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DIE RECHTLICHE DIMENSION EINER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG IN DER EUROPÄISCHEN UNION .................................................................................................................................................................................. 1 EINLEITUNG..........................................................................................................................................................2 1. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG – EINE ARBEITSDEFINITION........................................................ 2 2. ERKLÄRUNGSANSÄTZE DER EUROPAFORSCHUNG........................................................................... 4 2.1 KONZEPT DER RECHTSGEMEINSCHAFT.............................................................................................. 4 2.2 INTEGRATION – GOVERNANCE – DEMOKRATIE/LEGITIMITÄT.................................................. 6 2.3.1 Der EuGH als Governanceakteur.......................................................................................................... 8 2.3 ROLLE DES EUGH IM EUROPÄISCHEN POLITIKZUSAMMENHANG............................................ 8 2.3.2 Regulierung durch den EuGH................................................................................................................ 9 2.3.3. Vertretung öffentlicher Interessen in der EU...................................................................................... 11 2.3.4 Nachhaltige Entwicklung und die Judikative....................................................................................... 13 2.3.5 Marktregulierung durch den EuGH..................................................................................................... 14 3. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG IM RECHT......................................................................................... 17 3.1 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS INTERNATIONALES RECHTSPRINZIP .......................... 18 3.2.1 Wandel der Verträge............................................................................................................................ 20 3.2 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS EUROPÄISCHES RECHTSPRINZIP ..................................20 3.2.2 Kodifizierung des Drei-Säulen-Modells............................................................................................... 25 3.2.3 Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft................................................................................................. 28 3.2.4 Umweltpolitische (und entwicklungspolitische) Querschnittsklausel.................................................. 30 3.2.5 Umweltpolitische Einzelprinzipien....................................................................................................... 34 3.2.6 Umweltschutz im Binnenmarkt............................................................................................................. 36 3.2.7 Umweltschutz im Außenhandel............................................................................................................ 40 SCHLUSS/AUSBLICK......................................................................................................................................... 41 LITERATUR......................................................................................................................................................... 43

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DIE RECHTLICHE DIMENSION

EINER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG

IN DER EUROPÄISCHEN UNION

..................................................................................................................................................................................1

EINLEITUNG..........................................................................................................................................................2

1. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG – EINE ARBEITSDEFINITION........................................................ 2

2. ERKLÄRUNGSANSÄTZE DER EUROPAFORSCHUNG........................................................................... 4

2.1 KONZEPT DER RECHTSGEMEINSCHAFT..............................................................................................4

2.2 INTEGRATION – GOVERNANCE – DEMOKRATIE/LEGITIMITÄT.................................................. 6

2.3.1 Der EuGH als Governanceakteur..........................................................................................................8

2.3 ROLLE DES EUGH IM EUROPÄISCHEN POLITIKZUSAMMENHANG............................................ 8

2.3.2 Regulierung durch den EuGH................................................................................................................92.3.3. Vertretung öffentlicher Interessen in der EU......................................................................................112.3.4 Nachhaltige Entwicklung und die Judikative.......................................................................................132.3.5 Marktregulierung durch den EuGH.....................................................................................................14

3. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG IM RECHT.........................................................................................17

3.1 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS INTERNATIONALES RECHTSPRINZIP.......................... 18

3.2.1 Wandel der Verträge............................................................................................................................ 20

3.2 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS EUROPÄISCHES RECHTSPRINZIP..................................20

3.2.2 Kodifizierung des Drei-Säulen-Modells...............................................................................................253.2.3 Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft................................................................................................. 283.2.4 Umweltpolitische (und entwicklungspolitische) Querschnittsklausel.................................................. 303.2.5 Umweltpolitische Einzelprinzipien.......................................................................................................343.2.6 Umweltschutz im Binnenmarkt.............................................................................................................363.2.7 Umweltschutz im Außenhandel............................................................................................................ 40

SCHLUSS/AUSBLICK.........................................................................................................................................41

LITERATUR......................................................................................................................................................... 43

Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs

Stand: 30. September 2003

EINLEITUNG

Für dieses Arbeitspapier wird aus dem Dissertationsprojekt, das sich mit der Implementation

der ‚EU-Strategie für die nachhaltige Entwicklung’ (wie im Jahre 2001 vom Europäischen Rat

in Göteborg beschlossen) beschäftigt, eine Teilfrage ausgekoppelt. Weil der

Nachhaltigkeitsbegriff bereits in die Verträge eingegangen ist, erscheint die Klärung seines

rechtlichen Gehalts wesentlich; dazu soll insbesondere die Rechtsprechung des EuGH befragt

werden. Zugleich kann damit das Zusammenspiel von Politik und Recht in der europäischen

Rechtsgemeinschaft näher bestimmt und für die weitere Untersuchung fruchtbar gemacht

werden. Diese Fassung ist um einen ersten Durchgang durch das Material bemüht, hält sich

aber mit pointierten Schlüssen noch zurück. Inhaltlich konzentriert sie sich aufgrund der

besseren Datenlage überwiegend auf die internale ökologische Dimension der Fragestellung.

1. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG – EINE ARBEITSDEFINITION

Nachhaltige Entwicklung ist ein schillerndes politisches, weit in die Zukunft reichendes –

daher im besten Sinne ‚utopisches’ – Konzept, das sich einer empirischen Analyse im Grunde

entzieht. Um trotzdem Aussagen darüber treffen zu können, wie ‚realistisch’ eine nachhaltige

Entwicklung für die Europäische Union in ihrem bestehenden institutionellen Zuschnitt ist,

bedarf es zunächst einer heuristisch brauchbaren Rekonstruktion des Nachhaltigkeitsbegriffs.

Für die Zwecke dieser Untersuchung wird daher eine Arbeitsdefinition gebildet, die

nachhaltige Entwicklung von den folgenden vier Dimensionen bestimmt sieht: der

wirtschaftlichen, der ökologischen, der sozialen und der institutionellen. Damit wird vom

(klassischen) ‚Drei-Säulen-Modell’ bzw. dem ‚magischen Dreieck’ nachhaltiger Entwicklung

ausgegangen (Wirtschaft, Umwelt und Soziales), dieses aber um eine vierte Dimension

ergänzt (Institutionen).

Was die drei materiellen Dimensionen anbelangt, so richtet sich die Arbeitsdefinition am

Nachhaltigkeitsverständnis der Ökologischen Ökonomie aus: Mit ‚scale’, ‚distribution’ und

‚allocation’ werden diese Dimensionen in einen logischen (Problem- wie Lösungs-)

Zusammenhang gebracht: (1) stofflich-energetischer Umfang der Wirtschaft, (2) gerechte

Verteilung der Ressourcen, (3) effiziente Allokationsmechanismen (Costanza u.a. 2001, 96-

100). Alle drei Dimensionen werden also auf die ‚Wirtschaft’ i.w.S. bezogen, die den

Stoffwechsel der Gesellschaft mit der Natur organisiert: Sie steht im Zentrum der

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Nachhaltigkeitsproblematik. Die institutionelle Dimension wird als Idee dem

‚Nachhaltigkeitsprisma’ des Sustainable Europe Research Institute entlehnt (Spangenberg

2003, 25), jedoch in spezifischer Weise ausgedeutet: Hier soll es um die Institutionen

gesellschaftlicher Steuerung gehen, und zwar insbesondere um (4a) die Politik und um (4b)

das Recht, inklusive ihrer Wechselbeziehung. Die mögliche Rolle des Rechts für eine

nachhaltige Entwicklung steht dabei im Mittelpunkt des Interesses. Unter diesen Prämissen

nimmt die Untersuchung eine wirtschaftliche und rechtliche Ausrichtung an.

Die ökologische Dimension nachhaltiger Entwicklung wird oft auf den Begriff

intergenerativer Gerechtigkeit gebracht, die soziale Dimension wiederum mit dem Begriff

intragenerativer Gerechtigkeit verbunden. Für das Untersuchungsanliegen sollen diese beiden

Begriffe auf ihren Kerngehalt reduziert werden. Dazu ist die Grundidee der UN-Konferenz

von Rio (1992) in Erinnerung zu rufen, Umwelt- und Entwicklungsinteressen miteinander zu

verknüpfen. Für die Industrieländer (d.h. implizit auch für die Europäische Union) lautet die

Aufforderung daher, einerseits den eigenen Umweltverbrauch einzuschränken, andererseits

den Entwicklungsländern die Überwindung der Armut zu ermöglichen. Hinsichtlich der

ökologischen Dimension gilt die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen als

unbedingtes Gebot für Industrieländer wie für Entwicklungsländer; dabei müssen die

Industrieländer den Entwicklungsländern (Umwelt-) Raum für eigenes Wachstum belassen.

Mit der sozialen Dimension nachhaltiger Entwicklung ist ursprünglich der globale

Verteilungskonflikt angesprochen und weniger die Verteilungsproblematik innerhalb

bestimmter Hoheitsgebiete (Murswiek 2002, 3-8). Mit diesen Klärungen ist nicht mehr davon

auszugehen, dass die einzelnen Dimensionen nachhaltiger Entwicklung einer beliebigen

Abwägung freigestellt sind; vielmehr stecken sie einen – gleichwohl abstrakten –

Entscheidungsrahmen ab. Ethischer Maßstab ist die Verallgemeinerbarkeit der eigenen

Wirtschaftsweise und des eigenen Lebensstils in räumlicher (intragenerativer) und zeitlicher

(intergenerativer) Hinsicht.

Mit der konzeptionellen Idee der ‚Integration’ als Inbegriff nachhaltiger Entwicklung –

sowohl in materieller als auch in institutioneller Hinsicht – werden nun die einzelnen

Komponenten zusammengebracht: Ausgehend von der Europäischen Union als

Wirtschaftsgemeinschaft (materiell betrachtet) und als Rechtsgemeinschaft (institutionell

betrachtet) wird nachhaltige Entwicklung für das Untersuchungsvorhaben als Integration von

Wirtschaftspolitik/-recht, Umweltpolitik/-recht und Entwicklungspolitik/-recht konzipiert.

Von empirischem Interesse sind dabei in erster Linie Konflikte zwischen Binnenmarkt- und

Umweltpolitik/-recht (für die internale Dimension der EU) und zwischen Außenhandels- und

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Entwicklungspolitik/-recht (für die externale Dimension der EU) sowie die institutionellen,

insbesondere rechtlichen Ansätze zu ihrer Lösung.

2. ERKLÄRUNGSANSÄTZE DER EUROPAFORSCHUNG

Mit dem Begriff der Rechtsgemeinschaft, der auf den ersten Kommissionspräsidenten Walter

Hallstein zurückgeht, werden dem europäischen Institutionengefüge zum einen

rechtsstaatliche Qualitäten zugemessen: Die Verträge gelten als ‚Verfassungsurkunde’

(EuGH); Legislative, Exekutive und Judikative sind ausdifferenziert (wenn auch wegen der

Doppelrolle der Kommission nicht ‚klassisch’ getrennt); die Ausübung öffentlicher Gewalt

unterliegt gerichtlicher Kontrolle; die Unionsbürger genießen einklagbare Grundrechte

(Nicolaysen 1999, 864-866). Im Verfassungsentwurf des europäischen Konvents wird die

‚Rechtsstaatlichkeit’ ausdrücklich als Grundwert der Union geführt (Artikel I-2). Zum

anderen wird mit dieser Wortprägung die Gemeinschaft als voraussetzungsreiche, vom

Konsens der Mitgliedstaaten getragene Schöpfung des Rechts gewürdigt: Recht – und nicht

Macht – gilt als Garant der europäischen Ordnung; die ‚Wahrung des Rechts’, welche letztlich

dem EuGH obliegt, erhält somit oberste Priorität (Nicolaysen 1999, 867-869).

Doch lässt sich die von Europarechtlern ‚erfundene’ (so oder so ‚konstruierte’)

Rechtsgemeinschaft auch soziologisch fassen; schon der Begriff selbst legt eine

gesellschaftstheoretische Ausdeutung nahe. Unbeschadet der fehlenden Staatseigenschaften

erfüllt die Europäische Union beispielsweise die Kriterien eines Herrschaftsverbandes im

Sinne Max Webers: In weit reichenden Aufgabenfeldern werden – auf Gemeinschaftsebene –

Rechtsnormen, Handlungsorientierungen und Rationalitätskriterien erzeugt und – in den

Mitgliedstaaten – durchgesetzt. So besehen besteht die EU als Rechtsgemeinschaft in einer

spezifischen ‚rechtlichen Konstitution sozialer Verhaltensstrukturierung’ (Lepsius 2000, 289-

292). Legitimation gewinnt dieser europäische Herrschaftsverband jedoch nicht allein aus

dem rechtlichen Verbund der Mitgliedstaaten, sondern auch aus ihrem politischen,

wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt: Diesen zu fördern ist somit (auch) eine Aufgabe

des Rechts und der Rechtsprechung (Zuleeg 1995, 24-33). So wie die Rechtsgemeinschaft als

Ganze auf gesellschaftliche Kontextfaktoren angewiesen ist, wird auch das Handeln ihrer

letzten Instanz, des EuGH, von strukturellen Zusammenhängen geprägt: Dessen strategisches

Umfeld bestimmt sich durch Mitgliedstaaten (bzw. deren Regierungen); andere europäische

2.1 KONZEPT DER RECHTSGEMEINSCHAFT

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Institutionen, Akteure der Zivilgesellschaft (insbesondere als Rechtsparteien);

mitgliedstaatliche Rechtsordnungen; das europäische Gemeinschaftsrecht selbst (und den

rechtswissenschaftlichen Diskurs) und im Weiteren auch durch international bedeutsame

Ereignisse und Entwicklungen (Wincott 2000, 10). Das eigentlich Soziologische der

Rechtsgemeinschaft liegt jedoch in den gesellschaftlichen Voraussetzungen (bzw. den

Bedingungen der Möglichkeit) des Rechts einerseits und im Beitrag des Rechts zur

gesellschaftlichen Integration andererseits. Dabei zeichnet sich die Integrationsfunktion des

supranationalen Rechts der Gemeinschaft dadurch aus, gesellschaftliche Verhältnisse nicht

nur normativ zu stabilisieren, sondern sie im Hinblick auf die Einigung Europas vor allem

auch zu verändern (von Bogdandy 2001, 23f).

Die auf solche Grundprobleme spezialisierte Rechtssoziologie geht nicht nur auf die

soziologischen Klassiker zurück, die sich in ihren Schriften nebst vielem anderen mit dem

Thema Recht befassen, sondern auch auf eine ‚soziologische Bewegung’ in den

Rechtswissenschaften selbst (sociological jurisprudence; American legal realism), die sich

gegen einen vordergründigen Rechtsformalismus wendet (Treviño 1996, 55-75). In der

ausdifferenzierten Teildisziplin stehen sich zwei Grundpositionen gegenüber: die

Konsensperspektive (zu deren Inbegriff der Strukturfunktionalismus geworden ist) und die

Konfliktperspektive (die sich als Konflikttheorie herauskristallisiert hat). Erstere geht von

einem relativ stabilen, funktional integrierten Gesellschaftssystem aus, das auf einem

grundlegenden Wertekonsens, gemeinsamen Interessen und Kooperation beruht; Letztere

nimmt eine von Interessengegensätzen, Konflikten und Zwang bestimmte Gesellschaft an, in

der die soziale Ordnung stets bedroht ist. Im einen Fall ist Recht eher Bindeglied, im anderen

Fall eher Repressionsmittel (Vago 1997, 20). Trotz dieses Gegensatzes in den

gesellschaftstheoretischen Prämissen bleiben die Themen im Grunde dieselben: In welchem

Zusammenhang stehen Recht und Gesellschaft; wodurch verändert sich das Recht; welchen

Einfluss haben Wirtschaft und Politik, Religion und Sittlichkeit auf das Recht; wie wird Recht

zu einem Instrument der Regulierung? Als Heuristik legt es die Rechtssoziologie nahe, immer

von einer relativen Autonomie des Rechts auszugehen, d.h. es als abhängige und unabhängige

Variable zugleich zu betrachten, und Konsens- und Konfliktperspektive zusammenzuführen,

um zu einer umfassenden Würdigung der ‚positiven’ wie der ‚negativen’ Seiten des

gesellschaftlich konstruierten Rechts zu gelangen (Treviño 1996, 441). Für die Fragestellung

der Untersuchung scheint die Rechtssoziologie allein jedoch nicht ausreichend ergiebig.

