,48) und redet dann ähnlich Jesus in E 1/Mk 13,26f vom uios touanthropou und wird nach diesem Stichwort gesteinigt (Act 7,56f).Mit dem von E 2 per ekrubein gekonnt verdrängten Bericht des E 1 von Jesu Tod kommt E 3in die Situation, in seinem Streiten gegen E 2 Jesu Tod als nachweisbar geschehen darstellenzu müssen. E 4 streicht beim Einarbeiten der von E 3 erzählten gerichtlichen Verhandlungen vor demsunedrion und vor Pilatus ebenfalls den nun störenden Bericht des E 1 von der SteinigungJesu und ersetzt ihn ebenfalls durch den von seiner Kreuzigung.

ErgebnisIn seinem Streiten gegen die Jesus/logos-Lehre des E 2 streicht E 3 die von E 1 über-lieferte Steinigung Jesu und das von E 2 behauptete anabainein pros ton patera.Stattdessen benutzt er die beiden Erzählungen von der Nicht-Verurteilung Jesu durchPilatus und erdichtet dazu, dass dieser Jesus danach unter dem Druck des Volkes (E 3/Mt 27,22ff) zur öffentlichen (römischen) Kreuzigung übergeben hat. Auch für JesuBeerdigung behauptet E 3 namentlich bekannte Zeugen.

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Gesamtergebnis

Die Untersuchung im Anhang beschränkt sich als ersten Schritt auf den Text des E 1. Ihrmüsste die Rekonstruktion der kompletten Texte des E 2, E 3, E 4 und E 5 folgen.

Die vollständige Schrift des E 1 umfasst Mk 1,2a.3.14f; 6,16-29(bis ptoma autou);in 16,1f.5-7a; 10,1a; 11,15f.18; 13,1a(bis ierou).2.7f.12.14-20.24-27 sowie den (von E 4gestrichenen) Satz von der Steinigung Jesu. Der Text ist keine gelehrte Abhandlung,sondern eine Trostschrift. Ihr Anlass ist die Zerstörung des Tempels und der Verlust desreligiösen Zentrums des Judentums. E 1 deutet diese Katastrophe als Folge des hart-näckigen Missbrauchs des Tempels durch die dortige Priesterschaft. Der BußpredigerJesus hat, wenn auch erfolglos, versucht (wie E 1 erdichtet) sogar h a n d g r e i f l i c hgegen diesen Missbrauch vorzugehen. E 1 behauptet, dass Jesus daraufhin die (z. Zt desE 1 schon geschehene) Zerstörung des Tempels a n k ü n d i g t. Aus diesem Verlust(und dem Verbot für Juden Jerusalem zu betreten) folgt für E 1 die Aufgabe, die zentraleVerehrung des kurios (ohne Tempel und Hohepriester) außerhalb Jerusalems völlig neuzu organisieren.

Dazu richtet sich sein Blick auf das Galiläa des Bußpredigers Johannes. Dieser hattesogar seinem „König“ Vorhaltungen gemacht und war darum getötet worden. Dazuerdichtet E 1, dass der König einen F o r t s e t z e r für Johannes p r o k l a m i e r that. (Das impliziert die Vorstellung, dass Herodes - bußfertig - den ungerechten Mord anJohannes wieder gut zu machen sucht).

Von Jesus überliefert E 1, dass er auf seinem Weg nach Jerusalem (von woher?) durchGaliläa kommt. Dazu erdichtet E 1, dass Jesus s c h o n dort t o e u a g g e l i o npredigt. Dieses lässt E 1 Jesus dann allerdings erst in Jerusalem konkretisieren.Nachdem dieser dort erfolglos den Handel im Tempel angeprangert hat (warumausgerechnet Jesus?), lässt ihn E 1 dessen Zerstörung ankündigen und zur metanoiaaufrufen. Bei all den kommenden Katastrophen m e t a n o e i t e und vertraut auf das(aus Jesaja abgeleitete) euaggelion, dass der kurios die Tage des Kriegselends um seinerAuserwählten willen verkürzen und diese nach dem kommenden Weltuntergang von denEngeln retten lassen wird ( b a s i l e i a t o u t h e o u ).

Über E 1 erfahren wir aus seiner Schrift, dass er nach 135 n. Chr. in Galiläa wirkt unddort (zunächst) das Zentrum der weiteren Verehrung des kurios sieht. Er hat hier eineherausragende, schriftgelehrte Rolle. Seine Perspektive wird streitbar diskutiert.Abweichende Vorstellungen werden ebenfalls schriftlich formuliert und schließlichintegrierend mit seinem Text zusammengearbeitet. Das geistige Zentrum hier dürfte erstentstanden sein, nachdem es den Juden verboten war Jerusalem zu betreten.

E 1 bezieht sich nicht nur auf Johannes in Galiläa, sondern verbindet ihn mit Jesus inJerusalem. Dort berichtet E 1 von Jesus nur dessen erfolglose Aktion im Tempel alsletzten Bußruf vor dessen Zerstörung und den folgenden Katastrophen. Redet E 1 nurvon diesem einen Ereignis aus dem Leben Jesu, so ist doch davon auszugehen, dassweitere Erzählungen über ihn im Umlauf waren. Sie dürften (z. T.) in weiterer Jesus-überlieferung bewahrt sein, die schließlich nach einer eigenen Redaktionsgeschichte mitdem Text des E 1 und dem der anderen Evangelien zusammengearbeitet wird.