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In der ‚klassischen’ sozialwissenschaftlichen, insbesondere der politikwissenschaftlichen

Forschung zur EU stehen sich mit dem Neofunktionalismus und dem

Intergouvernementalismus zwei bedeutende Theoriekomplexe gegenüber, die sich vor allem

darin unterscheiden, welche Bedeutung sie den ‚Herren der Verträge’ – den durch ihre

Regierungen repräsentierten Mitgliedstaaten – für das Voranschreiten des europäischen

Integrationsprozesses beimessen. Die einen erkennen in der Integrationsdynamik ein logisches

Moment, das – bedingt durch funktionale Interdependenzen – die Vernetzung supra- und

subnationaler Akteure begünstigt und Zentralisierungstendenzen befördert; die anderen führen

die Abfolge der Integrationsschritte zurück auf die Präferenzen staatlicher Akteure für einen

supranational gestützten Verhandlungkontext, in dem allseitige Kooperationsgewinne erzielt

werden. In der Geschichte der europäischen Einigung hatten die einen Konjunktur, wenn

‚Europa’ einen Schub machte; die anderen traten hervor, wenn der Integrationsprozess

stagnierte: Wo der Neofunktionalismus in Erklärungsnöte geriet, erwies sich der

Intergouvernementalismus als fruchtbare Alternative – und umgekehrt. Trotz dieser

Theoriekontroverse teilen Neofunktionalismus und Intergouvernementalismus den (in der

politikwissenschaftlichen Subdisziplin ‚Internationale Beziehungen’ geübten) Blick auf die –

empirische – Einzigartigkeit des Integrationsphänomens. Die – normative – Debatte um das

rechte Maß an Integration und die Finalität Europas schließt sich hier direkt an.

Erst die Abkehr vom Integrationsparadigma – die so genannte Governancewende in den

1990er-Jahren – eröffnet eine grundlegend andere (eher in der ‚Vergleichenden

Regierungslehre’ kultivierte) Perspektive auf das europäische Institutionengefüge (Rosamond

2000, 105-106). Governance als neuer Leitbegriff bezeichnet das politikfeldbestimmte

Zusammenwirken gouvernementaler und nicht-gouvernementaler Akteure verschiedener

Handlungsebenen (subnational, national, supranational) bei der Definition und Durchsetzung

europäischer Politiken. Diese Form des ‚Regierens’ ohne exklusive ‚Regierung’ (governance

without government) bzw. des ‚Regierens jenseits der Staatlichkeit’ (governance beyond

states) wird dabei allerdings nicht als europäische Besonderheit gesehen, sondern als

allgemeineres Politikmuster, das sich seit einiger Zeit auch im traditionellen

nationalstaatlichen Rahmen beobachten lässt (Rosamond 2000, 109-111; Armstrong 1999,

746).

Neben den akteurstheoretischen Ansätzen der Politik(netzwerk)analyse (Rosamond 2000,

123-126) umfasst das breite Feld der Governanceforschung verschiedene institutionalistische

2.2 INTEGRATION – GOVERNANCE – DEMOKRATIE/LEGITIMITÄT

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Strömungen (Rational Choice, historischer Institutionalismus, soziologischer

Institutionalismus), die sich zwar in ihrem erkenntnistheoretischen Zugang und in ihrem

Institutionenbegriff eklatant unterscheiden, jedoch sämtlich – unter dem Leitsatz ‚institutions

matter’ – das Eigengewicht von Institutionen im politischen Prozess betonen (Rosamond

2000, 113-122). Als Institutionen im weiteren Sinne gelten dabei „the rules, norms, beliefs,

rhetorics, ideologies, and procedures which shape the interaction between institutional actors

and which orientate the institutional actors to their allotted functions“ (Armstrong 1995, 167).

Institutionelle Akteure üben dieser Auffassung nach nicht nur auf den Prozess der

Politikgestaltung (prozedurale Dimension), sondern auch auf deren Ergebnisse (substanzielle

Dimension) einen originären Einfluss aus. Durch Kombination bewährter und neuartiger

Elemente – Ziele und Mittel, Probleme und Lösungen – zu immer ‚fortschrittlicheren’

Arrangements gelingt ein (pfadabhängiger) institutioneller Wandel, der mit dem jeweiligen

institutionellen Umfeld der Akteure auch diese selbst unter Veränderungsdruck setzt. Als

System betrachtet gewinnt das Institutionengefüge seinen Halt im Wechselspiel von

Selbstreferenzialität und Umweltanpassung.

Das Verhältnis von erster und zweiter Generation europabezogener Theoriebildungen, also

von Integrationsparadigma und Governanceparadigma, muss nicht kompetitiv gedeutet

werden, sondern lässt sich als Differenzierung von ‚grand theory’ (über die Historie des

Einigungsprozesses) und ‚middle-range theory’ (über den europapolitischen Alltag) fassen, so

dass beiderlei Erkenntnisinteressen gewahrt und die jeweiligen Forschungsbeiträge

gegebenenfalls zusammengeführt werden können (Rosamond 2000, 108 u. 111-113). Auch

lässt sich die Integrationsdimension durchaus in die Governanceforschung miteinbeziehen:

etwa wenn zur Klärung der institutionellen Voraussetzungen und Besonderheiten des

Integrationsprozesses auf Argumente des Neofunktionalismus bzw. des

Intergouvernementalismus zurückgegriffen wird oder wenn davon ausgegangen wird, dass mit

zunehmender Vergemeinschaftung von Politikfeldern auch die relative Autonomie

supranationaler Institutionen wächst, in intergouvernemental beherrschten Politikfeldern

hingegen gering bleibt. Schließlich erweisen sich Neofunktionalismus und

Intergouvernementalismus selbst für institutionalistische Argumente aufnahmefähig.

Doch erschöpft sich die sozial- bzw. politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Europa

nicht im Integrationsdiskurs (samt Governancewende), sondern sie hat auch einen davon

weitestgehend unabhängigen Diskurs um die ‚Demokratie/Legitimität’ des europäischen

Institutionengefüges hervorgebracht (Craig 1999, 1-2). Als Verbindungsstück beider Diskurse

eignet sich insofern die Governanceforschung, als sie bereits Übergänge zu normativen,

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demokratietheoretischen Fragestellungen aufweist (Rosamond 2000, 120-121; Craig 1999,

36-42). Um den Zusammenhang von Recht und Politik in Europa herausarbeiten zu können,

bedarf es überdies einer Vermittlung rechts- und politikwissenschaftlicher Forschungsbeiträge

zur EU im Allgemeinen und zum EuGH im Besonderen. Auch hierfür bietet der ‚neue

Institutionalismus’ offenbar einen geeigneten Rahmen (Wincott 1995, 302). Das wird durch

die rechtswissenschaftliche Debatte über das Europarecht unterstrichen, zu deren

Schwerpunktthemen zählen: (a) Staatlichkeit und Verfassung, (b) Recht als

Integrationsinstrument (‚Recht ohne Staat’), (c) Gestalt, Finalität und Legitimität, (d)

Einheitsbildung und Fragmentierung sowie (e) Verfassungsprinzipien. In dieser

Themenvielfalt zeigt sich, dass sich auch die Jurisprudenz vom Integrationsparadigma gelöst

hat. Zum anderen ist die interdisziplinäre Öffnung der Bereiche (b) und (c) augenfällig (von

Bogdandy 2001, 3-43).

In dieser Arbeit soll die rechtliche Dimension einer nachhaltigen Entwicklung in Europa in

den Begriff der „judicial governance“ (Shapiro 1999, 339) übersetzt und institutionalistisch

gedeutet werden. Das Governanceparadigma lässt es dabei zu, sowohl integrationstheoretische

als auch demokratietheoretische Bezüge des Regierens in der Rechtsgemeinschaft

herzustellen.

2.3.1 Der EuGH als Governanceakteur

Die Betrachtung des EuGH als Governanceakteur ist in der aktuellen Debatte nicht

selbstverständlich. Ihr Hauptgegenstand ist die These der Ablösung des ‚judicial activism’

durch ‚judicial restraint’: Nach einer langen Phase des politischen Aktivismus, die von der

EWG-Gründungszeit bis weit in die 1980er-Jahre hineinreichte, wird dem EuGH heute von

vielen Stimmen in Rechts- und Politikwissenschaft eine größere richterliche Zurückhaltung

bescheinigt (als Indizien dafür vgl. Rs. C-109/91, Ten Oever; Rs. C-405/95, Marshall; Rs. C-

267 u. 268/91, Keck; Rs. C-91/92, Faccini Dori sowie die Gutachten 1/94, GATT/WTO; 2/94,

EKMR). Der Verzicht auf politisches Engagement qua Recht wird als Rückkehr zur

Normalität gewürdigt (Rasmussen 1998, 292 und 351-368). Dem Prinzipal-Agenten-Ansatz

zufolge lässt sich diese Entwicklung auf Veränderungen in der Beziehung des EuGH zu den

Mitgliedstaaten zurückgeführen, welche ihm einst das Mandat erteilt haben, auf

Gemeinschaftsebene ihre Interessen wahrzunehmen. Allerdings bleibt der Befund der

2.3 ROLLE DES EUGH IM EUROPÄISCHEN POLITIKZUSAMMENHANG

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Selbstbeschränkung nicht unbestritten, weil der EuGH auch in jüngerer Zeit durchaus

integrationsförderliche Entscheidungen gefällt hat (vgl. nur Rs. C-6 und 9/90, Francovich).

Eine modifizierte These lautet daher, dass in bereits weit entwickelten Bereichen des

Gemeinschaftsrechts eher Zurückhaltung geübt wird, während in weniger entwickelten

Bereichen die Integration durch die Rechtsprechung noch vorangetrieben wird (Beach 2001,

91-97 und 195).

Die in dieser Auseinandersetzung verwendeten Beurteilungskategorien gehen in erster Linie

auf das Paradigma der Integration zurück, d.h., die Rechtsprechung wird hauptsächlich auf

ihre Folgen für die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten geprüft.

Seltener wird auf Bezugsgrößen des Governanceparadigmas oder des Demokratie-/

Legitimitätsparadigmas zurückgegriffen – und wenn doch, dann vor allem, um die Normalität

einer Funktionstrennung und Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative

herauszustreichen, die auch für die europäische Ebene verbindlich gesetzt wird. Erst in eine

(historisch- oder soziologisch-) institutionalistische Perspektive gerückt, wird jedoch die

permanente Politik formende Bedeutung offenbar, die dem EuGH als (konstitutivem) Akteur

im europäischen Governancekontext zukommt.

Dabei ist davon auszugehen, dass der EuGH den politischen Prozess in allen Phasen

beeinflusst: „it can suggest new avenues to be explored, it can legitimate certain choices and

delegitimate others, it can provoke Community legislative intervention, its existence affects

the relationships between the various actors involved in policy debates, it plays a central role

in the implementation of common decisions” (Dehousse 1998, 82). Im institutionalistischen

Ansatz wird argumentiert, dass der EuGH von den Mitgliedstaaten zwar als supranationaler

Agent ihrer Interessen vorgesehen war, sich – einmal institutionalisiert – jedoch ein Stück

weit verselbständigen kann: Er entwickelt sich zu einem selbstbewussten Akteur im

europäischen Governancegefüge, mit dem eigentlich niemand ‚gerechnet’ hat. Die

Mitgliedstaaten werden dieses solange dulden, bis für sie – absolut besehen – die Nachteile

die Vorteile überwiegen. Damit aber eröffnet sich dem EuGH ein gewisser politischer

Entscheidungsspielraum (Shapiro 1999, 327-333). Wie die institutionelle Entwicklung des

EuGH und sein evolvierendes strategisches Umfeld seine politische Funktion prägen und

verändern, lässt sich besonders gut an seinem Beitrag zur (weithin vergemeinschafteten)

regulativen Politik im EG-Binnenmarkt veranschaulichen.

2.3.2 Regulierung durch den EuGH

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Das Konzept des regulativen Staates bezeichnet einen Staat, für den die Markt korrigierende

Regulierungsfunktion von größter Bedeutung ist und Umverteilungsfunktion und

Stabilisierungsfunktion verhältnismäßig schwach ausgeprägt sind. Dieser

regulierungstheoretische Ansatz wurde im Hinblick auf die föderale Ebene der US-Regierung

entwickelt. Auch die Europäische Gemeinschaft lässt sich jedoch als staatsähnliches Gebilde

mit vornehmlich regulativen Funktionen begreifen. Dabei sind der Gemeinschaft von den

Mitgliedstaaten nicht nur die Errichtung und Vollendung des Binnenmarkts (wirtschaftliche

Regulierung), sondern zunehmend auch sozialregulative Aufgaben übertragen worden (soziale

Regulierung i.w.S.). Dazu zählen seit dem EUV-M unter anderem ‚eine Politik auf dem

Gebiet der Umwelt’ und ‚eine Politik auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit’.

In Anlehnung an die (institutionalistische) Regulierungstheorie und den

(institutionalistischen) Governanceansatz kann nun argumentiert werden, dass der EuGH als

Akteur im politischen Prozess innerhalb des ihm übertragenen Aufgabenbereichs

Steuerungsfunktionen wahrnimmt und insbesondere auch (ökonomisch, ökologisch und sozial

i.e.S.) regulierend tätig wird. Dass er als Judikative anders als Legislative und Exekutive im

klassischen Sinne und im Unterschied zu den unabhängigen Regulierungsagenturen, die als

‚fourth branch of government’ im Zentrum der Regulierungstheorie stehen, nicht regulatorisch

agiert, sondern reagiert, ist für den interaktiven Prozess des Regulierens dabei von minderem

Belang. Die institutionellen Voraussetzungen, unter denen unabhängige Agenturen und

Gerichte tätig werden, scheinen überdies sehr ähnlich gelagert: In relativer Autonomie von der

Politik, weder (mehrheits-) demokratisch legitimiert noch kontrolliert, verrichten sie die ihnen

übertragenen Aufgaben; ‚treuhänderisch’ wahren sie das Gemeinwohlinteresse auch dort, wo

dem Gesetzgeber ‚regulatorisches Versagen’ droht (Majone 1996, 47-60 und 284-301;

Majone 2001, 65-75). Diese regulierungstheoretische Rekonstruktion des EuGH ermöglicht es

zum einen, mit dem Begriff des regulativen Staates ein Spezifikum der EU jenseits des

nationalen Wohlfahrtsstaats (und diesseits der global governance) sichtbar zu machen und den

EuGH in diesem regulativen Kontext des Regierens zu platzieren. Zum anderen lassen sich

die Verbindungen der Regulierungstheorie zu demokratietheoretischen Fragestellungen

nutzen, um die Legitimität der politischen Funktionen des EuGH zu ergründen.

Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist, inwieweit der EuGH als Gericht eines

‚wirtschaftlichen Zweckverbandes’, der den Kern der Europäischen Union bildet, überhaupt

öffentliche Interessen (an sozialer Regulierung) verfolgen kann.

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2.3.3. Vertretung öffentlicher Interessen in der EU

In Rechtskonflikten, in denen einzelne Wirtschaftsakteure den Gemeinschaftsorganen

gegenüber stehen, ist das öffentliche Interesse weder mit den Individualinteressen noch mit

dem Gemeinschaftsinteresse identisch. Vor Gericht geht es dann im Grunde um einen

Ausgleich zwischen zweierlei Sonderinteressen. Die Öffentlichkeit kann allerdings ein

Interesse an dem Ergebnis oder der Streitbeilegung als solcher nehmen. In bestimmten Fällen

treten gegen die Gemeinschaft jedoch nicht Einzelne, sondern die Mitgliedstaaten auf, um

zwingende Erfordernisse des allgemeinen Interesses geltend zu machen, die zur Aussetzung

der qua definitione im Gemeinschaftsinteresse liegenden Grundfreiheiten führen können

(Cassis-Formel). Solange keine Gemeinschaftsregelung (Harmonisierung) besteht, die das

Allgemeininteresse wahrt, repräsentieren also die Mitgliedstaaten die Belange des

Gemeinwohls gegenüber der Gemeinschaft, welche wiederum die Interessen der individuellen

Marktteilnehmer vertritt. In dieser vermittelten Form, bisweilen aber auch in direkter Weise,

kehrt auf Gemeinschaftsebene somit die rechtsstaatliche Konstellation wieder, dass eine

Einschränkung der geschützten Interessen Einzelner (Grundrechte) nur im öffentlichen

Interesse zu rechtfertigen ist. In bestimmten Fällen ergreift die Gemeinschaft selber

grundrechtsbeschränkende Maßnahmen, die in einem – supponierten – allgemeinen Interesse

liegen. Insgesamt ist jedoch an einem Unterschied zwischen Gemeinschaftsinteresse und

Allgemeininteresse festzuhalten (Uerpmann 1999, 245-265).

Selbst wenn die Gründungsväter noch annehmen konnten, dass mit der EWG dem

Gemeinwohl am besten gedient ist, das Gemeinschaftsinteresse also mit dem öffentlichen

Interesse zusammenfällt, so hat sich Letzteres in den vergangenen Jahrzehnten doch erheblich

differenziert und verbreitert. Wie sich an der Rechtsprechung in denjenigen Fällen zeigt, in

denen zwecks Ausgleichs von (supranationalem) Gemeinschaftsinteresse und (nationalem)

Allgemeininteresse die Cassis-Formel zur Anwendung kommt, ist die institutionelle Rolle des

EuGH zwiespältig: Zum einen hat er im Hinblick auf den Binnenmarkt die im Vertrag

verankerten Rechte sowohl der Gemeinschaft (Grundfreiheiten) als auch der Mitgliedstaaten

(Schutzanliegen) zu wahren, zum anderen aber bleibt er selbst auf die Vertragsziele

verpflichtet, zu denen mit langer Tradition die Schaffung und Vollendung des Binnenmarkts

zählt. Zu welchem Ergebnis der EuGH bei der Abwägung von Gemeinschaftsinteresse und

Allgemeininteresse gelangt, hängt also auch davon ab, inwieweit die ‚Verfassung Europas’

über die partikularen Interessen eines wirtschaftlichen Zweckverbandes hinaus ein breiteres

Allgemeininteresse in ihre Aufgaben und Ziele einbezieht und inwieweit der EuGH als

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(pfadabhängige) Institution diesen Bestimmungen Folge leisten kann. Die mit dem EUV-M

und dem EUV-A vorgenommenen Veränderungen des Vertrags sind jedenfalls als ein

Hinweis auf eine solche Ausweitung der normativen Basis zu lesen.

Hinzu kommt allerdings eine weitere Voraussetzung: dass Kläger dieses Allgemeininteresse

vor Gericht auch einbringen können. Abgesehen von der Cassis-Formel für die Anerkennung

zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses, repräsentiert durch die Mitgliedstaaten,

und gemeinwohlförderlicher Selbstkontrolle der Gemeinschaftsorgane (wobei das Parlament

jedoch nur in eigener Angelegenheit auftreten kann) besteht auf Gemeinschaftsebene bisher

wenig Raum für Prozesse im öffentlichen Interesse (public interest litigation): Ein Großteil

der möglichen Kläger wird mangels individueller und direkter Betroffenheit vor den

europäischen Gerichten gar nicht zugelassen. Insbesondere betrifft dies Vereinigungen, die

sich dem Schutz diffuser gesellschaftlicher Interessen verschrieben haben (z.B.

Umweltschutz, Verbraucherschutz, Gleichberechtigung). Mit dem Argument, dass gerade in

einem regulativen Staat (bzw. einem regulativen Staatenverbund) das öffentliche Interesse auf

einen zugänglichen und funktionierenden Rechtsweg angewiesen ist, schließt sich der Kreis

zwischen governancetheoretischen und demokratie-/legitimitätstheoretischen Überlegungen:

Fragen des Zugangs zu den Gerichten (access to justice) sind eng verknüpft mit der

Legitimität der Ergebnisse sozialer Regulierung. (In einer Engführung gilt das auch für die

regulatorische Aktivität des EuGH selbst.)

In der Gemeinschaft ist die Erweiterung des Ziel- und Aufgabenkatalogs jedoch nicht mit

einer Verbesserung der Klagemöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Vertreter öffentlicher

Interessen einhergegangen. Demnach ist fraglich, ob die Vertragsrevisionen zu einer

ebenbürtigen Verlagerung (oder Vervielfältigung) der Regulierungsschwerpunkte führen

können, wenn die Voraussetzungen für eine wirksame gerichtliche Kontrolle fehlen. Ein

Ausbau der Klagemöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen (wenn nicht gar für

jedermann) könnte zwar auch im Wege der Rechtsfortbildung geschehen. Wie die jüngsten

Gerichtsentscheidungen zeigen (vgl. Rs. T-177/01, Jégo-Quéré; Rs. C-50/00 P, Unión de

Pequeños Agricultores), führt der sicherere Weg allerdings über den Gesetzgeber, der vom

EuGH auch indirekt zum Handeln aufgefordert wurde. Für den Umweltbereich haben sich die

Klagevoraussetzungen vor kurzem verbessert: Mit der Einführung eines Verbandsklagerechts

im Gültigkeitsbereich der UVP- und der IVU-Richtlinie kommt die Gemeinschaft der

Verpflichtung des 1998 unterzeichneten Aarhus-Übereinkommens nach, in

Umweltangelegenheiten einen weiten Zugang zur Justiz zu gewährleisten (vgl. Richtlinie

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2003/35/EG des EP und des Rates, 26.5.2003) (Reich 1996, 3-7; Krämer 1996, 309-314;

Krämer 2002, 464-465; Nowak 2001, 239).

Unter dem Aspekt nachhaltiger Entwicklung betrachtet genügt es allerdings nicht, den EuGH

zum Treuhänder nicht nur des Gemeinschaftsinteresses, sondern auch des Allgemeininteresses

zu machen, solange dieses wiederum partikularistisch allein auf die jetzigen Unionsbürger

bezogen bleibt: Es fehlen die intragenerative und intergenerative Dimension.

2.3.4 Nachhaltige Entwicklung und die Judikative

Eine (normative) Theorie des Rechts nachhaltiger Entwicklung, die rechtssoziologische

Argumente mit governance- und demokratietheoretischen Argumenten verknüpft, kann

darlegen, dass Richter unter bestimmten Umständen zu Schlüsselfiguren des

gesellschaftlichen Transformationsprozesses werden können. Ausgangspunkt ist – wie bereits

in der (rechts-) ‚soziologischen Bewegung’ – eine Kritik am Rechtsformalismus, der sich dem

sozialen Wandel sperrt, geschweige denn ihn zu gestalten sucht. Dem wird eine

wertbezogene, policy-orientierte Rechtswissenschaft entgegengesetzt, die sich dem Leitbild

nachhaltiger Entwicklung und seinen (substanziellen und prozeduralen) Teilprinzipien

verschreibt (Decleris 2000, 38-48). Drei Fälle sind nun zu unterscheiden: Entweder hat der

Gesetzgeber den Nachhaltigkeitsgrundsatz noch gar nicht in die Rechtsordnung übernommen;

oder er hat ihn zwar (primärrechtlich) übernommen, berücksichtigt ihn aber

(sekundärrechtlich) nicht; oder er hat ihn übernommen und richtet sich im Großen und

Ganzen auch nach ihm. In Fall eins fehlt eine eigenständige Rechtsgrundlage; in Fall zwei ist

Untätigkeit des Gesetzgebers das Grundproblem; in Fall drei können Rechtskonflikte

tatsächlich auftreten und gerichtlich entschieden werden. Die nachhaltigkeitsorientierte

Rechtsprechung bliebe im Grunde auf Fall drei beschränkt; Fälle eins und zwei wären nicht

justiziabel.

An dieser Stelle kommen zum einen governancetheoretische Einsichten über die

institutionellen Eigenarten und die Interaktion von Legislative und Judikative ins Spiel, zum

anderen demokratietheoretische Überlegungen über die Bedingungen der Legitimität

richterlichen Eingreifens in den politischen Prozess. Kurz gefasst: Es lässt sich argumentieren,

dass Richter langfristige (und ‚großräumige’) öffentliche Interessen besser verteidigen können

als Politiker, weil sie weniger abhängig sind vom Auf und Ab der politischen Konjunktur und

weniger beeinflussbar von machtvollen Lobbies; zugleich sind sie umso stärker gebunden an

das (annahmegemäß von nachhaltiger Entwicklung affizierte) Recht. Der Vorzug der

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Unabhängigkeit der Richterschaft ist zugleich ihr wichtigstes Manko gegenüber Politikern: Im

Gegensatz zur Legislative ist die Judikative demokratisch nicht direkt kontrollierbar.

(Ausgleich könnte in der höheren Legitimität ihrer Interessenrepräsentation durch den

gewählten ‚altruistischen’ Bezugsrahmen liegen.) Im Wege der Rechtsfortbildung kann die

Judikative nun – punktuell – legislative Funktionen übernehmen (Richterrecht) und somit den

Gesetzgeber partiell ersetzen bzw. zum Handeln animieren. Damit aber wären die Richter

prädestinierte ‚Garanten nachhaltiger Entwicklung’ (Decleris 2000, 9-10 und 69-79). Diese

Konstellation ist im Fall zwei am wirksamsten, in dem bereits eine Verfassungsbestimmung

oder andere fundamentale Rechtstitel zur nachhaltigen Entwicklung bestehen, während Fall

eins mangels Nexus vom internationalen soft law zum einzelstaatlichen hard law

rechtsdogmatisch größere Probleme aufwirft.

Dieses Plädoyer für ein Engagement der Judikative zugunsten nachhaltiger Entwicklung weist

starke Ähnlichkeit zu Erklärungskonzepten auf, die sich mit dem richterlichen Aktivismus des

EuGH in den ersten drei Jahrzehnten der E(W)G befassen. Üblicherweise wird davon

ausgegangen, dass der EuGH – legitimerweise – für den Gemeinschaftsgesetzgeber

‚eingesprungen’ ist, als dieser den Integrationsprozess selbst nicht voranzubringen vermochte.

Entsprechend entfällt die Berechtigung zu einer politischen Instrumentalisierung des Rechts,

sobald sich die Gesetzgebungstätigkeit normalisiert hat (Rasmussen 1998, 351-368). Wenn

dem Gemeinschaftsgesetzgeber nun zwar keine generelle Untätigkeit vorgeworfen werden

kann, jedoch eine mangelnde (sekundärrechtliche) Operationalisierung des

Nachhaltigkeitsziels, könnte der EuGH somit zum regulativen Einschreiten legitimiert sein.

2.3.5 Marktregulierung durch den EuGH

Die für die europäische Integration so fundamentale wirtschaftliche Dimension materialisiert,

institutionalisiert und konstitutionalisiert (Weiler 1999) sich zuallererst in der Herstellung und

Regulierung des gemeinsamen Marktes bzw. des Binnenmarkts. Dabei haben drei

Bestimmungen des EG-Vertrags eine hohe Bedeutung erlangt: Artikel 28 verbietet für den

Warenverkehrsbereich mengenmäßige Beschränkungen von Importen sowie Maßnahmen

gleicher Wirkung (Deregulierung); Artikel 30 nennt Rechtfertigungsgründe für Verstöße

gegen Artikel 28 (Regulierung); Artikel 95 enthält die binnenmarktbezogene

Harmonisierungskompetenz der Gemeinschaft (Re-Regulierung). Die Entscheidung über

Deregulierung oder Regulierung treffen die Gerichte; über Re-Regulierung wird im

Gesetzgebungsprozess beschlossen (Armstrong 1995, 173). Die richterliche Auslegung der

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Artikel 28 und 30 hat in der Vergangenheit die Gestaltung europäischer Regulierungspolitiken

entscheidend beeinflusst. Sie führte zu einer effizienteren Implementation des

Binnenmarktziels, warf aber auch Fragen auf nach der Abgrenzung von legislativen und

judikativen Aufgaben (EuGH als Policy-Initiator), dem Verhältnis von negativer und positiver

Integration (Deregulierung als ‚Norm’) und der Zuständigkeit für Regulierungsentscheidungen

(Beschränkung nationalstaatlicher Autonomie). An diesem markanten Beispiel lassen sich

daher ebenso das institutionelle Gewicht und die politische Bedeutung des EuGH innerhalb

der europäischen Governance veranschaulichen wie Bezüge zur Integrations- und zur

Demokratie-/Legitimitätsproblematik herstellen (Craig/de Búrca 2003, 613-614 und 676-677).

Die Rechtsprechung des EuGH zu den Kernbestimmungen der Warenverkehrsfreiheit lässt

sich nach den Leitentscheidungen Dassonville (1974), Cassis de Dijon (1979) und Keck und

Mithouard (1993) in drei Phasen gliedern oder auch – den evolutionären Ablauf betonend –

drei aufeinander folgenden ‚Generationen’ (Weiler 1999) zuordnen: Dassonville steht dann

für die 1960er-/1970er-Jahre; Cassis für die 1970er-/1980er-Jahre und Keck für die 1980er-/

1990er-Jahre. In Cassis und Keck hat der EuGH jeweils in Reaktion auf Problembestände

seiner vorigen Rechtsprechung in einem Präzedenzfall die heranzuziehenden

Entscheidungsgründe revidiert und eine neue Linie von Urteilen vorgezeichnet. Im Zuge

dieser Nuancierungen und Selbstkorrekturen kommt es allerdings auch zu Verschiebungen in

der Interpretation der den Verträgen eingeschriebenen europäischen Wirtschaftsverfassung,

deren Substrat die vier Freiheiten und die Wettbewerbsbestimmungen bilden. Der EuGH fällt

mit seiner Auslegung allgemein gehaltener Vertragsbestimmungen, die letztlich nur durch

intergouvernementale Übereinkunft ‚richtig’ zu stellen ist, jedoch weitreichende

institutionelle Entscheidungen, für die er nicht immer als ausreichend kompetent und

legitimiert anzusehen ist. De facto urteilt er nicht nur über die Zulässigkeit öffentlicher

Eingriffe in die Grundfreiheiten der Marktteilnehmer, sondern auch darüber, wem diese

Regulierungsbefugnisse unter welchen Umständen zukommen: der supranationalen Ebene

oder den Mitgliedstaaten; dem Gemeinschaftsgesetzgeber oder – ihm selbst (Poiares Maduro

1998, 159-160 und 168-169). Dass es dem EuGH möglich wurde, solch weitreichende

regulierungspolitische Funktionen zu übernehmen, ergibt sich in einer institutionalistischen

Betrachtung aus der relativen Autonomie, die er im Verhältnis zu den Akteuren seines

Umfelds gewonnen hat: ob den Regierungen der Mitgliedstaaten, anderen supranationalen

Einrichtungen oder Dritten (z.B. der Privatwirtschaft bzw. Zivilgesellschaft) gegenüber.

Die institutionelle Dynamik von Dassonville über Cassis zu Keck lässt sich folgendermaßen

nachzeichnen: Die Dassonville-Formel untersagt alle mitgliedstaatlichen Handelsregelungen,

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die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel ‚unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich

oder potenziell’ zu behindern und stellt damit weite Bereiche staatlicher Regulierung zur

Disposition. Dem Gemeinschaftsgesetzgeber gelingt es allerdings nicht, durch harmonisierte

(Re-) Regulierungsmaßnahmen einen Ausgleich zwischen Marktfreiheiten und legitimen

Schutzinteressen zu schaffen; eine Regulierungslücke entsteht.

Mit dem Cassis-Urteil eröffnet der EuGH daraufhin den Mitgliedstaaten die Möglichkeit,

neben den Ausnahmeregelungen in Artikel 30 (Gründe der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung

und Sicherheit; Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen;

Schutz des nationalen Kulturguts; Schutz des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums)

auch ‚zwingende Erfordernisse’ (z.B. Verbraucherschutz oder Umweltschutz) geltend zu

machen: Demnach verstoßen Schutzpolitiken mit (potenziell) handelshemmender Wirkung

dann nicht gegen die Bestimmungen des Artikels 28, wenn sie den Kriterien der

Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit genügen. Zudem wird der

Harmonisierungsbedarf auf Gemeinschaftsebene durch das Prinzip der gegenseitigen

Anerkennung (bzw. des funktionalen Parallelismus), das unter Voraussetzung der

Gleichwertigkeit unterschiedlicher nationaler Schutzregime gilt, erheblich herabgesetzt.

Dieser Grundsatz inspiriert die Europäische Kommission Mitte der 1980er-Jahre zu einem

‚Neuen Ansatz’ der Harmonisierung, der zwar den Gesetzgebungsprozess spürbar entlastet,

aber komplexere, undurchsichtigere Governance-Strukturen aufbaut. Mit seiner

Rechtsprechung trägt der EuGH somit entscheidend zur Institutionalisierung der Kontrolle der

Gemeinschaft über die Freiheit des Warenverkehrs bei; mitgliedstaatliche

Regulierungsvorbehalte bleiben die – restriktiv gehandhabte – Ausnahme (Armstrong 1995,

175-178). Institutionell bewegt sich die Binnenmarktregulierung in diesem Zeitraum zwischen

einem kompetitiven Modell (Regulierungswettbewerb; gegenseitige Anerkennung; Primat des

Marktes) und einem zentralisierten Modell (Erosion nationaler Regulierungen;

Harmonisierung; Primat der Politik) der europäischen Wirtschaftsverfassung (Poiares Maduro

1998, 103-143). Integration und (Re-) Regulierung sind gleichlaufend: Beide wirken auf eine

Stärkung der supranationalen Ebene hin.

Dieser Zusammenhang wird im Vorfeld von Keck jedoch zunehmend brüchig; insbesondere

zeigt der EuGH in solchen Fällen Zurückhaltung, in denen er über mitgliedstaatliche

Schutzmaßnahmen von erheblicher innenpolitischer oder kultureller Bedeutung, jedoch mit

nur unsicheren Wirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel zu richten hat. Schließlich

vollzieht er mit Keck, was nationale Sonderregeln über Verkaufs- und Vertriebsmodalitäten

angeht, eine symbolträchtige Wende in seiner Rechtsprechung: Demnach werden

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absatzbezogene Regelungen im Unterschied zu produktbezogenen Regelungen nicht mehr als

(potenzielle) Handelshemmnisse im Sinne des Artikels 28 gewertet. Als institutioneller

Akteur nimmt der EuGH somit den eigenen umfassenden Kontrollanspruch, der ihm im

‚vollendeten’ Binnenmarkt zunehmend zur Bürde geworden ist, zurück (Armstrong 1995,

178-183). Dieser Volte in der juridischen Binnenmarktregulierung entspricht als

institutionelles Pendant wohl am ehesten ein dezentralisiertes Modell der europäischen

Wirtschaftsverfassung (Regulierungswettbewerb; Nichtdiskriminierung; Primat der Politik)

(Poiares Maduro 1998, 143-149).

Insgesamt hat der EuGH mit seiner binnenmarktbezogenen Rechtsprechung entscheidend zur

Erweiterung (Inhalte, Akteure) und Vertiefung (Zentralisierung, Konstitutionalisierung) der

europäischen Governance beigetragen. Die Zurückhaltung, die er sich in der jüngsten

Generation von Artikel-28-Urteilen auferlegt hat, lässt sich allerdings nicht nur auf ein

disziplinierendes Umfeld zurückführen, das keinen richterlichen Aktivismus mehr duldet (was

gerne als Bestätigung des – intergouvernementalistischen – Prinzipal-Agenten-Ansatzes

gesehen wird), sondern ergibt sich auch aus der institutionellen Entwicklung selbst: Zum

einen sind die wichtigsten Hindernisse auf dem Weg zum Binnenmarkt beseitigt;

offenkundigem nationalstaatlichen Protektionismus ist die (normative) Grundlage entzogen;

die großen Entscheidungen sind gefallen. Zum anderen wächst mit dem Erfüllungsgrad des

Binnenmarktziels automatisch der Stellenwert anderer Ziele; auch hat sich das Recht auf den

sozialen Wandel einzustellen (oder diesen mitzugestalten), durch den beispielsweise

Verbraucherschutz und Umweltschutz in der Wertehierarchie aufgerückt sind. Hinzu kommt,

dass die supranationale Ebene für die soziale/ökologische Regulierung des Binnenmarktes

keine ungeteilte Zuständigkeit besitzt und demzufolge Integrations- und

Regulierungsansprüche in Widerspruch zueinander treten. All dies spiegelt sich schließlich in

der nicht auf Effizienzfragen reduzierbaren Demokratie-/Legitimitätsdebatte. Unter diesen

Bedingungen sind die bedachten Fallentscheidungen des EuGH eher Ausdruck eines

institutionell gereiften, gleichwohl potenten Governanceakteurs: Nicht nur die Quantität,

sondern auch die Qualität der Fälle zeugt vom anhaltenden politischen Gewicht des EuGH.

Und selbst wenn dieser die Entscheidung besonders heikler Konflikte an die Politik i.e.S.

zurückgibt, verleiht er ihnen im institutionellen Kontext der Rechtsgemeinschaft doch eine

spezifische (prozedural wie substanziell wirksame) Dimension (Shapiro 1999, 331-345).

3. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG IM RECHT

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In der ‚Agenda 21’ (=Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert), einem von mehr als 170

Staaten verabschiedeten Abschlussdokument der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung

(UNCED), die im Juni 1992 in Rio de Janeiro stattfand, wird der (völker-) rechtlichen

Steuerung ein übergreifendes, gleichwohl knapp gehaltenes Kapitel gewidmet (Abschnitt IV

‚Möglichkeiten der Umsetzung’, Kapitel 39 ‚Internationale Rechtsinstrumente und

-mechanismen’). Dieses gibt der internationalen Staatengemeinschaft eine Weiterentwicklung

und Kodifizierung des ‚internationalen Rechts für nachhaltige Entwicklung’ zur Verbesserung

der Integration von Umwelt- und Entwicklungsbelangen auf, wobei internationale

Rechtsbestände auf Konflikte zwischen dem ‚Umweltbereich’ und den ‚Bereichen Wirtschaft

und Soziales’ geprüft und Prioritäten für die künftige Rechtssetzung auf ‚globaler, regionaler

oder subregionaler Ebene’ festgelegt werden sollen. Die Beilegung von Streitigkeiten im

Bereich nachhaltiger Entwicklung soll von den Staaten weiter eruiert werden, und zwar auch

mit Blick auf die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs (welche freilich das

Einvernehmen der Streitparteien voraussetzt). Die Agenda 21 begreift das Recht insofern als

politisches Gestaltungsmittel, als Steuerungsinstrument für den gesellschaftlichen Wandel

(Streinz 1998, 464-465). Insoweit Recht und Praxis der EU als Teil der völkerrechtlichen

Praxis zu verstehen sind (wenn auch nicht darin aufgehen), liefert das internationale Recht

auch erste Anhaltspunkte für den rechtlichen Status des Konzepts nachhaltiger Entwicklung in

der EU (Epiney 1999, 45).

Um den völkerrechtlichen Status nachhaltiger Entwicklung zu klären, ist zunächst zwischen

dem Gesamtkonzept und seinen einzelnen Elementen zu unterscheiden. Als Letztere gelten

vor allem die (nur zum kleineren Teil schon gewohnheitsrechtlich anerkannten) Prinzipien der

Erklärung von Rio (ebenfalls UNCED 1992), welche historisch an die ‚Stockholmer

Erklärung über die menschliche Umwelt’ (1972) anknüpft. In Rio wurden die Prinzipien des

Umweltvölkerrechts erstmals systematisch auf das Leitbild nachhaltiger Entwicklung

ausgerichtet und seither in unterschiedlichen Gremien weiterentwickelt (z.B.

Prinzipienkataloge der UNEP und der CSD); die Johannesburger Erklärung des

Jubiläumsgipfels zehn Jahre nach Rio erbrachte hier allerdings keine Fortschritte. Als

Kernprinzipien können das Integrationsprinzip (Kohärenz von Wirtschafts- und

Umweltpolitik), das Nachhaltigkeitsprinzip i.e.S. (Verhütung von Umweltschäden), das

Vorsorgeprinzip (Vermeidung von Umweltrisiken), das Internationalisierungsprinzip (globale

3.1 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS INTERNATIONALES RECHTSPRINZIP

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Stand: 30. September 2003

Zusammenarbeit), das Solidaritätsprinzip (intra- und intergenerative Gerechtigkeit) und das

Partizipationsprinzip (‚good governance’) gelten (Hohmann 1999, 26-27).

Mindestens zwei Gründe sprechen nun gegen die Verbindlichkeit und Justiziabilität dieser

Prinzipien: (1) Dass sie nicht vertraglich vereinbart wurden und/oder (2) dass sie nicht

operabel sind. Demzufolge beschränkt sich ihre (rechtliche) Funktion darauf, die Auslegung

und Anwendung von Verträgen des Umweltvölkerrechts anzuleiten. Als Verhaltensnormen

für die Staaten bleiben sie jedoch politischer Natur und damit unverbindlich: „Prinzipien sind

nicht das ‚trojanische Pferd’, mit dessen Hilfe der Weg vom Politischen – ‚nachhaltige

Entwicklung’ – zum Rechtlichen – Umweltvölkerrecht – ohne größeres Aufsehen geschafft

wird.“ (Lang 1999, 19). Diese ‚enge Auffassung’ berücksichtigt jedoch unzureichend die

(mögliche) ‚Präzisierungs- und Etablierungsfunktion’ und die (mögliche)

‚Lückenfüllungsfunktion’ solcher Prinzipien. Erstere steht für die Annahme, dass Prinzipien

des soft law durch kontinuierliche Wiederholung und Reformulierung gewohnheitsrechtliche

Wirkung entfalten und damit verbindliche Pflichten etablieren können, auch ohne in

völkerrechtliche Verträge transponiert worden zu sein. Letztere folgt der Auffassung, dass

Prinzipien des soft law die Auslegung vager Rechtsbegriffe erleichtern und – im Falle des sog.

Strukturprinzipien-Ansatzes – eine Weiterentwicklung etablierter Prinzipien anregen können.

Damit aber könnten verbindliche Pflichten zumindest modifiziert (beschränkt oder erweitert)

werden (Hohmann 1999, 30-41).

Je nach dem, welche Argumente als ausschlaggebend erachtet werden, kann das Konzept

nachhaltiger Entwicklung über die Prinzipien von Rio (u.ff.) also keinen, einen (mittelbar-)

mittelbaren oder einen (mittelbar-) unmittelbaren Einfluss auf den Bestand völkerrechtlicher

Pflichten gewinnen: keinen, weil/wenn die Rio-Prinzipien nicht verbindlich bzw. nicht

operabel sind; einen mittelbaren, weil/wenn sie zur Rechtsfortbildung anregen; einen

unmittelbaren, weil/wenn sie selbst gewohnheitsrechtlich etabliert werden. Als ein schneller

erster Umsetzungserfolg des intergenerativen Solidaritätsprinzips in der Rechtsprechung

könnte die – rechtsmethodisch freilich umstrittene – Oposa-Entscheidung des Höchsten

Gerichts der Philippinen gewertet werden, welches ein Jahr nach Rio das (in der

philippinischen Verfassung verankerte) Recht auf eine gesunde Umwelt auch den zukünftigen

Generationen zubilligte, in diesem Fall vertreten durch die Eltern Minderjähriger (Rest 1996,

152f; Streinz 1998, 468).

Der (rechts-) normative Charakter des Gesamtkonzepts ist noch schwerer zu fassen. Im

Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass nachhaltige Entwicklung auf internationaler

Ebene die Schwelle zum Rechtsbegriff nicht überschritten hat. Dementsprechend wird

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bezweifelt, dass sich das Konzept bereits zur Lösung konkreter Rechtsfragen eignet (Streinz

1998, 467). Eine völkerrechtliche Pflicht, sich nachhaltig zu entwickeln, lässt sich in den

Worten und Taten der internationalen Staatengemeinschaft nicht belegen. Insbesondere sind

die Schlüsselkonstrukte intra- und intergenerativer Gerechtigkeit völkerrechtlich nicht

positiviert – weder vertraglich noch gewohnheitsrechtlich (Schröder 1996, 271-273).

Allenfalls gilt das nachhaltige Entwicklung als Prinzip des Völkergewohnheitsrechts, das

selbst keine Pflichten begründet, aber bei der Auslegung völkerrechtlicher Regeln

herangezogen werden kann (Epiney 1999, 47). Zu einem anderen Schluss gelangt man nur im

Hinblick auf die tatsächliche völkerrechtliche Verwendung des Begriffs etwa in der

Klimarahmenkonvention; aber auch dort bleibt sein Rechtscharakter unklar (Calliess 1998,

561).

Trotz verschiedentlicher Operationalisierungsversuche (Teilprinzipien, Managementregeln,

Indikatorensysteme) stehen fundamentale Wertkonflikte und rhetorische Beliebigkeit einer

Kodifizierung des Begriffs und der in ihm angelegten Rechte und Pflichten entgegen. Der

Internationale Gerichtshof hat sich im ersten dort anhängigen ‚Nachhaltigkeitskonflikt’ (den

Gabĉikovo-Nagymaros-Staudamm betreffend) also verständlicherweise eines direkten (Wert-)

Urteils darüber enthalten, was in diesem Fall als nachhaltig oder nicht-nachhaltig anzusehen

ist (Boyle/Freestone 1999, 16). Dennoch sprechen einige Argumente für die rechtliche

Verwendung des Konzepts nachhaltiger Entwicklung, nämlich als Metanorm für den

gerichtlichen Gebrauch. Gemeint sind damit Normen zweiter Ordnung, die den Richtern

Argumentations- und Entscheidungshilfen in solchen Fällen bieten, in denen

(gewohnheitsrechtliche und/oder vertragliche) Normen erster Ordnung konfligieren, also

Abwägungsentscheidungen zu treffen sind. Auch wo das Leitbild nachhaltiger Entwicklung

noch nicht kodifiziert ist, kann es über die Urteilsbegründungen in die Rechtsprechung

einfließen und normative Kraft und institutionelle Wirkung entfalten (Lowe 1999, 31-35).

3.2.1 Wandel der Verträge

Der Europäische Konvent hat im Juni/Juli 2003 seine Arbeit an einen Entwurf des ‚Vertrages

über eine Verfassung für Europa’ abgeschlossen (2003/C 169/01). Siebenmal findet dort der

Ausdruck ‚nachhaltige Entwicklung’ Verwendung. Ein Vergleich dieser Textstellen mit den

entsprechenden Passagen in früheren Vertragsversionen gibt Aufschluss über die Evolution

3.2 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS EUROPÄISCHES RECHTSPRINZIP

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einer Nachhaltigkeitssemantik im Vokabular der europäischen Legislative. In vier Bereichen

hat sich der Nachhaltigkeitsbegriff mitsamt den Verträgen seit Amsterdam ‚konsolidiert’: in

der Präambel und den allgemeinen Zielen der Union sowie in den Bereichen Umwelt und

Entwicklungszusammenarbeit.

Zur Präambel: Während in den Erwägungsgründen des EWGV (1957) im Wesentlichen auf

den ‚wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt’ der Mitgliedsländer abgehoben wird

(‚beständige Wirtschaftsausweitung’, ‚harmonische Entwicklung’), aber auch die Förderung

des ‚Wohlstands der überseeischen Länder’, denen sich Europa ‚verbunden’ weiß,

herausgestellt wird, ist die Präambel der EEA (1986) zwar vor allem um eine institutionelle

Vertiefung der Gemeinschaft bemüht, aber auch um die Verbesserung der ‚wirtschaftlichen

und sozialen Lage’ durch ‚Verfolgung neuer Ziele’ bestrebt (die allerdings hier – und in den

Zielbestimmungen – nicht genauer genannt werden). Der siebte Erwägungsgrund des EUV-M

(1992) bereitet dann – indem der ‚wirtschaftliche und soziale Fortschritt’ erstmals mit

‚Umweltschutz’ in Verbindung gebracht wird – das Umfeld vor, in das später im EUV-A

(1997) (hier als achter Erwägungsgrund) der Nachhaltigkeitsgrundsatz nur noch eingepasst zu

werden braucht: „In dem festen Willen, im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts

sowie der Stärkung des Zusammenhalts und des Umweltschutzes den wirtschaftlichen und

sozialen Fortschritt ihrer Völker [unter Berücksichtigung des Grundsatzes der nachhaltigen

Entwicklung] zu fördern und Politiken zu verfolgen, die gewährleisten, dass Fortschritte bei

der wirtschaftlichen Integration mit parallelen Fortschritten auf anderen Gebieten einhergehen

[…]“. Während der EUV-N (2001) keine Veränderungen der Präambel bringt, setzt sich die

Präambel des Verfassungsentwurfs (2003) als Neuschöpfung textlich deutlich von ihren

Vorläufern ab und nimmt mit dem Verweis auf die ‚Verantwortung gegenüber den künftigen

Generationen und der Erde nur indirekt auf den Nachhaltigkeitsgedanken Bezug (Absatz 5); in

der Präambel der in die Verfassung eingelassenen Charta der Grundrechte (die ihrerseits von

Nizza datiert) wird die ‚Förderung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung’ jedoch

ausdrücklich benannt und der ‚Sicherstellung des freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs-

und Kapitalverkehrs sowie der Niederlassungsfreiheit’ nebengeordnet (Absatz 2).

Zu den Zielen: Der EWG konzentrierte sich im Interesse an einer ‚harmonischen Entwicklung

des Wirtschaftslebens’, ‚einer beständigen und ausgewogenen Wirtschaftsausweitung’ und

einer ‚beschleunigten Hebung der Lebenshaltung’ auf die ‚Errichtung eines Gemeinsamen

Marktes’. Diese Zielbestimmungen passieren – trotz Einbau eines Umwelttitels in den

Vertragskorpus – unergänzt die EEA und ändern sich erst mit dem EUV-M, der die Union vor

allem auf einen ‚ausgewogenen und dauerhaften wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt’

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ausrichtet (Artikel B) bzw. der Gemeinschaft eine ‚harmonische und ausgewogene

Entwicklung’, ein ‚beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum’ und

die ‚Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität’ aufgibt (Artikel 2); folgerichtig wird

unter den Tätigkeiten der Gemeinschaft ‚eine Politik auf dem Gebiet der Umwelt’ aufgeführt

(Artikel 3k). Eingefügt wird in den Tätigkeitskatalog auch ‚eine Politik auf dem Gebiet der

Entwicklungszusammenarbeit’ (Artikel 3q), die bereits mit der Forderung einer ‚Kohärenz’

der Außenpolitiken der Union, einschließlich Wirtschafts- und Entwicklungspolitik (Artikel

C, Absatz 2), einhergeht. Der EUV-A sieht für die Union nun neben der ‚Förderung des

wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts’ die ‚Herbeiführung einer ausgewogenen und

nachhaltigen Entwicklung’ vor (Artikel 2 EUV). Auch in Bezug auf die Gemeinschaft wird

nachgesetzt: Der EUV-A fordert in Abgrenzung vom EUV-M jetzt eine ‚harmonische,

ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens’, zieht das Attribut

‚umweltverträglich’ überdies vom ‚Wachstumziel’ ab und baut es zum eigenständigen

Umweltziel (‚hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität’) aus

(Artikel 2 EGV). Im EUV-N bleibt es erstmal dabei; der Verfassungsentwurf wartet dann in

einer Neuformulierung der Ziele der EU aber gleich zweimal mit dem Nachhaltigkeitsbegriff

auf, einmal in seiner internalen, einmal in seiner externalen Dimension: „Die Union strebt die

nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen

Wirtschaftswachstums an, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft,

die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an

Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität. […] In ihren Beziehungen zur übrigen

Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen. Sie trägt bei zu Frieden,

Sicherheit, nachhaltiger Entwicklung der Erde, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter

den Völkern, freiem und gerechtem Handel, Beseitigung der Armut und Schutz der

Menschenrechte […].“ (Artikel I-3, Absatz 3 und 4).

Zur Umwelt: Dem Vorherigen lässt sich entnehmen, dass sowohl der Umweltbegriff als auch

der Nachhaltigkeitsbegriff in den variierenden Präambeln und Zielbestimmungen der Verträge

eine je eigene Semantik entfaltet haben: Sie gehen nicht ineinander auf. Dieses bestätigt sich

im Umwelttitel, der das erste Mal in der EEA auftaucht (mit geteilter Zuständigkeit zwischen

Gemeinschaft und Mitgliedstaaten) und ohne große Veränderungen in den kommenden

Verträgen fortgeschrieben wird. Als Ziele gelten seither: ‚Erhalt und Schutz der Umwelt’,

‚Verbesserung der Umweltqualität’, ‚Schutz der menschlichen Gesundheit’; zu den

Handlungsgrundsätzen zählen: ‚rationelle Ressourcennutzung’, ‚Ursprungsprinzip’,

‚Grundsatz der Vorbeugung’, ‚Verursacherprinzip’ (Artikel 130r). Darüber hinaus zielt der

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EUV-M auf ein hohes Schutzniveau, setzt außerdem auf internationale Maßnahmen und fügt

dem Präventionsprinzip das Vorsorgeprinzip hinzu (Artikel 130r). Der EUV-A formuliert

zusätzlich eine Schutzklausel für Mitgliedstaaten, die über das harmonisierte Maß an

Umweltschutz hinausgehen wollen (Artikel 174). Dem hat der EUV-N nichts hinzufügen;

auch der Verfassungsentwurf verzeichnet keine wesentlichen Änderungen (Artikel III-129).

Eine interessante Entwicklung nimmt allerdings die sog. Querschnittsklausel, die bereits in

der EEA unter den umweltpolitischen/-rechtlichen Handlungsgrundsätzen steht und zunächst

lautet: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes sind Bestandteil der anderen Politiken der

Gemeinschaft.“ (Artikel 130r, Absatz 2, Satz 2). Im EUV-M wird der Handlungsauftrag

deutlicher formuliert: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes müssen bei der Festlegung und

Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken einbezogen werden.“ (Artikel 130 r, Absatz 2,

Satz 3). Einen größeren Wandel bringt schließlich der EUV-A mit sich, der die Bestimmung

auf alle Gemeinschaftsmaßnahmen ausdehnt und überdies auf den Nachhaltigkeitsgrundsatz

zuspitzt. Ebenso wichtig wie die inhaltliche Qualifizierung ist aber die Verlagerung der

Querschnittsklausel vom speziellen Umwelttitel in die allgemeinen Grundsätze des EG-

Vertrags, wodurch sie eine größere Ausstrahlungswirkung auf die verschiedenen Teilbereiche

des Vertrags erreicht. Der neue Artikel 6 lautet somit: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes

müssen bei der Festlegung und Durchführung der in Artikel 3 genannten

Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen

Entwicklung einbezogen werden.“ (Die mit dem EUV-A vollzogenen Veränderungen stellen

einen Kompromiss dar zwischen der Kommission, die für eine Art Grundrecht auf Umwelt

plädierte, und den Mitgliedstaaten, die es bei der Aufnahme der nachhaltigen Entwicklung in

die Zielbestimmungen bewenden lassen wollten.) Im EUV-N ändert sich am erreichten Stand

nichts. Auch im Verfassungsentwurf spielt die Querschnittsklausel wieder eine wichtige

Rolle. Praktisch wortgleich steht sie zum einen in den allgemein anwendbaren Bestimmungen

der Union (Artikel III-4), erneut umformuliert zum anderen im Kapitel ‚Solidarität’ der Charta

der Grundrechte (allerdings nicht als Grundrecht, sondern als Programmsatz): „Ein hohes

Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität müssen in die Politiken der

Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt

werden.“ (Artikel II-37). Daraus dass der Umwelttitel des Vertrags ohne den Begriff

nachhaltiger Entwicklung auskommt, der Nachhaltigkeitsbegriff aber immer dort

herangezogen wird, wo wirtschaftliche und soziale Entwicklungsziele unter den Vorbehalt

ökologischer Ansprüche und Begrenzungen gestellt werden und folglich die Integration

unterschiedlicher Politiken (insbesondere Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik)

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geleistet werden muss, geht hervor, dass sich die Vertragsautoren insgesamt von einem

mehrdimensionalen Nachhaltigkeitsbegriff leiten lassen.

Zur Entwicklungszusammenarbeit: Erst seit dem EUV-M zählt zu den Tätigkeiten der

Gemeinschaft auch die entwicklungspolitische Zusammenarbeit (in geteilter Zuständigkeit mit

den Mitgliedstaaten) und erhält – neben dem unverändert übernommenen Abschnitt zur

Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete – einen eigenen Vertragstitel.

Ähnlich wie der Umwelttitel enthält er neben einigen wesentlichen Zielbestimmungen eine

Querschnittsklausel, und auch hier spielt der Nachhaltigkeitsgrundsatz hinein. Bereits im

EUV-M wird die Förderung der ‚nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der

Entwicklungsländer’ als erstes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit genannt, andere Ziele

sind die ‚harmonische, schrittweise Eingliederung der Entwicklungsländer in die

Weltwirtschaft’, ‚Armutsbekämpfung’, ‚Fortentwicklung und Festigung der Demokratie und

des Rechtsstaats’ und ‚Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten’ (Artikel 130u).

Gemäß der Querschnittsklausel gilt: „Die Gemeinschaft berücksichtigt die Ziele des Artikels

130u bei den von ihr verfolgten Politiken, welche die Entwicklungsländer berühren können.“

(Artikel 130v). Diese Bestimmungen ändern sich weder im EUV-A (hier kommt allerdings

ein separater Titel zur wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Zusammenarbeit mit

Drittländern hinzu (Artikel 181a), für den der Verfassungsentwurf später präzisiert, dass es

hierbei nicht um Entwicklungsländer geht (Artikel III-221)) noch im EUV-N. Im

Verfassungsentwurf wird der Titel zur Entwicklungszusammenarbeit hingegen neu

strukturiert: Wieder wird die Querschnittsklausel aus dem Spezialtitel ausgegliedert und

verallgemeinert. Diesmal wechselt sie allerdings nicht in die allgemein anwendbaren

Bestimmungen der Union insgesamt (Titel III-1), sondern in die allgemein anwendbaren

Bestimmungen des auswärtigen Handelns der Union (Titel III-V). In Artikel III-193, Absätze

1 und 2 werden dort zunächst außenpolitische Zielsetzungen aufgeführt; dazu zählen – neben

der ‚Gewährleistung der Werte und Interessen der Union’, der ‚Integration aller Länder in die

Weltwirtschaft’, der ‚Förderung des Völkerrechts’ und der ‚multilateralen Zusammenarbeit’ –

auch die Förderung der ‚nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und

Umwelt in den Entwicklungsländern’ mit dem Schwerpunkt ‚Armutsbeseitigung’ (Absatz 2,

Buchstabe d) und die Unterstützung der ‚Entwicklung von internationalen

Umweltmaßnahmen, um eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen’ (Absatz 2, Buchstabe

f). Hierauf bezieht sich dann die allgemein gefasste Querschnittsklausel: „Die Union wahrt bei

der Ausarbeitung und Umsetzung ihres auswärtigen Handelns in den verschiedenen unter

diesen Titel fallenden Bereichen [wie Entwicklungszusammenarbeit] sowie der externen

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Aspekte der übrigen Politikbereiche die in den Absätzen 1 und 2 aufgeführten Grundsätze und

Ziele.“ (Absatz 3, Satz 1). Direkt angeschlossen wird ein Kohärenzgebot für das gesamte

auswärtige Handeln der Union sowie für das Wechselspiel von äußeren und inneren

Politikbereichen (Absatz 3, Satz 2; vgl. bereits EUV, Artikel C, Absatz 2); als Pendant dazu

findet sich das Kohärenzgebot für den Bereich der inneren Politiken der Union wiederum in

den allgemein anwendbaren Bestimmungen des Titels III-I in Artikel III-I. Die materiellen

Bestimmungen im Titel Entwicklungszusammenarbeit beschränken sich nach dieser

Umstrukturierung auf nur wenige Bemerkungen: Als Hauptziel der Unionspolitik in diesem

Bereich wird die Bekämpfung und Beseitigung der Armut angeführt und ansonsten auf die

Ziele und Grundsätze des auswärtigen Handelns der Union verwiesen (Artikel III-218, Absatz

1). Festzuhalten ist, dass die Entwicklungszusammenarbeit sowohl über den

Nachhaltigkeitsgrundsatz als auch das Kohärenzgebot einerseits mit der Wirtschaftspolitik

und andererseits mit der Umweltpolitik (beide mit externaler und internaler Dimension)

verknüpft wird.

3.2.2 Kodifizierung des Drei-Säulen-Modells

Den hier nachgezeichneten begrifflichen Entwicklungen lässt sich zum einen entnehmen, dass

sich ‚nachhaltige Entwicklung’ erst mit dem EUV-A im Vertrag etablieren konnte. Allerdings

findet sich das neue Konzept in Ansätzen und Anspielungen schon im EUV-M, zumal die

Vertragsautoren die durch den Brundtland-Bericht (1987) ausgelöste internationale Debatte

sicherlich rezipiert haben (Frenz/Unnerstall 1999, 153-165). Zumindest setzt zu diesem

Zeitpunkt eine Begriffsverwirrung um die rechte Übersetzung des Adjektivs ‚sustainable’

(engl.) bzw. ‚durable’ (frz.) ein, für das in den übrigen Vertragssprachen z.T. unterschiedliche

Übersetzungen vorgehalten werden, im Deutschen beispielsweise neben ‚nachhaltig’ auch

‚beständig’, ‚dauerhaft’ und ‚umweltverträglich’. Im EUV-M ist das Gemeinschaftssziel eines

‚beständigen [sustainable], nicht-inflationären und umweltverträglichen Wachstums’ überdies

eine Kompromissformel der auseinanderlaufenden Textvorstellungen der vorgeschalteten

parallelen Regierungskonferenzen über die Währungsunion und über die politische Union

(Haigh/Kraemer 1996, 240-242). Im letzten Jahrzehnt hat sich nachhaltige Entwicklung

jedoch in seinem internationalen Bedeutungsgehalt als Standardbegriff durchgesetzt, wie sich

jüngst auch dem Verfassungsentwurf entnehmen lässt.

Damit ist davon auszugehen, dass auf europäischer Ebene das Drei-Säulen-Modell

übernommen wurde, obwohl in den Vertragsrevisionen Umwelt- und Nachhaltigkeitsanliegen

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stets eng verzahnt waren und daher bisweilen miteinander identifiziert werden

(eindimensionales Modell) (Menzel 2001, 225). Der ‚ökonomischen Durchdrungenheit des

Gemeinschaftsrechts’ entspricht es wiederum, dass die ‚nachhaltige Entwicklung des

Wirtschaftslebens’ im EUV-A zum bestimmenden Zielbegriff des Gemeinschaftsrechts

geworden ist (Frenz/Unnerstall 1999, 177). Die Bedenken der ‚Wirtschaftslobby’ auf der

einen und der ‚Umweltlobby’ auf der anderen Seite, dass mit der ‚Dreifaltigkeit’ des

Nachhaltigkeitsbegriffs eine Verwässerung der jeweiligen Grundanliegen einhergeht, sind nur

dann triftig, wenn wirtschaftliche, ökologische und soziale Interessen bis zur Beliebigkeit

gegeneinander abgewogen werden können (Epiney 1999, 46-47). Dieser Streit verliert an

Bedeutung, wenn als Kernanliegen nachhaltiger Entwicklung die Integration unterschiedlicher

Teilbereiche zu einer neuen Einheit verstanden wird; erst dann macht auch die Rede von den

verschiedenen ‚Dimensionen’ nachhaltiger Entwicklung Sinn. Praktisch – im Falle kaum

vermeidbarer Zielkonflikte – bedeutet dies aber, dass Abwägungsvorgänge substanziell

informiert bzw. ‚eingerahmt’ werden müssen. Das erfordert eine anspruchsvolle

Verfahrenskontrolle, die auch auf qualitative Aspekte des Entscheidungsproblems eingeht. Im

EG-Recht eignen sich dazu die Einzelnormen in den Spezialtiteln (für Wirtschafts-, Umwelt-

und Entwicklungspolitik), die über die allgemeinen Zielbestimmungen und die Querschnitts-

(bzw. Integrations-) Klausel unter dem Grundsatz nachhaltiger Entwicklung zueinander ins

Verhältnis gesetzt werden müssen. Eine inhaltliche Orientierung leistet auch die

Wissenschaft, soweit sie die Konzeptualisierung und Operationalisierung des Leitbilds

voranbringt (Calliess 1998, 565-566; Frenz/Unnerstall 1999, 197-198; Schröder 1996, 260-

261, 264 und 275).

Eine genauere, über die obigen Einträge hinausgehende Darlegung des Konzepts nachhaltiger

Entwicklung, fehlt nicht nur im europäischen Primärrecht, sondern auch im Sekundärrecht:

„For the European Union […], so far no Directive has been issued, as it should have been, to

converge the national laws towards any particular system of principles for sustainable

development.“ (Decleris 2000, 14). Ob der Gesetzgeber eine solche Legaldefinition in dieser

Materie vermeiden will oder sie nicht zu leisten imstande ist, ist unerheblich dafür, dass

ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe zwangsläufig mit Beurteilungsspielräumen für die

Gesetzesanwender einhergehen – und für die Judikative (Streinz 1998, 465-466). Damit

entsteht ein gewisser, institutionell umgrenzter Raum für Richterrecht, dessen Nutzung sich in

Abhängigkeit von den zur Entscheidung stehenden Problemen (‚sustainability cases’) mehr

oder minder aufdrängt. Die Kommission scheint eine aktivere Rolle der einzelstaatlichen

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Gerichte bei der Implementation nachhaltiger Entwicklung zu begrüßen und dürfte damit auch

eine Rechtsfortbildung des EuGH auf diesem Gebiet gutheißen (Santer 2000, 5).

Da Präambel und Ziele der Union zwar zur Rechtsauslegung herangezogen werden können,

aber der Kontrolle des EuGH entzogen sind, lassen sich Rechtsprechungserfolge eigentlich

nur über die Querschnittsklauseln in Verbindung mit den Spezialnormen unterschiedlicher

Vertragstitel erzielen. Das gilt jedenfalls, solange das neue Leitbild noch nicht in die

Einzelbestimmungen übersetzt worden ist, denn dann wird es auch auf direktem Wege

wirksam. Für den Umwelttitel ist allerdings schon seit dem EUV-M davon auszugehen, dass

die dort aufgeführten Prinzipien auch ohne Rückbezug auf die umweltbezogene

Querschnittsklausel zumindest Teilgehalte der nachhaltigen Entwicklung widerspiegeln

(besonders anschaulich am Vorsorgeprinzip) (Epiney 1999, 53). Die konzeptionellen

Probleme scheinen darin zu liegen, dass die Umweltprinzipien bereits eine längere

Vertragsgeschichte haben als der Nachhaltigkeitsgrundsatz selbst und noch immer als

unabhängig von ihm wahrgenommen (und als eigener ‚acquis’ verteidigt) werden. Hingegen

erscheint das Verhältnis von Gesamtkonzept und Teilprinzipien, inklusive des

Integrationsprinzips, auf internationaler Ebene weniger problematisch. Überträgt man die

dortige Konstellation – samt ihrer differenziellen Rechtswirkungen – auf die europäische

Ebene, so ist mit der Präambel, den Zielen und vor allem mit den Querschnittsklauseln

nachhaltige Entwicklung als Metanorm (im obigen Sinne) verfügbar, während die

Bestimmungen der Einzeltitel das Nachhaltigkeitsgebot für die verschiedenen Politikbereiche

und ‚Dimensionen’ ausbuchstabieren und Funktionen für die Verrechtlichung des

Gesamtkonstrukts übernehmen. (Augenfällig ist zumindest der Operationalisierungsbeitrag

der Umweltgrundsätze, die ja mit den Rio-Prinzipien eng verwandt sind). Da Vorreiter-,

Lückenfüllungs-, Präzisierungs- und Etablierungsfunktion (Hohmann 1999, 31-34) jedoch

entfallen können, wenn die Prinzipien bereits als Rechtsprinzipien etabliert sind, verbleibt

ihnen einzig die Funktion, pars pro toto bzw. bottom up das Nachhaltigkeitskonzept

insgesamt zu etablieren. Als entscheidende Bindeglieder erweisen sich nunmehr die aus den

Bereichstiteln herausgelösten, allen Einzelbestimmungen vorangestellten

Querschnittsklauseln, die eine institutionelle Weiterentwicklung des Integrationsprinzips der

Rio-Erklärung darstellen. Von ihrem Rechtscharakter hängt schließlich ab, ob die

Einzelprinzipien Stückwerk bleiben oder wirkliche Ausstrahlungswirkungen auf andere

Vertragsbereiche erzielen können. Fraglich bleibt, wie weit die (Vertragsrevisions- und

Rechtsprechungs-) Wirklichkeit diesem Gang der Argumentation folgen kann, will und wird.

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3.2.3 Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft

Die Ziele des Vertrags spielen eine Rolle für das Verständnis des ‚telos’ der Europäischen

Union und somit für die Rechtsfortbildung durch den EuGH. Sie erfahren selbst im Wandel

der Zeit unterschiedliche Ausdeutungen. Mit dem EUV-M hat eine – die erste – ausdrückliche

Erweiterung des Aufgabenkatalogs für die Gemeinschaft stattgefunden, womit sich die Frage

aufdrängt, welche Lösungen (verfassungs-) rechtlich für die zunehmend wahrscheinlichen

Zielkonflikte vorgesehen sind. Insbesondere ist zu prüfen, ob bzw. in welcher Form sich die

unterschiedlichen Ziele innerhalb der Gemeinschaft hierarchisieren lassen, wobei hier

Konfliktfälle zwischen gemeinschaftlichen und mitgliedstaatlichen Interessen ausgeklammert

bleiben. Hinter dieser Frage steht auch das Interesse, die Rechtsgemeinschaft vor Politisierung

zu schützen, indem der Umgang mit Zielkonflikten nicht dem politischen Ermessen der

Gemeinschaftsorgane überlassen bleibt, sondern verbindliche Entscheidungsmaßstäbe dem

Vertrag – der ‚Verfassungsurkunde’ – entnommen werden.

Im EWGV dominierte das Gesamtziel der Marktintegration mit komplementären zoll-,

handels- und wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen und einer darauf bezogenen und

beschränkten Harmonisierungskompetenz. Zielkonflikte ergaben sich jedoch zwischen der

Marktintegration einerseits und der gemeinsamen Agrarpolitik (und der gemeinsamen

Verkehrspolitik) andererseits; ihre Handhabung wurde entweder ins Ermessen der politischen

Organe gestellt oder vom EuGH – zumeist zugunsten der Marktintegration – beschieden

(Basedow 1995, 51-54).

Der EUV-M führt in Artikel 3, d.h. unter den Aufgaben, die die Gemeinschaft anbetrachts der

in Artikel 2 aufgeführten Hauptziele wahrzunehmen hat, erstmals auch die Umweltpolitik

(Artikel 3k) und die Entwicklungspolitik (Artikel 3q) auf. Ob die neuen Zielvorgaben dazu

geeignet sind, dem Ziel der Marktintegration und des Wettbewerbs Beschränkungen

aufzuerlegen, lässt sich u.a. mit Blick auf die (a) Aktualität der Ziele in Artikel 2 (Nahziele vs.

Fernziele), (b) die Genauigkeit der Aufgaben in Artikel 3 (Zustandsziele vs. Bereichsziele vs.

Richtungsziele), (c) die Eigenständigkeit der Gemeinschaftspolitiken (eigene Aufgaben vs.

Koordinierungsaufgaben vs. Unterstützungs- und Ergänzungsaufgaben) und (d) die

Implementationsmechanismen (Zentralisierung vs. Dezentralisierung) eruieren. Diese

Kriterien sprechen ganz überwiegend für eine Nachrangigkeit der Umweltpolitik und der

Entwicklungspolitik gegenüber der Binnenmarkt- und Wettbewerbspolitik: Sie sind weder als

Nahziele noch als Zustandsziele gefasst, liegen in geteilter Zuständigkeit von Gemeinschaft

und Mitgliedstaaten und sind auf zentrale Durchführungskontrollen angewiesen. Das Ziel der

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Marktintegration wird hingegen durch klare Fristen und Ziele, weitreichende

Vergemeinschaftung und dezentrale Umsetzung, auch auf dem Rechtsweg, untermauert. Ein

Einfluss der (gesundheits-, umwelt- und entwicklungspolitischen) Querschnittsklauseln auf

diese Rangfolge wird verneint (Basedow 1995, 55-68).

Dass der EUV-A den Begriff nachhaltiger Entwicklung in die Zielbestimmungen für die

Gemeinschaft und die umweltpolitische Querschnittsklausel eingefügt und die

Querschnittsklausel verallgemeinert und ‚vor die Klammer’ gezogen wird, spielt für die

(zunächst) am EUV-M exerzierte Argumentation keine Rolle: Diese Aufwertung ‚weicher’

Vertragsziele wirkt sich auf die grundlegende Zielhierarchie innerhalb des Vertrags nicht aus.

So plausibel diese Position ist – Vertrag und Rechtsprechung können sie nicht bestätigen; an

keiner Stelle wird eine Rangfolge von Binnenmarkt und Umweltpolitik begründet (Krämer

2002, 46). Somit bleibt Raum für eine Gegenposition, die allerdings anders ansetzen muss:

Dazu werden die im Vertrag enthaltenen Elemente einer ‚Wirtschaftsverfassung’ den

Elementen einer ‚Umweltverfassung’ gegenübergestellt, die Unterschiede interpretiert und

Schlüsse für das Rangverhältnis zwischen beiden Verfassungsmaterien gezogen.

Die Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft ist durch den Grundsatz einer offenen

Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb gekennzeichnet, der im Vertrag nicht näher definiert

wird. Als ‚materiellrechtliche Funktionsgarantien’ dieser Systementscheidung gelten die

Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit,

Dienstleistungsfreiheit, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Freizügigkeitsrecht der

Unionsbürger) und die Wettbewerbsbestimmungen. Während die ‚vier’ Grundfreiheiten

expliziter Vertragsbestandteil sind, wurde der Grundsatz des freien Wettbewerbs erst im

Wege der Rechtsprechung aus den wettbewerbsrechtlichen Einzelbestimmungen des Vertrags

abgeleitet (Nowak 2001, 221-226). Demgegenüber lassen sich die Elemente der

Umweltverfassung der Gemeinschaft seit dem EUV-A zum Grundsatz ökologischer

Nachhaltigkeit zusammenfügen: Die neuen Zielbestimmungen (‚nachhaltige Entwicklung des

Wirtschaftlebens’, ‚hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität’;

Artikel 2) und die aufgewertete und nunmehr explizit auf die Förderung nachhaltiger

Entwicklung gerichtete umweltpolitische Querschnittsklausel (Artikel 6) bestimmen die

Grundrichtung der Umweltverfassung; die Einzelbestimmungen im Umwelttitel (Artikel 174-

176), aber auch z.B. die Vorgabe eines ‚hohen (Umwelt-) Schutzniveaus’ für die

Rechtsangleichung im Binnenmarkt (Artikel 95, Absatz 3) füllen sie – zumindest ansatzweise

– aus. Ein Grundrecht auf Umweltschutz besteht auf Gemeinschaftsebene hingegen nicht,

ließe sich aber auch schwerlich mit den Marktfreiheiten messen (Nowak 2001, 226-230).

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Die Argumentation konzentriert sich dann auf den Normkonflikt zwischen der

Wettbewerbsfreiheit (als objektiv-rechtlicher Grundsatz und subjektiv-rechtliches Grundrecht

der Wirtschaftsverfassung) und dem Umweltschutz (als Zielbestimmung der

Umweltverfassung): „Da nicht ersichtlich ist, daß gemeinschaftliche Verfassungsziele,

Rechtsgrundsätze und Gemeinschaftsgrundrechte innerhalb der gemeinschaftsrechtlichen

Normenhierarchie einen unterschiedlichen Rang einnehmen, hat die Neufassung des Art 2

EGV den bislang im Schrifttum vertretenen Auffassungen vom Vorrang der

Wettbewerbsfreiheit oder vom Vorrang des Umweltschutzes jede Grundlage entzogen.“

(Nowak 2001, 231, o.Fn.). Ausgehend von der verfassungsrechtlichen Gleichrangigkeit beider

müssen Wettbewerbsfreiheit und Umweltschutz im Konfliktfall somit unter Beachtung des

gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gleichberechtigt gegeneinander

abgewogen werden. Das impliziert für die Rechtsprechung, dass die Binnenmarkt- und

Wettbewerbsregeln im Abwägungsvorgang (formell und materiell) nicht mehr ‚schwerer

wiegen’ dürfen als ihre umweltpolitisch rechtzufertigenden Ausnahmen, also dass

Umweltschutz als Rechtfertigungsgrund weniger restriktiv auszulegen ist als bisher üblich

(Nowak 2001, 232-239). Eine Methode zur positiven Zielintegration oder Politikintegration

(im Sinne einer weit verstandenen Querschnittsklausel bzw. des Nachhaltigkeitsgrundsatzes)

ist damit allerdings nicht gefunden.

3.2.4 Umweltpolitische (und entwicklungspolitische) Querschnittsklausel

Die mit der EEA in den Umwelttitel des Vertrags eingefügte Querschnittsklausel stellt – auch

gegenüber den nationalen Verfassungen – eine institutionelle Neuerung dar, die im EUV-M

auf weitere Bereiche übertragen wird: Kultur, Gesundheitswesen, Verbraucherschutz,

Industriepolitik, Regionalpolitik, Entwicklungszusammenarbeit (Everling 2001, 151-155). Mit

ihrer Erweiterung und Neupositionierung im EUV-A wird diese Vorreiterrolle nochmals

bestätigt. In der seither geltenden Fassung, die auch in den Verfassungsentwurf

übernommenen worden ist, kann die umweltbezogene Querschnittsklausel zu einem

entscheidenden Instrument der Umsetzung des Nachhaltigkeitsgrundsatzes werden, sofern sie

als primärrechtliches Gebot zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (als

ökologischer Komponente eines sustainability assessment) für alle geplanten Politiken und

Maßnahmen, einschließlich der Ausgestaltung und Anwendung von Sekundärrecht,

interpretiert wird. Damit läuft die Querschnittsklausel auf eine Abwägung der mit der

fraglichen Maßnahme verfolgten Interessen und der ‚einzubeziehenden Umweltbelange’

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hinaus, wobei der Abwägungsprozess unter materiellen und prozeduralen Vorbehalten steht.

Wenn auch die Rechtsqualität der Querschnittsklausel (Verbindlichkeit des

gemeinschaftlichen Handlungsauftrags, Rechtsfolgen bei Nichtberücksichtigung) in der

Literatur nicht abschließend geklärt ist, wird doch überwiegend davon ausgegangen, dass

zumindest die Ermessensspielräume und Begründungspflichten der Legislative und der

Exekutive durch den EuGH kontrolliert werden können. Damit reichen ihre Funktionen über

die eines politischen Programmsatzes deutlich hinaus (Calliess 1998, 565-568;

Frenz/Unnerstall 1999, 161 und 195-198; Niestedt 1999, Rz. 4-29).

Mit dem EUV-M und seinem neuen Titel ‚Entwicklungszusammenarbeit’ – einem

Verrechtlichungsschub für die europäische Entwicklungspolitik – wird auch eine

entwicklungspolitische Querschnittsklausel bzw. ‚Kohärenzregelung’ in den Vertrag

eingefügt. Sie bleibt zehn Jahre lang unverändert bestehen und wird erst im

Verfassungsentwurf überarbeitet und umorganisiert. Zu den Gemeinschaftspolitiken, ‚welche

die Entwicklungsländer berühren können’, zählen vor allem die Handelspolitik, die

Agrarpolitik und die Umweltpolitik. Indem die Querschnittsklausel postuliert, in diesen

Bereichen die entwicklungspolitischen Ziele (einschließlich der ‚nachhaltigen wirtschaftlichen

und sozialen Entwicklung der Entwicklungsländer’) zu ‚berücksichtigen’, internationalisiert

sie den Bezugsrahmen des europäischen Wirtschaftsrechts zugunsten von Drittstaaten,

nämlich den unterentwickelten und armen Ländern. Wiederum sind begründete, gerichtsfeste

Abwägungsentscheidungen zwischen den berührten Interessen zu treffen und dem politischen

Ermessen der Gemeinschaftsorgane somit äußere Grenzen gesetzt; auch dieser

Querschnittsklausel wird in der Literatur eine – immerhin – begrenzte Justiziabilität

zugestanden (Schmidt 1995, 268-272).

Auf dem Papier der Verträge konnte sich die umweltrechtliche Querschnittsklausel – von

ihrer Erstfassung in der EEA über ihre Zuspitzung im EUV-M und ihre Verallgemeinerung

und Qualifizierung im EUV-A bis zu ihrer Übernahme in den Verfassungsentwurf samt

Variation in der Charta der Grundrechte – gut behaupten; in der Rechtsprechung des EuGH

hat sie allerdings bisher eine eher bescheidene Rolle gespielt. So wird sie in

Kompetenzstreitigkeiten dazu herangezogen, die richtige Rechtsgrundlage für

Gemeinschaftsrechtsakte mit umweltpolitischem Bezug zu bestimmen. Das birgt vor allem

dann einen gewissen Streitwert in sich, wenn die fragliche Maßnahme unterschiedliche

Politikbereiche berührt und sich je nach Zuordnung andere Zuständigkeiten und

Verfahrensregeln für den Rechtsetzungsprozess ergeben. Folglich sind die

Gemeinschaftsinstitutionen oder Mitgliedstaaten immer dann geneigt, vor Gericht zu ziehen,

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wenn eine andere Rechtsgrundlage ihnen mehr Rechte gewährt hätte als die gewählte. Der

Rechtsprechung zufolge gilt nicht alles gleich als Umweltpolitik, was nebst anderem auch

umweltpolitische Belange berücksichtigt. Demnach fallen nur jene Maßnahmen unter den

Umwelttitel des Vertrags, deren Hauptziel der Umweltschutz ist; Maßnahmen mit einem

anderen Schwerpunkt verbleiben in der ihnen angestammten Rechtsmaterie. Diese

Argumentation wird von der Querschnittsklausel gestützt, die ja genau dies vorsieht: dass in

allen Bereichspolitiken Umwelterfordernisse miteinbezogen werden (vgl. Rs. C-300/89,

Titandioxid-Abfälle). Das trifft zwar zu, ändert aber nichts daran, dass die Querschnittsklausel

in Auseinandersetzungen um die Rechtsgrundlage instrumentalisiert oder auch

‚zweckentfremdet’ wird, – geht es ihr doch darum, Umweltbelange in andere Politikbereiche

zu integrieren, nicht aber darum, ihnen im Erfolgsfall womöglich die Rechtsgrundlage streitig

zu machen. Geradezu kontraproduktiv wirkt die Querschnittsklausel dann, wenn sie

umweltrelevanten Regelungen anderer Politikressorts zusätzliche Legitimation verschafft,

ohne dass die Umweltprinzipien dort tatsächlich einbezogen würden (Scheuing 2001, 140-141

und 166; Krämer 2002, 41-48).

Eine spezielle Ausprägung hat die Rechtsgrundlagenproblematik mit dem Cartagena-

Protokoll über biologische Sicherheit angenommen, das im Nachgang der 1992 in Rio

vereinbarten Biodiversitätskonvention im Jahr 2000 erlassen und von Gemeinschaft und

Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde. Hier geht es um die Außenkompetenzen der

Gemeinschaft im Spannungsfeld von Handels- und Umweltpolitik; und wiederum wird mit

der Querschnittsklausel argumentiert, um die Zuständigkeit für ein (prima facie)

Umweltabkommen aus dem Umweltressort abzuziehen. Dieser Auffassung folgte der EuGH

in seinem Gutachten nicht (vgl. Gutachten 2/00, Cartagena).

Aber auch jenseits der Rechtsgrundlagenproblematik gibt es in der Argumentation des EuGH

(Schlussanträge der Generalanwälte und Urteile) einige Hinweise auf das rechtliche Potenzial

der Querschnittsklausel, Umweltbelange in anderen Politikbereichen geltend zu machen. Zwei

zumindest in Ansätzen dokumentierbare Begründungsstrategien lassen sich unterscheiden:

Einmal wird die Querschnittsklausel als Beleg für die vertragliche Aufwertung des

Umweltschutzes angeführt; es wird also von Gewichtsverschiebungen zwischen den

umweltbezogenen und nicht-umweltbezogenen Zielen des Vertrags ausgegangen. In

Rechtsfällen, die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Vertragszielen bearbeiten, also

typischerweise zwischen Liberalisierungs- und (Umwelt-) Schutzpolitiken, gewinnen

Rechtfertigungsgründe für Umweltmaßnahmen daher an Stellenwert. Im Endeffekt

vergegenwärtigt die Querschnittsklausel den Umweltschutz als dem Binnenmarkt

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ebenbürtiges Verfassungsziel (vgl. Rs. C-379/98, PreussenElektra; Rs. C-292/97, Karlsson;

Rs. C-513/99, Concordia Bus). Das andere Mal erfüllt die Querschnittsklausel ihre eigentliche

Scharnierfunktion zwischen den Einzelbestimmungen anderer Vertragstitel und den

spezifischen Normen des Umwelttitels. Im Prinzip wird damit eine

Umweltverträglichkeitsprüfung aller gemeinschaftlichen Maßnahmen verlangt, wobei als

Kriterien die verschiedenen umweltrechtlichen Ziele und Grundsätze heranzuziehen sind.

Beispiele dafür sind offenbar gerade in Fällen zu finden, in denen Umweltschutzbelange auf

öffentlichen Druck hin einen außerordentlichen Stellenwert erlangt haben und sich daher in

den zuständigen Ressorts nicht mehr ohne Weiteres übergehen ließen (vgl. explizit: Rs. C-

180/96, BSE; implizit: Rs. C-6/99, Greenpeace France) (Scheuing 2001, 141-142).

Ob die Orientierung der Querschnittsklausel auf die Förderung einer nachhaltigen

Entwicklung (seit dem EUV-A) von der Rechtsprechung gesondert aufgenommen worden ist,

ist noch nicht ausreichend geprüft. Insofern der Nachhaltigkeitsgrundsatz aber die Auslegung

der einzelnen Umweltbestimmungen prägt und verändert, überträgt er sich – vermittelt über

die Querschnittsklausel – auch in die verschiedenen Sektorpolitiken. Eine Grenze ist der

rechtlichen Durchsetzbarkeit der Querschnittsklausel dadurch gesetzt, dass sie für einzelne

Streitfälle nicht immer den geeigneten Beurteilungsmaßstab liefert: So können einzelne

gesetzgeberische Maßnahmen, die Umwelterfordernisse scheinbar ausblenden, durchaus in

einem größeren Politikzusammenhang stehen, der dem Umweltschutz im erforderlichen Maße

Rechnung trägt. Auch wenn hier Begründungspflichten zu einer größeren Transparenz

verhelfen könnten, so fehlt es der Rechtsprechung doch an eindeutigen Entscheidungskriterien

für den Einzelfall (Krämer 2002, 146). Hinzu kommt, dass sich die politischen

Ermessensspielräume nur schwer abstecken lassen, obwohl (mit der Gleichrangigkeit der

Vertragsziele) von ihrer materiellrechtlichen ‚Einrahmung’ von beiden/allen Seiten

auszugehen ist. Dies in justiziable Mindestanforderungen für die Berücksichtigung der

Umweltbelange zu übersetzen, ist im Dreiecksverhältnis von Recht, Wissenschaft und Politik

offenbar noch nicht geglückt. Aus diesen Gründen bleibt der gerichtliche Nutzen der

umweltbezogenen Querschnittsklausel bisher beschränkt, woraus sich sicherlich auch der

Mangel an einschlägiger Rechtsprechung erklärt. Es fiele wohl leichter, eine Reihe von

Konfliktfällen aufzuzählen, in denen die Einbeziehung der Umweltbelange zwar tatsächlich

den Streitgegenstand ausmacht, aber die Querschnittsklausel mangels (ausreichender)

Justiziabilität nichts zur Lösung beizutragen vermochte.

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Stand: 30. September 2003

3.2.5 Umweltpolitische Einzelprinzipien

Das Gemeinschaftsrecht kennt zehn umweltpolitische Prinzipien: (a) Schutz der Umwelt auf

hohem Niveau, (b) Erhaltung und Verbesserung der Umweltqualität, (c) Schutz der

menschlichen Gesundheit, (d) Schonung natürlicher Ressourcen, (e) Förderung internationaler

Maßnahmen, (f) Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten, (h) Vorsorge, (i) Vorbeugung,

(j) Bekämpfung der Umweltbeeinträchtigungen am Ursprung, (k) Verursacherprinzip. Dabei

handelt es sich zum Teil (a bis e) um Zielfestlegungen, zum Teil um Handlungsmaßstäbe (f

bis k). Ob sie als politische Programmsätze oder als Rechtsprinzipien fungieren, entscheidet

sich empirisch – letztlich also vor Gericht.

Eine rechtliche Bedeutung könnte den umweltpolitischen Grundsätzen in zweierlei Weise

zukommen, und zwar jeweils im Hinblick auf die Gemeinschaftsorgane und im Hinblick auf

die Mitgliedstaaten: Sie könnten ihnen einerseits Handlungskompetenzen zur freien

Ausgestaltung gewähren (‚ermöglichende Funktion’), oder sie könnten ihnen die Ausübung

von Handlungskompetenzen in bestimmter Weise vorschreiben (‚direktive Funktion’). Für die

handlungsermöglichenden Funktionen ist – wie Beispielfälle vor dem EuGH zeigen – von

einer Rechtswirkung der Umweltprinzipien auszugehen. Insbesondere können

Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten auch Eingriffe in die Grundrechte mit den

umweltpolitischen Handlungsgrundsätzen einschließlich des Integrationsprinzips

(Querschnittsklausel) rechtfertigen, vorausgesetzt, sie berücksichtigen die im Umwelttitel

genannten relativierenden Aspekte (Artikel 174, Absatz 3 EG) sowie das allgemeine

Verhältnismäßigkeitsgebot (vgl. für die Gemeinschaftsorgane: Rs. C-293/93, Standley; für die

Mitgliedstaaten: Rs. C-302/86, Dänische Pfandflaschen; Rs. C-473/98, Toolex; Rs. C-67/97,

Bluhme; Rs. C-379/98, PreussenElektra; Rs. C-2/90, wallonisches Mülldekret). Was die

handlungsverpflichtenden Funktionen anbelangt, fehlen im Großen und Ganzen noch

aussagekräftige Fälle (was auch aus der begrenzten Klagebefugnis von Dritten folgt). Es ist

also noch nicht klar, inwieweit etwa auf Gemeinschaftsebene ein Gebot zu effektivem

Umweltschutz besteht oder die Mitgliedstaaten bei der Ausführung von sekundärem

Gemeinschaftsrecht auf die Einhaltung der Umweltprinzipien verpflichtet sind (Winter 2003,

137-142). Insgesamt ist von einer ambivalenten rechtlichen Bedeutung der Umweltprinzipien

auszugehen.

Die Zielfestlegungen haben in der Rechtsprechung eher im ‚umweltverfassungsrechtlichen

Hintergrund’ gewirkt und dem EuGH immer wieder umweltpolitisch anspruchsvolle Urteile

ermöglicht. Durch die Kodifizierung der Umweltziele mit der Einführung des Umwelttitels

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Stand: 30. September 2003

durch die EEA konnte er seine frühere Rechtsprechung sogar bestätigt sehen. Explizit dämpfte

er jedoch in einigen Fällen die überschießenden Erwartungen an die Umweltschutz- und

Umweltqualitätsziele (vgl. Rs. C-284/95, Safety Hi-Tech; Rs. C-341/95, Bettati). Die

Handlungsgrundsätze gelten – nach Rechtsprechung des EuGH – zwar als rechtsverbindlich,

jedoch sind sie faktisch nur begrenzt justiziabel. Sie machen dem Gemeinschaftsgesetzgeber

Vorgaben, belassen ihm aber auch einen Ermessensspielraum, den der EuGH sich nicht zu

kontrollieren anmaßt. Vor Gericht werden sie daher gerne als Argumente herangezogen,

jedoch nicht zu tragenden Pfeilern des Urteils gemacht (Scheuing 2001, 130-134 und 164-

166; Krämer 2002, 137-139 und 255-257).

Im aktuellen umweltrechtlichen Prinzipienkatalog sind weder der Nachhaltigkeitsgrundsatz

noch das Integrationsprinzip direkt enthalten. Beide nehmen im Vertrag eine übergeordnete

Stellung gegenüber allen Einzelpolitiken ein: Das Integrationsprinzip wird in Gestalt der

umweltbezogenen Querschnittsklausel vorweggenommen (und durch den

Nachhaltigkeitsgrundsatz qualifiziert); der Nachhaltigkeitsgrundsatz wird als Ziel der Union

und Aufgabe der Gemeinschaft in seinem übergreifenden Gehalt gewürdigt (Winter 2003,

137). Der Mehrwert nachhaltiger Entwicklung gegenüber der (klassischen) Umweltpolitik

kann über diese Konstruktion in die umweltpolitischen Prinzipien miteinfließen und mit ihnen

in andere Politikbereiche transportiert werden. (Dieser Vermittlungszusammenhang besteht

im Grundsatz auch für die Entwicklungspolitik, fällt aber schwächer aus, weil sowohl die

entwicklungspolitischen Prinzipien als auch die entwicklungspolitische Querschnittsklausel

‚weicher’ sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH mit Fällen befasst wird, in denen

dieser Zusammenhang eine Rolle spielt, ist vermutlich noch geringer als im Umweltbereich:

aber nicht nur, weil die Bestimmungen noch weniger justiziabel sind, sondern auch, weil aus

rechtssystematischen Gründen noch weniger potenzielle Kläger vorhanden sind.) Weil die

Idee der Nachhaltigkeit auch ohne Umweg über die europäische ‚Verfassung’, und sogar ohne

Umweg über diese alte/neue Vokabel, in die (Auslegung der) umweltrechtlichen Prinzipien

eingehen kann, wird hier nicht weiter unterschieden, ob der Zusammenhang ein expliziter,

impliziter oder kurzgeschlossener ist: Entscheidend ist, ob es überhaupt empirische Hinweise

auf diese Wirkungsrichtung (vom Nachhaltigkeitsprinzip auf die Umweltprinzipien) gibt, die

sich dann – mit der Verfassung im Rücken – in der künftigen Rechtsprechung des EuGH

erhärten könnten.

Zwei Beispiele bieten sich an: der Vorsorgegrundsatz und das Ursprungsprinzip. Von den

umweltbezogenen Rechtsprinzipien ist der Vorsorgegrundsatz derjenige, der von der

Grundidee her am meisten mit dem Nachhaltigkeitsgrundsatz (i.e.S.) gemein hat: Gefahren

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Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs

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und Risiken (für Mensch und Umwelt) auf lange Sicht zu vermeiden. Überdies spielt er in die

Vertragsbestimmungen hinein, die ein hohes Schutzniveau (Gesundheit, Sicherheit, Umwelt,

Verbraucher) gewährleisten sollen (insbesondere Artikel 95, Absatz 3 EG), – auch ohne

Inanspruchnahme der Querschnittsklausel, auch außerhalb des Umweltbereichs. Daher scheint

er besonders geeignet, als Teilprinzip des umfassenden Nachhaltigkeitskonzepts

operationalisiert zu werden, bzw. umgekehrt, das Nachhaltigkeitskonzept mit materiellen

Inhalten aufzufüllen. Bisher sind von dem Vorsorgeprinzip, das auf europäischer Ebene eine

eher ‚technische’ Risikoabschätzung beinhaltet, die örtlichen und zeitlichen Fernfolgen, also

Schadenswirkungen im intra- und intergenerativen Maßstab, nur unzureichend erfasst.

Dennoch werden immer wieder Fälle anhängig, in denen mit diesen Größenordnungen

argumentiert wird. Es besteht also ein gewisser (öffentlicher) Druck auf eine substanzielle

Fortbildung des Vorsorgeprinzips in Richtung Nachhaltigkeit (vgl. explizit: Rs. C-180/96,

BSE; Rs. C-6/99, Greenpeace France; implizit: Rs. C-355/90, Santoña). Gleiches kann für den

Umgang mit wissenschaftlicher Unsicherheit gelten, der in der globalen Langzeitperspektive

zur Norm werden wird. Die Rechtsprechung hat bereits Möglichkeiten geschaffen, nach denen

vorsorgliches Handeln nicht an Wissenslücken über die Gefährdungszusammenhänge

scheitern muss (vgl. Rs. T-1/99, Pfizer) (Winter 2003, 143; Icard 2002, 471-497; Scheuing

2001, 136-137; Calliess 1998, 563-564; Frenz/Unnerstall 1999, 187-190; Krämer 2002, 284).

Eine an Stoffkreisläufen orientierte Ausdeutung hat der Ursprungsgrundsatz erfahren,

demzufolge Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen sind.

Dies entspricht dem Nachhaltigkeitsgedanken und ließe sich zum Grundsatz regionaler

Nachhaltigkeit weiterentwickeln, welcher allerdings in Widerspruch zu den

Freiheitsprinzipien des Binnenmarkts zu geraten droht. Genau dieser Konflikt war aber in

diesem Falle Gegenstand der Rechtsprechung und hat über die Behelfskonstruktion mit dem

Ursprungsprinzip zum (Wunsch-) Ergebnis geführt, eine mitgliedstaatliche

Abfallbeseitigungsregelung mit regionalem Bezug nicht am freien Warenverkehr scheitern zu

lassen (vgl. Rs. C-2/90, wallonisches Mülldekret) (Scheuing 2001, .137-139; Frenz/Unnerstall

1999, 190-193).

3.2.6 Umweltschutz im Binnenmarkt

Die Vergemeinschaftung der Umweltpolitik bewegt sich in zwei Spannungsfeldern, die auch

für eine europäische Nachhaltigkeitspolitik erhalten bleiben: „(1) the development of EU

environmental protection standards versus the preservation of free trade policies; and (2) the

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creation of unified Community environmental standards versus preserving a member state

government’s national environmental standards“ (Cichowski 1998, 389). Mit anderen Worten,

Fragen der horizontalen Politikintegration (Verknüpfung von Handels- und Umweltpolitiken)

verbinden sich im Mehrebenensystem nahezu zwangsläufig mit Fragen der vertikalen

Politikintegration (Verknüpfung von einzelstaatlichen und supranationalen Politiken), und die

‚Vervollständigung’ (Integration) einer europäischen Nachhaltigkeitspolitik hängt auch davon

ab, welchen Stellenwert eine weitere Zentralisierung von Kompetenzen unter den

Governance-Akteuren genießt. In Konfliktfällen, die in der Politik liegen geblieben sind, kann

der EuGH mit seinen Urteilen institutionelle Lösungen anbieten und legislative Reaktionen

hervorrufen (Cichowski 1998, 393).

Im Umweltbereich geht es dabei in erster Linie um die Durchsetzbarkeit eines ‚hohen

Schutzniveaus’, wie es als (Umwelt-) Verfassungsziel in der Aufgabenbestimmung der

Gemeinschaft und im Umwelttitel niedergelegt ist. Dies konkretisiert sich in der Frage der

Zulässigkeit mitgliedstaatlicher Alleingänge (bei fehlender Harmonisierung) und

mitgliedstaatlicher Schutzverstärkungen (bei als unzureichend interpretierter

Harmonisierung). Zu fragen ist, ob der verfassungsrechtlich anzunehmenden Gleichrangigkeit

von Binnenmarktpolitik und Umweltpolitik in der Rechtsprechung dadurch Rechnung

getragen ist, dass – je nach Harmonisierungsgrad – beide in Konfliktfällen gleichberechtigt

nebeneinander stehen (Marktfreiheiten und hohes Schutzniveau) bzw. miteinander verknüpft

werden (Marktfreiheiten auf hohem Schutzniveau). Empirisch handelt es sich dabei ganz

überwiegend um Marktregulierungsfälle nach den Artikeln 28, 30 und 95 EG, so dass den

obigen Ausführungen zu folgen ist.

Im Hinblick auf mitgliedstaatliche Alleingänge ist zu unterscheiden, welche Gründe Eingriffe

in die Grundfreiheiten ermöglichen und unter welchen Bedingungen sie gestattet sind. Die

Qualität der Gründe, die als Rechtfertigung von Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit

anerkannt wurden, zeigt eine Entwicklung, die von sehr konkreten Schutzinteressen (‚Schutz

der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen’, so wörtlich Artikel 30)

zu allgemeineren Umweltbelangen wie Artenvielfalt (vgl. Rs. C-67/97, Bluhme) und

Klimaschutz (vgl. Rs. C-370, PreussenElektra) verläuft und sich daher gut in Richtung

abstrakterer Fragen der Nachhaltigkeit verlängern lässt. Auch exterritoriale Schutzanliegen

können in den Umweltbegriff eingeschlossen werden, wie es schon heute bei ‚Tieren’ und

‚Pflanzen’ denkbar ist. In der jüngeren Rechtsprechung (und den – unverbindlichen –

Schlussfolgerungen der Generalanwälte) gibt es eine Reihe von Anzeichen dafür, dass der

EuGH dazu übergeht, den Umweltschutz als eigenständigen, aus dem Umwelttitel und

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eventuell der Querschnittsklausel resultierenden Rechtfertigungsgrund zu würdigen (vgl. mit

negativem Ergebnis: Rs. C-203/96, Dusseldorp; Rs. 209/98, FFAD; mit positivem Ergebnis

und einem Verweis auf die völkerrechtlichen Pflichten: Rs. C-370, PreussenElektra). Ob dies

eine Erweiterung des Artikels 30 impliziert (der die Autoren des Verfassungsentwurfs jedoch

nicht gefolgt sind), ein ganz neues Rechtfertigungskonstrukt schafft oder lediglich ein

einzelfallbezogenes Artefakt in der Argumentation des Gerichts darstellt, ist umstritten

(Nowak 2001, 236-237; Winter 2003, 141; Scheuing 2001, 155-156; Krämer 2002, 62-64 und

386-388).

Parallel dazu haben sich die Bedingungen, unter denen Eingriffe in die Grundfreiheiten bei

fehlender Harmonisierung gestattet sind, schrittweise entdifferenziert und verallgemeinert.

Mit Dassonville war und ist davon auszugehen, dass Umweltschutzmaßnahmen mit

(tatsächlich oder potenziell) handelshemmenden Wirkungen bis auf die in Artikel 30

verzeichneten Ausnahmen untersagt sind. In der Anwendung dieser Formel zeigt sich der

EuGH jedoch zurückhaltend. In einem Urteil aus dem Jahre 1985 erkennt der EuGH erstmals

den Schutz der Umwelt als allgemeines Interesse an (vgl. Rs. 240/83, ABDHU) – noch bevor

Umweltbestimmungen in den Vertrag aufgenommen werden (EEA) und der Aufgabenkatalog

der Gemeinschaft erweitert wird (EUV-M, EUV-A). Im Jahre 1988 findet dann die Cassis-

Doktrin ihre erste Anwendung: Seither können Mitgliedstaaten nichtdiskriminierende

Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit als ‚zwingende Erfordernisse’ des

Umweltschutzes geltend machen (vgl. Rs. 302/86, Dänische Pfandflaschen); diskriminierende

Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels bleiben hingegen unbeschadet der

Rechtfertigungsgründe in Artikel 30, unter denen der Umweltschutz als solcher nicht

vorgesehen ist, untersagt. Einige diskriminierende Maßnahmen hat der EuGH in seiner

Rechtsprechung allerdings dann – fallweise – legitimiert bzw. legalisiert, ob durch

Umdeutung der fraglichen Maßnahme in eine nichtdiskriminierende (z.B. unter Zuhilfenahme

des Ursprungsgrundsatzes, vgl. Rs. C-2/90, wallonisches Mülldekret) oder durch

Überdehnung der Ausnahmebestimmungen bzw. Hinzunahme eines eigenständigen

Rechtfertigungsgrundes Umweltschutz (was dem Grundsatz ‚singularia non sunt extendenda’

widerspricht, vgl. Rs. C-67/97, Bluhme; Rs. C-370, PreussenElektra). Daraus lässt sich

schließen, dass die Unterscheidung zwischen diskrimierenden Maßnahmen, die nur unter

Rückgriff auf Artikel 30 gerechtfertigt werden können, und nichtdiskriminierenden

Maßnahmen, die nur auf – ungeschriebene, vom EuGH für Recht befundene – ‚zwingende

Erfordernisse’ gegründet werden können, an Bedeutung verliert. Demzufolge wird künftig in

der Rechtsprechung mehr im Vordergrund stehen, ob die handelsbeschränkenden Maßnahmen

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tatsächlich dem Umweltschutz dienen und ob sie überdies dem Verhältnismäßigkeitsgebot

entsprechen (vgl. dazu C-473/98, Kemikalieninspektionen) (Nowak 2001, 233-237; Winter

2003, 141; Scheuing 2001, 152-158; Krämer 2002, 276-278, 292-293 und 321-322).

Was mitgliedstaatliche Schutzverstärkungen anbelangt, unterscheiden sich die

Zulässigkeitskriterien nach der Rechtsgrundlage des bestehenden gemeinschaftlichen

Sekundärrechts. Da die Wahl der Rechtsgrundlage vom inhaltlichen Schwerpunkt des zu

erlassenden Rechtsakts abhängt (wobei die vom EuGH hergeleiteten ‚objektiven’

Zuordnungsmerkmale dem Gesetzgeber einen gewissen Gestaltungsspielraum belassen), sind

Harmonisierungsmaßnahmen für Querschnittskonflikte alternativ auf die Bestimmungen im

Binnenmarkttitel oder im Umwelttitel zu stützen, wo jeweils auch die Ausnahmen geregelt

sind. So werden gemeinschaftliche Beschränkungen oder Verbote umweltschädigender

Produkte im Allgemeinen auf die Binnenmarktregeln gestützt: Die Rechtsangleichung soll in

erster Linie dem Handel zugute kommen – nicht dem Umweltschutz (also entscheidet auch

nicht der Rat der Umweltminister über die Maßnahmen).

Für alle verstärkten Schutzmaßnahmen auf nationaler Ebene gilt, dass sie im Sinne der Artikel

28 und 30 des Vertrags den Handel nicht unnötig beschränken dürfen (Diskriminierungs- bzw.

Beschränkungsverbot; Verhältnismäßigkeitsgebot). Regulierungen, die (hauptsächlich) das

‚Funktionieren des Binnenmarkts’ bezwecken, sollen laut Vertrag ein ‚hohes Schutzniveau’ in

den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz vorsehen.

Mitgliedstaatliche Schutzverstärkungen (Beibehaltung und Neueinführung) sind dann nur

noch unter bestimmten Bedingungen möglich und in besonderer Weise genehmigungs- und

begründungspflichtig; Neueinführungen unterliegen dabei höheren Anforderungen als

Beibehaltungen von Sonderregeln (Artikel 95, Absatz 4-9 EG). Der EuGH folgt in seiner

Rechtsprechung einer engen Auslegung dieser Ausnahmeregelung, die ursprünglich

verhindern sollte, dass der mit der EEA eingeführte Mehrheitsbeschluss bei Maßnahmen der

Rechtsangleichung einzelstaatliche Schutzinteressen gefährdet (vgl. Rs. C-41/93, PCP). Seit

dem EUV-A können mitgliedstaatliche Regelungen, die über das im gemeinschaftlichen

Sekundärrecht festgeschriebene Schutzniveau hinausgehen, auch ‚in Bezug auf den Schutz der

Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz’ gerechtfertigt werden. Zudem gilt die

Querschnittsklausel, die eine Berücksichtigung der umweltrechtlichen Prinzipien vorschreibt

und damit den Möglichkeitsraum für die Verstärkung mitgliedstaatlicher Schutzregeln

absteckt. Wiederum ist allerdings mit einer restriktiven Rechtsprechung hinsichtlich der

Qualität der Gründe und der Bedingungen ihrer Zulässigkeit zu rechnen. Damit aber geht der

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vom Gemeinschaftsgesetzgeber deregulierte und reregulierte Binnenmarkt tendenziell

zulasten des ‚Wettbewerbs der Rechtsordnungen um den bestmöglichen Umweltschutz’.

Werden die Harmonisierungsmaßnahmen stattdessen auf Grundlage von Artikel 175 EG

erlassen, weil ihr Hauptzweck der Umweltschutz und nicht das Funktionieren des

Binnenmarktes ist, sind die Vorgaben für mitgliedstaatliche Schutzverstärkungen weniger

rigide (Artikel 176 EG) und unterscheiden sich kaum mehr von den Bedingungen für

mitgliedstaatliche Alleingänge bei fehlender sekundärrechtlicher Harmonisierung (was

allerdings die tatsächlich bestehenden Unterschiede verwischt, vgl. C-203/96, Dusseldorp). So

können besondere Schutzmaßnahmen beispielsweise auch ohne vorheriges Plazet der

Kommission veranlasst werden. Außerhalb der auf Grundlage von Artikel 95 und 175

gestützten Sekundärrechtsmaßnahmen sind keine mitgliedstaatlichen Schutzverstärkungen

zulässig (Scheuing 2001, 158-163; Winter 2002, 141-142; Krämer 2002, 65-67, 73-77 und

294-297).

3.2.7 Umweltschutz im Außenhandel

Die internationale Dimension des EG-Verfassungskonflikts zwischen Freihandel und

Umweltschutz deutet sich in der Auseinandersetzung um das Cartagena-Protokoll über

biologische Sicherheit – insbesondere den Umgang mit lebenden genetisch veränderten

Organismen – an, zu dem der EuGH im Jahr 2000 auf Anfrage ein Gutachten zur Bestimmung

der Rechtsgrundlage angefertigt hat (Gutachten 2/00, Cartagena). Streitgegenstand war die

Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss und die Durchführung des Protokolls, und

zwar wiederum in doppelter (Integrations-) Perspektive: im horizontalen Verhältnis der

Ressorts untereinander (Handelspolitik vs. Umweltpolitik) und auf der vertikalen Achse der

Bündelung von Kompetenzen (ausschließliche Zuständigkeit vs. geteilte/konkurrierende

Zuständigkeit). In dem Gutachten geht der EuGH davon aus, dass das Cartagena-Protokoll

seinen Schwerpunkt in der internationalen Umweltpolitik hat und beruft sich dazu auch auf

die UNCED, von der die Rahmen bildende Biodiversitätskonvention stammt: als Konferenz

über Umwelt (und Entwicklung). Die Kommission hatte hingegen argumentiert, dass die

Bestimmungen vor allem den Handel mit lebenden genetisch veränderten Organismen

betreffen, daher im Grundsatz der Handelspolitik zuzuordnen sind, welche vermittels der

Querschnittsklausel wiederum die Umwelterfordernisse einbezieht.

Im Lichte dieser Kompetenzstreitigkeiten wird nicht nur die Verbindung von internaler und

externaler Dimension der Zielkonflikte im Gemeinschaftsrecht deutlich, sondern auch die

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Verknüpfung von europäischer und internationaler Handelsordnung augenfällig: Der Kritik

am Gutachten des EuGH lässt sich entnehmen, dass bei der Zuständigkeitsverteilung im

außenpolitischen Schnittfeld von Handel und Umwelt mehr auf dem Spiel steht als ein EU-

internes Machtgerangel zwischen Kommission und Mitgliedstaaten. Darüber hinaus reichen

Befürchtungen, dass die Rechtsauffassung des EuGH zu einer Aushöhlung der gemeinsamen

Handelspolitik führen und die internationale Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft schwächen

könnte. Dem schließen sich Warnungen an, dass die Gestattung ökologisch motivierter

‚technischer’ Handelshemmnisse, wie sie das Cartagena-Protokoll vorsieht, die (Rechts-)

Gemeinschaft in Widerspruch zur Welthandelsorganisation bringen wird, deren Mitglied sie

ist. Damit geht es in dieser Auseinandersetzung aber auch um das Verhältnis zwischen

Welthandelsregime und internationalen Umweltabkommen. Insofern gleicht der

Normenkonflikt in der internationalen Staatengemeinschaft dem in der Europäischen Union,

und die von der europäischen Ebene bekannten Positionen – Hierarchie oder Gleichrangigkeit,

Absonderung oder Integration – wiederholen sich im internationalen Maßstab (Herrmann

2002, 1168-1174; Schwarz 2003, 61-71).

Als Deutung des EuGH-Gutachtens im Sinne des Nachhaltigkeitsleitbilds bietet sich an, dass

die Durchführungskompetenzen für internationale Umweltabkommen derzeit trotz

Querschnittsklausel besser im Umweltressort aufgehoben sind als im Handelsressort, wobei

dies sogar einen Verzicht auf Zentralisierungsvorteile impliziert. Dass sich eine solche

inhaltliche, nicht an den EU-internen Interessendivergenzen festgemachte Interpretation auch

empirisch stützen lässt, ist eher unwahrscheinlich (Kraack 2000, 228-231); durchaus real sind

aber die Wirkungen dieser institutionellen Entscheidung des Gerichts auf die Entwicklung

einer integrierten Wirtschafts- und Umweltverfassung. Schließlich lässt die Interaktion

zwischen Welthandelsrecht und EG-Recht im Allgemeinen vermuten, dass (rechts-)

institutionelle Lösungen für den Zielkonflikt von Wirtschaftsverfassung und

Umweltverfassung zwischen den Ebenen – wie gehabt – ausgetauscht werden bzw. sich

interdependent voneinander entwickeln. Wegen ihres höheren Integrationsniveaus (mit

Nachdruck in vertikaler Dimension, mit Vorbehalten in horizontaler Dimension) kann die

Europäische Union in dieser Beziehung in gewisser Weise Muster bildend wirken. Als

Governanceakteur könnte der EuGH somit maßgeblich zur Verrechtlichung der

Nachhaltigkeitsproblematik beitragen: auf europäischer und sogar auf globaler Ebene.

SCHLUSS/AUSBLICK

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Es hat sich gezeigt, dass sich nachhaltige Entwicklung in der Vertragslyrik der Europäischen

Union einen festen Platz erobert hat. Gleichwohl bleibt das Konzept als Verfassungsziel und

Rechtsprinzip noch sehr unscharf. Während eine theoretische Ausarbeitung möglich erscheint

und zum Teil auch in den Rechtswissenschaften in Angriff genommen worden ist, sind die

empirischen Befunde bisher jedoch dünn. Noch gibt es keinen sicheren Hinweis darauf, dass

nachhaltige Entwicklung in der Rechtsprechung des EuGH einen eigenen Stellenwert erlangt

hat. Schlüsse lassen sich vorerst nur im Hinblick auf einzelne Grundsätze (z.B. das

Integrationsprinzip) und Teilaspekte (z.B. die ökologische Dimension) des Gesamtkonzepts

ziehen. Die Frage, inwieweit der EuGH das Konzept rechtlich ausfüllen kann, bleibt

empirisch daher noch offen. Theoretisch lässt sich das Untersuchungsanliegen hingegen gut

begründen und in den Schnittpunkt verschiedener Diskurse der Europaforschung stellen.

Die Fortführung der Arbeit bewegt sich im – den Europäern wohl vertrauten – Spannungsfeld

von Erweiterung und Vertiefung: Zum einen erscheint die stärkere Einbeziehung der

entwicklungspolitischen Dimension unabdingbar, um den Gehalt des Nachhaltigkeitskonzepts

zu wahren, zum anderen ist eine eingehendere Untersuchung einiger der hier angeschnittenen

EuGH-Fälle wohl dringend erforderlich, um ihre Aussagekraft für die verfolgte Fragestellung

zu sichern.

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